Cover

RICHARD ROHRMOSER

ANTIFA

Porträt einer linksradikalen Bewegung

Von den 1920er Jahren bis heute

C.H.BECK


Zum Buch

Die Antifa-Bewegung hat eine lange Geschichte, die bis zum Engagement italienischer Aktivist:innen gegen Diktator Benito Mussolini in den 1920er Jahren zurückreicht. In Deutschland waren es vor allem Kommunist:innen, die zu einer breiten Einheitsfront gegen den erstarkenden Nationalsozialismus aufriefen, ohne die Machtergreifung letztlich verhindern zu können. Nach 1945 gründeten sich zunächst einige Parteien und Opferverbände, die sich die Losung «Nie wieder Faschismus» auf die Fahne schrieben. Ende der 1970er Jahre entstanden schließlich die ersten «autonomen Antifa-Gruppen», die ein breites Spektrum an Aktionsformen von Bildungsarbeit über Sachbeschädigungen bis hin zu Gewaltattacken auf den politischen Gegner aufwiesen. Aufgrund ihrer Gewaltaffinität dominieren diese Gruppen bis heute das öffentliche Bild einer im Grunde breiten Sammelbewegung aus verschiedenen linken Strömungen, Initiativen, NGOs, Parteien, Gewerkschaften sowie Aktionsstrukturen und Politikansätzen gegen Rechtsextremismus und Neonazismus. Richard Rohrmoser zeichnet in seinem Buch erstmals die historische Entwicklung der vielschichtigen antifaschistischen Bewegung seit ihren Anfängen nach und skizziert das Spannungsfeld zwischen zivilgesellschaftlichem Engagement und radikaler Gewaltbereitschaft, in dem sie sich heute befindet.

Über den Autor

Richard Rohrmoser ist promovierter Zeithistoriker. Er beschäftigt sich mit Protestgeschichte, sozialen Bewegungen sowie historischer Friedens- und Konfliktforschung.

Inhalt

Einleitung

1. Der Entstehungskontext der ‹Antifaschistischen Aktion›

Der Erste Weltkrieg und die Novemberrevolution von 1918/19

Die Weimarer Republik und die Entstehung des Faschismus

Die Ausrufung der ‹Antifaschistischen Aktion› im Jahr 1932

Die NS-Diktatur und der Widerstand

2. Antifaschismus seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

Staatliche antifaschistische Richtlinien nach 1945

Antifaschistische Organisationen und Parteien in der Bundesrepublik

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA)

Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) & Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP)

Der Kommunistische Bund (KB)

Die Linke und Die Linksjugend

3. Die ‹Autonome Antifa›

Entstehung in den frühen 1980er Jahren

Die Straßenschlacht von Fallingbostel im Oktober 1983

Der Tod Günter Sares am 28. September 1985 in Frankfurt am Main

Weitere Entwicklungen der autonomen Antifa in den 1980er Jahren

Die 1980er Jahre in der DDR

Entwicklungen in den 1990er Jahren

Pogromartige Gewaltausschreitungen nach der Wiedervereinigung

Bundesweite antifaschistische Vernetzungsversuche (AA/BO, B. A. T.)

Neue antifaschistische Subgruppen (Antifaşist Gençlik, Fantifa-Gruppen, Edelweißpiraten)

Der ‹Cultural Turn› der autonomen Antifa

Rassismus, Rechtsextremismus und die staatlichen Reaktionen

Postautonomie: Die Spaltung der linksradikalen Bewegung in den 2000er Jahren

Die Antideutschen

Die Antiimperialisten

Postautonome Ansätze und Bündnisse

4. Die autonome Antifa zwischen zivilgesellschaftlichem Engagement und staatlichen Repressionen

5. Fazit

Anmerkungen

Einleitung

1. Der Entstehungskontext der ‹Antifaschistischen Aktion›

2. Antifaschismus seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges

3. Die ‹Autonome Antifa›

4. Die autonome Antifa zwischen zivilgesellschaftlichem Engagement und staatlichen Repressionen

5. Fazit

Einleitung

Im Dezember 2017 stand Jan ‹Monchi› Gorkow, Sänger der Politpunkband ‹Feine Sahne Fischfilet›, in Güstrow (Mecklenburg-Vorpommern) vor Gericht, weil er dort bei einer Demonstration im Mai 2015 an Gewaltausschreitungen gegen eine Gruppe von Neonazis beteiligt gewesen sein soll.[1] Im Prozess gab ein als Zeuge bestellter Polizist zu Protokoll, dass linke Aktivist*innen damals lauthals einen Schlachtruf skandiert hätten. Auf Nachfrage des Richters, wie der Spruch gelautet habe, erklärte der Staatsbedienstete: «Ich kann kein Spanisch: ‹Barista, Barista Antifascista› oder so.»[2] Vor allem in der virtuellen Welt sorgte das Missverständnis des Polizisten für reichlich Erheiterung – schließlich lautet der Slogan eigentlich «Alerta, Alerta Antifascista» und geht auf das Engagement italienischer Antifaschist*innen gegen Diktator Benito Mussolini in den 1920er Jahren zurück. Viele Twitter-Nutzer*innen verbreiteten den Witz und die taz-Redaktion schlug ihren Leser*innen einige weitere Abwandlungen linker Parolen vor, wie zum Beispiel: «Kein Gott, kein Staat, kein Kaffeeautomat!», «Ohne Kaffeedampf kein Klassenkampf!» und «Hoch die internationale (Kaffee-)Spezialität!».[3] Rasch avancierte «Barista, Barista Antifascista» zu einem vielzitierten Bonmot in der linksalternativen Szene und es folgten verschiedene Buttons und T-Shirts mit entsprechenden Motiven.

