IMPRESSUM

Herausgeberin: Martina Körber, Augsburger Str. 15, 86157 Augsburg

Kontakt: labchir.lara@web.de

„Ob wir aus der Geschichte gelernt haben oder nicht zeigt sich daran

wie wir mit unseren Mitmenschen umgehen.“

Lara Labchir

Zum Andenken an Edith Labchir (20. Sept. 1962-2010), unsere stets lebenslustige Mama,

die solange ich denken kann schon immer meine allerbeste Freundin im Leben gewesen war und die wir hier als Familie alle sehr schmerzlich vermissen!

Für Adil, der sie niemals vergessen wird und der ihr bis zuletzt als liebender Ehemann treu zur Seite gestanden hat.

Für Edgar und Siegfried Raab, meine beiden Onkels, als „kleiner“ Trost zur Erinnerung an ihre geliebte Schwester Edith.

Für meine „kleine“ Schwester Natascha Singh, sowie für meine Kindergartenfreundin Meike Maschke,

die beide seit einiger Zeit nun schon selbst sehr wundervolle Mamas geworden sind und damit das schönste Glück erleben dürfen das eine Frau im Leben nur finden kann:

ihre bedingungslose Liebe an ihre großartigen Kinder weitergeben zu können! (Schade nur, dass unsere liebe Mama nicht mehr unter uns weilt: Sie wäre sicherlich auch eine wunderbare und richtig coole Oma gewesen!)

Ebenfalls möchte ich an dieser Stelle dieses Buch meiner Freundin und Seelenverwandten Claudia Emert, sowie meinem besten Freund Manfred Armborst widmen, der leider ganz plötzlich auf der Intensivstation unseres Krankenhauses verstorben ist noch während ich an diesem Buch hier arbeitete und den ich seitdem sehr schmerzlich in meinem Alltag vermisse!

Möge er jetzt im Jenseits mit seiner Gisela zusammen sein, mit meiner Mama befreundet sein und mit meinem Opa ein gutes Bier trinken! :-)


Mama in der Spätpubertät

„Keine Ahnung woher das Kind diese Leidenschaft hat. Von uns jedenfalls nicht!“

hat meine Oma immer wieder entschieden dazu gemeint, nachdem sie mir damals gerne einige Geschichten davon erzählt hat, wie meine Mama sich als Kind im Fasching liebend gerne als Funk-Mariechen verkleidet hätte und wild begeistert zu ungarischer oder indianischer Musik herumgehopst sei.

Meine Mama musste ja scheinbar immer schon eine Schwäche für ausländische Männer gehabt haben. (Das war wahrscheinlich auch der Grund warum sie sich damals wohl auch sofort in meinen Vater, ein Inder, verguckt hatte...)

Dass sie uns allerdings eines Tages einen Marokkaner anschleppen wird, der sich tatsächlich noch illegal im Land aufhält und den sie unbedingt heiraten will, damit hätten wir alle sicherlich niemals gerechnet!

Komplett ausgeflippt ist meine Mama nach der Scheidung von meinem Papa (der kurz darauf blöderweise auch noch an einem Unfall verstarb!) und dem Auszug ihres „Nesthäkchens“ (meiner um vier Jährchen jüngeren Schwester Tascha, die mit einer Freundin eine WG gegründet hatte).

Von heut auf morgen war meine Mama also plötzlich mit einem Schlag allein und sie musste sich wohl sehr einsam gefühlt haben.

„Na, das ist eben nun mal so“, versuchte meine Mama es mit Humor zu nehmen, „die Kinder werden eben erwachsen und haben das Recht auf ihr eigenes Leben und sicherlich bin ich nicht die einzige Frau auf der Welt, die jemals geschieden wurde. Das ist doch heutzutage modern ein Single zu sein!“

In dieser Zeit traf sie sich dann immer mal wieder hier und da mit ein paar Männern (meist waren es Südländer die etwas jünger als sie waren), aber es wurde nie etwas Ernsteres daraus.

„Das gibt sich schon wieder, sie ist halt bloß in ein tiefes Loch gefallen und muss jetzt einfach nur ihr Ego streicheln.“ war die Meinung meiner Oma zu ihren wechselnden Liebschaften.

Sicherlich war ihre Krankheit ein weiterer, entscheidender Grund dafür warum es mit Mama überhaupt so weit kommen musste, dass sie sich vollkommen zweifellos auf diesen Mann eingelassen hat. (Er tauchte nämlich gerade dann in ihrem Leben auf, als sie ihn wahrscheinlich am dringendsten gebraucht hatte!)

