image

Johannes Kunisch

FRIEDRICH DER GROSSE

 

 

 

 

 

Verlag C.H.Beck

 


 

image

Zum Buch

Friedrich der Große ist das Genie unter Preußens Herrschern – und zugleich die Inkarnation all dessen, was an Preußen fragwürdig, unheilvoll und geradezu dämonisch erscheint. Johannes Kunisch, einer der besten Kenner des Königs unter den deutschen Historikern, schildert in diesem instruktiven Band die ambivalente Persönlichkeit Friedrichs, die Stationen seines Lebens und die Epoche des Ancien Régime. Er macht dabei überzeugend deutlich, dass der berühmte Preußenherrscher sich in den Bahnen seines Jahrhunderts bewegte, aber zugleich in vielen Bereichen, etwa der Rechtsprechung und der Staatsauffassung, erstaunlich modern war.

Über den Autor

Johannes Kunisch, bis zu seiner Emeritierung o. Professor für Neuere Geschichte an der Universität zu Köln, war u.a. Vorsitzender der Preußischen Historischen Kommission in Berlin. Er hat zahlreiche Veröffentlichungen vorgelegt, darunter auch die in mehreren Auflagen erschienene Biographie «Friedrich der Große. Der König und seine Zeit» (52005)und den Band «Friedrich der Große in seiner Zeit. Essays» (2008).

Inhalt

Vorwort

1.   Die Dynastie und der brandenburgisch-preußische Territorienverband: Land und Leute

2.   Die Jugendgeschichte und der Kronprinzenprozess

3.   Die Eroberung Schlesiens und ein trügerischer Friede

4.   Die Jahre der Konsolidierung

5.   Der große Krieg (1756–1763)

6.   Das Rétablissement: Das Wiederaufbauwerk der Nachkriegszeit

7.   Erneute Verstrickungen in die große Politik der Kabinette: Die erste Teilung Polens

8.   Kaiser, Reich und Fürstenbund

9.   Der Alte Fritz: Krankheit, Tod und Begräbnis

 

Bibliographie

Zeittafel

Bildnachweis

Stammtafel der Hohenzollern

Personenregister

Vorwort

Bekannt ist, dass sich deutsche, aber auch eine Fülle ausländischer Historiker und Schriftsteller immer wieder für den Preußenkönig interessiert haben. Es gibt eine umfangreiche, kaum noch überschaubare Spezialliteratur, die sich bis in die kleinsten Verästelungen hinein mit dieser schillernden, in vielem auch widersprüchlichen Herrscherpersönlichkeit beschäftigt hat. In dem im Anhang angefügten Literaturverzeichnis kann nur ein Bruchteil dieses unermesslichen Schatzes dem Leser zu vertiefender Lektüre an die Hand gegeben werden. Im Übrigen sollte nicht unterschlagen werden, dass sich der Autor bereits 2004 in einer größeren Monographie zum Thema dieses Bändchens geäußert hat. So versteht es sich von selbst, dass im vorliegenden Text immer wieder auf diese älteren, mit allen Quellenbelegen versehenen Studien Bezug genommen wird.

Im Mittelpunkt der erneuten Annäherung an ein großes Thema steht auch hier der Siebenjährige Krieg (1756–1763). Denn die gesamte Lebensgeschichte des Königs ist durch den militärischen Zugriff auf Schlesien im Jahre seines Herrschaftsantritts geprägt. Dieser Konflikt erreichte mit der Formierung der großen Allianz der Gegner Preußens im Dritten Schlesischen Krieg seinen Kulminationspunkt und endete 1763 mit dem «Mirakel des Hauses Brandenburg». Die kulturellen Aktivitäten des Königs, sein Mäzenatentum, sein Sammelehrgeiz beim Erwerb von Antiken, Gemälden und Tabatieren, seine Bautätigkeit, seine Kompositionen und seine Poesie, sind neuerdings mehrfach in den Vordergrund gerückt worden. Sie werden ebenfalls behandelt, aber eher am Rande und nicht im Einzelnen gewürdigt. So bilden vor allem die innen- und außenpolitischen Aspekte, also das Profil des Staatsmanns und Feldherrn, das Kernstück der hier vorzulegenden Biographie.