Bereits dieses Beispiel veranschaulicht, dass die antifaschistische Linke längst ihre vor allem durch Punkrock beeinflusste subkulturelle Nische verlassen und mit Stilmitteln der Postmoderne wie Ironie, Intertextualität und Stilpluralismus eine eigenständige Jugend- und Popkultur begründet hat. Signifikante Veränderungen fanden in den letzten Jahren allerdings nicht nur im Bereich der antifaschistischen Codes und Symbole statt, sondern ebenso in Bezug auf Kleidungsstil, Konzerte und Veranstaltungskultur: Schwarze Windbreaker-Jacken haben zunehmend die traditionellen button- und nietendekorierten Lederjacken abgelöst, Electro und Hip-Hop (insbesondere das innerhalb der Szene als ‹Zeckenrap› bezeichnete Subgenre) konnten sich im linksalternativen Spektrum ebenso etablieren wie der klassische ‹Drei-Akkorde-Punkrock›. Ein kleiner linksorientierter Verlag veröffentlichte obendrein ein ansprechend designtes Nachschlagewerk für Antifaschist*innen und Antirassist*innen, das ihnen die Grundlagen für den ordentlichen Ablauf ihrer Sitzungen und Treffen (Tagesordnung, Redeleitung, Moderation, Protokoll, Entscheidungsfindung etc.) erläutert.[4]

Doch letztendlich stellen diese Entwicklungen nur dezente Veränderungen in einer insgesamt langen und traditionsreichen Geschichte der Antifa dar: Schließlich reicht die Historie der ‹Antifaschistischen Aktion› bis in die 1920er beziehungsweise 1930er Jahre des 20. Jahrhunderts zurück, als die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) angesichts des erstarkenden Nationalsozialismus zu einer breiten und elastischen Einheitsfront aus Kommunist*innen, Sozialdemokrat*innen, Anarchist*innen und Gewerkschafter*innen aufrief. Die Erkenntnis, dass dieser Widerstandskampf nur kollektiv erfolgreich sein könne, setzte sich jedoch zu spät durch, sodass die innerlinken politischen Feindschaften und Gegensätze die antifaschistische Bewegung entscheidend lähmten und sie die Machtübernahme der Nationalsozialist*innen ab 1933 nicht mehr verhindern konnte. Wie kein anderes historisches Ereignis prägt die NS-Diktatur – mithin die absolute Entgrenzung der Gewalt im Zweiten Weltkrieg und der Zivilisationsbruch des Holocaust – die kritische Auseinandersetzung der antifaschistischen Linken bis heute. «Die totale Niederlage gegen die Nazis», das System der nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager, «die Empathie mit den Opfern», aber ebenfalls das Fortleben antisemitischer, faschistischer und rassistischer Denkmuster sowie eines «deutschen Opfermythos nach 1945 prägen die Gesellschaftsanalyse und Motivation der antifaschistischen Linken bis heute».[5]

Nach 1945 entstanden in der Bundesrepublik Deutschland zunächst einige antifaschistische Organisationen und Parteien wie die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) oder der Kommunistische Bund (KB). Da diese jedoch aus der Sicht linksradikaler Strömungen nicht ausreichend Akzente gegen faschistische Tendenzen in der Gesellschaft setzen konnten, bildeten sich zu Beginn der 1980er Jahre zudem erste ‹autonome Antifa-Gruppen›. Diese vertrauten prinzipiell nicht auf staatliche Schritte zur Bekämpfung von Rassismus und Rechtsextremismus, sondern sprachen sich explizit für antifaschistische Eigeninitiativen aus. Die autonome Antifa-Bewegung weist seitdem ein breites Spektrum an Aktionsformen auf, das von antifaschistischer Aufklärungs- und Bildungsarbeit über Sabotageaktionen und Sachbeschädigungen bis hin zu Gewaltattacken auf politische Gegner*innen reicht. Da sie sich den ‹Kampf auf der Straße› durchaus auf die Fahnen schreibt, zählen Gewaltbereitschaft und Militanz zu ihren zentralen Charakteristika.

Seit ihrer Entstehung sieht sich die autonome Antifa-Bewegung folglich mit staatlichen Einschränkungen und Repressionen wie Hausdurchsuchungen, Kontrollen und Überwachungen konfrontiert. In der Bundesrepublik stuft das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die autonomen antifaschistischen Strömungen als «linksextrem» ein. Der in den Verfassungsschutzberichten verwendete Oberbegriff ‹Extremismus› suggeriert eine Nähe von ‹Linksextremismus› und Antifa-Aktivitäten zum ‹Rechtsextremismus›, was sowohl in der Wissenschaft als auch in der Zivilgesellschaft zum Teil auf enorme Kritik stößt. Die Einordnung des Verfassungsschutzes beruht auf dem sogenannten ‹Postulat der Äquidistanz›, wonach die Bundesoberbehörde alle Formen von Extremismus gleichermaßen ablehne. Kritiker*innen dieses Ansatzes verweisen jedoch darauf, dass eklatante Unterschiede zwischen ‹Links-› und ‹Rechtsextremismus› existieren, etwa darin, dass radikale Linke «im Namen der Forderung nach einer von sozialer Gleichheit geprägten Gesellschaftsordnung die Normen und Regeln eines modernen demokratischen Verfassungsstaates ablehnen»[6] und dessen Gewaltmonopol nicht anerkennen, während Rechtsextremist*innen antiegalitäre Ideologien wie Antisemitismus, Nationalismus und Rassismus befürworten und forcieren.[7]

