Christian Jostmann
Magellan
oder
Die erste Umsegelung der Erde
C.H.Beck
Am 10. August 1519 stechen von Sevilla aus fünf Schiffe in See. Ihnen steht eine Fahrt ins Ungewisse bevor. Sie sollen im Auftrag Kaiser Karls V. eine Passage zu den Molukken finden, den legendären Gewürzinseln im Fernen Osten, wo unermessliche Reichtümer locken: Nelke, Muskat und andere Spezereien, die auf den europäischen Märkten Höchstpreise erzielen. Die Route nach Osten, um das Kap der Guten Hoffnung, dürfen die spanischen Schiffe nicht nehmen, weil sie von den Portugiesen blockiert wird. Den Seeweg nach Westen versperrt ihnen die eben erst entdeckte Neue Welt. Ein Portugiese namens Fernão de Magalhães, der als Magellan in die Geschichte eingehen wird, ist überzeugt, dass es ganz im Süden Amerikas eine Durchfahrt gebe. So bricht Magellan mit 240 Mann zu einer abenteuerlichen Entdeckungsreise auf.
Als sich die Suche in die Länge zieht und nach Monaten auf See die ersehnte Passage noch immer nicht in Sicht ist, wird die Mannschaft unruhig. Herbststürme setzen den Schiffen zu, die Küste ist karg und abweisend, und der Proviant geht zur Neige. Es droht nicht nur Meuterei, sondern das ganze Unternehmen steht vor dem Scheitern. Doch Magellan ist entschlossen, die Molukken zu erreichen – koste es, was es wolle …
Christian Jostmann erzählt – gestützt auf profunde Quellen- und Forschungskenntnisse – die dramatische Geschichte der ersten Weltumsegelung. Er zeichnet ein zeitgemäßes Porträt ihres Helden Magellan und entwirft zugleich ein farbiges Panorama der beginnenden Neuzeit.
Christian Jostmann ist promovierter Historiker und arbeitet als freier Publizist. Näheres zum Autor unter: www.jostmann.at. Im Verlag C.H.Beck sind bereits von ihm erschienen: Nach Rom zu Fuß. Geschichte einer Pilgerreise (22007); Das Eis und der Tod. Scott, Amundsen und das Drama am Südpol (2011).
Karten
Prolog
1. Eine Meerenge bei 52° Süd
2. Indische Lehrjahre
3. Prozesse und Profite
4. Die Kapitulation
5. Eine Armada von fünf Schiffen
6. He, da am Bug, seid wachsam!
7. Land des Wahren Kreuzes
8. Meuterei
9. Nichts als Himmel und Salzwasser
10. Die Inseln der Bemalten
11. Piraten der Sulusee
12. Der Kreis schließt sich
13. Ein verlorener Tag
14. Die große Abrechnung
15. Magellan – der Mensch und sein Mythos
Bibliographisches Nachwort
Anmerkungen
1. Eine Meerenge bei 52° Süd
2. Indische Leerjahre
3. Prozesse und Profite
4. Die Kapitulation
5. Eine Armada von fünf Schiffen
6. He, da am Bug, seid wachsam!
7. Land des Wahren Kreuzes
8. Meuterei
9. Nichts als Himmel und Salzwasser
10. Die Inseln der Bemalten
11. Piraten der Sulusee
12. Der Kreis schließt sich
13. Ein verlorener Tag
14. Die große Abrechnung
15. Magellan – der Mensch und sein Mythos
Bibliographisches Nachwort
Bildnachweis
Personenregister
Ortsregister
Wer von Europa über den Äquator hinaus nach Süden fährt und in den Nächten den Sternenhimmel betrachtet, dem dürften irgendwann zwei wolkenartige Flecken auffallen, ein größerer und ein kleinerer, die Nacht für Nacht an derselben Stelle zu schweben scheinen. Das sind unsere kosmischen Nachbarn, die beiden zu unserer Milchstraße nächstgelegenen Galaxien.
Bei uns heißen diese beiden Galaxien seit geraumer Zeit «Magellansche Wolken». Wer auch immer ihnen den Namen gegeben hat, wollte damit einen Mann ehren, der sie weder als erster Mensch gesehen noch etwas zu ihrer Erforschung beigetragen hatte, dessen Blick aber oft auf ihnen geruht haben muss – ein portugiesischer Ritter und Seefahrer namens Fernão de Magalhães. Von ihm handelt dieses Buch.
In gewissem Sinn besitzen wir über diesen Mann geringere Kenntnisse als über die himmlischen Objekte, denen er seinen Namen leiht. Wir wissen weder, wie er aussah, noch, wann er geboren wurde. Was seine Größe und sein Gewicht betrifft, so ist nur bekannt, dass er wohl nicht sehr stattlich war. Immerhin kennen wir das Datum und den ungefähren Ort seines Todes: Er starb am 27. April 1521 auf der philippinischen Insel Mactan während einer langen Schiffsreise, die bald darauf als erste Umsegelung der Erde in die Geschichte eingehen sollte. Magalhães hatte diese Expedition mitinitiiert und bis zu seinem Tod geleitet. Dafür wurde ihm die Ehre zuteil, dass heute 20 Milliarden Sterne – so viele sollen beide Magellansche Wolken zusammen umfassen – seinen Namen tragen.
Nur die wenigsten Helden der Antike wurden so weit zu den Sternen entrückt: Herkules, Perseus, Orion … Eine solche Ehre kam nicht einmal Odysseus zu, mit dessen mythischer Irrfahrt man die Reise des Magalhães oft verglichen hat. Ja, seine Reise ist in dem halben Jahrtausend, das seither vergangen ist, ihrerseits zu einem Mythos geworden, der wieder und wieder erzählt wird – so auch in diesem Buch.
Sein Autor hat sich bemüht, dem Mythos von der ersten Erdumsegelung kritisch zu begegnen und ihren berühmten Helden von den Sternen auf die Erde zurückzuholen, sofern das möglich ist. «Mythos und Realität zu trennen», hat Sanjay Subrahmanyam gewarnt, «ist naturgemäß eine Aufgabe, der sich ein Historiker mit Unbehagen nähern muss, denn während Geschichte der Stoff ist, aus dem Mythen gemacht werden, ist die Erschaffung von Mythen ein integraler Bestandteil des historischen Prozesses.» Letztlich kann auch jemand, der einen Mythos hinterfragen will, selbst nur wieder eine Geschichte erzählen.
