Manfred Hutter
Verlag C.H.Beck
Dieses Buch bietet einen kompakten und allgemein verständlichen Überblick über sieben Weltreligionen: Hinduismus, Buddhismus, Daoismus, Judentum, Christentum, Islam sowie – als Beispiel für eine neuere Weltreligion – die Baha’i. Der Autor schildert die Lehren, Verhaltensnormen, religiösen Praktiken und Organisationsformen der einzelnen Religionen und beschreibt deren große innerreligiöse Vielfalt. Dabei geht er auch der Frage nach, was eine «Weltreligion» von anderen Religionen unterscheidet.
Manfred Hutter ist Professor für Vergleichende Religionswissenschaft an der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn. Schwerpunkte seiner Forschung sind die Religionen Vorderasiens sowie Süd- und Südostasiens.
Einleitung
1. Was ist eine Weltreligion?
a) Universeller Geltungsanspruch
b) Zahl der Anhänger und/oder geographische Verbreitung
c) Alter
d) Fazit
2. Weltreligionen in der Wahrnehmung des Abendlandes
3. Zum Aufbau des Buches
Buddhismus
1. Leben und Lehre Gautama Siddharthas, des Buddha
2. Historische Entwicklungen
a) Theravada-Buddhismus
b) Mahayana-Buddhismus
c) Vajrayana-Buddhismus
3. Praxis und Lebensgestaltung
a) Mönche und Laien
b) Ethik
c) Meditation
d) Feiertage
4. Die kulturprägende Kraft
Judentum
1. Identitätsfiguren für die Anfänge des Judentums
2. Historische Entwicklungen
a) Rabbinisches Judentum
b) Europäisches Judentum
c) Modernes Judentum
3. Praxis und Lebensgestaltung
a) Schabbat und Synagogengottesdienst
b) Beschneidung und bar-mizwa bzw. bat-mizwa
c) Feiertage
4. Die kulturprägende Kraft
Christentum
1. Jesus und Paulus: Der «Stifter» und sein «Theologe»
2. Historische Entwicklungen
a) Orientalisches Christentum
b) Byzantinisch-orthodoxes Christentum
c) Lateinisch-abendländisches Christentum
3. Praxis und Lebensgestaltung
a) Weihnachten, Ostern und Pfingsten
b) Sonntagsgottesdienst und Abendmahl
c) Taufe
d) Ehe und Enthaltsamkeit
e) Ethik und Recht
4. Die kulturprägende Kraft
Daoismus
1. Laozi als fiktiver Religionsstifter
2. Historische Entwicklungen
a) Zhang Daoling und die Himmelsmeister
b) Die Tang-Zeit
c) Zheng-yi und Quan-zhen
3. Praxis und Lebensgestaltung
a) Körperbezogene Praktiken
b) Liturgische Praktiken
c) Tempel und Kloster
d) Ethische Anweisungen
4. Die kulturprägende Kraft
Islam
1. Muhammad als Begründer des Islam
2. Historische Entwicklungen
a) Schiiten
b) Sunniten
3. Praxis und Lebensgestaltung
a) Ethische Verhaltensweisen
b) Gebet
c) Fasten
d) Wallfahrt
e) Ashura-Feier
f) Mystik
4. Die kulturprägende Kraft
Baha’i-Religion
1. Die «Zwillingsoffenbarer» Bab und Baha’u’llah
2. Historische Entwicklungen
a) Die Lehre Baha’u’llahs
b) Abdu’l Baha, der «Mittelpunkt des Bundes»
c) Shoghi Effendi, der «Hüter der Sache Gottes»
d) Das Universale Haus der Gerechtigkeit
3. Praxis und Lebensgestaltung
a) Kalender und Feste
b) Gebet
c) Häuser der Andacht und Wallfahrt
d) Gesetze und Ethik
4. Die kulturprägende Kraft
Hinduismus
1. Die Rishis und die Veden
2. Historische Entwicklungen
a) Der Wandel in der vedischen Religion
b) Theistische Religionen des klassischen Hinduismus
c) Moderner Hinduismus
3. Praxis und Lebensgestaltung
a) Dharma und gesellschaftliche Pflichten
b) Yoga als Meditationstechnik
c) Bhakti als Frömmigkeitsform
d) Rituale und Tempelfeste
4. Die kulturprägende Kraft
Literaturhinweise
Register
Die Auswahl der sieben Religionen als Weltreligionen ist teilweise unumstritten, teilweise mag sie den Leser überraschen. Dies liegt in der Natur der Sache, da ein klar definierter Begriff von «Weltreligion» innerhalb der Religionswissenschaft nicht existiert. Umgekehrt lassen sich durchaus eine Reihe von geschichtlichen wie auch gegenwärtigen Religionen anführen, die man kaum als Weltreligionen bezeichnen würde, weil sie beispielsweise nur in einem eingeschränkten geographischen Raum Verbreitung fanden oder unmittelbar an eine eng definierte Gruppe von Gläubigen gebunden waren. Letzteres ist bei zahlenmäßig kleinen Stammesreligionen der Gegenwart durchaus noch der Fall, aber auch bei elitären Gruppen, die das religiöse Heil lediglich auf einen Kreis von Auserwählten beschränken.