Unabhängig von der Kontroverse über die Sinnhaftigkeit des ‹Postulats der Äquidistanz› steht jedoch fest: Die Antifa-Bewegung polarisiert. Für Kritiker*innen stellt sie aufgrund ihrer konfrontativen Praxis und der Infragestellung des staatlichen Gewaltmonopols eine Gefährdung für die Demokratie von links dar. Aktivist*innen und Sympathisant*innen glauben dagegen, dass Antifa-Gruppen einen notwendigen zivilgesellschaftlichen Beitrag gegen Rassismus und Rechtsextremismus leisten. Zuletzt ist die Diskussion über die Legalität beziehungsweise Legitimität der Antifa-Bewegung sogar in der internationalen Öffentlichkeit wieder verstärkt entfacht. So erregte etwa der damalige US-Präsident Donald Trump im Sommer 2019 die Gemüter, als er sich in einem kryptischen Tweet dafür aussprach, Antifa-Gruppen als Terrororganisationen einstufen zu lassen (und andere Republikaner wie der ehemalige New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani wollten ‹die Antifa› für die Stürmung des Kapitols im Januar 2021 verantwortlich machen).

In der Bundesrepublik löste Trumps Tweet eine deutliche Abwehrreaktion aus: Unter dem Hashtag #IchbinAntifa boten neben vielen Privatpersonen auch einige Politiker*innen dem US-Präsidenten Paroli: Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Sven Lehman twitterte beispielsweise: «#IchbinAntifa, weil die Antifa oft hingeschaut hat, als Menschen abgewertet oder angegriffen wurden, wo andere weggeschaut haben». Und der Co-Vorsitzende der Partei Die Linke, Bernd Riexinger, schloss sich dem folgendermaßen an: «#IchbinAntifa immer und überall. Die deutsche Geschichte verpflichtet uns dazu aufzustehen gegen Rassismus und Faschismus. Auf der Straße und im Parlament. #NieWieder.» Vor allem aus dem Umfeld der Alternative für Deutschland (AfD) gab es auf Twitter jedoch ebenso Beiträge, die den Vorstoß des US-Präsidenten begrüßten, etwa vom AfD-Bundestagsabgeordneten Jürgen Braun: «Wenn die #Antifa endlich auch hierzulande als terroristische Vereinigung eingestuft wird, dann bietet der heute populäre Hashtag #IchbinAntifa einen sehr reichhaltigen Fundus für Ermittlungsansätze im Anti-#Terror-Kampf. @realDonaldTrump macht’s möglich, besten Dank! #AfD.»[8]

Wenige Wochen später reichte die AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag einen Antrag mit dem Titel «Antiextremistischer Grundkonsens in Politik und Gesellschaft – Rechtsstaat und Demokratie schützen – ‹Antifa› ächten» ein. Ganz im Stile des ‹Postulats der Äquidistanz› fordert die rechtspopulistische, in Teilen rechtsextreme Partei darin: Der «gesellschaftlichen Polarisierung [könne] nur effektiv begegnet werden […], indem man sich gemeinsam und in glaubhafter Form gegen alle extremistischen Strömungen rechter, linker oder islamistischer Art einsetzt».[9] Letztlich lehnte der Deutsche Bundestag im Juni 2020 den Antrag der AfD-Fraktion mit 554 zu 85 Stimmen ab; der Denkansatz des ‹Postulats der Äquidistanz› wurde seitdem in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert und aufgrund seiner Eindimensionalität zunehmend kritisiert. Einzelnen Politiker*innen der Grünen und der Linken, die sich im Deutschen Bundestag beispielsweise durch das Tragen eines Buttons mit der Antifa solidarisierten, erteilte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) unter Androhung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 1000 Euro sowie eines Sitzungsausschlusses eine Rüge.[10] Anschließend tauchten erneut viele Hashtags wie #DankeAntifa oder #ichbinantifa bei Twitter auf, dagegen forderten einige Politiker*innen ein Verbot von Antifa-Gruppen.

Im Fokus der Öffentlichkeit stand die autonome Antifa-Bewegung zuletzt jedoch vor allem aufgrund ihrer zunehmenden Gewaltbereitschaft: Im Oktober 2019 steckten einige radikale Linke aus Protest gegen Gentrifizierung in Leipzig drei Baukräne in Brand, worauf ein ganzer Wohnblock evakuiert werden musste; im Dezember 2019 verübte eine Antifa-Gruppe einen Anschlag mit Farbbeuteln und Steinen auf das fahrende Auto des Hamburger Innensenators, während dessen zweijähriger Sohn auf der Rückbank saß; und im Leipziger Stadtteil Connewitz kam es in der Silvesternacht 2019 wie zuvor schon häufiger zu Gewaltausschreitungen zwischen der Polizei und antifaschistischen Gruppen, worauf eine politische Diskussion entbrannte, in der Linke die Polizei für die Eskalation der Situation verantwortlich machten, während Konservative davor warnten, die linksradikalen Attacken zu verharmlosen.