Eigentlich fing alles ja damit an, dass die Ärzte bei meiner Mama schon seit längerem einen inoperablen Gehirntumor festgestellt hatten und jeder von uns anders mit dieser Gewissheit umging, dass meine Mama wohl nicht mehr allzulange unter uns weilen wird.

Während nämlich meine Mama auf einmal Angst bekam, dass ihr die Zeit davonrennen würde, machten sich meine Schwester und ich sich ständig Sorgen um sie sobald sie mal nicht ans Telefon ran ging oder wir sie nicht zu Hause antrafen. (Einmal hätten wir sogar fast noch die Polizei nach ihr suchen lassen, als sie mal wieder einige Nächte lang verschollen war!) Doch das hielt meine Mama keinesfalls davon ab noch einmal so richtig neu aufzuleben…

„Keiner weiß, wie lange ich überhaupt noch lebe. Ich muss eben mit der Krankheit leben und will mein Leben einfach noch ganz bewusst genießen. Also nervt mich nicht mit eurem ständigen und blöden Angstgemache! Ihr seid schließlich über Achtzehn und ich bin ein freier Mensch!“ ist ihre klare Ansage als ich eines Morgens bei ihr frühstücke. (Ich bin damals genau in der Wohnung gegenüber von Mamas Wohnung eingezogen, so dass wir Nachbarinnen geblieben sind und uns fast täglich gesehen haben.)

„Mama, ich verstehe dich ja. Es ist nur, dass wir uns halt Sorgen um dich machen.“ rede ich mit ruhigen Worten auf sie ein. Doch davon will sie nichts wissen.

„Schau mal wie viel ich abgenommen habe!“ meint sie jetzt stolz und steht auf, um mir ihre makellose Figur zu zeigen. „Ich passe mittlerweile sogar wieder in meine alte Lieblings-Jeans rein, die ich schon vor zwanzig Jahren so gern getragen habe. Toll, nicht?“

Sie dreht sich vor mich hin und her und setzt sich dann wieder lachend auf den Stuhl.

Ich schaue sie nachdenklich an, wie sie da so vor mir sitzt: Mitte Vierzig, blaue Kinderaugen, langes blondes Haar, zierlich und immer irgendwie happy. (Obwohl sie eigentlich vielmehr Gründe hätte alles andere als stets gutgelaunt zu sein…)

Obwohl ich mit meinen knapp vierundzwanzig Jahren ja eigentlich die Jüngere von uns beiden bin, wirkt sie auf mich mal wieder wie ein naives „Blondchen“, ein gebrechlicher Engel, der gerade dazu im Stande ist sich gutgläubig an jeden noch so kleinen Notnagel zu hängen und den man unbedingt vor den egoistischen Interessen böser Männer und gestörter Freaks beschützen muss.

„Erst gestern hat mich wieder so ein Typ doch glatt auf Dreißig geschätzt! Der sah vielleicht super aus, sag ich dir! So richtig schön braungebrannt war der und diese schwarzen Augen erst, der Wahnsinn! Der wollte mich gleich mit in seine Bude nehmen und mit mir einen Kaffee trinken! Aber ich glaube, der war mir dann doch etwas zu jung.“ Sie kichert jetzt und ich versuche es mir nicht anmerken zu lassen, dass ich ihre Begeisterung nicht teilen kann.

„Sag mal, Mama, du weißt aber schon dass der Kerl dir daheim nicht einfach nur seine Briefmarkensammlung zeigen wollte, oder?“ Etwas beleidigt schaut sie mich nun an.

„Meine Güte Tina, Kind, der fand mich eben attraktiv. Also ich fühle mich da schon geehrt, wenn mir ein junger Mann so ein Angebot macht.“ Ich rolle mit den Augen.

„Also ich würde mich ja alles andere als geehrt fühlen, wenn mich ein Fremder gleich in die Kiste ziehen will!“ (Vielmehr „billig“, aber das sage ich Mama natürlich nicht, ich will sie ja nicht kränken!) Wahrscheinlich hätte Mama noch etwas dazu gesagt, aber zum Glück klingelt in diesem Moment ihr Telefon. Es ist meine Oma, der sie sofort und noch dazu ganz stolz dieselbe Geschichte auftischt. Doch ich schätze, dass meine Oma die freche Anmache von Mamas ach so tollen Typen ähnlich wie ich sieht, denn auf einmal höre ich meine Mama lauthals in den Hörer brüllen: „Mama, ich habe zwei Kinder großgezogen! Glaubst du nicht, dass ich schon selbst weiß was ich so tue?“

Wütend knallt sie den Hörer auf die Gabel und schmollt. Ich seufze.

