
CHRISTOPH PODEWILS
DEUTSCHLAND UNTER STROM
Unsere Antwort auf die Klimakrise
Mit einem Vorwort von
Eckart von Hirschhausen
C.H.BECK

Die Bundesregierungen seit den 1990er-Jahren haben sich lange verhalten wie unmotivierte Schüler. Sie haben Vokabeln gepaukt – die Auswirkungen des Klimawandels erforschen lassen ebenso wie die Technologien zum Klimaschutz –, aber sie haben nicht gelernt, daraus Sätze und Texte –eine glaubwürde Klimapolitik – zu bilden. Christoph Podewils benennt die Versäumnisse, formuliert konkrete Erwartungen an die nächste Regierung, betont aber auch die Gunst der Stunde. Durch den Lockdown haben wir Dinge entdeckt, die wir gut finden und weiterpflegen: Videokonferenzen statt Dienstreisen, Homeoffice statt Stau im Berufsverkehr, mehr Zeit für die Familie und weniger Konsum. Ähnliche Nebeneffekte wird es auch beim Kampf gegen die Klimakatastrophe geben – weniger Lärm in den Städten, weil Elektroautos leiser sind, oder auch eine Revitalisierung der ländlichen Gegenden, weil dort die Energie der Zukunft geerntet wird.
Christoph Podewils hat Geografie auf Diplom und Rechtswissenschaften im Nebenfach studiert. Als Wissenschaftsjournalist berichtete er von 2001 an über Energie- und Klimathemen. Von 2013 an baute er als Leiter Kommunikation den Thinktank Agora Energiewende mit auf. Seit März 2021 verantwortet er die Kommunikation der Global Solutions Initiative, eines Thinktank-Netzwerks, das internationale Organisationen zu Fragen globaler Probleme berät und politische sowie forschungsbasierte Empfehlungen gibt. Das PR-Magazin urteilte 2020 über ihn: «Podewils ist sehr akkurat, setzt mehr auf Fakten als auf scharfe Thesen. Damit wird er seiner wissenschaftlichen Rolle gerecht. Man hat das Gefühl, da sitzt jemand, der Ahnung hat und sich nicht aus dem Fenster lehnt.» Podewils ist Co-Autor mehrerer Energiewende-Studien und betreibt selbst Photovoltaikanlagen.
Energiewende Made in Germany – Vorwort von Eckart von Hirschhausen
Einleitung
Teil 1: Die Grundlagen
1 Kleine Einführung in Begriffe und Technik
Ampere und Volt
Kilo-, Mega-, Gigawatt: Wie muss man sich das vorstellen?
Wie viel Energie verbraucht ein Mensch im Jahr – wo kommt sie her, wo geht sie hin?
CO2 hat nicht nur einen Preis – der Unterschied zwischen privaten und industriellen Emissionen
Strombörse
CO2-Fußabdruck
Auto
Essen
Heizen
Stromverbrauch
Woher weiß mein Stromversorger eigentlich, wann ich den Föhn anstelle?
Strom kommt aus der Steckdose. Oder?
Warum wir bald alle einen neuen Datenanschluss in unseren Zählerschrank bekommen
2 Warum Strom zur Leitenergie wird
Wechsel- oder Gleichstrom?
Die effizienteste Energieform
Warum wir weniger Energie verbrauchen, wenn wir mehr Exergie erhalten
Die nachhaltigste Energieform
Fazit
3 Warum wir die Technik gegen die Klimakrise schon längst haben
Die Konvergenz von Technologien behebt das letzte Manko des Stroms
Es geht gar nicht um Energie
Solarstrom
Windkraft
Wärme
Verkehr
Küche, Computer, Licht und Co.
Wasserstoff
Stromspeicher
Hochspannungsgleichstromübertragung
Fazit
4 Warum die Technik gegen die Klimakrise nicht schon längst stärker genutzt wird (und wie wir das ändern)
Kohlefreundliches Bergrecht, erneuerbare-feindliches Planungsrecht
Hohe Abgaben auf klimafreundlichen Strom, niedrige auf klimaschädliches Heizöl
Inkonsequente Signale und Hürden aus Papier
Unzuverlässige Anbieter und fehlende Ausbildung
Regulatorische Hemmnisse
Unsichere Planungsbehörden, unklare Vorgaben
Klimapolitische Freifahrtscheine für Nachbarn
Fazit
5 Warum der Strom nicht ausfällt – oder was wir tun, wenn Nacht und Flaute herrschen
Stromsystem vor der Liberalisierung
Stromsystem nach der Liberalisierung
Wie Prognosen Angebot und Nachfrage annähern
Regelenergie und riesige Mengen an neuen Reservekraftwerken
Fazit
6 Warum neue Atomkraftwerke das Klima nicht schützen können – nicht in Deutschland und auch nicht anderswo
Die neuen Reaktorkonzepte sind gar nicht so neu
Neue Atomkraftwerke sind teuer und produzieren teuren Strom
Tausende Atomkraftwerke wären weltweit nötig, um fossile Anlagen zu ersetzen – und sie kämen wohl zu spät
Die Atommacht Frankreich liebäugelt mit dem Ausstieg
Fazit
Nuklearer Epilog
7 Warum wir Verbraucher:innen für Strom die höchsten Preise der Welt bezahlen – und manche Unternehmen dafür entlohnt werden, wenn sie Strom abnehmen
Ein dummer Stromkunde ist ein guter Stromkunde
Der Strompreis – ein heimliches Steuersystem
Das irre System der Netznutzungsentgelte
Monopolgewinne, die keinen stören
Die Industrie zahlt andere Strompreise
Fazit
8 Wie Strom zur billigsten Energieform werden kann
Ein Bruch mit dem alten System ist nötig
Je klimafreundlicher, desto billiger der Strom
Passt die Gier nach Strom zu den Stromnetzen?
