Kapitel 24


Die Stimmung im wohl schönsten Saal der Welt war jetzt doch entspannter. Man konnte sich nun auch mal die Fresken im Detail anschauen. Mal nachdenken über die Szenen des Jüngsten Gerichtes, die über ihnen schwebten. Alles war voll überwältigender Schönheit. Ein Gigant der Kunst hatte sich hier verewigt.

Dem G20-Kreis war nun bewusst, dass nun auch sie unmittelbar vor der Schwelle ihrer Verewigung standen. Der Schwerpunkt ihrer gemeinsamen Unterredung war, „Wie bringen wir das rüber!“. Was passiert wenn? Wie können wir einer weltweiten Panik vorbeugen? Ihnen war bewusst, dass es nach dem Bekanntwerden ihrer gefassten Beschlüsse einen Crash der bisherigen Ordnung in Politik und Finanzwelt geben würde. Diesem Vakuum musste sofort durch geeignete Maßnahmen entgegen gesteuert werden. Die bisher das Sagen hatten, sowie vor allem der mitdenkende und verstehende Anteil der 7 Mrd. Menschen musste alles was er bisher über regieren und regiert werden, ob Demokratie oder autoritärer Regierungsform verinnerlicht hatte, einfach vergessen. Und man musste alle mitnehmen, vom Afghanen bis zum Zyprioten, vom Analphabeten bis zum Wissenschaftler. Die Erde sollte sich plötzlich in entgegen gesetzter Richtung drehen. Doch sie waren zuversichtlich, weil zum ersten Mal niemand nur Vorteile erhielt und andere dafür bezahlen mussten, weil jeder spüren konnte, dass auch sein Beitrag, sein Verzicht oder eine notwendige Veränderung ein Teil einer großen Lösung sei. Und diejenigen, welche bisher ihre Pfründe mit allen Mitteln und sei es sogar Krieg verteidigten, hatten nicht mehr die Machtmittel dazu.

Um an die Öffentlichkeit zu gehen, musste noch abgewartet werden, bis einige bereits eingeleitete Vorbereitungen abgeschlossen waren.

Einige Tage später war es soweit. Als Zeichen einer erfolgten Einigung ließ man weißen Rauch aufsteigen. Dieses Zeichen wurde sofort von den auf dem Petersplatz Wartenden verstanden. Rasch füllte sich der Platz mit abertausend erwartungsvoll gestimmten Römern, Touristen und vor allen wichtigen Presseleuten aus der ganzen Welt. Wohl vergebens. Es wurde die Meldung verbreitet, dass die G20 Teilnehmer zusammen mit dem Papst eine Pressekonferenz im Pressesaal des Radio Vatikans, Via della Conciliazione 54, außerhalb des Vatikans unmittelbar vor dem Petersplatz gelegen, gegen 16:00 Uhr abhalten würden. Diese sollte weltweit ausgestrahlt werden. Auch auf den inzwischen aufgestellten riesigen Leinwänden des Petersplatzes.

Die wenigen akkreditierten Journalisten fanden sich dann auch sehr rasch ein. Im Podium waren zusätzlich Stühle aufgestellt worden. Schließlich erwartete man ja nicht nur den Papst, sondern Staatsoberhäupter der 20 größten Industrienationen und die hatten fast 2 Wochen getagt. Es war offensichtlich wichtig genug, dies weltweit, zeitgleich und simultan übersetzt zu verbreiten.

Und dann begaben sie sich schon nacheinander auf das Podium. Zunächst war das gar nicht richtig von den wartenden Journalisten bemerkt worden, denn es kamen keine Männer mit schwarzen Anzügen und Frauen mit dezent bunten Blazern, sondern alle waren eher leger, unauffällig gekleidet. Erst als sie dann einzeln auf den Stühlen auf dem Podium Platz nahmen, wurden sie erkannt. In deren Mitte positionierte sich der Papst. Ein mehrminütiges Blitzlichtgewitter setzte ein, danach wurde es im Saal ganz still.

Der amerikanische Präsident rückte sich das Mikrofon zurecht und begann zu reden.

