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Jürgen Kaube

Lob des Fußballs

Mit zwölf Zeichnungen
von Philip Waechter

C.H.Beck

Zum Buch

Fußballspielen kann man überall. Man braucht dazu nichts weiter als einen Ball. Und Nostalgie nährt die Liebe zum Fußball: Cruyff, Maradona, Zidane. Doch die Nostalgie von morgen ist heute Gegenwart: Messi, Neuer, Griezmann. Wie hat sich das Spiel geändert? Wie seine Helden? Kann Geld auch Eigentore schießen? Und weshalb hält man seinem Verein die Treue?

Jürgen Kaube klärt die verwirrende Lage mit dem Kopf. Er weiß, warum früher alles besser war, das Spiel aber nie so gut wie heute.

Mit zwölf Zeichnungen von Philip Waechter.

Über den Autor

Jürgen Kaube, Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, hängt seit seiner Kindheit an den Klubfarben grün-weiß. Er ist Mitglied von Werder Bremen und war Außenverteidiger des legendären Teams der Deutschen Akademie für Fußballkultur, die der Schriftstellernationalmannschaft einst nur knapp unterlag.

Inhalt

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

Literatur

Für Levin und Ailton

I

Sieht man vom Selbstlob Gottes ab – Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Und siehe, es war sehr gut. (1. Mose 1, 31) –, dann war das Erste, was überhaupt gelobt wurde, ein Sportler. Die ältesten Gedichte des Abendlandes handeln nicht von der Liebe und nicht vom Tod, nicht von der Schönheit der Natur und nicht von der Schönheit der Nacht – sondern von Olympiasiegern. Es sind Lobgesänge, auf Hieron aus Syrakus, pflückend aller Vorzüge Wipfel, dessen Wagen erster im Pferderennen war, auf Hippokles aus Thessalien, der mit Güte der Füße siegreich im Doppelwettlauf blieb, oder auf Sogenes aus Ägina, den Besten im Fünfkampf, dem Vater bewahrend ein zärtliches Herz. Die ersten Loblieder besingen das Siegen und das Gedenken, das sich der Sieger erwirbt. In gewisser Weise war der Sieg für die Griechen jener Zeit das Wichtigste am Sport, weil schon der Zweite in einem Wettkampf sich bei ihnen nicht mehr sehen lassen konnte und, wie es bei Pindar heißt, sich heimlich nach Hause schleichen musste. In dieser Verachtung der Unterlegenen wirkte nach, dass sie nicht lange zuvor sogar noch den Gottheiten geopfert worden waren, so wie die Verlierer – manche Forscher sagen auch: die Sieger – in den Ballspielen der Maya. Nun aber hatte bei den Griechen als symbolische Stellvertretung für Krieg und Opferritual der Sport den Totschlag ersetzt (Uvo Hölscher). Wer aber siegt: sein ferneres Leben lebt er/in honigmilder Heiterkeit/dank der Kampfpreise. Das Erste, was Dichtung lobte, waren, wie hier in Pindars erster Olympischer Ode, die großen Athleten.

Folgerichtig erfährt der Leser solcher lyrischen Lobgesänge aus ihnen nicht sehr viel über die Verläufe der antiken Wettkämpfe. Sie liegen im Schatten des Sieges. Nach dem berühmten Bonmot des Football-Trainers Vince Lombardi von den Green Bay Packers ist Siegen im Sport nicht alles, sondern das Einzige: Winning isn’t everything, it’s the only thing. Und in einem anrührenden Gespräch hat Berti Vogts, unter den großen Verteidigern einer der Zähesten, davon berichtet, wie im Gladbacher Mannschaftsbus auf der Rückfahrt von einem verlorenen Spiel in München einst sieben Stunden lang geschwiegen wurde, weil der Trainer kein Wort duldete: Die Niederlage war der größte Feind. Wer so antik denkt, für den tritt im Sieg der Sport selbst in seinen Mühen, Zufällen und Bedingtheiten gegenüber seinem Glanz in den Hintergrund. Denn der Triumph, der den Sieger unvergleichlich macht, überstrahlt für ihn alles, worin er den Verlierern ähnelt, was er mit ihnen teilt. Nicht der Sport, sondern der Sportler wird so zum Gegenstand des Lobes.