Fazit
9 Warum Kohlekraftwerke Geldvernichtungsmaschinen geworden sind, von denen sich die Energiekonzerne lieber heute als morgen trennen
Milliarden vergeudet wegen einer Fehlprognose
Resterampe für Kraftwerke
Das Braunkohleproblem
Fazit
Fossiler Epilog
Teil 2: Wie wir Land und Leben ändern werden
10 Wie wir unsere Häuser ohne Öl und Gas heizen und sie sowohl gemütlicher als auch wertvoller machen
Der Sanierungsdruck steigt
Wertvoller Status quo?
Erst Wärmenetze erschließen alle Potenziale
Fazit
Lauwarmer Epilog
11 Warum wir Elektroautos lieben werden und wie sie der Energiewende helfen können
Batterien werden günstiger, stärker und vielseitiger
Das Elektroauto als Teil des Stromsystems
Fazit
Mobiler Epilog
12 Warum wir keinen Wind- und Solarstrom bestellen können – und wie sich das ändern lässt
Derzeit nicht lieferbar: grüner Strom aus deutschen Landen
Keine Grünstromzertifikate aus EEG-Anlagen
Zertifikate aus ganz Europa
Zwischenfazit
Strom aus Ex-EEG-Anlagen kommt auf den Markt
Vier Optionen für klimafreundlichen Industriestrom
1. Option: Industriestrom aus alten EEG-Anlagen
2. Option: Grünstromzertifikate kaufen
3. Option: Ökostrom aus Bestandsanlagen
4. Option: Ein Markt für Ökostrom aus neuen Anlagen
Fazit
13 Warum wir unseren eigenen Strom erzeugen, verkaufen und trotzdem nicht autark sein wollen
Freiheit, die ich meine?
Was Speicher nützen könnten
Geld verdienen mit dem Speicher
Fazit
Sozialökonomischer Epilog
14 Warum ein Arbeitsplatz bei einem Unternehmen, das klimaschädliche Produkte herstellt, unsicher ist
Die gesellschaftliche Betriebserlaubnis erlischt
Sich ändern oder enden
Fazit
15 Warum das Land wieder wichtig wird und die Landschaft sich ändert
Die fatale Gewöhnung an das unsichtbare Stromsystem
Bewusste Energieerzeugung
Neues Wirtschaftsmodell für das Land
Fazit
Heimatlicher Epilog
16 Was passieren muss, damit Bayern von Stromautobahnen und Windparks gar nicht genug bekommen kann
Kaum Kraftwerke in Bayern
Not in my backyard
Die Kupferplatte durchschneiden
Aus Brüssel kommt Druck
Fazit
17 Warum die Energiewende in Deutschland überall auf der Welt Nachahmer findet
Klimaschutzziele basieren auf billigem Wind- und Solarstrom
EEG als Keimzelle eines weltweiten Trends
Fazit
18 Warum Ursula von der Leyen, die deutsche Präsidentin der EU-Kommission, Europa beim Klimaschutz antreibt
Zuckerbrot und Peitsche
Trostpflaster für die Bergleute
Fazit
19 Wind- und Solarstrom verändern nicht nur unser Land, sondern auch unser Wirtschaftssystem
Strom ist anders als Tomaten
Wem gehört die Sonne?
Vorbild Internet
Die Energieproduktionsmaschinen-Produktionsmaschine
Dank
Weiterführende Links (im Text mit * versehen)
Fußnoten
Für Franca und Johann. Sie werden eines Tages
hoffentlich sagen können, dass wir die Klimakrise
in den Griff bekommen haben.
Vorwort von Eckart von Hirschhausen
Wo würden Sie lieber einatmen: hundert Meter neben einer Solaranlage oder hundert Meter neben einem Kohlekraftwerk? Und wo würden Sie lieber stehen, wenn die Technik versagt: hundert Meter neben einem Windrad oder hundert Meter neben einem Atomkraftwerk?
Zwei provokative Fragen zu einem Thema, das unsere Gemüter erhitzt, aber eben im Fall vom Kohlekraftwerk auch die Atmosphäre.
Allein aus der Perspektive der Medizin wundere ich mich, warum die Energiewende immer noch vorrangig als ein technisches Problem diskutiert wird, statt, wie mir das angemessener erscheint, auch darüber zu reden, wie viel gesünder hundert Prozent erneuerbare Stromerzeugung für uns alle wäre. Stromerzeugung hat sehr viele politische und gesellschaftliche Dimensionen, und weil sie so zentral für die Treibhausgasbilanz ist und damit für die Frage, wie stark uns all die negativen Folgen in diesem Jahrhundert treffen, möchte ich ein paar Dinge zu dem Thema teilen, die mich überrascht haben.