Während eine negative Abgrenzung somit möglich ist, ist es ungleich schwieriger, exakte und überzeugende positive Kriterien für den Status einer «Weltreligion» zu benennen. Beliebte Kriterien sind unter anderem folgende:
a) Universeller Geltungsanspruch: Ein solcher Anspruch wird heute von zahlreichen, auch neuen Religionen, die im 19. und 20. Jahrhundert entstanden sind, formuliert. Allerdings sollte man bei diesem Kriterium bedenken, dass der Anspruch bei der Entstehung oder ersten Festigung nur gelegentlich erhoben wurde. In historischer Perspektive kann man den Buddhismus nennen, da Buddha bereits betont hat, dass die von ihm verkündete Lehre für alle gültig und somit universell ist. Man darf aber gerade bei diesem Beispiel nicht vergessen, dass es dem Buddha nicht um ein neues Religionssystem gegangen ist. An nächster Stelle mag man bei einer solchen historischen Betrachtung an das Christentum denken, das – nach dem Ausweis des Matthäusevangeliums – einen universellen Missionsauftrag, die Lehre Jesu auch über die Grenzen des ersten Anhängerkreises hinaus zu verbreiten, beinhaltet. Schließlich ist chronologisch noch der Islam anzuführen. Dessen theologisches Konzept, wonach Gott sich in früheren Generationen durch frühere Propheten verschiedenen Völkern offenbart hat, lässt von Beginn an eine universelle Tendenz erkennen. So setzt Muhammad, der die göttliche Offenbarung der arabischen Welt überbringt, diesen Prozess fort. Man wird diese drei Religionen also zweifellos dadurch charakterisieren können, dass von Anfang an intendiert war, die Botschaft über ethnische Grenzen hinaus zu tradieren. Daher kann man in diesen Fällen von «klassischen» Weltreligionen sprechen. Bei einer sehr engen Auslegung des Begriffs «Weltreligion» – ein universalistischer Anspruch muss von Beginn an vorhanden sein – wären Buddhismus, Christentum und Islam allerdings die einzigen lebenden Weltreligionen. Denn der Manichäismus, der in der Mitte des 3. Jahrhunderts im Süden Iraks und im Südwesten Irans entstanden ist, ist nur noch eine historische Weltreligion. Mani (216–277) hatte sich als Stifter einer neuen Religion verstanden und war von Anfang an bemüht, diese «weltweit» zu verbreiten, was ihm und seinen Anhängern im Westen bis nach Spanien, im Osten entlang der Seidenstraße bis nach China gelang. Doch erlosch diese Weltreligion im Westen etwa im 6. Jahrhundert; in China konnte sie sich noch bis ins 16. Jahrhundert halten.