Diese Beispiele veranschaulichen, dass der Begriff ‹Antifa› und der Diskurs über antifaschistische Gruppierungen Konjunktur hat. In Anbetracht des Facettenreichtums der Bewegung ist es jedoch nicht leicht, ‹die Antifa› als solche zu definieren. Stets kommt es auf den jeweiligen lokalen Kontext («also [die] Größe der Stadt, [die] Stärke der rechten Szene etc.»), auf die theoretischen wie symbolischen Deutungskämpfe um den Begriff ‹Antifaschismus› sowie auf die Betrachtungsperspektive an, was ‹Antifa› im Konkreten bedeutet.[11] Im Wesentlichen lässt sich allerdings konstatieren, dass ‹Antifa› aktuell ein (abstrakter) Sammel- und Kampfbegriff für viele verschiedene linke Strömungen, Initiativen, NGOs, Parteien, Gewerkschaften sowie Aktionsstrukturen und Politikansätze ist, die Faschismus – also eine auf dem Führerprinzip basierende, antidemokratische, nationalistische, rassistische und rechtsextreme Ideologie und Bewegung – konsequent ablehnen. Insofern richtet sich die Antifa-Bewegung vor allem gegen autoritäre und repressive Herrschaftsformen sowie gegen soziale Ausgrenzung. Im Umkehrschluss setzen sich die antifaschistischen Aktivist*innen ihrem Selbstbild zufolge bei konstant kritischer Einstellung gegenüber Politik und Gesellschaft im Sinne eines Minimalkonsenses für humanistische Grundwerte wie Freiheit, Gleichheit, Gleichwertigkeit und Gerechtigkeit sowie für demokratische und soziale Rechte für alle Menschen ein.[12]

Diese Charakteristika bilden im Grunde den kleinsten gemeinsamen Nenner im Selbstverständnis eines breiten und diversen Antifa-Spektrums. Bemerkenswert ist dabei, dass dieses in erster Linie durch «ein System von einschlägigen Symbolen und Ereignissen» zusammengehalten wird und antifaschistische Aktivist*innen vor allem durch die permanenten Auseinandersetzungen mit Rechten und Rechtsextremist*innen versuchen, eine inhaltliche Klammer zu erzeugen, die wiederum anschlussfähig für größere Gesellschaftsgruppen sein soll.[13] Aus dieser steten Konfliktbereitschaft leitet sich allerdings der wichtigste Kritikpunkt an der Bewegung ab, denn insbesondere für die autonomen Antifa-Gruppen stellt die Bereitschaft zur Militanz ein konstitutives Merkmal dar. Zwar gibt es in der Szene einen weitgehenden Konsens darüber, körperliche Gewalt lediglich als letztes abschreckendes Mittel zur Selbstverteidigung anzuwenden und keine lebensbedrohlichen Attacken auf Leib und Leben von Rechtsextremist*innen oder Repräsentant*innen von Staat und Wirtschaft zu verüben, jedoch haben die Gewalteskalationen zur Folge, dass die Bewegung mit dem Label ‹Linksextremismus› etikettiert wird. Dazu tragen ferner die antistaatlichen und antikapitalistischen Grundeinstellungen sowie die Utopie eines Systemwechsels als weitere zentrale Charakteristika des antifaschistischen Spektrums bei.

All diese Aspekte deuten bereits an, in welchem extremen Spannungsfeld sich die in den 1920er Jahren in Italien entstandene antifaschistische Bewegung aktuell befindet: Für Sympathisant*innen stellt die Antifaschistische Aktion aufgrund ihres zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Rassismus und Rechtsextremismus eine Art ‹soziale Bewegung› dar, die Impulse auf Intensität, Richtung und Tempo eines sozialen Wandels setzt. Frei nach dem Zitat des Philosophen Georg Santayana «Wer sich seiner Vergangenheit nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen»[14] strebt sie eine Gesellschaft an, die Antisemitismus, Geschichtsrevisionismus, Nationalismus, Neonazismus, Rassismus, Sexismus etc. resolut bekämpft, weil in der Szene die Parole gilt: ‹Wer nichts anderes ist als ein Antifaschist, ist kein Antifaschist.› Die Expertise der Antifaschistischen Aktion ist bezüglich dieses Engagements zweifelsfrei von enormer Bedeutung: Vor allem für ihre antifaschistische Aufklärungs-, Bildungs- und Gedenkstättenarbeit erhalten Antifa-Gruppen viel Zuspruch; durch ihre akribischen Chronologien und Dokumentationen sind sie über rechte Aktivitäten und Strukturen oftmals schneller im Bilde als die staatlichen Institutionen und besser informiert als die Medien; und durch ihre sorgfältige Recherche- und Enttarnungsarbeit haben sie als ‹Frühwarnsystem›[15] in der Geschichte bereits viele rassistische und rechtsextreme Straftaten vereiteln können, was sogar der Bayerische Verfassungsschutz in seinem Bericht aus dem Jahr 2016 honorierte.

