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Norbert Scheuer  ∙

Winterbienen

Roman

C.H.Beck

Zum Buch

Januar 1944: Egidius Arimond, ein frühzeitig aus dem Schuldienst entlassener Latein- und Geschichtslehrer, schwebt wegen seiner Frauengeschichten, seiner Epilepsie, aber vor allem wegen seiner waghalsigen Versuche, Juden in präparierten Bienenstöcken ins besetzte Belgien zu retten, in höchster Gefahr. Gleichzeitig kreisen über der Eifel britische und amerikanische Bomber.

Arimonds Situation wird nahezu ausweglos, als er keine Medikamente mehr bekommt, er ein Verhältnis mit der Frau des Kreisleiters beginnt und schließlich bei der Gestapo denunziert wird.

Mit großer Intensität erzählt Norbert Scheuer in «Winterbienen» einfühlsam, präzise und spannend von einer Welt, die geprägt ist von Zerstörung und dem Wunsch nach einer friedlichen Zukunft.

Über den Autor

Norbert Scheuer, geboren 1951, lebt als freier Schriftsteller in der Eifel. Er erhielt zahlreiche Literaturpreise und veröffentlichte zuletzt die Romane «Die Sprache der Vögel» (2015), der für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert war, und «Am Grund des Universums» (2017). Sein Roman «Überm Rauschen» (2009) stand auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und war 2010 «Buch für die Stadt Köln».

