Hans-Ulrich Thamer

Kunst sammeln

Eine Geschichte von Leidenschaft
und Macht

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Für Jutta

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Inhalt

1. Sammeln. Leidenschaft und Geltung

Die Motive des Sammlers

Anthropologie des Sammelns

Funktionen des Sammelns

Sammler und Mäzene, Kunsthändler und Museen. Ein Beziehungsgeflecht

2. Kirchenschätze und fürstliche Schatzkammern. Frömmigkeit und Macht

Zeichen der Frömmigkeit

Dynastische Sammlungen und Schatzkammern

3. Makrokosmos im Mikrokosmos. Natur und Kunst in der Renaissance

Das Studiolo. Eine Schaubühne der Welt

Die Kunst- und Wunderkammern. Die Welt in der Stube

4. Patrizier und Bürger als Kunstsammler in deutschen Handelsstädten im 17. und 18. Jahrhundert

Der Kaufmann Paulus Praun aus Nürnberg

Everhard Jabach. Ein Kölner Kaufmann in Paris und seine Kunstsammlungen

Niederländische Kunstsammlungen

Bürgerliche Kunstsammlungen im 18. Jahrhundert

5. Fürstliche Kunstsammlungen im 18. Jahrhundert. Sammeln als Herrschaftsrepräsentation

Die Entstehung der sächsischen und brandenburgischen Kunstkammern

Von Düsseldorf nach München. Die Entstehung der Wittelsbacher Kunstsammlungen

Die „Galleria“ in Pommersfelden

Friedrich der Große als Kunstsammler

Katharina die Große. Eine leidenschaftliche Sammlerin

Ein Museumsbau in Kassel? Der hessische Landgraf und seine Sammlungen

6. Die Erfindung nationalen Kulturgutes. Sammeln in Zeiten des Umbruchs 1770–1815

Der patriotische Geschmack im Ancien Régime

Verlusterfahrung und national-patriotisches Rettungswerk. Wallraf, Städel und die Brüder Boisserée

Der Monarch als Sammler und die Museumsgründungen im Vormärz

7. Die Blütezeit bürgerlichen Sammelns. Alte Meister und moderne Kunst in Villen und Museen

Wirtschaftsbürgerliche Eliten und ihre Privatsammlungen

Das Museum als Leitinstitution des Sammelns

Wirtschaftsmacht und Kunstsammlungen. Monarchische Kunstfreunde und bürgerliche Kunstförderung

Berlin als Kunststadt

8. Der Aufbruch in die Moderne. Sammler und Kunsthändler zwischen Kaiserreich und Weimarer Republik

Sammler und Kunsthändler als Wegbereiter des Impressionismus

Sammler und Mäzene auf dem Berliner Kunstmarkt

Die Internationale von Sammlern der Moderne

Kunsthändler als Vermittler

9. Die Zerstörung der Vielfalt. Kunstraub und Sammelwahn im „Dritten Reich“

Die Verfolgung der Moderne und das Schicksal jüdischer Sammlungen

Enteignung und Raub. Die Zerstörung von Kunstsammlungen

Rettung im „Hinterstübchen“. Sammler und Kunsthändler als Bewahrer der Moderne

Die Inszenierung als Kunstfreunde. Die NS-Führung und ihre „Sammlungen“

NS-Eroberungskrieg und Kunstraub

10. Von Josef Haubrich zu Peter Ludwig. Die Wiederentdeckung der Avantgarde und die Entstehung des öffentlichen Privatmuseums

Sammeln als Erinnerung und Rehabilitation der Moderne

Stiftungen und Museumssammler

Die Emanzipation des Sammlers und das öffentliche Privatmuseum

Literatur

Personenregister

1. Sammeln.
Leidenschaft und Geltung

Kunstsammler gelten seit Langem als „Schlüsselfiguren des Kunstbetriebs“ (W. Ullrich). Ohne ihr Geld und ohne ihre Sammelleidenschaft könnten viele Kunstmessen und Galerien kaum existieren. Ohne ihre Leihgaben könnten viele Museen nicht mit groß angelegten Sonderausstellungen zur Kunst von Vergangenheit und Gegenwart ein ständig wachsendes Publikum anlocken. Ohne die Dauerleihgaben und Stiftungen privater Sammler könnten viele Museen ihren Anspruch und ihren Auftrag, die Entwicklungslinien der bildenden Kunst in ihrer Vielfalt zu präsentieren, nur lückenhaft erfüllen. Das gilt für Museen und Ausstellunghallen in den Metropolen wie in der Provinz.

Kunstsammler besitzen mittlerweile mehr Werke der modernen und der zeitgenössischen Kunst als die öffentlichen Museen. Denn deren Etat lässt kaum noch kostspielige Ankäufe zu und zwingt sie zur Vorsicht vor riskanten Erwerbungen. Mehr noch, in jüngster Zeit treten private Großsammler in der Museumswelt als Konkurrenten der öffentlichen Museen auf. Inzwischen haben sich finanzstarke Kunstsammler in Deutschland und anderswo von renommierten Architekten spektakuläre private Museumsbauten errichten lassen, um ihre Sammlungen der staunenden Öffentlichkeit zu präsentieren; aber auch um mit einigem Stolz die Lücken in der Sammlungs- und Ausstellungspraxis zu schließen, die die öffentlichen Museen nicht mehr ausfüllen können.

Private Stiftungen an Museen und Ausstellungshallen waren und sind gelegentlich auch an selbstbewusste Bedingungen der Stifter und Mäzene gebunden, was ihrem Handeln nicht nur Zustimmung und Anerkennung verschafft. Sehr leicht kann der Mäzen zur ungeliebten und kritisierten Figur werden, wenn er als Gegenleistung für seine Schenkung von den beschenkten Städten und Ländern eine angemessene Aufbewahrung und Präsentation seiner Sammlung in einem öffentlichen finanzierten Museumsbau verlangt; wenn er mit seinem Geschenk die Einrichtung einer größeren Kunst- oder Kulturstiftung (möglichst noch unter seinem Namen) verbunden sehen will und damit kontroverse kultur- und museumspolitische Debatten auslöst. Das Verhältnis von Sammlern und Mäzenen zur bürgerlichen Gesellschaft ist (und war) darum oft ein schwieriges. Mehr denn je gelten Sammler als exzentrische oder egozentrische Figuren, deren öffentlich sichtbare Sammelleidenschaft und Risikobereitschaft zwar bis hin in Lifestyle-Magazine große Aufmerksamkeit erregen, aber auch als Ausdruck von Luxus und Machtgebaren erscheinen, die nicht so recht in die egalitäre Mentalität eines Wohlfahrtsstaates passen wollen. Was von Sammlern und Stiftern als Liebesbeweis zu einer Stadt und ihrer Gesellschaft, als Ausdruck ihres Anspruchs auf Unabhängigkeit von dem kulturellen Gestaltungsanspruch des Staates sowie ihres eigenen Beitrags zur Pflege von Kunst und Bildung verstanden wird, gilt unter diesen Bedingungen oft als Beweis von übermäßigem Reichtum und Machtansprüchen. So widersprüchlich sich das Bild von Groß-Sammlern in der Öffentlichkeit entfaltet, so faszinierend ist der private Sammler als Prototyp einer veränderten Bürgerlichkeit. Der Kunstsoziologe Wolfgang Ullrich sieht in ihm das Leitbild eines „neuen Bürgers“, der sich einerseits als „Held des Konsums“ präsentiert, andererseits aber eine große Risiko- und Innovationsbereitschaft mit einer ebenso großen intellektuellen bzw. ästhetischen Neugierde sowie einem erlesenen Geschmack verbindet.

