Hans Peter Althaus ist Professor für Germanistische Linguistik an der Universität Trier und einer der führenden Experten für den jiddischen Wortschatz im Deutschen. In der Beck’schen Reihe erschienen von ihm außerdem «Zocker, Zoff & Zores. Jiddische Wörter im Deutschen» (3. Aufl. 2010), «Chuzpe, Schmus & Tacheles. Jiddische Wortgeschichten» (2. Aufl. 2006) sowie «Kleines Wörterbuch der Weinsprache» (2008).
In diesem Buch findet man Wörter, die jeder kennt, und solche, die nur Eingeweihten geläufig sind. Sie sind zu verschiedenen Zeiten und auf verschiedenen Wegen aus dem Jiddischen ins Deutsche gekommen oder wurden hier von einem jiddischen Wort abgeleitet. Das wissen bei dufte und kess meist nur Fachleute. Auch bei mies und schmusen würde man es heute kaum mehr vermuten. Dagegen wirken Floskeln wie Chalaumes mit Backfisch oder Massel und Broche zumindest in Teilen fremd. Wörter wie Boser und Beheime oder kapores und mechulle sind nur undeutlich bekannt. Andererseits sind Ausdrücke wie Chuzpe, Schmus und Tacheles oder Zocker, Zoff und Zores heute wieder in aller Munde. Bei betucht denken manche an Tuch, bei Schlamassel an Schlamm.
Etliche dieser Ausdrücke sind Kennzeichen. Eine Macke ist ein Fehler, den man bei Menschen beklagt und bei Waren nicht akzeptiert. Bei einem Malocher unterstellt man, daß er im Ruhrgebiet zu Hause ist oder mit schwerer Arbeit seinen Lebensunterhalt verdient. Wer an Baldower, Knast und Schmiere stehen denkt, hat die Niederungen des Lebens im Sinn. Mit dem Gebrauch von Ausdrücken wie Pore oder pattersch waren Metzger und Viehhändler früher sogleich im Bilde. Von einer Mezzie oder Tinnef sprachen dagegen Kaufleute.
Wenn von einer Schickse oder einem Schabbesgoi die Rede war, wurden mit den Wörtern auch ganz bestimmte Sozialverhältnisse aufgerufen. Ob etwas koscher oder treife war, machte für Juden einen großen Unterschied. Daß etwas nicht ganz koscher sein kann, wissen heutzutage viele. Das Gegenwort ist jedoch nahezu unbekannt. Jüdische Intellektuelle beschimpften sich als Assesponem, jüdische Hausierer verstanden sich als Medienegeier, Bankrotteure waren Pleitegeier. Auch vermeintlich eindeutige Ausdrücke wie lernen oder Schul können eine ganz unerwartete Färbung annehmen. Dann ist auch eine Levkoje keine Blume mehr.
Solche und andere Ausdrücke sind in diesem Lexikon gesammelt und erklärt. Das Wortverzeichnis bietet in alphabetischer Reihenfolge Wörter jiddischer Herkunft, die heute in der Verkehrssprache üblich sind. Außerdem sind Ausdrücke aufgenommen, die nicht allgemein bekannt sind, denen man aber doch in älteren oder neueren Texten begegnen kann, ohne daß sie jeweils erklärt würden. Das ist bei Briefen, Tagebüchern, Erzählungen und Romanen jüdischer Autoren immer wieder der Fall. Manche Wörter kommen auch in anderen Schriften oder in der Presse vor. Seit dem 18. Jahrhundert wurden sie auf der Bühne zur Charakterisierung redender Personen benutzt. Seit dem 19. Jahrhundert waren sie unverzichtbares Kolorit bei Anekdoten und Witzen. In antijüdischen und antisemitischen Kampagnen waren sie denunziatorisches Kampfmittel. In der Gegenwart sind sie Blickfänge des Journalismus und Milieuzeichen im Roman.
Den Grundstock des Lexikons bilden jiddische Ausdrücke, die bis ins 20. Jahrhundert im Munde deutscher Juden üblich waren. Wörter aus jiddisch geprägten Fachsprachen kommen hinzu. Die jiddischen Ausdrücke in den Stadtdialekten von Frankfurt am Main, Berlin und Wien sind Folge eines besonders intensiven Sprach- und Sozialkontakts. Entsprechendes läßt sich auch an ländlichen Mundarten beobachten, in die je nach Anteil der Juden an der Bevölkerung eine mehr oder minder große Zahl jiddischer Wörter entlehnt worden ist. Zahlreich sind Wörter jiddischer Herkunft im Rotwelschen und in anderen Geheimsprachen. In diesem Lexikon ist bei Wörtern, die auch aus anderen Quellen belegt sind, der rotwelsche Gebrauch zusätzlich verzeichnet. Sonst aber werden die aus dem Jiddischen stammenden rotwelschen Ausdrücke nur berücksichtigt, wenn sie aus sprach- oder kulturgeschichtlichen Gründen von besonderem Interesse sind.
Schon die Entstehung der jiddischen Sprache zeugt vom intensiven Kontakt zwischen Juden und Christen. Die Juden in Mitteleuropa entwickelten auf der Grundlage des mittelalterlichen Deutschs einen eigenen Sozialdialekt, dessen Wortschatz sich durch die aus dem Hebräischen stammenden Ausdrücke und romanische Sprachreste von Anfang an ganz wesentlich von allen anderen Dialekten unterschied. Außerdem wurde dieses mittelalterliche jüdische Deutsch mit hebräischen Buchstaben geschrieben, so daß es in geschriebener Form für Christen unzugänglich war.
Wanderungs- und Fluchtbewegungen brachten es mit sich, daß sich das Jiddische bereits in der frühen Neuzeit nach Osteuropa ausbreitete. Als lebende Sprache entwickelte es sich dort in ähnlicher Weise weiter, wie sich deutsche Dialekte zum Schlesischen verschmolzen. Während das Jiddische im westlichen Mitteleuropa in größerer sprachlicher Nähe zum Deutschen verblieb, entfernte es sich in der slawischen Umgebung lautlich und lexikalisch vom Westjiddischen. Deshalb gerieten auch Wörter slawischen Ursprungs in das Ostjiddische.