Inhalt

Tagebuch 1944/45
Egidius Arimond

Undatiertes Blatt

Winter 1944

Montag, 3. Januar 1944

Dienstag, 4. Januar 1944

Mittwoch, 5. Januar 1944

Donnerstag, 6. Januar 1944

Heilige Drei Könige

Samstag, 8. Januar 1944

Sonntag, 9. Januar 1944

Dienstag, 11. Januar 1944

Mittwoch, 12. Januar 1944

Donnerstag, 13. Januar 1944

Freitag, 14. Januar 1944

Montag, 17. Januar 1944

Fragment I
Kloster Steinfeld, Anno 1489

Ambrosius Arimond

Mittwoch, 19. Januar 1944

Donnnerstag, 20. Januar 1944

Sonntag, 23. Januar 1944

Montag, 24. Januar 1944

Dienstag, 25. Januar 1944

Mittwoch, 26. Januar 1944

Donnerstag, 27. Januar 1944

Samstag, 29. Januar 1944

Sonntag, 30. Januar 1944

Montag, 31. Januar 1944

Dienstag, 1. Februar 1944

Donnerstag, 3. Februar 1944

Freitag, 4. Februar 1944

Montag, 7. Februar 1944

Fragment II
Kloster Steinfeld, Anno 1489

Ambrosius Arimond

Mittwoch, 9. Februar 1944

Freitag, 11. Februar 1944

Samstag, 12. Februar 1944

Montag, 14. Februar 1944

Mittwoch, 16. Februar 1944

Donnerstag, 17. Februar 1944

Freitag, 18. Februar 1944

Montag, 21. Februar 1944

Rosenmontag

Dienstag, 22. Februar 1944

Donnerstag, 24. Februar 1944

Undatiertes Blatt

Montag, 28. Februar 1944

Dienstag, 29. Februar 1944

Donnerstag, 2. März 1944

Fragment III
Kloster Steinfeld, Anno 1489

Ambrosius Arimond

Freitag, 3. März 1944

Dienstag, 7. März 1944

Sonntag, 12. März 1944

Undatiertes Blatt

Dienstag, 14. März 1944

Freitag, 17. März 1944

Samstag, 18. März 1944

Undatiertes Blatt

Sonntag, 19. März 1944

Frühling 1944

Montag, 20. März 1944

Mittwoch, 22. März 1944

Donnerstag, 23. März 1944

Freitag, 24. März 1944

Mittwoch, 29. März 1944

Donnerstag, 30. März 1944

Montag, 3. April 1944

Fragment IV
Kloster Steinfeld, Anno 1489

Ambrosius Arimond

Dienstag, 4. April 1944

Mittwoch, 5. April 1944

Donnerstag, 6. April 1944

Gründonnerstag

Samstag, 8. April 1944

Montag, 10. April 1944

Ostermontag

Dienstag, 11. April 1944

Mittwoch, 12. April 1944

Donnerstag, 13. April 1944

Samstag, 15. April 1944

Mittwoch, 19. April 1944

Donnerstag, 20. April 1944

Montag, 24. April 1944

Dienstag, 25. April 1944

Mittwoch, 26. April 1944

Freitag, 28. April 1944

Samstag, 29. April 1944

Montag, 1. Mai 1944

Mittwoch, 3. Mai 1944

Dienstag, 9. Mai 1944

Dienstag, 16. Mai 1944

Freitag, 19. Mai 1944

Sonntag, 21. Mai 1944

Montag, 22. Mai 1944

Sonntag, 28. Mai 1944

Pfingsten

Dienstag, 30. Mai 1944

Donnerstag, 1. Juni 1944

Sonntag, 4. Juni 1944

Donnerstag, 8. Juni 1944

Fronleichnam

Montag, 19. Juni 1944

Dienstag, 20. Juni 1944

Sommer 1944

Donnerstag, 22. Juni 1944

Mittwoch, 28. Juni 1944

Dienstag, 4. Juli 1944

Sonntag, 9. Juli 1944

Montag, 10. Juli 1944

Donnerstag, 13. Juli 1944

Samstag, 15. Juli 1944

Dienstag, 18. Juli 1944

Mittwoch, 19. Juli 1944

Freitag, 21. Juli 1944

Samstag, 22. Juli 1944

Donnerstag, 27. Juli 1944

Freitag, 28. Juli 1944

Samstag, 29. Juli 1944

Dienstag, 1. August 1944

Donnerstag, 3. August 1944

Sonntag, 13. August 1944

Dienstag, 15. August 1944

Mariä Himmelfahrt

Donnerstag, 17. August 1944

Fragment V
Kloster Steinfeld, Anno 1489

Ambrosius Arimond

Freitag, 18. August 1944

Montag, 21. August 1944

Dienstag, 22. August 1944

Samstag, 26. August 1944

Sonntag, 27. August 1944

Donnerstag, 31. August 1944

Montag, 4. September 1944

Freitag, 8. September 1944

Mittwoch, 13. September 1944

Donnerstag, 14. September 1944

Montag, 18. September 1944

Mittwoch, 20. September 1944

Freitag, 22. September 1944

Herbst 1944

Samstag, 23. September 1944

Sonntag, 24. September 1944

Montag, 25. September 1944

Dienstag, 26. September 1944

Sonntag, 1. Oktober 1944

Montag, 2. Oktober 1944

Mittwoch, 4. Oktober 1944

Samstag, 7. Oktober 1944

Sonntag, 8. Oktober 1944

Montag, 9. Oktober 1944

Dienstag, 10. Oktober 1944

Mittwoch, 11. Oktober 1944

Samstag, 14. Oktober 1944

Montag, 16. Oktober 1944

Mittwoch, 18. Oktober 1944

Fragment VI
Kloster Steinfeld, Anno 1489

Ambrosius Arimond

Freitag, 20. Oktober 1944

Montag, 23. Oktober 1944

Donnerstag, 26. Oktober 1944

Freitag, 27. Oktober 1944

Montag, 30. Oktober 1944

Dienstag, 31. Oktober 1944

Reformationstag

Samstag, 25. November 1944

Montag, 27. November 1944

Dienstag, 28. November 1944

Sonntag, 3. Dezember 1944

Fragment VII
Kloster Steinfeld, Anno 1489

Ambrosius Arimond

Dienstag, 5. Dezember 1944

Donnerstag, 7. Dezember 1944

Winter 1944/45

Freitag, 22. Dezember 1944

Samstag, 6. Januar 1945

Heilige Drei Könige

Undatiertes Blatt

Undatiertes Blatt

Frühling 1945

Mittwoch, 28. März 1945

Sonntag, 6. Mai 1945

Freitag, 18. Mai 1945

Samstag, 19. Mai 1945

Fragment VIII
Kloster Steinfeld, Anno 1489

Ambrosius Arimond

Undatiertes Blatt

Danksagung

Anmerkung

Lateinische Zitate

Glossar

Literaturverzeichnis

Filmverzeichnis

Für Elvira

Ich trauere um die Bienen,
sie wurden von kämpfenden Armeen vernichtet.

Isaak Babel, Die Reiterarmee

Tagebuch 1944/45
Egidius Arimond

Undatiertes Blatt

Es gibt keine Darstellung der ganzen Wirklichkeit. Nur eine Auswahl.