Das Lob des Siegers sollte dem Helden dabei, so Pindar ganz ausdrücklich, zurückgeben, was dieser seinerseits der Gemeinschaft gegeben hatte. Das Ensemble der griechischen Stadtstaaten empfand sich um 500 v.Chr. fast nur noch in der Betrachtung jener panhellenischen Wettkämpfe als eine solche Gemeinschaft. Das Lob des Siegers war darum das Lob einer Tat, die als glücklicher Augenblick für die Uneinigkeiten des Lebens entschädigte, die Individuen vor allem aber für ihre Vergänglichkeit: Doch besser / Aufs Nächste immer, das vor den Füßen liegt, schaun. / Denn tückisch hängt über dem Mensch die Zeit. Das Lob des Athleten hielt das Glück reiner Gegenwart fest, das sein Sieg für Sekunden aufkommen ließ. Gelobt wurden die Mühe, die der Athlet daran wandte, und seine Selbstüberwindung, gelobt wurden die Kosten, die er nicht gescheut hatte, sowie sein Mut, die Niederlage riskiert zu haben, aber auch den Neid, den jeder Sieg auf sich zog.

Ein Lob des Fußballs kann leicht der Verführung erliegen, es auf ähnliche Weise zu versuchen. Es würde dann ganz zum Lob der Feste des Fußballs, seiner großen Momente, seiner Sieger und der Präsenzerfahrungen, mit denen der Fußball seine Zuschauer versorgt. Das alles sind bedeutende Elemente dieses Sports, sie müssen in jeder Antwort auf die Frage, wodurch er fasziniert, vorkommen. Aber sie unterscheiden ihn nicht von anderen Sportarten, auch im Radfahren, Boxen oder Riesenslalom gibt es all das. Außerdem lässt sich Fußball in seiner Wirkungsmacht nicht allein durch die großen Momente, die großen Spiele, die großen Spieler begreifen. Denn davon gibt es nicht nur viel zu wenige, ihr Gegenteil ist auch immer schon Teil der Attraktion des Fußballs. Fußball ist reine Wahrnehmungspräsenz im Stadion und das «Weißt du noch als …»-Gedächtnis, er ist das Staunen über Virtuosität und das elende Gekicke, das trotzdem nicht zum Abbruch der Beziehungen führt, er ist 7:1 und die Schande von Gijon, Meisterschaft und Abstieg, Zinédine Zidane und Carsten Ramelow, Athletik und Statistik, Lactatwerte und Zirkus. Wer ihn loben will, muss die Einheit all dieser Gegensätze loben.

Das bringt eine zweite Verführung ins Spiel. Wie oft ist dem Fußball nicht lobend attestiert worden, er verbinde, was sonst getrennt sei, und biete Gemeinschaftserlebnisse in einer ansonsten atomisierten oder jedenfalls gespaltenen Gesellschaft? Am letzten großen Lagerfeuer, wie es dann heißt, gebe es für neunzig Minuten keine Schichten, Milieus oder Bildungsherkünfte mehr, sondern nur geteilte Fokussierung. Sogar Nationen oder die ganze Zuschauerwelt soll der Fußball in Sommermärchen zusammen- und einander näherbringen können. Der Torschrei kenne nur noch die Gemeinschaft und ihren Enthusiasmus.