b) Zahl der Anhänger und/oder geographische Verbreitung: Ein weiteres häufig genanntes Kriterium für eine Weltreligion, das für den Buddhismus, das Christentum und den Islam zutrifft, ist die große Zahl der Anhänger. Aber auch andere Religionen sind hiernach Weltreligionen, zunächst der Hinduismus: Alle unter dem Sammelbegriff «Hinduismus» zusammengefassten religiösen Richtungen, die auf dem indischen Subkontinent ihren Ausgang genommen haben, weisen derzeit eine Mitgliederzahl von insgesamt etwa 850 Millionen Personen auf. Die überwältigende Mehrheit von ihnen lebte und lebt bis heute im engeren indischen Kulturraum. Erst durch Migrationen in den letzten Jahrzehnten haben sich Hindus – unterschiedlicher Provenienz und aus unterschiedlichen Gründen – weltweit ausgebreitet. Allerdings bilden sie in allen Ländern außerhalb des indischen Kulturraumes Minderheiten, die in der Regel weit unter einem Prozent der Gesamtbevölkerung liegen. Migration trägt zwar quantitativ zur Verbreitung des Hinduismus bei, doch erheben hinduistische Gemeinschaften nur in Ausnahmefällen bzw. in rezenten Strömungen, die allerdings außerhalb des «main-stream» religiöser Autoritäten Indiens stehen, einen universellen Anspruch. Pointiert formuliert ließe sich sogar sagen, dass der Hinduismus zwar quantitativ zweifellos nach Christentum und Islam als Weltreligion zu nennen ist, dass aber viele Hindus ihre Religion eng mit der Geburt in einer Hindu-Gemeinschaft verbinden – vergleichbar der Bedeutung der Geburt in eine Stammesgemeinschaft –, ohne einen universellen Anspruch zu erheben.
Legt man die Zahl der eine Religion praktizierenden Personen zugrunde, so darf der religiöse Daoismus zu Recht zu den Weltreligionen gerechnet werden, da die Anhängerzahl sicherlich mehrere hundert Millionen Personen umfasst, die sich teilweise gleichzeitig auch als (chinesische) Buddhisten und Anhänger der Lehren des Konfuzius verstehen. Das Streben nach Harmonie und Einheit enthält für den Daoismus durchaus ein universelles Element. Die Verbreitung in Ostasien – vor allem in Korea – zeigt, dass der religiöse Daoismus seit rund 1300 Jahren fähig ist, die ethnisch-chinesischen Grenzen zu überschreiten.
Bezüglich des Judentums muss bedacht werden, dass seit dem Hellenismus jüdische Diasporagemeinden entstanden sind – zunächst im kulturellen Milieu der antiken Welt, aber auch in Europa, Nordamerika und entlang der Seidenstraße bis nach China, so dass das Judentum unter anderem wegen dieser geographischen Komponente in der Regel zu den Weltreligionen gerechnet wird. Da es auch innerhalb des Judentums Richtungen gibt, die der Konversion von Nichtjuden positiv gegenüberstehen und die sich auf das biblische Motiv der Wallfahrt aller Völker auf den Zion nach Jerusalem berufen können, lässt sich auch ein universeller Anspruch erkennen. Allerdings ist die Gesamtzahl der Juden mit ca. 15 Millionen Personen im Vergleich zu anderen Religionsgemeinschaften statistisch gesehen recht gering.
Auch bezüglich der Baha’i-Religion ist – trotz ihrer ungleich kürzeren Geschichte – eine geographische Verbreitung über weite Teile der Welt feststellbar, die durch den von dieser Religion vertretenen universellen Anspruch auch planmäßig gefördert wird. Die Zahl der insgesamt rund sechs Millionen Mitglieder ist aber noch relativ gering.
c) Alter: Legt man das Alter einer Religion als Kriterium zugrunde, könnte man den Zoroastrismus als Weltreligion nennen, dessen absolute Anhängerzahl weltweit 150.000 bis 170.000 Personen nicht überschreiten dürfte. Dass der Zoroastrismus seit rund eineinhalb Jahrtausenden die Konversion von Andersgläubigen in der Regel ablehnt, ist lediglich eine aus historischen Bedingungen entstandene Verengung einer in früheren Entwicklungsphasen durchaus universell ausgerichteten Religion. Seit wenigen Jahrzehnten kommt es deswegen auch zu heftigen Disputen innerhalb der Religionsgemeinschaft zwischen Befürwortern und Gegnern von Konversionen, wobei letztere in der Mehrheit sind.