„Wir, die wir Euch zu dieser Pressekonferenz eingeladen haben, waren fast 14 Tage beisammen gesessen und Demut und Scham haben sich unter uns breit gemacht. Wir haben lernen und erfahren müssen, dass wir bisher unserer Verantwortung gegenüber unseren Wählern oder gegenüber jenen die wir führen und leiten wollen, nicht gerecht geworden sind. Noch mehr trifft dies für unsere Verantwortung gegenüber denen zu, die nach uns kommen. Zum ersten Mal nahmen wir bewusst zur Kenntnis, wie es um unseren Planeten steht. Keine Interessengruppen, keine Lobbyisten haben die Informationen, die uns neutrale Wissenschaftler vermittelten, verfälschen können. Niemand hat uns eingeflüstert, wenn du dies oder jenes tust, wirst du nicht mehr gewählt oder aus dem Amt gejagt. Das, was wir erfahren und auch verstanden haben, ist erschreckend. Vielleicht nicht für diejenigen, die in ihren Villen mit Klimaanlagen sitzen, wenn ́s ihnen zu heiß ist, in die Berge fahren oder in den hauseigenen Pool springen, sondern eher für hunderte Millionen von Menschen, welche in küstennahen Gegenden oder an Flussufern wohnen. Vielleicht nicht in 5 oder 10 Jahren, aber bereits die nächste Generationen, unsere Enkel und deren Kinder werden uns verfluchen. Die Prognosen bezüglich Klimaveränderung lassen für die nächsten Dekaden Schlimmstes erwarten. Dies zwingt uns jetzt zu handeln. In unseren Diskussionen ist uns klar geworden, dass dies nicht von einzelnen Nationen, gleich welcher Größe getan werden kann, sondern es muss eine Nationen übergreifende gemeinsame Aktion werden. Wir haben deshalb ein Programm beschlossen, das unverzüglich umgesetzt werden muss. Nur so können wir ein Desaster für die Menschheit zwar nicht mehr verhindern, aber spürbar abmildern.

Die Situation ist mit einer Vollbremsung unserer bisherigen Art zu leben verbunden. Der Maßnahmenkatalog wird zu nie gekannten Verwerfungen in den verschiedensten Gesellschaftsformen, die wir hier vertreten, führen.

Da es sich um eine globale Notstandssituation handelt, können die jetzt gleich vorgestellten einzelnen Punkte auch nicht durch Parlamente, irgendwelche Volksabstimmungen oder Religionsbesonderheiten wo auch immer unterlaufen werden. Gerade in Ländern mit demokratischen Strukturen war es ja bisher nicht möglich, irgendwelche ökologisch notwendigen Veränderungen, welche mit Verzicht zu tun hatten, durchzusetzen. Gerade dies wird aber jetzt, zumindest von dem wohlhabenden Teil der Bevölkerung notwendig sein! Damit übergebe ich das Wort an meinen französischen Kollegen“.

Die Worte des amerikanischen Präsidenten brachten etwas Unruhe unter den Journalisten. Keine Finanzspritzen, Verzicht, Notstand. Alles Fremdwörter, bisher eher als Panikmache bekannt. Einige sich besonders clever vorkommende Journalisten zückten ihr Smartphone und gaben Verkaufsorder „Sofort“ für ihren gesamten Aktienbestand.

Der französische Ministerpräsident sah eher wie ein gut situierter Endsechziger nach dem Golfspielen an der Club Bar aus.

„Madame et Monsieurs, mein Vorredner hat es angedeutet. Wir müssen alle was ändern. Und die Veränderungen müssen gewaltig sein und nicht von Interessengruppen gestört werden. Bisher waren alle politisch gewollten Änderungen nicht durchführbar. Bereits schon Ansätze im Umdenken wurden systematisch ausgebremst. Die Hauptschuld daran war eine Kraft, welche mächtiger ist als alle nur erdenklichen Regierungsformen. Es war die Gier, verkleidet als Finanzwirtschaft oder entlarvender als Finanzindustrie. Diese hat bestimmt, wer welche Rohstoffe wo ausbeuten kann. Welche Produkte man zu kaufen hat, wer davon reich wird. Ohne auf Umweltschutz oder gar Nachhaltigkeit zu achten, wird unser Planet hemmungslos geplündert. Eine Schamgrenze ist da nirgends erkennbar. Es gilt also zunächst den Einfluss der Finanzindustrie massiv einzuschränken. Zähmen lässt sich diese nicht, sondern man muss sie abschalten. Wie das geht, werden Sie jetzt live miterleben“.