Darum versetzt das erste Kapitel dieses Buch seine Leserinnen und Leser unvermittelt vor die Westküste Südamerikas und in den Oktober des Jahres 1520, als eine kleine, vom kastilischen König entsandte Flotte ihrer größten Bewährungsprobe entgegensegelte. Danach nimmt der Autor die Spur ihres Kommandanten auf, folgt seinem Werdegang bis zum Ende und berichtet von den Schicksalen seiner Gefährten, die er zurückließ und die seine Reise vollendeten.
Im Oktober 1520 kreuzten durch die Bahía Grande vor der Küste Patagoniens vier Schiffe gegen starken Wind. Schlag um Schlag arbeiteten sie sich nach Süden vor. Die Steuermänner achteten darauf, dem Land weder zu nahe zu kommen noch es aus den Augen zu verlieren. Wieder und wieder riefen sie zum Wenden, und die Männer sprangen auf ihre Plätze. Heisere Kommandos flogen über Deck, die der Wind zerriss. Dutzende Hände griffen in die Schoten des Großsegels, lösten die Lee-Brassen und holten hastig ein, sobald sich ächzend die Rahen drehten. Sie hatten dieses Manöver schon ungezählte Male ausgeführt, beherrschten jeden Handgriff im Schlaf.
In den kurzen Nächten halfen Kompass und Sterne den Kurs halten. Ein Schiff übernahm die Führung und wies den anderen mit dem schwachen Schein seiner Hecklaterne den Weg. Wenn es Zeit für die nächste Wende war, wurde ein zweites Licht angezündet, als Signal für die Nachfolgenden.
Generationen von Zimmermännern waren nötig gewesen, um diese Schiffe zu entwickeln – Wunderwerke aus Holz, die man «Naos» nannte, um sie von den kleineren Karavellen und den geruderten Galeeren zu unterscheiden. Das größte, die «San Antonio», maß vom Heck zum Bugspriet gute 25 Meter und fasste in seinem bauchigen Rumpf 120 Tonnen. Die «Trinidad», das Flaggschiff, war geringfügig kleiner, gefolgt von der «Concepción» und der «Vitoria». Alle trugen drei Masten, die vorderen mit viereckigen Großsegeln und der hintere mit einem Lateinersegel. Am Bug und achtern türmten sich, ein bis zwei Stockwerke hoch, Kastelle auf, und an den Mastspitzen wehten die Burgen Kastiliens neben den Löwen Leons, den Ruten Aragóns und dem Burgunderkreuz, ein Geflatter in den Farben Rot, Gelb und Weiß: die Banner des Königs von Spanien.
Der Befehlshaber dieser Armada[1] stammte allerdings aus Portugal. Als kleinwüchsig und unscheinbar beschrieb ihn ein Zeitgenosse, aber «wacker in seinen Gedanken und zu großen Taten aufgelegt». Als einen, «der nicht leicht unterzukriegen war, denn er schien beherrscht und couragiert». Wie um das zu betonen, prangte auf seiner schwarzen Hemdbrust blutrot das Schwertkreuz des Ordens von Santiago. Er hinkte leicht – Nachwirkung einer Lanze, die ihn einst in Afrika am Bein getroffen hatte. Dieser Ordensritter, der zwischen dreißig und vierzig Jahre alt sein mochte, nannte sich «Fernão de Magalhães», gesprochen etwa «Magaljains», wir sagen einfach Magellan. Seine Untergebenen hatten ihn mit «Generalkapitän» anzureden.
Sie zählten zu diesem Zeitpunkt um die 230 Seelen, soweit wir wissen, alle männlichen Geschlechts. Der Jüngste war gerade sieben Jahre alt, die Mehrheit zwischen 15 und 25, Einzelne reichten an die Fünfzig – eine bunt gemischte Gesellschaft aus aller Herren Länder. Viele Portugiesen waren darunter, etliche Genuesen, daneben Sizilianer, Griechen und Franzosen, einige Flamen und Deutsche, ein paar Iren, Afrikaner, Araber, ein Malaie, ein Inder aus Goa, zwei Patagonier. Letztere waren nicht freiwillig an Bord und als Einzige nicht getauft. Der Großteil der Besatzung kam indes aus Andalusien und der Biskaya. Alle hatten dem Generalkapitän Gehorsam geschworen, und der hatte dem König von Spanien versprochen, einen neuen Weg zu den Molukken zu finden, der nicht durch das Herrschaftsgebiet seines Onkels und Schwagers, des Königs von Portugal, führte. Die Gewürze, die auf diesen entlegenen Inseln wuchsen – vor allem Nelke und Muskatnuss –, hatten dem portugiesischen König großen Reichtum beschert, nun wollte der Neffe auf dem kastilischen Thron auch seinen Anteil.
Weil aber die östliche Hälfte der Welt nach Gottes Ratschluss Portugal zugefallen war, musste der neue Weg zu den Molukken im Westen liegen. Dort lag aber noch etwas: eine «Neue Welt», wie das Genie von einem Florentiner – Amerigo Vespucci – das gewaltige Festland genannt hatte, das sich beiderseits des Äquators nach Norden und Süden ausstreckte und das allen, die weiter nach Westen fahren wollten, den Weg versperrte. Magellan hatte behauptet, er wüsste von einer Meerenge auf der Südhalbkugel, die auf die andere Seite führe. Inzwischen waren ein Jahr und ein Monat vergangen, seitdem die Armada Sanlúcar an der spanischen Atlantikküste hinter sich gelassen hatte, sie passierte den 50. Grad südlicher Breite, und an Steuerbord war weiterhin nichts als Land in Sicht, eine eintönig braune Linie, die sich schon über Tausende von Meilen hinzog und kein Ende nehmen wollte. Ein Schiff hatten sie bereits verloren und zwei Kapitäne ihre Köpfe wegen Meuterei. Ein dritter irrte mit einem Priester durch die Steppe Patagoniens, wo der Generalkapitän sie ausgesetzt hatte.