Pär Lagerkvist

Ich wohne in einem Bergarbeiterstädtchen, das an einem Fluss liegt, der sich durch einsame, zerklüftete Landschaften schlängelt, eine Gegend mit kleinen Dörfern inmitten von Magerwiesen, Fichten-, Kiefern- und Buchenwäldern, die sich bis zur belgischen Grenze erstrecken. Dies war immer schon eine verlassene, karge Region, die einst durch Erosion des variszischen Urgebirges entstanden war, mit Bergrücken vulkanischen Ursprungs, welche die Hügellandschaft überragen, mit einer üppigen Vegetation, die die Bienen offenbar sehr lieben, denn sie leben bereits seit Millionen von Jahren hier, lange bevor Menschen im Urftland zu siedeln begannen. Jahrhunderte später christianisierten Mönche die keltischen und germanischen Stämme, die dennoch weiter ihre Matronen, ihre Wald- und Erdgeister verehrten. Einer unserer Vorfahren gehörte, wie uns Vater erzählte, zu diesen frühen Mönchen, ein Benediktiner namens Ambrosius, der im nahe gelegenen Kloster lebte und Bienen züchtete. Wegen einer Liebesbeziehung mit einem Bauernmädchen verließ dieser Ambrosius im Jahre 1492 sein Kloster und gründete in einem der kleinen Höhendörfer eine Familie. Aus dieser Verbindung ging die erste Generation der Arimonds hervor. Es folgten Kriege, Pestilenzen, Hungersnöte, Zeiten des Friedens und wiederum Kriege, in denen meine Vorfahren auf dem Karstboden des Urftlandes Landwirtschaft und Bienenzucht betrieben und damit alle Fährnisse der Zeitläufte überlebten. Mein Vater gab schließlich die gewerbsmäßige Landwirtschaft auf, um im nahe gelegenen Bleibergwerk zu arbeiten – nebenher züchtete er weiterhin Bienen. Ich bin der Erste aus unserer Familie, der eine akademische Ausbildung angestrebt und für längere Zeit die Eifel für seine Studien verlassen hat. Schließlich bin ich in die Heimat zurückgekehrt, als meine Mutter gestorben war und mein Vater, hinfällig geworden, allein lebte. Zunächst habe ich im hiesigen Gymnasium eine Stelle als Lehrer angetreten und nebenher meinem Vater bei der Bienenzucht geholfen. Seit meiner vorzeitigen Entlassung aus dem Schuldienst kümmere ich mich nur noch um die Bienen und treibe für mich Studien zu unserem Benediktiner-Vorfahren. Meinen Lebensunterhalt bestreite ich, indem ich Honigprodukte, wie Bienenwachskerzen, Wein und Likör, an kleine Geschäfte der Umgebung liefere oder auf Märkten verkaufe. Nach dem Krieg will ich von hier weggehen und diese öde Gegend endlich hinter mir lassen, um in einer großen Stadt zu leben; ich fürchte aber, dann wird es zu spät sein, viele Städte sind bereits zerstört. Womöglich werde ich für immer hierbleiben müssen.

Winter 1944

Montag, 3. Januar 1944

Das abgestürzte Flugzeug ist eine amerikanische Mitchell B-25. Gestern war ich an der Absturzstelle. Seit meiner Kindheit habe ich mit meinem Bruder Alfons zusammen Flugzeuge beobachtet, und ich interessiere mich immer noch für sie. Ich erkenne die meisten Maschinen an ihrer Silhouette, den rechteckigen, ovalen oder spitz zulaufenden Tragflächen, am Rumpf oder am Leitwerk und der jeweiligen Bewaffnung. Mein Bruder hatte schon immer den Traum, die Erde auf irgendeine Weise weit hinter sich zu lassen; seit ich denken kann, wollte er Sternenfahrer werden. An den Wänden seines Zimmers hängen noch seine Zeichnungen von Flugzeugen und Raketen, mit denen der Weltraum erobert werden soll. Im Bücherregal stehen Werke von Hans Dominik und Jules Verne, Romane über kosmische Reisen und von abenteuerlichen Expeditionen ins Erdinnere. Nach dem Schulabschluss meldete Alfons sich zur Luftwaffe. Die erste Nachricht von ihm bekamen wir, als er die Flugschule bereits einige Monate besucht hatte. Dem Brief lag eine Fotografie bei; auf ihr ist er zu sehen, wie er lächelnd mit seinen Kameraden neben einem Übungsflugzeug im Hangar steht.

Seit Kriegsbeginn fliegen täglich Jagdgeschwader und Bomber übers Urftland hinweg. Ich erkenne sie oft, noch bevor sie zu sehen sind, an ihren Motorengeräuschen.

Die Mitchell B-25 hatte sich mit der Spitze in den Boden gerammt. Im Gestänge der gläsernen Kanzel hing ein verschmorter Körper; Köpfe, Füße und Hände der anderen Besatzungsmitglieder lagen verstreut auf dem matschigen Acker, der Pilot saß mit verrenkten Gliedern direkt neben seiner Maschine. Nur fünf Mitglieder der Mannschaft wurden gefunden. Die Feldjäger hatten das Areal weiträumig abgesperrt; Soldaten tasteten die Toten nach Waffen ab, mitunter sind sie in der Schulterwattierung ihrer Jacken versteckt. Sie fanden, wie später in der Gaststätte erzählte wurde, Schlagringe, Pistolen, ein seidenes Halstuch mit aufgedruckter Reichskarte, einen Taschenkompass, ein Klappmesser, goldene Ringe, eine Pilotenuhr, Familienfotos, eine Bibel, Bilder von nackten weißen und dunkelhäutigen Frauen.