Diese oft wiederholte Beschreibung muss dann allerdings zwischen «richtigen» Fans und den anderen unterscheiden, denen mit der Pyrotechnik und den Hassgesängen, die nicht gar so verbindlich sind. Außerdem passt sie wenig zu einer anderen Formel, die oft für den Fußball verwendet wird: Er sei ein «Spiegel der Gesellschaft». Ganz abgesehen vom Problem, dass wir die Gesellschaft gar nicht kennen, in der wir leben, weswegen es uns auch schwerfallen würde, sie in einem Spiegel wiederzuerkennen: Wir sind, was wir spielen – das klingt zwar lässig, aber was sind wir denn? Und was heißt es über uns, dass wir so viel Verschiedenes spielen? Ganz abgesehen davon also müssten sich die Fußball-Philosophen wohl schon entscheiden. Denn beides zugleich kann der Fußball nicht sein: ein Abbild der Zustände und die ausnahmsweise, örtlich und zeitlich begrenzte Versöhnung ihrer Gegensätze. Man kann den Fußball, mit anderen Worten, nicht sowohl für seinen Realismus loben wie auch für eine 90-Minuten-Utopie, sofern es denn überhaupt eine ist. Manche Enthusiasten, die besonders an der Utopie hängen, stellen sich darum einen Fußball ohne Gewinnenmüssen vor, diesem absolut männlichen Schaden, der siamesisch mit dem System Fußball verbunden ist (Klaus Theweleit). Damit kehren sie die antike Obsession durch das Siegen um, greifen aber genauso am Fußball, wie es ihn gibt und wie er den Enthusiasmus begründet, vorbei. Ohne Gewinnenmüssen und auch ohne absolut männlichen Schaden kein Zidane.

Wozu aber überhaupt den Fußball loben? Wozu preisen, was ohnehin beispiellosen Zuspruch findet? Vor zehn Jahren fragte die Fifa nach, und es wurden 265 Millionen Fußballspieler und -spielerinnen weltweit gezählt. Knapp vier Prozent der Weltbevölkerung betreiben diesen Sport. Im Deutschen Fußball-Bund sind heute mehr als sieben Millionen Spieler und etwa 25.000 Klubs gemeldet. 380 Millionen Menschen sahen das Champions-League-Finale 2015, mehr als zwanzig Millionen in Deutschland das von 2013 zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern München. Gut 700 Millionen Euro schüttet die Deutsche Fußball Liga überwiegend aus Fernsehgeldern an ihre Bundesligavereine aus. Es ist ein einziges Hinschauen, Mitfiebern, Bezahlen, Mitmachen. Auf allen Gebieten: Mehr als sechzig Millionen Mal hatte Sony schon im Sommer 2017 die PlayStation-4-Konsole verkauft, neunzig Millionen waren vom Vorgängermodell abgesetzt worden. Wer bei Google «Fifa» eingibt, erhält als erste Suchangebote keinen einzigen Hinweis auf den Weltfußballverband, sondern ausschließlich solche auf das Computerspiel. Fußball ist mithin auch dort, wo er gar nicht gespielt, sondern nur in virtuellen Räumen nachgespielt wird, eine beispiellose Attraktion. Was also könnte ein Lob des Fußballs dieser allgemeinen Begeisterung noch hinzufügen? Wir werden sehen.

II

Wer verstehen will, weshalb Fußball weltweit die meisten Anhänger hat, muss ihn mit anderen Sportarten vergleichen. Wie sie engagiert er den Körper. Wie sie lebt er vom Unvorhergesehenen und den Schwierigkeiten der Körperkontrolle. Wie an ihnen, so interessiert auch an ihm der Leistungsvergleich. Athlos heißt im Griechischen «Wettbewerb», das «Kräftemessen». In jedem Sport wird behauptet, etwas besser zu können. Jeder Sport ist eine Wette.

Doch Fußball fällt unter den Sportarten auf.

Da ist zunächst seine Unwahrscheinlichkeit. Fußball ahmt nichts nach. Es gibt nichts außerhalb des Spielfeldes, an das er erinnert. Gelaufen, geworfen, geschlagen, gehoben, geboxt, über Hindernisse gesprungen, getanzt und geschwommen wird auch jenseits von Wettkampfstätten. Die meisten Sportarten haben sich also aus Bewegungsformen entwickelt, die alltäglich sind oder zumindest alltägliche Vorbilder kennen und an soziale Zusammenhänge wie die Jagd, den Streit, den Krieg, das Fest oder die Arbeit erinnern. Zu einem Sport, so kann man sagen, wird eine körperliche Handlung immer dann, wenn man sie von ihren Zwecken löst und sie nur ausführt, um zu beweisen, dass man das besser kann als andere. Der Marathonläufer ist nur noch schneller als die anderen, aber er bringt keine Botschaft mehr, der Lauf selbst ist die Botschaft (Rudolf Stichweh).