Verlag C.H.Beck
Echnaton ist der berühmteste und rätselhafteste ägyptische Pharao. Im 14. Jahrhundert v. Chr. verordnete er seinen Untertanen einen monotheistischen Glauben, revolutionierte das hergebrachte Weltbild, erbaute eine glänzende Residenz und reformierte die Kunst. Sein Sonnen-Hymnus ist bis heute in der Bibel überliefert. Doch nur wenige Jahre nach seinem Tod verließen die Menschen seine Stadt für immer. Alles, was an Echnaton und seine neue Religion erinnerte, wurde zerstört oder vergraben. Erst im 19. und 20. Jahrhundert wurden der Pharao, seine Frau Nofretete, seine Schriften und seine Bauten wiederentdeckt. Bis heute sind die Ausgrabungen nicht abgeschlossen, und bis heute bietet der mysteriöse Pharao Anlass zu Spekulationen über sein Geschlecht und seine Krankheiten, sein Weltbild und die Geschichte des Monotheismus. Hermann A. Schlögl erzählt die Geschichte Echnatons auf der Grundlage der neuesten archäologischen Entdeckungen und erklärt seine wahrhaft weltgeschichtliche Bedeutung.
Hermann Alexander Schlögl ist Professor em. für Ägyptologie an der Universität Fribourg. Er ist durch zahlreiche Monographien zur Geschichte und Kultur des Nillandes und durch Übersetzungen altägyptischer Literatur hervorgetreten. Zuletzt erschienen von ihm bei C.H. Beck die große Gesamtdarstellung „Das Alte Ägypten“ (2006), die Anthologie „Die Weisheit Ägyptens“ (2007) sowie „Nofretete“ (2. Auflage 2013).
John Mulford
1939–2007
Edgar Wiesemann
1927–2007
ad memoriam
1. Der Weg zur Thronfolge
2. Aufwachsen im Polytheismus
3. Der alte König
4. Amenophis IV. und Nofretete: Mit großem Königtum in Karnak
5. Aton ist gefunden – die Erschaffung eines Gottes
6. Die göttliche Dreiheit
7. «Ich gebe dir das Amt»
8. Aton findet seine Stadt
9. Blick in den Himmel
10. «Du formst die Menschen und ihre Sinnesart»
11. Das göttliche Licht
12. Verordneter Glaube
13. Sterben unter Atons Licht
14. Die Götter stürzen
15. Die Verwaltung des Staates
16. Jenseits der Reichsgrenzen
17. Vor Sonnenuntergang
18. Kija – Große Geliebte im Schatten Nofretetes
19. Der König stirbt
20. Unordnung und Wirrnis
21. Tutanchaton und die Last des Erbes
22. Aja, der Jongleur der Macht
23. Die Zeit schließt sich
24. Lesen im Geschichtsbuch des Manetho
25. Echnaton ist gefunden
Zeittafel
Bildnachweis
Literatur
Register der Personen und Toponyme
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Nichts kann rückgängig gemacht werden, was einmal gedacht wurde. |
Im Jahre 1351 v. Chr. bestieg in Ägypten ein junger Mann namens Amunhotep IV. den Pharaonenthron. Sein Name wurde wahrscheinlich «Amanchatpa» ausgesprochen, bei uns hat sich die griechische Form «Amenophis» durchgesetzt. Er sollte zu einer herausragenden Persönlichkeit werden und die Kultur- und Religionsgeschichte bis in unsere Zeit hinein beeinflussen, denn er entwickelte die erste monotheistische Religion der Menschheit.
Die Spuren des Amenophis waren lange Zeit nur in Umrissen erkennbar und wurden durch Spekulationen und zahlreiche Hypothesen, zu denen diese außergewöhnliche Figur herausfordert, oftmals zusätzlich verschleiert. Aber das Material, das uns über ihn zur Verfügung steht, konnte gerade in den letzten Jahren durch archäologische Funde beachtlich erweitert werden, sodass ein neuer Überblick an der Zeit ist. Die Darstellung konzentriert sich auf unser gesichertes Wissen, denn es würde den Rahmen dieses Buches sprengen, auf jeden Blütenkranz von Mutmaßungen einzugehen, die in manchen Publikationen ausgebreitet werden, oder die teilweise sehr widersprüchlichen Spekulationen zu behandeln.