Mitchell B-25:
Besatzung: sechs Mann, Antrieb: zwei Sternmotoren Wright Cyclone, je 1850 PS, Bewaffnung: acht MGs Abwehrbewaffnung, acht vorwärtsfeuernde MGs, Bombenlast: 1800 kg

Dienstag, 4. Januar 1944

Aspera perpessu fiunt iucunda relatu.[1] Als Kind bin ich oft, wenn ich nicht schlafen konnte, heimlich durch den dunklen, nach Jasmin und Geißblatt duftenden Garten hinauf zum Bienenhaus am Fels geschlichen. Ich berührte mit den Fingerspitzen die alten, porösen Fichtenbretter, pochte vorsichtig gegen das Holz, sprach mit unseren Bienen, legte mein Ohr an den Stock und wartete auf ihre Antwort. Ich lauschte dem aufbrausenden Surren, das bald nachdem sie sich eingestimmt hatten, wieder zu einem leisen, harmonisch pulsierenden Rauschen wurde, das vertraut und tröstlich klang. Manchmal schlief ich im Sommer auf dem Boden vor dem Bienenhaus ein und wurde erst morgens vom Summen der ausfliegenden Bienen geweckt.

Mittwoch, 5. Januar 1944

Als Ende des 19. Jahrhunderts der Bergbau in unserer Region wieder aufblühte, zog es die Bauernsöhne zur Arbeit in die Bleigruben, weil man dort besser verdiente. Aus vielen Ländern kamen damals Bergleute ins Urftland; sie ließen sich mit ihren Familien in Kall und Umgebung nieder und bald suchten Tausende Arbeiter über und unter Tage nach Bleierzen, Manganknollen und Silber. Sie trieben, den Flözen folgend, immer längere und tiefere Stollen in die Erde, wodurch mit der Zeit ein riesiges, mittlerweile vergessenes Labyrinth aus Schächten und Gängen entstand. Auf der Erdoberfläche, dem ehemaligen Weide- und Ackerland, lagen zuletzt Berge aus Schlacke und giftigem Bleisand. Aus einem Bauerndorf an der Urft war damals in nur wenigen Jahren ein Bergarbeiterstädtchen geworden, mit einer Stadthalle, einer Bibliothek, einem Gymnasium, Real- und Gewerbeschulen sowie einem Bahnanschluss, von dem aus die geschürften und verhütteten Erze bis ans Meer und von dort bis nach Brasilien und Neuseeland transportiert wurden. Auch Vater war, als er aus dem Ersten Weltkrieg nach Hause kam, Bergmann in einer der vielen Bleigruben geworden. Nebenher betrieb er, wie ich bereits erwähnte, etwas Landwirtschaft und züchtete Bienen. Ich halte ebenfalls noch Schweine, Hühner und ein Pferd, einen rheinischen Kaltblüter, der sich gut für den Transport der Beuten zu den Bienenweiden eignet. Nachdem meine Eltern geheiratet hatten, baute mein Vater auf einem Grundstück am Ortsrand unser Haus aus rotem Sandstein, den er aus dem Fels am Ende des Gartens herausbrach und zu Quadern schlug. Er hat mehrere Jahre an diesem Haus gebaut, und bald nachdem es fertig war, wurde ich geboren. Dicht an die Sandsteinfelsen platzierte er sein neues Bienenhaus, gleich neben dem Werkstatt- und Geräteschuppen, wo er in seinen letzten Lebensjahren in einem alten Sessel saß und Zeichnungen von Bienen anfertigte, von Sammlerinnen, Baubienen, Wächterinnen, der Königin, ihrem Hofstaat mit den Zofen und den dicken, lüsternen Drohnen. Im Laufe seines Lebens hat Vater viele kleine Zeichnungen seiner Bienen gemacht, als hätte er vorgehabt, jede Einzelne bis ins Detail zu porträtieren, als wäre jede von ihnen ein besonderes Individuum. Bis zu seinem Tod entstanden seltsame, kaum zu enträtselnde Skizzen, die wohl die Bewegungen der Bienen im winterlichen Stock oder die geheimnisvollen Tänze in der warmen Frühlingsluft vor ihren Wohnungen darstellen sollten.

Donnerstag, 6. Januar 1944

Heilige Drei Könige

Noch immer stehe ich wie früher, als ich noch im Schuldienst war, jeden Morgen um fünf Uhr auf, trinke Malzkaffee, esse einige Scheiben Schwarzbrot mit Margarine und Akazienhonig von der letzten Ernte. Mit Johannisbeersaft nehme ich meine Antiepileptika (Luminal) ein. Lebensmittel und Medikamente sind seit Kriegsbeginn rationiert und nur noch auf Marken zu bekommen. Vaters Hund sitzt neben mir; er ist ein betagter, eigenwilliger grauschnauziger Rüde. Er begleitet mich, wenn ich nach draußen gehe, folgt mir überallhin. Nach dem Frühstück füttere ich die Ferkel im Stall neben der Scheune, bringe das Pferd auf die Weide, gehe zu meinen Winterbienen und entferne den Schnee von ihren Einfluglöchern. Die Bienen brauchen freie Fluglöcher für die Luftzirkulation im Stock.