Braunkohleverstromung ist extrem ungesund. Für die Menschen, die im Kohleabbau arbeiten, und für alle, die später die Drecksluft einatmen müssen. Ein weniger bekanntes Risiko sind weitere Gifte, die aus den Schornsteinen kommen. Quecksilber kennen die meisten noch als die Silbersäule in den alten Thermometern. Weil es so giftig ist für unser Nervensystem, wurde es im medizinischen Kontext verboten: Thermometer enthalten heute kein Quecksilber mehr. Auch Impfstoffe sind seit 2002 frei von Quecksilberverbindungen. Braunkohle leider nicht. Weil Quecksilber in dem Gesteinsgemisch drinsteckt, wird es automatisch auch mitverbrannt und freigesetzt. Damit sind Deutschlands Kohlekraftwerke nicht nur Klimasünder, sondern auch Giftschleudern. Sie stoßen jährlich rund sieben Tonnen Quecksilber aus. Ausnahmsweise sind da die US-Grenzwerte strenger. Wenn man die für Quecksilber anwenden würde, müssten alle deutschen Braunkohlekraftwerke sofort vom Netz. Nirgendwo in Europa wird von dem insbesondere für das Nervensystem giftigen Schwermetall mehr emittiert als in Deutschland.
Und wie ungesund ist es für die Arbeiter? Immer wieder wird über Arbeitsplätze in der Braunkohleindustrie gesprochen, die man aus historischer Verantwortung doch zu schützen habe. Für viele Menschen ist der Beruf ein großer Teil ihrer Identität, manchmal sogar über Generationen hinweg. Im Ruhrgebiet oder in der Lausitz war man stolz auf die «Malocher». Gerade weil alle wussten, wie sehr die harte Arbeit auf die Knochen ging, wurden die Arbeiter wie Helden verehrt. Es ist wichtig, diese Menschen für ihre Rolle beim Wiederaufbau und beim Wirtschaftswunder anzuerkennen. Auf der anderen Seite ist es auch wichtig, diesen Mythos zu hinterfragen, wenn heute viel klarer als damals ist, dass es erstens günstigere und gesündere alternative Energiequellen gibt. Und der Preis heute auf der persönlichen wie auf der gesellschaftlichen Ebene zu hoch ist.
So neu ist das Thema nicht. Am 28. April 1961 versprach Willy Brandt in seinem Wahlprogramm: «Erschreckende Untersuchungsergebnisse zeigen, dass im Zusammenhang mit der Verschmutzung von Luft und Wasser eine Zunahme von Leukämie, Krebs, Rachitis und Blutbildveränderungen sogar schon bei Kindern festzustellen ist. Es ist bestürzend, dass diese Gemeinschaftsaufgabe, bei der es um die Gesundheit von Millionen Menschen geht, bisher fast völlig vernachlässigt wurde. Der Himmel über dem Ruhrgebiet muss wieder blau werden!» Damit rückte Brandt ein vernachlässigtes Problem ins Blickfeld, die Schattenseiten des deutschen Wirtschaftswunders, und er forderte «Soziale Gerechtigkeit durch mehr Umweltschutz». Jochen Flasbarth, heute Staatssekretär im Umweltbundesamt, erinnert sich an seine Kindheit in Duisburg. «Wir konnten die Wäsche zum Lüften nicht raushängen, weil wir sie sonst dreckiger wieder reingezogen hätten. Das war vor allem der rote Staub der Kupferhütte.» Atemwegserkrankungen und Asthma bei den Kindern war damals entsprechend häufig. Der «blaue Himmel» ist wahr geworden, der Umweltschutz hat im Ruhrgebiet eine unglaubliche Erfolgsgeschichte geschrieben.
Als ich mit Bernd Ulrich, dem Politik-Chefredakteur der Zeit darüber sprach, warum sich die Politik mit dem Klimaschutz so schwer tut, erzählte er mir von seinem Patenonkel, der noch im Kohlebergbau als Steiger gearbeitet hat. «Ich kenne den Gestank von Schwefel und Kohlen, ich habe noch die Männer gesehen, wie sie ihre Lunge ins Taschentuch gehustet haben. Was mich als Kind schon gewundert hat: Diese Männer haben alle auch geraucht. Ich glaube, sie waren gezwungen, ihren Körper für den Bergbau hinzugeben. Das Rauchen war dann ein Akt der Autonomie. Bergbau war eine extrem anstrengende, eine sehr traurige Arbeit. Diese Männer haben sich aufgeopfert für den Fortschritt, und irgendwann wurden sie aufs alte Eisen geschoben. Ich verstehe, dass das einen frustriert.»