Ich habe ja schon davon gehört, dass für alle Frauen eines Tages der allezeit gefürchtete und unausweichliche Tag X eintrifft, an dem sie sich plötzlich alt und unattraktiv fühlen… (Er soll meist unmittelbar vor oder auch erst mitten in den Wechseljahren stattfinden und dabei sollen die weiblichen Hormone vollkommen verrücktspielen!)

Scheinbar ist dieser Tag nun bei meiner Mama eingetroffen (eine Art „Spätpubertät“, wenn man plötzlich rasant auf die grausigen Fünfzig zugeht).

An sich soll das ja auch laut Experten völlig normal sein, doch bei meiner Mama gibt es da noch eine entscheidende Ausnahme: durch ihre Krankheit bleibt ihr nicht mehr viel Zeit diese zweite Pubertät des Lebens noch groß auszuleben, eine toxische Mischung also!

Damit bleibt sie eine naive und tickende Zeitbombe.

Bei meiner Mama muss nun eben alles rasch geschehen, einfach schneller als bei anderen Frauen in ihrem Alter. Denn sie möchte nun möglichst intensiv leben und an einem Tag so viel erleben wie es nur geht. So war es auch unvermeidlich, dass sich eines Tages (ganz unverhofft und völlig unverblümt versteht sich) plötzlich ein recht seltsamer Kerl namens Adil bei meiner Mama eingenistet hat:

Ohne jegliche Vorwarnung und absolut nichtsahnend sollte ich ihm auch noch zwischen Tür und Angel begegnen…

Mamas Neuer

Es ist ein Samstagvormittag als ich den Müll gerade rausbringe.

Da die Tonnen genau neben dem Haus stehen wo auch meine Mama wohnt entgeht mir nicht, dass von dort ein Typ herauskommt der, vom Gesicht her, eine gewisse Ähnlichkeit mit dem US Schauspieler Nicolas Cage hat und den ich hier in der Nachbarschaft noch nie zuvor gesehen habe. Er trägt ebenfalls einen Müllsack bei sich.

Etwas unsicher steht er nun mit seinem Müllbeutel neben mir und wartet geduldig, bis ich meinen Müll in den Tonnen entsorgt habe, während er mich heimlich mustert. (Sicherlich ist er bei jemand zu Besuch oder neu eingezogen.) Freundlich, wie ich bin, nicke ich ihm zu. „Bin schon fertig!“ lächele ich ihm kurz zu, nachdem ich wieder freie Hände habe.

„Okay. Danke.“ antwortet er und wirft nun seine Mülltüte ebenfalls in die Tonne.

Neugierig werfe ich nochmal einen Blick auf ihn. Er muss wohl so um die Ende Dreißig sein und schaut mit seinen schwarzen Locken und den grünen Hundeaugen etwas hilflos aus seiner Wäsche- genauer gesagt, hat er ein makellos weißes Hemd an, ein richtig auffälliger Hingucker in Kombination zu seiner etwas dunkleren Haut. (wahrscheinlich ein Itaker…) Mehr denke ich mir zu diesem Zeitpunkt aber auch nicht und mache mich auf den Weg zum Wochenendeinkauf. Ich bin schon ein paar Schritte gegangen da fällt mir spontan ein, dass ich ja eigentlich auch noch kurz Mama fragen könnte ob sie etwas vom Supermarkt braucht.

Kurzerhand kehre ich um und klingele mal schnell bei ihr. Wie immer ertönt das vertraute Geräusch des Türöffners und ich steige hinauf in den dritten Stock, ohne zu wissen, dass ich gleich eine riesige Überraschung erleben werde...

„Mama, ich wollte dich nur mal eben kurz fragen, ob…Oh!“

An der Tür steht genau dieser Kerl, der noch vor fünf Minuten neben mir an den Tonnen gestanden hat! Er scheint genauso erstaunt darüber zu sein wie ich, dass er mich so schnell wiedersieht. „Äh, hallo, ich wollte eigentlich nur zu meiner Mama.“

„Tina? Komm doch rein!“ höre ich von drinnen die Stimme meiner Mama rufen.

„Hallo.“ grinst er jetzt schüchtern und geht dann einen Schritt zur Seite, um mich herein zu lassen.

Meine Mama sitzt freudestrahlend am Wohnzimmertisch und wirkt, wie immer, furchtbar happy. „Das ist meine ältere Tochter, von der ich dir erzählt habe.“ lächelt sie den Typen, der nun hinter mir steht, aufmunternd zu.

Jetzt lächelt auch er mich an.