Der Redner stockte kurz. Er wartete, bis drei große Monitore begannen Bilder anzuzeigen. Zunächst sah es eher nach einer Bildstörung aus. Alle 3 Monitore zeigten heftig wandernde Streifen. Dann ordneten sich die Anzeigen. Es waren erkennbar Szenen aus drei verschiedenen Börsen zu sehen. Die Texteinblendungen bestätigten dies: Frankfurt, London, New York, Livestream, erkennbar an den angezeigten Echtzeiten.

Wie überall an Börsen, wirres Brokergewimmel gepaart mit heftigem Gestikulieren, für Laien babylonisches Sprachengewirr. Überall riesige Monitore, überfrachtet mit mehreren Tabellen, Riesengeschrei. Ein eher surrealistisches Szenario. Eigentlich aber so, wie es dort immer zuging.

Unterdessen sah man den französischen Präsidenten sein Handy benutzen. Er sprach kurz etwas hinein und steckte es sofort wieder ein.

Im Auditorium des Pressesaals fragte man sich, was dieses Zeigen der Finanzplätze wohl soll. Sie hatten kaum Zeit sich darauf einen Reim zu machen, als sich abrupte Veränderungen an den verschiedenen Börsenplätzen zeigten. An allen 3 Monitoren änderte sich plötzlich die Atmosphäre in den Börsentheatern. Wo vorher scheinbares Chaos vorherrschte, war Stille. Alle Broker starrten auf ihre Monitore. Auf den Livestreams im Pressesaal sah man nichts Besonderes. Erst beim Heranzoomen auf eine der vielen Tabellen sah man den Grund. Überall, wo sich vorher ständig verändernde Zahlen von Kursen, Bewertungen etc. überschlugen, stand jetzt eine Null. Die Kameramänner der verschiedenen Börsen hatten dies wohl mitbekommen und zeigten auch andere Monitore. Überall nur Nullen

Der französische Präsident fuhr jetzt mit seiner Rede fort:

„Das was Sie hier eben in Echtzeit gesehen  haben, ist kein technischer Defekt oder eine Computerstörung. Ab diesem Moment gibt es weltweit keine Börsennotierung, kein Aktienvermögen, keinerlei Spekulationsobjekte mehr. Sämtliche Daten hierzu sind unwiederbringlich vernichtet. Damit gibt es keine Finanzindustrie mehr".

"Mehr noch, was Sie hier nicht sehen. Zeitgleich dazu ist sämtliche Bankensoftware nicht mehr verfügbar. Demnach sind auch alle Vermögen auf Bankkonten gelöscht. Lediglich Tausend Dollar bzw. ein Gegenwert in der jeweiligen Landeswährung bleiben jedem Bürger weltweit als Neustart zur Verfügung. Mit dieser Summe starten auch Menschen, die bisher noch kein Ein- kommen oder Bankkonto hatten. Damit werden sämtliche Menschen, gleich wo sie leben, auf einen gemeinsamen Startpunkt gebracht.

Sowohl Sie alle hier, ein Warren Buffet, ein Scheich, ein Obdachloser, ob Kind oder Greis, ob US-Bürger oder Sudanese, auch ich, beginnen hiermit bei Null. Dies war erforderlich, um eine Wende in der globalen Wirtschaftspolitik einzuleiten“.

Das Auditorium war starr vor Schreck. Das konnte einfach nicht wahr sein. Einige der anwesenden Journalisten loggten sich bei ihrer Bank ein, um ihren Kontostand abzurufen. Überall wieder die Null bei ihren Anlagenkonten!

