Eigel Wiese

Legendäre
Schiffswracks

Von der Arche Noah
bis zur Titanic

 

 

 

 

 

 

 

 

Inhalt

Vorwort:
Ein Schiffswrack ist mehr als Schrott

Die Arche Noah:
Mönche, Abenteurer und Archäologen

Phönizier:
Die spärlichen Spuren des Seefahrtsvolks

Uluburun:
Wie eine Maus den Archäologen half

Galeeren:
Rudern für die Wissenschaft

Antikythera:
Das geheimnisvolle Gerät

Koggen:
Niemand wusste, wie sie aussahen

Die „Lune“:
Archäologie in der Computersimulation

Die „Méduse“:
Ein Gemälde löst einen politischen Skandal aus

Die „Wasa“:
Ihr Untergang ist bis heute ein Lehrstück

Die „Santa Maria“:
Der Mount Everest unter den Wracks

Die „Trouvadore“:
Ein Schiffbruch, der Sklaven befreite

Ein Fass voller Gewehre:
Waffenschmuggel im 17. Jahrhundert

Blackbeard:
Noch immer keine Spur vom Piratenschatz

Die „Ulpiano“:
Wie der Flamenco nach Nordfriesland kam

Die „Central America“:
Juristen stritten um den Goldschatz

Die „Athabasca“:
Todesschreie vom Wrack

Die „Cimbria“:
Das Totenschiff von Borkum

Die „Celtic“:
Vor der Rettung gab es heiße Suppe

Die „ Titanic“:
Das berühmteste Wrack der Welt

Die „Andrea Doria“:
Eine Kollision erregt die Welt

Cobh:
Die Stadt der Schiffsschicksale

Die „Mary Celeste“:
Das Geisterschiff

Harmstorf:
Schiffswracks als Wochenendunterhaltung

Die „Flying Enterprise“:
Der Kapitän dachte nicht daran, aufzugeben

Abwracken:
Wo aus Schiffen Wracks werden

Die „American Star“:
Vom Wrack zur Wohnungseinrichtung

Die „Astrid“:
Strandung eines Seglers wie vor 100 Jahren

Die „Andrea Gail“:
Neuer Lebensraum für Meeresbewohner

Die „Orlova“:
Das Schiff, das auf See verlorenging

Dokumentierte Schiffsschicksale:
Das Wrackmuseum Cuxhaven

Erfindergeist:
Im Dienste der Seenotrettung

Glossar der seemännischen Fachbegriffe

Literaturverzeichnis

Bildnachweis

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Vorwort:

Ein Schiffswrack ist mehr als Schrott

Schiffe sind Symbole für die Reise des Lebens. Sie gleichen mit ihrem Auf und Ab, den ständig lauernden Gefahren, den Stürmen und Untiefen, der Gefahr zu scheitern dem menschlichen Dasein. Das Schiff ist im Denken des Menschen tief verankert. Im Christentum wird beispielsweise die Kirche als Schiff verstanden: Der Chor stellt die Kajüte dar, der Turm den Mast, das Kreuz den Anker. Eine ähnliche Symbolik gibt es auch in anderen Religionen. Das Schiff gilt auch als Symbol für ein Wagnis, für die Chance darauf, neue Ufer zu erreichen. Für Hoffnung und Fernweh. Deshalb berührt der Untergang eines Schiffes die Menschen weit mehr als manch anderes Unglück. Das Kentern eines Schiffes steht immer auch für eine gescheiterte Hoffnung.

Gescheiterte Schiffe gehören zum Lebensalltag an der Küste – auch in Deutschland: In der Ostsee vermutet man rund 10.000 Schiffswracks, und allein im „Nassen Dreieck“ zwischen Elbe, Weser und Jade sind vermutlich 3000 bis 4000 Schiffe gesunken.