Kein Wunder, dass seit vielen Jahren Sammler und ihre Kunstsammlungen in den Blickpunkt von Öffentlichkeit, Museumsausstellungen und kulturwissenschaftlicher Forschung gerückt sind. Museen in aller Welt stellen immer wieder Sammlungen von Fürsten und Bürgern in aufwendigen Sonderausstellungen vor und wecken das öffentliche Interesse an den Biographien und den ästhetischen Präferenzen wie an den Beweggründen und an den Strategien privater Sammler. Sie präsentieren den Glanz und auch den Niedergang großer Sammlungen und ihrer Urheber. Es entsteht ein schillerndes Bild von ihrer kulturellen Macht, aber auch von ihrem Machtverlust und ihrer Ohnmacht. Nicht nur weil es ein seit Jahrhunderten immer wiederkehrendes Problem privater Sammler ist, dass sie nicht wissen, was ihre Erben mit ihren Kostbarkeiten machen und ob diese die ererbte Sammlung nicht einfach verschleudern. Vor allem kennt die Geschichte privater Sammlungen aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts erschreckende und menschlich bewegende Beispiele für die Zerstörung wertvoller Sammlungen durch politische Gewalt und Habgier. Das gilt besonders für die privaten Sammlungen und ihre Sammler, die im 20. Jahrhundert aus politisch-ideologischen Gründen Opfer von Verfolgung und Enteignung wurden. Die Namen von Paul Cassirer, Alfred Flechtheim und Robert Graetz stehen stellvertretend für viele andere deutsche jüdische Bürger, Wirtschaftsbürger, Kunsthändler und Intellektuelle, die 1933 verfolgt und danach lange in Vergessenheit geraten waren. Darum zeigt die von Glanz, aber auch von Zerstörung geprägte Geschichte vorwiegend jüdischer Privatsammler im nationalsozialistischen Deutschland die andere Seite bürgerlicher Existenz und ästhetischer Moderne, die immer wieder auch von Hass und Ausgrenzung bestimmt war und in der antisemitische Ideologen und Feinde der Moderne Judentum und künstlerische Avantgarde miteinander identifiziert und bekämpft haben. Die museologisch und juristisch äußerst komplexen Restitutionsforderungen, die nach jahrzehntelangem Beschweigen in jüngster Zeit den Entzug von Kunstbesitz aufklären sollen und umfängliche Provenienzforschungen ausgelöst haben, werfen ein Schlaglicht auf das Schicksal seinerzeit prominenter jüdischer Sammler und Kunsthändler, deren Namen und deren Sammlungen vor und nach dem Ersten Weltkrieg unverzichtbarer Bestandteil der modernen deutschen und internationalen Kunstszene waren. Erst die Restitutionsansprüche der vergangenen Jahre haben das Schicksal vieler jüdischer und auch nicht jüdischer Sammler wieder ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Auch ihre Geschichte und die Ausplünderung ihrer Sammlungen gehören zu einer Geschichte von persönlicher Kunstbesessenheit wie von Macht- bzw. Machtverlust der Kunstsammler.

Alfred Flechtheim (1878–1937) zwischen Bildern seiner Galerie, Berlin 1928. Seine Galerien in Berlin und Düsseldorf prägten in den 1920er-Jahre die Kunstszene und wurden zum Umschlagplatz der Avantgarde-Kunst. Die Nationalsozialisten sahen in dem Sammler und Kunsthändler Flechtheim den Repräsentanten der verhassten Moderne.

Nicht nur die Tatsache, dass Museen mittlerweile immer mehr auf Sammler und Mäzene angewiesen sind, macht sie für eine Geschichte des Museums so interessant. Die Figur des Sammlers findet neuerdings auch das Interesse kultur- und sozialgeschichtlicher Forschung, denn in ihm verbinden sich ökonomische Macht und sozialer Rang mit dem Anspruch auf kulturelle Geltung und Einflussnahme. Damit weitet sich der forschende Blick des Sozialhistorikers, der auf das Verhalten des neuzeitlichen und modernen Bürgertums gerichtet ist, mit einer deutlichen Perspektivverschiebung aus. Die Etablierung und Präsentation privater Kunstsammlungen und der um sie entstehenden Kommunikationsformen wirft ein neues Licht auf eine spezifische (groß-)bürgerliche Lebensführung und einen damit verbundenen Wertehimmel, der auf Geschmack und ästhetische Bildung fixiert ist und mehr aussagt als nur die Geschichte von sozialem Aufstieg und wirtschaftlichem Erfolg bzw. Niedergang allein.

Die Motive des Sammlers

Über das Sammeln, das deutet dieser kurze Überblick an, kann man auf unterschiedliche Weise reden. Man kann Sammlungen untersuchen, um die Auswahl und den Erwerb, die Präsentation und Ordnung sowie die Herkunft von einzelnen Sammlungsgegenständen nachzuverfolgen. An dem Schicksal vieler Sammlungen lassen sich nicht nur die Biographie, die soziale Einbindung und Stellung eines Sammlers ablesen, sondern auch sein Scheitern und seine Verluste an Eigentum und persönlicher Existenzgrundlage. Sammlungen können aber auch, und das ist ein vorrangiges Interesse von Kunstliebhabern wie von kunsthistorischer Forschung, Auskunft geben über den Geschmack und das Sammlungskonzept der Sammler. Gibt es einen signifikanten Zusammenhang zwischen der sozialen Stellung eines Sammlers innerhalb der Hierarchie der lokalen Gesellschaft und abhängig von seiner Nähe zur institutionellen Macht einerseits und seinen Geschmackspräferenzen andererseits? Lässt sich die Beobachtung verallgemeinern, dass ein hochrangiger, akademisch geschulter Beamter in fürstlichen Diensten aus seiner Berührung mit dem Hof in seiner eigenen Sammelpraxis näher an dem aktuellen Geschmack seiner Zeit war, der bekanntermaßen eher von den Höfen propagiert und gefördert wurde als von ängstlichen Stadtbürgern? Sammelte ein erfolgreicher, immer sorgfältig kalkulierender Wirtschaftsbürger des späten 19. Jahrhunderts vorzugsweise Kunst alter Meister oder andere Stilrichtungen, die seit einigen Generationen schon etabliert waren, während ein bildender Künstler, der wie Max Liebermann selbst sammelte, sich sehr viel stärker auf die jeweilige ästhetische Avantgarde ausrichtete? Gilt das auch für andere soziale Gruppen? Sammlungen können, wenn sie ein gewisses Konzept erkennen lassen, Aufschluss geben über die Beweggründe einer Sammlertätigkeit wie über den Zusammenhang ihrer Geschmackspräferenzen mit ihrer sozialen Stellung. Die Ordnung und Präsentation bzw. Hängung einer Sammlung etwa in privaten Wohnräumen oder eigens dafür angebauten Galerieräumen können vom persönlichen Umgang eines Sammlers mit seinen Objekten erzählen.

