RacheDesDonWiggerl_EBook

Ludwig alias „Don Wiggerl“ war am Ende seiner Kräfte. Die Beine trugen ihn nicht mehr. Er sank in das kalte, vom Tau benetzte Gras. Er konnte nicht mehr weiter. Keinen Schritt. Die Verletzungen zwangen ihn zu Boden.

Ludwigs Gedanken rasten. Eine Frage pulsierte unaufhörlich in seinem Kopf: Hatte man ihn verraten?

Das Auto, das mit dem grellen Lichtkegel der Scheinwerfer auf ihn zielte und auf dem „Geheimweg“, gleich einem Geschoss, unerbittlich auf ihn zuraste und ihn zu überrollen drohte, kam knapp vor ihm zum Stehen. Die Fahrertür sprang auf.

Nach Luft ringend, konnte Ludwig aus den Augenwinkeln sehen, wer ausstieg. Er kannte den Mann: Es war Sheriff Bentheneder. Eiligen Schrittes kam der heran. Er klirrte schon mit den Handschellen, legte sie dann aber schnell wieder zur Seite, als er Ludwigs Zustand bemerkte. Dann zückte er sein Funkgerät und beorderte mit einer präzisen Wegbeschreibung einen Krankenwagen genau hierher und sagte, wo man mit einem Straßenfahrzeug im unwegsamen Gelände besonders aufpassen musste. Das klang viel zu präzise für jemanden, der von diesem Pfad zum allerersten Mal gehört hatte.

Damit wurde es zur Gewissheit: Jemand hatte den Sheriff hierher gelotst, hatte ihm detailliert den Weg beschrieben. Irgendein feiger Hund hatte Ludwig verpfiffen, hatte ihn ans Messer geliefert!

Die Schmerzen hielt er kaum mehr aus. Sein Körper und seine Seele bildeten eine einzige klaffende Wunde. Seine Gedanken flossen wie im Fieber – in irren Wendungen, mühelos die Grenzen zwischen Traum und Realität überstreichend.

Im Western zog der Held an dieser Stelle den Colt. Er hätte sich eine wilde Schießerei geliefert, bei der am Ende des Filmes immer der Gute stehenblieb und über das Böse triumphierte. Doch das hier war weder ein Westernstreifen, noch stellte sein Gegner einen bösen Buben dar: Bentheneder war die Polizei in Person. Was war hier noch gut, was böse? Ludwig wusste es selbst nicht mehr.

Seine Festnahme stand unmittelbar bevor, zumindest die Gefangennahme dessen, was von ihm noch übrig blieb. Er überlegte, ob er sich wehren sollte, ob er sich zu einem letzten rettenden Faustschlag aufraffte, der ihm das Tor zur Flucht öffnete. Sein Körper schrie: „Nein!“. Der Held in ihm sagte: „Ja!“ Doch seine Vernunft legte ihm sanft die Hand auf die Schulter und flüsterte ihm ins Ohr: „Damit machst du alles nur noch viel schlimmer.“

Er verharrte in gelähmter Kapitulation, während sich Bentheneder über ihn beugte, um ihm ein paar Routineworte zur Beruhigung zu sagen.

Ludwig ergab sich ohne Gegenwehr. Doch eines schwor er sich: Wenn er das hier überlebte und wenn ihm das Schicksal eines fernen Tages jemals einen Strohhalm der Hoffnung hinhielt, dann ergriff er ihn und rächte sich an denen, die ihn verraten hatten. Dann zeigte er kein Erbarmen, wie der Held im Western.

Dahoam is dahoam

Sieben Wochen zuvor

Der Sommer gab dem Herbst die Klinke in die Hand. Die Sonne schickte noch einmal einen warmen Gruß auf die oberbayerische Landschaft. Schon lag bunt leuchtendes Laub unter einigen Bäumen – wie ein goldener Regen, den der Wind von den Zweigen geschüttelt hatte. Die glühenden Farben des Herbstes strahlten einfach atemberaubend!

Und seines Atems beraubt stand ein Mann inmitten von all der Pracht und staunte. Ludwig Donner ließ den Blick schweifen und der brachte tausend Erinnerungen zurück: Als Kind tobte er durch die Blätter und steckte sich die buntesten davon in die Jackentasche. Zu Hause wollte er sie sammeln, doch seine Mutter hielt ihm beim Anblick der total verdreckten Jacke stattdessen eine Gardinenpredigt. Dabei drohte sie, dass sie die Waschmaschine abschaffte und Ludwig das Waschen gern selber übernehmen könne – von Hand, wie in den guten alten Zeiten.

Ludwig verband noch eine andere Erinnerung mit dem bunten Laub: Dass es als Vorbote des Schnees ankam und dass er den Winter stets herbeigesehnt hatte, mit einer Begeisterung, wie sie nur eine reine, kindliche Seele hervorbrachte. Sie labte sich am Rodeln und an einer Schneeballschlacht. Was für eine Gaudi!

Diese Zeit der unbeschwerten Freuden lag für Ludwig schon lange zurück. Mittlerweile hatte er schon den 50. Geburtstag hinter sich gebracht. Er seufzte. Aber die Wehmut in Richtung der früheren Tage hielt nur kurz an. Wozu seine Gedanken gerade in diesem kostbaren Moment an sein Alter verschwenden?

Er hatte die Pracht der bayerischen Landschaft vor den Augen, den Reiz der Gegend um Genglkofen mit ihrer speziellen Mischung aus Wald, Ackerflächen und Wiesen. Das sanfte Auf und Ab der Hügellandschaft prägte sich ein und es hatte Ludwig in Gedanken nie losgelassen, egal wie weit entfernt er von zu Hause gelebt hatte.

So sah Heimat aus. Man konnte im totalen Genuss schwelgen, wenn man alle Sinne anspannte. Der Geruch frisch umgebrochener Erde vervollkommnete die Wahrnehmung der Farben und der Formen und steuerte eine Würze bei, die den Eindruck unverwechselbar machte.

Die Pracht der Kulisse war der eines Westerns würdig, wenn der Held über die Landschaft schaute und den Anblick genoss. Vor Ludwigs Augen breitete sich genau seine Prärie aus. Sein Herz hing an diesem Stück Land. Und hier stand er und er fühlte, dass er sich richtig entschieden hatte, hierher zurückzukehren.

Dieses Gefühl stellte das erste dar, das er seit langer Zeit genießen konnte, denn er kam nicht bloß hierher, um sich dem Anblick der Heimat hinzugeben, sondern aus Notwendigkeit. Und er kam außerdem aus Mangel an Aussichten anderswo.

Ludwig befand sich im mittleren Alter, auch wenn seine Jahreszahl bereits in Richtung von dessen oberer Schwelle driftete. Wenigstens hatte er noch alle Haare, was ihm einen Vorteil gegenüber manch anderem in diesem Lebensabschnitt verschaffte. Dunkel wallte sein Schopf unter der Baseballmütze hervor, durchzogen von ein paar grauen Strähnen, die wie Risse durch ein Baumaterial liefen und Unvollkommenheit andeuteten.