Amenophis IV. war der 10. König der berühmten 18. Dynastie, die damals schon mehr als 180 Jahre über das Nilland gebot. Ihr Begründer, König Ahmose (1540–1525 v. Chr.), hatte einst fremde semitische Könige, die mit ihrem asiatischen Häuptlingstitel «Hekau-chasut» («Herrscher der Fremdländer», griech. «Hyksos») genannt wurden und die ihr Machtzentrum in der Deltastadt Auaris mehr als hundert Jahre behauptet hatten, aus Ägypten hinausgeworfen und ihre Herrschaft für immer beendet. Mit dieser Tat wurde die glänzende Epoche des Neuen Reiches eröffnet, in deren Verlauf Ägypten zu einer Weltmacht aufstieg. Ägypten annektierte das selbständige Fürstentum Kusch (Nubien) und richtete dort eine straffe Verwaltung unter einem ägyptischen Vizekönig ein. Dieses Amt wurde in der Regel von einem hohen Verwaltungs- oder Militärbeamten ausgefüllt, der den Titel «Königssohn von Kusch» erhielt. Das nubische Gebiet mit seinen Steinbrüchen und Goldminen war für den wirtschaftlichen Aufschwung dieser Periode von entscheidender Bedeutung.
Weniger straff gegliedert als in Nubien war die Verwaltung in dem ebenfalls von Ägypten kontrollierten Gebiet in Syrien und Palästina, wo eine endgültige Sicherung der Macht nicht zuletzt durch das Mitanni-Reich verhindert wurde, das nördlich in Syrien an den ägyptischen Einflussbereich grenzte. Die militärischen Auseinandersetzungen in dieser Region wurden erst beendet, als – noch zur Zeit Thutmosis’ IV. (1397–1388 v. Chr.), des Großvaters von Amenophis IV. – die Hethiter von Norden her angriffen. Mitanni geriet deshalb zwischen die Fronten und nahm Friedensverhandlungen mit Ägypten auf, die durch die Heirat Thutmosis’ IV. mit einer mitannischen Prinzessin besiegelt wurden. Nach Jahren der Konfrontation konnte nun ein friedliches Nebeneinander beginnen.
Thutmosis IV. war indes keine lange Lebenszeit beschieden. Erst zwölfjährig wurde sein Sohn Amenophis III. (1388–1351 v. Chr.) als sein Nachfolger inthronisiert, doch führte seine Mutter Mutemuia anfänglich die Regierung. Die Grenzen des Reiches blieben meist ruhig. Nur aus dem 5. Regierungsjahr des Herrschers sind kriegerische Aktivitäten überliefert: Ein nubischer Aufstand wurde niedergeschlagen, wobei die Leitung dieser Aktion nicht in der Hand des Königs selbst, sondern in der des Vizekönigs von Kusch, Merimose, lag.
Zu seiner Großen Königsgemahlin erhob Amenophis III. ein bürgerliches Mädchen, Teje, die aus der gehobenen und vornehmen Beamtenschicht stammte. Die Heirat des Herrschers mit einer Bürgerlichen stellte einen beispiellosen Vorgang dar, denn Teje erfüllte ungeachtet ihrer vornehmen Herkunft nicht die Voraussetzung für den Rang einer Großen Königsgemahlin, für die bisher nur Prinzessinnen von königlichem Geblüt in Frage kamen. Ihr Vater Juja war «Rindervorsteher» und «Prophet des Gottes Min» und kam aus der mittelägyptischen Stadt Achmim (ägypt. Ipu). Als Schwiegervater des Königs erhielt er einige Ehrentitel, darunter den eines «Gottesvaters» (it-netjer), der ihn als Verwandten des Königs kennzeichnete. Erstaunlicherweise bestimmten mehrere Kinder dieses Beamten Juja und seiner Frau Tuja über Jahrzehnte hinweg die Politik Ägyptens mit: Die Große Königsgemahlin Teje gebar zwei Söhne, die Prinzen Thutmosis und Amenophis, und vier Töchter, die Prinzessinnen Satamun, Isis, Henutaneb und Nebetiah, und erwies sich als eine bedeutende und starke Persönlichkeit, die schon bald eine führende Rolle im Staat einnahm. Aber auch ihre Brüder Aanen und später vor allem Aja erhielten wichtige Ämter und Funktionen.