Von den Arbeitern erreichten viele nicht das Rentenalter. Die dritte Begegnung, die mich an der Glorifizierung der Kohlearbeitsplätze zweifeln ließ, war ein Gespräch mit Horst Lichter im Rahmen meiner WDR-Sendung Sprechstunde. Horst hatte als junger Mann bereits zwei Schlaganfälle, was sehr ungewöhnlich ist. Auf der Suche nach möglichen Gründen erzählte er, dass auch er im Bergwerk gearbeitet und dabei ständig diese Stäube eingeatmet habe, die, wie man heute weiß, über die Lunge auch im Kreislaufsystem und im Gehirn heftige Schäden hinterlassen können. Wieso denken wir beim Kohleausstieg so wenig an die Opfer? Wir nehmen es hin, dass tausende und abertausende Bergleute gestorben sind, viel zu früh, an Lungenkrebs und anderen Krankheiten. Wir nehmen es für die Autoindustrie hin, dass tausende Menschen jedes Jahr durch Verkehrsunfälle sterben. Und wir nehmen es hin, dass durch die Luftverschmutzung weitere zigtausend Menschen sterben. Wofür? Bernd Ulrich hinterfragt: «Die Opferbereitschaft der Gesellschaft ist ansonsten geringer geworden. Wir würden ja, von absoluten Extremfällen abgesehen, nicht mehr tausende Soldaten in irgendwelche Kriege schicken und da umkommen lassen. Aber auf dem Schlachtfeld der Industrie und Konsumgesellschaft akzeptieren wir es immer noch.»
Man kann die Geschichte unserer Zivilisation nur verstehen, wenn man auch mitdenkt, welche Energiequellen den Menschen in welcher Zeit zur Verfügung standen. Die Klimakrise ist der Preis für die 200 Jahre Industrialisierung. Und wir haben, um diesen Teufelskreis umzudrehen, nicht weitere 200 Jahre Zeit, sondern müssen spätestens in 30 Jahren, also zur Mitte dieses Jahrhunderts, die komplette Trendwende geschafft haben: Energie ohne Treibhausgase erzeugen und langfristig die Kohle, die wir als Kohlendioxid in die Luft gepustet haben, wieder aus der Atmosphäre zurück auf die Erde holen und am besten wieder unter der Erde lagern – das ist die Mammutaufgabe, vor der wir gerade stehen.
Transformation heißt auch, dass es manche Berufe nicht mehr braucht. So war das immer. Als das Rad erfunden wurde, mussten Sänftenträger besänftigt werden. Als das Auto erfunden wurde, die Kutscher. Deshalb wird es in diesem Prozess auch Menschen geben, die umdenken müssen, sich eventuell auch als «Verlierer» fühlen könnten. Aber gibt es nicht auch eine andere Sicht darauf? Als die Digitalisierung der Filmindustrie begann, konnten Menschen erstmalig Filme als VHS-Kassetten oder später DVD nach Hause nehmen und selbst etwas tun, wofür es bis dahin das Kino gab: einen Film einlegen. Damals eine Sensation. Die erste Welle des Kinosterbens begann, dafür entstanden Videotheken an jeder Straßenecke. Gibt es die noch? Nein – denn im nächsten Schritt wurde Streaming möglich, es brauchte keine DVD- oder VHS-Technik mehr. Haben die etwa 100.000 Videotheken-Besitzer ihren Arbeitsplatz bis 2038 gesichert und subventioniert bekommen? Nein. Die machen heute alle etwas anderes. Sie waren auch in keiner Gewerkschaft. Das nur als Vergleich zu dem Brimborium, das wir um 20.000 Arbeitsplätze in der Kohleindustrie machen, von denen die Hälfte der Mitarbeiter in den nächsten Jahren altersgemäß eh in Rente gehen.
Die Energiewirtschaft produziert 312 Millionen Tonnen CO2, diese Menge entspricht 39 Prozent des gesamten deutschen CO2-Ausstoßes. Dabei sind die Kohlekraftwerke der größte Posten, vor Industrie und Verkehr, und vor allem der Posten, bei dem man am schnellsten umrüsten kann. Würde man alle Braunkohlekraftwerke abschalten, würde das mit einem Mal 150 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Und andere Schadstoffe wie Feinstaub, Blei oder Arsen auch.
Es ist sehr viel mühsamer, alle Autos zu elektrifizieren und die Erzeugung von Stahl und Zement umweltverträglicher zu machen, als endlich die dreckige Kohle dort zu lassen, wo sie Mutter Natur ja aus gutem Grund gelagert hat: im Boden. Die Klimafolgeschäden durch die deutsche Kohleverstromung liegen laut Umweltbundesamt bei 50 Milliarden Euro pro Jahr. Hinzu kommen Gesundheitsschäden durch Abgase aus der Kohleverbrennung von über 4 Milliarden Euro pro Jahr. Wenn wir angeblich so knapp vor dem Blackout stehen, wenn wir nicht alle Kraftwerke weiterlaufen lassen – warum exportieren wir dann für viele Milliarden im Jahr 2020 immer noch Kohlestrom? So wie auch die letzten zehn Jahre Deutschland immer mehr Strom erzeugt hat, als wir selber brauchen – mit enormen Folgekosten in der Zukunft.