Was die persönlichen Motive eines Sammlers anbetrifft, so werden meist ein Sammlertrieb, eine Besessenheit oder Besitzinstinkt bzw. Bemächtigungstrieb sowie das Bedürfnis nach sozialem Prestige, nach Sicherung des sozialen Status und Herrschaftsrepräsentation durch das Medium der Kunst genannt. Daneben und fast selbstverständlich auch ästhetisches Vergnügen oder der Wunsch nach seelischem Ausgleich bzw. Glück. Kunst als Therapie und Kompensation.

Jacob Burckhardt, der Schweizer Geschichtsdenker, hat am Ende des 19. Jahrhunderts hingegen in seiner Studie über „Die Sammler“ die Vielschichtigkeit der Motive eines Sammlers angesprochen und sie in eine offenbar für Vergangenheit und Gegenwart gültige, ästhetisch-kulturelle Rangfolge eingeordnet: „Die Moral des Sammlers kann dabei auf dem niedrigsten Standpunkt der Rarität beharren; auf dem Glück zu besitzen, was kaum ein anderer oder gar kein anderer hat; Macht, Reichtum, vornehme Eitelkeit werden die ihnen zu Gebote stehenden Druckmittel üben, um Gegenstände zu erhalten, an welchen dem Erwerbenden innerlich nichts gelegen ist, der Sammler kann sich aber auch erheben zum allmählichen Mitleben mit der erneuten sowohl als der antiken Kunst, und endlich kann er die höchste Stufe erreichen, wenn er von verschiedenen Meistern Vorzügliches oder auch das Beste erwirbt.“

Burckhardts Ausführungen beziehen sich auf das Sammeln von Kunst und nicht auf das Sammeln von Briefmarken und Bierdeckeln. Er versteht unter dem Sammeln allein das ästhetische Sammeln; das Zusammentragen von Kunstobjekten, die sehenswert sind, weil sie ästhetische Lust und Qualität vermitteln; weil sie eine Vorstellung vom Erhabenen vermitteln. Seit der Aufklärung und dem deutschen Idealismus galt die Anschauung des Schönen als eine besondere Art von Wissen; Schönheit und Wahrheit standen für Schiller zeitlebens in einem engen Zusammenhang. Das galt auch für viele andere Zeitgenossen, die in der Kunst eine Antwort auf die Krisen der Moderne sahen und sie zu einer neuen Religion stilisierten. Seither galt unter den vielen Möglichkeiten des Sammelns das Kunstsammeln als besondere Form, um sich mit der Aura des Erhabenen zu umgeben. Das sah auch Burckhardt so, dessen Thesen über den Sammler im Zusammenhang mit seinen Studien zur Kultur der Renaissance entstanden, einer ersten Blütezeit des Sammelns, dessen Akteure Fürsten und Gelehrte waren. Dass Burckhardt sie an der Wende zum 20. Jahrhundert entwickelte, war kein Zufall; es war die Zeit einer neuerlichen Hochkonjunktur des Kunstsammelns, diesmal betrieben von Bildungs- und Wirtschaftsbürgern.

Eine ähnliche Rangordnung und Funktionsbestimmung des Sammelns, aber mit leicht kritischem Unterton, vertrat 1919 Max Friedländer, dem als engem Mitarbeiter von Wilhelm von Bode, dem „Bismarck der Berliner Museen“, die Welt der Museen und der Kunstsammlungen bestens vertraut war. Auch er hob die soziale und kulturelle Bedeutung bzw. Aufwertung hervor, die das Kunstsammeln mit sich bringen konnte: „Der Kunstbesitz ist so ziemlich die einzige anständige und vom guten Geschmack erlaubte Art, Reichtum zu präsentieren. Den Anschein plumper Protzigkeit verjagend, verbreitet er einen Hauch ererbter Kultur. Die Schöpfungen der großen Meister geben dem Besitzer von ihrer Würde ab, zuerst nur scheinbar, schließlich aber auch wirklich.“ Ähnliche Beobachtungen der Zeit ließen sich als Erfahrung einer mittlerweile breiten Sammlerbewegung hinzufügen: Sie alle lassen es als sinnvoll erscheinen, eine Studie über die Geschichte des Sammelns und der Mäzene auf das Kunstsammeln und auf eine Typologie der Motive der Kunst-Sammler wie der Funktionen ihrer Sammlungen zu konzentrieren.

Warum sich Geschmack und Interesse des Sammlers auf bestimmte Objekte richten und nicht auf andere, hängt nur zu einem Teil vom Individuum ab. Persönliche Neigungen und Einstellungen bewegen sich in einem Geflecht von Normen und Wahrnehmungen, die für eine Gesellschaft oder eine Gruppe konstitutiv sind. Sammeln ist mithin immer auch soziales Handeln. Es richtet sich auf bestimmte kulturelle Ziele, und die Ordnung des Sammelns verweist auf ein spezifisches soziales und kulturelles Umfeld. Bestimmte Gegenstände und künstlerische Hervorbringungen werden sammlungswürdig, weil mit ihnen eine spezifische Erinnerung und Wertschätzung verbunden ist und weil man ihnen eine besondere Bedeutung zuerkennt. Das Sammeln ist mithin Ausdruck einer je spezifischen Einstellung zu Geschichte, Kunst, Natur, Religion und Wissenschaft. Kunstwerke werden gesammelt, weil sie in besonderer Weise geeignet erscheinen, Einstellungen und Normen darzustellen. Man schreibt ihnen einen ideellen (und auch materiellen) Wert zu, weil sie „das Unsichtbare repräsentieren“ (Pomian). Gegenstände künstlerischen oder anderen Ursprungs werden aus der Sphäre des Alltäglichen herausgenommen, aufbewahrt und präsentiert, wenn sie sich ganz besonders dazu eignen, solche Bedeutungen zu transportieren. Als Bedeutungsträger der französische Soziologe Pomian bezeichnet sie als „Semiophoren“-fungieren sie jenseits ihres ursprünglichen Gebrauchswertes als Vermittler zwischen den Betrachtern und den unsichtbaren Normen und Welterklärungen.