Die Aufgabe der jetzt lebenden Winterbienen besteht darin, die im Frühjahr zu erwartende neue Generation der Larven warm zu halten, zu schützen und zu füttern und so das Überleben des Volkes zu sichern. In der kalten Jahreszeit halten sie die Temperatur in ihrem Staat konstant auf etwa zwanzig Grad, das ist gerade warm genug, damit ihre Königin und sie selbst nicht erfrieren. Den Bienen genügen zum Überleben zwei gut isolierte Zargen, in denen sie sich in einer Traube aneinanderdrängen. Durch ständiges Vibrieren ihrer von den Flügeln entkoppelten Brustmuskulatur erzeugen sie die nötige Wärme, sie wechseln ständig ihren Platz in der Traube, sodass jede von ihnen auch einmal in den Genuss der höheren Temperatur im Inneren der Gemeinschaft kommt. Bienen kooperieren in sehr komplexen Systemen. Sie können ihr Gesellschaftssystem nicht neu erfinden, ihre Königin nicht einfach töten und eine Republik ausrufen. Sie haben Jahrmillionen gebraucht, um sich in der jetzigen Weise zu organisieren. Alles im Bienenvolk scheint aufs Beste fürs Überleben und die Wohlfahrt des Volkes eingerichtet. Bereits Vergil liebte und schätzte die Bienen, er hielt sie für fleißig und künstlerisch begabt, da sie schöne Wabengebilde bauen. In ihrem Staatswesen sah er gar das Vorbild für das römische Imperium; so lobte er ihren Kampfesmut, den er mit dem der tapferen römischen Soldaten verglich. Aber Bienen sind nicht aggressiv, sie würden niemals andere Völker erobern und sie unterjochen; sie sind friedfertig, wenn sie sich nicht angegriffen fühlen.

Samstag, 8. Januar 1944

In den Kroppeln, einem kleinen Kiefernwäldchen im Südwesten von Kall, unweit meiner besten Bienenweiden, wurde gestern, fünf Tage nach dem Absturz der Mitchell, ein amerikanischer Fallschirm in der Krone einer Kiefer entdeckt. Einem Besatzungsmitglied war es offensichtlich gelungen, sich aus der abstürzenden Maschine zu retten, es muss dann aber mit seinem Schirm in den Ästen hängengeblieben sein. Aus dieser Lage hatte der amerikanische Flieger sich wohl befreien und fliehen können, oder aber er war befreit worden. Sicher hielt er sich noch irgendwo versteckt. Ein Suchtrupp verfolgte die Spuren; der ganze Ort und die Umgebung waren voller Feldjäger, die jeden Winkel systematisch durchkämmten. Die Tatsache, dass es Spuren von zwei Männern gab, bei dem abgestürzten Flugzeug jedoch fünf Tote gefunden wurden, legt nahe, dass ein Soldat überlebt und jemand von hier ihm geholfen hatte. Die Suche dauerte bis es dunkelte; sie erstreckte sich sogar bis ins Bergschadensgebiet, eine gefährliche Gegend, die von geheimen unterirdischen Hohlräumen und Stollen durchzogen ist. Als Kind habe ich mit meinem Bruder dort oft in den Höhlen gespielt. Die Suchtrupps wagen sich nur zögerlich dorthin, weil immer die Gefahr besteht, in einen der zahllosen unterirdischen Gänge, einen Belüftungsschacht oder ein verdecktes Senkloch einzubrechen. Da mein Haus nicht weit von der Absturzstelle entfernt liegt, erschien abends ein Suchtrupp bei mir. Fünf Feldgendarme mit Maschinenpistolen inspizierten alle Zimmer, die Scheune und den Schuppen, der sich neben dem Bienenhaus an die Sandsteinfelsen drückt. Sie sahen sich auch in meiner kleinen Bibliothek um, einer von ihnen schaltete mein Radio ein und drehte an den Knöpfen herum. Sie fanden nichts. Alle verbotenen Bücher hatte ich schon vor Jahren in den Regalen der hiesigen Leihbibliothek versteckt, wo sie bestimmt niemandem auffallen würden. Die wichtigsten Sachen sind allerdings zusammen mit meinen täglichen Notizen sicher in einem doppelten Boden eines Bienenstockes verborgen.