Weil es als Emanzipationshindernis galt, gaben die Juden in den deutschsprachigen Ländern das Jiddische seit der Mitte des 18. Jahrhunderts zugunsten des Deutschen auf. Der Sprachwechsel zog sich über Generationen hin und war von Beruf, Bildungsgrad und Umgang bestimmt. Wer in einem betont jüdischen Umfeld verblieb, pflegte die Reste des Jiddischen stärker als derjenige, der sich sprachlich und kulturell nicht von der übrigen Bevölkerung unterscheiden wollte. Ein besonders reines Deutsch ohne jeden Anklang an das Jiddische war darum für viele Juden erstrebenswert.
Als Folge des politischen Erwachens wurde das Jiddische dagegen in Osteuropa seit dem 19. Jahrhundert bewußt zu einer Kultursprache ausgebaut. Ostjuden, die mit Jiddisch als Muttersprache aufgewachsen waren, strebten nach Berlin und Wien und bildeten dort ostjiddische Sprachgemeinschaften. Mit der ostjüdischen Emigration verbreitete sich das Ostjiddische seit dem späten 19. Jahrhundert über Westeuropa nach Nordamerika, als Folge der Fluchtbewegungen im 20. Jahrhundert auch nach Mittel- und Südamerika, Afrika und Asien. Dort nahm es gelegentlich Wörter aus den Landessprachen in seinen Wortschatz auf.
Mit dem Jiddischen kamen in Deutschland Gauner und Gelehrte bereits im 16. Jahrhundert in Kontakt. Vaganten lernten jüdische Ausdrücke auf der Wanderschaft kennen und nahmen sie in ihre Geheimsprache auf. Die Gelehrten bemerkten, daß Juden das Hebräische beherrschten, dem das Interesse der frühneuzeitlichen Hebraisten galt. Erste Wörter aus dem Jiddischen kamen deshalb schon am Ende des 15. Jahrhunderts in die deutsche Sprache. Im Barockzeitalter nahm das Interesse am Jiddischen zu, weil man auch die Volkssprache der Juden verstehen wollte. Von der jiddischen Sprache begeisterte Christen banden sich gelegentlich die jüdische Maske vor und verfaßten Gedichte, die mit jüdischen Wörtern aufgeputzt waren.
Als sich die Ghettotore öffneten, verstärkte sich der Kontakt zwischen Juden und Christen. Das hatte auch sprachlichen Austausch zur Folge. Das christliche Interesse am Jiddischen nahm zu. Auch Goethe gab sich bei seinen kindlichen Sprachstudien mit der Volkssprache der Juden ab. Die preußische Obrigkeit ließ sich auf das Jiddische nicht mehr ein und verfügte bereits im 18. Jahrhundert, daß die Geschäftsbücher in deutscher Sprache zu führen seien. Die Umgangssprache ließ sich nicht anordnen. Jüdische Handelsleute benutzten darum besonders im Viehhandel auch weiterhin ein Idiom, das wegen der aus dem Hebräischen stammenden Ausdrücke für christliche Geschäftspartner unverständlich war. Das weitverbreitete Interesse an der Enthüllung dieser Fachsprache bedienten Aufklärungsschriften bis ins 20. Jahrhundert. In bestimmten Bereichen des Handels wurde im 19. Jahrhundert ein noch stark jiddisch geprägtes Deutsch gesprochen. Christen waren deshalb gezwungen, diese Fachsprache zu erlernen, wenn sie erfolgreich am Handelsleben teilnehmen wollten.
Ausdrücke aus dem Jiddischen kamen auf verschiedenen Wegen in die deutsche Sprache und wurden in einzelnen Gesellschaftskreisen in unterschiedlicher Weise gebraucht. Die meisten Ausdrücke enthielt das Deutsch der Juden. Im Familienkreis blieben jüdische Ausdrücke lange in Gebrauch. In der Öffentlichkeit wurden sie seit dem späten 19. Jahrhundert mehr und mehr vermieden. In den großen Städten verbreitete sich die Kenntnis dieser besonderen Familiensprache auch durch Dienstpersonal, das sich den Wortschatz der Herrschaft aneignete und weitertrug. Auf dem Lande wurden jüdische Ausdrücke in Nachbarschaften und durch jüdische Wanderhändler verbreitet, die ihre Kundschaft regelmäßig aufsuchten. Auf der Börse war es im frühen 19. Jahrhundert notwendig, sich den Jargon der jüdischen Börsianer anzueignen. Dagegen blieben die Metzger- und Viehhändlerausdrücke lange gehütetes Geheimwissen, das wirtschaftliche Vorteile sichern half. Diese Tradition bewahrten christliche Viehhändler noch in den frühen sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts, wenn sie einen jungen Wissenschaftler, der die Ausdrücke erfragen wollte, mit dem Hund vom Hof jagten.
Geheimwissen war der Wortschatz der Vaganten und Gauner seit dem ausgehenden Mittelalter. Seine jüdischen Bestandteile wurden aus der Sprache jüdischer Gauner übernommen und sorgfältig gepflegt. Gefängnisse und Erziehungsanstalten sind bis in die Gegenwart der Ort, an dem der Wortschatz vermittelt wird. Sie waren aber auch die Stelle, an der interessierte Kriminalisten immer wieder Vokabulare und Dokumentationen angefertigt haben. Auch andere Berufsgruppen haben aus diesem Vorrat geschöpft, z.B. Kleingewerbetreibende, Landstreicher, Dirnen, Musikanten oder Maurer.
Bühnenkünstler und Journalisten haben sich nicht beim Rotwelsch der Gauner, sondern direkt beim jüdischen Deutsch bedient. Auf und hinter der Bühne, in Redaktionen und Zeitungen waren Wörter aus dem Jiddischen seit dem späten 19. Jahrhundert eine beliebte Zutat. Sie wurde von Parodisten und Polemikern aufgegriffen. Als sich Antisemiten ihrer bemächtigten, rief dies eine sprachkritische Reaktion hervor. Vor allem Karl Kraus nahm die Geisteshaltungen ins Visier, die durch die jiddischen Ausdrücke vermittelt wurden.