Die Bedeutungsinhalte, die von den Sammlungsstücken repräsentiert werden, sind sozial und kulturell differenziert und unterliegen überdies dem historischen Wandel. Die Träger geistlicher und weltlicher Macht umgeben sich seit dem Mittelalter mit wertvollen Pokalen, zeremoniellem Gerät, Reliquien, kostbaren Steinen, vor allem aber auch Objekten kriegerischer Macht und militärischer Triumphe; mit Objekten, die zum Stolz einer Dynastie gehörten und darum als Semiophoren zu Medien ihrer Machtbehauptung wurden. Eine höhere Position innerhalb einer sozialen Hierarchie begründete einen größeren Bedarf an Legitimation, die sich auf Normen und damit auch auf Semiophoren stützt, die diese sichtbar und erfahrbar machen. Mit der Veränderung der sozialen Hierarchien in der Moderne änderten sich auch die Objekte und Kommunikationsformen, mit denen der Anspruch auf sozialen Rang und auf die Verwaltung von kulturellem Wissen verdeutlicht werden soll. Kunstwerke und Zeugnisse von ästhetischer, auch wissenschaftlicher Bildung traten an die Stelle von Waffen, Familienporträts und Trophäen. Die Notwendigkeit, zu dem Zweck der Sicherung und Darstellung des sozialen Status Semiophoren anzusammeln und zu zeigen, bleibt von diesem Wandel unberührt.

Auch ego- und exzentrische Privatsammler sind darum mehr oder weniger vom Zeitgeist und Zeitgeschmack abhängig. Daher können umgekehrt Entstehung, Aufbau und Funktion einer Sammlung auch Auskunft über die Wertschätzung bestimmter Objekte in einer Kultur geben. Der Sammler und seine Sammlung, vor allem wenn sie einem konsistenten Programm folgen und selbst Programm sind, repräsentieren auch die ästhetischen (und materiellen) Wertvorstellungen ihrer Zeit. Sammeln ist darum immer auch symbolisches Handeln, das durch das Zusammentragen von Objekten einen Bezug zu Werthaltungen und imaginären Bedürfnissen des Menschen herstellt. Im Kontext einer Sammlung, gleich ob sie einem reflektierten Konzept oder einem vagierenden ästhetischen Vergnügen an schönen Dingen folgt, erhalten die zusammengetragenen Objekte eine neue Bedeutung. Die Struktur einer Sammlung entsteht und besteht aus subjektiver Erinnerung und macht die Sammlungsgegenstände zu Bedeutungsträgern, mit denen der Sammler sich zunächst selbst vergewissert, aber auch dem Betrachter seine Wertvorstellungen wie seinen Anspruch auf soziale Geltung sichtbar macht.

Anthropologie des Sammelns

In den historisch je unterschiedlichen kulturellen und sozialen Beziehungs- und Bedingungsrahmen entfalten sich beim Sammeln zugleich Bedürfnisse, die zum menschlichen Wesen gehören. Neben der kulturellen Perspektive besitzt das Sammeln auch eine anthropologische Perspektive, die sich in verschiedenen Epochen und Kulturen nur unterschiedlich ausprägt. Sammeln, das heißt Zerstreutes zusammenzutragen, es zu bewahren, zu ordnen und anzuschauen, ist ein Grundzug menschlichen Verhaltens. Es hat seine Ursprünge im Jagen und Sammeln zum Zwecke der Subsistenzsicherung und in dem Bedürfnis, die Objekte zur Daseinssicherung und Bedürfnisbefriedung bei sich zu behalten; sie sich anzueignen und damit den eigenen „Bemächtigungstrieb“ (S. Freud) zu erfüllen. Die subjektive Triebbefriedigung kann sich zum Verlangen nach friedlicher oder auch gewaltsamer Aneignung von Objekten steigern, das libidinös besetzt ist. Darum wird auch das Sammeln, auch das Kunstsammeln, nicht selten mit einer Besessenheit und Hartnäckigkeit, mit einer „ins Pathologische steigerbaren Leidenschaft“ (Rehberg) gleichgesetzt, die sich über alle sozialen Regeln hinwegsetzt. Kaum ein anderer Sammler hat diesen Typus des exzentrischen, seinsvergessenen Sammlers sichtbarer repräsentiert als Kaiser Rudolf II., dessen Sammlertrieb zur Vernachlässigung seiner Kaiserpflichten geführt haben soll. Im frühen 19. Jahrhundert verwandelte sich die Jagd nach Trophäen in die Jagd nach Devotionalien und touristischen Erinnerungsstücken. Bildungsreisende, die es nach Weimar zog, waren begierig darauf, kleine Bildnisbüsten von Wieland, Goethe und Schiller mit nach Hause zu nehmen. Die „Wut der Kunstliebhaberey“ stünde, so schimpfte Wilhelm Merck, überall hoch im Kurs. Was für die kleinen Sammler mit dem schmalen Geldbeutel gilt, die wir kaum kennen und die in dieser Studie auch nicht behandelt werden können, trifft umso mehr auf die großen Sammler zu. Die Sammelleidenschaft konnte bis zur Unvernunft treiben. „Es ist was Wahnsinniges mit der Kunst“, stöhnte der Kunsthändler und Sammler der klassischen Avantgarde, Alfred Flechtheim, nachdem er das ererbte Vermögen seiner Frau wieder einmal in den Erwerb von Gemälden von Picasso und Braque umgesetzt und seine Galerie in Turbulenzen gestürzt hatte.

Hans von Aachen: Porträt von Kaiser Rudolf II., um 1606–1608. Wien, Kunsthistorisches Museum.
Kaiser Rudolf II. (1552–1612) war ein Sammler und Förderer der Künste, voller Leidenschaft, Machtbewusstsein und Melancholie. In der Spätphase seiner Regierungszeit widmete er sich mehr den Künsten als der Politik. Seine riesigen Kunstsammlungen in Prag verteilten sich über mehrere Paläste.

Zu den vielen Impulsen und Beweggründen, die den Sammler antreiben und seine Sammeltätigkeit zur Leidenschaft machen, gehören ferner zwei zunächst gegensätzlich erscheinende Triebkräfte, die vor allem von der Psychologie als Motive genannt werden. Die „Angst vor der Kontingenz der Welt“ (Stagl) wie die Lust und das Glückserlebnis beim Erwerb eines Objektes, die eng mit der Jagdlust verwandt sind. „Der Homo Collector“, so urteilt Justin Stagl, „ist ein angst- und lustbetontes Wesen“. Die Blockierung der unmittelbaren Antriebe aus Angst vor Verlusten und das darauf reagierende selbstbewusste Besitzen-Wollen stünden in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis. Zugleich möchte der Sammler das, was er zusammengetragen hat, auch zur Schau stellen. Damit bezieht er das gesammelte in seine eigene Ordnung mit ein und präsentiert sich zugleich als derjenige, der über etwas verfügt, was andere möglicherweise nicht oder nur teilweise besitzen.