Unter Amenophis III. entfaltete der königliche Hof seine größte Pracht. Der Herrscher war nicht nur ein bedeutender Diplomat, sondern er liebte auch die Repräsentation. So übertraf er als Bauherr alle seine Vorgänger, wobei er einen Hang zum Kolossalen zeigte, wie man ihn bisher nicht erlebt hatte. An die Spitze der Bauleitung berief er Amenophis, Sohn des Hapu, der aus Athribis, einer Stadt im Nilddelta, stammte. Dieser Mann gelangte zu höchsten Ehren, und der König gestattete ihm sogar, sich einen Totentempel auf der thebanischen Westseite zu errichten, ein Privileg, das sonst nur dem Pharao selbst zustand. Auch im ägyptischen Volk war er wegen seiner Leistungen berühmt, und so wurde er noch nach vielen Jahrhunderten als großer Weiser, ja als Gott verehrt; sein königlicher Gönner dagegen war zu dieser Zeit schon vergessen. Als Bauherr errichtete Amenophis III. den Tempel von Luxor, der noch heute zu den eindrucksvollsten Zeugnissen altägyptischer Architektur zählt. Der Totentempel des Königs auf der thebanischen Westseite besaß ebenfalls gewaltige Ausmaße. Heute sind – neben einigen interessanten Ausgrabungsstücken – nur noch die beiden einst den Eingang flankierenden, fast 20 Meter hohen Sitzstatuen des Herrschers erhalten. In der klassischen Antike sahen griechische und römische Nillandtouristen darin die Abbilder des äthiopischen Sagenkönigs Memnon, der durch die Hand des Achilleus vor Troja fiel. Deshalb heißen diese Statuen bis zum heutigen Tag «Memnonskolosse».
Politisch war der König auf friedlichen Ausgleich mit den Nachbarvölkern bedacht. So vollzog auch er diplomatische Heiraten: Bereits in den frühen Jahren seiner Regierung kam Prinzessin Giluchepa, die Tochter des mitannischen Königs Schutarna, in seinen Harem, doch gehörten auch zahlreiche Fürsten- und Königstöchter dazu, darunter eine babylonische Prinzessin. Die Haremsfrauen wohnten in einem separaten Bereich des Palastes (ägypt. cheneret), wo sie und ihr Anhang versorgt wurden. Dazu gehörte landwirtschaftlicher Grundbesitz ebenso wie Rinderherden, Mühlenanlagen und Webereien. Die Verwaltung des Harems war speziellen Beamten – keinen Haremswächtern oder Eunuchen – anvertraut. Es war eine nach außen abgeschirmte Institution, deren Mitglieder eine mehr oder weniger eigenständige Gesellschaft bildeten und weitgehend anonym blieben. Die im Harem lebenden Damen und Prinzessinnen waren als Nebenfrauen nur dem König verpflichtet und als Gespielinnen ganz auf ihn eingestellt. Um ihn zu erfreuen, mussten ihm auch Musik und Tanz geboten werden. Gegen Ende seiner Herrschaft, als der König schon ein kranker Mann war, heiratete er schließlich noch die junge Prinzessin Taduchepa, die Tochter des neuen Mitanni-Königs Tuschratta. Dieser wollte die Beziehungen zu Ägypten besonders eng gestalten, weil der hethitische König Suppiluliuma I. (1355–1320 v. Chr.) damit begonnen hatte, das Mitanni-Reich hart zu bedrängen. In diesen späten Jahren erhob Amenophis III. auch noch zwei seiner Töchter, Satamun und Isis, in den Stand von «Großen Königsgemahlinnen». Eine wirkliche Eheschließung wurde damit aber wohl nicht vollzogen, sondern die Töchter erhielten mit diesem Titel die Befugnis, wichtige königliche Repräsentationspflichten wahrzunehmen.