Bevor man er richtig zu Ende denken konnte, übernahm die deutsche Bundeskanzlerin das Mikrophon. „Ich kann verstehen, dass Sie das alles nicht für bare Münze nehmen und es nur für ein Spiel halten, dass es eine vorbeigehende Panikmache ist. Dafür ist die Lage aber zu ernst. Wir haben alle gemeinsam beschlossen einen Neuanfang ein- zuleiten und dafür müssen bisherige Strukturen aufgelöst werden. Ohne diese doch brachial erscheinenden Maßnahmen gäbe es dafür keine Chancen. Das Ziel ist es ja, die Weltwirtschaft auf ein Zukunftsprogramm einzustellen, das ein Überleben unserer Zivilisation garantiert. Nicht für einige wenige Generationen, sondern dauerhaft. Dazu gilt es mit den vorhandenen Ressourcen so umzugehen, dass diese nie versiegen. Aktuell haben wir ja den Zustand, dass 10 % der Weltbevölkerung 90 % der verbrauchten Ressourcen für sich in Anspruch nehmen. Schlimmer noch, es ist mehr als der Planet länger als 2-3 Generationen zur Verfügung hat. Das bedeutet, ohne eine Kehrtwendung dieses Tatsachenbestandes sind in spätestens 50 Jahren einige Rohstoffe unwiederbringlich verbraucht. Das trifft ins besonders für Erdöl zu. Dazu kommt noch die ungeheure Menge an freigesetzten Treibhausgasen.

Wie wollen wir das verhindern? Nachdem alle Erdbewohner zunächst mal auf einen Punkt gesetzt worden sind, auf dem man aufbauen kann, ist dies jetzt möglich. Am einfachsten kann man dies an den Gesamtemissionen an CO2 festmachen. Im Jahr 2013 wurden 35 Mrd.t CO2 freigesetzt. Das entspricht pro Erdenbürger ca. 5 t. Wobei es je nach Land sehr große Unterschiede gibt. Ein US-Amerikaner kommt auf 16 t, ein Inder lediglich auf 1,8 t, ein Kameruner auf 0,4 t.

Ca. 40 % davon werden von den Pflanzen wieder in Biomasse verwandelt. Bleiben also 21 Mrd.t. Würden wir jedem Menschen auf dem gesamten Planeten einen Verbrauch von ca. 3 t/a CO2 zubilligen, hätten wir keinerlei zusätzliche Treibhausgase freigesetzt. Und das müssen wir sofort tun. Nur, wie wollen wir das gerecht umsetzen. Wir haben beschlossen, dies in Form eines CO2-Kontos zu tun. Jeder, zumindest die Bürger in den Industrieländern, bekommt ein Kontingent von 2 t/a in Form eines Guthabens, das auf einer Scheckkarte gespeichert ist. Bei jedem Kauf oder Inanspruchnahme einer Dienstleistung wird die zu diesem Vorgang freigesetzte Treibhausgasmenge abgebucht. Damit hat jeder die Freiheit dieses Guthaben nach seinen persönlichen Prioritäten einzusetzen.

Dazu ist es allerdings notwendig zu jedem Produkt, zu jedem Produktionsschritt, vom Fördern eines benötigten Rohstoffes, über dessen Verarbeitung, dessen Verpackung, alles zu erfassen und damit die jeweilige CO2-Gesamtbilanz zu ermitteln.

Dies wird in der Praxis dazu führen, dass viel nachhaltiger und überlegter produziert wird. Die noch freie 1 t/a pro Person wird in Form von Energieversorgung/Mobilität/etc. allgemein benötigt.

Damit sind wir auch schon bei der Mobilität. Dazu gebe ich das Mikrofon weiter“.

Die Zuhörer im Pressesaal waren jetzt doch erschrocken über die bereits konkreten Vorstellungen.

Der nächste der G20 Teilnehmer, der das Wort ergriff, war der italienische Ministerpräsident, ein noch jungenhaft aussehender Mann, dem man zumindest äußerlich so ein staatstragendes Amt nicht zutraute.

