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Heinz D.Kurz

GESCHICHTE DES
ÖKONOMISCHEN DENKENS

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag C.H.Beck

 


 

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Zum Buch

Ökonomen verstehen ihr Fach gerne als «normale» Wissenschaft, die alle Ideen bewahrt, die richtig und wahr sind, und alle ausmustert, die falsch und irreführend sind. Doch auch Ökonomen irren sich – nicht selten, und dann oft mit gewaltigen wirtschaftlichen und politischen Folgen. Heinz D. Kurz bietet in diesem Band nicht nur einen knappen, verständlichen Zugang zur Geschichte des ökonomischen Denkens, sondern er stellt auch, angefangen mit der Antike, Querverbindungen über die Epochen hinweg her, welche die Relevanz der Ökonomik illustrieren und vergegenwärtigen.

Über den Autor

Heinz D. Kurz ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Karl-Franzens-Universität Graz, Leiter des Graz Schumpeter Centre und Herausgeber der Zeitschriften European Journal of the History of Economic Thought und Metroeconomica. Zuletzt sind von ihm erschienen «Schumpeter für jedermann: Von der Rastlosigkeit des Kapitalismus» und «Adam Smith für jedermann: Pionier der modernen Ökonomie» (2012 bzw. 2013, mit Richard Sturn). Bei C.H.Beck hat er die «Klassiker des ökonomischen Denkens» (2008, 2009) in zwei Bänden herausgegeben.

Inhalt

Vorwort

  1. Frühes ökonomisches Denken

Antike

Scholastik

Merkantilismus und Kameralismus

Bedeutende Vordenker

  2. Ökonomische Klassik

Charakteristika des klassischen Denkens

François Quesnay

Adam Smith

David Ricardo

John Stuart Mill

Weiterentwicklung des klassischen Ansatzes

  3. Marx und die Sozialisten

Karl Marx

Wert- und Mehrwerttheorie

Gesetz vom tendenziellen Fall der Profitrate

Zur Wirkung des Marxschen Werks

  4. Vom Aufstieg des Marginalismus

Charakteristika des marginalistischen Denkens

Vorläufer

William Stanley Jevons

Carl Menger

Léon Walras

  5. Marshall und die Theorie des partiellen Gleichgewichts

Partialanalyse

Periodenanalyse

Sraffas Kritik

  6. Utilitarismus, Wohlfahrtstheorie und Systemdebatte

Francis Ysidro Edgeworth

Vilfredo Pareto

Arthur Cecil Pigou

Kapitalismus oder Sozialismus?

Der Markt als Entdeckungsverfahren

  7. Unvollkommener Wettbewerb

Amerikanischer Institutionalismus

Monopolistischer Wettbewerb

  8. Schumpeter und das Prinzip der schöpferischen Zerstörung

Schöpferische Zerstörung

Invention, Innovation, Imitation

Lange Wellen

Kredit und Banken

  9. Keynes und das Prinzip der effektiven Nachfrage

Makrotheorie und -politik

Kritik der Orthodoxie

Das Prinzip der effektiven Nachfrage

Der Multiplikator

Zins, Geld und Beschäftigung

Die «Keynesianische Revolution»

10. Reaktionen auf Keynes

Neoklassische Synthese

Die lange Frist

Postkeynesianische Theorie

Neoklassisch-Keynesianische Synthese

Monetarismus

Neuklassische Ökonomik

Neukeynesianer

Neue Neoklassische Synthese

11. Allgemeine Gleichgewichtstheorie und Wohlfahrtstheorie

John Hicks

Paul A. Samuelson

Kenneth J. Arrow

Amartya Sen

12. Entwicklungen auf ausgewählten Gebieten

Spieltheorie

Kapitaltheorie

Wachstumstheorie

Raumwirtschaftstheorie

Entwicklungsökonomik und Neue Wirtschaftsgeografie

Public Choice-Theorie

Verhaltensökonomik und Experimentelle Wirtschaftsforschung

Institutionenökonomik

Finanzmarkttheorie

Schlusswort

Auswahlbibliographie

Dank

Personenregister

«Wir begegnen ständig alten Bekannten
in neuer Aufmachung.» (Alfred Marshall)


«Die Ideen von Ökonomen und politischen Philosophen,
egal ob sie richtig sind oder falsch, sind mächtiger
als gemeinhin verstanden wird. Tatsächlich wird die Welt
von wenig anderem regiert.» (John Maynard Keynes)[∗]

 

 

 

 

 

 ∗ Übersetzungen aller ursprünglich englischen und französischen Passagen in diesem Band stammen vom Verfasser.