Noch während der Regierungszeit von Amenophis III., im 30. Jahr, starb ganz unerwartet sein ältester Sohn, der Kronprinz Thutmosis. Benannt nach seinem Großvater, König Thutmosis IV., hatte er vorwiegend in Memphis gelebt. In der Garnisonsstadt hatte er, wie alle Kronprinzen vor ihm, eine militärische Ausbildung genossen, die ihm den Titel eines «Truppenkommandanten» eintrug, war aber zugleich in hoher priesterlicher Funktion am dortigen Ptah-Tempel tätig. Aus dieser Zeit ist ein Sarkophag erhalten, den der Königssohn für das Begräbnis einer heiligen Katze stiftete (Museum Kairo, CG 5003) und der so seine ganz traditionelle religiöse Ausrichtung dokumentiert. Nach seinem Hinscheiden wurde der Kronprinz vermutlich in der Region von Memphis beigesetzt.
Einzig durch diesen frühen Tod wurde es dem jüngeren Bruder möglich, in die Thronfolge einzutreten. So hieß der folgende König nicht Thutmosis V., sondern Amenophis IV.
Im thebanischen Grab von Scheich Abd el-Qurna (Nr. 226) aus der Zeit Amenophis’ III. gibt es die Darstellung eines leider unbekannten «Königlichen Schreibers» und «Prinzenerziehers», auf dessen Schoß vier nackte Königskinder sitzen. Die kleinen Prinzen, Söhne von Amenophis III., sind geschmückt mit Jugendlocke und scheibenförmigen Ohrringen. Leider sind die Beischriften mit den Namen der Schützlinge verloren. Der anscheinend älteste von ihnen hat den rechten Arm ausgestreckt, die Schulter seines Lehrers berührend. Es dürfte dies eine frühe Darstellung des kleinen Kronprinzen Thutmosis sein; direkt neben ihm sitzt vermutlich sein jüngerer Bruder Amenophis. Von dem Erzieher wurden die Prinzen für das zukünftige Leben am königlichen Hof vorbereitet, lernten schreiben und lesen und trieben Sport. Vor allem aber wurden sie in die tieferen Geheimnisse der Religion eingeführt. Für uns besonders wichtig ist die Frage, in welchem religiösen Denken und Glauben der spätere Religionsstifter aufgewachsen ist und welches geistige Umfeld ihn beeinflusst haben mag.
Die Götter Ägyptens verdanken ihren Ursprung dem direkten Erleben: In allem, was auf der Erde oder am Himmel wahrgenommen wurde, konnte sich die Macht eines Gottes oder einer Göttin manifestieren, weshalb ihre Zahl sehr groß war. Sie wohnten im Himmel oder in der Unterwelt, doch erbauten ihnen die Menschen auf Erden große Tempel, sodass sie sich auch hier aufhalten konnten. Im innersten Teil des Tempels waren ihre Kultbilder aus Gold, Stein und Bronze in Schreinen aufgestellt, zu denen nur wenige auserwählte Priester Zutritt hatten, um die täglichen Ritualsprüche zu beten und den vorgeschriebenen Dienst am Götterbild zu versehen. Aber auch die übrigen Räumlichkeiten und Höfe des Gotteshauses konnten nur von einem privilegierten Personenkreis betreten werden; der einfache Gläubige sprach seine Gebete an den Tempeltoren, den Pylonen.