„Meine Damen und Herren, wie können wir eine solch ambitionierte Absenkung unserer klimaschädlichen Gase in der Praxis umsetzen? Es gibt da einen besonders wirksamen Hebel. Das wäre die Abschaffung jeglichen privaten Autoverkehrs. Das klingt nun wirklich revolutionär und erscheint nicht realisierbar. Und doch muss dies geschehen. Bei 7 Mrd. Menschen haben wir einen aktuellen PKW-Bestand von 1,2 Mrd. Man muss sich mal diese Zahl näher anschauen. Das ist eine Autoschlange die 120 mal um den Erdball führen würde. Jeder PKW ist für ca. 3 t Treibhausgas pro Jahr verantwortlich. Und die Zahl der PKWs wird weiter stark zunehmen. Damit ist die Erfindung des Automobils wohl die verheerendste in der Schöpfungsgeschichte. Wir haben damit unsere Städte schier unbewohnbar gemacht. Lärm und Abgase sind weit über einer Toleranzgrenze hinaus eine massive Gesundheitsgefährdung. Und der Wahnsinn wird weitergehen. Die Prognosen für 2030 liegen bei fast 2 Mrd. PKW weltweit. Obwohl diese Zahlen jeder Verantwortliche kennt, verhalten wir uns da alle wie Lemminge.

Ein Neustart unseres Wirtschaftssystems, wo die Nachhaltigkeit oberstes Ziel hat, kann nur ohne die private Nutzung von Automobilen stattfinden! Eine Änderung der Antriebstechnik von Benzin/Diesel auf Elektroantrieb ist bei dieser hohen Anzahl an PKWs nicht realisierbar.

Deshalb werden ab sofort keine Tankstellen mehr mit Kraftstoff beliefert. Sämtliche dazu notwendigen Schritte sind über Eingriffe in die Software dieses Industriezweiges bereits eingeleitet.

Lediglich Rettungsfahrzeuge, Polizei und Versorgungsfahrzeuge werden ausreichend mit Treibstoff versorgt werden.

Ähnliches gilt für den zügellosen Luftverkehr. Hier drohen ähnliche Auswüchse wie beim privaten Autoverkehr. Das klingt alles jetzt nach Einschränkungen persönlicher Freiheit. Ist es aber nicht. Es hat nichts mit Freiheit zu tun, wenn sich eine Minderheit des Vermögen besitzenden Teils der Menschheit sich Ressourcen bedient, welche in wenigen Jahrzehnten unwiederbringlich verbraucht sind. Das ist epidemischer Missbrauch von Freiheit. Besinnen wir uns also auf unsere Verantwortung für die nachkommenden Generationen.

Was wird das für eine Welt sein, ohne wild gewordenes Kapital, ohne Banken in heutigem Sinn, ohne uneingeschränkte Mobilität?

Darüber wird nun mein chinesischer Kollege berichten“.

In etwas asiatisch eingefärbtem Englisch fuhr dieser fort.

„Als Vertreter des volkreichsten Landes fühle ich die besondere Verantwortung für die gesamte Weltbevölkerung. Wenn es gelingt, bei über einer Milliarde Chinesen das hier alles umzusetzen, dann wird das überall gelingen können.

Wie kann man ohne eine Börse, ohne ein Streben nach Profit überhaupt wirtschaften, die Bevölkerung ausreichend ernähren, mit Energie versorgen? Es funktioniert, wenn man gänzlich neue Strukturen des Verteilens schafft, welche die Grundbedürfnisse der Menschen wie Nahrung, Bildung, Zugang zu sauberem Wasser, Mobilität und Arbeit befriedigt. Von allem ist mehr als genügend da, nur muss man es neu organisieren und gerecht verteilen. Dazu müssen wir akzeptieren, dass unsere bisherige Art, was die Amerikaner „way of live“ nennen, gescheitert ist. Mit dem nun erzwungenen Neustart haben wir dazu die beste Basis.

Ich will anhand von einigen Beispielen erklären, was ich damit meine. Was passiert, wenn von heute auf morgen keine Autos mehr fahren werden. Zunächst werden wir mal alle in unseren Großstädten frei durchatmen können. Unsere Ohren werden Dinge hören, welche vorher der Verkehrslärm überdeckt hat. Unsere Kinder werden wir wieder zum Spielen auf die Straße schicken können. Aber wie kommen wir zum Einkaufen, zur falls noch vorhandener Arbeit, zu Freunden? Wir haben inzwischen dank modernster Kommunikationstechnik alle Mittel, unsere Mobilitätsziele zu artikulieren. Intelligent vernetzte Verkehrssysteme, welche natürlich massiv ausgebaut werden müssen, bringen uns schnell an unser Wunschziel, stressfrei, staufrei und umweltfreundlich.