Das Basecap bildete für ihn eine Art Cowboyhut, nur moderner und praktischer – nicht so protzig und nicht so groß. Es wirkte unauffällig, wie auch der Rest an ihm unscheinbar ausfiel: durchschnittliche Jacke und Jeans, die Jedermanns-Hosen, die genauso populär wie praktisch waren. Ludwig stand auf Zweckmäßigkeit. Unnützer Luxus war nicht sein Ding. Auch wenn er damit auswechselbar wie Max Durchschnittsbürger aussah, so konnte er trotzdem gut damit leben.

Der Anblick des heimatlichen Genglkofens war zwar eine kurze Freude für Ludwig, aber sie vermochte kein Gefühl tiefer Zufriedenheit herbeizaubern, denn er kam als Gescheiterter hierher, als Gestrandeter. Er hatte einen langen Ritt hinter sich und erreicht hatte er: den Nullpunkt. Alles hatte er zurückgelassen – Frau und Tochter und von seinem Geld blieb auch nicht mehr viel übrig. Vom Schicksal mit Narben übersät, stand er jetzt in der bayerischen Sonne, die langsam dem Abend entgegen strebte.

Ludwig hatte bereits eine Weile nach einer Gelegenheit zum Neuanfang gesucht. Und die hatte an die Tür geklopft, als er vor ein paar Wochen einen Notruf seiner Schwester erhalten hatte. Sabine befand sich in totaler Auflösung. Ihre Tochter Iris war gestürzt. Nicht einfach so, wie man hinfiel und sich, wenn man Pech hatte, ein Knie aufschlug. Nein, ihr widerfuhr ein Sturz vom Pferd, ein ungewöhnlich schwerer, bei dem sie zwischen dem massigen Tier und der Bande der Reithalle eingequetscht wurde. Der Aufprall erfolgte mit solcher Wucht, dass Iris jetzt bewusstlos im Krankenhaus lag. Sabine konnte diese Bürde alleine einfach nicht tragen. Sie musste sich jemandem mitteilen – ihrem Bruder.

Er erschrak, vermochte seine Schwester kaum am Telefon zu trösten. Dieser Anruf kam wie ein Überfall und er war nicht darauf vorbereitet gewesen. Seine Instinkte signalisierten ihm aber, dass er etwas unternehmen musste. Also versprach er kurzerhand, dass er nach Deutschland kam. Er wollte Schwester und Nichte beistehen. „Familie verbindet doch“, sagte er, weil ihm gerade keine besseren Worte einfielen. Das war auch kein Wunder, denn der Anruf erreichte ihn in den USA, im ehemaligen Wilden Westen, neun Zeitzonen von hier entfernt. Deutsch bildete dort nicht mehr sein täglich Brot. Im Englischen konnte er sich gewandter ausdrücken nach den etlichen Jahren, die er im Silicon Valley verbracht hatte.

Und jetzt saß er hier in der Heimat und konnte sein Deutsch zurückgewinnen.

Doch die Sprache geriet zur Nebensache, denn so heftig wie die Horrornachricht von Sturz und Bewusstlosigkeit einschlug, so hatte sie für Ludwig doch auch eine Chance im Gepäck: Er konnte marode Brücken endgültig abbrechen und seine alten Probleme sowie seine gescheiterte Beziehung dahinter zurückzulassen.

Befand er sich am Start zum Neuanfang oder auf dem Absturzpfad zum Nullpunkt? Er hoffte auf Ersteres.

Jetzt stand er hier in der Sonne und die machte keinen Unterschied – sie schien für Gewinner genauso hell wie für Verlierer. Und heute empfing sie Ludwig mit angenehmer Wärme, nachdem er viele Jahre in der Ferne gelebt hatte.

War er immer noch der gleiche Mann oder war er inzwischen ein anderer? Er wusste es selbst nicht. Wie nahm man ihn hier auf? Als Rückkehrer oder als Fremden? Fiel er etwa sogar in den Zuagroasten-Status zurück?

Drüben in den USA hatte er genau den innegehabt, aber mit ihm zusammen auch noch viele andere um ihn herum. Also fiel er nicht auf, im Gegensatz zu seinem Namen. „Ludwig“ konnte kaum ein Ami halbwegs passabel aussprechen. Das klang kompliziert und war nicht einfach zu bewerkstelligen. Und somit passte es nicht so recht zur Schnelllebigkeit, die drüben den Takt vorgab, und dem verbreiteten Drang nach dem leicht errungenen Erfolg. Aber dafür zeichnete die Amis ihr findiges Wesen aus und wenn sie schon nicht seinen Vornamen erobern konnten, dann hielten sie sich eben am Nachnamen fest. Den verkürzten sie einfach zu „Don“ und schon war ein für die US-amerikanische Zunge aussprechbarer Name geboren: „Don“ – das klang doch gut! Eigentlich gebührte dieser Titel nur ehrwürdigen Familienoberhäuptern, aber Ludwig nahm ihn trotzdem an. Es gab Schlimmeres.

Manche riefen ihn allerdings genauso konsequent wie falsch in der Langform von Don – Donovan. Das war dann wirklich weit vom echten Namen entfernt und er wehrte sich dagegen.

In der bayerischen Kindheit rief man ihn hingegen oft bei seinem Spitznamen Wiggerl. Das passierte aber seltener in der eigenen Familie, die Ludwig sehr mochte, sondern vielmehr bei Leuten, die er weniger gut leiden konnte, wie zum Beispiel bei seinem gleichaltrigen Bekannten Toni Kohlbayr. „Don und Wiggerl, dazwischen liegen Welten“, dachte sich Ludwig. Und der Gedanke, dass man beides zu „Don Wiggerl“ kombinieren konnte, belustigte ihn. Don Wiggerl – so klangen Namen von Westernhelden.

Doch Ludwig fühlte sich jetzt nicht wie ein Held, sondern eher wie ein Gringo, den sie aus der Stadt gejagt hatten und der sein Glück deshalb woanders versuchen musste.

Und auch sein erster Auftritt hier in der „Alten Welt“ verlief wenig glücklich: Gestern stand er gemeinsam mit Sabine am Bett von Iris. Seine Schwester gab sich ihrer Verbitterung darüber hin, dass so ein Unglück überhaupt passieren konnte. Überall hielt der moderne Alltag Sicherheitsvorkehrungen bereit, die den Menschen von heute nahezu unangreifbar machten. Warum lief das nicht auch auf der „Ranch“ so, wie alle den hiesigen Pferdehof nannten und auf dem der Unfall passierte? Wie konnte Iris derart schwer stürzen, trotz Helm und Rückenpolstern? Hatte niemand aufgepasst?

Dieser Moment bot für Ludwig einfach nur die Gelegenheit, seine Hand tröstend auf die Schulter einer besorgten Mutter zu legen, um ihr dadurch etwas von der Last der Verbitterung zu nehmen. Doch er musste ja unbedingt etwas sagen, obwohl er die Antwort auf Sabines Frage gar nicht kannte. Dabei kam sein eher spaßig gemeinter Einwand heraus, dass die Leute im Western auch nicht sanft vom Pferd fielen.

Das war unpassend und kam folgerichtig auch schlecht an. „Lernt man sowas im Silicon Valley?“, bellte ihn Sabine an und Ludwig entschuldigte sich mit einem verunsicherten Achselzucken.