„Hab es mir schon gedacht. Hallo, ich bin Adil.“ stellt er sich mir nun vor und gibt mir die Hand. „Hi, ich bin Tina.“ entgegne ich etwas unbeholfen, obwohl es ja eigentlich absolut unnötig gewesen ist mich noch einmal vorzustellen, nachdem ja meine Mama bereits die Katze schon aus dem Sack gelassen hat. Wir setzen uns nun zu Mama an den Tisch.

„Ist er nicht süß? Das ist mein neuer Freund und er ist ja so hilfsbereit!“ schwärmt meine Mama wie ein frischverliebter Teenager und kichert etwas albern. (Hab ich da was verpasst?) „Na ja, so toll bin ich aber auch wieder nicht.“ meint Adil etwas verlegen und schaut beschämt zu Boden. (Vermutlich fühlt er sich überrumpelt und weiß auch nicht so genau wo er jetzt noch hinschauen soll.) Nach und nach erfahre ich, dass er es gewesen ist, der meine Mama neulich angesprochen hat und dass sie beide daraufhin gemeinsam mal in einem Café einen Kaffee getrunken haben, wo es dann angeblich gewaltig gefunkt habe…

„Das war einfach Schicksal!“ betont meine Mama verträumt, „Wir sind uns immer wieder rein zufällig über den Weg gelaufen. Und dann im Bus…“ Mama holt erst einmal Luft, bevor sie weiterredet, „da war er dann auch schon wieder. Wir haben dann Blickkontakt gehalten und irgendwie sind wir dann in Gelächter ausgebrochen. Daraufhin kam er zu mir herüber und fragte mich, ob wir nicht mal zusammen einen Kaffee trinken wollen.“

„Ja, genauso war es.“ bekräftigt Adil nun, ebenfalls amüsiert. „Deine Mutter ist mir sofort aufgefallen, sie hat einfach so viel Ausstrahlung!“

Beide sehen sie sich erneut an und kichern nun wieder albern.

Ich schaue etwas verdutzt drein. (Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich von dieser ganzen Geschichte im Moment halten soll.) Erstens einmal kenne ich diesen Kerl ja gar nicht und zweitens kann ich es absolut nicht verstehen was so ein jüngerer Mann (Er ist Ende Dreißig, sie längst über Mitte Vierzig) wohl von einer älteren und totkranken Frau noch erwartet. (Weiß er überhaupt davon, dass meine Mama eine unheilbare Krankheit hat?)

Als ob er meine Gedanken gelesen hätte versichert er mir nun: „Ich weiß dass deine Mama sehr krank ist, sie hat es mir gesagt. Sie hatte auch schon bei mir mehrmals diese Zitteranfälle… Aber das hindert mich nicht daran ihr meine Liebe zu geben, ich denke, dass es Schicksal ist, dass wir uns begegnet sind.“

Dabei schaut er mir ganz tief in die Augen, so ehrlich, dass ich ihm das tatsächlich fast abkaufe. Aber eben nur fast! Denn jetzt beginnt meine Mama wieder zu schwärmen und gibt in ihrer Begeisterung gedankenverloren folgendes von sich:

„Stell dir vor, Adil ist Marokkaner! Toll, nicht?“

In mir gehen auf einmal alle Alarmglocken an! (Ausgerechnet Marokkaner! Das kann ja nichts Gutes bedeuten! Weiß sie denn nicht, dass diese Leute sich nur an ältere, deutsche Frauen ranmachen um sie zu heiraten und die deutsche Staatsangehörigkeit zu bekommen?! Und danach lassen sie sie fallen wie eine heiße Kartoffel! Ausländer schlagen bekanntlich sogar ihre deutschen Frauen und behandeln sie sehr schlecht und später heiraten sie dann sowieso nur eine gleichaltrige Frau aus demselben Land!)

„Ja, schön. Marokko, das klingt wirklich interessant.“ antworte ich und versuche meine Stimme begeistert klingen zu lassen. (Hundertprozentig hat er eigene Interessen und mit meiner totkranken Mama, die völlig ausgehungert ist nach etwas Liebe und Geborgenheit, hat er da leichtes Spiel! Aber nicht mit mir, Freundchen!)

Adil zündet sich jetzt eine Zigarette an und tauscht verliebte Blicke mit meiner Mama aus. Auch ich stecke mir jetzt eine Kippe in den Mund und gebe mir Mühe Adil so freundlich anzugrinsen, wie ich es nur kann. (Na warte, Freundchen!)