Werden wir überhaupt noch Arbeit haben, wenn ganze Industriezweige zusammenbrechen?

Natürlich werden wir das! Die Umstellung auf ein global nachhaltiges Wirtschaften macht zwar eine Vielzahl von Jobs 

unnötig, schafft aber dafür mindestens genau so viel neue.

Nehmen wir das Beispiel das Wegfallen der gesamten Automobilbranche. Bereits jetzt werden diese in fast menschenleeren Produktionstrassen hergestellt. Diese noch überschaubare Anzahl an Arbeitsplätzen fallen zwar weg, aber dafür müssen über eine Milliarde PKWs fachmännisch zerlegt und wieder zu Rohstoffen aufgearbeitet werden. Gleichzeitig müssen abertausende von unnötigen Straßen und die meisten Flughäfen wieder zu Landschaft umgewandelt werden. Ganze Innenstädte müssen wieder zu urbanen Stadtlandschaften zurückgebaut werden. Die an den Randzonen der Städte jetzt nicht mehr erreichbaren Einkaufszentren werden weichen müssen, dafür entstehen wieder in den Zentren von Dörfern und Städte kleine, gut erreichbare Einkaufsmöglichkeiten, welche wieder mehr Personal benötigen. Öltanker werden zu Wassertankern umgebaut. Mit dem Wasser wird das Wasser weltweit gerechter verteilt werden. Es werden gigantische Aufforstungsprogramme gestartet werden. Die globale Umstellung auf regenerative Energien werden Millionen neue Arbeitsplätze schaffen. Die Beschäftigungssituation wird sich daher weltweit eher verbessern“.

Der chinesische Ministerpräsident verneigte sich kurz und zeigte damit das Ende seiner Ausführungen an und reichte das Mikrofon weiter an den japanischen Ministerpräsidenten.

„Wenn Sie die bisherigen Statements verfolgt haben, werden Sie sich sicher fragen: Ja, und wer regiert uns dann? Die Demokraten unter uns waren zunächst der Meinung, dass dies alles demokratisch legitimiert werden muss. In den Diskussionen unter uns, aber auch mit den externen Beratern, mussten wir aber erkennen, dass es gerade die demokratisch geführten Länder waren, die an dem jetzigen Zustand der Erde die Hauptverantwortung auf sich nehmen müssen.Keine der vielen diversen Parteien ob eher links oder rechts orientiert, wäre an die Regierung gekommen, hätte es seinem Volk die Wahrheit mitgeteilt. Jede der regierenden Parteien wurde gewählt, weil sie Versprechungen abgegeben hat, die zwar kurzfristig in manchen Fällen eingehalten werden konnten, aber in Bezug auf Nachhaltigkeit die jetzige Situation unseres Planeten zur Folgen hatten. Noch schlimmer, der üppige Wohlstand der Industrienationen galt als Vorbild der so genannten Schwellenstaaten einschließlich der Entwicklungsländer. Immer mehr Bürger aus diesen Ländern wollen auch ein Auto besitzen und rund um die Welt fliegen. Da die verfügbaren Ressourcen nun mal nicht unendlich sind, steuert unser Wirtschaftsgefüge, die Gesellschaftsordnungen, unsere Umwelt, unaufhaltsam dem globalen Kollaps zu. Dies können wir nur noch durch die jetzt und heute vollzogene Vollbremsung der aktuellen globalen Ordnung aufhalten. Das komplexe Zusammenspiel von Grundbedürfnissen der Menschen und den zu Verfügung stehenden Ressourcen mit all den Verteilungsmechanismen ist durch Regierungen, Parteien gleich welcher Regierungsform nicht mehr überschaubar und damit auch nicht steuerbar. Es muss daher eine völlig neue Form des Regierens gefunden werden. Wir haben darüber mit den Wirtschaftsfachleuten lange diskutiert und kamen zu dem Schluss, dass hier nur die Wissenschaft in enger Verzahnung mit der IT-Industrie die Lösung darstellt. Dank dem hohen Wissensstand der Wissenschaft über das Verbraucherverhalten und dessen Folgen auf die Umwelt und dem immensen Datenbestand über die Lebensgewohnheiten von hunderten Millionen Bürgern lassen sich heute verlässliche neue Regularien zur Steuerung einer nachhaltigen Weltwirtschaft ableiten.