Sonntag, 9. Januar 1944

Jetzt im Winter muss ich ausnahmsweise einmal mehr arbeiten als meine Bienen; sie konzentrieren sich in der frostigen Jahreszeit nur aufs Überleben, und das bedeutet für sie in erster Linie, die Kälte zu überstehen. Ihr Volk ist wie ein Organismus, der im Frühjahr einatmet, im Sommer ausatmet und im Herbst und Winter zur Ruhe kommt. Ich hingegen muss in dieser kalten Jahreszeit vieles für die nächste Saison vorbereiten. Ich arbeite zumeist im Werkzeugschuppen neben dem Bienenhaus, wo ich alles für die Herstellung des Honigs und das Schreinern der Beuten zur Verfügung habe. Die Zargen müssen gegebenenfalls repariert und neu gestrichen werden. Außerdem gibt es vieles andere, auf das ich achten muss, Wachsmotten zum Beispiel, deren Weibchen es immer wieder schaffen, in den Stock einzudringen; sie legen ihre Eier in die Waben und überziehen sie mit einem dichten Gespinst. Dafür inspiziere ich also auch im Winter regelmäßig meine Bienenvölker. Von Kollegen höre ich neuerdings häufiger, dass ihre Bienen unter der Nosema-Plage leiden, einem Parasiten, der bevorzugt Magen und Darm der Arbeiterinnen befällt und ganze Völker sterben lässt. Prof. Dr. Karl von Frisch nimmt als Grund für die anhaltende Abnahme der Bienenanzahl in den Völkern den Befall der Flugbienen mit Mikroben an. Sie kehren, von ihnen befallen, nicht mehr vom Honigsammeln zurück und sterben weit entfernt vom Stock; vielleicht verlieren sie durch diese Krankheit auch ihre Erinnerung an den Heimweg und irren so von Blüte zu Blüte, bis sie schließlich vor Erschöpfung sterben. Da so viele Bienen nicht in den Stock zurückkehren, wird immer weniger Futter eingebracht, was zusammen mit den übrigen Folgen des Bienenschwundes zum Verhungern des Volkes führen kann. Karl von Frisch ist jüdischer Abstammung; seine Forschungen über die Bienen und ihre Krankheiten müssen den Nazis sehr wichtig sein, sonst würden sie ihn nicht an der Universität weiterforschen lassen. Bisher konnte ich die Nosema-Krankheit bei meinen Bienen Gott sei Dank noch nicht beobachten. Manche Kollegen berichten, dass in diesem Winter einige ihrer Völker binnen kurzer Zeit einfach abgestorben sind. Daher frage ich mich, ob meine Bienen an den Kalköfen noch gesund sind. Ich kann dort oben an der Grenze jetzt nicht kontrollieren, mit dem Pferdefuhrwerk wäre ich fast den ganzen Tag unterwegs; ich überlasse diese Völker im Winter meist sich selbst, womöglich sind sie deshalb widerstandsfähiger als meine Bienen hier unten im Tal.

Dienstag, 11. Januar 1944

Am Nachmittag gehe ich hinunter in die Stadt ins Café Blasius; ich nenne es Café, aber es gibt dort nur eine kleine, gemütliche Sitzecke am Ladenfenster unweit der Bäckereitheke. Die Verkäuferin steht hinter der Theke und sieht zu mir hin. Sie hat mich einmal gefragt, was ich in mein Heft schreibe. Ich habe ihr geantwortet, ich schriebe über meine Bienen, so wie ein Kaufmann müsste auch ich täglich Buch führen, die Bienen wären meine Angestellten, sie würden den Honig produzieren und ich würde ihn verkaufen und für sie sorgen. Die Verkäuferin ist eine etwas naive, aber gutmütige Person, die eine kleine Hasenscharte hat und näselnd spricht; manchmal redet sie mit sich selbst und zählt die Brote oder summt leise vor sich hin. Ich sitze gern hier, trinke Malzkaffee, blicke auf den mit Kopfstein gepflasterten Marktplatz mit dem alten Brunnen aus löchrigem Kalkstein und die umliegenden kleinen Geschäfte. Nicht weit entfernt befindet sich die Bibliothek; daneben verschwindet eine Gasse zwischen der Kirchhofsmauer und niedrigen Bruchsteinhäusern, die an ihrer Front Balkone mit schmiedeeisernen Geländern haben.

In der Bibliothek vergewissere ich mich bei jedem Besuch, ob eine Nachricht für mich hinterlegt worden ist. Von dieser Regel darf ich keinen Fingerbreit abweichen. Die Kassiber stecken in einem der rindsledergebundenen Bände, die die Menge geförderten Bleierzes und die Löhne der Arbeiter in den Jahren 1850–1888 auflisten; niemand interessiert sich für diese wertlosen Zahlenkolonnen.

Nach meiner Arbeit in der Bibliothek besuche ich die Gaststätte am Rauschen, die meine Cousine Sanny zurzeit alleine führen muss. Ihr Mann, Vallentin, wurde vor drei Jahren zur Wehrmacht eingezogen und kämpft jetzt im Osten. Schon lange hat Sanny nichts mehr von Vallentin gehört und macht sich große Sorgen; die beiden waren gerade ein Jahr verheiratet, als er eingezogen wurde. Sie ist die Einzige, die weiß, dass ich Juden zur belgischen Grenze bringe und damit etwas hinzuverdiene. Ich verlange zweihundert Reichsmark pro Person für den Transport – zuerst kommt doch immer das Geld, dann erst die Tugend –, aber ich brauche viel Geld für meine Antiepileptika; seit dem Krieg sind kaum noch Medikamente zu bekommen, besonders für jemanden wie mich, der keinen Wert für die Volksgemeinschaft hat, der nach der Ideologie des Regimes ein Schmarotzer ist und eigentlich vernichtet gehört.