1. Die Dynastie und der brandenburgisch-preußische Territorienverband: Land und Leute

Als Klammer für Staat und Gesellschaft fungierte wie in den meisten zusammengesetzten Monarchien der Frühen Neuzeit die Dynastie. Sie war es, die im Laufe der Jahrhunderte – sei es durch Heirat und Erbschaft, sei es durch Waffengewalt – eine Fülle verschiedener Territorien zusammenführte, die auch im 18. Jahrhundert noch keineswegs eine Einheit darstellten. Diese Besonderheit frühneuzeitlicher Staatsbildung war auch in Brandenburg-Preußen exemplarisch ausgeprägt. Erst mit dem Erwerb der Königskrone im Jahre 1701 wuchsen die über das ganze Reich verstreuten Einzelterritorien zu einem Staatsgebilde zusammen, das durch die Dynastie, ihre Repräsentation auf der europäischen Bühne, die festgefügt erscheinende Armee und die Wahrnehmung von außen als eine Einheit empfunden wurde.

Der maßgebliche Anteil an diesem Prozess dynastischer Staatsbildung gebührt dem Ehrgeiz und dem Durchsetzungsvermögen der Kurfürsten aus dem Hause Hohenzollern. Die Hohenzollern waren als südwestdeutsches Fürstengeschlecht und als kaisertreue Burggrafen von Nürnberg 1415 mit dem Markgrafentum Brandenburg belehnt worden und gelangten so auch in den Besitz der Kurwürde, die seit der Goldenen Bulle von 1356 unter dem besonderen Schutz von Kaiser und Reich stand. Diese Kurlande wurden zur Keimzelle einer Arrondierungspolitik, die vor allem nach dem Erbfall des außerhalb der Reichsgrenzen gelegenen Herzogtums Preußen den Anspruch auf eine Königswürde zu legitimieren vermochte. In die Fußstapfen der immer stärker nach ‹Großmacht› strebenden Generationen trat Kronprinz Friedrich, der nicht zuletzt durch seine standesbewusste Geschichtsschreibung mit dieser Tradition und dem Durchsetzungswillen seiner Vorfahren vertraut war.

Das Erbteil, das ihm 1740 bei seiner Thronbesteigung zufiel, verfügte einschließlich der territorialen Zugewinne des 17. Jahrhunderts über eine Einwohnerzahl von ca. 2.240.000 Seelen. Durch die Akquisitionen Friedrichs (Schlesien, Ostfriesland und Westpreußen) erhöhte sich die Zahl um etwa zwei Millionen auf insgesamt fünfeinhalb Millionen Einwohner im Jahre 1784. Mit Ausnahme der westlichen Territorien am Niederrhein (Kleve, Mark und Ravensberg) war es ein städtearmes, also agrarisch geprägtes und vor allem dünn besiedeltes Land, das durch Verkehrswege zu Wasser (Kanäle) und zu Lande in grenzüberschreitendem Maßstab noch wenig erschlossen war. Es nahm in seiner ökonomischen Leistungsfähigkeit keineswegs eine Spitzenposition unter den Reichsterritorien ein. Vielmehr trat es als ein Land in Erscheinung, das nicht zuletzt wegen seiner territorialen Zersplitterung nur bei konsequenter Ausnutzung aller personellen und materiellen Ressourcen eine Statusverbesserung im Mächtesystem erreichen konnte.

Das Kernstück des Erbes, das Friedrich zu Beginn seiner Herrschaft antrat, bestand in einer wohlgeordneten und funktionsfähigen Verwaltung. An der Spitze der Zentralbehörden stand das 1723 nach einer persönlichen Instruktion des Vaters geschaffene Generaldirektorium, wie es vereinfachend genannt wurde, das zwei lange Zeit konkurrierende Behörden – das modernere, merkantilistisch orientierte General-Kriegskommissariat und das bodenständig wirtschaftende Domänendirektorium – in einer einzigen, nach klar umrissenen Zuständigkeiten gegliederten Oberverwaltungsinstanz zusammenführte. Es setzte zwei sich scheinbar widersprechende Prinzipien frühmoderner Herrschaftspraxis in einer für viele Jahrzehnte vorbildlichen Weise um: Verwaltungseinheit auf der einen, Ressorttrennung auf der anderen Seite. Diesem Kollegium, das seine Amtsräume im Berliner Stadtschloss hatte, wurde der gesamte Bereich der Innenpolitik einschließlich der Finanzverwaltung zugewiesen. Ferner war es für Angelegenheiten der Militärökonomie und das Kriegsproviantwesen zuständig. Es setzte sich aus vier Provinzialdepartements zusammen, wobei jede dieser Behörden zugleich auch für einige Gesamtbelange der Monarchie verantwortlich war. Es handelte sich demnach um eine für das 18. Jahrhundert noch verbreitete Mischung aus territorialer und sachlicher Zuständigkeit, obwohl die Verwaltungsreformen Friedrich Wilhelms I. als durchaus modern und in die Zukunft weisend eingeschätzt werden müssen.