Funktionen des Sammelns

Das führt zu einer wichtigen, wenn auch nicht der einzigen Quelle des Sammelns: die Aneignung von Objekten des Magisch-Religiösen, des Krieges, des Wissens und der Künste zum Zwecke der Repräsentation der Dominanz derer, die über sie verfügen. Die Vielfalt und die formalen bzw. ästhetischen Veränderungen dieser Machtsymbole, die sich im Laufe der Jahrhunderte verändert haben, zeigt die ganze historische Spannbreite von Sammlungen als Mittel der Herrschaftssicherung und Legitimation. An ihr lässt sich die Geschichte von Sammlern und Sammlungen bzw. deren Funktionen vom Mittelalter bis in die Gegenwart ablesen. Das bezieht sich auf die Akteure und Träger von Macht, die sich ebenso ändern wie die Objekte ihrer Begierden und die Präsentations- bzw. Ordnungsformen ihrer Sammlungen. Zugleich verdeutlicht die Vielfalt dieser Sammlungsgegenstände und Strukturphänome von Sammlungen, dass sich unsere Betrachtung in diesem Buch ausschließlich auf herausragende und spektakuläre Sammlungen konzentrieren muss und nicht auf die unzähligen kleinen, bescheidenen Sammlungen. Für sie gelten zwar viele der genannten Impulse, nicht aber die der Machtsicherung und Weltverfügung. Die Geschichte von „Herrschaftsspiegelung und Weltverfügung“ (Rehberg) als Grundmotiv der großen Sammler reicht cum grano salis freilich von der Ansammlung gegnerischer Herrschaftssymbole in Kriegergesellschaften, die durch die Präsenz der erbeuteten Herrschaftszeichen und militärischen Ausrüstungen in Triumphzügen die eigene Dominanz sichtbar und durch deren Zurschaustellung in Arsenalen und Rüstkammern auf Dauer sichern möchten, bis zu modernen Nationalmuseen und öffentlichen Privatsammlungen, die ihren sozialen Rang und ihre kulturelle Hegemonie verdeutlichen wollen. Die Struktur- und Formverwandlung dieser Sammlungen, die uns in dieser Darstellung vor allem beschäftigen soll, beginnt in dem Maße, in dem die „Präsenzsymbolik“ vormoderner Waffen- und Reliquiensammlungen zur Legitimation von Herrschaft im Laufe der „Entzauberung der Welt“, einem zentralen Phänomen der Neuzeit, abnahm und durch sublimere Formen der Herrschaftsspiegelung ersetzt wurde. Nun entwickelten die europäischen Fürstenhöfe mit ihren Experten (Gelehrten und Kunsthändlern) Formen der Repräsentation von Herrschaft und Weltverfügung, die den Anspruch des Erhabenen und der Aura des Schönen in den Mittelpunkt ihrer kulturellen Machtansprüche stellten. Die Studierstuben italienischer Renaissancefürsten wie die Kunst- und Wunderkammern nördlich der Alpen trugen das Unerwartete und Wunderbare, das Schöne und Wissenswerte zusammen und sicherten ihren Besitzern den Nimbus des Besonderen und Mächtigen. Die Museen, deren Wurzeln in fürstlichen Sammlungen, aber auch in Sammlungen von Patriziern und Bildungsbürgern lagen, wurden seit dem 19. Jahrhundert zur zentralen Institution einer neuen Repräsentation von sozialer und kultureller Dominanz. Die bürgerlichen Privatsammler der Moderne traten im 20. Jahrhundert an ihre Stelle, anfangs als Ergänzung, später als Konkurrenten und dominante Figuren des Kunstbetriebs, die ihre eigenen Museen errichteten und damit ihre Autonomie bzw. Unabhängigkeit von staatlicher Kulturpolitik demonstrierten.

Sammler und Mäzene, Kunsthändler und Museen. Ein Beziehungsgeflecht

Diese knappe, einführende Skizze der Strukturveränderungen von Sammlungen hat zugleich andere Beziehungsrahmen angedeutet, in denen sich Kunstsammeln vollzieht und seit Langem vollzogen hat. Seit dem 19. Jahrhundert und vollends im 20. Jahrhundert war Sammeln nur in einem „magischen Viereck“ (Bude) von Sammlern und Kunsthändlern, von Künstlern und Museen möglich und erfolgreich. Das Verhältnis vom Kunsthändler bzw. Galeristen zum Sammler war dabei von zentraler, sich ergänzender und einander beratender Bedeutung. Kaum ein Sammler, der nicht auf den Rat, die Vermittlung und Geschäftsbeziehung mit einem oder mehreren Kunsthändlern gesetzt hätte. Aber auch Künstler, die teilweise oft selbst auch Sammler waren, spielten bei der Einrichtung von privaten Sammlungen wie in früheren Zeiten bei fürstlichen Sammlungen und Museen eine wichtige Rolle. Auch darum kann der Sammler nicht isoliert betrachtet werden, genauso wenig wie sein mitunter ambivalentes Verhältnis zum Museum ausgeblendet werden darf. Immer wird der Blick auf Konstanten und Veränderungen in diesen Beziehungsgeflechten, in denen die Sammler immer standen und stehen, als Leitlinie für eine kulturhistorische Struktur- und Entwicklungsgeschichte dienen. Diese stellt den Sammler in einen Bedingungsrahmen von individuellen Neigungen und Leidenschaften einerseits sowie von politisch-kulturellen Strukturphänomenen andererseits. Damit lassen sich die Möglichkeiten einer Selbstverwirklichung eines Sammlers und die Risiken seines Handelns in der Neuzeit von den fürstlichen Sammlungen der Renaissance bis zu den öffentlichen Privatsammlungen bzw. -museen der Gegenwart vorstellen.

Dieser Überblick kann sich auf eine breite Forschungsgeschichte stützen, die freilich neben deutlichen thematischen und zeitlichen Schwerpunkten auch große Lücken aufweist. Zu den Schwerpunkten der Forschung gehören seit vielen Jahren die Geschichte der Kunst- und Wunderkammern sowie eine Sozial- und Kulturgeschichte großbürgerlicher Sammlungen der klassischen künstlerischen Moderne am Beginn des 20. Jahrhunderts. Neuerdings auch die Geschichte von Kunstraub und Pseudo-Mäzenatentum in der NS-Zeit. Außerdem haben in jüngerer Zeit viele Museen die Geschichte ihrer Sammlungen in Sonderausstellungen thematisiert und damit wertvolles Material für eine noch zu schreibende Gesamtgeschichte des Kunstsammelns aufbereitet. Der vorliegende Versuch eines weit gespannten Überblicks kann nur exemplarisch wichtige Etappen dieser Entwicklungsgeschichte vorstellen und muss sich überdies auf die spektakulären und repräsentativen Sammlungen konzentrieren. Die Strukturen und Leistungen, aber auch die Verluste unzähliger kleinerer Sammlungen müssen im Dunkeln bleiben, obwohl sie sicherlich mit ebenso viel persönlicher Leidenschaft und Kennerschaft zusammengetragen und gehütet wurden und werden. Der Charakter eines populären Sachbuchs verbietet es überdies, genaue Belege für Zitate und Urheberschaft vieler Forschungsergebnisse zu liefern bzw. deren Thesen zu diskutieren. Ein Literaturverzeichnis am Ende des Bandes kann nur andeuten, auf wie vielen Schultern diese Überblicksdarstellung steht und welche Achtung bzw. Sympathie der Verfasser vor und mit den Legionen von Kunstsammlern verspürt.