Zwei Tage kreuzte die Flottille nach Süden, am dritten drehte der Wind. Sie fuhren eine Weile mit guter Brise nach Südsüdwest, da tat sich an der Küste etwas: «Am 21. des genannten Monats maß ich fünf Leugen[2] vom Land die Sonnenhöhe: saubere 52 Grad, und dort sahen wir eine Öffnung wie einen Meerbusen, und sie hat am Eingang rechter Hand eine sehr lange Zunge aus Sand, und das Kap, das wir vor dieser Zunge entdeckten, nennt sich das Kap der Jungfrauen.»
Der, der das schrieb, nannte sich selbst Francisco Albo, stammte von der Insel Rhodos, war verheiratet und fuhr als Contramaestre, das heißt als Bootsmann, auf der Trinidad. Wichtigste Aufgabe eines Bootsmannes war es, mit Pfeife und Knute bewaffnet die Matrosen die Takelage hinaufzuscheuchen, damit sie die Befehle des Steuermannes korrekt ausführten. Schreibkünste waren dafür unnötig. Viele von Albos Kollegen konnten nicht einmal ihren Namen buchstabieren. Doch dieser Grieche wusste offenbar nicht nur mit dem Federkiel umzugehen, sondern auch mit dem Handwerkszeug seiner Vorgesetzten: mit dem Quadranten zur Messung der Sonnenhöhe und den nautischen Tabellen zur Berechnung der geographischen Breite. Er muss folglich ein gescheiter Kerl gewesen sein. Entweder aus eigenem Antrieb oder weil seine Chefs sein Talent erkannten, führte Albo ein Logbuch – das einzige, das von der ersten spanischen Molukken-Expedition übrig geblieben ist. Ein Mann großer Worte war der Bootsmann der Trinidad allerdings nicht. Seine Notizen lesen sich wie frühmittelalterliche Annalen: Sie sagen nur das Allernötigste.
Aufs frühe Mittelalter geht auch die Legende von der bretonischen Königstochter und Rompilgerin Ursula zurück. Diese, so wird erzählt, fuhr mit 11.000 jungfräulichen Begleiterinnen per Schiff den Rhein hinab, als sie bei Köln den Hunnen in die Arme liefen und das Martyrium erlitten. Viele Seefahrer fühlten sich den tapferen Jungfrauen verbunden. So nannte auch Magellan jene Landspitze bei 52° Süd, die er am 21. Oktober, dem Gedenktag der heiligen Ursula, erstmals sichtete, «Kap der Jungfrauen» (spanisch «Cabo Vírgenes»).
Der Matrose Ginés de Mafra, der auf der Trinidad mitfuhr und viele Jahre später seine Erinnerungen zu Papier bringen ließ, berichtet, der Anblick des Meerbusens hinter dem Kap der Jungfrauen habe den Generalkapitän in ein Wechselbad der Gefühle gestürzt. Magellan sei, «ohne zu wissen, was es war», in die Bucht hineingefahren: «Hier war er sehr nachdenklich, bisweilen froh, bisweilen traurig, denn sobald es ihm dünkte, dass dies die Meerenge war, die er verheißen hatte, freute er sich so, dass er vergnügte Dinge sagte; dann wurde er traurig, wenn ihm durch irgendeine Einbildung dünkte, dass sie es nicht war.»
Am Morgen schickte der Generalkapitän die San Antonio und die Concepción auf Erkundungsfahrt. Der Kapitän der Concepción, Juan Serrano, war ein sehr erfahrener Steuermann, und die San Antonio hatte den fähigsten Navigator der ganzen Flotte an Bord, den Portugiesen Estevão Gomes. Magellan blieb derweil mit den übrigen Schiffen zurück und übernahm die schwierigste Aufgabe: Warten.
Nachts zog ein Sturm auf und blies so fürchterlich aus Nordost, dass sie Anker einholen und die Schiffe der Drift überlassen mussten – endlose Stunden voller Angst, Übelkeit und Gebete. Als sich die See zu Mittag wieder beruhigte, waren die Trinidad und die Vitoria gottlob noch beisammen, aber nun galt ihre Sorge den beiden anderen Schiffen. Was mochte der Sturm mit ihnen gemacht haben?
In diesen Stunden des Bangens dürfte sich eine Episode ereignet haben, von der einige Geschichtsschreiber berichten: Das Beiboot wurde zu Wasser gelassen, und an den Riemen nahmen zehn Männer Platz. Das Kommando erhielt João Carvalho, auch er ein portugiesischer Steuermann. Carvalho sollte mit seinem Trupp ans nördliche Ufer rudern, wo eine Anhöhe Aussicht versprach. Wir können nur vermuten, welchen grasbewachsenen Hügel die Kundschafter erklommen und was sie von dort aus erspähten. Im Norden wird sich die patagonische Steppe und südwärts der Meerbusen ausgebreitet haben, das eine wie das andere eine menschenleere, in Wellen dahinwogende Einöde. Doch als sie landeinwärts gingen, stießen sie «nach dem Drittel einer Leuge auf ein Haus, in dem es zweihundert Grabstätten von Indianern gab», und auf dem Rückweg «auf einen riesigen toten Wal, direkt am Ufer, und noch viele andere Knochen dieser Tiere, woraus sie schlossen, dass dies ein Land großer Stürme war». Was die Männer beim Anblick dieser zwei Friedhöfe in der Einöde empfanden, ist nicht überliefert. Ihre Funde waren jedenfalls kaum geeignet, die Nerven der Kameraden zu beruhigen, die auf der Trinidad und der Vitoria noch immer auf Nachricht von den beiden anderen Schiffen warteten.
Unter denen, die die Qual des Wartens mit Magellan teilten, befand sich auch ein junger Adliger aus der norditalienischen Stadt Vicenza. Er hieß Antonio Pigafetta und war 1519 in päpstlichen Diensten durch Spanien gereist. Als er dort hörte, dass der König eine Armada zu den Molukken ausrüsten ließ, heuerte er kurzerhand an, um «solche Dinge zu sehen, die mir womöglich einige Befriedigung und bei der Nachwelt einen gewissen Namen verschaffen könnten». An Bord der Trinidad übte Pigafetta keine besondere Funktion aus. Er zählte zu den «Sobresalientes», den «Überragenden», die je nach Bedarf für alle möglichen Aufgaben herangezogen wurden. In seiner freien Zeit schrieb Pigafetta ein Tagebuch, das er nach seiner Rückkehr zu einer Erzählung ausarbeitete. So entstand nicht nur der ausführlichste Bericht, der von Magellans Armada erhalten ist, sondern ein Meisterwerk der Reiseliteratur, das bis heute nichts von seiner Frische und Farbigkeit eingebüßt hat. Der unbefangene Individualismus, der aus ihm spricht, klingt in unseren Ohren so vertraut, als ob der Autor einer von uns Menschen des 21. Jahrhunderts gewesen wäre.