Apropos nicht eingepreiste Kosten: Eine der abstrusesten Wortschöpfungen der Energiebranche ist «Ewigkeitslasten». Damit bezeichnet man die Folgekosten, die zum Beispiel nach Beendigung des Bergbaus an bestimmten Orten entstehen oder für längere Zeit anfallen. Sozusagen der Nach-Hall, das Gegenteil von Nachhaltigkeit. Nicht nur sind die Ressourcen für immer verbraucht und als Emissionen in der Atmosphäre, auch die tiefen Löcher im Boden durch den Kohleabbau bleiben. Was ich nicht wusste: Im Steinkohlebergbau des Ruhrgebiets wurde die Erdoberfläche bis zu 25 Meter abgesenkt. Ohne ständiges Abpumpen des Grundwassers wären weite Teile des Ruhrgebiets eine Seenlandschaft. Die schnelle Mark der Energieversorger mit der Kohle war also «auf Pump». Und jetzt lassen sie sich auch den Ausstieg noch bezahlen. Die Ewigkeitslasten der Atomenergie sind bis heute nicht zu beziffern, weil immer noch nach einem Endlager gesucht wird, das per Gesetz die sichere Lagerung für hoch radioaktive Abfälle für mehr als eine Million Jahre gewährleisten muss. Ein Ding der Unmöglichkeit.
Ein Schnäppchen in Bezug auf die Ewigkeitslasten sind erneuerbare Energien. Sie gibt es nicht.
Die Deutschen sehen sich gerne als Exportnation. Ein Exportschlager, der in seiner weltweiten Bedeutung oft übersehen wird, ist das EEG – das Erneuerbare-Energien-Gesetz von 1991. Der Kerngedanke bestand darin, dass jemand, der eine Solaranlage auf seinem Dach installiert, den Strom, den er nicht braucht, in das allgemeine Stromnetz einspeisen kann und dafür eine Vergütung erhält. Diese Grundidee haben über fünfzig Länder weltweit von uns übernommen. Das hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Solarenergie sehr schnell sehr günstig wurde. Die Preise für die Herstellung der Anlagen fielen schneller als erwartet, und damit ist die Stromerzeugung aus Photovoltaik, wie das offiziell heißt, heute viel günstiger als Strom aus Kohle, Atomkraft oder Erdgas. Das deutsche EEG hat damit PV-Strom für viele Menschen weltweit erschwinglich gemacht, so betrachtet ist es eines der erfolgreichsten Entwicklungshilfeprogramme aller Zeiten.
Und deshalb sei kurz an den Treiber und Vordenker Hermann Scheer erinnert, der sagte: «Weniger als hundert Prozent erneuerbare Energien in Deutschland einzusetzen ist eine Beleidigung der Intelligenz unserer Ingenieure!» Als er 2010 starb, schrieb Peter Unfried, Chefredakteur der taz: «Hermann Scheer ist größer als die Beatles. Über seine Bedeutung kann heute noch kein Konsens bestehen. Aber das wird sich ändern. Scheer wurde ‹Sonnengott› genannt – häufig verächtlich. Sie werden sich daran nicht mehr erinnern, wenn die Photovoltaik auf jedem Dach installiert sein wird. Weil es günstiger sein wird, den Strom selbst zu machen, als von Konzernen zu kaufen.»
Auch ein Vorteil: Sonnenkollektoren stinken nicht! Während Deutschland 2009 noch das führende Land in der Produktion war, stammen heute fast alle Solarmodule aus Asien. Deutschland hat durch die Verschlechterung der politischen Rahmenbedingungen auf dem Gebiet der Photovoltaik nach 2012 rund 80.000 Arbeitsplätze verloren. Im selben Zeitraum entstanden in China in der Photovoltaik mehr als eine Million Arbeitsplätze.
Das Potenzial für Solaranlagen ist enorm. In einer aktuellen Studie des Fraunhofer-Instituts finden sich lauter bislang nicht im großen Maßstab genutzte Anwendungen wie die Agrophotovoltaik. Klingt nach militanten Gegnern der Energiewende, aber Agro steht für Landwirtschaft, die eine Stromproduktion auf derselben Fläche integriert. Ganz praktisch können unter höher gelegten Modulen auch Nutzpflanzen wachsen, die es gerne schattiger haben. Auch auf Gewerbe- und Industriedächern ist enormes Potential. Zahllose Regeln verhindern bislang, dass es ausgeschöpft wird. Es gibt inzwischen PV-Dachziegel, Folien und Gläser und sogar schwimmende PV-Anlagen. Der Braunkohletagebau hat in Deutschland mehr als das Dreifache der Fläche des Bodensees zerstört. Würde ein Viertel dieser Fläche geflutet und mit schwimmender PV belegt, so eröffnete sich ein technisches Potenzial von 55 Gigawatt – zum Vergleich: Ein typisches Atomkraftwerk leistet 1,5 GW. Die Ideen sind alle da. Es fehlt der politische Wille. Bisher.
Deshalb habe ich gerne zugesagt, Christoph Podewils mit diesem Buch zu unterstützen. Das Wissen und die vielen konkreten Umsetzungsideen müssen in die Mitte der Gesellschaft. Die verständliche und unideologische Art von Christoph ist dafür sehr wohltuend geeignet. Wir kennen uns aus den verschiedenen Gesprächskreisen, in die ich komme, seit ich mich mit meiner Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen für die Verbindung von Klimaschutz als Gesundheitsschutz engagiere. Wenn Sie mehr darüber wissen wollen, schauen Sie auf der Homepage oder, weil der Trend ja zum Zweitbuch geht, auch in mein wichtigstes Werk: «Mensch, Erde! Wir könnten es so schön haben».