Friedrich der Große, der Sohn, hat diese zentrale Regierungsbehörde im Wesentlichen unangetastet übernommen und Veränderungen nur insofern vorgenommen, als ihm eine weitere Ressortdifferenzierung unerlässlich erschien. So richtete er unmittelbar nach seinem Herrschaftsantritt ein fünftes Departement für «Commercien- und Manufactur-Sachen» ein – dieses Mal mit ausschließlich gesamtstaatlicher Zuständigkeit. Das mochte kein übermäßig origineller Gedanke gewesen sein. Er belegt jedoch, dass Friedrich mit neueren Tendenzen der Staatsökonomie – hier den Grundprinzipien des Merkantilismus – durchaus vertraut war.

Diese Zentralbehörde war ursprünglich kollegialisch verfasst, hatte ihre Beschlüsse also im Plenum zu beraten, dessen Vorsitz der König führte. Doch hat weder Friedrich Wilhelm I. noch sein Sohn jemals an den Sitzungen des Generaldirektoriums teilgenommen, sondern die letztendlich maßgeblichen Entscheidungen im Kabinett, d.h. allein im Arbeitszimmer des Monarchen, gefällt und durch Kabinettssekretäre in Auftrag gegeben – Immediatbeamten, die im Laufe der Zeit als Einzige noch den Überblick über das gesamte Regierungshandeln hatten. Dem Generaldirektorium waren als ausführende Organe die in den Provinzen tätigen Kriegs- und Domänenkammern zugeordnet und mit entsprechenden Verwaltungskompetenzen ausgestattet worden. Auf dem platten Lande regierte indessen der Landrat, ein in seinem Kreis eingesessener Adliger, der aufgrund eines althergebrachten Gewohnheitsrechts durch den lokalen Adel vorgeschlagen und in der Regel auch bestätigt wurde. Er trat vielfach in einer eigentümlich zwiespältigen Rolle zwischen den Verordnungen der landesherrlichen Obrigkeit und den Interessen des auf Autonomie pochenden gutsbesitzenden Adels in Erscheinung, hatte insofern also eine vermittelnde Funktion.

Mit den auswärtigen Angelegenheiten war das Generaldirektorium nicht befasst. Vielmehr hatte sich bereits unter Friedrich Wilhelm I. eine eigene Behörde – das sogenannte Kabinettsministerium – herausgebildet, das für den Schriftverkehr mit den auswärtigen Mächten und den dort akkreditierten Geschäftsträgern zuständig war. Der 1604 ins Leben gerufene Geheime Rat, die erste Zentralbehörde des frühmodernen Territorialstaats überhaupt, existierte als dritte der in Berlin ansässigen Behörden noch immer, war aber seit dem Großen Kurfürsten (1620–1688) nur noch auf den Bereich der Justiz und der geistlichen Angelegenheiten einschließlich des Bildungswesens beschränkt.

Mit diesem administrativen Instrumentarium wurde also im 18. Jahrhundert in einer der am weitesten entwickelten Autokratien des Kontinents Herrschaft ausgeübt. Nach neuesten Berechnungen ist zu vermuten, dass am Ende der Regierungszeit Friedrichs des Großen in den Kriegs- und Domänenkammern aller Provinzen 300 Beamte vom Präsidenten bis zum Referendar beschäftigt waren. Wenn man die Steuer- und Landräte hinzuzählt, ergibt sich für die Gesamtmonarchie ein Kreis von ca. 500 Amtsträgern, die den königlichen Willen vollstrecken sollten. Das mag man viel oder wenig nennen; festzuhalten ist jedoch, dass mit diesem Apparat die Autorität der Krone in einem beträchtlich angewachsenen und weitverstreuten Land erheblich zugenommen hat. Nur in Teilbereichen allerdings wie der Fürstenresidenz und der Armee konnte sie sichtbar gemacht werden. Für die Gesamtepoche dieser Form autokratischer Herrschaft hat sich in der Historie frühzeitig schon der Begriff «Absolutismus» eingebürgert, um dem in den Quellen vielfach dokumentierten Willen der Fürsten zu einer unumschränkten Ausübung ihrer monarchischen Gewalt Rechnung zu tragen. Er hat sicherlich den Nachteil, nur die höchste Ebene eines komplexen Entwicklungsprozesses zu charakterisieren. Aber seine Verwendung scheint doch insofern sinnvoll und angemessen, als er die der Intention nach absolute Monarchie von einer ausdrücklich eingeschränkten, der monarchia limitata oder monarchia mixta, wie sie in der Staatslehre der Zeit bezeichnet wurde, zu unterscheiden ermöglicht. Im Sinne einer unerlässlichen Distinktion grundlegender Epochenphänomene erscheint der Gebrauch des Absolutismusbegriffs aber auch deshalb geboten, weil nur so der Übergang zur konstitutionellen Monarchie des 19. Jahrhunderts markiert werden kann.