Zu Scherz und Spott, aber auch zu polemischen Angriffen auf jüdische Bürger, denen man Gleichberechtigung und sozialen Aufstieg neidete, wurden die jiddischen Ausdrücke in Parodien des frühen 19. Jahrhunderts benutzt. Als antisemitische Tendenzen in Deutschland zunahmen, wurden sie denunziatorisch herausgestellt und zur Agitation gegen Juden eingesetzt. Von Juden wurden solche Ausdrücke daher seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in der Öffentlichkeit immer mehr vermieden. In der Zeit der Verfolgung konnte man seine mühsam verborgene Identität schon mit einem einzigen Wort verraten. Die Ausdrücke wurden darum auch von Juden aus dem aktiven Sprachgebrauch getilgt.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die aus dem Jiddischen stammenden Wörter von der nichtjüdischen Bevölkerung wegen des Mißbrauchs durch die nationalsozialistische Propaganda weitgehend tabuisiert. Sie gerieten deshalb innerhalb einer Generation fast völlig in Vergessenheit. Seit den sechziger Jahren wurde die Kenntnis des Judentums aus volkspädagogischen Gründen bewußt gefördert. Das stellte das Interesse an jüdischen Themen auf eine neue Grundlage und bahnte einem neuen Verständnis den Weg. Damit kehrten auch jiddische Wörter in die Öffentlichkeit zurück.
Anders als früher werden sie aber heute weitgehend ohne jüdische Konnotation verwendet. Nicht nach der Zahl seiner Wörter, wohl aber nach der Frequenz stellt der heutige Gebrauch einen Höhepunkt in der Geschichte der jiddischen Ausdrücke im Deutschen dar. Während es früher als ungewöhnliche Besonderheit registriert wurde, wenn das Mitglied eines Fürstenhauses ein aus dem Jiddischen stammendes Wort in den Mund nahm, überbieten sich heute führende Politiker darin, ihr Wirken in Parlament und Öffentlichkeit auch mit Hilfe solcher Ausdrücke zu vermitteln.
Da sich der Sprachwechsel von einer Sprache zur anderen ohne entsprechende Lehrer und Schulen länger hinzieht, blieb ein jiddisch gefärbtes Deutsch in manchen Gegenden bis ins 19. Jahrhundert, in einigen Randgebieten sogar bis ins 20. Jahrhundert lebendig. Vor allem die einfachere jüdische Bevölkerung hatte Wichtigeres zu tun, als auf Hochsprachlichkeit und Sprachreinheit zu achten. Das wurde ihr von der jüngeren Generation vielfach zum Vorwurf gemacht. Der Konflikt spiegelt sich nach 1900 in Auseinandersetzungen jüdischer Schriftsteller über den Gebrauch der deutschen Sprache. Sie stritten über die Möglichkeit, als Juden deutsche Literatur zu schaffen, die allerhöchsten Ansprüchen an die Sprache standhalten kann.
In jüdischen Kreisen erhielten sich große Teile des jiddischen Wortschatzes und wurden in das Alltagsdeutsch integriert. Reste des Jüdischdeutschen wurden seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts gesammelt und dadurch der Nachwelt überliefert. Als Spiegel des Alltags bewahren die aus dem Jiddischen stammenden Wörter charakteristische Details der jüdischen Lebenswelt. Jehuda Leopold Frank bot unter dem Titel »Loschen Hakodesch« 1961 »Jüdisch-deutsche Ausdrücke, Sprichwörter und Redensarten der nassauischen Landsjuden«. Die Sammlung enthält den aus dem Jiddischen stammenden Wort- und Sentenzenschatz, wie er noch im 20. Jahrhundert unter Juden in Flacht bei Diez an der Lahn üblich gewesen ist. Solche Reste konnte der Bearbeiter dieses Buches um dieselbe Zeit auch in Hessen bergen und der wissenschaftlichen Öffentlichkeit 1963 zugänglich machen. 1966 legte Arthur Zivy unter dem Titel »Elsässer Jiddisch« eine größere Sammlung von Wörtern, Sprichwörtern und Redensarten vor, die den großen Umfang dieses Sonderwortschatzes deutscher Juden vom Rand des Sprachgebiets eindrucksvoll bestätigen.
Mit seinem Buch »Die Reste des Jüdischdeutschen« zielte Werner Weinberg 1969 nicht auf eine Rekonstruktion des Jiddischen, sondern auf die Dokumentation des jüdischen Deutschs, das er als »Mischdeutsch« charakterisierte, »nämlich Deutsch mit reinen oder eingedeutschten hebräischen Zusätzen«. Sie wurden bis in die dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts besonders in ländlichen Gebieten noch sehr häufig gebraucht. Den außergewöhnlich umfangreichen religiösen Teil dieses jüdischen Sonderwortschatzes hat Weinberg separat gesammelt. Walter Röll hat Weinbergs Buch 1994 als »Lexikon zum religiösen Wortschatz und Brauchtum der deutschen Juden« herausgegeben. Während aus dem Alltagswortschatz viele Wörter in den Sprachgebrauch der Christen übergegangen sind, beschränken sich die Übernahmen aus dem religiösen Wortschatz nur auf wenige Ausdrücke.
Von den Sondersprachen haben die Idiome der Pferdehändler sowie der Metzger- und Viehhändler die Aufmerksamkeit seit langem auf sich gezogen. Ihnen wie auch der sogenannten Marktsprache, die auf ländlichen Märkten zu hören war, wollte man von christlicher Seite aus mit Enthüllungsschriften beikommen. Dagegen sind die bis ins 18. Jahrhundert gebräuchlichen Ausdrücke des Handelsverkehrs und die noch im 19. Jahrhundert übliche Börsensprache bisher nicht genauer erforscht worden. Heinrich Heine hat darauf hingewiesen, daß zumindest in Frankfurt am Main auch Christen dieses Idiom beherrschen mußten, wenn sie am Handelsleben teilnehmen wollten. Ähnliches gilt auch für den jiddisch gefärbten Presse- und Bühnenjargon. Er war im frühen 20. Jahrhundert unter Insidern allgemein bekannt, ist aber noch nicht systematisch erforscht worden. Der Dokumentation des Idioms der Pferdehändler hat Florence Guggenheim-Grünberg mehrere materialreiche Untersuchungen gewidmet. Elemente dieses fach- und berufssprachlichen Sonderwortschatzes sind in Umrissen erfaßt und werden in diesem Buch in Beispielen dargeboten.