Oft genug steht ein Wrack auch für ein unter dramatischen Umständen verlorenes Menschenleben. Schiffe scheitern, seit es Schiffe gibt; dokumentiert werden Schiffsunfälle aber erst seit dem 19. Jahrhundert. Dabei finden sich auch heute noch Wracks aus lange vergangenen Zeiten – sogar aus dem Altertum. Sie geben der archäologischen Forschung Aufschluss über das Leben der damaligen Zeit, und sie können rekonstruiert werden und vermitteln so Erkenntnisse über den jeweiligen handwerklichen Stand der Bootsbautechnik. Über die Umstände ihres Sinkens wissen wir zumeist jedoch so gut wie nichts. Gerade deshalb regen Wracks die Fantasie an.

Sogar hölzerne Wracks überdauern noch jahrzehntelang im Uferschlick, der sie manchmal regelrecht konserviert. Jedes erzählt seine eigene Geschichte vom Scheitern. Auf jeden Fall wecken Schiffswracks die Neugier.

Wracks haben eine Langzeitwirkung. Über ihre Erforschung entwickelten Wissenschaftler teilweise neue Methoden in der Archäologie, besonders jener unter Wasser. Wracks befriedigen aber auch die Sensationslust der Menschen, wie in dem Kapitel über die Taucherschau an der Elbe geschildert wird. Wracks bilden einen neuen Lebensraum für Meerestiere; sie werden deshalb bewusst versenkt, nachdem Schadstoffe entfernt worden sind. Wracks zu untersuchen, gibt auch nach Jahrzehnten noch Aufschluss über den Ablauf von Tragödien, wie das Beispiel der „Titanic“ deutlich macht. Und in der Traumdeutung gelten Wracks als Symbol dafür, dass sich der Träumende nach mehr Kontrolle über sein Leben sehnt.

Das vorliegende Buch soll die Faszination und das Grauen der Überreste von Schiffen ebenso darstellen wie die Herausforderungen, die sie der Wissenschaft stellen können. Und es soll zeigen, unter welch vielfältigen Umständen stolze Schiffe zu Wracks werden können.

Die Arche Noah:

Mönche, Abenteurer und Archäologen

Alle suchten bislang vergeblich das Wrack von Noahs Arche. Nachdem der Schiffsgigant gestandet war, interessierte sich zunächst niemand mehr für den hölzernen Rumpf, dem so viele Wesen ihr Überleben verdankten. Man würde ihn künftig wohl nicht mehr brauchen, denn es gab ja das Versprechen Gottes, dass sich eine derartige globale Katastrophe nicht mehr wiederholen würde.

So geriet der Standort des Wracks in Vergessenheit, doch das Schiff selbst bewegt bis heute die Fantasie der Menschen. Die Überreste eines so gigantischen Wasserfahrzeuges mussten doch irgendwie zu finden sein! Das dachte sich auch ein Mönch namens Jakob, der sich von seinem in Armenien gelegenen Kloster aus auf den Weg machte, um die Hänge des 5165 Meter hohen Berges Ararat zu erklimmen und nach der Arche zu suchen – leider ohne Ergebnis. Nach einer Weile erbarmte sich Gott seiner und schickte ihm über einen Engel ein Stück Holz der Arche Noah. Es wird in der armenischen Kirche noch heute als Reliquie verehrt.

Während der Jahrhunderte sind viele den Spuren des Bruders Jakob gefolgt, Abenteurer ebenso wie Forscher, und manche verloren bei dieser Suche ihr Leben. Dazu trug nicht nur das unwirtliche Klima bei, die Region liegt auch in einem von alters her umkämpften Gebiet. Der Friede von Turkmantschi beendete im Jahr 1828 den russischen-persischen Krieg und brachte das Gebiet unter russische Oberhoheit. Das garantierte etwas mehr Sicherheit gegen kurdische Räuberbanden und ermöglichte Forschungsreisen. Die erste unternahm der estländische Physiker Friedrich Parrot im Auftrag des russischen Zaren. Er sollte eigentlich den Berg Ararat vermessen und stieg 1829 mit einer kleinen Expedition bis zum schneebedeckten Gipfel hinauf. So ganz nebenbei hoffte Parrot die Arche zu entdecken, allerdings vergebens. Wirtschaftlich zog der Este aber trotzdem einen Nutzen aus der Reise: Er ließ in der Nähe des Gipfels einen Eisblock lösen und ins Tal schaffen. Dessen Schmelzwasser fing er auf und brachte es als „geweihtes Wasser vom Berg Noahs“ in Flaschen mit nach Hause. Außerdem veröffentlichte er im Jahre 1834 in Berlin sein Buch Reise zum Ararat.