Die Gesellschaft war auch im Ancien Régime noch in drei Geburtsstände gegliedert, wobei ungeachtet aller regionalen Unterschiede und vielfach fließender Übergänge an den überlieferten Statuskriterien Adel, (Stadt-)Bürger und Bauer festgehalten werden muss. Hinzu kamen die unterständischen Landeseinwohner, die den überwiegenden Teil der Gesamtbevölkerung ausmachten. Zwischen der grundbesitzenden Aristokratie und dem freien Bauernstand gab es zahlreiche Interessenkonvergenzen. In den mittleren und östlichen Territorien war es freilich der Gutsherrschaft infolge der Umwälzungen des Dreißigjährigen Krieges gelungen, die Bauern weitgehend in Erbuntertänigkeit und Leibeigenschaft herabzudrücken, so dass die Dominanz des Adels unangefochten war.

Von größter Bedeutung war jedoch, dass der Landesherr selbst über einen beträchtlichen Grundbesitz verfügte und sich die Nutzung der agrarisch erschlossenen Flächen mit dem Adel teilte. Beim Herrschaftsantritt Friedrichs betrug der landesherrliche Anteil hochgerechnet etwa ein Viertel der Anbaufläche. Dabei gab es naturgemäß große Unterschiede in den Provinzen. Im Herzogtum Preußen etwa war das Übergewicht der Krondomänen am stärksten ausgeprägt, während in der Kurmark und in Pommern die Besitzverhältnisse zwei zu eins zugunsten adliger Gutsherrschaften zu veranschlagen sind. Noch unter Friedrich Wilhelm I. war es das Bestreben des Landesherrn, den Domänenbesitz der Krone so weit wie möglich auszudehnen und damit die Autonomie des Königs gegenüber den Partikulargewalten zu stärken. Nachdem aber der latente Machtkampf mit den Ständen zugunsten der Zentralgewalt entschieden war und immer deutlicher wurde, dass der König auf die Mitwirkung adliger Funktionsträger in Diplomatie, Militär und Staatsadministration angewiesen war, vollzog sich im Verhältnis von Landesherr und gutsbesitzendem Adel ein grundlegender Wandel.

Friedrich hat mehrfach programmatisch geäußert, dass der Adel in seiner Rolle als Führungselite nicht nur geschützt, sondern auch in seinem Besitzstand gefördert werden müsse. So versuchte er, einer Überschuldung der Rittergüter entgegenzuwirken. Als eine Schwierigkeit erwies sich dabei, dass zwischen der Zahl der im Lande verfügbaren Rittergüter und den etwa 20.000 Adelsfamilien, die es zu erhalten galt, eine erhebliche Diskrepanz bestand. Und da es überdies mit der Standesauffassung des Adels nicht vereinbar war, sich – von Ausnahmen abgesehen – in bürgerlichen Berufen ebenso wie in Handel und Gewerbe zu betätigen, kam es in Preußen zu einer allgemeinen Verarmung des Adels. Immerhin gelang es dem König durch obrigkeitliche Verordnungen, bürgerliche Aufsteiger vom Erwerb überschuldeter Rittergüter fernzuhalten und insofern zur Stabilisierung einer aristokratischen Standesidentität beizutragen.