Ja, aus dem Silicon Valley kam er hierher. Aber dort arbeitete er nicht etwa als gut bezahlter Ingenieur, Software-Freak oder Netzwerk-Magier – nein, er diente sich als ein eher mittelmäßig entlohnter Sicherheitsmensch an. Er schützte Objekte, in denen Ingenieure, Software-Freaks und Netzwerk-Magier ihrer Zauberei nachgingen und neue Werte schufen. Er gewährte ihnen und ihren Reichtümern Schutz, mitten im Herzen des kalifornischen Jobmotors. Dafür durfte er drüben eine Pistole an seinem Gürtel tragen, ganz legal mit Erlaubnis. Für ihn fühlte sich das Schießeisen manchmal sogar wie der Colt eines Westernhelden an, als ein Ausdruck von Macht. Aber zum Glück musste er die nie von der Leine lassen. Er spielte sich nicht gerne auf. Ein Dienst ohne Vorkommnisse passte ihm am besten in den Kram.

Und nun fragte ihn seine Schwester, ob er nicht was auf der Ranch unternehmen könnte, Nachforschungen anstellte, Schuldige dingfest machte und sie ihrer Bestrafung zuführte.

Ludwig schaute abwechselnd zu Sabine und auf Iris. Er begriff, dass einer Mutter in einer derartigen Lage zwangsläufig solche Fragen durch den Kopf schwirrten, wenn sie vor ihrem Kind stand, aus dessen kraftlosem Körper Schläuche herausragten wie aus einer kaputten Maschine.

Da gab es kein Vertun: Die Lage war angespannt. Sabines und Ludwigs normales Bild von Iris zeigte ein aufgewecktes junges Mädchen. Doch jetzt lag sie hier, angeschlossen an Geräte, ohne jede Regung, nicht ansprechbar. Und keiner wusste, wie lange das noch so weiterging. Die Ärzte wollten sie bis auf weiteres im künstlichen Koma halten. Und eine Verschlimmerung des Zustandes wollte man sich gar nicht ausmalen! Die war aber im Angebot. Daher nahm hier im Krankenhaus auch keiner die Situation auf die leichte Schulter. Iris erhielt den vollen Einsatz des Personals und den hatte sie auch verdient, weil sie in diesem Bett ein Stück ihrer wertvollen Jugend verpasste, während draußen das Leben tobte.

Und sie hätte auch Ludwigs vollen Einsatz verdient gehabt. Aber was hatte er anzubieten? Auf unerfüllbare Versprechungen wollte er keinesfalls einsteigen. Das konnte seine Schwester doch als Letztes gebrauchen. Also wich Ludwig aus und sagte ihr, dass es nach allen verfügbaren Informationen ein tragischer und seltener Unfall gewesen war.

Ja, er kannte zwar den Inhaber der Ranch, eben jenen Toni Kohlbayr. Aber gleichzeitig verband die beiden auch eine innige Abneigung, deren Wurzeln weit auf dem Zeitstrahl zurückreichten. Ein Schuldeingeständnis der Ranch erwartete Ludwig jedenfalls nicht. Das war nicht Tonis Art. Die Versicherungen würden ja sonst auch die Messer wetzen, woran keiner auf der Ranch ein Interesse hatte.

Und wenn es Sabine gar nicht um das Eingeständnis von Schuld oder Versäumnissen ging? Wollte sie vielmehr Vergeltung? Sollte er einfach Rache nehmen, wie er es im Westernfilm schon oft gesehen hatte?

Vielleicht erwartete Sabine das wirklich, denn sie war auf sich allein gestellt, erzog Iris im Alleingang und erbrachte im Solo den Lebensunterhalt. Kein „starker“ Mann stand an ihrer Seite. Niemand war da, der die Beschützerrolle übernehmen konnte, der ihr zur Seite sprang, vor allem wenn Iris bleibende Schäden behielt und Sabine gar nicht wusste, wie es weitergehen sollte.

Doch diese Beschützerrolle war ein Paar zu großer Schuhe für Ludwig. Er zog sie sich deshalb nicht an. Er versprach nichts.

Sabine konnte ihre Enttäuschung nicht verhehlen. Aber wenigstens hatte sie ihren Bruder hier. Es war ja nicht so, dass er mal schnell mit dem Fahrrad aus nächster Nachbarschaft herüberkam. Er hatte vielmehr den ganzen langen Weg über den Großen Teich auf sich genommen.

Sie hatte sich ihrerseits lediglich in Telefonseelsorge geübt, als er sich damals drüben in den Staaten von seiner Frau trennte und es ihm schlecht ging.

Sabine ließ es darauf beruhen. Irgendwie waren die beiden quitt, allerdings auf einem arg niedrigen Niveau des Gebens und Nehmens.

Sie hatten beide ihr Terrain abgesteckt. Und dass plötzlich ein Wunder vom Himmel fiel und dieses Gleichgewicht der Untätigkeit und der Langeweile durcheinanderbrachte, daran glaubten beide nicht. Das Leben ließ nicht einfach solche Überraschungen herabregnen. Aber da sollten sie sich täuschen.

Der Auftrag

Die Tage verstrichen. Sie reihten sich zu Wochen aneinander. Ludwig hatte sich anfangs damit beschäftigt, eine kleine Wohnung zu suchen, die zu seinem Geld passte, und sie einzurichten. Er freute sich über die Fortschritte dabei und dass das neue Nest mit jeder gestrichenen Wand, jedem aufgebauten Regal und jeder bescheidenen Anschaffung gemütlicher und zweckmäßiger geriet.

Sabine half hier und da mit, allerdings eher selten und symbolisch. Sobald eine Sache abgeschlossen war, huschte sie auch schnell wieder weg und Ludwig saß allein in all der übersichtlichen Gemütlichkeit.

Familie gab es sonst keine weit und breit. Die Eltern waren schon vor längerer Zeit gestorben und außer bei einem flüchtigen Besuch am Grab, bei dem kurz die Erinnerungen aufflackerten, verblasste Ludwigs Bild von ihnen immer mehr.

Er dachte sich, dass er doch ein paar Freunde besuchen könnte, eigentlich sollte, vielleicht sogar musste – Benny und Peter zum Beispiel. Aber dann überlegte er weiter und entschied sich, das noch etwas aufzuschieben. Denn: wie stand er denn da? Damals, vor vielen Jahren floh er nach einer öffentlichen, persönlichen Demütigung und in Ermangelung weiblicher Perspektiven aus Bayern in die Staaten. Und seit der Rückkehr hatte sich seine Lage nicht wesentlich verbessert. Ludwig hatte vielmehr das Gefühl, dass er sich für die Erklärung der eigenen Situation erst ein paar Worte zurechtlegen sollte, bevor er den alten Bekannten unter die Augen treten konnte.

Tja, weiblichen Anschluss müsste man finden! Darin lag ein gutes Rezept gegen die Einsamkeit. Und Ludwig beobachtete seine Umgebung genau, schließlich war er ein Überwachungsspezialist. Allerdings konnte er keine Kandidatin erspähen, die ins Beuteschema passte: Alle Frauen, denen er begegnete, waren entweder vergeben oder zu alt oder erschienen ihm nicht attraktiv. Außerdem lag ihm seine Trennung von Carrie trotz der inzwischen vergangenen Zeit immer noch im Magen. Die Narben schmerzten noch zu sehr. Daher wollte er sich auch nicht in neue Abenteuer stürzen, auch ohne dass er einen unwiderstehlichen Anreiz verspürte, wie ihn nur eine wirklich gute Gelegenheit entfachen konnte. Damit blieb es beim grauen Alltag ohne Abenteuer.