2. Kirchenschätze und fürstliche
Schatzkammern.
Frömmigkeit und Macht

Sammeln gehört zum Wesen des Menschen. Das Zusammentragen und Anhäufen von Gegenständen hatte von jeher unterschiedliche Beweggründe: vom Anlegen von Vorräten zum Zweck der Sicherung der Subsistenz bis hin zu dem Verlangen, durch das Anhäufen von Tauschgegenständen und Waffen sich für alle Wechselfälle einer ungewissen Zukunft möglichst zu wappnen. In diesem Vorgang des Beisich-Behaltens und der Aneignung von Dingen steckt mitunter auch der Wunsch nach Befriedigung imaginärer Bedürfnisse des Menschen. Es wird ein Objekt aufbewahrt, weil es kostbar oder selten erscheint. Bestimmte Gegenstände erhalten dadurch eine besondere, über ihren bloßen Gebrauchswert hinausgehende Bedeutung. Sie versprechen den Besitz von etwas Schönem oder Erhabenem oder sie werden zu Trägern von Erinnerungen oder von Jenseitsbezügen. Auf jeden Fall stellen sie den Kontakt zum Unsichtbaren her und werden damit zu „Semiophoren“ (Pomian). Gefäße, Waffen oder auch Kleidungsstücke werden auf diese Weise dem Alltäglichen entzogen und Teil eines neuen Bezugs- oder Bedeutungssystems. Als Grabbeigaben sollen sie den Toten ins Jenseits, von der Gegenwart in die Zukunft begleiten. Der französische Kulturwissenschaftler K. Pomian sieht in diesem Vorgang der Transposition den „Ursprung des Museums“. Das Bedürfnis zu sammeln besitzt mithin verschiedenartige Beweggründe und hat sich seit der Frühgeschichte der Menschheit in ganz unterschiedlichen Ausprägungen geäußert. Zu den anthropologischen Grundbedingungen des Sammelns kamen damit die je verschiedenen historischen Bezugsrahmen und Ausdrucksformen. Das Sammeln im modernen Sinne besitzt dadurch vielfältige Wurzeln und Ausprägungen. Sie allein sollen uns interessieren.

Bereits seit den frühen, schriftlosen Gesellschaften besaßen Totems und Götterbilder, Kleidungsstücke, Gefäße und Waffen einen besonderen rituellen Wert, der sie aus den übrigen Gebrauchsgegenständen heraushob und sammlungswürdig machte. Solche Objekte waren Mittelpunkte religiöser Rituale und dienten der sichtbaren Hervorhebung der religiösen Verehrung von Göttern und ihren Machtansprüchen, aber auch der Symbolisierung von irdischen Herrschaftsansprüchen und sozialen Rangstufen derer, die über sie verfügten. Indem die Objekte aus der Sphäre des Gebrauches in die Sphäre des Kultes herausgehoben, zusammengetragen und aufbewahrt bzw. als Grabbeigaben gewürdigt wurden, erhielten sie einen kultisch-ästhetischen Wert und wurden zu Gegenständen des Sammelns.

Das frühe Sammeln hat seine Wurzeln ebenso in der Aufbewahrung und Präsentation von Waffen, besonders von Zeugnissen militärischer Triumphe, von Beutegut und Herrschaftszeichen der niedergerungenen Gegner zum Zeichen ihrer Unterwerfung. Sie wurden zusammen mit besiegten und erbeuteten Menschen und anderen Beutegegenständen in Triumphzügen vorgeführt sowie in Arsenalen und Schatzkammern aufbewahrt. In beiden Fällen der religiös-rituellen Präsenz wie der militärisch-herrschaftlichen Aneignung erhielten die zeigens- und begehrenswerten kultischen Objekte schließlich auch einen ästhetischen Rang und Reiz. Sie bildeten den Kern eines sinnbezogenen Sammelns. Mit dem Vorgang des Zusammentragens und Aufbewahrens verloren die Objekte im Verlauf der Jahrhunderte zunehmend, wenn auch nicht vollständig, ihren magischen Charakter. Sie wurden zu Symbolen von kirchlichen und weltlichen Macht- und Deutungsansprüchen, aber auch von Wissen und Weltaneignung, schließlich auch zu Gegenständen eines künstlerischen Gestaltungsund Wirkungsanspruches.

Zeichen der Frömmigkeit

Das verdeutlichen auch die kirchlichen und fürstlichen Sammlungen des Mittelalters. Sie bilden die unmittelbaren und historisch erfahrbaren Wurzeln des ästhetischen Sammelns der Neuzeit und stehen damit am Übergang zum Kunstsammeln der Neuzeit. Was seit dem frühen 19. Jahrhundert vornehmlich als Zeugnis mittelalterlicher Kunst in privaten Sammlungen und öffentlichen Museen gesammelt wurde, stammte oft aus Kirchenschätzen und wurde aus ihrem ursprünglichen Funktionszusammenhang oder Bewahrungsort herausgenommen. Was in den Kirchenschätzen als Reliquien und als Gaben frommer Stifter eher zufällig zusammengetragen worden war, galt in seiner Zeit zunächst als sichtbares und bleibendes Zeugnis der Fürbitte und Frömmigkeit bzw. der Erwartung auf Barmherzigkeit und Heilsvermehrung. Ein Medium in dem Dialog der Heiligen und der irdischen Sünder, der Toten und der Lebenden. Neben Reliquienbüsten und Knochenbehältern begegnen uns darum geschnittene Steine, die an geweihter Stelle als Schmuck an Reliquienkästen oder Schreinen angebracht sind. Zugleich kündigen die Kirchenschätze des Mittelalters künftige Formen des Sammelns und Zeigens an, auch wenn sie die Objekte zunächst deswegen aufbewahren wollten, weil sie das Wunderbare und Fremde verkörperten. Damit nahmen sie zugleich Elemente der späteren Kunst- und Wunderkammern vorweg, ohne freilich deren Ordnungskonzept zu teilen.

Reliquiarium de St. Louis. Reliquienschreine und heilige Gefäße dienten nicht nur dem liturgischen Gebrauch, sie gehörten zu den Kostbarkeiten, die in den Schatzkammern von Kirchen und Abteien, wie hier in St. Denis, von kirchlicher Macht und mittelalterlicher Frömmigkeit zeugten.