Es gilt also nicht mehr das Machbare, egal welche Folgen daraus entstehen, sondern nur noch das Mögliche, welches ohne Schaden für die aktuelle und auch in Zukunft lebende Weltbevölkerung sich vertreten lässt. Dabei kann nun mal nicht das Wohl des Einzelnen, sondern nur das Gesamtwohl im Vordergrund stehen.

Dabei wird im Vordergrund die Gerechtigkeit stehen müssen. In der Vergangenheit wurde immer nur von den einfachen Menschen Opfer abverlangt. Reformen waren immer nur Umverteilungen von unten nach oben“.

„Jetzt muss aber erkennbar sein, dass alle Menschen den gleichen Beitrag zur Erhaltung unseres Lebensraumes zu leisten haben. Der gemeinsame Neustart mit gleichen Startbedingungen wird dies gewährleisten“.

Alle der Sitzung beiwohnenden Journalisten wischten und tippten wild auf ihren Smartphones herum, um diese unglaublichen Neuigkeiten weltweit zu verteilen.

Nach einer kurzen Pause ergriff der indische Ministerpräsident das Wort.

„Als Vertreter eines Landes, einer Region, die wegen verschiedener Religionen schon sehr viel Leid erfahren musste, möchte ich etwas über die Rolle der Religionen nach diesem Neustart unserer Zivilisation sagen. Natürlich muss es noch möglich sein, auch weiterhin für jeden Erdenbürger seiner Religion nachzugehen. Aber es darf nicht wie bisher dazu führen, dass deswegen weltweit Kriege stattfinden. Oft war die Religion nur ein Vorwand für Aggressionen gegenüber anderen, die entweder mehr oder weniger Wohlstand besaßen. Nachdem jetzt materiell alle Menschen gleich gestellt sind, wird es diese Gründe nicht mehr geben. Gleichwohl muss es gegenüber den verschiedensten Religionen eine übergeordnete Gemeinsamkeit geben, die verhindert, dass sich bestimmte Religionen überlegen fühlen und andere Glaubensgemeinschaften versuchen zu diskriminieren. Es gibt da eine gemeinsame Formel, das gilt auch für diejenigen, die keinerlei Glauben für sich in Anspruch nehmen. Diese universale Formel hat vor über 200 Jahren der Philosoph Immanuel Kant erstellt. Sie ist bekannt als der kategorische Imperativ.

Er lautet:

„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“.

Diese wohl bedeutendste universale Empfehlung für ein ungestörtes Zusammenleben aller Menschen, egal welche Religion oder Nationalität, hat für 7, demnächst über 10 Mrd. Menschen andere Konsequenzen, als zu der Zeit als Immanuel Kant sie erdacht hat. 10 Mrd. Menschen auf unserem Planeten müssen nach anderen Regeln leben als z.B. 10 Millionen. Man muss also das Miteinander, das individuell Mögliche, den aktuellen Gegebenheiten anpassen.

Mit dieser Formel, angewandt auf das Verhältnis aller Menschen miteinander umzugehen, lässt sich eine gerechte neue Weltordnung erreichen.

Diesem Prinzip müssen sich auch Religionen unterordnen!“.

Damit hatten jetzt schon einige Regierungschefs die verschiedensten Facetten des Neustarts unserer Zivilisation beschrieben. Ein wichtiger Komplex fehlte aber noch. Alle Journalisten warteten noch darauf, wie man mit dem Militär in Zukunft verfahren wolle. Die Antwort darauf sollte der russische Ministerpräsident geben.