«Und wie wir so angespannt waren», schilderte Pigafetta jene langen Stunden des Wartens, «sahen wir mit einem Mal zwei Schiffe auf uns zukommen, mit vollen Segeln und wehenden Fahnen. Und als sie schon nahe bei uns waren, feuerten sie plötzlich mehrere Salven ab, und wir antworteten mit Freudengeheul.»
Kurz darauf traten die Rückkehrer zum Rapport an: Der Sturm jener Nacht habe sie tief im Innern des Meerbusens gepackt und gegen das Land gedrückt. Verzweifelt hätten sie versucht, ein Kap zu umrunden und offenes Gewässer zu erreichen, doch der Versuch scheiterte, und sie wurden in eine Bucht getrieben – bei auflandigem Sturm eine tödliche Gefahr für Segelschiffe. Und so wähnten sie sich schon dem Untergang geweiht, «aber als sie ans Ende der Bucht kamen und dachten, sie seien verloren, sahen sie eine kleine Mündung, die nicht wie eine Mündung wirkte, sondern wie ein Zipfel, und in ihrer Hilflosigkeit warfen sie sich da hinein, und so entdeckten sie durch Zufall die Meerenge. Denn als sie sahen, dass es kein Zipfel war, sondern ein Engpass zwischen Land, fuhren sie voran und fanden noch eine Bucht. Danach fuhren sie weiter und fanden noch einen Engpass und noch eine Bucht, größer als die beiden ersten. Hocherfreut kehrten sie sogleich zurück, um es dem Generalkapitän zu erzählen.» Sogleich heißt, nachdem sich der Wind gedreht hatte und ihnen gestattete, die Gegenrichtung einzuschlagen, denn in den Engstellen konnten sie nicht gegen den Wind kreuzen.
«Nachdem wir alle gemeinsam Gott und der Jungfrau Maria gedankt hatten», schloss Pigafetta seinen Bericht, «brachen wir auf, um die Suche fortzusetzen.» Über die Besprechungen, die diesem Entschluss vorangingen, verlor der Autor kein Wort. Magellan muss den Steuermännern Gomes und Serrano noch manche Frage gestellt haben, bevor er Segel setzen ließ: Wie schmal waren die Engpässe, die sie gefunden hatten, und wie breit die Buchten? In welcher Himmelsrichtung lagen sie? Wie tief war das Wasser? Wie stark und wohin strömte es? Wie waren die Ufer beschaffen? Gab es sichere Ankerplätze, Trinkwasser, Holz? Anzeichen von menschlicher Besiedlung?
Antworten auf einige dieser Fragen finden wir in der zweiten «Dekade» des Antonio de Herrera y Tordesillas. Dekade deshalb, weil sein Werk die Anfänge des spanischen Kolonialreichs in Amerika nach dem Vorbild antiker römischer Geschichtsschreibung Jahrzehnt für Jahrzehnt abhandelt. Das Werk ist so monumental wie sein Titel: «Allgemeine Geschichte der Taten der Kastilier auf den Inseln und Festland des ozeanischen Meeres, die sie Westindien nennen». Es erschien ab 1601 in Madrid, also viele Jahrzehnte nach Magellans Expedition. Dennoch kann es deren Fahrt nachvollziehen helfen, weil der Autor als Hofchronist der spanischen Könige Zugang zu Originaldokumenten besaß, die heute verschollen sind.
Bei Herrera liest man nichts von dem Sturm, den Pigafetta erwähnte. Ihm zufolge gingen die San Antonio und die Concepción getrennt auf Erkundungsfahrt, und allein die San Antonio kehrte mit der Erfolgsmeldung zurück, die Einfahrt zu einer Wasserstraße gefunden zu haben, die offensichtlich kein Binnengewässer, sondern Teil des Ozeans war. Denn sie seien drei Tage gefahren, ohne an ein Ende zu kommen, erklärten die Schiffsführer. Dabei hätten sie ständig das Lot geworfen und manches Mal keinen Grund erreicht. Und weil es ihnen schien, dass die Strömungen stärker seien als die Abflüsse bei Ebbe, sei es unmöglich, dass dieser Meeresarm nicht weiterführe.
Magellan, den Propheten einer Südwestpassage, müssen diese Neuigkeiten geradezu elektrisiert haben. Etwa vier Jahre war es her, dass er begonnen hatte, die Schriften der Kosmographen und die neuesten Weltkarten zu studieren. Diese Studien hatten ihn davon überzeugt, dass es im Süden Amerikas einen Seeweg nach Asien geben müsse, und seither hatte Magellan sein Leben dem Ziel geweiht, diesen Seeweg als Erster zu befahren und zum Herrn der Länder ernannt zu werden, die er auf der anderen Seite entdecken würde. Für dieses Ziel hatte er seine Heimat verlassen und war in den Dienst eines anderen Königs getreten, er hatte aufs Erbteil verzichtet und sein bescheidenes Vermögen aufgebraucht, seine schwangere Frau und den kleinen Sohn hatte er in der Obhut des Schwiegervaters zurückgelassen, hatte sich mit verständnislosen Bürokraten und arroganten Höflingen herumgeschlagen, hatte Demütigungen hinnehmen, Intrigen überstehen müssen und den Hass der halben Mannschaft auf sich gezogen, die ihm nach monatelanger Fahrt über den Ozean und angesichts der Kälte und Kargheit Patagoniens nicht mehr folgen wollte, ja am Ende war er sogar über Leichen gegangen – all das nur, um diesen Weg aufzudecken! Und der schien jetzt zum Greifen nahe.
Einen Monat nach der Umrundung des Jungfrauenkaps steckte Magellans Flotte noch immer in der mutmaßlichen Meerenge. Diese hatte inzwischen einen Namen bekommen – «Kanal aller Heiligen» – und die Armada ein weiteres Schiff verloren. Die San Antonio war verschwunden, nicht zurückgekehrt von einer Erkundungsfahrt, zu der Magellan sie entsandt hatte. Mit ihr fehlten rund 60 Mann Besatzung und ein erheblicher Teil des Proviants.