Von der Alltagssprache einer ländlichen jüdischen Bevölkerung und von Fachsprachen bestimmter Berufsgruppen unterscheidet sich das Deutsch jüdischer Intellektueller. Sie gebrauchten die aus dem Jiddischen stammenden Wörter um ihrer besonderen Wirkung willen ganz bewußt. Ein erhellendes Beispiel hat Sammy Gronemann überliefert. Bei einer zionistischen Versammlung in den Jahren um 1900 hatte ein Redner gesagt, das jüdische Leben im Galuth (wörtl. ›Wegführung ins Exil‹, jidd. golus, goles ›Exil‹) sei durch die Ausdrücke nebbich und Rachmones zu charakterisieren. Ein anderer Redner äußerte, die beiden jüdischen Wörter nebbich und Rachmones könne man nur mit einem weiteren jüdischen Ausdruck kommentieren: Stuß. Ein dritter überbot ihn noch einmal mit der Bemerkung, auf Stuß lasse sich nur noch Chuzpah erwidern.
Diskussionen, in denen mit Wörtern aus dem Jiddischen wie mit einem Florett gefochten wurde, waren unter jüdischen Intellektuellen nicht selten. Karl Kraus präsentierte dabei die »jüdischen Ekelworte«, derer er sich wie bei Chuzpe, Gewure, Mezzie, Rebbach, Nebbich, Ponem, Asis-Ponem oder Tineff notgedrungen bedienen müsse, seiner Leserschaft wie auf einem Tablett. Anton Kuh hingegen benutzte in seiner berühmt gewordenen Stegreifrede gegen Karl Kraus nicht nur Ausdrücke wie Kille oder Mischpoche, sondern prägte im Feuer der polemischen Auseinandersetzung sogar neue Wörter wie Itzig-Seuche, Itziglismus, Zeittinnef oder Tinnefologie. Im Begriff des Mischpochalen verband er die Epoche mit der Mischpoche überdies zu einer einzigartigen Melange. Obwohl dieser prononcierte Sprachgebrauch stark momentgebunden war, wird hier der Versuch unternommen, sein geistiges Niveau und die Treffsicherheit der Wortprägungen wenigstens in Beispielen deutlich werden zu lassen.
Das jüdische Deutsch, wie es in der sozialen Mittelschicht in Gebrauch war, hat Bruno Kirschner 1930 in einer Auswahl von »Vulgärausdrücken« dargeboten. Dieser Terminus war nicht geringschätzig gemeint, sondern sollte die Volksläufigkeit derjenigen Wörter betonen, die aus dem Hebräischen über das Jiddische in das Deutsche übergegangen sind. Dabei hat sich Kirschner nicht auf diejenigen jüdischen Ausdrücke beschränkt, die im jüdischen Deutsch gebräuchlich waren, sondern auch jenen seine Aufmerksamkeit geschenkt, die schon damals im Sprachgebrauch der Nichtjuden vorkamen.
Die Sprachverhältnisse in großen Städten mit beträchtlicher jüdischer Bevölkerung unterschieden sich stark voneinander. In Frankfurt am Main gab es im 19. Jahrhundert neben dem Halbdialekt des Vornehm-Frankfurterischen, dem Amtsdialekt des Offiziell-Frankfurterischen und dem Dialekt der Vorstadt auf dem jenseitigen linken Mainufer mit dem Jüdisch-Frankfurterischen eine vierte Stadtmundart. Sie unterschied sich von den anderen vor allem durch die aus dem Jiddischen stammenden Ausdrücke, die auch von Christen erlernt und im Umgang mit Juden ohne negativen Beigeschmack verwendet wurden. Durch die Sammlungen für das Frankfurter Wörterbuch ist dieser Wortschatz verhältnismäßig gut erfaßt.
In Berlin wie in Wien war die Sprache vom Wohnquartier abhängig. In beiden Städten wohnten jüdische Zuwanderer in der Regel zunächst im Osten der Stadt, in Berlin im Scheunenviertel, in Wien in der Leopoldstadt. Sie strebten von dort in die besseren Stadtbezirke, wobei mit dem Umzug und dem gesellschaftlichen Aufstieg auch der teilweise Verzicht auf den jüdischen Sonderwortschatz einherging. Wie Sammy Gronemann berichtet hat, wurde das Bellevue-Viertel Berlin NW, das zwischen dem Berlin O der Ostjuden und dem Berlin W der Parvenüs gelegen war, von Juden scherzhaft Nebbichwesten genannt.
Aus der Sprache der Berliner Juden ging vieles in das Berlinische ein. Nachdem schon Agathe Lasch auf den jüdischen Anteil am Berlinischen hingewiesen hatte, hat Andreas Nachama dem »Jiddisch im Berliner Jargon« 1994 eine eigene Darstellung gewidmet. Auch in Wien unterschieden sich die jüdischen Tonfälle auf der Mazzesinsel von jenen in Hietzing oder im neunten Bezirk. Wie in Berlin sind viele jiddische Wörter in den Stadtdialekt eingegangen und dort noch mehr als anderswo lebendig. Obwohl eine große Dokumentation dieses Wortschatzes einstweilen noch aussteht, werden charakteristische Elemente aus den genannten Stadtdialekten im Wörterverzeichnis aufgeführt.
Wie die nach und nach fertiggestellten großen Wörterbücher der deutschen Mundarten belegen, sind jiddische Wörter in manchen Gegenden zahlreich in die Bauernmundarten aufgenommen worden, andernorts dagegen kaum oder gar nicht. Das hängt einerseits mit dem verschiedenen Anteil der Juden an der Gesamtbevölkerung zusammen und wird andererseits auch von den früheren Wohnsituationen und den damaligen Sozialverhältnissen bestimmt. Wo Juden und Christen wie in hessischen Dörfern und kleinen Städten oftmals sehr dicht beieinander wohnten, ergaben sich aus solcher Nachbarschaft Kontakte in der Alltagssprache. Sie hatten beim christlichen Teil der Bevölkerung ein Wissen um die Besonderheiten des jüdischen Wortschatzes und in großem Umfange auch dessen Übernahme in den eigenen Sprachgebrauch zur Folge.