Ludwig kam es so vor, als wenn die Schwermut in einem Hinterhalt auf der Lauer gelegen hatte – wie eine Raubkatze bereit zum Sprung, um ihn zu überwältigen. Und sie hatte ihn inzwischen schon gepackt und hielt ihn fest in ihren Pranken.

In all die Melancholie platzte die Nachricht, dass Iris aus dem Koma aufgewacht war. Doch der buchstäbliche Stein konnte Sabine und Ludwig noch nicht vor Erleichterung vom Herzen fallen. Dafür blieb die Lage noch zu ernst. Eine Lähmung blieb Iris zum Glück erspart. Aber schwach war sie. Sie hatte lange nichts Ordentliches zu sich genommen; sie hatte ihre Muskeln nicht benutzt. Jede Bewegung fiel ihr schwer. Und sie würde sich durch eine Reha ihr Bewegungsvermögen mühsam und buchstäblich Schritt für Schritt wieder zurückerobern müssen.

Ludwig besuchte sie ein paar Male im Krankenhaus. Die gute Nachricht: Iris kannte ihren Onkel noch. Die weniger gute: An den Unfall hatte sie kaum eine Erinnerung. Mit unterschwellig schlechtem Gewissen – schließlich hatte Sabine ihm durch die Blume einen Racheauftrag erteilt – erkundigte er sich bei Iris nach der Ranch und ob man sich dort um den Unfallschutz beim Reiten scherte. Aber zurück kam wenig. „Alles super“, meinte Iris nur. So konnte nur ein ausgemachter Fan antworten. Ihre Pferdebegeisterung überdeckte alle Zweifel – die stellten sowieso eher was für Erwachsene dar und nichts für Jugendliche. Die hatten ihren Enthusiasmus, den so leicht nichts erschüttern konnte.

Iris bereicherte Ludwigs Alltag. In der Zeit vom unentschlossenen Aufstehen morgens bis zum unruhigen Schlaf nachts war er bislang nur zwischen der Vervollkommnung der Wohnung, gelegentlichen Einkäufen und unproduktivem Grübeln über sein Leben hin und her gependelt – wie es bisher lief und wie es in Zukunft wohl weiterging. Jetzt konnte er hingegen mit jemandem sprechen, dessen ungeteilte Aufmerksamkeit er hatte.

So prekär wie sich Iris’ Lage darstellte, so klagte sie doch nicht. Ludwig fand das beachtenswert; die Umstände hätten ihn an ihrer Stelle mehr mitgenommen inklusive lauterem Jammern.

In Wahrheit machte sie sich ebenfalls Sorgen – über sich selbst, über ihren Zustand und ihre Zukunft – aber denen gab sie sich immer nur dann hin, wenn gerade kein Besuch vor ihr saß. Das reichte auch vollkommen, denn der Klinikalltag kam fade daher und es blieb genug Zeit für trübe Gedanken.

Um die Einkäufe, insbesondere für die Wohnung, und das Pendeln zwischen Zuhause, Krankenhaus und – im Vorgriff auf später – einer möglichen Arbeitsstelle bequemer zu gestalten, legte sich Ludwig einen Wagen zu. Aus den örtlichen Anzeigen und Online-Angeboten machte er sich auf die Jagd nach einem gebrauchten Ross, das ihn selbst und seine Lasten tragen sollte. Fündig wurde er zwei Dörfer weiter, wo jemand einen Jeep verkaufte.

Diese Art Fortbewegungsmittel schien in mehrerlei Hinsicht praktisch für Ludwig zu sein: solch ein ausgefallener Wagentyp stellte erstens keinen Exportschlager dar und nicht jeder deutsche oder ausländische Autoaufkäufer fuhr sofort seine Krakenarme nach einem solchen Angebot aus, sodass Ludwig die Gelegenheit zum Kauf bekam. Zweitens blieb ohne diese Konkurrenz auch der Kaufpreis recht günstig. Und drittens symbolisierte es das passende Gefährt für die hiesige Prärie. Geländegängig zu sein, das erschloss neue Wege und Ludwig wollte sich ja gerade von eingefahrenen Pfaden trennen. Diese Symbolik sagte ihm, dass er das Richtige tat. Also schlug er zu.

Trotzdem brachte ihn diese Anschaffung auch bedrohlich nahe an seinen Geldhorizont heran. Die Rücklagen schmolzen immer mehr ab und ihr Ende kam bald in Sicht. Auch bestätigte sich, was Ludwig schon befürchtet hatte: Sein Mustang erwies sich als günstiger in der Anschaffung als im Unterhalt. Also kam zum Pendeln zwischen Wohnung, Einkäufen und Iris noch zusätzlich die Suche nach einem Job. Ludwig schnitt dafür Zeit von den nutzlosen Phasen des Grübelns ab. Das machte ihn seltsam beschwingt und es vermittelte ihm das erquickliche Gefühl von Vorwärtsbewegung. Er unternahm etwas! Beseelt von diesem Gedanken, besserte sich auch sein ansonsten unruhiger Schlaf. Das beruhigende Gefühl, ein Ziel zu haben und darauf zuzusteuern, prägte seinem Tagesablauf einen tieferen Sinn auf und bescherte ihm einen lange nicht erlebten Anflug von Zufriedenheit.

Dass er diese Seligkeit eine Weile konservieren musste, das konnte sich Ludwig schon denken. Jobs waren rar gesät und sein Selbstverständnis untersagte ihm, etwas vollkommen Artfremdes anzunehmen. Zeitungen auszutragen oder irgendwelche Dinge aus dem Callcenter in der nächsten größeren Stadt heraus zu verkaufen fiel daher aus. Ludwig kannte sich mit Bewachung und Sicherheit aus; doch leider gab es hier draußen wenig zu bewachen und zu sichern. Die Leute lebten in Rechtschaffenheit. Es kam kaum etwas weg. Was musste die hiesige Polizei für einen Traumjob haben! Schade, dass er nicht auf die Schnelle Polizist werden konnte – Sheriff wurde man vielleicht im Wilden Westen einfach so, aber hier brauchte man dazu eine gute deutsche Beamtenlaufbahn und Fünfzigjährige fanden nicht so leicht den Schlüssel, der ihnen die Pforte dazu öffnete.

Sabine hatte ihre gelegentlichen Besuche bei Ludwig auf vereinzeltes Telefonieren zurückgefahren. Bald gab es nur noch unregelmäßige Nachrichten in ihrem Lieblings-Messenger-Programm. Doch so weit war es zum Glück für Ludwig noch nicht gekommen und so erzählte Sabine eines Tages, dass sie von einer Bekannten gehört hatte, die von einer Kollegin erfahren hatte, deren Tochter auf der Ranch zum Reiten ging, dass dort Pferde spurlos verschwunden waren. Wahrscheinlich waren sie ausgebüxt. Mehr zum Dramatischen neigende Naturen hätten gesagt, dass die Tiere gestohlen wurden. Andere, auf Ausländer-Verschwörungstheorien und Wirtschaftskrimis gepolte Zeitgenossen, hätten sogar geschworen, dass die Russenmafia dahintersteckte und dass es überall Diebstähle gab, weil sich die Russen Fleisch besorgen mussten, um über den nächsten Winter zu kommen. Natürlich hatten die noch nie die Russenmafia gesehen, wenn überhaupt einen Russen. Und deren Fleischbedarf konnten sie auch nicht einschätzen und erst recht nicht, ob die in einer Notsituation steckten.