Im Oktober 1948 tauchte im Athener Büro der internationalen Presseagentur Associated Press (AP) der türkische Bauer Shukru Asena auf. Er besaß Ländereien am Fuße des Berges Ararat und erzählte, ein kurdischer Bauer mit Namen Reshit habe nicht allzu weit vom Gipfel entfernt in einer von geschmolzenem Eis und Schnee ausgewaschenen Schlucht den hölzernen Bug eines Schiffes gesehen, der so groß gewesen sei wie ein Haus. Nur der Bug sei sichtbar gewesen, aber die Stein- und Eismasse dahinter habe die Form eines Schiffes erkennen lassen. Reshit habe versucht, mit seinem Messer ein Stück Holz vom Bug abzuschneiden, doch es sei ihm nicht gelungen, das vom Alter schwarze Holz sei zu hart gewesen. Reshit behauptete gegenüber Skeptikern steif und fest, es sei keineswegs Stein gewesen: „Ich erkenne ein Schiff, wenn ich ein Schiff sehe“, behauptete er, „und dies war ein Schiff.“ Nach ihm stiegen auch andere Bauern aus den kleinen Dörfern am Fuße des Ararat auf der Nordseite des Berges empor, um sich dieses seltsame Ding anzusehen, und jeder, der wieder herunterkam, bestätigte Reshits Erzählung.

Der Journalist Edwin B. Greenwald von der Associated Press hörte sich bei Leuten um, Türken ebenso wie Ausländern, die diese Gegend genau kannten. Mehrere von ihnen, die auch schon auf dem Ararat gewesen waren, sagten, sie hätten dort niemals etwas gefunden, was auch nur entfernt wie ein Schiff ausgesehen habe. Andererseits gab es durchaus bereits ältere Berichte von einem Schiff dort oben auf dem Berg. Auch ein Engländer, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Bagdad lebte, erzählte, man habe ihm von einem großen Schiffswrack auf dem Ararat berichtet. Und Fridtjof Nansen erwähnt in seinem Buch Armenien und der Nahe Orient, dass „die Arche Noahs am Ararat landete, wo man ihre Überreste noch heute sehen kann“.

Im Jahre 1883, als am Fuße des Berges mehrere Dörfer von Lawinen zerstört wurden, schickte der türkische Staat eine Abordnung in das Gebiet, und auch diese erwähnte später in ihrem Rapport ein Schiffswrack auf dem Ararat. Es sei durch den Absturz der Schneemassen freigelegt worden, man habe es durch das Fernglas genau sehen können.

Auch die Amerikaner bereiteten eine Expedition vor, sie wollten die Überreste als Glanzstück für ihre Weltausstellung 1893 in Chicago bergen. Das Projekt scheiterte jedoch an technischen Problemen. Einige Jahre später bestieg der indische Geologe John Joseph Nouri aus Malabar den Ararat. Auch er berichtete, er sei in einiger Entfernung vom Gipfel auf ein „Schiffsbauwerk von kolossalen Ausmaßen aus Holz“ gestoßen. Es sei zwischen Eis und Felsblöcken eingeklemmt gewesen. Als Nächstes tauchte das Schiff vom Ararat in dem Bericht des russischen Piloten Roskowitsky auf. Der hatte es entdeckt, als er während des Ersten Weltkrieges den Berg überflog. Der Zar schickte aufgrund des Berichtes eine Expedition aus. Wegen der russischen Revolution von 1917 konnte das Projekt jedoch nicht weiter verfolgt werden und geriet in Vergessenheit.