An diesem Punkt war die Expedition nach den Angaben des verlässlichen Albo gut 50 Leugen tief in die Mündung vorgestoßen, die bis dahin im Wesentlichen von Nordost nach Südwest verlief, bei 53° Süd aber einen scharfen Knick nach Nordwesten machte und sich merklich verengte. Die Küstenlandschaft, wenige Meilen vorher noch eben und karg, hatte sich gänzlich verändert. In diesem Bereich, schrieb Albo, «gibt es viele Buchten, und die Berge sind sehr hoch und mit Schnee und viel Wald bedeckt».
Weil diese dürren Worte kaum einen Eindruck von dem Panorama vermitteln, das sich dem Autor und seinen Gefährten darbot, sei die Schilderung eines anderen Reisenden zitiert. Charles Darwin betrachtete, als er 1834 auf der «Beagle» dieselben Gewässer befuhr, «gerundete Berge, kaschiert von unzugänglichen Wäldern, die vom Regen durchtränkt sind, den eine endlose Folge von Stürmen bringt … Nie sah ich eine freudlosere Landschaft; die dämmerigen Wälder, gescheckt vom Schnee, waren nur undeutlich zu sehen durch die nieselig trübe Atmosphäre. Immerhin wurde uns das Glück zweier schöner Tage zuteil. An einem davon bot Mount Sarmiento, ein ferner, 6800 Fuß hoher Berg, ein prächtiges Schauspiel.» Zwar besuchte Darwin diese Breiten zu einer anderen Jahreszeit als Magellan, aber der Eindruck wird nicht grundverschieden gewesen sein, ist doch das Wetter an der Südspitze Amerikas weniger von den Jahreszeiten als vom Westwind geprägt.
Unablässig bläst der Wind gegen die südlichsten Ausläufer der Anden, die hier mit Grandezza im Meer versinken, und gibt die Feuchtigkeit, die er über Tausende Meilen vom Meer aufgenommen hat, wieder ab. Darum liegt auf den Gipfeln der Berge das ganze Jahr über Schnee, und ihre Flanken sind bis zur Wasserlinie herab von modrigen Wäldern überwuchert, deren ewiges Grün nur manchmal von flüchtigen Sonnenflecken erhellt wird. Fast immer bedecken Wolken den Himmel und oft auch Berge und Täler. Häufig fällt Regen, den der Wind in Böen über das graue Wasser peitscht. Von den Bergen stoßen immer wieder ohne Vorwarnung so heftige Böen herab, dass sie ein Schiff in gefährliche Schlagseite bringen können, und an manchen Stellen drohen tückische Querströmungen. Ein Segler, der sich in diese Gewässer wagt, muss ständig auf der Hut sein. «Das Schlimmste aber war, dass zuweilen zwei oder drei dieser Winde zusammenkamen und sich trafen, als wenn sie in einem Körper wären; ihre Kräfte, zu einer einzigen vereinigt, fielen so heftig in die See, herumwirbelnd, oder wie die Spanier sagen: ‹tornado›, dass sie gleichsam in die Eingeweide der See stießen und sie schwellen ließen auf allen Seiten …», stöhnte Francis Fletcher, der 1578 als Bordkaplan von Francis Drake dieselbe Wasserstraße durchfuhr.
Um sich in einer solchen Umgebung wohlzufühlen, brauchte man schon das sonnige Gemüt eines Pigafetta: «Ich glaube nicht, dass es auf der Welt eine schönere und bessere Meerenge gibt als diese», schwärmte der Edelmann aus Vicenza und listete all ihre Vorzüge auf: sichere Ankerplätze alle paar Meilen, das beste Holz (wenn auch keine Zedern), Fisch, Sardinen, Miesmuscheln, wilder Sellerie und ein süßes Gras, «das rund um die Quellen wächst und das wir tagelang aßen, weil wir nichts anderes hatten».
Denn der Proviant ging langsam, aber unaufhaltsam zur Neige. Heringe und wilder Sellerie, in Öl oder Essig eingelegt, waren nichts, was einen Matrosen langfristig bei Kraft und Laune halten konnte. Dazu brauchte es wenigstens noch Zwieback, Öl und vor allem Wein. Weder Pigafetta noch Albo schrieben etwas darüber, auch Ginés de Mafra und andere Augenzeugen schwiegen sich aus, aber die Stimmung unter den Leuten muss mies gewesen sein und alle Hoffnung, die bei der Einfahrt in die Mündung aufgeflammt war, erloschen. Und nun war zu allem Übel auch noch die San Antonio verschollen!
Tagelang suchten sie Buchten und Seitenkanäle ab, die Vitoria fuhr gar bis zur Einfahrt zurück – vergebens. Das größte Schiff der Armada blieb mitsamt seiner Besatzung, darunter der Vetter des Generalkapitäns, unauffindbar. Resigniert gingen die Übrigen bei einer Flussmündung vor Anker, vermutlich in einer Bucht unweit des heutigen Cabo Froward. Die Meerenge verlief in diesem Abschnitt, wie Albo erklärte, in Richtung Nordwestwest, «und im Weg liegen viele Inseln». Wegen dieser Inseln, weil sie den Weg zu versperren schienen und weil ein Stück weiter südlich mehrere Kanäle abzweigten, hatte Magellan die Armada hier geteilt und die San Antonio auf jene Erkundungsfahrt geschickt, von der sie nicht wiedergekehrt war. Was mochte mit ihr geschehen sein? Sie wäre nicht das erste Schiff gewesen, das mit Mann und Maus unterging. Aber in Kanälen wie diesen, wo das Ufer niemals weit war, hätten sich da nicht ein paar Leute retten müssen und Zeichen gegeben? Die Sache war ein Rätsel. Um Klarheit zu erlangen, ließ der Generalkapitän den Astrologen rufen. San Martín sollte ein Horoskop errechnen.