Aus Einzeluntersuchungen, Wörterbucharchiven und gedruckten Dialektwörterbüchern hat Heidi Stern ein »Wörterbuch zum jiddischen Lehnwortschatz in den deutschen Dialekten« zusammengetragen, das durch seine Synopse des bisher verfügbaren Materials eine eindrucksvolle Bilanz des Sprachkontakts auf dem Lande bietet. Zugleich kann es als Wegweiser zu den einzelnen Fundstellen genutzt werden. Die Übersicht zeigt, wie die jiddischen Wörter lautlich und semantisch unter den Einfluß der jeweiligen Mundarten gerieten und sich daraus bisweilen sogar weitgestreute Gebrauchsweisen ergaben. Beispielsweise bedeutet Chajes in der Sprache deutscher Juden und in manchen deutschen Mundarten ›Leben‹, in anderen dagegen ›Tod‹. Auf diese Entwicklungen wird im vorliegenden Buch in Einzelfällen hingewiesen, doch können wegen ihrer großen Zahl nicht alle Formen und Bedeutungen der aus dem Jiddischen stammenden Wörter in den deutschen Mundarten hier verzeichnet werden.
Bei den Sondersprachen, in die jiddische Wörter integriert sind, steht das Rotwelsche, die historische Gaunersprache, unbestritten an erster Stelle. Weil jiddische Ausdrücke sich wegen ihrer Fremdartigkeit vorzüglich als Elemente einer Geheimsprache eigneten, haben Gauner sie über Jahrhunderte sorgfältig bewahrt. Kriminalisten und Sprachforscher, die das Rotwelsche dokumentieren wollten, haben dazu besonders im 19. Jahrhundert Wörterbücher des Jiddischen herangezogen. Wegen der Ähnlichkeit des rotwelschen und des jüdischen Sprachgebrauchs glaubten sie, Schwierigkeiten der Dokumentation rotwelscher Wörter auf diese Weise umgehen zu können. Sie lieferten jedoch dem Vorurteil Nahrung, zwischen dem Rotwelschen und dem Jiddischen, zwischen Gaunern und Juden gebe es keinen Unterschied.
Tatsächlich sind die Unterschiede zwischen den Idiomen beträchtlich. Viele rotwelsche Ausdrücke gehen zwar auf das Jiddische zurück, weichen davon aber in Lautung und Bedeutung häufig sehr stark ab. Knas heißt im Jiddischen ›Geldstrafe‹, Knast im Rotwelschen dagegen ›Gefängnis‹. Baal dowor, in der mündlich üblichen Form Baldower, bedeutete im Jiddischen ›Herr, Besitzer, Unternehmer, Führer‹, im Rotwelschen jedoch ›Hauptunternehmer, Anführer bei einem Diebsunternehmen, Anweiser, Gelegenheitsmacher, Auskundschafter, Diebsführer‹. Wenn bis in die Gegenwart immer wieder behauptet wird, jiddische Wörter seien vorwiegend aus der Gaunersprache ins Deutsche gekommen, so verkennt dies die Gegebenheiten. Dieser Fehlschluß wurde früher zum Zwecke der Denunziation und Diffamierung ganz bewußt herbeigeführt.
Außer in die Gaunersprache sind jiddische Wörter auch in andere Sondersprachen übernommen worden. Sie finden sich u.a. im Jenischen als einer Händlersprache, in der Kundensprache der Landstreicher, in der Soldatensprache, in Handwerkersprachen, der Kaufmannssprache und in der historischen Studentensprache. Heute kommen sie auch in der Jugendsprache vor.
Einzelne historische Sondersprachen sind gut dokumentiert. Zum Rotwelschen gibt es die Quellensammlung von Friedrich Kluge (1901) und das Wörterbuch von Siegmund A. Wolf (1956). Bis in die Gegenwart sind weitere Erhebungen unternommen worden. Auf die Übernahme jiddischer Wörter ins Rotwelsche und andere Sondersprachen ist von Ed. Naschér 1910 im Anhang der Sammlung des jüdischen Jargons und von Bruno Kirschner 1930 bei der Dokumentation der Vulgärausdrücke hingewiesen worden. Im vorliegenden Buch kann auf die Wörter jiddischer Herkunft im Rotwelschen meist nur verwiesen werden.
Von den vielen aus dem Jiddischen stammenden Ausdrücken, die sich in der jüdischen Familiensprache erhalten hatten, im jüdischen Deutsch hervorstachen, in die Stadtdialekte und die deutschen Mundarten übernommen wurden oder im Rotwelschen enthalten sind, tritt nur eine verhältnismäßig geringe Zahl in der Verkehrssprache in Erscheinung. Wie schofel sind einzelne seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert von großen Wörterbüchern erfaßt worden, ohne daß die Lexikographen sie immer richtig gedeutet hätten.
In der Umgangssprache als der vor allem mündlich gebrauchten Form der Verkehrssprache ist ihre Zahl größer. Als Umgangssprache werden jedoch sehr verschiedene Idiome verstanden. Ihr Wortschatz wurde von Heinz Küpper in einem »Illustrierten Lexikon der deutschen Umgangssprache« (1982–84) gesammelt. Aus verschiedenen Quellen hat der Lexikograph solche Ausdrücke hervorgezogen, die man sonst im Wörterbuch nicht findet. Für das vorliegende Buch bedeutet dies, daß Belege aus Küppers Lexikon stets zu überprüfen sind. Es kann nämlich sein, daß von dem Vorkommen in Sondersprachen wie dem Rotwelschen auf eine Verwendung außerhalb von Gaunerkreisen nur geschlossen wurde, ohne daß dafür ein Beleg vorliegt. Wenn die Hochrechnung gar nur von einer jiddischnahen Quelle des Rotwelschen aus erfolgt ist, sind möglicherweise nicht nur die Umgangssprache, sondern auch das Rotwelsche als Verwendungsbereiche auszuschließen.
Bei den jiddischen Ausdrücken in der Verkehrs- und Standardsprache liegen solche Nachweise durchweg vor. Außerdem sind viele dieser Wörter weithin bekannt. Sie werden daher in diesem Lexikon vor allem in den sprachlichen Zusammenhang eingeordnet, während die Angaben zu den Bedeutungen knapp ausfallen können. Manche Ausdrücke wie Chuzpe, Zocker oder Zoff gehören neuerdings zum Zeitgeistjargon und tummeln sich in Presse und Öffentlichkeit. Andere wie mies oder Pleite haben sich durch alle Schwankungen des Sprachgebrauchs als wichtige Bestandteile des deutschen Wortschatzes erhalten.