Die Arche Noah beschäftigte immer wieder die Phantasie. Diese Darstellung aus den 1920er Jahren beschäftigt sich mit den technischen Details, wie sie ja auch die Bibel schon sehr genau beschreibt.

Erst in den 1960er Jahren rückte der Fund erneut in die Schlagzeilen, nun behaupteten türkische Kartografen sowie Teilnehmer einer amerikanisch-türkischen Expedition, Bilder des Wracks aufgenommen zu haben. Aus den 1970ern bis in die 1990er Jahre stammen Fotografien von Spionagesatelliten, die ebenfalls die Arche zeigen sollen. Wissenschaftler bezeichnen die Bilder jedoch als nicht beweiskräftig. Sie bezweifelten, dass die Erde so hoch oben überflutet gewesen sein könnte. Darüber hinaus sei es nicht sehr wahrscheinlich, dass ein Schiff aus Holz Tausende von Jahren unter der Erde überstehen kann.

Schon zuvor, in den 1950er Jahren, konnte der Franzose Fernand Navarra mit seinem Sohn Rafael aus einer Gletscherspalte am Ararat eine 1,50 Meter lange von Menschenhand bearbeitete Holzplanke bergen. Er zerteilte sie mit einer Axt, weil türkische Soldaten am Fuß des Ararat auf Vater und Sohn warteten – um das Fundstück nicht aushändigen zu müssen, verkleinerte Fernand Navarra das Holzstück so, dass es in den Rucksack passte. Das Holzstück war angeblich etwa 5000 Jahre alt.

Jahrelang konnte der Streit um die Existenz des Wracks nicht geklärt werden, da es niemandem gelang, bis zu ihm vorzudringen. Das raue Klima des über 5000 Meter hohen Ararat verhindert dies, zudem war das Gebiet um den Berg herum bis zum Ende der 1970er Jahre militärisches Sperrgebiet und damit für Forscher unzugänglich. Erst im Laufe der 1980er Jahre nahm die Zahl der Expeditionen wieder deutlich zu.

Hartman Schedel gibt um 1493 in seiner Weltchronik wieder, wie Noah und seine Söhne an dem Schiff arbeiteten. Sie verwenden Werkzeuge und Techniken wie die Zeitgenossen des Nürnberger Zeichners und tragen auch Kleidung jener Zeit.

Ein weiterer Arche-Sucher war der US-amerikanische Astronaut James B. Irwin, der 1971 mit der Apollo 15 zum Mond geflogen war. Als er nach seiner Rückkehr aus der NASA ausschied, wurde er Prediger, und 1982 startete er die erste seiner fünf Erkundungen des Ararat. 1986 entdeckte Irwin von einer Cessna aus Umrisse im Eis des nördlichen Gletschers, die auf einen entsprechenden Fund schließen ließen. Doch die türkischen Behörden hatten seinen Flug nicht genehmigt. Wegen Spionage über militärischem Sperrgebiet wurde Irwin ausgewiesen. Ein Suchteam entdeckte jedoch in einem Seitental des Ararat in 1300 Metern Höhe das Gebilde, das wahrscheinlich auf den Fotografien zu sehen ist: „300 Ellen in der Länge, 50 in der Breite und 30 in der Höhe“, wie es in der Bibel steht. Das wären umgerechnet 150 × 25 × 15 Meter – die Maße stimmen in etwa überein. Aber schon der bloße Augenschein macht klar: Diese Formation besteht aus Stein und Sand. Das vermeintliche Schiff ist nichts weiter als eine Laune der Natur.