Ich nehme mir vor diesen Marokkaner die nächste Zeit noch genauer unter die Lupe zu nehmen, sobald sich für mich eine Gelegenheit dazu ergibt…

Spionage

Es vergehen zwar einige Tage bevor meine Mama endlich einmal vorhat mit ihrem neuen Macker die Wohnung zu verlassen (Frischverliebte verlassen ja bekanntlich so gut wie nie das Liebesnest, außer wenn sie mal einkaufen gehen müssen, da der Mensch ja nicht nur von Luft und Liebe leben kann!).

Aber dann ist sie endlich da: meine Gelegenheit!

Eines Abends ruft mich Mama an:

„Stell dir vor, morgen will er mit mir einen Ausflug machen! Wir werden nach München fahren und das Schloss Linderhof besichtigen und ein Picknick machen wir dort auch noch!“

„Ich freue mich ja so für dich! Hab einen schönen Tag morgen!“ wünsche ich ihr (Bleibt beide morgen nur so lang wie möglich fort!).

Am nächsten Tag lauere ich schon sehr früh, wie ein Geier auf Beutejagd, an meinem Fenster bis ich endlich beobachte wie Mama mit ihrem Marokkaner das Haus verlässt. (Na warte, Adil! Jetzt geht es gleich los!) Ich krame aus einer Schublade Mamas Zweitschlüssel hervor und atme nochmals tief durch. (Muss ich ein schlechtes Gewissen haben?)

Eigentlich hat Mama mir ja diesen Schlüssel schon seit längerem anvertraut, mit der Bitte, dass ich ihn nur benutzen soll wenn es mal einen Notfall geben sollte. (Ich muss zugeben, wahrscheinlich hat meine Mama das mit dem Notfall irgendwie anders gemeint, aber für mich ist ihre neue Beziehung ja auch ein absoluter Notfall! Also los!)

Also schlüpfe ich in meine Sneakers und verlasse schnurstracks meine Wohnung.

Nachdem ich Mamas Wohnung aufgesperrt habe schaue ich mich prüfend um.

Nach was ich genau suche, das weiß ich zwar selbst noch nicht so recht, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich in Kürze schon irgendeine Kellerleiche über diesen Adil entdecken und ans Tageslicht zerren werde… (Es muss sich doch hier irgendwo ein Beweis dafür finden lassen, dass er es nicht wirklich ernst mit meiner Mama meinen kann und dass er nicht gut genug für sie ist!)

Doch außer Adils Zigaretten-Maker, den dazugehörigen Papers und der Dose Tabak auf dem Wohnzimmertisch fällt mir zunächst einmal nichts Verdächtiges auf.

Als ich in das Schlafzimmer gebe fällt mein Blick sofort auf die vielen Klamotten, die Adil wahllos auf Mamas Ehebett platziert hat. (Wunderbar! Der Kerl scheint es ja ganz schön eilig gehabt zu haben irgendwo unterzukommen!)

Ich frage mich warum er denn wohl so überstürzt bei Mama eingezogen ist, schließlich kennen sie sich ja nun wirklich noch nicht so lange! (Eindeutig stimmt hier etwas nicht! Diese Sache stinkt mir gewaltig zum Himmel!)

Ich bemerke eine dicke Geldbörse, die aus einer von Adils vielen Hosen herausschaut.

Ich zögere kurz. (Soll ich oder soll ich nicht? Eigentlich tut man so was doch nicht!)

Ich will gerade wieder gehen, doch dann siegt sie doch, meine Neugier… (Ach was soll’s, der Zweck heiligt schließlich alle Mittel!)

Und es geht ja immerhin um den heiligen Zweck meine naive Mama möglicherweise vor einer großen Dummheit zu bewahren!

Ich greife also nach dem Geldbeutel und öffne ihn. Aber außer einigen Rabatt-Coupons für ein Fastfood-Restaurant und etwas Kleingeld finde ich zunächst mal nichts Auffälliges.

Als ich jedoch das zweite Fach öffne, entdecke ich Adils Ausweis, den ich sogleich genauestens studiere. (Sieh mal einer an, er ist marokkanischer Staatsbürger, geboren in Settat. Aber es gibt weder noch eine deutsche Staatsbürgerschaft, noch irgendeine Aufenthaltsbescheinigung.)

Ich bin mir absolut sicher, dass er meine Mama nur dazu braucht um die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen! (Wenn er demnächst auch noch heiraten will, dann weiß ich ja warum!) Doch es gibt da etwas, das mich noch viel stutziger macht als nur sein Ausweis: ein Foto fällt auf einmal aus dem Geldbeutel heraus.

Es ist ein Schwarzweiß-Foto, ein Ultraschallfoto - und es zeigt einen Fötus im Mutterleib.

Ich staune nicht schlecht, als ich auf der Rückseite des Fotos ein Datum entdecke das jemand mit einem Kugelschreiber notiert hat. Das Datum liegt sogar nur wenige Monate zurück.