Manche Konzepte von Weltreligion argumentieren mit dem Alter einer Religion, um damit jüngere Religionen auszugrenzen, die erst sukzessive, etwa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, entstanden sind. Solche Religionen stehen zwar in enger historischer Beziehung zu einer jeweiligen «Mutterreligion», betonen aber vor allem einen universellen Anspruch. Allerdings ist ein hohes Alter kein sachlich überzeugendes Kriterium für den Status einer Weltreligion. Daher wird aus der Gruppe jüngerer Religionen in diesem Buch die Baha’i-Religion dargestellt, die einen universellen Anspruch in vielen Ländern relativ erfolgreich umsetzt. Anstelle der Baha’i-Religion wäre es auch denkbar gewesen, eine japanische neue Religion zu behandeln, da auch solche Religionen schrittweise ihren japanischen Lokalbezug zugunsten eines universellen Anspruchs aufgeben. Ebenso versteht sich die Mitte der 1950er Jahre in Korea gegründete «Vereinigungskirche» als eigenständige Religion mit universellem Anspruch.
d) Fazit: Die drei genannten Kriterien – universeller Anspruch, Mitgliederzahl und geographische Verbreitung, Alter –, die häufig zur Definition einer Weltreligion herangezogen werden, sind nur bedingt brauchbar, um damit eine klar eingegrenzte Gruppe von Religionen zu erfassen, die sich eben als Weltreligionen in typischer und eindeutiger Weise von «Nicht-Weltreligionen» unterscheiden würden. Vielmehr handelt es sich bei der Bezeichnung «Weltreligion» um einen – weitgehend verständlichen – Begriff des alltäglichen Sprachgebrauchs.
Dem trägt dieses Buch genauso Rechnung wie andere Darstellungen zu Weltreligionen, vor allem in Hinblick auf die Auswahl der hier behandelten Religionen. Eine strikt minimalistische Lösung hätte sich auf Buddhismus, Christentum und Islam beschränken können. Andere Gesamtdarstellungen von Weltreligionen nennen manchmal fünf, indem noch Judentum und Hinduismus hinzugefügt werden. Wieder andere handbuchartige Darstellungen zählen noch weitere Religionen auf: so gelegentlich den Konfuzianismus, doch ist – trotz der Eurozentrik des aus der lateinischen Sprache stammenden Begriffs «Religion» – der Konfuzianismus eher als ein ethisches und philosophisches System zu betrachten. Zwar gibt es kleine Gruppen von chinesischen Anhängern des Konfuzius, die daraus ein religiöses System entwickelt haben, aber dieses ist sowohl in quantitativer als auch in geographischer Hinsicht auf einen engen Anhängerkreis beschränkt. Häufiger wird der Zoroastrismus als Weltreligion angeführt, was für einige historische Epochen zutreffend ist. Der gegenwärtige Zoroastrismus durchläuft eine Phase, deren Ergebnis noch nicht absehbar ist. Eventuell geht der derzeit ethnisch definierte Zoroastrismus aus diesem Prozess letzten Endes als eine – wieder – universell ausgerichtete Religion hervor. Schließlich sei noch der Sikhismus genannt, der trotz seiner geographischen Verbreitung aufgrund von Migration nicht den Anspruch erhebt, alle Menschen mit seiner Botschaft erreichen zu wollen. Die hier vorgelegte Auswahl von Religionen hat letztere unberücksichtigt gelassen, weil sie aus pragmatischen Gründen der Leitidee folgt, dass die jeweilige Religion derzeit einen universellen Anspruch vertritt, der mit einem gewissen Erfolg organisatorisch «weltweit» umgesetzt wird.