Ludwig glaubte nur ungefähr ein Zehntel davon. Das sagte ihm seine Erfahrung. Und die flüsterte ihm weiterhin zu, dass Toni Kohlbayr über all die Jahre von Ludwigs Abwesenheit hinweg in seiner Laufbahn vorangekommen war und heute als Boss über der Ranch thronte. Sie kannten sich. Also gab es einen Anknüpfungspunkt, wenn sie sich mal wieder trafen.

Und dass sich dieser Toni ins Visier der Russenmafia begab, ohne entweder etwas dagegen zu tun oder sich mit denen zu arrangieren, das gehörte für Ludwig ins Reich der Fabel, denn das war nicht Tonis Art – der war viel zu gerissen. Also glaubte er auch nicht, dass diese Sache auf der Ranch eine heiße, kriminelle Kiste darstellte, von der man lieber die Finger ließ, um sich nicht zu verbrennen.

Ludwig ertappte sich vielmehr dabei, wie er sich für den Fall interessierte. Sabine sagte dann noch, dass man einen Sicherheitsmenschen für die restlichen Pferde suchte. Und vor seinen Augen fügte sich das Puzzle zusammen: Die Geldnot und der Bedarf auf der Ranch sahen sich gegenseitig in die Augen wie zwei frisch Verliebte, die glaubten, dass sie das perfekte Paar abgaben.

Da gab es nur ein Problem: Ludwig konnte Toni nach wie vor nicht leiden.

Doch nach kurzem Nachdenken war er bereit, seine Abneigung für eine Weile in die Ecke zu stellen und ein Wagnis einzugehen. Ja, er wollte auf der Ranch einmarschieren und fragen, was denn das für ein Job sei, den man dort feilbot.

Doch das machte man heutzutage nicht einfach so. Man musste seine Karten ausspielen. Also kündigte er sich telefonisch an. Er hatte Glück, denn er bekam gleich eine Person an die Strippe, die sich auskannte: Der gesuchte Bewacher war Chefsache und so wurde Ludwig kurzerhand an eben diesen weitervermittelt. Die Telefondame wollte ihn kurz beim Boss ankündigen und er solle sich auf eine Mobiltelefonverbindung gefasst machen.

Aha, Toni war also unterwegs.

„Hallo?“, meldete sich nach kurzer Vermittlungs-Pausenmusik eine Stimme, deren Klang für Ludwig sofort alte Erinnerungen zurückbrachte.

„Hier spricht Ludwig Donner“, ließ er seinen Namen erklingen. Und er erwartete Begeisterung am anderen Ende der Leitung, wie sie eines dieser typischen Wiedersehen nach Jahren hervorbringt. Oder zumindest sprachlose Verblüffung.

Stattdessen fragte die Toni-Stimme: „Wer? Die Verbindung ist so schlecht.“

Ludwig holte wieder Luft.

Die Stimme kam ihm aber zuvor: „Egal. Sie interessieren sich für die Pferdeüberwachung, sagte meine Mitarbeiterin? Kommen Sie heute um 17.30 Uhr in mein Büro.“

Aufgelegt. Ludwig konnte wieder ausatmen. Und es passte ins Bild: Geduldig auf Leute einzugehen, das war nicht Tonis Art. Klare Ansagen schon eher.

Ludwig fragte sich abermals, in was er sich hineinbegab. Aber andererseits unterlag er einem Zwang zur Arbeitssuche und außerdem seiner Neugier. Man konnte sich ja wenigstens mal ansehen, was da für ein Angebot auf dem Tisch lag. Danach Nein zu sagen, das blieb immer noch möglich – zumindest theoretisch, wenn man die Geldnot ausklammerte. Außerdem klebte die Chance auf der Ranch ein Pflaster auf sein schlechtes Gewissen Sabine gegenüber: Womöglich eröffnete sich ihm die Gelegenheit, etwas über Iris’ Unfall herauszubekommen. Der gab ihm schon Rätsel auf, gestand er sich ein. Schließlich gingen Stürze vom Pferd normalerweise glimpflich ab.

Mit solchen Grübeleien schleppte sich Ludwig über die angespannten Stunden des Wartens. Reichlich vor 17.30 Uhr stieg er dann in den Jeep und fuhr zur Ranch.

Die Straße dorthin war früher eher ein Feldweg gewesen und am besten mit einem Traktor zu befahren. Inzwischen hatte man sie, wie es Sabine beschrieb, zur Piste aufgewertet, die auch tiefergelegte Sportwagen ohne bleibende Schäden in Angriff nehmen konnten. Für Ludwig schillerte das alles zu sehr nach Hochglanz. Da freute er sich, als sich links eine Abbiegemöglichkeit auftat – ein für einen Fremden kaum wahrnehmbarer Weg, der sich durch ein Wäldchen schlängelte. Ludwig kannte ihn von früher und er wirkte angenehm ursprünglich, nicht begradigt, wild. Auf dieser Zufahrt konnte man die Ranch ebenfalls erreichen, allerdings – anders als auf dem Hochglanzweg – ohne von dort aus gesehen zu werden.

Als Kinder hatten Toni und er auf dem Geheimpfad oft Anschleichen geübt, wenn sie mal miteinander spielten. Das klappte nicht immer, denn Toni gab sich launisch – zumindest in Ludwigs Augen – und wechselte den Spielkameraden gelegentlich, stets auf der Suche nach Abwechslung.

Kurz juckte es Ludwig in den Fingern, das Steuer des Wagens herumzureißen und den geheimen Pfad zu nehmen und nicht diese Formel-1-Allee hier, den Jeep total unterforderte. Er ließ es jedoch lieber sein. Als Kind hätte er diese Abenteuerlust ausgelebt. Heute hingegen war er erwachsen und fürchtete die Verspätung im unwegsamen Gelände. Außerdem gab es keinen guten Einstand ab, im Morast steckenzubleiben. Heute war Vorstellungsgespräch angesagt und nicht Anschleichen.

Er erreichte die Ranch. Alles wirkte dort penibel aufgeräumt und ordentlich. Gab es hier wirklich Pferde, so richtig mit Dreck und Pferdeäpfeln oder diente das hier alles nur als ein gigantisches Schaufenster, gemacht um zahlende Pferdefreunde anzulocken?

Damit diese nicht die Orientierung und das gute Benehmen verloren, gab es hier sogar Verkehrsschilder: Hinweise auf den offiziellen Parkplatz und auf das Schritttempo, das man tunlichst einhalten sollte, sonst verschreckte man die Tiere. Also mussten die wohl doch aus Fleisch und Blut sein und keine Automaten ohne Angst vor Autos und ohne ruchbare Ausscheidung.

Am Parkplatz angekommen, spürte Ludwig dann doch die Aufregung. Er setzte seine Baseballmütze ab, sonst sein treuer Begleiter, dafür aber auch leicht abgenutzt. Ja, er wollte eine gute Figur machen, denn diese Ranch machte ebenfalls eine gute Figur.