In der deutschen Literatur werden Wörter jiddischer Herkunft seit dem 16. Jahrhundert verwendet. Dabei ist zwischen der Behandlung jüdischer und nichtjüdischer Themen sowie zwischen Dichtung und Gebrauchsliteratur zu unterscheiden. Die Ausdrücke treten anfangs vorzugsweise bei der Behandlung jüdischer Themen auf und fehlen zunächst auch weitgehend in der hohen Literatur. Makkaronische Gedichte, in denen jiddische Wörter in einen deutschen Sprachrahmen eingefügt sind, gibt es jedoch seit dem Barockzeitalter. Seit dieser Zeit werden Juden im Dialog durch einzelne aus dem Jiddischen stammende Wörter charakterisiert.
Im frühen 19. Jahrhundert kommen Parodien im jüdischen Ton auf. Er wird nicht nur mit lautlichen und syntaktischen Mitteln, sondern auch durch den Wortschatz aufgerufen. Die Parodien vermitteln eine heitere, gelegentlich auch eine aggressiv antijüdische Sichtweise. Es folgen populäre Sammlungen von Witzen und Anekdoten, deren Pointe häufig von einem jüdischen Ausdruck bestimmt wird. Bereits die Titel leben vom jiddischen Wort. Ein jüdisches Publikum delektierte sich an Heften wie Schmonzes-Berjonzes, Eingemachte Esraugim oder Schlachmonaus zu Purim. Titel wie Schmus und Stuss oder Frisch, gesund und meschugge waren auch oder sogar vorzugsweise für ein nichtjüdisches Publikum gedacht.
Jüdische Autoren benutzten die jiddischen Ausdrücke seit dem 19. Jahrhundert zur Milieuschilderung. Leopold Kompert und Salomon Hermann Mosenthal ließen jüdisches Familien- und Gemeindeleben aus der Sprache erstehen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts dienten jiddische Ausdrücke der Satire und Polemik oder wurden zu kabarettistischen Effekten genutzt. Man findet sie bei jüdischen Autoren wie Karl Kraus, Kurt Tucholsky oder Walter Mehring, mit denunziatorischer Absicht außerdem bei nationalistischen Autoren wie Kurt Stapel oder bei Antisemiten wie Artur Dinter. Am Ende des Jahrhunderts rufen jiddische Wörter wie bei Edgar Hilsenrath eine untergegangene Welt in Erinnerung oder verleihen wie bei Rafael Seligmann deutschen Juden im Roman eine jüdische Aura.
Am weitesten vom jüdischen Ursprung haben sich die Wörter in der Lyrik entfernt. Hier werden sie seit Gottfried August Bürger als poetisches Rohmaterial gebraucht, mit dem der Sprache neue Ausdrucksnuancen abgerungen werden können. Alfred Kerr, Karl Kraus, Joachim Ringelnatz, Gottfried Benn, Max Herrmann-Neiße, Walter Mehring, Ludwig Harig, Sarah Kirsch, Robert Gernhardt und viele andere haben sich dieses Wortschatzes in manchmal überraschender Weise bedient.
Der Wortschatz des Jiddischen ist aus verschiedenen Komponenten zusammengesetzt. Während das grammatische Grundgerüst im wesentlichen deutsch ist, machen Wörter hebräisch-aramäischer Herkunft den lexikalisch auffälligsten Bestandteil aus. Ihnen stehen Wörter deutscher Herkunft gleichberechtigt zur Seite. In vielen wurden wie bei schnur ›Schwiegertochter‹ (mhd. snuor, snur) oder wetog ›Schmerz‹ (mhd. wêtac, wêtage) alte deutsche Formen oder Bedeutungen bewahrt. Die romanischen Reste sind auf wenige Ausdrücke wie auern ›beten‹ (zu lat. orare) und benschen ›segnen‹ (zu lat. benedicere) beschränkt. Wörter slawischen Ursprungs wie torbe ›Sack‹ (poln. torba) und zwjek oder zwjok ›Nagel‹ (poln. ćwiek) finden sich fast ausschließlich im Ostjiddischen.
Wenn man von jiddischen Wörtern im Deutschen spricht, meint man in der Regel die Ausdrücke hebräisch-aramäischer Herkunft. Sie treten in ganz verschiedener Lautgestalt auf. Ein hebräisches Wort wurde sephardisch und aschkenasisch verschieden ausgesprochen. Im Jiddischen entwickelte es sich zudem unterschiedlich in den Dialekten des West- und Ostjiddischen. So wurde hebr. cholóm ›Traum‹ in traditioneller Transkription für das Jiddische noch im 19. Jahrhundert als cholom wiedergegeben, lautete im Westjiddischen aber chólem oder chaulem, im Ostjiddischen chojlem.
In der Sprache deutscher Juden finden sich diese Wörter in der Regel in aschkenasischer Aussprache. Das gilt auch dann, wenn sie auf sephardische Weise transkribiert sind. Hebr. rachmanút ›Barmherzigkeit, Mitleid‹ wurde im Jiddischen und in der Sprache deutscher Juden Rachmónes ausgesprochen. So hat es Sammy Gronemann in einem deutschen Text verwendet. Wenn er das Wort Galuth ›Diaspora‹ benutzte und dabei die sephardische Aussprache wiedergab, war dies Ausdruck einer zionistischen Perspektive. Zitierte Gronemann aber einen volksläufigen Ausdruck als Chuzpah, dann war das Wort mit größter Wahrscheinlichkeit nicht Chuzpáh, sondern Chúzpe ausgesprochen worden.
Jiddische Wörter deutschen Ursprungs, die noch mit ihrer jiddischen Bedeutung weitergebraucht wurden, fallen viel weniger auf als Ausdrücke hebräischer Herkunft. Bei ihnen kann man leicht auf die von Übersetzern gefürchteten falschen Freunde hereinfallen. So bedeutet Schul nicht ›Schule‹, sondern ›Synagoge‹, Scheitel nicht ›Teilung des Haupthaars‹, sondern ›Perücke‹. Weil Juden dies keine Probleme bereitete, haben sich Bruno Kirschner (1930) und Werner Weinberg (1969) bei der Sammlung von Vulgärausdrücken und Resten des Jüdischdeutschen im Mischdeutsch fast ausschließlich auf die Hebraismen des Jiddischen beschränkt.