Ein Aspekt, der nicht unwesentlich die Vorstellung und Definition von Weltreligionen mitgeprägt hat, ist das Vorhandensein von «heiligen Schriften». Im 19. Jahrhundert hat der Religionswissenschaftler Friedrich Max Müller für dieses Konzept von Weltreligion gleichsam die Basis gelegt. Für ihn ist der Maßstab, an dem Weltreligionen zu messen sind, die jüdischchristliche Tradition mit der Wertschätzung der Bibel. Religionen, die analoge «Bücher» als heilige Schriften besitzen, waren für Müller von weltweitem Interesse, d.h. als Weltreligionen wert, sorgfältig untersucht zu werden. Dies war letztlich ein theologisches Argument, das von der zentralen Rolle der Bibel für das Christentum ausging und dieses auf «nicht-christliche» Religionen anwandte, mit der Konsequenz, dass die Rede von «Weltreligionen» letztlich ein Konstrukt europäischer Geistigkeit des 19. Jahrhunderts ist. Neben Christentum und Judentum galten für Müller Islam, Zoroastrismus, Hinduismus, Buddhismus, Daoismus und Konfuzianismus als Weltreligionen. Das von Müller gewählte abendländische Kriterium «heilige Schrift» ist jedoch in zweierlei Hinsicht sachlich nicht zutreffend. Einerseits ist die Rolle der einzelnen religiösen Schriften in den genannten Religionen zu unterschiedlich, als dass daraus ein wirklich verbindliches Definitionskriterium von Weltreligion gewonnen werden könnte. Andererseits schloss Müller jene Religionen aus, die zum damaligen Zeitpunkt noch kaum bekannt waren: den am Ende des 15. Jahrhunderts entstandenen Sikhismus, dessen heiliges Buch, der so genannte Adi Granth, eine ungleich größere Bedeutung für diese Religion hat als manche der von Müller studierten heiligen Schriften. Auch die Baha’i-Religion war zu Müllers Zeit noch in ihrer ersten Entstehungsphase und lediglich einer Handvoll Europäern bekannt. Solche Zufälligkeiten der Wissenschaftsgeschichte des Abendlandes können aber kein Kriterium für die Bestimmung einer Religion als Weltreligion sein.
Dieser kurze Rückblick in die Forschungsgeschichte macht deutlich, dass «Weltreligion» ein Begriff ist, der aus einem europäischen Blickwinkel unterschiedliche Religionen in eine Kategorie zwängen will. Insofern können hier zwei Beobachtungen zur Wahrnehmung von Religionen außerhalb Europas unseren eigenen eurozentrierten Blick relativieren und dazu beitragen, Einseitigkeiten in unserer Wahrnehmung zu vermeiden. Die Republik Indonesien nennt unter den fünf Grundprinzipien (pancasila), auf denen die Staatsdoktrin aufbaut, als erstes Prinzip den Glauben an Gott; in Konsequenz wird daraus abgeleitet, dass in Indonesien folgende fünf Religionen anerkannt sind: Islam, Hinduismus, Buddhismus, Katholizismus und Protestantismus. Aufschlussreich ist dabei, dass das aus europäischer Perspektive in der Regel gemeinsam mit Islam, Hinduismus und Buddhismus genannte Christentum als «Weltreligion» in der indonesischen Wahrnehmung in zwei Religionen gespalten wird. Erklärbar ist diese Teilung für den Religionswissenschaftler aus der politischen Geschichte Indonesiens: Die niederländische Kolonialregierung bevorzugte den Protestantismus, daneben gab es aber auch die aktiven katholischen Missionsschulen und -stationen. Offensichtlich stellten sich für die Politiker des unabhängigen Indonesien die beiden unterschiedlichen christlichen Konfessionen als völlig eigenständige Größen dar, so dass daraus für die indonesische (politische) Wahrnehmung zwei eigenständige Religionen wurden, die beide auf eine Ebene mit den Weltreligionen Islam, Buddhismus und Hinduismus gestellt wurden. – Ähnlich wird manchmal auch in religionspolitischen Dokumenten aus der Volksrepublik China zwischen Katholizismus und Christentum unterschieden, die neben den drei weiteren in China wichtigen Religionen Buddhismus, Daoismus und Islam genannt werden. Auch wenn bei solchen Aufzählungen teilweise politische Motive für die Benennung eine Rolle spielen können, ist es doch aufschlussreich, dass der aus europäischer Perspektive gewählte Oberbegriff Christentum nicht überall in dieser Weise zur Bezeichnung einer Weltreligion verwendet wird.