Im Jahre 2010 behaupteten chinesische und auch türkische Forscher einmal mehr, Überreste der Arche Noah an den Hängen des Ararat gefunden haben. Als Beweis präsentierten sie Holzstücke und Überreste von Seilen, mit denen Tiere festgebunden gewesen sein sollten. Ob die Expedition wirklich auf die Arche Noah gestoßen war, blieb unklar, und die türkische Zeitung Hürriyet stellte fest: „Es gibt keine neuen Entwicklungen in Sachen Arche.“ Zuletzt sorgte der US-Millionär McGivern für Schlagzeilen, als er aufgrund von Satellitenfotos eine Ararat-Expedition entsenden wollte, der die Türkei allerdings die bereits erteilte Genehmigung schließlich doch wieder entzog.

Ist die Geschichte von der Sintflut also nichts weiter als ein biblisches Gleichnis ohne geschichtlichen Hintergrund? Vielleicht nicht ganz. Im Sommer 2005 entdeckte eine Expedition israelischer und US-amerikanischer Ozeanologen auf dem Grund des Schwarzen Meeres Beweise für eine ungeheure Naturkatastrophe, die sich vor 7500 Jahren zugetragen hat. Mehrere Mythen des alten Orient berichten von einer Auslöschung der Menschheit, bei der nur eine Familie verschont bleibt. Da ist einmal der Atrahasis, ein altbabylonischer Flutmythos, der sich auf sumerische Überlieferungen stützt. Dann gibt es die elfte Tafel des Gilgamesch-Epos mit einem Bericht über eine alles vernichtende Flut. Und sogar in der chinesischen Mythologie gibt es das Motiv einer Flut, die als göttliche Strafe alles verschlingt. Die Sintflut ist ein universaler Mythos, der sich in der Südsee ebenso findet wie bei den Indios Südamerikas.

Aber ist es überhaupt realistisch anzunehmen, es hätte ein Schiff geben können, das so viele Tiere aufnehmen konnte, wie es das Alte Testament von der Arche Noah behauptet? Die Ladekapazität der Arche hat man auf Basis der aus der Bibel bekannten Maße mit rund 9000 Quadratmetern berechnet. Das entspricht dem Fassungsvermögen von 286 Güterwagen der Deutschen Bahn. In einen Güterwagen passen nach Normvorgabe der Bahn 121 ungeschorene Schafe. Insgesamt käme man so auf 34.606 Tiere. Laut der Bibel mussten nur lungenatmende Tiere und Grundtypen jeder Kreatur von Noah mitgenommen werden. Die Zahl dieser Grundtypen beziffern Fred Hartmann und Reinhard Junker vom Studienkolleg „Wort und Wissen“ auf 3700 Säugetierarten, 8600 Vogel- und 8800 Reptilienarten. Die Arche Noah wäre also durchaus groß genug gewesen.

Neuere Überlegungen gehen jedoch davon aus, dass es sich bei der Arche nicht um ein kastenförmiges Schiff handelte, wie wir es uns bislang zumeist vorstellen und wie es in vielen biblischen Illustrationen auftaucht, sondern um ein kreisförmiges Boot; so geformte kleinere Wasserfahrzeuge gibt es im Zweistromland noch heute. Es bleibt also zu erwarten, dass auch in Zukunft wieder neue Entdeckergeschichten rund um Noahs Arche durch die Medien gehen werden.

Phönizier:

Die spärlichen Spuren des Seefahrtsvolks

Die Phönizier waren das berühmteste Seefahrer- und Händlervolk des Altertums. Von der Küste der Levante aus befuhren sie das südliche und westliche Mittelmeer. Sie trieben vom 1. Jahrtausend v. Chr. an regen Handel mit den größten Staaten der damaligen Zeit – den Reichen der Hethiter, der Babylonier, der Assyrer und der Ägypter. Ihre Handelsgüter waren die begehrten Zedern des Libanon sowie Rohmetalle und -erze, aber auch Fertigwaren aus Metall. Zudem lag in vielen vornehmen Haushalten Tafelgeschirr auf dem Tisch, das phönizische Händler geliefert hatten, und auch Trinkgläser verkauften sie, nachdem sie die Glasherstellung von den Ägyptern gelernt und zur Massenproduktion weiterentwickelt hatten.