Insofern erfüllt das Engagement der Antifa-Bewegung offensichtlich einige Kriterien, die aus sozialwissenschaftlicher Perspektive den Begriff ‹Zivilgesellschaft›[16] definieren: Erstens sind Selbstorganisation und Selbständigkeit charakteristisch für (autonome) Antifa-Gruppen; zweitens tragen sie ihre Debatten, Diskussionen und Konflikte im öffentlichen Raum aus, wodurch sie die Anerkennung von gesellschaftlicher Heterogenität anstreben; drittens orientiert sich die antifaschistische Bewegung am Gemeinwohl und den Gesamtinteressen der Gesellschaft. Während das Konzept der ‹Zivilgesellschaft› allerdings von der nicht-gewaltsamen und nicht-militärischen Austragung von Konflikten ausgeht, kennen insbesondere autonome Antifa-Gruppen nicht nur friedliche Formen des Protests. Da sie teilweise vor Gewalt gegen Sachen und Personen nicht zurückschrecken, wird die Einordnung der Antifa-Bewegung in dieses Konzept äußerst kontrovers diskutiert.

Weil zivilgesellschaftliches Engagement sowohl auf persönlicher Betroffenheit als auch auf politischer Solidarität beruht, bedarf es sowohl individuellen Mutes als auch kollektiven Unmutes der Akteur*innen.[17] Dass die (autonome) Antifa-Bewegung dabei oftmals die Grenzen friedlicher Konfliktaustragung überschreitet und für sich punktuell ein Recht auf ‹Gewalt als politisches Lösungsmittel› reklamiert – sich also zur ‹Selbstjustiz› ermächtigt –, stößt auf enorme öffentliche Kritik. Dabei werden jedoch vielfach die Ambivalenzen der Antifa-Bewegung ausgeblendet und antifaschistische Aktivist*innen undifferenziert als ‹Systemoppositionelle› und ‹schwarzgekleidete Terrorist*innen› pauschalisiert.

Ein Paradebeispiel für diesen Bewertungsreflex lieferte abermals Donald Trump im Frühjahr 2020, als er in Folge der Protestwelle der ‹Black Lives Matter›-Bewegung ankündigte, Antifa-Gruppen als linksterroristische Vereinigungen einstufen und deshalb in den USA verbieten lassen zu wollen. In der Bundesrepublik löste das absurde Ansinnen des damaligen US-Präsidenten einen weiteren emotionalen Disput über das Phänomen Antifa in den sozialen Medien aus. Wie viele Privatpersonen reagierte auch die SPD-Vorsitzende Saskia Esken im Internet auf Donald Trumps Verbalattacken und twitterte unter Nennung ihres Alters: «58 und Antifa. Selbstverständlich.» Der SPD-Vorstand schloss sich diesem Vorstoß mit Verweis auf die jahrzehntelange Existenz der sozialdemokratischen Partei demonstrativ an: «157 und Antifa. Selbstverständlich.»

Die Kritik folgte postwendend. Der CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak twitterte: «Gegen Faschismus & für Demokratie und Menschenrechte. Ohne Gewalt. Für mich selbstverständlich. Für die #Antifa nicht. Traurig, dass der Vorsitzenden [der] #SPD die Kraft zur Differenzierung fehlt.» Seine Amtskollegin von der FDP, Linda Teuteberg, schrieb auf dem Kurznachrichtendienst: «[…] Trump hin oder her: Eintreten gegen Rassismus & für Würde jedes Menschen hat nichts mit #Antifa zu tun. Jeder Demokrat ist Antifaschist, aber nicht jeder Antifaschist ist auch Demokrat.»[18] In einem Gastkommentar für die Neue Zürcher Zeitung kritisierte die Journalistin Bettina Röhl nicht nur die Antifa-Bewegung polemisch mit den Worten «Was sich oft Antifa nennt, droht ununterbrochen mit Gewalt und Anschlägen etwa gegen Politiker oder Polizisten, sie steht für sinnlose Sachbeschädigungen in enormer Höhe», sondern sie konstruierte darin auch eine Kontinuitätslinie zwischen der Roten Armee Fraktion (RAF) und Antifa.[19] Schließlich schrieb der Historiker Jan C. Behrends in einem Blogeintrag vom Juni 2020 sogar, dass die Antifa «ein Produkt aus der Giftküche des Stalinismus» sei.[20]

Diese Beispiele zeigen deutlich, dass der Begriff ‹Antifa› eine riesige Projektionsfläche für Symbolpolitik bietet. Viele, die sich an den Debatten über die antifaschistische Bewegung beteiligen, interpretieren den Begriff so, dass dieser ihren schablonenhaften Standpunkten und ihrem vorkonstruierten Weltbild entspricht. Selten kommt es aber zu einem aufrichtigen Dialog, in dem die Grenzen der eigenen Wahrnehmung verschoben werden und ein neuer kollektiver Bedeutungs- und Wissensraum geschaffen wird.[21] Dabei wäre es eigentlich exakt das, was der Begriff ‹Antifa› und seine lange und traditionsreiche Geschichte verdient, anstatt zu einem unterkomplex behandelten Streitthema und zur «eierlegenden Wollmilchsau der Symbolpolitik»[22] zu verkommen. Schließlich irren sich sowohl diejenigen, die in ‹der Antifa› ausschließlich militante Systemoppositionelle und potentielle Linksterrorist*innen sehen, als auch diejenigen, welche ‹die Antifa› kritiklos an ihren noblen Parolen und Zielen messen.