Vorwort

Eine Geschichte des ökonomischen Denkens auf 128 Seiten? Unmöglich! Oder doch nicht? 1914 veröffentlicht Joseph A. Schumpeter (1883–1950) im von Max Weber (1864–1920) herausgegebenen Grundriss der Sozialökonomik seine «Epochen der Dogmen- und Methodengeschichte» (Schumpeter 1914). Der Essay von knapp einhundert Seiten spannt den Bogen von der Antike bis zur damaligen Moderne. Wenn einhundert Seiten reichen, um den Stoff bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts abzuhandeln, sollten wohl 128 Seiten reichen, um dieses auch bis zu seinem Ende mit zu erfassen. Sie reichen tatsächlich – einen ausgeprägten Mut zur Lücke vorausgesetzt. Der Leser darf sich daher keinen auch nur annähernd vollständigen Überblick erwarten.

Auf die Geschichte des ökonomischen Denkens kann man verschiedentlich zugreifen. Kennzeichen des hier folgenden Zugriffs sind erstens die Konzentration auf die Herausbildung ökonomischer Theorien, zweitens die Frage nach deren Schlüssigkeit und Realitätsgehalt sowie drittens ihre wirtschaftspolitische Anwendbarkeit. Die Aufmerksamkeit gilt den von mir für besonders wichtig erachteten Ökonomen und deren Lehren. Ich kann nur hoffen, dass mir keine allzu dicken Fische durch die Maschen des ausgeworfenen Netzes geschlüpft sind.

Genügt es, den alten Text Schumpeters zu nehmen und ihm reichlich zwanzig Seiten hinzuzufügen? Leider nein. Die Geschichte eines Fachs ist nicht ein für allemal geschrieben. Sie ist ein sich ständig wandelndes Gebilde, in dem sich neue Generationen mit ihren Problemen und Vorstellungen mit den Problemen und Vorstellungen älterer Generationen auseinandersetzen. Im Zeitablauf wandelt sich, was Schumpeter die «Vision» von der Funktionsweise des ökonomischen Systems genannt hat, und mit ihr wandelt sich das Verständnis der alten Meister. Zu glauben, Geschichte war einmal, aber ist nicht mehr, ist ein arges Missverständnis: «History is not was, it is» (William Faulkner). Umso schlimmer, dass es weit verbreitet ist – innerhalb des Fachs ebenso wie außerhalb. Jede Generation schreibt sich ihre eigene Geschichte, ist darauf bedacht, originell zu sein und auch so wahrgenommen zu werden. Aber sie sucht auch nach bedeutenden Vorfahren der eigenen Ideen, um an deren Ruhm und Glanz teilzuhaben. Sie entdeckt aus neuem Problembewusstsein heraus Seiten in den alten Meistern, die früheren Generationen verschlossen geblieben sind. Die Vorstellung von Kontinuität und Wandel im Fach unterliegt daher selbst einem immerwährenden Prozess von Kontinuität und Wandel. Schumpeters alter und heute noch höchst lesenswerter Essay ist Teil der Geschichte. Seine Lektüre zeigt, wie sehr sich der Blickwinkel seither gewandelt hat, welche Erkenntnisse hinzugewonnen und welche verloren gegangen sind, wie sich die Forschungsmethoden geändert haben, und vieles andere mehr.

Takashi Negishi (∗1933) zufolge gibt es in der Wirtschaftswissenschaft «nichts Neues unter der Sonne». Alles finde sich der Idee nach bereits in den Schriften der Klassiker des ökonomischen Denkens. Dies ist gewiss eine Übertreibung, aber sie enthält einen wahren Kern. Zahlreiche Ideen sind altbekannt, was sich ändert ist ihre Form und der Zusammenhang, in dem sie auftreten. Neues Wissen in der Ökonomik besteht vor allem aus neuen Kombinationen alter Wissenspartikel. Das Bild vom immer weiter austreibenden Wissensbaum versinnbildlicht den Vorgang. Aber einige Äste, die man bereits für abgestorben hielt, beginnen plötzlich von neuem zu treiben.