Einen wirklichen Staat mit einer Zentralgewalt gründeten diese Händler nie, sondern nur Kolonien entlang der Mittelmeerküste. Sie fühlten und bezeichneten sich auch nicht als Phönizier, sondern nannten sich selbst nach den Städten, in denen sie siedelten. Die Sidonier beispielsweise lebten in Sidon. Die Völker, mit denen sie Handel trieben, hatten wiederum ihre eigenen Bezeichnungen für die Händler mit ihrem verzweigten Netz der Schifffahrtslinien, die dem Handel folgten. Die Römer beispielsweise bezeichneten die Bewohner Karthagos als Poeni, als „Bewohner des niederen Landes“, und grenzten sie damit von den Bewohnern der Berge des Libanon ab.

Während ihrer Fahrten erwarben die Phönizier immer mehr seefahrerische Kenntnisse und wurden immer bessere Schiffbauer. Es heißt, sie hätten im Auftrag des ägyptischen Pharao Necho um 600 v. Chr. mit einer Expeditionsflotte Afrika umrundet; unter Hanno dem Seefahrer sollen sie von Karthago aus die Straße von Gibraltar durchfahren und den Golf von Guinea erreicht haben. Dass sie die Azoren besucht haben, bestätigen Münzfunde auf der Insel Corvo. Fans der Phönizier halten es für möglich, dass sie lange vor Columbus sogar Amerika erreicht haben. Beweise dafür aber gibt es nicht.

Bei so viel maritimer Kompetenz ist erstaunlich, wie wenig man lange Zeit über die phönizischen Schiffe wusste. Es gab nur wenige Abbildungen, obgleich sie vom 12. bis 8. Jahrhundert v. Chr. das dominierende Schiffervolk des Mittelmeeres waren. Zwar existieren in den Ruinen assyrischer Paläste Reliefs mit Abbildungen geruderter Schiffe, doch diese lassen nur wenige Rückschlüsse über die Bauart zu.

Das hat einfache Gründe. Im warmen Mittelmeerklima waren Holzteile schnell verfault, Tontafeln zerfielen und sogar steinerne Denkmäler verloren ihre Konturen. Außerdem weiß niemand, inwieweit künstlerische Interpretationen und regionale Sehgewohnheiten die Steinmetze beeinflussten. Oft bildeten sie fremde Schiffstypen so ab, dass sie den eigenen ähnelten – wie ja auch auf den Portolankarten des 13. Jahrhunderts afrikanische Städte genauso aussahen wie europäische.

Deshalb gerieten die entsprechenden Fachkreise in Aufregung, als man im Jahre 1971 vor der Isola Lunga im Westen Siziliens, nahe der Hafenstadt Marsala, bei Baggerarbeiten in nur zweieinhalb Meter tiefem Wasser einige Planken und andere Holzteile entdeckte, die vermuten ließen, es könne sich um ein Schiffswrack handeln. Die italienische Regierung erteilte die Genehmigung zur Erforschung der Überreste, und schon kurze Zeit später konnten die Archäologen erste Erkenntnisse präsentieren. Das Wrack stammte aus dem 3. Jahrhundert v. Chr. Für die Wissenschaftler ergänzte es sich mit einem Fund vom Kap Gelidonia, wo Unterwasserarchäologen im Jahr 1960 eine Ansammlung von Gegenständen wie Kupfer- und Zinnbarren sowie Werkzeuge und einen Amboss entdeckten. Holzteile waren dort indes nicht mehr erhalten, und erst als sie die Funde kartographierten und so die Form der Fundstelle deutlich wurde, erkannten sie, dass es sich wohl um die Überreste eines etwa 18 Meter langen Schiffes handelte. Da das Holz des Schiffes längst zerfallen war, konnte man nicht rekonstruieren, wie das Schiff wohl ausgesehen hatte. Immerhin war aus den Fundstücken zu schließen, dass es sich wohl um das Schiff eines Kesselschmiedes gehandelt hatte, der von Hafen zu Hafen fuhr und seine Dienste anbot.

