Alarm

Alarm

Manifeste aus 20 Jahren

Erich Mühsam

Inhalt

Aus »Wüste – Krater – Wolken«

Euch, Kameraden meiner frohen Bünde

Sie stehen hoch oben auf dem Gerüst

Nun bin ich ganz allein

Wo der Schlangenweg der Bäche

Ich wollt' das Lied des Herzens nicht verschweigen

Lumpenlied

Weltjammer

Von meiner Hoffnung laß ich nicht

Es schwillt die Kraft

Der Revoluzzer

Es schwillt die Kraft

Mein Gefängnis

Aus »KAIN – Zeitschrift für Menschlichkeit«

Appell an den Geist

Der bunte Rock

Parteitagsrede

Idealistisches Manifest

Im Geiste Bakunins

Aus »Brennende Erde«

Weckruf

Testament

Dichter und Kämpfer

An die Soldaten

Wiegenlied

Soldatenlied

Kriegslied

Trutzlied

Rebellenlied

Lied der Jungen

Räte-Marseillaise

Der Gefangene

Aus »KAIN – Zeitschrift für Menschlichkeit«

Gegenrevolution

Ein Ende und ein Anfang

Aufruf

Aus dem Kerker

Trostspruch

Mahnung der Gefallenen

Gesang der Arbeiter

Streit und Kampf

In memoriam August Hagemeister

Herz in Not

Die Pflicht

Predigt

Appell

Marschlied der Zwölfjährigen

Das Volk der Denker

Aus »Wüste – Krater – Wolken«

1900 – 1914

Euch, Kameraden meiner frohen Bünde,

Euch leg ich lachend meine Beichte hin,

Daß ihr als Richter meinen Wert ermeßt

Und prüft, ob ich des Lebens kurzes Fest

Im Kampf bestehe, oder ob der Sünde

Des trägen Gottvertrauns ich schuldig bin.

Ihr wägt gerecht. Und was ihr auch erkennt,

Ob ihr mich selbst in Not und Tod verdammt –

Als Wahrwort soll mir eure Meinung gelten.

Ihr mögt mich einen heiligen Kauzen schelten

Und einen, der in Mondsuchtsträumen brennt:

Ein Pflock der Weisheit sei der Spruch gerammt!

Um eins nur, meine Freunde laßt euch bitten,

Eh ihr des Urteils Schicksalskind gebärt:

Aus allen Zonen töne euer Ruf!

Denn ich, als ich mein Werk aus Qualen schuf,

Hab tausend Seligkeiten durchgelitten ..

Verzweifeln müßt ich, wenn ihr einig wärt.

1914

Sie stehen hoch oben auf dem Gerüst. –

Es ist zwölf Uhr und Mittagsruh. –

Sie fluchen und schreien. – Der eine schmeißt

Dem ändern lachend die Flasche zu,

Die heizend von Mund zu Munde reist, –

Und keiner weiß es, wie arm er ist. –

Ich komme des Weges. Und einer erblickt

Den lässigen Gang, die groteske Gestalt:

»Halloh! ein Kerl, dem es oben tickt!« –

Und wildes Gelächter ans Ohr mir schallt.

Ich sehe nicht auf. – Die wissen ja nicht,

Daß dem, um den ihre Rohheit lacht,

Ihr Schicksal klagend zum Herzen spricht, –

Sie fragen auch nicht, ob er Verse macht.

Und ich geh' weiter. Da kommen mir zwei

Verlebte Dirnen kreischend vorbei.

Aus ihren Augen starrt freudlose Gier,

Am Munde frißt wüster Nächte Lust, –

Nur Leiber, nur seelenloses Geschlecht, –

Die armen Wesen, die nie gewußt,

Daß sie arm und verlassen sind, – und nicht schlecht.

Da stößt eine die andere an: »Du, hier!

Der dürfte mir nicht für ein Goldstück ins Bett!«

Und sie kichern frech. – Sie können nicht wissen,

Daß ich mein Herzblut gegeben hätt',

Wüßt' ich sie in treuer sorgender Hut –

Wüßt' ich ihrem Frieden ein weiches Kissen, –

Auch nicht, wie weh ihr Lachen tut.

Und ich geh' meines Wegs. Aus der Schule kommen

Erblühende Mädchen, halbwüchsige Knaben,

Die eben vom schrulligen Lehrer die frommen

Gelehrsamkeiten empfangen haben,

Mit denen die Menschen die knospenden Seelen

Verkümmern, unmerklich zu Tode quälen.

Doch mit der Jugend schnellem Erspähn

Hat mich ein Dutzend Augen gesehn.

Da machen sie höhnisch die Zungen breit

Und richten spottend auf mich die Finger. –

Ahnen sie denn, daß ein Mensch in der Näh',

Der sinnt, wie man aus dem Geisteszwinger

Die werdenden jungen Geschlechter befreit? –

Fragen sie: tut unser Spott nicht weh? – –

Und endlich bin ich, wohin ich gewollt:

Am Kinderspielplatz – bei den Kleinen.

Hei, wie es mir da entgegen tollt!