Mit der super Beschilderung fand er den Weg zum Büro schnell. Eine Vorzimmerdame, die seine Eignung abklopfte, zum Chef vorgelassen zu werden, hätte ihn nicht sonderlich überrascht. In der Tat gab es eine Art Empfang, der aber gerade leer stand. Wahrscheinlich besetzte man ihn nur zu den Tageszeiten mit dem meisten Besucherverkehr oder wenn Reiterferien anstanden und Welle um Welle von Koffer-bepackten Pferdefans wie die Brandung auf einen Strand auflief.

An einer Tür stand „Büro“ und Ludwig klopfte. Ein entferntes, aber kräftiges „Ja!“ forderte ihn auf einzutreten. Er holte noch einmal Luft und räusperte sich. Beides sollte ihm eine feste Stimme geben und der feste Ton ihm wiederum einen guten Auftritt ermöglichen. Er hatte sich darauf eingestellt, dass er sich hier beweisen musste. Schwungvoll öffnete er die Tür – und stand nicht im Büro, sondern tatsächlich in einem Vorzimmer. War das nur Show oder normalerweise wirklich besetzt? Durch eine Seitentür gab es einen Durchgang in einen größeren Raum. Ein kurzes Rascheln von Papier zeigte eben dort eilige Arbeit an. Jemand stand auf und trat auf die Verbindungstür zu. Ludwig erkannte ihn sofort: Es war Toni Kohlbayr, der Leibhaftige.

Ludwig schritt auf ihn zu. Beide streckten sich die Hand entgegen. Toni sagte: „Sie interessieren sich also für unsere Pferde.“

Ludwig antwortete brav: „Grüß Gott, mein Name ist Lu ...“ Weiter kam er nicht.

„Wiggerl!“, vervollständigte sein Gegenüber und seine plakative Dynamik kippte für einen flüchtigen Moment in ehrliche Überraschung um. Aber nur vorübergehend. Schon kehrte die Kontrolle wieder zurück und es folgte ein kurzer Händedruck, dafür äußerst kräftig. Ludwig drückte kraftvoll mit. Jetzt keine Schwäche zeigen! Aber Tonis Hände pressten seine zusammen wie ein Schraubstock. „Ein Kohlbayr packt zu“, hörte Ludwig im Geiste noch den alten Kohlbayr-Vater sagen, der natürlich ebenfalls Anton hieß und der früher genauso Toni genannt wurde.

Doch der heutige Toni wäre kein echter Kohlbayr gewesen, wenn er seinen Vorgänger in der Ahnengalerie nicht noch übertroffen hätte. Die Ranch war sein Erbstück und sie bildete sein Instrument, alle vor ihm zu überflügeln. Natürlich schaffte er das. „Ein Kohlbayr kennt keinen Zweifel“ lautet noch so ein Spruch vom alten Herrn. Der etwas jüngere Mann hier hatte den sicherlich ebenfalls verinnerlicht.

Sie nahmen an Tonis ausladendem Schreibtisch Platz. Ludwig fiel der mächtige Cowboyhut auf, der auf einem kleinen Stapel von Dokumenten thronte. Toni hatte ihn tatsächlich in Gebrauch, sonst hätte er ihn in einer Vitrine ausgestellt und mit Beleuchtung in Szene gesetzt.

Die Kopfbedeckung strahlte Symbolkraft aus: Ranch, Westernmilieu. Nicht jeder war zum Astronauten geboren. Aber Westernreiter folgte als das Nächstbeste auf der Erfolgsleiter. Und dafür stand die Ranch: für den Duft des Abenteuers. Dass hier enorme Sauberkeit herrschte und dass eine Wohlstandspiste hierher führte, das blendete der Abenteurer von heute der Bequemlichkeit wegen gern aus.

Toni fiel Ludwigs Blick auf den Hut auf. „Ist praktisch im Sommer, spendet Schatten“, erklärte er und lachte dabei.

„Ja natürlich“, pflichtete Ludwig beflissen bei und dachte sich insgeheim, dass die Kopfbedeckung bestimmt Ross und Reiter gleichzeitig den Sonnenstich ersparte, derart groß fiel sie aus. Dass sie ein Besitzstandssymbol darstellte, das stand unausgesprochen im Raum. Dazu bedurfte es keiner Worte. Seinen Stand zu verbergen, das war nicht Tonis Art.

Ludwig hatte hingegen kein Symbol dabei. Das praktische, aber wenig ansehnliche Basecap lag draußen auf dem Autositz. Vor ihm prangte der Hut und deutete an, dass zwischen den beiden Männern Welten lagen. Ludwig hielt das auch für besser so.

Man tauschte Nettigkeiten aus. „Große Anlage hier“, warf er ein und Toni geriet ansatzlos ins Schwärmen, von der stolzen Tradition der Ranch, dass der Name als Symbol schlechthin für Pferdehaltung und für Westernromantik stand. Was die Leute nur aus vergleichsweise alten Filmen kannten, wollte er nacherlebbar machen, selbst im tiefsten Bayern. Entfernungen zu größeren Städten oder gar Metropolen, in denen die Sehnsucht pferdeliebender Kinder den Geldbeutel gutbetuchter Eltern erleichterte, stellten kein Problem mehr dar. Die Leute waren mobil, siehe die Formel-1-Piste zur Ranch; außerdem gab es das World Wide Web und man konnte mit einem attraktiven Auftritt dort einen robusten Strom an Kunden anziehen.

Ludwig kam es so vor, als ob Toni ein Verkaufsgespräch führte. Womöglich konnte der gar nicht anders.

Ludwig nahm das als gutes Zeichen, denn es war nicht Tonis Art, seine Zeit zu vergeuden. Er hatte also Tonis Aufmerksamkeit. Und er befand sich offensichtlich aussichtsreich im Rennen um den Job.

Toni seinerseits malte die Erfolgsgeschichte der Ranch in bunten Farben und setzte sie dabei auf Ludwigs Schultern ab. Erfolg verpflichtete und motivierte Mitarbeiter gleichzeitig. Und das gute Gedeihen der Ranch ruhte auf tiefen Wurzeln: Früher regierte der Ackerpflug. Da ernährten die hiesigen Landwirte noch alle anderen Menschen der Gegend. Ihre harte Arbeit zahlte sich in Wohlstand aus und selbst in Kriegszeiten mussten sie sich keine Gedanken machen, satt zu werden. Unangefochten behaupteten sie über Generation hinweg ihre gesellschaftliche Bedeutung und ihre Stellung.

Doch der Wind drehte sich mit der Zeit. Heute kamen die Nahrungsmittel nicht notwendigerweise aus der Gegend hier, sondern aus allen Himmelsrichtungen. Heute schwang die Globalisierung das Zepter. Und sie verkörperte den Todfeind der lokalen Versorgung, von ein paar Öko-Müsli-Fressern mal abgesehen, wie sie Toni abschätzig nannte, weil er die ländliche Produktion mit Bio-Siegel als Firlefanz ansah.

Doch es war nicht Kohlbayr-Art, zweiter Sieger im Wettbewerb mit der Globalisierung zu werden.

Also sattelte Toni um – im wahrsten Sinne des Wortes: von Zuckerrüben auf Pferde. Das Arbeitstier früherer Tage wurde zu einem Gefährten in der Freizeit, um die bewegungsarme Bevölkerung auf Trab zu halten.