Bei dem Fund vor der Isola Lunga dagegen waren Teile vom Kiel, von Spanten und Planken erhalten. Aber es gab keine Hinweise auf eine Ladung, weshalb man heute davon ausgeht, dass es sich um ein karthagisches Kriegsschiff handelt.

Wer sich heute die Bauweise karthagischer Schiffe ansehen will, braucht keine Tauchermontur mehr, sondern kann dies trockenen Fußes im Baglio Anselmi tun. Dieses Museum besteht aus ehemaligen Fabrikbauten aus dem 19. Jahrhundert mit einem weiten Innenhof. Früher wurde hier Marsalawein verarbeitet und gelagert, und zwei Räume, in denen die Fässer einst lagerten, dienen heute als Ausstellungsräume.

Im Museum steht in einem klimatisierten Raum ein phönizisches Schiff – ein bedeutender Zeuge der Kriege zwischen Römern und Karthagern in den dortigen Gewässern. Es sank vermutlich während der Schlacht der Ägaden im Jahr 241 v. Chr., die den Ersten Punischen Krieg beendete. Die Karthager führten insgesamt drei Kriege mit Rom, die sogenannten Punischen Kriege (die Römer bezeichneten die Bewohner von der nordafrikanischen Küste ebenfalls als Poeni, als Phönizier des Westens), der Dritte Punische Krieg (149–146 v. Chr.) führte schließlich zur Zerstörung des Stadtstaates. Nach der Rekonstruktion kann man die Backbordseite und das Heck des Schiffs gut erkennen. Mit dem Schiff wurden übrigens auch Teile der Ladung geborgen.

Archäologen haben auf dem Meeresgrund zahlreiche zivile Schiffe gefunden, die gewissermaßen durch ihre Amphorenladungen geschützt wurden. Doch Kriegsschiffe transportierten keine Ladungen, so dass sie sich in der Strömung in viele Teile auflösten; so ist das Schiff von Marsala das einzige erhaltene aus punischer Zeit.

Uluburun:

Wie eine Maus den Archäologen half

1982: Wie schon so oft glitt der Schwammtaucher Mehmet Cakir ins Wasser des Mittelmeeres vor der türkischen Küste, unweit des Badeortes Antalya. Er war wieder einmal auf der Suche nach Schwämmen – Meerestieren, deren weiches Skelett sich gut als Badeschwamm verkaufen ließ, wenn das Zellmaterial erst einmal aufgelöst und ausgespült war. In kleinen Geschäften an der Küste hängen solche Schwämme auch heute noch in ganzen Ballen zum Verkauf aus. Was er dann 60 Meter vor der Küste entdeckte, war jedoch viel aufsehenerregender als die gelblichen Wassertiere. Als er wieder aufgetaucht war, berichtete Mehmet, dort am Grund würden viele „Behälter mit Ohren“ liegen. Davon erfuhr Dr. George Fletcher Bass, der in der Region für das Institute of Nautical Archaeology (INA) der Texas A&M University als Unterwasserarchäologe arbeitete. Er wurde sofort neugierig, denn nach der Beschreibung konnte es sich nur um Amphoren handeln, und wenn es viele waren, dann war dort vermutlich ein Schiff gesunken. Zusammen mit seinem türkischen Kollegen Cemal Pulak unternahm er erste Tauchgänge. Dabei entdeckten sie mehr als 150 erhaltene noch mit Harz gefüllte Amphoren, Barren aus Kupfer, Zinn sowie Nutzholz, Oliven und kobaltblaues Glas. Die Tonwaren deuteten auf das 14. Jahrhundert v. Chr. hin. Es waren so viele Funde, dass mehr als 22.000 Tauchgänge notwendig waren, um alles zu bergen.

Türkische und amerikanische Archäologen rekonstruierten gemeinsam das Wrack von Uluburun. Aufgrund der unter Wasser gemachten Funde konnten sie mit vielen Einzelheiten einen neuen Rumpf bauen.