Es braucht jede und jeden, damit wir das Vordenken in konkretes Handeln bringen. Die Lösungen sind da. Worauf warten wir noch?
Ihr

Eckart v. Hirschhausen
Arzt, Wissenschaftsjournalist und Gründer der Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen
PS: Falls Sie sich jetzt fragen, was Sie heute schon tun können: Der nachhaltigste Strom ist immer noch der, den man gar nicht erst verbraucht. Die großen Stromfresser sind Geräte, die Wasser mit Strom aufheizen, zum Beispiel die Waschmaschine. Wussten Sie, dass mit vielen modernen Waschmitteln die Wäsche auch bei 20 Grad sauber wird? Viele haben so eine Hygiene-Idee im Hinterkopf, als müsste man alle Keime «auskochen». Das macht Sinn auf der Infektionsstation, aber im Alltag bei Ihnen daheim muss das überhaupt nicht sein. Wer bei 20 °C statt bei 40 °C wäscht, kann bis zu 60 Prozent der Energie und damit der CO2-Emissionen einsparen. Und wenn man dann auch noch auf den Trockner verzichtet, kann man dafür auch mal das Licht anlassen und wieder ein gutes Buch lesen. Wie dieses zum Beispiel.
In den USA brennen im Jahr 2020 Wälder von der Größe der Schweiz, der Rauch lässt noch bei uns den Himmel rot leuchten. Nach drei Jahren Dürre ist jeder dritte Baum in Deutschland todkrank, und manchen Gemeinden geht im Sommer das Wasser aus. Im Jahr 2021 legt sich erst klirrender Frost über das Land, anschließend fällt der Frühling aus und im Juli gehen Unmengen von Regen über der Eifel und angrenzenden Regionen nieder. Sie verwandeln Dörfer in Trümmerfelder, in denen sehr viele Menschen sterben. Fast zur gleichen Zeit steigen die Temperaturen im kanadischen British Columbia – gelegen in dem gleichen geografischen Breiten wie Nordeuropa – auf fast 50 Grad Celsius. Wieder brennen die Wälder, wieder sterben viele Menschen.
Es ist tatsächlich so, wie Greta Thunberg es herausschreit: Unser Haus Erde steht in Flammen. Und wir benehmen uns wie Kinder bei Gewitter. Wir ziehen die Decke über den Kopf und tun so, als ob es da draußen nicht blitzen und donnern würde. Doch anders als ein Gewitter klingt die Klimakatastrophe nicht einfach nach einiger Zeit ab. Im Gegenteil, sie beginnt gerade erst. Der Permafrostboden auf der Nordhalbkugel schmilzt und setzt gigantische Mengen des Supertreibhausgases Methan frei. Wald- und Buschbrände in Australien, Südamerika, den USA und in Russland lassen weit mehr CO2 in die Atmosphäre als alle Fahrzeuge, Flugzeuge und Schiffe auf der Welt zusammen. Die schrumpfende Schnee- und Eisdecke der Erde führt dazu, dass weniger Sonnenlicht zurück ins All reflektiert wird und stattdessen Erdboden und Atmosphäre aufheizen. Die Klimakatastrophe verstärkt sich dadurch immer weiter selbst.
Es ist höchste Zeit, den Brand unseres Hauses Erde zu löschen, damit zumindest Teile davon bewohnbar und lebenswert bleiben. Die Schuldfragen – Wer hat am meisten Treibhausgase emittiert? Wer tut am wenigsten gegen die Klimakatastrophe? Gibt es vielleicht sogar einen kleinen natürlichen Anteil am Klimawandel? – sind nur akademisch interessant und vor allem kontraproduktiv. Denn Antworten darauf kosten Zeit und Energie, verschlimmern damit das Ansteigen der Erdtemperatur und vor allem: Sie löschen keine Brände.
Dieses Buch soll zeigen, dass es dennoch nicht zu spät ist, dass wir in Deutschland und weltweit noch etwas gegen die Klimakatastrophe tun können. Deutschland hat der Welt früh gezeigt (und wurde dafür vielfach belächelt), dass Wind- und Solarstrom ein Industrieland antreiben können – heute folgen uns andere Länder darin. In anderen Bereichen hinken wir allerdings hinterher: Von Dänemark und Schweden könnten wir seit Jahren lernen, wie man klimafreundlich heizt. Von Norwegen, wie innerhalb weniger Jahre Autos mit Verbrennungsmotor von der Straße verdrängt werden. Und Portugal demonstriert, dass der billigste Strom der Welt mit sehr großen Solaranlagen produziert wird. Überall auf der Welt liegen also die Puzzleteile für Klimaschutz herum, wir müssen sie nur zusammensetzen.
Hätten wir früher damit begonnen, so würden wir Klimaschutz heute kaum merken. Leider ist es wie bei einer Abschlussprüfung in der Schule. Wenn man nicht rechtzeitig anfängt, dafür zu lernen, wird es umso anstrengender, je näher der Prüfungstermin rückt – und irgendwann ist jede Mühe sogar umsonst. Wir befinden uns inzwischen drei Wochen vor der Prüfung und nicht sechs Monate.