Dem Pferd mit seiner magischen Anziehungskraft vermochte selbst die Globalisierung kaum etwas anzuhaben. Fast alles kam heute aus China. Wer jedoch reiten wollte, der konnte dafür nicht erst lange ins Ausland verreisen, der musste hierher kommen, zur Ranch, wo man Tradition großschrieb, zurück zur Ursprünglichkeit, zu Pferderücken und Hufeisen, zu Stallgeruch und Bewegung im Freien.

Früher spielten die Pferde eine Nebenrolle auf der Ranch. Heute spielten sie die einzige Rolle.

Ludwig nickte nur stumm und machte ein möglichst interessiertes Gesicht zu dem Schwall an Worten, der auf ihn einprasselte. Ihm blieb nichts anderes übrig.

Tonis Monolog zog sich schon eine Weile hin, da sprang plötzlich die Tür auf und ein junger Bursche trat herein. Ludwig erkannte eine gewisse Ähnlichkeit der beiden Männer und tatsächlich stellte ihn Toni als seinen Sohn Anton vor. Der war in Eile, wollte schnell etwas klären und fragte sich, ob er trotz des Besuchs Gelegenheit dafür bekam.

Er verharrte kurz, fand nicht gleich die richtigen Worte. Zu lang für Toni, denn Unentschlossenheit entsprach nicht seinem Wesen und er wollte das auch nicht innerhalb der Familie befördern: „Ein Kohlbayr zögert nicht, der begrüßt einen Freund mit einem festen Händedruck.“

„Aha“, dachte Ludwig und staunte ob seines hohen Status’. Toni lehnte sich mit dem „Freund“ weit aus dem Fenster. Prompt folgte das Händeschütteln, noch ehe Ludwig bange werden konnte, ob ein weiterer Schraubstockgriff seine rechte Hand endgültig zermalmte. Aber Antons Händedruck erwies sich zwar als fest, aber zum Glück als nicht so zerstörerisch wie der von Toni.

Ludwig fühlte sich erleichtert und lächelte dankbar. Der junge Mann hier war sowieso eine arme Sau: Er saugte die Familientradition quasi mit den Ohren auf. Wie oft er sich wohl anhören musste, was ein Kohlbayr alles tun und was er lassen sollte? Die Erleichterung in Ludwigs Lächeln schlug in Mitleid um, als er dem Jungen beim Hinausgehen kurz nachblickte.

Aber woher konnte es Toni als Erzieher und Persönlichkeitsformer auch besser wissen? Es erging ihm ja früher selber so und er bekam von seinem eigenen Vater stets viel gesagt. „Ein Kohlbayr ordnet sich keinem Niedrigeren unter“ lautete zum Beispiel so ein markanter Spruch, der Ludwig im Gedächtnis hängengeblieben war. Tonis Vater nahm kein Blatt vor den Mund und teilte seine Weisheiten selten diskret, sondern lieber in aller Öffentlichkeit aus. Auch Nicht-Kohlbayrs konnten sich das gern hinter die Ohren schreiben, wer hier der Herr im Ring war.

Und Toni blieb der Herr im Ring. Es reichte ein Augenkontakt mit seinem Sohn, dass der unverrichteter Dinge wieder abzog. Nein, für Fragen jedweder Art blieb jetzt keine Zeit. „Toni“ stand für die Kurzform von „Tonangeber“. Ludwig kannte es nicht anders.

Wenn sie früher als Gruppe von Kindern zusammen spielten, dann kam der Vorschlag, was man machte, stets von Toni und galt damit automatisch als mehrheitsfähig. Ging es ins Kino, bildete Toni das Maß aller Dinge, welcher Film sehenswert erschien und welcher nicht. Die Clique zog mit – Benny, Peter. Was aus denen wohl inzwischen geworden war?

Toni schaute jetzt hastig auf die vorgerückte Uhr und umriss nochmals, was für eine Erfolgsgeschichte die Ranch darstellte. Ludwig konnte ihm dabei kaum widersprechen. Dieser Hof hatte den Sprung vom kleinen Betrieb zum Unternehmen geschafft. Wo andere Besitzer noch selbst die Mistgabel schwangen, gab es hier sogar einen Empfang und es existierten überdies nicht nur Büros, sondern sogar Vorzimmer. Toni Kohlbayr spielte in der Champions League der Pferdenarren.

Das Kapitel innerhalb der Unterhaltung zum Status und zur Wichtigkeit der Ranch war jetzt beendet und Toni schlug ein neues auf.

„Wie geht es dir eigentlich?“ Die Frage endete auf ein Füllwort und das deutete an, dass die Antwort Toni nicht wirklich interessierte, sondern dass er einfach diesen Punkt abhaken wollte. Und da er ohnehin keine interessante Antwort erwartete, schob er noch eine produktivere, auf Durchleuchtung ausgerichtete Frage nach: „Und was hast du überhaupt die ganze Zeit gemacht?“

Und Ludwig beschrieb in kurzen Sätzen, wofür er stand. Ihm war klar, dass er seine Geschichte mit einem Bezug zu dem Job erzählen musste, um den er sich bewarb. „Ich war für die Sicherheit zuständig und dass nichts wegkam“, resümierte er seine Tätigkeit im Silicon Valley.

Darauf sollte Toni anspringen, denn ihm waren ja just ein paar Pferde abhandengekommen. Und er sprang an. Zu jeder Antwort, die Ludwig gab, schoss Toni mindestens zwei Fragen nach. Wie die Firma hieß, wie viele Leute, welche Branche, auf welche Sicherungsmaßnahmen man setzte. Ludwig erklärte es und beeilte sich dabei, denn schon jagte Tonis nächste Frage heran.

Selbst in diesem Teil des Gesprächs, in dem es nicht um die Ranch und um Toni, sondern um Ludwig ging, befand sich Toni mit mindestens 2:1 im Vorteil, was gesprochenen Text anbetraf.

Ludwig konnte in der Masse einfach nicht mit Toni mithalten. Aber er versuchte, wenigstens mit Substanz dagegenzuhalten und wesentliche Details unterzubringen. Deshalb spielte er auch früh einen potenziell bedeutsamen Ansehens-Trumpf aus: dass er nämlich Erfahrung mit Schusswaffen besaß. Das musste ihn schließlich als kampferprobten Sicherheitsgaranten ausweisen: Tja, und vielleicht legte Toni ja Wert darauf.

Hätte Ludwig auch privat eine Waffe getragen, dann hätte er jetzt kurz seine Jacke angehoben, um sein Pistolenhalfter zu zeigen – wie der Waffenträger im Western, der als jemand galt, den man nicht so leicht übertölpeln konnte. So ging auch eine typische US-amerikanische Denkweise, die den Zusammenhang aus Schießeisen und Sicherheit begründete, scheinbar. Doch Ludwig hatte sich einen über diese Einfachheit hinausgehenden Ansatz zu eigen gemacht: Trug jeder eine Waffe, so bedeutete das eine kaum in Schach zu haltende Spirale der Gewalt in Konfliktsituationen. Deshalb hatte er in Deutschland, ja in ganz Europa kein Interesse an einer Knarre. Ein Streit sollte sich hier auch kultiviert beilegen lassen. Er erwähnte seine Erfahrung daher nur zur Vollständigkeit.

Und auch Toni schien dem Thema nicht viel Stellenwert beizumessen. Er quittierte Ludwigs Waffenfähigkeit lediglich mit einem kurzen Nicken.