Diese Beobachtung führt unmittelbar zur Frage: Bewahrt die Ökonomik alles, was richtig und wahr ist, und entsorgt, was falsch und irreführend ist? Handelt es sich beim «Markt für ökonomische Ideen» um einen perfekt funktionierenden Selektionsmechanismus? Leider nein.

Bekannt ist die Blasenbildung auf Finanzmärkten. Diese ergibt sich, weil sich Menschen ein Bild von einem Ausschnitt der Wirklichkeit machen, andere das Bild übernehmen und es zu Herdenverhalten kommt. Auch Ökonomen machen sich ein Bild von einem Ausschnitt der Wirklichkeit. Ökonomische Ideen können den Blick auf die Wirklichkeit schärfen, sie können ihn aber auch verstellen. Ein Bild kann irreführend sein, ohne dass dies immer sofort erkannt wird. Verstärken sich solche Vorstellungen über positive Rückkopplungen innerhalb des Wissenschaftsbetriebs durch Berufungen auf Lehrstühle, Rankings von Zeitschriften, Vergabe von Forschungsmitteln, Ehrungen und Preise, so kommt es zur Bildung einer innerwissenschaftlichen Blase. Angesichts der Komplexität des Gegenstandsbereichs ist diese Gefahr groß und nicht verläßlich auszuschalten. Wer jedoch die Geschichte des ökonomischen Denkens kennt, dessen Erfolge ebenso wie seine Irrwege, weiß um die Gefahr und ist auf der Hut.

Abschließend ist auf die selbstverständliche Tatsache hinzuweisen, dass sich das Erkenntnisobjekt der Ökonomik mit dem Erfahrungsobjekt selbst laufend ändert. Zur Verdeutlichung diene die folgende Abbildung, die einem Werk des Wirtschaftshistorikers Robert Fogel entnommen ist. Es zeigt die Geschichte der Menschheit auf einen Blick. Die Entwicklung der Weltbevölkerung wird in Beziehung zu bedeutenden zivilisatorischen Ereignissen und technologischen Erfindungen gesetzt. Man sieht, dass sich Entwicklung und Wachstum erst nach der Entdeckung der Neuen Welt, der zweiten landwirtschaftlichen Revolution und dem Beginn der Industriellen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts zu beschleunigen beginnen. Es ist dies die Zeit, in der Europa sowie dessen überseeische Siedlungsgebiete (Vereinigte Staaten von Amerika, Kanada, Australien, Neuseeland) auf einen Pfad hohen und anhaltenden wirtschaftlichen Wachstums gelangen. Infolgedessen kommt es zu einem sich vergrößernden Wohlstandsgefälle zum Rest der Welt, zur «großen Divergenz» (Kenneth Pomeranz).

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Das Bevölkerungswachstum und ausgewählte Ereignisse der Technologiegeschichte (nach Robert Fogel)

Interessanterweise fällt der Beginn der Politischen Ökonomie just in die Zeit des wirtschaftlichen Take-off Europas, also in den scharfen Knick in der Abbildung. Dies ist gewiss kein Zufall: Die sich entfaltende ökonomische Dynamik sowie die in ihr wirkenden Kräfte wollen verstanden und wirtschaftspolitisch genutzt werden. Danach folgt die Menschheit einem gänzlich neuen Pfad, dessen Ende ungewiss ist.

Der vorliegende Band zeugt, wie gesagt, vom Mut zur Lücke.[∗∗] Die Aufmerksamkeit gilt europäischen Denktraditionen und deren Fortführung in der sogenannten westlichen Welt. Dabei ist es eine Tatsache, dass alle Hochkulturen beachtliche Leistungen bei der Durchdringung ökonomischer Sachverhalte hervorgebracht haben.