Andrés de San Martín war der Intellektuelle der Expedition, ein Studierter, der sich ein profundes Wissen der Astrologie und Kosmographie und dadurch den Titel eines «Steuermannes Seiner Hoheiten» erworben hatte. Der König unterschrieb am 22. Mai 1512 eigenhändig die Ernennungsurkunde. In den folgenden Jahren bemühte sich San Martín erfolglos darum, zum «Piloto Mayor» ernannt zu werden, zum obersten königlichen Steuermann. Schließlich schiffte er sich auf Magellans Armada ein, in Sevilla eine minderjährige Tochter zurücklassend, um die sein Bruder sich kümmern sollte.
An Bord der Vitoria setzte der Gelehrte seine Studien fort. Stundenlang saß er über Büchern, deren Seiten eng bedruckt waren mit kryptischen Tabellen: den Almanachen des Regiomontanus und des Abraham Zacuto, die für jeden Kalendertag die Positionen der wichtigsten Himmelskörper auflisteten. In klaren Nächten und wenn der Seegang es zuließ, sah man ihn an Deck seine Instrumente auswickeln, Astrolabium, Quadrant und Jakobsstab, mit denen er am Firmament allerlei Abstände maß, zwischen Mond und Planeten, Fixsternen und Horizont. Leider sind San Martíns Aufzeichnungen verloren gegangen. Sie fielen den Portugiesen in die Hände, gelangten nach Lissabon und wurden vermutlich im großen Erdbeben von 1755 vernichtet. Nur ein paar Auszüge haben ihren Weg in Chroniken gefunden. Dadurch wissen wir, was bei dem Horoskop herauskam, das der Generalkapitän bei dem Sterndeuter in Auftrag gegeben hatte. Die San Antonio, erklärte dieser, befinde sich auf dem Weg zurück nach Kastilien, und ihr Kapitän, Magellans Vetter Alvaro de la Mesquita, sei ein Gefangener.
Die San Antonio desertiert! Abwegig war dieses Szenario keineswegs. Im Grunde hätte man auch ohne Astrologie darauf kommen können. Steuermann der San Antonio war Estevão Gomes, und dieser Gomes «hasste den Generalkapitän sehr», wie Pigafetta anmerkt, «denn bevor diese Armada ausgerüstet wurde, war er selbst zum Kaiser gegangen, damit der ihm einige Karavellen gebe, um Land zu entdecken. Aber Seine Majestät gab ihm keine, weil der Generalkapitän kam.» Mit anderen Worten, Gomes hegte einen Groll gegen den adligen Magellan, weil er gegen ihn beim König (und Kaiser in spe) den Kürzeren gezogen hatte.
Dass Gomes eigene seefahrerische Ambitionen hegte, war kein Geheimnis. Wie sein Chef stammte er aus Porto, der Hafenstadt im Norden Portugals, war etwa genauso alt, Mitte dreißig, doch im Unterschied zu Magellan ein zertifizierter Steuermann, ein professioneller Seefahrer. Auch wenn wir über sein Vorleben wenig wissen, dürfte Gomes mit seiner Erfahrung alle anderen Offiziere der Armada in den Schatten gestellt haben, einschließlich San Martín, der mehr Buchgelehrter als Praktiker war. Auch Magellan konnte Gomes als Seemann wohl nicht das Wasser reichen. Magellan selbst war ja kein Steuermann, sondern Kapitän. Das spanische Wort «Capitán» bezeichnet wie das englische «Captain» einen militärischen Anführer, egal ob er sein Kommando an Land oder zur See ausübt. Als Generalkapitän war Magellan der Oberbefehlshaber der Armada. Für die nautischen Details hatte er seine Fachleute, die Steuermänner, unter denen Gomes herausragte. Mindestens einmal rettete dieser die Armada aus einer Notlage, in die ein anderer Steuermann sie manövriert hatte, und wenn die San Antonio die Einfahrt in die lang gesuchte Meerenge gefunden hatte, so war das nicht nur dem Sturm, sondern auch Gomes’ Geschick zu verdanken. An Pigafettas Behauptung, der Steuermann habe den Generalkapitän nicht leiden können, mag daher etwas Wahres sein. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass ein Angestellter seinem Chef den Posten neidete, zumal wenn er Anlass hatte zu glauben, dass dieser von der Sache weniger verstand als er selbst.
Kurz nach dem Auffinden der Mündung hatte Magellan einen Kriegsrat einberufen. Das berichtet Herrera in seiner «Geschichte der Taten», und obwohl sein Bericht literarische Züge trägt und die Szene so wie dargestellt wohl nie stattgefunden hat, war der Konflikt, der darin zum Ausdruck kommt, ganz sicher real. Magellan habe, bevor sie tiefer in die Meerenge eindrangen, eine Inventur der Vorräte befohlen, bei der herauskam, dass in den Laderäumen noch Proviant für drei Monate lagerte. Daraufhin und weil sie ihren General so optimistisch sahen, hätten «alle Kapitäne, Steuermänner und führenden Leute» gemeint, «dass es richtig sei, weiterzufahren und den Auftrag zu Ende zu bringen, denn mit leeren Händen nach Kastilien zurückzukehren wäre keine gute Idee». Nur Gomes habe geantwortet, «dass sie jetzt, wo man die Meerenge gefunden habe, um zu den Molukken zu gelangen, nach Kastilien zurückkehren sollten, um eine neue Armada auszurüsten, denn vor ihnen liege noch ein weiter Weg, und wenn einige Tage Flaute sie erwischen sollten oder Stürme, kämen sie alle um.» Dem habe Magellan «mit gesetzter Miene» entgegnet: «Selbst wenn er das Rindsleder essen müsste, mit dem die Rahen verkleidet sind, müsste er weiterfahren und entdecken, was er dem Kaiser versprochen habe, denn er hoffte, dass Gott ihm helfen und Glück schenken würde.» Und dann habe der Generalkapitän jedem die Todesstrafe angedroht, der von den Vorräten spräche, und schleunigst den Aufbruch befohlen – was Herrera sehr gescheit von ihm fand. Denn nach Gomes’ Worten, den alle für einen «großen Seemann» hielten, seien die Leute wankelmütig geworden.
Wer will es ihnen verdenken? Die Argumente, die Herrera dem Steuermann in den Mund legt, klangen doch recht vernünftig, nicht minder sein Vorschlag, umzukehren und einen zweiten Anlauf zu nehmen. So vernünftig, dass Magellan gar nicht erst versuchte, ihnen auf sachlicher Ebene zu begegnen. Stattdessen berief er sich auf höhere Autoritäten, auf Gott und den Kaiser, und drohte allen, die seine Pläne durchkreuzen wollten, mit blanker Gewalt. Auch darin lag eine gewisse Logik, ja sogar Klugheit, wie Herrera anmerkt. Denn für Magellan gab es kein Zurück und keinen zweiten Anlauf.