Ganz in der Konsequenz dieser Einhegungsmaßnahmen lag es, dass sich der König auf Abweichungen von den althergebrachten Ebenbürtigkeitskonventionen nur in Ausnahmefällen einließ. So versuchte er, besonders im Offizierkorps Eheschließungen zwischen Partnern ungleichen Standes, also Mesalliancen, zu verhindern, um auch auf diesem Weg den exklusiven Status des Adels zu sichern. In Fragen der Nobilitierung der um die Monarchie verdienten Bürgerlichen hielt er sich – etwa im Gegensatz zum Wiener Kaiserhof – in bemerkenswerter Weise zurück. Insofern war der Kreis derer, die man in Frankreich als plume oder noblesse de robe bezeichnete, im friderizianischen Preußen sehr begrenzt. Erstaunlicherweise führte diese Abgrenzungspolitik des Königs jedoch nur in Ausnahmefällen zu Verweigerung und Resignation. Sie förderte vielmehr – sicherlich unbeabsichtigt – die Ausprägung eines bürgerlichen Standesbewusstseins, das sich nicht zuletzt auch in der Bildung von Vereinigungen wie der Berliner Mittwochsgesellschaft manifestierte. Es war getragen von der Zuversicht, dass in Preußen auch ohne standesbedingte Legitimation etwas in Staat und Gesellschaft verändert werden könne, eine soziale Umwälzung also nicht erforderlich sei, wie sie in Frankreich beinahe zeitgleich durch die Fundamentalkritik an Monarchie und Adelsherrschaft erzwungen wurde.

Eigentümlich ist das Schwanken des Königs zwischen der unveränderten Privilegierung des Adels und der aufgeklärten Erkenntnis, dass alles in einem Staat gefährdet ist, wenn die Geburt über Leistung und Verdienst obsiege. Hier stießen wie in vielen anderen Bereichen des absolutistischen Fürstenregiments Handlungsmotive aufeinander, deren strukturelle Unvereinbarkeit im Ancien Régime nicht überbrückt werden konnte. So stand dem kategorischen Imperativ sozialer und humanitärer Reformen das Eingeständnis gegenüber, dass eine Durchsetzung dieser Prinzipien den Zusammenbruch einer Staats- und Wirtschaftsordnung bedeutet hätte, in der der Adel nun einmal eine tragende Rolle spielte. Der Herrscher müsse ein Gleichgewicht zwischen den Interessen der Bauern und der Edelleute herstellen, hatte Friedrich in seinem Politischen Testament von 1752 gefordert. «Aber das kam», wie Theodor Schieder äußert, «der Quadratur des Zirkels gleich.» So blieben die Reformbemühungen des Königs deklamatorischer Überbau ohne grundlegende Durchschlagskraft auf die realen Verhältnisse. Auch ein anderer, zu radikalen Reformen entschlossener Herrscher wie Kaiser Joseph II. stand vor diesem Dilemma. Ungeachtet der Omnipotenz ihres Herrschaftsanspruchs fanden jedoch weder Friedrich noch Joseph einen Weg, um zu einem Ausgleich dieser widerstreitenden Konzepte zu gelangen.

Ähnlich unpräzise muss auch der Begriff des Bauern verstanden werden. Freie, d.h. keinem Grundherrn in dinglicher oder persönlicher Abhängigkeit verpflichtete Landwirte, gab es im friderizianischen Preußen in nennenswerter Zahl nur in den entlegenen Gebieten Ostpreußens und Litauens. Der Grundtypus bäuerlicher Existenz war durch Erbuntertänigkeit und Schollengebundenheit gekennzeichnet, und zwar sowohl im Bereich adliger Grundherrschaft als auch in den Krondomänen. Untertänigkeit auf dem Lande bedeutete, dass dem Grundherrn die Gerichtsbarkeit über seine Hintersassen, die Polizeigewalt und das Kirchenpatronat zustand. Im Übrigen war der Grundherrschaft die Heiratserlaubnis und die Zustimmung zu einem (vermutlich nur theoretisch denkbaren) Dienst- und Ortswechsel vorbehalten. Hinzu kamen als obligatorische Dienstverpflichtung die das ganze feudale Wirtschaftssystem konstituierenden Abgaben und Fronen, die Hand- und Spanndienste und andere Leistungen, die sich in bestimmten Jahreszeiten über mehrere Tage in der Woche erstrecken konnten.