Auch tagsüber höre ich jetzt immer häufiger Feindflugzeuge. Martin B-26 Marauder, Lightning-, Maryland- und Lancaster-Bomber. Ich erkenne sie an ihren ganz speziellen Fluggeräuschen. Es sind große Kampfflieger, die ihre Bomben über den Städten und den Industrieanlagen des Ruhrgebiets abwerfen werden. Sie fliegen so hoch, dass man sie mit bloßem Auge nicht wahrnimmt, nur das Sonnenlicht lässt sie mitunter als Silbersterne in den Wolkenlücken aufblitzen.

Mittwoch, 12. Januar 1944

Der Himmel ist grau wie Zement, die Wolken hängen tief, sodass man fürchtet, sich irgendwo weit entfernt am Horizont den Kopf zu stoßen.

Feindflugzeuge sind heute wegen der dichten Wolkendecke nicht unterwegs, aber der Krieg ist doch immerzu anwesend; ein schrecklicher Dämon, der seit Menschengedenken existiert, versteckt in einem Winkel lauert und jederzeit unerwartet hervorkommen kann, um blindwütig die Natur und ihre Kreaturen zu schänden.

Ich gehe nicht wie sonst um diese Zeit in den Schuppen, die Magazinbeuten zu reparieren, sondern sitze stattdessen vorm Fenster an meiner Schreibmaschine, träume, sehne mich danach, dass die Bienen wieder ausfliegen, Nektar und Blütenstaub sammeln werden, dass ihre kleinen Körper im Sonnenlicht glitzernd schweben und ich, neben ihren Fluglöchern auf einem Hocker sitzend, ihrem Summen lausche. Meine Finger zittern, während ich dies hier schreibe, ich spüre den Schwindel, dem früher oft ein epileptischer Anfall folgte. Draußen wirbeln Schneeflocken, die Schatten der Zweige schweben überm Schnee; eine der verwilderten Katzen aus der Scheune schleicht durch den Garten und verschwindet hinterm Bienenhaus. Ich habe mehr und mehr das Gefühl, in einem riesigen kalten Raum zu leben, aus dem es kein Entrinnen für mich gibt, in dem meine Erinnerungen langsam erstarren werden. Ich habe damit begonnen, in meinem Bienentagebuch nun auch wichtige Erlebnisse und meine geheimsten Gedanken zu notieren. Arduum videtur res gestas scribere.[2] Ja, es ist gefährlich und schwierig, die Wahrheit aufzuschreiben. Aber ich widme meine Notizen nur den Bienen, denn ich weiß, dass sie mich verstehen und niemals verraten werden.

Donnerstag, 13. Januar 1944

Ich habe es heute nicht einmal bis in die Bibliothek geschafft, obwohl dort vielleicht eine Nachricht für mich deponiert sein könnte. Ich bringe nur noch wenige Flüchtlinge bis zur Grenze, der Fluchtweg ist in den letzten Jahren immer gefährlicher geworden. Vor dem Krieg nahm jemand, der das Reich illegal verlassen musste, den Linienbus nach Losheim oder Prüm. Er stieg unweit der Grenze aus, sprang über den Straßengraben und lief über die Felder und Wiesen in die Freiheit. Nach der Annexion Belgiens gab es diese Möglichkeit nicht mehr, die Organisation fand einen anderen, komplizierteren, aber relativ sicheren Weg. Ich wundere mich, dass ich immer noch von der Grenze rede, obwohl sie de facto nicht mehr existiert. Wenn jetzt Flüchtlinge kommen, steht in dem Buch, das ich gerade lese, am Rand mit Bleistift eine Signatur. Ich weiß nicht, wer die Signatur in das Buch schreibt; sie steht jedenfalls immer auf einer bestimmten Seitenzahl, und ich radiere sie aus, nachdem ich sie mir eingeprägt habe. Unter dieser Signatur finde ich dann einen Zettel vor, der mich über Treffpunkt, Uhrzeit und Anzahl der Flüchtlinge informiert. Habe ich die Flüchtlinge am angegebenen Ort abgeholt, führe ich sie auf dem langen Weg durch das Bergschadensgebiet zu ihrem Versteck, eine geheime Grotte unterhalb des Elefantenkopfes, die zwar auch auf viel kürzerem Weg direkt von meinem Haus aus erreichbar ist, was aber viel gefährlicher wäre. Wie die Wohnung einer Maus hat auch meine Höhle mehrere Ausgänge. In der Kindheit habe ich mit Alfons den Zugang zur Höhle im Garten zufällig entdeckt, und sie ist immer unser Geheimnis geblieben. Die Flüchtlinge bleiben unten im Versteck, bis ich die Anweisung bekomme, sie zur Grenze zu bringen. Wegen der Bienen muss ich noch vor Sonnenaufgang, bevor sie zum Sammeln ausfliegen, bei den Ruinen der römischen Kalkbrenneröfen im Grenzgebiet angekommen sein. Der Transport der Bienenvölker kann nur von den Abendstunden bis zum nächsten Morgen erfolgen. Die Flüchtlinge kauern während der Nachtfahrt in eigens von mir konstruierten Bienenkästen; um sie herum platziere ich zusätzlich Beuten mit besonders stechfreudigen Völkern. Im letzten Sommer transportierte ich ein kleines Mädchen. Unterwegs wurde ich von Feldgendarmen angehalten. Ich erklärte, dass ich meine Bienen zu ihren Weiden an der Grenze brächte, dass ich sie nachts in den Kästen transportieren müsse, weil sie tagsüber zum Sammeln ausflögen; daher sei es nur möglich, sie nach Anbruch der Dunkelheit, wenn sie alle wieder in ihren Stöcken seien, von einem Standort zu einem anderen zu bringen. In der Regel geben sich die Gendarmen mit meinen Erklärungen zufrieden, und ich werde nicht aufgefordert, meine Bienenkästen zu öffnen; ich zeige lediglich meinen Passierschein vor und darf weiterfahren. Damals aber untersuchten die Gendarmen das Fuhrwerk, verlangten, dass ich alle Magazine aufmache. Ich warnte sie vor den Stichen der in ihrer Ruhe gestörten Bienen, doch die Gendarmen bestanden weiterhin darauf, in die Stöcke zu schauen. Mit Maschinenpistolen liefen sie um das Fuhrwerk herum und leuchteten mich zwischendurch immer wieder an, während ich die Zargen von den Ständen abhob. Abertausende Bienen strömten heraus und formierten sich zu einem großen, dunklen Schwarm. Das Mädchen kauerte regungslos im Versteck. Die Bienen flogen auf der Suche nach ihrer Königin in den Kasten, in dem die Kleine hockte. Sie hatten sie bald umhüllt und so unsichtbar gemacht. Bienen sind, wenn sie ausschwärmen, nicht aggressiv, sie wollen nur zu ihrer Königin und haben nichts anderes im Sinn, als sie zu beschützen, denn ohne sie ist ein Volk völlig hilflos und stirbt. Ich hatte der Kleinen vorsorglich Lockenwickler mit Königinnen am Kleid befestigt.