Kehren wir zu unserer europäischen Perspektive zurück: Die Wahrnehmung des Hinduismus als einer Weltreligion muss von einem Hindu – mit religionshistorisch sogar durchaus guten Gründen – nicht unbedingt geteilt werden. Auch der Daoist sieht sich selbst vielleicht von der europäisch-religionswissenschaftlichen Kategorisierung «Daoismus» nicht richtig erfasst, da er sich – einem abendländisch exklusiven Religionsbild zuwiderlaufend – gleichzeitig als Anhänger des «Daoismus», «chinesischen Buddhismus» und «Konfuzianismus» sieht, und dies nicht als Angehöriger von drei Religionen, sondern einer gemeinsamen Religion. Insofern bestätigt dieser Blick über die Grenzen Europas hinaus in anderer Weise, was schon bei den vorhin genannten Kriterien angeklungen ist: Der abendländisch-alltagssprachliche Begriff Weltreligion weist nicht nur eine große Bandbreite an Interpretationen auf, sondern ist auch noch in einer weiteren Hinsicht problematisch, weil nämlich Religionen, die wir in der abendländischen Tradition mit dem vereinheitlichenden Etikett «Weltreligion» versehen, von Angehörigen dieser Religion nicht in jedem Fall als solche wahrgenommen werden müssen.
Der Wandel und die Entwicklung von Religionen verhindern, dass man von einer festen oder abgeschlossenen Form einer Religion sprechen kann. Die Prozesse der Entstehung und historischen Entwicklung sollen daher in den einzelnen Kapiteln des Buches zunächst nachgezeichnet werden. Die geographische und chronologische Entfaltung einer Religion kann aber nicht isoliert von den theologischen Entwicklungen gesehen werden. Insofern muss man sich bei jeder Weltreligion immer auch in Erinnerung rufen, dass die Größe und das Alter einer Religion zu lokalen Besonderheiten bzw. zu innerreligiösem Pluralismus führen. Dies trägt zur Lebendigkeit (in positiver, befruchtender, aber auch im Laufe der Geschichte in negativer, einander bekämpfender Weise) aller Religionen bei. In den folgenden Darstellungen soll jeweils eine solche Lokalentwicklung anhand eines Länderprofils vorgestellt werden. Damit wird gezeigt, dass die Rede von Weltreligionen nicht dazu verleiten darf, diese als einheitliche Gebilde zu betrachten. Ein weiterer Abschnitt geht jeweils auf kultische und ethische Verhaltensweisen der Gläubigen ein, d.h. auf die Form der Praxis, die bildlich gesprochen immer sowohl vertikal (zu Gott) als auch horizontal (zu den anderen Gläubigen) ausgerichtet ist. Religionen haben immer einen zentralen Gemeinschaftsbezug; ein Gläubiger ist nie für sich allein religiös, sondern steht in – unterschiedlich intensiver – Interaktion mit anderen Angehörigen seiner Religion. Andernfalls würde eine Religion als für uns historisch und empirisch fassbare (und damit beschreibbare) Größe verschwinden. Als historisch fassbare Größe haben Religionen geographische und kulturelle Räume stets mitgeprägt; dies soll am Schluss der Darstellung jeder Religion beispielhaft aufgezeigt werden.