Dieser einführende Band stellt daher einen Versuch dar, sich der (Begriffs-)Geschichte und den Charakteristika der facettenreichen Antifa-Bewegung anzunähern und ein differenziertes Bild zu zeichnen. Beginnend bei den Streitigkeiten innerhalb der deutschen Linken im Zuge des Ersten Weltkrieges beschreibt das erste Kapitel vor allem den Entstehungskontext der Antifaschistischen Aktion in der Weimarer Republik sowie die viel zu spät ausgerufene linke Einheitsfront aus Kommunist*innen, Sozialdemokrat*innen und Gewerkschafter*innen, welche die NS-Diktatur, den Zweiten Weltkrieg und den Holocaust nicht verhindern konnte. In Anbetracht recht unterschiedlicher Widerstandsformen von Einzelpersonen, Gruppen und Institutionen gegen den Nationalsozialismus hat dieser Teilabschnitt dabei nur einen Überblickscharakter. Das zweite Kapitel behandelt die Organisationen und Parteien, die sich in Deutschland auch nach 1945 das Thema ‹Antifaschismus› auf die Fahnen schrieben. In diesem Kontext wird auch die ambivalente Geschichte der Antifa-Bewegung in der DDR beleuchtet, wo ‹Antifaschismus› ein integraler Bestandteil der Staatsdoktrin war. Das dritte Kapitel des Buches beschreibt die Entstehung der autonomen Antifa-Gruppen in den frühen 1980er Jahren und deren Entwicklung bis in die Gegenwart. Es thematisiert sowohl Erfolge (z.B. dass durch das Engagement antifaschistischer Gruppen in den 1990er Jahren Rassismus und Rechtsextremismus als Gesellschaftsproblem etwas deutlicher erkannt wurde) als auch Krisen (z.B. den Bedeutungsverlust autonomer Antifa-Gruppen durch staatliche Antifaschismus-Programme) der Bewegung. Anschließend setzt sich das vierte Kapitel mit dem Balanceakt der Antifa-Bewegung «zwischen Bündnispolitik und Staatskritik» sowie «zwischen den Zielsetzungen demokratischer Aufklärung und radikaler Gesellschaftskritik» auseinander.[23] Thematisiert wird, welche Folgen – einerseits kontinuierliche Kontroversen über die Legitimität von Gewalt und andererseits staatliche Repressionen – aus diesem Dilemma resultieren.

1. Der Entstehungskontext der ‹Antifaschistischen Aktion›

Der Erste Weltkrieg gilt als die ‹Urkatastrophe› des 20. Jahrhunderts, dessen Vermächtnis ein von totalitären Ideologien bestimmtes ‹Zeitalter der Extreme›[1] mit einem noch blutigeren Zweiten Weltkrieg war. Dabei wird die nationalistische Stimmung im Deutschen Kaiserreich zu Beginn des Ersten Weltkrieges oft als ‹begeistert› oder ‹euphorisch› beschrieben. Der Schriftsteller Ernst Jünger, der selbst im ‹Großen Krieg› kämpfte, erklärte voller Enthusiasmus: «Da hatte uns der Krieg gepackt wie ein Rausch.»[2] Sein Schriftstellerkollege und späterer Literatur-Nobelpreisträger Thomas Mann teilte diese Begeisterung. In seinem Essay Gedanken im Kriege vom Herbst 1914 erklärte er: «Wie hätte der Künstler, der Soldat im Künstler nicht Gott loben sollen für den Zusammenbruch einer Friedenswelt, die er so satt, so überaus satt hatte! Krieg! Es war Reinigung, Befreiung, was wir empfanden.» [3]

Die initiale Kriegseuphorie war jedoch nur von kurzer Dauer. Es folgten riesige Materialschlachten, kollektives Töten durch technisierte Mordlust, verlustreiche Stellungskriege und sinnloses Massensterben wie in Verdun. Im Deutschen Kaiserreich verhängten die Militärbefehlshaber in jeder deutschen Provinz den Belagerungszustand und griffen dadurch in alle Bereiche des gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Lebens ein. Dieser von der gemeingültigen Rechtslage abweichende Ausnahmezustand sollte zum einen die Produktion auch während des Krieges aufrechterhalten beziehungsweise erhöhen und zum anderen militärische Wertvorstellungen in der Öffentlichkeit stärken. Um die Rüstungsindustrie zu fördern und Streiks und Unruhen zu unterbinden, kam es zu Beginn des Ersten Weltkrieges außerdem zur Außerkraftsetzung vieler bisheriger Errungenschaften im Bereich des Arbeitsschutzes und der Arbeitszeitlimitierung.