In China finden wir bereits im siebten vorchristlichen Jahrhundert die entwicklungspolitischen Lehren Guan Zhongs (ca. 720 – 645 v. Chr.), zusammengefasst im Buch Guan zi, wenig später die moralphilosophischen und bildungspolitischen Lehren des Konfuzius (ca. 551–479 v. Chr.). Chinas damalige wirtschaftliche Entwicklung stuft François Quesnay (1694–1774) übrigens als geradezu vorbildlich ein, Adam Smith (1723–1790) hingegen macht stagnative Tendenzen aus. Auf fruchtbaren Boden fällt in China das Werk des deutschen Ökonomen Friedrich List (1789 –1846), Das nationale System der Politischen Ökonomie (1841). Entgegen Smith begreift List die Industrialisierung eines Landes als Motor eines sich selbst verstärkenden Prozesses und plädiert dafür, den Aufbau der heimischen Industrien mittels eines «Erziehungszolls» vor einer übermächtigen ausländischen Konkurrenz zu schützen.

Im arabischen Raum ist insbesondere der Philosoph und Historiker Ibn Khaldun (1332–1406) zu nennen, der sich u.a. mit dem Gegensatz von Stadt und Land und dem Problem der wachsenden Staatsverschuldung auseinandersetzt.

Zuletzt eine Anmerkung zur angegebenen Literatur: diese beschränkt sich auf eine Auswahl zusammenfassender Würdigungen bedeutender Ökonomen, wirtschaftstheoretischer Schulen oder der Entwicklung von Teildisziplinen des Fachs. Genaue Angaben bezüglich der im Text erwähnten, aber aus Platzgründen nicht ausführlich nachgewiesenen Schriften finden sich in den in der Auswahlbibliographie genannten Werken.

 

 

 

∗∗ Eine Lücke betrifft die weitgehende Vernachlässigung der Geschichte der Betriebswirtschaftslehre; siehe deshalb Schneider (2001) sowie auch den Band über Management in dieser Reihe (von der Oelsnitz 2009).

1. Frühes ökonomisches Denken

Hierunter fassen wir die das Wirtschaften des Menschen betreffende Überlegungen in der Antike, zur Zeit der Kirchenmänner (Scholastik: ca. 1100–1600) und der Merkantilisten (ca. 1500–1800) zusammen. Kennzeichen ist ihr noch unsystematischer, nicht alle Felder wirtschaftlichen Tuns erfassender Charakter und ihre vorschreibende Ausrichtung. Es geht weniger um die Beschreibung und Analyse des Wirtschaftens, wie es ist (positive Ökonomik), als um diejenige, wie es idealiter sein soll (normative Ökonomik).

In Antike und Scholastik sind wirtschaftliche Aussagen Bestandteil moralphilosophischer Untersuchungen, im Merkantilismus begegnen wir ihnen in den Schriften und Pamphleten vor allem von im Fernhandel tätigen Handelskapitalisten, die bestrebt sind, ihre Partikularinteressen als Allgemeininteresse auszugeben. Zahlreiche Konzepte, die uns heute als selbstverständlich erscheinen, fehlen im frühen Schrifttum ganz oder sind nur rudimentär vorhanden, so das Konzept des Wettbewerbs und dasjenige des Fortschritts. Die wirtschaftlichen Verhältnisse sind im Wesentlichen stationär. Dies trifft auf die Zeit des Merkantilismus naturgemäß weniger zu als auf Antike und Scholastik, aber wirtschaftliche Entwicklung und Wachstum sind auch hier noch eher bescheiden und auf wenige Bereiche beschränkt.

Antike Wirtschaftliche Überlegungen stellt der Mensch an, seit es ihn gibt. Um zu überleben, muss er konsumieren, und um zu konsumieren, muss er produzieren (Jagen und Sammeln inbegriffen). Mit der Entwicklung von Bild und Schrift kommt es zu Aufzeichnungen über ökonomische Aktivitäten. Höhlenmalereien, die sich in Europa bis ins Jungpaläolithikum zurückdatieren lassen, zeigen in Jagdszenen das in Waffen verkörperte technische und organisatorische Wissen. Ökonomisches Wissen wird mit der Entwicklung der Schrift ein öffentliches Gut für alle, die lesen können. So finden sich in Mesopotamien während dessen Blüte vor etwa 4000 Jahren am Eingangstor von Babylon auf Lehmziegel gebrannte Informationen über die jährliche Getreideernte sowie die dafür benötigten und ebenfalls in Getreide gemessenen Aufwendungen. Die Differenz ergibt das Überschussprodukt an Getreide des betreffenden Jahres. Dieses dient zum Unterhalt der in der Landwirtschaft tätigen Familien sowie des Herrschers und seines Hofstaates aus Beamtenschaft, Armee usw. Die Größe des Überschussprodukts informiert über Wohlstand, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und politische und militärische Macht des Gemeinwesens. Bei den Tontafeln handelt es sich um die vielleicht erste volkswirtschaftliche Gesamtrechnung in der Geschichte.