Die Reihenfolge der sieben hier vorzustellenden Weltreligionen bedarf noch einer letzten einleitenden Erläuterung. Die genannten Kriterien – universeller Anspruch, Größe und geographische Verbreitung, Alter – spielen in den einzelnen Religionen eine unterschiedliche Rolle. Daher wären unterschiedliche Anordnungen möglich, wobei eine ausschließlich quantitativ orientierte Anordnung folgende klare, aber nicht besonders aussagekräftige Reihenfolge ergeben würde: Christentum, Islam, Hinduismus, Buddhismus, Daoismus, Judentum und Baha’i-Religion. Interessanter ist aber eine Anordnung, die dem Selbstverständnis der Religionen insofern Rechnung trägt, als hier darauf Rücksicht genommen werden soll, ab wann die jeweilige Religion einen universellen Anspruch nicht nur formuliert hat, sondern auch umzusetzen begann, um die Religion als Heilsweg für alle Menschen zu propagieren. Daraus ergibt sich folgende Reihenfolge: Buddhismus (ab 3. Jahrhundert v. Chr.), Judentum (1. Jahrhundert v. Chr.), Christentum (1./2. Jahrhundert), Daoismus (6./7. Jahrhundert), Islam (7. Jahrhundert), Baha’i-Religion (19. Jahrhundert) und Hinduismus (19./20. Jahrhundert).
Zentrale Punkte der Darstellung des Buddhismus sind das Leben Buddhas und seine Lehren, wie sie sich aus der Predigt der vier edlen Wahrheiten und dem achtteiligen Pfad entfaltet haben. Symbolisch wird Buddhas Lehre oft durch das «Rad der Lehre» dargestellt, dessen acht Speichen an den achtteiligen Pfad, der zum Nirvana führt, erinnern. Aufgrund seiner sehr langen Präsenz in Asien hat der Buddhismus dort nicht nur drei große Hauptrichtungen entwickelt, deren kultische Praktiken und Lebensformen sich zum Teil unterscheiden, sondern auch die verschiedenen Bereiche nachhaltig kulturell mitgeprägt. Seit mehreren Jahrzehnten findet er aber auch in Europa und Nordamerika eine stetig wachsende Zahl von Anhängern. Diese Vielfalt soll daher ausgewogen berücksichtigt werden.
Jede Beschäftigung mit dem Buddhismus hat vom Stifter Gautama Siddhartha, dem späteren Buddha, auszugehen. Denn er ist jene Gestalt, auf die sich alle Buddhisten berufen, unabhängig von der Schul- und Traditionszugehörigkeit. Die Lebenszeit des historischen Buddha dürfte entsprechend indischen Chroniken, die Buddhas Tod hundert Jahre vor dem Regierungsbeginn des Herrschers Ashoka ansetzen, etwa die Jahre 450 bis 370 v. Chr. – mit einem Spielraum von rund zehn Jahren – umfassen. Südostasiatische Buddhisten hingegen datieren Buddhas Nirvana auf das Jahr 543.
Über das Leben Buddhas sind wir nicht in allen Einzelheiten informiert, da die Quellen ihn in erster Linie als ideale Gestalt darstellen wollen, die die verkündete Religion in vollkommener Weise gelebt hat. Mögliche historische Aussagen lassen sich aus zeitgenössischen Normen und Strukturen der hinduistischen Gesellschaft erschließen. Buddha stammte aus einer lokalen Herrscherklasse, war verheiratet und zeugte einen Sohn, ehe er wahrscheinlich mit 29 Jahren seine Familie verließ, um als Asket nach der endgültigen Erlösung vom Leiden zu suchen. Dies dürfte wohl das Ergebnis einer länger dauernden religiösen Suche durch Meditation gewesen sein, während die immer wieder genannten vier Ausfahrten und die Begegnungen mit einem Greis, einem Kranken, einem Leichnam und einem Bettelmönch als Ergebnis ausschmückender Traditionsbildung zu bewerten sind. Nach sechsjährigem intensivem Bemühen um religiöse Entwicklung fand er in Bodhgaya die Erleuchtung.