Zu den größten Göttern des Landes gehörte zweifellos seit der zweiten Hälfte des dritten vorchristlichen Jahrtausends der Sonnengott Re. Sein bevorzugter Kultort war Heliopolis (ägypt. Junu, das biblische On), das im religiösen Leben eine bedeutende Rolle spielte, politisch dagegen kaum hervortrat. Neben Re gab es noch andere Sonnengötter, in denen jeweils eine besondere Sicht der Sonne zum Ausdruck kam, die etwa den Tageszeiten entsprach. So verkörperte sich die Morgensonne in dem Gott Chepre («der Entstehende»), der sich als Mistkäfer (Skarabäus) manifestierte. In der Tagesgestalt der Sonne sah man den Gott Harachte («horizontischer Horus»), der als Sonnenfalke über den Himmel zog; er hatte sich von dem alten Himmels- und Königsgott Horus («der Ferne») abgespalten, der in der Königstitulatur als Horus-Name an erster Position zu stehen pflegt. Die Abendgestalt der Sonne wurde mit Atum («der Undifferenzierte») gleichgesetzt, einer wichtigen Urgottheit, die ebenfalls in Heliopolis ihr Hauptkultzentrum hatte.
Der Sonnengott Re aber war der Schöpfergott an sich, und seine Bedeutung wurde schon dadurch unterstrichen, dass jeder König sich in seiner Titulatur als «Sohn des Re» bezeichnete. Er war der Erhalter der Welt, der in einer Barke am Tag den Himmel und in der Nacht die Unterwelt durchfuhr. In dieser Vorstellung begibt sich der Sonnengott nach der ermüdenden Reise in der Tagesbarke mit seiner Begleitung in die Abendbarke und durchfährt die Nacht auf einer zwölfstündigen Fahrt durch die Gewässer der Unterwelt, die allerdings nicht frei von Gefahren sind. Hier lauert in Schlangengestalt der Götterfeind Apophis, der nicht dem Sein angehört und deshalb nicht für immer vernichtet werden kann. Apophis stellt sich allnächtlich dem dahinfahrenden Sonnengott in den Weg, bedroht ihn und damit die ganze Schöpfung. Nur durch Zauberkraft kann er unschädlich gemacht werden. Auf seiner Weiterfahrt geht der Sonnengott noch eine kurze, enge Verbindung mit dem Herrscher des Totenreiches, Osiris, ein, um dann am Morgen verjüngt von neuem im Osten emporzusteigen und seine Tagesreise wieder zu beginnen. Osiris ist heute noch der bekannteste Gott des ägyptischen Pantheons. Er verdankt dies der spätantiken Verbreitung seines Kultes über alle römischen Länder des Mittelmeers. Die starke Beachtung, die der Gott dort fand, lag in seinem Schicksal begründet. Der Mythos erzählt, dass Osiris, einst König von Ägypten, von seinem Bruder Seth ermordet und sein Leichnam zerstückelt und in den Nil geworfen wurde, woraufhin der Mörder unrechtmäßig den Herrscherthron bestieg. Die Schwestergemahlin des Getöteten aber, Isis, die Zauberreiche, betrauerte den Gatten so über alle Maßen, dass sie ihn durch ihre Klagen soweit zum Leben erwecken konnte, um von ihm einen Sohn, nämlich Horus, zu empfangen. Dieser verschaffte seinem ermordeten Vater später Genugtuung gegenüber dem Usurpator Seth, indem er als legitimer Erbe den Königsthron bestieg. Die Auferstehung des Osiris aber vollzog sich nicht im Diesseits, sondern er wurde zum Herrscher des Totenreiches in der Unterwelt. In Anlehnung an diesen Mythos erbte jeder König Ägyptens als Inkarnation des Horus den Thron von seinem Vater, der seinerseits durch sein Sterben in die Rolle des Osiris eintrat.