Griechische Wirtschaft und Ökonomik Die griechische Produktionsweise zur Zeit von Platon (427–347 v. Chr.) und dessen Schüler Aristoteles (384–322 v. Chr.) basiert auf Sklaverei, sich nur langsam wandelnden Traditionen und Institutionen, darunter die politische Verfassung des Stadtstaates. Die Produktion erfolgt in beinahe autarken Hauswirtschaften – und prägt so den Begriff der «Ökonomie», der sich aus dem Griechischen ableitet von oikos (= Haus) und nomos (= Gesetz).

Die Überlegungen von Philosophen der damaligen Zeit kreisen um Fragen der richtigen Betriebs- bzw. Wirtschaftsführung, die das wirtschaftlich Nützliche mit dem sittlich Gebotenen und politisch Vernünftigen in Einklang zu bringen trachtet. Dies betrifft sowohl die private als auch die öffentliche Wirtschaft und die Finanzierung der Staatsgeschäfte. Während Letztere zunächst vor allem durch freiwillige Gaben und Dienste der Bürger sowie Tributzahlungen der Kolonien ermöglicht werden, kommt es im Lauf der Zeit zu einer Zunahme von Abgaben mit Zwangscharakter, so zur Besteuerung der Nichtbürger (Metöken) und schließlich auch der Bürger. Da die Besteuerung nach dem Reichtum erfolgen soll, stellt sich die Frage nach dessen Ermittlung. Dies führt zur Unterscheidung zwischen sichtbarem und unsichtbarem, verbergbarem Reichtum. Steuern auf sichtbaren Reichtum wie Häuser, Felder, Haine, Werkzeuge und Arbeitstiere sind schwieriger zu hinterziehen als Steuern auf unsichtbaren Reichtum wie Geld oder Zinsforderungen aus Kreditgeschäften. Die Gegnerschaft gegenüber Kredit und Zins hat wohl auch hierin eine Ursache.

Platon Der aus aristokratischem Hause stammende Platon sieht die Führung eines Haushalts und des Staates, der Polis, als eng miteinander verwandt an. Es gehe in beiden Fällen um das Wohlergehen der dem jeweiligen Herrn Anvertrauten. Dieses hat eine materielle Komponente, die Mittel zum Zweck ist und nicht Selbstzweck. In den Nomoi (Gesetzen) entwirft Platon die Grundzüge eines idealen Staates – die erste niedergeschriebene soziale Utopie der Geschichte. Da es in diesem Staat nur Gemeineigentum gibt, ist er als urkommunistisch gedeutet worden. Platons Hauptaugenmerk gilt indes nicht der Eigentumsfrage, sondern der Verwirklichung ethischer Normen, der Erreichung des wahren Guten. Die Verfolgung dieses Ziels verlangt die Einhaltung strikter Regeln sowie die Bestrafung bei Zuwiderhandeln. Platons Entwurf sind deshalb totalitäre Züge nachgesagt worden. Damit die geschichtete, hierarchische Gesellschaft sich reproduzieren kann, muss ein jeder den ihm gemäßen Platz einnehmen. Platons Ideal zufolge stehen an der Spitze Philosophen bzw. Philosophen-Könige, gefolgt von Wächtern des Gemeinwesens, die in einem Männerbund leben und Vollbürger sind. Eine Kriegerkaste ist vonnöten, um den Staat zu verteidigen. Eroberungsfeldzüge werden als gerecht empfunden, wenn sie der Verteidigung des wahren Guten dienen. Unterhalb der Wächter folgen die Handwerker und Händler, die Metöken (zugewanderte Stadtbewohner ohne Bürgerrecht) und ihre Sklaven. Bürgern (und deren Sklaven) ist eine Betätigung in diesen Gewerben untersagt. Hier ist Privateigentum zugelassen, aber Gewinnsucht wird verachtet, auch weil Reichtum den Menschen verderbe. Überdies sieht Platon die Gefahr, dass Reichtum in Macht umschlägt und in Tyrannei endet. Eine Vermögensumverteilung hat dafür zu sorgen, dass es hierzu nicht kommt.