Schließlich hatte der Kriegsausbruch auch signifikante Veränderungen bei der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zur Folge: Ende Juli 1914 sprach sich die SPD noch für einen «flammenden Protest gegen das verbrecherische Treiben der Kriegshetzer» aus, rief zu einer sozialdemokratischen Straßendemonstration mit zwanzig- bis dreißigtausend Menschen gegen den Krieg auf und demonstrierte mit roten Fahnen ihre revolutionäre Gesinnung auf Massenkundgebungen.[4] Doch nur einige Tage später ereignete sich im Reichstag etwas bis dato Unvorstellbares: Die sozialdemokratische Parlamentsfraktion bewilligte mit 96 zu 14 Stimmen die zur Kriegsführung benötigten Kredite und unterstützte auch in den kommenden Jahren größtenteils die obrigkeitsstaatliche Politik unter Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg, indem sie auf Lohnforderungen und Streikmaßnahmen verzichtete und stattdessen mit staatlichen Stellen und Unternehmen zusammenarbeitete.[5] Dieses als ‹Burgfriedenspolitik› bezeichnete Zurückstellen innenpolitischer und wirtschaftlicher Konflikte während des Ersten Weltkrieges begründete die SPD mit der berühmten Erklärung: «Wir lassen das Vaterland in der Stunde der Gefahr nicht im Stich.»[6] Kaiser Wilhelm II. hatte bereits zuvor den ebenso berühmten Spruch proklamiert: «Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche.»[7]

Die (Mehrheits-)SPD verbündete sich demnach mit nationalistischen und reaktionären Kräften, enthielt sich fortan der Anti-Kriegstätigkeiten und entwickelte sich zu einem elementaren Bestandteil der deutschen politischen Kriegsmaschinerie. Der linke Parteiflügel, der nach wie vor an den alten revolutionären Zielen festhielt, war von der Bewilligung der Kriegskredite erschüttert, distanzierte sich von dem Burgfrieden im Kaiserreich und spaltete sich im Laufe des Krieges zunehmend ab. Seit 1917 gab es schließlich zwei sozialdemokratische Parteien: Zum einen war dies die kriegs- und staatsloyale Sozialdemokratie, die sich fortan MSPD (Mehrheitssozialdemokratische Partei Deutschlands) nannte, zum anderen die neu entstandene USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands), die eine strikt pazifistische und teilweise weiterhin revolutionäre Gesinnung vertrat. Als linker Flügel der Partei schloss sich ihr 1917 auch der marxistisch-sozialistische ‹Spartakusbund› um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg an.

Neben den Konflikten innerhalb der traditionellen Arbeiter*innen-Partei SPD und in den Gewerkschaften verschärften sich die Spannungen im Gesellschaftsgefüge in diesen Jahren weiter: Durch den Ersten Weltkrieg stiegen Not und Elend an, aufgrund der sich stetig verschlechternden Versorgungslage machte sich Desillusionierung breit und die Bevölkerung verlor zunehmend Vertrauen in die alten obrigkeitsstaatlichen Autoritäten und in die Militärdiktatur im Inneren des Landes.[8] Die Kriegsmüdigkeit der Soldaten und die Friedenssehnsucht der Zivilist*innen verstärkten sich wechselseitig und die im Februar 1917 einsetzende Russische Revolution verlieh einer (Antikriegs-)Protestbewegung zusätzlich starken Auftrieb, sodass im April die Metallarbeiter in Berlin, Leipzig und in einigen weiteren Städten erstmals ihre Arbeit niederlegten.[9] Ebenso wie eine Meuterei in der deutschen Flotte im August 1917 hatte diese Streikbewegung zunächst keine weitere Durchschlagskraft. Einen entscheidenden Impuls lieferte jedoch die erfolgreiche Oktoberrevolution in Russland, im Zuge derer die kommunistischen Bolschewiki unter der Führung Lenins das alte Zarenreich beseitigten und die Macht übernahmen. In Deutschland entstand alsbald eine politische Oppositionsbewegung, die den Lauf der Geschichte später entscheidend beeinflusste.

Der Erste Weltkrieg und die Novemberrevolution von 1918/19

Zu Beginn des Jahres 1918 schien die Lage des Deutschen Kaiserreiches im Ersten Weltkrieg noch aussichtsreich zu sein: Am 3. März 1918 kam es mit dem inzwischen bolschewistischen Russland zum Friedensschluss von Brest-Litowsk. Insofern konnte das Kaiserreich die Kämpfe an der Ostfront einstellen und sich auf den Krieg im Westen konzentrieren, wo es im Frühjahr tatsächlich zwischenzeitig einige Erfolge verbuchte. Im Sommer 1918 überschlugen sich jedoch die Ereignisse: Im Westen starteten die Alliierten eine Offensive nach der anderen und revidierten die Gewinne der deutschen Frühjahresoffensiven; ferner brachen die Verbündeten, Österreich ebenso wie Bulgarien, zusammen.[10] Spätestens im September 1918 war im Deutschen Kaiserreich klar: Der Krieg war verloren.

Die ‹Oberste Heeresleitung› (OHL) als strategisch-operative Leitung über die aktiven Truppenteile des deutschen Heeres während des Ersten Weltkrieges entwarf darauf den perfiden Plan, die bevorstehende Niederlage auf die Parteien des Reichstages, insbesondere auf die Sozialdemokrat*innen, abzuwälzen. Dazu forderten Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff die Bildung einer von der SPD unterstützten parlamentarischen Reichsregierung, die schließlich die Waffenstillstandsverhandlungen mit den Alliierten führen sollte. Durch dieses Strategem wollten sich die reaktionären Generäle, welche die deutschen Streitkräfte und die Produktionskapazitäten der deutschen Kriegswirtschaft komplett überschätzt hatten, der Verantwortung entziehen und diese vor allem auf die SPD abschieben. Es war die Geburtsstunde der sogenannten ‹Dolchstoßlegende›, wonach die Schuld an der militärischen Niederlage des Deutschen Reiches vor allem bei den oppositionellen Zivilist*innen in der Heimat lag: Sozialist*innen und Sozialdemokrat*innen hätten dem deutschen Heer einen Dolch in den Rücken gestoßen.