(Sieh mal einer an, der Typ hat doch tatsächlich irgendeine Tussi geschwängert! Die Sache scheint ja noch viel schlimmer zu sein, als ich bisher angenommen habe!)

Nun bin ich hundertprozentig überzeugt davon, dass Mamas Lover Dreck am Stecken hat!

Der kann ja nichts Gescheites für eine Beziehung sein!

Denn meiner Ansicht nach gibt es nur eine einzige Möglichkeit, warum der Kerl das Foto eines Ultraschalls mit sich herumschleppt: er ist auch der Vater dieses Kindes!

Möglicherweise ist er also ein Heiratsschwindler und hat bereits schon eine Frau, mit der er auch zusammen dieses Kind hat oder er ist ganz einfach nur ein Arschloch der eine Andere geschwängert hat, dann abgehauen ist und bei meiner Mama sofort ein neues Nest gefunden hat! (Ja, so muss es sein! Deshalb hatte er es auch so dringend nötig gleich irgendwo unterzukommen!)

Beides scheint mir auf jeden Fall nicht gut für meine Mama zu sein. Ich denke auch nicht dass sie begeistert sein wird zu erfahren, dass der Kerl erst seit kurzem Vater geworden sein muss.

Mir fällt jetzt auch wieder ein, dass dieser Marokkaner ja davon weiß, dass meine Mama todkrank ist und sie in diesem Lebensstadium nicht nur alles an voreiligen Dummheiten mitmachen würde, sondern er sie auch sicherlich bald loshaben würde. Jedenfalls sobald er das von ihr bekommen haben wird, wonach er auch tatsächlich von Anfang an aus gewesen muss.

Ich bin wütend und lege den Geldbeutel hastig wieder genauso hin, wie er vorher gelegen hat. (Bloß keinen Verdacht schöpfen!)

Überstürzt eile ich aus Mamas Wohnung. (Ich habe genug gesehen!)

Mir ist bewusst, dass ich meine Mama so schnell wie möglich aufklären muss, sobald sie wieder von ihrem Ausflug zurück sein wird.

Sicherlich wird es für meine frischverliebte Mama nicht angenehm werden… (Die Ärmste, eine ganze Welt wird wohl für sie zusammenbrechen!)

Doch, wie heißt es bekanntlich so schön?

Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende!

Das denke doch zumindest ich...


Ein peinlicher Schuss in den Ofen

Am nächsten Morgen ruft Mama mich an.

Sie will mir unbedingt von ihrem Ausflug erzählen und so gehe ich, mit gemischten Gefühlen, zu ihr herüber.

„Ich hab Frühstück gemacht, Eier und Kaffee, greif zu!“ meint Mama gönnerhaft.

Ich schweige eine Weile und überlege wie ich ihr die Sache, dass Adil es auf gar keinen Fall ernst mit ihr meinen kann, am Schonendsten beibringen könnte. Währenddessen erzählt sie mir jedes auch noch so kleine Detail ihres gestrigen Ausflugs und muss dabei mal wieder vollkommen übertreiben. „Du tust ja gerade so als hättest du noch nie im Leben andere Männer gehabt!“ (So toll wie Mama tut kann doch gar kein Mann sein!)

„Adil ist etwas ganz besonderes, glaub mir!“ erwidert Mama und träumt vor sich hin.

„Und wo ist dein Adil jetzt?“ hake ich nach. „Oh, er musste noch dringend ein paar Dinge erledigen. Aber er wird nachher schon wieder kommen.“ winkt Mama schnell ab.

Doch ich bleibe hartnäckig. „Was denn genau für Dinge?“ Jetzt grinst Mama etwas naiv.

„Du, das weiß ich ehrlich gesagt nicht so genau, aber es sind wahrscheinlich sehr wichtige Dinge. Ich denke, dass er mir das schon noch erzählen wird.“

„Aha.“ gebe ich zur Antwort.

Ich frage mich was denn nur so wichtig sein kann, dass Adil so früh die Wohnung verlassen hat und sich die ganze Zeit irgendwo herumtreiben muss, ohne dass Mama auch nur die leiseste Ahnung davon hätte was genau er gerade tut.