Beteiligt waren amerikanische und türkische Forscher, die Leitung übernahm George Bass, der schon in den 1960er Jahren bewiesen hatte, dass man archäologische Untersuchungen auch in Taucheranzügen verrichten kann. Im Zuge dessen hatte er diverse Techniken für die Bergung von Unterwasserfunden entwickelt.

Dieses neu entdeckte Wrack lag an einem Steilhang zwischen 46 und 58 Meter Tiefe, damit war es das tiefstgelegene, das sein Team jemals erforscht hatte. Und das brachte ein Problem mit sich: Denn ab einer Tauchtiefe von 30 Metern kann ein Tiefenrausch auftreten, ausgelöst vom Stickstoff in der Atemluft. Dann sind Urteilsvermögen und logisches Denken eingeschränkt, es treten Euphorie oder Angst auf, es ändert sich das akustische Empfinden, man hat einen metallischen Geschmack im Mund und nach dem Tauchgang setzt eine anhaltende Müdigkeit ein. Um die Arbeitszeit unter Wasser zu verlängern, atmeten die Taucher des Projektes vor dem Auftauchen reinen Sauerstoff, um den überschüssigen Stickstoff aus den Lungen zu entfernen – eine Methode, die seither von vielen Wissenschafts- und Forschungstauchern angewendet wird. An dem Wrack von Uluburun leisteten die Taucher insgesamt 22.143 Tauchgänge, die einer Zeit von 6600 Arbeitsstunden unter Wasser entsprachen.

Anschließend unternahmen sie Fahrten, um die Segeleigenschaften von Schiffen der damaligen Zeit zu erforschen. Der Skelettfund einer Maus verhalf zu Erkenntnissen über die Fahrtrouten.

Das Schiff von Uluburun war offenbar ein Handelsschiff auf einer Rundroute im östlichen Mittelmeer gewesen. Es schien, als seien die meisten an Bord gefundenen Gegenstände für den Export bestimmt gewesen, andere gehörten offenbar zum persönlichen Eigentum der Besatzung oder zur Schiffsausrüstung. So fanden sich Keramik und Schmuck aus den kanaanitischen Stadtstaaten der Levante, Schmuck und Glas aus Ägypten, Kupfer von Zypern, Rollsiegel aus Assur, ein ägyptisches Siegel in Skarabäenform, Waffen und Keramik aus dem mykenischen Raum und sogar Bernstein von der Ostsee.

Die Waren waren größtenteils in Amphoren und Pithoi, bauchigen Vorratsgefäßen aus Ton mit flachem Boden, transportiert worden. Drei Pithoi waren mit Keramik aus Zypern gefüllt. Die Gefäße enthielten auch Oliven, Olivenöl, Granatäpfel und Pistazienharz, das vermutlich aus dem Gebiet um das Tote Meer stammte. Die 175 blauen und türkisgrünen Glaszylinderbarren kamen vermutlich aus dem syrisch-palästinensischen Raum.

Das Glas stimmte in seiner Zusammensetzung mit Funden aus Ägypten der 18. Dynastie und Perlenfunden aus Mykene überein und bewies, dass Glasbarren in dieser Zeit im gesamten Ost-Mittelmeer gehandelt wurden. Handwerker und Künstler nutzten solch farbiges Glas, um Edel- und Schmucksteine wie Lapislazuli, Türkis und Amethyst zu imitieren. Für Archäologen ist es schwierig festzustellen, welche Waren während der Fahrt getauscht wurden. Schon daher ist der Fund eines Schiffes mit einer so vollständigen Ladung wie im Falle von Uluburun für die Forschung von besonderem Wert. Denn es handelte sich offenbar ein Handelsschiff, und somit galt es als Nachweis einer regen Handelstätigkeit im Gebiet. Die Route selbst ist nicht geklärt, da das Schiff Waren aus vielen verschiedenen Gegenden enthielt.