Die gesellschaftliche Schichtung steht in enger Beziehung zu Platons Verständnis der Arbeitsteilung als Fundament des Gemeinwesens. Grundsätzlich sollen die spezifischen natürlichen Anlagen und Fähigkeiten eines Menschen über seinen Platz in der Gesellschaft entscheiden, heißt es in der Politeia. Wenn jeder das tut, was er am besten kann, dann ist das Getane wohlgetan. Platon geht es demnach in erster Linie um den bestmöglichen Einsatz, die Allokation naturwüchsig vorhandener Fähigkeiten – nicht, wie später Adam Smith, um die produktivitätssteigernde Wirkung der Arbeitsteilung. Spezialisierung und learning by doing, welche natürlich vorhandene Unterschiede in den Anlagen der Menschen verstärken, aber auch durchkreuzen können, kommen nur am Rande vor. Platons Betrachtungsweise ist statisch, nicht dynamisch. Die Koordination der verschiedenen Teilarbeiten erfolgt nach Platon zum Teil durch Befehl und zentrale Verwaltung (so beim Militär), zum Teil über Märkte. Vom Geld in seiner Rolle als Zahlungsmittel ist die Rede, aber eine Vorstellung, nach welchen Gesetzmäßigkeiten sich Preise bilden und damit die Einkommen der Produzenten und Händler, sucht man bei Platon vergebens. Die Zinsnahme erachtet Platon grundsätzlich für unzulässig.

Aristoteles Dem Stand der Metöken entstammend, stimmt Aristoteles nicht in allem mit seinem Meister überein. Seine Überlegungen kreisen um die Organisation und Führung der selbstgenügsamen Hauswirtschaft. Was sind die Rechte und Pflichten des Herrn, des Vaters, der Gattin, der Kinder sowie der Sklaven? Letztere erscheinen ihm trotz einiger Bedenken ob ihres Status als unverzichtbar für das «gute Leben» der freien Bürger (und Philosophen), die der materiellen Daseinsfürsorge ledig sein sollen. Aristoteles befürwortet Privateigentum mit einem Argument, das uns wieder begegnen wird: Mit persönlichem Eigentum geht man sorglicher um als mit gemeinschaftlichem. Dieser Umstand wird als «Problem der Allmende» bekannt werden.

Wie Platon unterscheidet Aristoteles zwischen verschiedenen Arten der Erwerbskunst. Deren «naturgemäße» Form (oikonomiké) hat es zur Aufgabe, durch die Erzeugung und Beschaffung von Gütern dem griechischen Bürger und dessen Familie ein gutes Leben zu ermöglichen. Da das Gute seiner Natur nach begrenzt ist, weist diese Form der Erwerbskunst ein endliches Ziel und damit Grenzen auf. Man könnte mit einem Begriff Herbert Simons (1916–2001) von satisficing sprechen: Bereitstellung eines nach Art und Zusammensetzung ausreichenden Quantums an Gütern zur Befriedigung der standesgemäßen Bedürfnisse.

Dieser Form entgegengesetzt ist die «unnatürliche Erwerbskunst» oder Chrematistik (von chrema = Geld). Sie dient der Bereicherung und damit dem Erwerb um des Erwerbs willen. Sie ist unnatürlich, weil schrankenlos. Ihre Ursprünge ortet Aristoteles im Handel und im zur Erleichterung des Tausches entstehenden Geld. Da das Geld aber, im Widerspruch zu seinem ursprünglichen Zweck als Tauschmittel, auch als Wertaufbewahrungsmittel dienen kann, eignet es sich zur Schatzbildung und sein Erwerb wird zum Selbstzweck. Wie die Geschichte von König Midas zeigt, läuft derjenige, der nach möglichst großem Reichtum strebt und dem alles, was er berührt, zu Gold wird, Gefahr, Hungers zu sterben. Als besonders verwerfliche Form der Chrematistik erachtet Aristoteles Kreditgeschäfte und Zinsnahme. Für ihn ist jedweder Zins Wucher, weil er «aus dem Geld selbst den Erwerb zieht».