(Ob er wohl gerade bei dieser Frau ist, die er geschwängert hat?) Doch Mama scheint das gar nicht zu interessieren, viel zu verfallen ist sie ihrem neuen Macker, alles muss sie durch eine rosarote Brille sehen! „Du, ich möchte dass du es als Erste erfährst.“ beginnt Mama jetzt und klatscht vergnügt in die Hände. Ohne überhaupt meine Reaktion abzuwarten prustet sie es auch schon heraus: „Adil und ich werden…heiraten! Toll, nicht?“

Jetzt bin ich wirklich baff. Nein, mit so einer Nachricht habe ich nun wirklich nicht gerechnet, vor allem nicht gar so schnell… „Wie bitte?“ (Ich muss mich wohl verhört haben!)

Doch Mama redet mal wieder in ihrer Begeisterung einfach weiter.

„Gestern hat er mich gefragt, ach, es war ja so romantisch! Er hat sich doch tatsächlich vor all den Leuten im Schlossgarten hingekniet und um meine Hand angehalten! Ein wahrer Prinz!“ „Aber so schnell? Ihr kennt euch doch noch kaum!“ protestiere ich.

Mama seufzt und schaute mich jetzt verständnislos an. „Bist du jetzt also neidisch, weil ich nun auch endlich einmal so ein Glück im Leben habe? Kind, ich kann doch auch nichts dafür dass deine Beziehungen nie klappen!“ (Das sie auch immer gleich so persönlich werden muss!)

„Das ist es ja gar nicht, Mama.“ besänftige ich sie. Doch meine Mama ist eben impulsiv und nun völlig aufgebracht. „Sag mal, warum gönnt ihr mir alle mein neues Glück einfach nicht? Du, Oma, deine Schwester…Was in aller Welt habt ihr nur gegen einen so wunderbaren Menschen, der in mein Leben gekehrt ist wie ein Engel?! Ich habe einfach nicht mehr viel Zeit, also lasst mich doch bitte endlich einmal so leben wie ich es möchte!“ Ich schlucke. „Mama, ich glaube, dass ich dir unbedingt etwas sagen muss…“ fange ich etwas zögernd an. (Ich glaube, jetzt ist es der richtige Augenblick um Mamas Unglück noch rechtzeitig abzuwehren…)

Überrascht starrt mich meine Mama nun an. „Und was wäre das?“

Also fasse ich mir ein Herz und beichte ihr, dass ich gestern in ihrer Wohnung gewesen bin und Adils Brieftasche durchwühlt habe.

Meine Mama kann es nicht glauben und der Schuss geht für mich nach hinten los.

„Du hast was?“ Völlig fassungslos schaut sie mir nun direkt in die Augen. „Sag mal…hast du einen Knall?!“ schimpft sie mich entsetzt. „Mama, versteh doch, er hat ein Kind! Es wird bald geboren und es ist von einer anderen Frau. Er kann es gar nicht ernst mit dir meinen! Dann auch noch der schnelle Heiratsantrag… Checkst du es denn einfach nicht? Es geht ihm doch nur um die Papiere, Mensch, Mama, wach doch endlich mal auf!“ Ich schreie sie schon fast an vor lauter Verzweiflung. Doch anstatt dass meine Mama endlich hellhörig wird, wie ich es mir eigentlich erwartet habe, wirft sie mich unverzüglich aus ihrer Wohnung heraus.

„Das ist wirklich eine richtige Frechheit, die du dir da erlaubt hast! Du hast mein Vertrauen echt missbraucht und ich will, dass du mir vorerst aus den Augen gehst!“

Mamas Stimme zittert so dermaßen vor Wut, dass ich eben gehe. (Die wird sich schon noch beruhigen, wenigstens weiß sie jetzt Bescheid.)

Abends klingelt dann mein Telefon. Es ist Mama, na endlich!

Sie will, dass ich sofort zu ihr rüberkomme, wir müssten reden. (Juhu, sie hat es endlich kapiert!)

Doch wider meiner Erwartung ist es Adil, der mir die Tür öffnet. (Hä? Was hat der denn noch hier zu suchen? Sollte Mama ihn denn nicht schon längst rausgeschmissen haben?)

Er schaut mich so eindringlich und traurig mit seinen grünen Augen an, ja schon vielmehr vorwurfsvoll, so dass ich auf einmal ein richtig schlechtes Gewissen kriege.

Doch im nächsten Moment schreite ich wieder selbstbewusst durch die Tür, ich habe mir ja nun wirklich nichts vorzuwerfen. (Was soll denn diese Show jetzt, die er hier noch abzieht?! Schließlich ist er es doch der meine Mama betrügt!)

Mama sitzt am Tisch und schweigt, während ich und Adil uns dazusetzen.

Er sitzt mir jetzt genau gegenüber und mustert mich noch einmal enttäuscht (was für eine Dramatik!), bevor er endlich mal anfängt Tacheles zu reden.