Freitag, 14. Januar 1944

Im Bienenhaus in meinem Garten kann ich zwanzig bis fünfundzwanzig Völker mit jeweils etwa 50.000 Bienen halten, darüber hinaus bis zu vierzig Stöcke auf Feldern und Wiesen im Urftland. Meine Bienen gehören zur Art der Carnica, genauer zu einer Unterart der apis mellifera Carnica. Diese Art war ursprünglich in den Regionen südlich der Alpen beheimatet und dort wegen der geographischen Lage vollkommen standorttreu. Apis mellifera Carnica ist erst seit dem späten Mittelalter im Urftland als heimisch beurkundet und hat im Laufe der Jahrhunderte die hier ursprünglich bevorzugt lebende dunkle westliche Biene (apis mellifera Linnaeus), auch Braunelle genannt, fast gänzlich ersetzt. Gründe dafür waren die größere Volksstärke der Carnica und der höhere Honigertrag sowie eine geringere Stechlust. Carnica ist etwa so groß wie der Fingernagel eines kleinen Mädchens, ihr Körper ist bedeckt mit einem gefiederten, pelzartigen Chitin-Haarkleid. Sie hat schöne Facettenaugen, wundersame Sensoren für Schwingungen, Gerüche und Geräusche; in ihrem kleinen Gehirn entsteht so das Bild einer Welt, die ganz anders aussieht als die unserer Wahrnehmung. Im Winter ist die Anzahl der Carnica in all meinen Völkern auf rund ein Viertel reduziert; es leben jetzt gerade so viele Bienen, wie nötig sind, um die Königin und die bald zu erwartenden Larven des Volkes zu ernähren und warm zu halten. Mit der Frühjahrsblüte explodiert die Anzahl der Bienen wieder. Das ganze Frühjahr und den Sommer über tragen sie Pollen und Nektar ein; die Sommerbienen sammeln so unermüdlich, dass sie schon nach wenigen Wochen vor Erschöpfung sterben und dann immer wieder durch eine neue Generation ersetzt werden.

Den Bauern überlasse ich einen Teil des im Sommer und Herbst geernteten Honigs, sie profitieren überdies durch die Bestäubung ihrer Weißkleefelder und Obstwiesen. Vater hatte bis zu seinem Tod über hundertdreißig Bienenvölker, ich besitze gerade noch achtzig, die alle von seinen Bienen abstammen. Vielleicht sind unsere Bienen die Nachfahren der Völker des Ambrosius und vielleicht besitze ich die Bienen gar nicht, sondern sie besitzen mich; vielleicht sind wir alle, auch die Bienen, Teil eines geheimnisvollen und erbarmungslosen unsterblichen Organismus.

Montag, 17. Januar 1944