Eine besondere Bedeutung innerhalb der ägyptischen Götterwelt hatte auch die Göttin Maat, welche eine Tochter des Sonnengottes Re war und mit einer Straußenfeder auf dem Kopf, zugleich ihrem Schriftzeichen, dargestellt wurde. Sie galt als die personifizierte Weltordnung, die der Schöpfer bei der Schaffung der Welt gesetzt hatte. Als abstrakter Begriff hat Maat auch die Bedeutung von «Wahrheit» und «Gerechtigkeit» und beinhaltet das Gegenteil von Chaos. In einem altägyptischen Text heißt es, «die Richtschnur der Welt ist das Verwirklichen der Maat». So verwirklichte der Sonnengott die Maat im Kosmos, auf Erden aber war dies die Aufgabe des Königs.
An der Spitze aller Götter stand seit Beginn des zweiten vorchristlichen Jahrtausends der Reichsgott Amun. Sein Name bedeutet «der Unsichtbare» oder «der Verborgene». Er war der Gott des Windhauchs und zugleich der Herr des Lebensodems, der alle Dinge beseelt. In einem Beinamen wurde er als «Mächtigster der Mächtigen» bezeichnet. Ihm war die bedeutendste Kultanlage des Nillands, die Tempelstadt von Karnak, geweiht, die von Generationen von Königen gebaut und erweitert wurde. In Amuns Namen wurden Kriegszüge geführt, und durch die Beute daraus floss seinen Tempeln ein ungeheurer Reichtum und seinen Priestern große, auch politische Macht zu. Später haben die Griechen diesen Gott mit Zeus gleichgesetzt. In der Kunst erscheint Amun meist in Menschengestalt mit einer hohen Federkrone als Kopfschmuck. In der Hauptstadt Theben – das heutige Luxor liegt zum Teil auf den Ruinen dieser Stadt – stellte man ihm die Göttin Mut («Mutter») als Gemahlin zur Seite, die, bevor sie mit Amun in Verbindung trat, nur eine bescheidene Gottheit gewesen war. Als Kind dieser beiden galt der Mondgott Chons («der Wanderer»), der ein besonders großes Ansehen in Theben genoss und dessen Jugendlichkeit im immer wieder sich erneuernden Mond sichtbar war. Chons war außerdem eine Orakelgottheit und wurde als Nothelfer gegen böse Tiere und Krankheiten angerufen. In Theben wurden die Götter Amun, Mut und Chons als Dreiheit (Triade) verehrt, denn die ägyptischen Theologen hatten die Tendenz, die Vielzahl der göttlichen Wesen systematisch zu Götterpaaren und Götterfamilien zusammenzustellen. Auch die alte Hauptstadt Memphis besaß eine solche Triade. Dort stand der Gott Ptah (Name nicht deutbar) im Mittelpunkt der Verehrung, der auch als ein Schöpfergott angesehen wurde. Ein wichtiger religiöser Text, der auf einer stark abgeriebenen Basaltplatte eingraviert ist (aufbewahrt im Britischen Museum, Nr. 498), berichtet, dass Ptah durch Gedanken und Worte die Welt erschaffen habe, eine Schöpfungsvorstellung, die an den Prolog des Johannes-Evangeliums erinnert: «Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.» Vor allem aber war Ptah der Schutzherr jeglicher Handwerkskunst, weshalb sein Hohepriester den Titel «Oberster Leiter der Handwerkerschaft» trug. Bildwerke zeigen den Gott menschengestaltig mit ungegliedertem Körper und einer eng anliegenden Kappe auf dem Haupt. Als Gemahlin stand ihm Sachmet («die Mächtigste») zur Seite. Sie wurde als Frau mit Löwenkopf dargestellt und trug die gefährliche Natur des Löwen in ihrem Wesen. Den Feinden Ägyptens begegnete sie mit Verderben bringender Macht, aber auch den Ägyptern selbst konnte sie gefährliche Krankheiten schicken. Für eine erfolgreiche Heilung war es dann notwendig, die Göttin zu besänftigen. Als Kindgott trat zu diesem Paar Nefertem («der vollkommen Schöne»), der sich in der Lotusblume manifestierte. Er war Duftgott und Herr des königlichen Hofparfüms. Aber auch er hatte gefährliche Züge, die ein Erbteil seiner Mutter waren.