Diese Aufschieberitis hat das Bundesverfassungsgericht in seinem spektakulären Urteil zum ursprünglichen Klimaschutzgesetz Ende April 2021 scharf gerügt:* Es gehe nicht an, so urteilten die Karlsruher Richter, dass Deutschland seine Anstrengungen zum Schutze des Klimas immer weiter in die Zukunft verlagere. Das schränke die Freiheit künftiger Generationen ein – übrigens auch die Freiheit, in Zukunft überhaupt noch Treibhausgase emittieren zu dürfen. «Die Schonung künftiger Freiheit verlangt auch, den Übergang zu Klimaneutralität rechtzeitig einzuleiten», gibt das Gericht uns allen auf. Aufgeschreckt davon, übersetzte die Bundesregierung unter Angela Merkel und Olaf Scholz den Urteilsspruch sogleich in ein neues Klimaschutzgesetz. Im Kern besagt es, dass wir den Treibhausgasausstoß unserer Häuser, im Verkehr und bei der Stromerzeugung in den Jahren bis 2030 ungefähr halbieren müssen. Etwas großzügiger ist das Gesetz lediglich bei der Landwirtschaft und bei der Industrie, denn dort entstehen Treibhausgase nicht nur bei der Energieerzeugung, sondern auch bei Herstellungsprozessen oder auf dem Acker. Und 2030 ist nur eine Zwischenstation. Bis 2045, so das Ziel des neuen Klimaschutzgesetzes, soll Deutschland unterm Strich gar keine Treibhausgase mehr ausstoßen.
Innerhalb von nicht einmal einer Generation werden wir unser Land grundlegend umbauen müssen. Das ist eine beispiellose Anstrengung, und wir werden in Kauf nehmen müssen, dass sich unser Leben ändert. Wie können die Änderungen aussehen, die uns erwarten, die wir aber auch gestalten können?
Das Wichtigste: Eine Energie, die wir erst seit gut 100 Jahren in großem Maßstab nutzen, wird uns in die Zukunft führen – Elektrizität. Denn Strom können wir nicht nur klimafreundlich in so gut wie unendlichen Mengen aus Wind und Sonne erzeugen, sondern seit wenigen Jahren auch billiger als in konventionellen Kraftwerken. Für Biosprit, Holzpellets, Biogas, Wasserkraft und Geothermie gilt diese Universalität hingegen nicht. Sie können deshalb nur eine Nebenrolle spielen.
Die Frage, die wir beantworten müssen, wenn es darum geht, klimaschädliche fossile Energieträger aus unserem Leben zu verbannen, lautet daher stets: Wie können wir das Gleiche, was wir bisher mit Kohle, Öl und Erdgas erreicht haben, mit Strom schaffen? Wie lassen wir damit Autos und Lastwagen fahren? Wie Flugzeuge fliegen? Wie bekommen wir damit im Winter unser Haus warm? Wie verhütten wir damit Eisen? Wie produzieren wir damit Dünger?
Als Hauseigentümer müssen wir uns zum Beispiel mit der Aussicht vertraut machen, dass wir in den nächsten Jahren den Gaskessel gegen eine elektrische Wärmepumpe austauschen und am besten auch gleich in eine Gebäudedämmung investieren, damit die Pumpe möglichst wenig arbeiten muss. Denn nach wie vor gilt: Am billigsten und nachhaltigsten ist jener Strom, der gar nicht erst produziert und transportiert werden muss, weil niemand ihn verbraucht.
Und wenn wir schon einmal dabei sind: Eine Solaranlage auf jedem Dach wäre nicht schlecht. Denn klimafreundliche Häuser werden in einer Welt, die den Klimabrand zu löschen versucht, mit Sicherheit wertvoller werden. Dass wir mit unserer Haussanierung zusätzlich gut schließende Fenster und Behaglichkeit erhalten, können wir auf der persönlichen Habenseite verbuchen.
Wer gerade für viel Geld ein spritfressendes Auto gekauft hat, könnte dessen letzter Besitzer sein, denn in wenigen Jahren hat das Ding nur noch Schrottwert – unverkäuflich, weil ein Brandbeschleuniger. Elektroautos, Fahrräder und öffentlicher Personenverkehr werden uns künftig von A nach B bringen.
Wir werden allerdings akzeptieren müssen, dass sich die Landschaft unserer Kindheit verändert. Denn wir brauchen große Flächen, um Kohle, Öl und Gas durch die Energie von Wind und Sonne zu ersetzen. Was nicht heißt, dass unter Wind- und Solaranlagen kein Vieh weiden und kein Acker bestellt werden kann. Doch an den Anblick von Windparks müssen wir uns weiter gewöhnen, genauso an große Solarkraftwerke. Denn sie liefern als einzige Technologie, was wir in großen Mengen brauchen: emissionsfreien Strom für sehr wenig Geld. Weil die Sonne nachts nicht scheint und der Wind nicht immer weht, gehören Reservekraftwerke mit in die Rechnung – betrieben mit klimafreundlichem Brennstoff, der aus erneuerbaren Energien gewonnen wird.