Als Erleuchteter (Sanskrit buddha: «erleuchtet, erwacht») begab er sich nach Benares, wo er das «Rad der Lehre» in Bewegung setzte (Tafel 1a): Er verkündete die vier edlen Wahrheiten und den achtgliedrigen Pfad. Diese Wahrheiten besagen Folgendes: Alle Existenz ist leidvoll; Leiden entsteht aus dem Begehren; Leiden ist durch das Erreichen des Nirvana überwindbar; der achtgliedrige Pfad ist der Weg zum Nirvana. Dieses Grundkonzept der Lehre ist ein «Mittlerer Weg», der zwischen extremer Askese und Ausschweifung angesiedelt ist. Buddhas Anliegen wird man demnach nicht gerecht, wenn man seine Haltung zur Welt ausschließlich als negativ bezeichnet. Seine Betrachtung des irdischen Daseins als leidvoll und vergänglich geschah nicht aus einer grundsätzlich pessimistischen Weltsicht, sondern aus der Erkenntnis, dass es letztlich ein höheres Bewusstsein gibt, dem die Werte des gewöhnlichen Bewusstseins untergeordnet sind. Daraus ergab sich ein «realpolitischer Weg» Buddhas; er stand mit beiden Beinen «in der Welt». Noch zu Lebzeiten organisierte er seine Anhänger wenigstens in lockerer Weise, die Betonung eines Mittleren Weges bedeutete nicht «Weltfremdheit».
Ziel des buddhistischen Lebensweges ist die Erlangung des Nirvana. Buddha griff die im 7. Jahrhundert v. Chr. in Indien aufgekommene Lehre vom karman, dem «Gesetz der Tat und ihrer Folgen», sowie den Glauben an die Wiedergeburt auf, machte allerdings einen wesentlichen Unterschied gegenüber der Entfaltung dieser Vorstellungen in den Hindu-Religionen. Er leugnete nämlich die Existenz beharrender Substanzen in der Welt, wozu die weitere Tradition auch die Seele zählte. Dass dennoch der Eindruck entsteht, als ob es eigenständig existierende Phänomene gäbe, hängt mit dem Konzept des «Abhängigen Entstehens» (pratityasamutpada) zusammen. Innerhalb einer Kausalkette ergeben sich immer wieder neue Bedingungen, die nachfolgende Existenzweisen bestimmen. In dieser Sichtweise ist auch der Mensch keine eigenständige Größe, sondern die Summe von fünf unpersönlichen, unbeständigen Daseinselementen (skandhas). Diese Unbeständigkeit ist Ursache des Leidens, die erst durch das Nirvana beendet wird. Da im Nirvana auch die skandhas schwinden, existiert keine (individuelle) menschliche Komponente über den Tod hinaus. Diese abstrakten Vorstellungen wurden in der späteren Traditionsbildung in einer positiven Formulierung konkretisiert, indem das Nirvana als ein idealer Ort des Glücks und der Zufriedenheit beschrieben wurde. In Buddhas Lehre, die einen Weg zur Überwindung des Leidens weisen wollte, spielten Gottheiten keine Rolle, ohne dass er deswegen die Existenz von Göttern geleugnet hätte. Für ihn waren die einzelnen Götter genauso in die Welt des Leidens involviert wie die Menschen, so dass sie den Menschen in ihrem Streben nach dem Nirvana nicht als Helfer dienen konnten.
Buddhas Lehrtätigkeit in der Gangesebene dauerte rund viereinhalb Jahrzehnte. Begleitet wurde er von Anhängern, die als Mönche frei von irdischen Verflechtungen diesen Mittleren Weg mit ihrem Lehrer gehen wollten. Vor seinem Tod in Kushinagara hinterließ er seinen Anhängern die Lehre des «Mittleren Weges» als sein Erbe und als einzige Richtschnur, an der man sich im Bemühen, das Nirvana zu erlangen, orientieren sollte. Dieses Festhalten an der «Lehre» (dharma) bildet trotz Differenzen und Verästelungen bis heute das gemeinsame Identitätsband aller Buddhisten. – Nach seinem Tod wurde Gautama Buddha nach der damaligen Bestattungssitte verbrannt.
Auf dem so genannten ersten Konzil von Rajagriha im ersten Jahr nach Buddhas Tod legten 500 Mönche Ordensregeln fest, wobei die darin fixierte Zugehörigkeit zur Mönchsgemeinde (sangha)(arhant)(mahasanghika)