Er hatte scheinbar genug gehört und er schien von Ludwigs Eignung überzeugt zu sein. Also machte er Nägel mit Köpfen: „Finde die Pferde! Und den Dieb am besten gleich mit dazu!“ Diese Anweisung garnierte er noch mit ein paar Details, dass acht Tiere fehlten und seit wann.

„Aha“, dachte Ludwig währenddessen, „Toni engt das auf Diebstahl ein.“ Die Möglichkeit, dass die Pferde von selbst ausgerissen sein konnten, spielte im Kalkül des Chefs offensichtlich keine Rolle.

Aber das war nur folgerichtiges Denken, denn wenn es auf der Ranch so toll war, wer sollte da schon freiwillig abhauen?

Toni bekräftigte das: „Und pass auf, dass das hier nicht nochmal passiert!“

Oho, damit erhielt Ludwig die Herrschaft über einen Teil von Tonis Ansehen. Wenn hier Pferde wegkamen, dann warf das ein schlechtes Licht auf den Big Boss.

Ludwig wollte noch ein paar Details wissen, wann und wer das Fehlen bemerkte und ob es eine Überwachung gab. Doch Toni linste auf seine Uhr und eine plötzliche Unruhe ergriff ihn. Seine Antworten fielen jetzt entsprechend kurz angebunden aus. Er nannte nur das Datum des Vorfalls und dass man morgens die Pferde vermisst hatte. Sollte sein Wächter und Detektiv doch gefälligst das Fußvolk hier befragen, die konnten ihm das sicher genauso sagen. Für Toni reichte es, wenn er die Anweisung zur Aufklärung des Falles gab.

Auch Ludwig bemerkte die Ungeduld. Dabei hätten sie viel Zeit sparen können, wenn ihr Dialog nicht zum größten Teil ein Monolog gewesen wäre, eine Einbahnstraße voller Lastwagen, bis zum Bersten überladen mit Informationen über die Herrlichkeit der Ranch.

Bei aller Verlockung des Jobs ballte Ludwig doch innerlich auch die Faust, denn es lag auf der Hand, dass er hier auf der Ranch nicht viel zu sagen hatte. Anders als Toni, denn der war der Boss. Ludwig spielte hingegen den Lakaien. Die Rollenverteilung stand unverrückbar fest. Es war ein elendes Gefühl. Aber die Empfindung allein änderte nichts an den Umständen.

Mithin fehlte noch der Vertragsabschluss. „Ich stelle dich als Sicherheits-Verantwortlichen ein“, sagte Toni, um Ludwigs Befehlsempfänger-Position einen Schein von motivierendem Glanz zu geben. „Ist doch klasse, wie ein Ranger im nordamerikanischen Nationalpark.“ Na ja, zu viel Macht wollte er seinem neuesten Angestellten nun auch nicht gleich zubilligen. Also schoss er hinterher: „Wie ein Sheriff, sagen wir ein Hilfssheriff, die echte Polizei ist ja auch noch da.“ Er lachte.

Das Gespräch kulminierte. Jetzt streckte er Ludwig die Hand entgegen: „Schlag ein!“ Dabei hatten sie noch nicht einmal über Geld gesprochen.

Toni machte eine ungeduldige Geste.

In Ludwig kämpfte die Versuchung, das Wagnis einzugehen, mit dem Widerwillen – genährt aus der Vergangenheit und den schlechten Erfahrungen. Sein Gesicht verzog sich wie nach dem Biss in eine Zitrone. Sein Magen gärte. Sein Stolz rebellierte.

Doch er schlug ein.

Auf der Spur

Schon am nächsten Tag trat Ludwig seinen Dienst an. Als er morgens auf der Ranch eintraf, fand er den Empfang besetzt von einer älteren Dame vor. Elvira Karl stand auf ihrem Namensschild. Ludwig versuchte, sie in seinem verstaubten Namensgedächtnis von früher einzuordnen. Es misslang, es gab keine Treffer für Elvira Karl in der Datenbank. Aber er erkannte ihre Stimme vom gestrigen Telefonat wieder. Sie hatte ihn an Toni weitervermittelt.

Frau Karl hatte ein Kuvert im A4-Format für ihn parat. „Ihr Vertrag“, erklärte sie. Ludwig überlegte kurz, ob sein Gegenüber die Personalabteilung der Ranch verkörperte. Die Dame schien die Frage zu ahnen und ergänzte: „Direkt von Herrn Kohlbayr.“

„Aha, Chefsache“, scherzte Ludwig bemüht und erntete immerhin ein flüchtiges Lächeln von Elvira Karl.

Da er jetzt schon beinahe vertraut mit ihr war, roch er die Gelegenheit, gleich ein paar Fragen zur Sache loszuwerden.

Im Tatort im Fernsehen fragte der Kommissar als erstes, ob denn das Opfer Feinde hatte. Das Wort „Feind“ erschien Ludwig unpassend. Es hatte in diesem Ausschnitt der Welt, in dem die Ranch das A und O darstellte, keinen Platz. „Gibt es denn Konkurrenten, die für den Pferdediebstahl in Frage kommen?“, schwächte Ludwig ab.

Die Dame reagierte unangenehm berührt. „Sie fragen ja wie ein Tatort-Kommissar“, entrüstete sie sich sanft.

„Erwischt“, dachte Ludwig und hoffte trotzdem auf eine Antwort. Er bot sein aufmunterndstes Lächeln auf.

„Ich weiß ja nicht, woher Sie kommen“, spitzte sie ihre Zunge, „aber so etwas tun die Leute hierzulande nicht.“ Tja, die Gilde hatte ihre Ehre.

„Es hätte ja sein können. Ich frage nur zur Sicherheit, denn für die bin ich ja da“, schob er nach, damit er nicht mit einer Belehrung als einziger Aussage aus der Tür gehen musste.

„Zur Sicherheit“, griff Frau Karl dann doch noch den Gedanken auf, „hat Herr Kohlbayr ein paar Höfe in der Umgebung besucht.“

„Und?“, fand Ludwig langsam Gefallen an dem Katz-und-Maus-Spiel.

„Und nichts“, lautete die barsche Antwort, „unsere Pferde waren nicht dort.“ Ihre Stimme drückte Bestimmtheit aus. Sie schien sich hier in der Tat auszukennen und ihr lag daran, dass Ludwig ihre Kompetenz spürte. Sonst hätte sie ihn schon lange abgewimmelt.

Ihm fiel außerdem auf, dass sie nicht sagte „man konnte die Pferde nirgends finden“, sondern „sie waren nicht dort“. Also mussten sie sich diesbezüglich sicher sein. Vielleicht standen ja sogar Drohungen im Raum? Sätze, die mit „Wenn ihr meine Pferde versteckt, dann ...“ anfingen, konnte man Toni Kohlbayr absolut zutrauen. Diplomatisch zu sein, das war nicht seine Art.

Aber das mit der Einschüchterung bildete lediglich eine Theorie. Ludwig wollte hingegen Fakten. Und er war bis jetzt nur einen kleinen Schritt vorangekommen. Doch ein erster Schritt war immerhin ein Schritt und jede noch so lange Reise fing damit an.

Mit einem flüchtigen Gruß verließ er das Zimmer. Er hatte seine Mission begonnen.