Genauso werden wir uns Gedanken machen müssen, ob ein Arbeitgeber, der seine Umsätze mit klimaschädlichen Produkten macht, noch lange einen sicheren Arbeitsplatz anbieten kann. Denn wenn Kunden auf der einen und Banken auf der anderen Seite jene Unternehmen meiden, die ihre Klimarisiken nicht im Griff haben: Womit soll ein solcher Arbeitgeber noch Geld verdienen, wo soll er sich Geld leihen und womit Löhne zahlen? Aus dieser Logik heraus werden Unternehmen eher früher als später immer mehr klimafreundliche Produkte anbieten und diese auch von ihren Lieferanten verlangen. Volkswagen gibt mit seiner geradezu epochalen Elektroautostrategie dafür ein Beispiel. Für die Mitarbeiter:innen der Unternehmen heißt das natürlich auch: Sie müssen Klimaschutz lernen. Wir alle müssen Klimaschutz lernen.
Die Bundesregierungen seit den 1990er-Jahren haben sich lange verhalten wie unmotivierte Schüler. Sie haben Vokabeln gepaukt – die Auswirkungen des Klimawandels erforschen lassen ebenso wie die Technologien –, aber sie haben nicht gelernt, daraus Sätze und Texte – also eine glaubwürde Klimaschutzpolitik – zu bilden. Jeder, der mit solchen Vorkenntnissen schon einmal eine Englischarbeit geschrieben hat, weiß, dass das der sicherste Weg zur Sechs ist.
Erst im Jahr 2019 scheint der Knoten geplatzt zu sein. Deutschland hat nach den meisten anderen EU-Staaten ebenfalls beschlossen, aus der Kohleverstromung auszusteigen, die schlimmste Blockade beim Ausbau der Windkraft und der Photovoltaik wurde 2020 beseitigt, mit der letzten Überarbeitung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes werden endlich ehrgeizige Erneuerbare-Energien-Ziele festgeschrieben, und die EU hat mit Blick auf die Weltklimakonferenz in Glasgow im November 2021 ihr Klimaschutzziel so verstärkt, dass Europa bis 2050 klimaneutral werden kann. Außerdem im Angebot: eine Wasserstoffstrategie, mit der große Teile der deutschen Schwerindustrie in den nächsten Jahren klimaneutral werden können, und ein CO2-Preis auf Erdgas, Sprit und Heizöl, der uns Verbrauchern signalisiert, dass klimaschädliches Verhalten immer mehr Geld kosten wird.
Obendrein gab es noch nie mehr Geld für Maßnahmen gegen den Klimawandel: Tausende von Euro für die Käufer eines Elektroautos, für den Austausch von alten Heizungen und die Dämmung von Häusern, Millionen für die Umrüstung von Industrieanlagen und das Abschalten von Kohlekraftwerken, Milliarden für die Strukturentwicklung in Kohleregionen wie der Lausitz – neue Schienenwege, ein schnelles Internet, Forschung für eine klimafreundliche Industrie. Dieses Geld ist, richtig eingesetzt, nicht nur ein Mittel, um die Klimakatastrophe zu bekämpfen, sondern auch ein Investitionsprogramm in die Zukunftsfestigkeit des Landes.
Die Corona-Pandemie hat uns gelehrt, was passiert, wenn man nicht handelt, obwohl auf dem Tisch liegt, was zu tun ist – weil andere Länder es schon vorgemacht haben, weil Forscher:innen sehr gute Argumente und Vorschläge auf den Tisch legen. Sie hat uns mit der «Bundesnotbremse» auch gelehrt, dass Klarheit, Einheitlichkeit, Konsequenz und Entschlossenheit bei Verboten und Geboten Werte für sich sind. Zaudern können wir uns beim Klimaschutz nicht leisten. Denn die Klimakrise gefährdet nicht nur Gesundheit und Leben einzelner Menschen, sondern unser gesamtes Raumschiff Erde mit all seinen Bewohnern.
Gleichwohl ist die Corona-Pandemie für das, was wir uns an Veränderungen zumuten müssen, gar keine schlechte Vorbereitung. Sie hat uns gelehrt, dass wir mit Unsicherheit und mit katastrophalen Situationen umgehen können, dass wir uns, wenn es sein muss, innerhalb von Tagen komplett ändern können. Und zwar als ganzes Land. Gelernt haben wir auch, dass Umstellungen zwei Seiten haben: Wir haben Dinge entdeckt, die wir gut finden und weiterpflegen werden – eben weil sie auch ohne den Corona-Zwang einen Wert haben. Es sind Spaziergänge in einer uns bisher unbekannten nahen und doch wunderschönen Umgebung, Treffen mit Freunden auf der Parkbank oder Videoschalten am Frühstückstisch mit weit weg lebenden Verwandten. Ebenso haben wir gelernt, fremde Menschen in Videokonferenzen kennen- und schätzen zu lernen und dass es beglückend sein kann, ins Büro zu fahren, um sich dort mit Kolleg:innen auszutauschen.
Ähnliche Effekte wird es auch beim Kampf gegen die Klimakatastrophe geben. Ob es nun weniger Lärm in den Städten sein wird, weil Elektroautos leiser sind, eine Revitalisierung der ländlichen Gegenden, weil dort nun einmal viel Energie geerntet werden wird, oder – so hoffe ich sehr – Dinge, die wir uns heute noch nicht einmal erträumen, die wir aber eines Tages lieben werden.
Teil 1