Wäre er jetzt, im November 1520, nach Spanien heimgekehrt, mit nichts im Gepäck als der vagen Aussage, wahrscheinlich bei 52° Süd eine Einfahrt in die gesuchte Passage nach Westen gefunden zu haben – er wäre erledigt gewesen, unten durch bei seinen Auftraggebern und dem Gespött der Welt preisgegeben, ein Gescheiterter für den Rest seines Lebens. Unwahrscheinlich, dass man ihm eine weitere Armada anvertraut hätte. In Sevilla scharwenzelten zu viele selbsternannte Entdecker herum, die wie Gomes nur darauf warteten, sich der Krone anzudienen, und die nicht den Makel des Scheiterns trugen. Nein, diese Meerenge war Magellans einzige und letzte Chance. Für ihn gab es nur die Flucht nach vorn. Und für ihn hieß: auch für seine Untergebenen. Wenn der Generalkapitän entschlossen war, das Leder von den Rahen zu essen, blieb den anderen nur, dasselbe zu tun – oder zu desertieren.
Und nun war die San Antonio fort. Ob desertiert oder nicht, stand in den Sternen. Sie war fort, und das allein war eine Katastrophe. Aber der Generalkapitän verlor weder die Nerven noch die Kontrolle über die Situation. Nachdem der Rest seiner Armada in einer geschützten Bucht am Nordufer der Meerenge vor Anker gegangen war – wahrscheinlich die Bahía Fortescue oder die dahinter liegende Caleta Gallant, 50 Kilometer nordwestlich von Cabo Froward – und nachdem der Astrologe sein Urteil abgegeben hatte, bewies Magellan ein weiteres Mal sein außergewöhnliches Talent zum Krisenmanagement.
Er ließ das Beiboot klarmachen und sandte es zur Erkundung aus, so wie er es in den vergangenen Wochen mehrmals getan hatte. Das Boot sollte nach Nordwesten fahren, wo die Wasserstraße einen Schlenker um eine Insel machte und sich gabelte. Hielt man sich nach Backbord, kam man in einen fast schnurgeraden Kanal, flankiert von steil abfallenden Bergen und stellenweise nur eine halbe Leuge schmal, der kein Ende zu nehmen schien. Weil das Wasser – und zwar Salzwasser – hier kräftig aus der Gegenrichtung strömte, glaubte Magellan, dieser Kanal müsse ins Meer münden. Doch er wollte es genau wissen, und daher sollte die Besatzung des Beibootes ans Ufer gehen und auf einen Berg steigen, um zu schauen, ob sie von dort oben die Ausfahrt sähen. Für den Fall, dass sie Erfolg hätten, versprach er den Kundschaftern eine Belohnung.
Sodann bestellte er den Schreiber der Trinidad zu sich und diktierte ihm einen Brief. Der Brief war an die Kapitäne, Steuer- und Bootsmänner der Concepción und der Vitoria gerichtet, die unweit des Flaggschiffs ebenfalls vor Anker lagen. Ihm sei zu Ohren gekommen, beklagte sich der Generalkapitän bei den anderen Schiffsführern, dass sie seinen Entschluss weiterzufahren für «eine schlimme Sache» hielten, weil «die Zeit knapp wird für diese Reise, die wir machen». Aber anscheinend traue sich niemand, ihm das ins Gesicht zu sagen. Fürchteten sich die anderen etwa vor ihm, seit er die Meuterer von San Julián hatte über die Klinge springen lassen? «Ihr habt aufgehört, mir Eure Meinung und Euren Rat zu geben in Bezug auf alles, was den Dienst an Seiner Majestät und die Sicherheit dieser Armada betrifft», schrieb er vorwurfsvoll. Damit «vergeht Ihr Euch gegen den Kaiser und König, unseren Herrn, und verstoßt gegen den Eid und die Huldigung, die Ihr mir geleistet habt». Er forderte die anderen Schiffsführer auf, ihm offen und ehrlich mitzuteilen, was sie für das Beste hielten: weiterfahren oder umkehren. Und zwar sollte jeder für sich seine Meinung schriftlich begründen. Und dann würde Magellan seine Erklärung hinzufügen «und Entscheidung, um einen Beschluss zu fassen, was wir tun sollen» – eine etwas umständliche Formulierung, die aber keinen Zweifel daran ließ, wer am Ende beschließen würde, nämlich der Urheber des Schreibens: «Getätigt im Kanal aller Heiligen, gegenüber dem Fluss mit dem Inselchen, bei 53 Grad, am Donnerstag, den 21. November des Jahres 1520, auf Befehl des Generalkapitäns Fernan de Magalhaes.»
Dass wir diesen Brief überhaupt im Wortlaut kennen, ist dem Historiker João de Barros zu verdanken, dem «portugiesischen Titus Livius», wie ihn ein Bewunderer nannte. Was Antonio de Herrera für die spanischen Könige leistete, eine monumentale Geschichte ihres Kolonialreichs in Amerika zu schreiben, tat João de Barros für das portugiesische Imperium in Indien. Auf Magellan war Barros nicht sonderlich gut zu sprechen, schließlich hatte sich sein Landsmann einem fremden König angedient für ein Unternehmen, das Portugals Interessen diametral zuwiderlief. Wer so etwas tat, konnte nicht ganz richtig im Kopf sein, fand Barros. Als er durch Zufall Kenntnis von Magellans Brief erhielt, sah er darin vor allem einen Beleg dafür, wie verwirrt und hilflos der Generalkapitän agierte, und um diese Hilflosigkeit zu illustrieren, fügte er den Brief ungekürzt in seine Chronik ein. Magellan habe nicht mehr gewollt, «dass die führenden Personen ihn sähen», mokierte sich der portugiesische Livius und verglich den Generalkapitän mit «einem Mann, der auf seinem Schiff keine große Zusammenkunft mehr sehen wollte, weil er von ihr irgendeinen Aufstand befürchtete». Demnach hätte Magellan die Auseinandersetzung mit seinen Kollegen gescheut und nicht mehr gewagt, ihnen unter die Augen zu treten.