Es hängt mir am Hals, an den Armen, den Beinen.

Ach – hier sind doch Menschen, die menschlich fühlen,

Die kleinen Kinder, die sorglos spielen,

Die wissen, wer ihnen Freund, wer Feind,

Wer mit ihnen lacht und mit ihnen weint.

Hier bin ich glücklich – hier wo ich fand

Die ich suchte, die Heimat: mein Kinderland!

1902

Nun bin ich ganz allein, und immer lauter

Vernehm' ich meines eignen Herzens Schlag –

Stets nur mein Herz, und weiß, daß kein Vertrauter

An meinen stillen Leiden leiden mag.

Und Menschen gehen mir vorbei und lachen,

Und Menschen weinen in der Liebsten Schoß.

An wessen Lager darf ich liebend wachen?

Wer teilt mir mit von seinem Leidenslos?

Ich will der ganzen Welt Gebresten heilen,

Will aller, aller Arzt und Helfer sein, –

Doch, wo ich nahe, seh' ich flink enteilen

Die kranken Menschen – und ich bleib allein.

So will ich träumen, daß von meinen Salben

Die Wunden schwänden, aller Not und Qual, –

Und meine Träume, mit dem Flug der Schwalben,

Sie werden Leben sein und ewiges Mal.

1911

Wo der Schlangenweg der Bäche

Sich durch braune Felder klemmt,

Ist ein Wetter dreingefahren, –

Und wo Gras und Sträucher waren,

Ist die weite Erdenfläche

Grau und trübe überschwemmt.

Niedre Hütten, kalt umflossen,

Ragen traurig aus dem See.

Abgerissne Bäume schwimmen.

Tränenfahle Frauenstimmen,

Auf das Wasser hingegossen,

Klagen Gott ihr Menschenweh.

Wo ein Hügelfeld den Fluten

Trotzig ihre Schranke baut,

Knien menschliche Gestalten,

Welche Rosenkränze halten.

Christus mag noch einmal bluten,

Daß das Wasser rückwärts staut...

Doch die Arbeit ist vernichtet,

Welche Menschenhand verrichtet.

Ehe Gott die Schwüre hört,

Hat er Fleiß und Glück zerstört.

Mögen sie nun neu beginnen:

Bauen, karren, ernten, pflügen;

Mag der Schweiß von neuem rinnen ....

Wenn die Früchte wieder reifen,

Wird der Reiche danach greifen

Und den Armen drum betrügen. –


Menschen! Wollt ihr denn nicht fühlen?!

Wo der Schlangenweg der Bäche

Sich durch braune Felder klemmt,

Laßt doch Wetter drüber spülen!

Freut euch, wenn die Frucht der Schwäche

Wasserflut von hinnen schwemmt!

Obs euch Gott nimmt, ob der Reiche –

Menschen, ist's denn nicht das Gleiche?

1901

Ich wollt' das Lied des Herzens nicht verschweigen.

Ich wollt' es jubelnd zu den Menschen schmettern,

Die bleich am Baume der Erkenntnis klettern,

Das Glück vermutend in den kahlen Zweigen.

Ich wollt' sie rufen zu den breiten Küsten,

An die des Meeres Wellen silbern schlagen.

Ich wollt' sie lehren, leichte Schultern tragen

Und freien Sinn in übermütigen Brüsten.

Ich stoß ins Horn. Noch einmal. – Doch ich staune:

Die Menschen lachen, die ich wecken wollte,

Als ob ein Mißton in die Lüfte rollte. –

Es muß ein Sandkorn sein in der Posaune.

1912

Lumpenlied

Kein Schlips am Hals, kein Geld im Sack.

Wir sind ein schäbiges Lumpenpack,

Auf das der Bürger speit.

Der Bürger blank von Stiebellack,

Mit Ordenszacken auf dem Frack,

Der Bürger mit dem Chapeau claque,

Fromm und voll Redlichkeit.

Der Bürger speit und hat auch recht.

Er hat Geschmeide gold und echt. –

Wir haben Schnaps im Bauch.

Wer Schnaps im Bauch hat, ist bezecht,

Und wer bezecht ist, der erfrecht

Zu Dingen sich, die jener schlecht

Und niedrig findet auch.

Der Bürger kann gesittet sein,

Er lernte Bibel und Latein. –

Wir lernen nur den Neid.

Wer Porter trinkt und Schampus-Wein,

Lustwandelt fein im Sonnenschein,

Der bürstet sich, wenn unserein

Ihn anrührt mit dem Kleid.

Wo hat der Bürger alles her:

Den Geldsack und das Schießgewehr?

Er stiehlt es grad wie wir.

Bloß macht man uns das Stehlen schwer.

Doch er kriegt mehr als sein Begehr.

Er schröpft dazu die Taschen leer

Von allem Arbeitstier.

O, wär' ich doch ein reicher Mann,

Der ohne Mühe stehlen kann,

Gepriesen und geehrt.

Träf ich euch auf der Straße dann,

Ihr Strohkumpane, Fritz, Johann,

Ihr Lumpenvolk, ich spie' euch an. –

Das seid ihr Hunde wert!

1909