Während der Reichstag Ende Oktober 1918 über die Einführung einer parlamentarischen Demokratie beriet, bereitete die Seekriegsleitung eine Attacke auf die britische Flotte vor, ohne darüber die Reichsregierung zu informieren. An dem Befehl, in einem letzten Gefecht einen ‹ehrenvollen Untergang› zu erleben, entzündete sich jedoch der revolutionäre Funke: Es folgte ein Matrosenaufstand, der sich rasch über ganz Deutschland ausweitete. Arbeiter*innen- und Soldatenräte ergriffen die Macht und die beiden sozialdemokratischen Parteien (MSPD & USPD) setzten sich in vielen deutschen Städten an die Spitze der Rätebewegung. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die revolutionäre Bewegung Berlin erfasste. Ab dem 9. November 1918 erreichten die Ereignisse schließlich ihren Höhepunkt: Zunächst verkündete der Reichskanzler Max von Baden eigenmächtig die Abdankung von Kaiser Wilhelm II., worauf der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann vom Reichstag die ‹deutsche Republik› ausrief; nur zwei Stunden später proklamierte der Spartakist Karl Liebknecht die ‹deutsche Räterepublik›.

Der revolutionäre Sturz der Monarchie war alles in allem relativ unblutig verlaufen. Nach dem Inkrafttreten eines Waffenstillstandes und dem Ende des Ersten Weltkrieges am 11. November 1918 stand allerdings noch die zentrale verfassungsrechtliche Frage aus: Sollte Deutschland eine parlamentarische Demokratie oder ein Rätesystem haben? Die USPD-Linke und der Spartakusbund sprachen sich klar für Letzteres aus und wollten dadurch die revolutionäre Bewegung fortsetzen. Für die MSPD-Führung war es jedoch eine Frage des Prinzips, dass nicht Arbeiter*innen- und Soldatenräte, sondern ein von der Bevölkerung frei gewähltes Parlament die wesentlichen Entscheidungen über die gesellschaftliche und politische Zukunft des Landes treffen sollte.[11] Aus diesem Grund beschlossen die Mehrheitssozialdemokrat*innen, am 19. Januar 1919 eine Wahl zur verfassungsgebenden Nationalversammlung abzuhalten. Damit hatte sich der rechte Flügel der Sozialdemokratie bereits tendenziell durchgesetzt und die Revolution vorerst ausgebremst. Es folgte der Bruch zwischen MSPD und USPD. Noch im Jahr 1918 ließen die Mehrheitssozialdemokrat*innen revolutionäre Kräfte durch die reaktionären Streitmächte blutig niederschlagen, wodurch mehr Menschen ums Leben kamen als durch die Revolution selbst.[12]

In dieser explosiven Stimmung intensivierten sich auch die Spannungen zwischen den verschiedenen Strömungen innerhalb der USPD, sodass schließlich der ‹Spartakusbund› zusammen mit kleineren linksradikalen Gruppen aus dem norddeutschen Raum am 30. Dezember 1918 die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) ins Leben rief, an deren Spitze Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg standen. Doch bereits beim Gründungsparteitag traten unterschiedliche Politikvorstellungen in Erscheinung, welche die radikale und antifaschistische Linke noch bis heute prägen. Während sich Rosa Luxemburg explizit von Lenins Parteidiktatur abzugrenzen versuchte und sich für eine Doppelstrategie aus parlamentarischen Entscheidungen und außerparlamentarischen Aktionen aussprach («Wir wollen innerhalb der Nationalversammlung ein siegreiches Zeichen aufpflanzen, gestützt auf die Aktion von außen»), beschloss der Gründungsparteitag dagegen den Boykott der Nationalversammlung, weil diese ein «Organ der Bourgeoisie» sei.[13]

Allerdings entschied sich das Schicksal der deutschen Revolution noch vor der Nationalversammlung am 19. Januar 1919. Der Anlass dafür war ein relativ triviales Ereignis: Ein bis dato unbeachteter Berliner Polizeipräsident, Emil Eichhorn, wurde am 4. Januar entlassen, weil er dem linken Flügel der USPD angehörte und in den Kämpfen zuvor Revolutionäre unterstützt hatte, anstatt den Staat zu schützen. KPD, USPD und Revolutionäre Obleute sahen darin eine eklatante Provokation und riefen sofort zu Protestkundgebungen auf, die außer Kontrolle gerieten und in den Folgetagen zu Gewaltausschreitungen führten. Fälschlicherweise ist die Woche vom 5. bis 12. Januar 1919 dabei als ‹Spartakusaufstand› in die Geschichtsbücher eingegangen; tatsächlich war dies aber keine kommunistische Erhebung, sondern ein Versuch der Berliner Arbeiter*innen, die Errungenschaften vom 9./10. November 1918 wiederzuerlangen.[14] Freikorps der OHL schlugen den erneuten Anlauf der Revolution jedoch brutal nieder und neben den vielen Verletzten gab es insgesamt 165 Tote, darunter auch Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Obwohl die Kämpfe längst entschieden waren, brachte eine konterrevolutionäre Bürgerwehr die beiden Symbolfiguren des deutschen Kommunismus am 15. Januar 1919 in ihre Gewalt und liquidierte sie auf erbarmungslose Weise.

USPDKPDMSPD1516