Ebenfalls in Memphis wurde schon in ältester Zeit der Gott Apis verehrt, dessen heiliges Kultbild ein lebender Stier war, der bei seiner Inthronisierung bestimmte Abzeichen im Fell aufweisen musste. Er sollte die Fruchtbarkeit des ganzen Landes garantieren, später wurde er auch als Herold oder als Abbild des Ptah verstanden.
Wohl die angesehenste und theologisch vielschichtigste Göttin Ägyptens war Hathor, deren Name «Haus des Horus» bedeutet. In ältester Zeit galt sie als Himmelsgöttin, und sie hatte, wie schon ihr Name besagt, eine Verbindung zu Horus und damit zur Sonne. Später setzte man sie mit dem Feuer sprühenden und versengenden Auge des Sonnengottes Re gleich; sie wurde zu einer «Herrin des Schreckens», die vernichtende Kraft hatte. Eine andere Seite ihres Wesens aber war die einer Göttin der Musik, des Tanzes und der Liebe; es ist verständlich, dass die Griechen in ihr Aphrodite erkennen wollten. Neben diesen Eigenschaften aber hatte Hathor schließlich auch sehr mütterliche Züge. In Theben wurde sie zudem als Totengottheit verehrt: Der Verstorbene wünschte sich, in ihrem Gefolge zu sein, um so Schutz und sichere Versorgung im Jenseits zu erreichen. Die Göttin Hathor wurde häufig in Kuhgestalt oder als Frau mit Kuhohren und einem Kuhgehörn mit Sonnenscheibe als Kopfschmuck dargestellt. Ihr Hauptkultort war Dendera in Mittelägypten.
Vielen Göttern wurde ein Tier zugeordnet, das ursprünglich mit dem Wesen des betreffenden Gottes in Verbindung stand. So wurde etwa der Schakal mit Anubis («das Hündchen»), dem Gott der Nekropole und der Einbalsamierung, verknüpft oder die beiden Kronengöttinnen Nechbet und Uto, welche die Landeshälften Ober- und Unterägypten repräsentierten, mit dem Geier und der Kobra. Es gab zahlreiche Götter, die entweder ganz in Tiergestalt oder als Mensch mit Tierkopf auftraten, doch muss man sich davor hüten anzunehmen, die Ägypter hätten sich diese Götter tatsächlich in dieser Gestalt vorgestellt. Vielmehr waren das Tier oder der Tierkopf nur ein Erkennungsmerkmal dafür, welcher Gott oder welche Göttin in einer bestimmten Situation gemeint war.
Nach ägyptischer Vorstellung konnten ein Gott oder eine Göttin mit einem oder mehreren anderen göttlichen Wesen eine sehr intensive Verbindung eingehen, die man als «Einwohnung» oder «Synkretismus» bezeichnet. Die Götternamen wurden bei einer solchen «Einwohnung» wie die Elemente einer chemischen Formel aneinandergereiht: So konnte etwa Amun mit Re eine Verbindung eingehen, die dann Amun-Re hieß. Eine solche Verknüpfung, welche die Macht beider Götter potenzierte, war vielleicht nur vorübergehender Natur, konnte aber auch länger andauern. Mit dem Fruchtbarkeitsgott Min war die Einwohnung des Amun so eng, dass Min in dessen Gestalt erscheinen konnte. Er wurde dann als Mensch mit erigiertem Phallus, den rechten Arm erhoben und eine Geißel schwingend, dargestellt.
Amenophis III. setzte nach seiner Inthronisation die alten Traditionen auf religiösem Gebiet fort, doch zeigten sich während seiner Regierungszeit gewisse neue, vielleicht persönliche Akzente. So stand der solare Allgott in seinen Erscheinungsformen