Das Thema der Gerechtigkeit durchzieht das gesamte Werk Aristoteles’ und so auch seine Überlegungen zu den Austauschrelationen von auf Märkten gehandelten Gütern in der Nikomachischen Ethik. Hier geht es um die distributive (verteilende) Gerechtigkeit. Er unterscheidet zwischen dem Gebrauchswert einer Sache und ihrem Tauschwert. Ersterer besteht in ihrer objektiven Nützlichkeit, gewisse Bedürfnisse zu befriedigen, Letzterer in der Menge an Geld oder einer anderen Sache, die man mittels ihrer erwerben kann. Die Aufmerksamkeit des Produzenten hat sich auf die Qualität des Gebrauchswerts und nicht auf die Höhe des Tauschwerts zu richten. Ähnlich Platon legt Aristoteles keine positive Analyse der sich bildenden Preise vor, sondern eine Norm, der sie zu gehorchen haben. Diese Norm ist rückbezogen auf die Stabilität und Reproduktion der geschichteten griechischen Gesellschaft und besagt, dass die Preise eine angemessene Verteilung von Reichtum und Ehre zu gewährleisten haben. Der gesellschaftliche Status der an den Tauschgeschäften beteiligten Personen ist vom Markt zu respektieren und zu reproduzieren. Die Wirtschaft ist die Erfüllungsgehilfin der Prinzipien, auf denen die Polis beruht, sie ist in dienender Rolle. Dies zeigt sich auch am Beispiel der Behandlung der die Gesellschaft erhaltenden körperlichen Arbeit. Von den unteren Schichten der Gesellschaft und den Sklaven erbracht, von der Oberschicht gering geschätzt bis verachtet – fehlt es ihr nach Aristoteles an Dignität und damit an Wertigkeit.

Scholastik Die christlichen Lehrer, die Kirchenmänner, entwickeln die wirtschaftlichen Ansichten vor allem des Aristoteles fort. Weitere Quellen der Scholastik sind die Bibel und das Römische Recht. Der bedeutendste Vertreter ist Thomas von Aquin (1225–1274) mit der drei Teile umfassenden Summa theologiae. Auch seine Betrachtungsweise ist vorwiegend normativ und konzentriert sich auf ähnliche Themen wie die antiken Denker: «gerechter Preis», Zins und Wucher, gerechte Besteuerung («Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist»). Nach einer Blütezeit im 13. und 14. Jahrhundert endet die Scholastik mit dem Niedergang der Schule von Salamanca im 16. Jahrhundert, in der sich der Übergang zur positiven Ökonomik andeutet: Es geht nicht mehr um das gute Leben, sondern der gemäß Altem Testament aus dem Paradies vertriebene Mensch fristet zur Strafe ein Dasein voller Not und Entbehrung. Harte Arbeit erlaubt ihm das Überleben, gelegentlich unterbrochen von Wundern als Belohnung für tiefe Glaubensbezeugungen. Die Antwort auf die von großen Teilen der Bevölkerung erfahrene materielle Not besteht nicht in der Steigerung der Produktion und in wirtschaftlichem Wachstum, sondern in der Zurückdrängung der Bedürfnisse, in Genügsamkeit.

Das Herzstück der Scholastik ist die Lehre vom Wucher. Ein Kernargument der Zinsgegner lautet, Geld sei unfruchtbar – es könne keine «Jungen hecken». Ein anderes besagt, dass Gott allen Menschen gleichermaßen Zeit geschenkt habe, das bloße Verstreichen der Zeit zwischen Darlehensaufnahme und -rückzahlung daher keinen Zins rechtfertige. Ein drittes Argument beruht auf dem Umstand, dass in der mittelalterlichen Wirtschaft ohne Wachstum vor allem Konsum- und nicht Investitionsdarlehen in Anspruch genommen werden. Die Pflicht des Christenmenschen sei es, dem unschuldig in Not Geratenen zu helfen und seine Lage nicht durch die Einhebung von Zinsen auszunutzen und zu verschlimmern: Fenus pecuniae funus est animae – des Geldes Zinsgewinn ist der Seele Tod. Eine gute Gesellschaft verlange tugendhaftes Leben ihrer Mitglieder.