Wörter jiddischen Ursprungs bildeten auch nach dem Sprachwechsel der Juden vom Jiddischen zum Deutschen das sprachliche und kulturelle Substrat und blieben daher weiter in Gebrauch. Ihr Vorkommen und die Häufigkeit ihres Gebrauchs hing von vielen Umständen ab, von Kommunikationsanlässen und Gesprächspartnern, von den behandelten Themen und vom Öffentlichkeitsgrad der jeweiligen Kommunikation, vor allem aber von den sozialen und politischen Bedingungen. Wie Eisberge wurden diese Ausdrücke daher von Nichtjuden in der Regel nur zu einem geringen Teil wahrgenommen, während der größere Teil als passiver Wortschatz ungehört blieb.
Wörter jiddischen Ursprungs wurden in sehr verschiedener Auswahl in Stadtdialekte, Mundarten und Sondersprachen übernommen. Das geschah entweder direkt aus der Sprache der Juden oder indirekt aus anderen Quellen. Beispielsweise müssen die im rheinisch-westfälischen Industriegebiet verbreiteten Wörter Maloche ›Arbeit‹ und Katzoff ›Metzger‹ von Zuwanderern aus den preußischen Ostgebieten mitgebracht worden sein. Denn es gab im 19. Jahrhundert kaum Juden an der Ruhr, die sie der Industriearbeiterschaft hätten vermitteln können. In die Umgangssprachen und in die Verkehrssprache gelangten die meisten Wörter aus Stadtdialekten, Mundarten und Sondersprachen. Andere wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch jüdische Trendsetter in Presse und Öffentlichkeit eingeführt. Ausdrücke wie Schtetl, Klesmer, Lidl oder Fidl gehen auf das neu erwachte Interesse an jüdischer Kultur und Geschichte seit 1960 zurück und stellen die vorerst jüngste Schicht deutscher Wörter jiddischer Herkunft dar.
Wenn die jiddischen Wörter bis in die Verkehrssprache vorgedrungen sind, werden sie oft sehr produktiv. Das bedeutet, daß Ableitungen wie zoffen von Zoff und Zusammensetzungen wie Abstiegs-Schlamassel oder Zicken-Zoff spontan gebildet werden. Diese Art der sprachlichen Weiterentwicklung ist für das Deutsche charakteristisch und tritt deshalb auch bei Wörtern jiddischen Ursprungs auf. Zu zocken und Zocker haben sich in sehr kurzer Zeit Ableitungen wie Zockerin und Zockerei, abzocken, Abzocker und Abzockerei eingestellt. Abgezocktsteht bereits mit neuen Bedeutungen im Wörterbuch. Bei den Zusammensetzungen finden sich Ausdrücke wie Zocker-Kundschaft, Zocker-Maschinen, Zockermentalität, Zockermilieu oder Zockerqualitäten. Da jeden Tag neue Ableitungen und Zusammensetzungen entstehen, können sie im Lexikon nur beispielhaft erfaßt werden. Dabei wird jenen der Vorzug gegeben, die wie Miesmacher ›Baissier‹ eine besondere Bedeutung besitzen oder wie Riesenreibach außergewöhnliche Klangqualitäten aufweisen.
Wenn Ausdrücke aus dem Jiddischen im Deutschen verwendet werden, kann deren Integration ganz unterschiedlich ausfallen. Am fremdesten sind bloße Wortzitate, die in eine deutsche Textumgebung eingefügt sind. Das kommt in idomatischen Wendungen vor. In der jüdischen Redensart Das haaßt mer: Mechallel Schabbes umsunst ist die jiddische Formulierung mechallel schabbos sein ›den Sabbat entheiligen‹ enthalten. Der Spruch wurde von Juden gebraucht und bedeutete, daß etwas keinen oder nur geringen Gewinn abwarf.
Mehr als solche Zitate sind Fremdwörter sprachlich ins Deutsche integriert. Sie sind noch erkennbar fremd, aber doch schon so üblich, daß sie zum deutschen Wortschatz zu rechnen sind. Hierzu gehört der Ausdruck Schabbesgoje, wörtlich ›Nichtjüdin für den Sabbat‹. Diese Bezeichnung für die nichtjüdische Haushaltshilfe war bereits im Barockzeitalter üblich und ist schon damals in den deutschen Wortschatz eingegangen. Fromme Juden benötigten eine Schabbesgoje für Arbeiten, die ihnen am Sabbat aus religiösen Gründen verboten waren.
Am Beispiel zweier Ausdrücke aus demselben Wortstamm läßt sich zeigen, wie verschieden sich die Integration im Einzelfall gestalten konnte. Schegez ›christlicher Bursche‹ ist Fremdwort geblieben, Schickse ›christliches Mädchen‹ dagegen auf dem Weg zu einem Lehnwort vorangekommen. Die Verkleinerungsformen Schicksel und mit doppelter Verkleinerung Schickselchen sowie neue Bedeutungen lassen erkennen, daß dieser Prozeß schon weit fortgeschritten war, als alle Wörter jiddischer Herkunft unter ein Tabu fielen. Als Lehnwort ganz integriert ist jidd. bajis ›Haus‹ im österreichischen Beisel ›Gaststätte‹ und im deutschen Beize ›Kneipe‹. Mit beißen und mit beizen haben beide Wörter etymologisch nichts zu tun.
Von den verschiedenen Mitbedeutungen ist die Konnotation »jüdisch« grundlegend. Früher war vielen Deutschen sofort klar, daß es sich um ein jüdisches Wort handelte, wenn einer der in diesem Lexikon gesammelten Ausdrücke verwendet wurde. Sie wurden oft als decouvrierend empfunden. Als sprachliches Zeichen überwundener Verhältnisse wurden sie von Juden vermieden, von anderen dagegen im Familienkreis in provozierender Absicht ganz bewußt verwendet. Die zweite grundlegende Konnotation ist »gaunerisch«, die aus der Aufnahme jiddischer Wörter in das Rotwelsche resultierte.