Ein glänzendes Beispiel für ein solches Nebeneinander des Heiligen und des Fremden bzw. Wunderbaren stellte der Schatz von S. Marco in Venedig dar, der als Folge der Kreuzzüge kunstvolle Raritäten und Kuriositäten wie Elfenbeinhörner und Narwalzähne aufbewahrte. Darüber standen in dem kirchlichen Wert- und Ordnungssystem freilich die Objekte des Heiligen. Edle Materialien aus der römischen Antike oder aus exotischen Welten wurden vor allem deswegen aufbewahrt und gepflegt, weil sie sich in hervorragender Weise zum Schmuck oder zur Nobilitierung von christlichen Kultgegenständen eigneten. Am Aachener Lotharskreuz, das um das Jahr 1000 von Otto III. gestiftet wurde, verleiht ein großer antiker Kameo mit dem Bild des lorbeergekrönten Kaisers Augustus, der auf der Rückseite eines Kreuzes angebracht ist, dem auf gleicher Höhe befindlichen Christus eine zusätzliche Bekräftigung seines Triumphes. Das antike Kunstwerk steht zudem symbolisch für die Legitimation weltlicher Macht. Denn mit der Ausgestaltung des Lotharskreuzes wird die Verschränkung von göttlicher und weltlicher Macht zum Ausdruck gebracht. Das antike Augustusbild steht für die Kontinuität der weltlichen Macht des mittelalterlichen Kaisers, dessen Ahnenreihe bis in die römische Kaiserzeit reicht. Das Kreuz ist zudem Zeichen göttlicher Souveränität.

Auch scheinbar banale Objekte wie Becher, Krüge oder Kästchen wurden als Reliquienbehälter Teil eines kirchlichen Schatzes; noch mehr die Reliquien selbst, die als sakrale Objekte zum Träger einer magischen Präsenz wurden und in Altären und Schreinen den Schatz einer Kirchengemeinschaft bildeten, unabhängig von der Art und Weise ihrer Materialität und ihrer gelegentlich auch gewaltsamen Aneignung. Sie wurden in der religiösen Praxis zu Medien einer dauerhaften Kommunikation mit den Heiligen und auf einer kulturellen Ebene zu Zeichen der Gottgefälligkeit und Frömmigkeit einer Kirchengemeinde. Zugleich wurde den fremdländischen Stoffen und Objekten auch eine gewisse Wunderkraft und bei Hofe wie bei Kirchenfürsten auch ein Schutz vor Vergiftungen zugeschrieben. Der Kirchenschatz trat nicht nur aus der Sphäre des Alltäglichen heraus, er wurde zugleich zum Medium zwischen dem Diesseitigen und Jenseitigen, zwischen dem Sichtbaren und Unsichtbaren.

Zusammen mit dem liturgischen Gerät, den Bechern und Pokalen, den Leuchtern und geschmückten Codices, den Paramenten und Kleinodien, aber auch zusammen mit den Madonnen- und Wunderbildern und vielen anderen Gegenständen, die aus Stiftungen in den Besitz der Kirchen gelangten, waren sie Zeugnisse religiöser Frömmigkeit und kirchlicher Autorität. Der Kirchenschatz zeugte von göttlicher Fügung und war Sinnbild der Opfergabe für kommende Generationen. Durch die Überführung vieler Objekte aus dem Kirchenbesitz in das Museum vor allem im frühen 19. Jahrhundert, aber auch durch ihre Rettung vor der Zerstörung durch Bilderstürme und die Auflösung von Klöstern in der Säkularisation wurden sie, vielfach durch kenntnisreiche private Sammler aufbewahrt, zum Grundstock vieler Museen. Zu deren Beständen gehören ebenfalls Andachtsbücher und -bilder sowie Messtexte, die ursprünglich für die private Hausandacht geschaffen worden waren. Vor allem ihre oft künstlerisch anspruchsvolle Ausgestaltung trug unter den veränderten Bedingungen der beginnenden Moderne dazu bei, dass sie nun aufbewahrt und tradiert wurden.

Dynastische Sammlungen und Schatzkammern

Als profanes Gegenstück zum Kirchenschatz wirkte die Ausstattung der weltlichen Residenzen. Die zahlreichen dynastischen Sammlungen in den Schatzkammern und Gewölben der Herrscherhäuser waren für deren Identitätswahrung fast noch wichtiger. Sie waren angefüllt mit Memorialobjekten und Reliquien, aber vor allem mit Silberpokalen, Tischaufsätzen, Gold- und Tafelsilber, Fayencen und Porzellan, schließlich mit Huldigungssilber, aber auch mit Porträts und Heiligenbildern. Sie wurden nicht aus einer ästhetischen Wertschätzung heraus gesammelt, sondern ihre meist ungeordnete und zufällige Aufbewahrung oder Aufnahme in eine Gesamtausstattung einer Residenz entsprang dem adligen Selbstverständnis und der Präsentation des dynastischen Vermögens wie der herrschaftlichen Machtbehauptung. Dass dem Silberschatz, der oft aus den zeremoniellen Akten des Geschenketausches bei Hofe durch Stände und Gesandte stammte, neben der Demonstration des Herrschaftsgeflechts auch eine materielle, ökonomische Funktion für den Not- und Bedarfsfall zukam, beweist allein schon die Tatsache, dass für die Silberschätze seit dem 17. Jahrhundert eigene, gut bewachte und geschützte Schatzkammern errichtet wurden, um sie im Kriegs- und Notfall zu veräußern oder einzuschmelzen. Das Grüne Gewölbe in Dresden stellte eine besonders kostbare Form eines Staatstresors dar, der allerdings seit seiner Gründung 1732 immer mehr ein Schatzkammermuseum darstellte, das ausgewählten Besuchern und nicht nur Staatsbesuchen zugänglich war. Dass die Juwelen und anderen Preziosen, Diamanten, Bergkristallgefäßen oder Porzellan, Prunk- und Zeremonialwaffen aus dem Grünen Gewölbe immer Objekt der feindlichen Begehrlichkeiten wie in schlechten Zeiten Notgroschen waren, die man verpfänden und in besseren Zeiten wieder auslösen konnte, zeigt die wechselvolle Geschichte der Sammlung Augusts des Starken.