Dieses starre System sozialer Untertänigkeit, das besonders in den ostelbischen Territorien vorherrschend war, wurde durch die Meliorations- und Kultivierungsmaßnahmen aufgebrochen, die Friedrich während seiner gesamten Regierungszeit in großem Stile durchführen ließ. In diesen neu hinzugewonnenen Gebieten wurden häufig im Ausland angeworbene Kolonisten angesiedelt, die sich nur durch Privilegien und gezielte Eximierungen dazu bewegen ließen. Diese Neusiedler wurden den Erbzinsbauern gleichgestellt, die vor allem in der Altmark, im Magdeburgischen und in Niederschlesien ansässig waren. Ihnen gehörte der Hof ungeachtet gewisser Dienstleistungsverpflichtungen gegenüber dem Grundherrn «erb- und eigentümlich». Ferner wurden die Erben nicht in das für die Gestellung von Rekruten geschaffene Kantonsystem einbezogen, blieben also vom Militärdienst ausgenommen. In Bereichen neubesiedelter Gebiete gab es also auch in den brandenburgischen Kernlanden abgeschwächte Formen bäuerlicher Untertänigkeit.

Zwischen diesen beiden Polen des frühneuzeitlichen Feudalsystems war das breite Spektrum derjenigen Landeseinwohner angesiedelt, die nach geburtsständischen Kriterien weder zum Adel noch zum Bauernstand gerechnet werden konnten: das Bürgertum. Dazu zählten reich gewordene Unternehmer, Kaufleute und Bankiers ebenso wie Beamte, Geistliche und Gelehrte. Der überwiegende Teil des Bürgertums war jedoch in Handwerk und Kleinhandel tätig, blieb also von einer Entwicklung unberührt, die durch Manufakturunternehmen großen Stils in Gang gesetzt wurde. Sie waren in der Regel unter staatlicher Regie eingerichtet worden und beschäftigten eine immer schneller wachsende Zahl von Arbeitskräften. Das Handwerk dagegen war nach wie vor in Zünften und Innungen organisiert und litt unter zunehmender Verkrustung.

Das Bürgertum lebte über das ganze Land verstreut vor allem in den Städten, die zwar ihren autonomen Status durch die konsequente Einbeziehung in die obrigkeitliche Steuerverwaltung eingebüßt hatten, ihre Bedeutung als Umschlagplatz für Agrarprodukte und Kleingewerbeartikel aber behalten hatten. Das Zentrum bürgerlichen Lebenswandels bildeten jedoch die Residenzen mit ihren beträchtlich expandierenden Behörden und ihrer auch ökonomischen Bedeutung. Im Offizierkorps gab es für Bürgerliche allenfalls in technischen Randbereichen gewisse Entfaltungsmöglichkeiten. Auch die höheren Ränge der Landesadministration einschließlich der Jurisdiktion waren dem Adel vorbehalten. Nur einer von 20 der unter Friedrich ernannten Kabinettsminister war bürgerlicher Herkunft. Erst auf der Stufe der Vortragenden Räte des Generaldirektoriums und in den Provinzialbehörden – in Bereichen also, in denen Sachkompetenz in besonderer Weise gefragt war – wuchs der Anteil bürgerlicher Funktionsträger. Er erreichte gerade unter Friedrich dem Großen einen Stand, der das Kontingent adliger Ministerialbeamter um ein Vielfaches überstieg. Alle diese Statusentscheidungen an der Schnittstelle zwischen Adel und Bürgertum waren im Ancien Régime dem obrigkeitlichen Ermessen überlassen und wurden in Preußen – wie erwähnt – äußerst restriktiv zugunsten des Adels gehandhabt.

Einen beträchtlichen Zuwachs an personeller und geistiger Substanz hatte das Bürgertum durch die Zuwanderung der Refugiés aus Frankreich nach der Aufhebung des Toleranzedikts von Nantes im Jahre 1685 (Édit de Fontainebleau) zu verzeichnen. Bis 1699 hatten etwa 14.000 Hugenotten den Weg nach Brandenburg-Preußen gefunden, davon allein 5682 nach Berlin. Die französische Kolonie machte 1724 fast 9 % der Berliner Gesamtbevölkerung aus. Durch entsprechende Edikte war diesen Glaubensflüchtlingen die völlige Gleichstellung mit den Landeseinwohnern und eine Fülle weitreichender Privilegien zugestanden worden. Sie bildeten in erstaunlich kurzer Zeit nicht nur ein Element kultureller und ökonomischer Bereicherung, sondern auch einen Faktor, der durch ständeübergreifende Homogenität und Weltläufigkeit der Gesamtgesellschaft zahlreiche Impulse vermittelte.

Im Gegensatz zu den Hugenotten stand die jüdische Gemeinde Nathan der Weise