„Meine Damen und Herren. Sie sehen mich hier nicht nur als den russischen Ministerpräsidenten, sondern auch als Oberbefehlshaber der russischen Armee. Das wird in der von uns anvisierten neuen Weltordnung nicht mehr möglich sein. Dies gilt auch für den amerikanischen, den chinesischen, englischen, französischen, deutschen Regierungschef. Nicht, dass wir das Militär abschaffen wollen, nein, es wird aber in Zukunft unter dem Befehl der Weltengemeinschaft weiter existieren müssen. Diese, und wirklich nur diese Militärorganisation hat dann das Gewaltmonopol. Dies durchzusetzen wird ihre erste Aufgabe sein. Unterstützung wird dadurch gegeben, dass ab sofort sämtliche Waffenbedienungen, ein Waffenerwerb nicht mehr national möglich ist. Bereits jetzt sind z.B. sämtliche militärische Flugbewegungen der verschiedensten weltweit operierenden Einheiten nicht mehr durchführbar, da ab sofort die militärischen Flugsicherungen nachhaltig gestört sind. In Zukunft wird es nur noch diese eine multinationale Truppe geben. Diese wird nur ein Bruchteil der aktuellen weltweiten Rüstungsausgaben benötigen, aber trotzdem auf allerhöchstem technischem Niveau ausgestattet sein. Als Allererstes wird es notwendig sein, eine weltweite Entwaffnung bis in jeden Winkel der Welt aktiv zu kontrollieren. Wenn nötig, muss hier Gewalt angewendet werden. Das Ziel wird sein, dass Bürger keine Angst mehr vor unkontrollierbaren Söldnern und Milizen haben müssen“.

Die anwesenden Journalisten konnten immer noch nicht glauben, was hier gerade passierte. Hier wurde nichts anderes verkündet als eine weltumspannende Revolution. Zum ersten Mal ging es nicht mehr um Machtverteilung, wer gegen wen, sondern es ging hier um Selbstentmachtung der mächtigsten Politiker auf der Welt und offenbar hat dies der neue Papst wie auch immer initiiert.

Dieser ergriff jetzt wieder das Wort:

„Das, was Sie jetzt gehört haben, wird nicht von selbst stattfinden. Es wird sich sehr viel Widerstand dagegen bilden. Deswegen bedarf es einer völlig anderen Verwaltung von Bedürfnissen und deren Befriedigung. Bislang galt das Motto „Alles was möglich ist wird auch getan, egal welche Folgen daraus entstehen. Hauptsache es dient dem Wohl eines Einzelnen“.

Ab jetzt gilt: Nicht mehr das Mögliche, sondern das Verantwortbare zählt. Und darüber entscheiden nicht Politiker oder gar Wahlen, sondern Wissenschaftler mit der Unterstützung der IT-Spezialisten. Wir haben dazu alle zur 

Verfügung stehenden Daten und Algorithmen der verschiedensten Netzwerke wie Google, Microsoft, Facebook, Amazon, eBay, SAP, Oracle etc. zur Verfügung, die sich in den Dienst der neuen Ordnung einbringen. Dabei zählt aber jetzt nicht mehr der Profit dieser Konzerne, sondern deren Datenbestand. Darauf basierend lassen sich jetzt die gänzlich neu aufgestellten notwendigen Warenströme so steuern, dass nirgends auf der Welt mehr gehungert werden muss. Wenn Sie jetzt den Raum verlassen, werden Sie sofort die ersten Änderungen in Ihrem Alltag zu spüren bekommen. Eine Möglichkeit sich dagegen zu wehren wird es nicht geben. Diese Institutionen wo Sie das tun könnten, gibt es einfach nicht mehr. 7 Mrd. Menschen können nicht mehr so regiert werden, dass Einzelinteressen in erforderliche Maßnahmen einbezogen werden können“.

Nachdem niemand mehr auf dem Podium das Wort ergriff, ergoss sich ein Wortschwall der Journalisten in Richtung der Redner. Alle wollten Fragen stellen. Nach einer Weile ebbte die Lautstärke doch etwas ab. Das nutzte einer der Podiumsanwesenden und sprach die Journalisten an:

„Die wenigsten hier werden mich kennen. Ich bin Professor Walter Hawkins und leite ein renommiertes Institut in Baltimore, das sich mit Zukunftsfragen beschäftigt. Wir hier nehmen uns jetzt die Zeit, einige erste Fragen zu beantworten“.

Natürlich reckten sich mindestens genauso viele Arme wie Anwesende da waren. Der Professor deutete auf einen der Herren in der ersten Reihe.

„Können Sie uns sagen“, begann der Fragesteller, „was passiert, wenn sich ein Land weigert dies alles umzusetzen? Es bedeutet ja sämtliche Regierungsgewalt an irgendwelche Institutionen abzugeben“.