Wie der Klerus war auch der weltliche Fürst allein schon aus seinem Amtsverständnis heraus zum Sammeln von Kostbarkeiten und Objekten des herrschaftlichen Prunks gleichsam verpflichtet. Eine klare Trennung von geistlicher und weltlicher Sammlung gab es, bezogen auf die Objekte des Sammelns, dabei nicht; nur dass im Staatsschatz des weltlichen Herrschers Herrscherinsignien ein Übergewicht besaßen. Auch gab es kaum eine Unterscheidung von persönlichem und dynastischem Besitz, auch wenn der eine oder andere Herrscher, vor allem im 14./15. Jahrhundert, zu erkennen gab, dass er die Schatzsammlungen als sein persönliches Eigentum betrachtete und für einzelne Objekte daraus auch eine besondere Wertschätzung entwickelte. Weltliche wie kirchliche Schatzkammern erfüllten dieselben Aufgaben: sie horteten Objekte von materiellem und kultisch-repräsentativem Wert. Sie demonstrierten das Vermögen eines Herrscherhauses wie eines Domkapitels oder Klosters. Ihre Aufgabe der Repräsentation erfüllten die Objekte bei kirchlichen und weltlichen Zeremonien, indem sie Teil eines Rituals waren und damit vor allem dessen Sinn verdeutlichen und gewährleisten sollten. Dazu gehörte auch die Präsentation der Fürstenschätze, wenn deren Besitzer unterwegs waren. Dann wurde das bewegliche Kunsthabe mit auf Reisen genommen, in Kisten verpackt oder zusammengerollt. Viele Transporte dieser Art kamen überhaupt nicht oder nur bruchstückhaft an ihrem Zielort an oder fanden den Weg zurück ins „Depot“. Wichtiger als der sorgfältige Umgang auch mit künstlerisch wertvollen Objekten war der symbolische Wert der Kunstwerke. Der kam erst in der Nähe der fürstlichen Besitzer zum Tragen, wenn sie als Teil der Herrscherrepräsentation zu dessen politischer Legitimation mitgeführt und gezeigt wurden. Kirchliche wie weltliche Schatzkammern und die darin gesammelten Objekte erfüllten vor allem institutionelle, an das Amt gebundene Zwecke und waren nicht Ausdruck des individuellen Selbstverständnisses und der persönlichen Neigungen des Besitzers. Sie entsprechen mithin nicht den Kriterien, auf denen eine neuzeitliche Sammlung gründet, und stellen allenfalls deren Vorläufer dar.

Abraham Jamnitzer: Daphne als Trinkgefäß, um 1600. Dresden, Grünes Gewölbe.
Kostbare Trinkgefäße gehörten zu den Schaustücken einer fürstlichen Sammlung. Abraham Jamnitzer aus Nürnberg hatte für den sächsischen Hof das goldene Trinkgefäß mit Korallen verziert, um den Augenblick darzustellen, in dem sich die Nymphe Daphne durch ihre Verwandlung in einen Lorbeerbaum der Werbung Apolls entzieht.

Für beide Typen der Schatzhäuser und -kammern galt freilich, dass es seit dem 16. Jahrhundert auch fließende Übergänge zu einem neuzeitlichen Sammlungsverständnis gab. Die ersten fürstlichen Sammlungen, die im heutigen Verständnis dieser Bezeichnung entsprechen oder deutliche Ansätze eines veränderten Welt- und Kunstverständnisses zeigen, wurden im französischen Herrscherhaus der Valois bereits im 14. Jh. angelegt. In den Residenzen von König Johann (1319–1364) und seinem Nachfolger Karl V. wie bei Louis von Anjou, dem späteren König von Neapel, befanden sich Büchersammlungen, Kunstwerke und Produkte des Kunsthandwerkes, die nicht mehr nur aus Prunk- und Machtsucht und auch nicht als bloße Kuriositäten angehäuft waren, sondern die in ihrer Zusammenstellung eine eigene Handschrift erkennen ließen. Sicherlich besaßen sie nach wie vor die Aufgabe, die besondere Macht bzw. die ordnungsstiftenden Fähigkeiten des Herrschers zu repräsentieren. Neben ihrer Legitimation von Herrschaft besaßen sie jedoch eine gleichsam zweckfreie Bedeutung. Sie wurden allein aus der Freude an künstlerischen Formen und ihres Wertes als Kuriosität zusammengetragen und geordnet. Sie waren in Notzeiten auch nicht mehr in klingende Münze umzusetzen. Bereits in den Studierzimmern von Karl V. von Valois, König von Frankreich, die er sich im Louvre hatte anlegen lassen und die ihm den Rückzug in ruhige Räume erlaubten, wurden die Objekte annäherungsweise nach Sachgruppen geordnet. Darunter befanden sich Gemmen und Halbedelsteine, Prunkgefäße und Damaszenerware, astronomische Geräte, Statuetten, Duftstoffe und natürlich Bücher. Die Anordnung ergibt sich aus den Inventaren, die zum ersten Mal von fleißigen Intendanten der Valois angelegt wurden. Noch deutlicher tritt das Neue in den Sammlungen des dritten Sohns von König Johann, dem Herzog Jean de Berry, hervor. Auch er zeigte, ganz Kind seiner Zeit, Freude am Stofflichen und am Prunk. Daneben aber schimmern deutliche Züge einer Kennerschaft und auch Liebe zu den Sammlungsgegenständen durch. Die Objekte waren in den Inventaren nun nicht mehr nur nach Sachgruppen geordnet, sondern auch nach Untergruppen und deren Provenienz aufgelistet, was auf eine große Detailkenntnis des Herzogs oder seines Intendanten schließen lässt. Die religiösen Kleinodien waren beispielsweise in Kreuze, Kelche, Leuchter und Ähnliches unterteilt. Herkunftsregionen wurden genannt und als Merkmal eines Kunststils oder einer Kunstlandschaft gekennzeichnet. Auch sind, freilich sehr grobe, Ansätze einer chronologisch orientierten Zuordnung der Gemälde erkennbar. Schließlich wurden die Gold- und Silberschätze nicht mehr nur rein nach ihrem Gewicht bemessen, sondern nach ihrer Herstellungstechnik und ihren Verzierungen.

Dass das Sammeln für Jean de Berry zu einer wirklichen Leidenschaft, auch mit ihren unangenehmen zu Fälschungen und Erpressungen führenden Seiten geworden war, hat schon Julius von Schlosser, einer der ersten Historiker der Kunst- und Wunderkammern, erwähnt. Gerne vergaß es der Herzog, Bücher, die er zu Studienzwecken entliehen hatte, zurückzugeben und ließ sie, wie dies mit einem Exemplar einer „Chronique de France“ aus der Abtei von St. Denis geschehen war, schließlich in sein eigenes Inventar aufnehmen. Erst der Beichtvater konnte Jean de Berrry auf seinem Totenbett dazu bewegen, dieses Buch und einige andere Kunst- und Bibliotheksstücke, die sich der Herzog „entliehen“ hatte, den eigentlichen Besitzern zurückzugeben. Um die Sammlerlust zu befriedigen und den Herzog günstig zu stimmen, hatten überdies Verwandte dem Herzog auch zwei Nachbildungen einer berühmten antiken Gemme, der Gemma Augustea, geschenkt und mit einem Bildnis des Herzogs schmücken lassen. Auch diese tauchten neben anderen wirklich antiken Stücken, aber auch neben anderen Nachbildungen und Fälschungen in den Inventaren Jean de Berrys auf.