Nun war die Stimmung unter Offizieren wie Mannschaft der Molukken-Expedition zweifellos nicht die beste nach 14 Monaten auf See, mit gähnener Leere in den Vorratsfässern und den Molukken noch immer in weiter Ferne. Aber dafür, dass der Generalkapitän in dieser kritischen Situation den Schriftweg einschlug, dürften weder seine Verwirrung noch Furcht vor Empörung ausschlaggebend gewesen sein. Vielmehr handelte es sich um einen wohlüberlegten Schachzug. Erstens sicherte er sich damit für den Fall ab, dass Gomes mit der San Antonio tatsächlich den Heimweg eingeschlagen hatte. In diesem Fall musste Magellan damit rechnen, dass sich die Deserteure vor dem König mit Anklagen gegen den Generalkapitän rechtfertigen und dessen tyrannischen Führungsstil anprangern würden. Sollte es zum Prozess kommen, konnte so ein Brief, in dem er sich als kollegialen Anführer präsentierte, sehr nützlich sein. Er würde ihn vorlegen und sagen: Schaut her, ich hätte ja zu gern die Meinung der anderen gehört, was kann ich dafür, wenn sie zu verstockt waren, um sie mir zu sagen?
Aber der Brief hatte auch eine zweite, unmittelbare Stoßrichtung: Er zwang die Kapitäne und Steuermänner, ihre Karten offenzulegen. Sollte noch jemand mit der Rückkehr nach Sevilla liebäugeln, müsste er jetzt Farbe bekennen – oder aber schwarz auf weiß lügen. Magellan wäre mit beidem gedient gewesen. Entweder er hätte erfahren, was die anderen dachten, oder er konnte ihre Meinungen gegen sie verwenden. Indem Magellan seine Offiziere an die Huldigung erinnerte, die sie ihm geleistet hatten, und an ihre Verpflichtung zum Dienst gegenüber dem König, beschwor er das mittelalterliche Recht der Feudalgesellschaft, nach dem ein Anführer und seine Gefolgsleute zu gegenseitiger Treue verpflichtet waren. Und mit der Aufforderung, schriftlich Stellung zu nehmen, erhöhte er nochmals den Druck, weil das geschriebene Wort damals noch mehr als heute eine stark bindende Wirkung besaß, die letztlich in magischen Vorstellungen wurzelte.
Magellan fuhr also schwere moralische Geschütze auf, die jedoch nur wenig ausgerichtet hätten, wäre ihm nicht zugleich eine Schar loyaler Gehilfen zur Seite gestanden. Dazu gehörten der Sobresaliente Pigafetta, Magellans Schützling Cristovão Rebelo, den er aus Porto mitgenommen hatte, sein malaiischer Sklave Enrique und noch etliche mehr, nicht zuletzt der «Alguacil» der Armada, Gonzalo Gómez de Espinosa. Wie von allen anderen Mitfahrern Magellans ist auch von diesem Gómez nicht überliefert, wie er aussah, ob er groß oder klein war, stämmig oder drahtig. Wir wissen nur, dass er aus der Gegend von Burgos stammte, damals jenseits der dreißig war und nicht schreiben konnte. Ein Hänfling kann er nicht gewesen sein, denn als «Alguacil» hatte Gómez für die Einhaltung der Disziplin zu sorgen. Er war also eine Art oberster Profoss der Armada, und dafür musste er sich nötigenfalls auch körperlich Respekt verschaffen. Als die spanischen Kapitäne in San Julián meutern wollten, hatte Gómez seine Qualitäten hinlänglich unter Beweis gestellt, indem er einen der Rädelsführer kurzerhand erstach. Solange Magellan einen wie Gómez an seiner Seite hatte, brauchte er den Konflikt mit den anderen Schiffsführern nicht zu scheuen. Aber einstweilen verließ er sich auf die Macht des geschriebenen Wortes. Er unterzeichnete, was der Schreiber aufgesetzt hatte, und ließ es per Ruderboot zu den anderen Schiffen bringen. Jetzt waren die anderen am Zug.
Und was trieben die Matrosen und übrigen Männer in jenen Stunden, während ihre Vorgesetzten mit dem Lesen und Beantworten von Briefen beschäftigt waren? Niemand hat es aufgeschrieben. Man wünscht ihnen, dass sie ihre schwimmenden Gefängnisse, als welche Seeleute des 16. Jahrhunderts ihre Schiffe oft empfanden, für ein paar Stunden verlassen und an Land gehen durften. Die Anführer konnten die Mannschaft jedenfalls unbesorgt von Bord lassen, denn in dieser menschenfeindlichen Wildnis wäre ihnen niemand davongelaufen. Flucht wäre einem Selbstmord gleichgekommen. Und das, obwohl die Bucht an sich nicht ohne Reiz war: Berge schützten sie gegen den Westwind, zwei Flüsse und mehrere Bäche lieferten Südwasser, Bäume und Strauchwerk Holz. Womöglich waren Magellans Leuten sogar einige Sonnenstunden beschieden, so dass sie im Fluss baden und ihre zerschlissene Kleidung waschen konnten. Manche mögen ein paar Schritte talaufwärts spaziert sein, um nach essbaren Kräutern zu suchen, andere in der Bucht gefischt haben, die Pigafetta zufolge reich an «Sardinen» gewesen ist, das heißt kleineren Fischen aus der Familie der Heringe, die Sardinen ähnelten. Sicherlich haben sie am Strand Feuer entfacht, um sich zu wärmen, ihre Kleider zu trocknen und die Fische zu braten. Brennholz war ja genug vorhanden: Äste der Südbuche, Zweige von Berberitzen und Baccharis-Sträuchern. Letztere enthalten viel Harz. Herrera berichtet, das Holz habe beim Verbrennen intensiv geduftet und den Männern damit «großen Trost» gespendet. Ob der Geruch die Seefahrer an den Weihrauch in ihren heimatlichen Kirchen erinnerte? Nach der Rückkehr nach Spanien haben manche so eindrücklich von dem aromatischen Räucherholz erzählt, dass man in zeitgenössischen Beschreibungen lesen kann, an den Ufern der Magellan-straße wüchsen Zedern. Doch Pigafetta wusste es besser.