Demagogen haben beide Konnotationen absichtlich und in verfälschender Weise miteinander verknüpft. Daß diese Vermischung von dem Sprachwissenschaftler Alfred Goetze bei der Neuauflage eines etymologischen Wörterbuchs der deutschen Sprache 1934 ganz bewußt vorgenommen wurde, um der »geistigen Wehrpflicht« genügen zu können, zeigt die Verblendung in dunkler Zeit. Dies lieferte die wissenschaftliche Begründung für eine menschenverachtende Propaganda, bei der die jiddischen Relikte in der Sprache deutscher Juden eine wichtige Rolle spielten.
Mit Wörtern jiddischer Herkunft werden auch andere Konnotationen aufgerufen. Sie können »salopp«, »journalistisch«, »witzig« oder »polemisch« gebraucht werden. Einige erscheinen mit hoher Frequenz neuerdings auch als modische Zutat des öffentlichen Sprachgebrauchs. Andere gehören nur zum peripheren Wortschatz oder sind Teil von Fachjargons wie dem der Börsianer, der Viehhändler oder der Bühnenkünstler gewesen. Heute deuten manche Ausdrücke eher auf Profifußballer, Sportjournalisten und Politiker hin, als daß sie noch als »jüdisch« in Erscheinung treten würden.
Wörter jiddischer Herkunft waren im jüdischen Deutsch vor allem Bestandteil der Alltagsrede. In der Literatur wurden sie als Symptom des Judentums benutzt, charakterisierend in Bühnenstücken, dokumentierend oder mit didaktischer Absicht in erzählerischen Texten des 19. Jahrhunderts. Zu humoristischen Effekten dienten sie bei Witzen und Anekdoten, satirisch wurden sie im Kabarett eingesetzt, polemisch in der öffentlichen Auseinandersetzung, auch unter Juden, in Stellung gebracht.
Typisch für ihren Gebrauch ist das Stilmittel der Häufung. In der Überschrift Das miese Geschäft mit Pleitefirmen werden mit mies und Pleite gleich zwei der am häufigsten gebrauchten Ausdrücke benutzt. Sie sind inzwischen so alltäglich, daß man kaum noch versteht, warum Anton Kuh am 25. Oktober 1925 bei einer öffentlichen Rede im Wiener Konzerthaussaal für den Ausruf Gott, ist mir mies schallende Heiterkeit ernten konnte.
Mit jiddischen Wörtern werden besondere Farbtupfer aufgetragen. Sie ermöglichen klangliche Effekte wie bei kaputter Koscher-Koch, maßloser Miesmacher, Riesenreibach oder Zicken-Zoff. Sie eignen sich für Wortspiele wie bei Otto Waalkes’ Antwort auf die Frage nach dem besten Platz zum Leben: am Reibach oder im Überfluß. Sie lassen sich polemisch zuspitzen wie in Anton Kuhs Begriff des Mischpochalen oder in Karl Kraus’ Wortschöpfung Chammersängertum, mit dem er einen Tenor als beschränkt abtat. Während hier der Kammersänger als Chammer erscheinen sollte, wurde der als Salzburger Abzockerln bezeichneten Festspielleitung sowohl Abzockerei als auch die Aufgeblasenenheit der Nockerln feuilletonistisch attestiert. Vielleicht ist die Leichtigkeit, mit der ungewöhnliche Ausdrücke gebildet und neue Perspektiven eröffnet werden können, ein Grund dafür, daß ein Teil der Wörter in der Gegenwart so häufig vorkommt.
In dieses Kleine Lexikon können die deutschen Wörter jiddischer Herkunft nur in einer repräsentativen Auswahl aufgenommen werden. Dabei wurde vom aktuellen Sprachgebrauch ausgegangen. Daneben sind Ausdrücke berücksichtigt, denen man in historischen Texten begegnen kann. Wie die jüngste Sprachgeschichte zeigt, können jiddische Wörter nach einer Phase, in der sie nahezu unbekannt sind, jederzeit reaktiviert werden. Sie breiten sich dann manchmal mit großer Geschwindigkeit in der Sprachgemeinschaft aus. Die Streitwörter Zoff und Tacheles sind dafür aktuelle Beispiele.
Die aus dem Jiddischen stammenden Ausdrücke stellen ein Wortschatzreservoir dar, aus dem sich die Sprecher wegen der besonderen klanglichen und semantischen Qualitäten offenbar gern bedienen. Auch Ausdrücke, die erst im Deutschen von jiddischen Wörtern abgeleitet worden sind, können wie Mauscheln und seine ganze Wortfamilie große Wirkung entfalten. Sogar ein jüdisches Kennwort wie nebbich, das als Interjektion eine schwer zu bestimmende Bedeutung hat, konnte im Deutschen in bestimmten Bereichen Karriere machen.
Den Grundstock des Lexikons bilden Wörter, die von deutschen Juden in einer von einzelnen Ausdrücken jiddischer Herkunft geprägten Alltagsrede verwendet wurden. Sie waren Bestandteil der jüdischen Familiensprache, unterschieden jüdische Sondersprachen wie das Idiom der Viehhändler von anderen Berufssprachen, und gaben dem jüdischen Deutsch, soweit es öffentlich in Erscheinung getreten ist, eine unverwechselbare Note. Deshalb sind ad hoc-Bildungen wie Itzig-Seuche, Lallmiesnick und Tinnefologie aufgenommen.
Wörter jiddischer Herkunft aus den Stadtdialekten in Frankfurt am Main, Berlin und Wien dokumentieren die engen sprachlichen Beziehungen innerhalb großstädtischer Gesellschaften. So ist Datscher ein jüdischer Ausdruck aus Frankfurt, dufte ein typisches Berliner Wort, Machloikes in Wien mehr als anderswo bekannt. Das Vorkommen jiddischer Ausdrücke im Rotwelschen und in anderen Sondersprachen konnte nur ansatzweise berücksichtigt werden. Gleiches gilt für die deutschen Mundarten, deren farbiger Wortschatz jiddischer Herkunft zeigt, wie selbständig die Sprecher sprachliche Elemente weiterentwickeln.
Auf das Vorkommen in den Umgangssprachen und in der Verkehrssprache in Deutschland und Österreich wird hingewiesen, ohne allzu Bekanntes hier zu wiederholen. Dagegen wurde Wörtern, die wie NebbochantGut WochJahrzeit