„Ich habe erfahren, du hast meine privaten Sachen durchwühlt?“ fragt er etwas dämlich. (Mir reicht es nun wirklich!)

„Ja, hab ich. Und es war gut, so wie es sich ja nun herausstellt!“ entgegne ich bestimmt.

Er seufzt und schaut mich schon wieder mit diesem treudoofen Hundeblick an.

„Ich bin wirklich enttäuscht von dir. Ich wollte dir vertrauen, weil ich weiß, dass du und deine Schwester deiner Mama wirklich sehr wichtig sind. Aber anstatt euch darüber zu freuen, dass ich eure Mama glücklich mache, seid ihr beide stets nur misstrauisch mir gegenüber und gibt mir nicht einmal die geringste Chance, dass auch wir Freunde werden können.“

Nun mischt auch meine Mama sich ins Gespräch ein. „Ja, so ist es auch immer wieder, gerade mit dir! Ich bin es wirklich leid, dass ihr alle meine Beziehung dauernd hinterfragt und uns auseinanderbringen wollt!“

„Na ja, ich kann deine Töchter aber auch irgendwo verstehen. Vielleicht würde ich auch so reagieren wenn auf einmal ein Fremder auftaucht und meine Mutter heiraten will… Kinder machen sich nun mal eben Sorgen um die Eltern.“ höre ich doch tatsächlich die Worte aus Adils Mund und ich schaue ihn verwundert an. (Warum ergreift er auf einmal Partei für mich? Spielen die beiden jetzt „böser Bulle, guter Bulle“ mit mir, oder was?!)

Ich lasse mich davon nicht beeindrucken. „Wessen Kind ist eigentlich auf dem Foto in deinem Geldbeutel? Und vor allem, von wem ist es?“ konfrontiere ich ihn ganz direkt.

Plötzlich bemerke ich, dass Adils Augen sich mit Tränen füllen. Schweigend sieht er mich an und wischt sich schnell mit dem Handrücken übers Gesicht. Er steht auf, um in einen anderen Raum zu gehen. „Musste das jetzt wieder sein?“ zischt mich Mama vorwurfsvoll an.

Etwas hilflos sitze ich nun mit Mama am Tisch und bin froh, als Adil nach ein paar Minuten wieder ins Wohnzimmer zurückkommt.

„Eigentlich geht es dich ja nichts an, aber das ist mein Kind!“ beginnt er das Geheimnis zu lüften. „Oder besser gesagt: es war mein Kind!“ fügt er noch hinzu.

„Oh…“ meine ich und weiß nicht mehr so recht, wie ich mich jetzt am besten verhalten soll. „Das Kind war von meiner Ex-Freundin, noch vor ein paar Monaten war ich mit ihr noch zusammen. Sie war ebenfalls eine Deutsche und alles, was ich mir immer gewünscht habe war eine eigene Familie zu gründen. In einem Land, dem es wirtschaftlich gut geht.

Eine Zukunft zu haben…“

Er schluckt und ich bemerke, wie schwer es ihm fällt über dieses Thema zu reden.

Ich habe auf einmal Mitleid mit ihm. „Was ist denn passiert?“ will ich nun wissen.

Adils Gesicht verfinstert sich. „Sie hat es einfach abgetrieben, ohne mein Wissen! Sie hat mich hintergangen. Sie war noch im Studium und sie sagte, dass sie sich jetzt kein Kind leisten könnte…Manche deutsche Frauen sind einfach so… gefühlskalt!“

„Das tut mir leid.“ sage ich ehrlich. (Oh weh, ich schäme mich auf einmal ehrlich so sehr dafür, dass ich mich ihm gegenüber gerade so verhalten habe. Ich habe da wohl in Dingen herumgeschnüffelt, die sehr persönlich sind und mich ja nun wirklich nichts angehen sollten…)

Mama steht jetzt auf und umarmt ihn.

„Bei mir wird so etwas nicht passieren, wir wollen immer ehrlich zueinander sein.“

Adil versucht jetzt zu lächeln.

„Ist schon okay, ich meine, ich kann deine Tochter ja irgendwo auch verstehen.

Es war ja auch alles völlig überstürzt wie wir uns kennengelernt haben und dass wir auch so schnell heiraten wollen.“ gibt er zu. Dann wendet er sich wieder an mich.

„Aber bitte glaube mir, Tina, ich habe mich wirklich in deine Mama verliebt, von Herzen!

Sie war mein Engel und ich ihrer, an einem Augenblick, wo wir uns beide verzweifelt und allein gefühlt haben.“

Ich nicke verständnisvoll und versuche ebenfalls zu lächeln.

„Ist schon gut, Adil. Mir tut es wirklich sehr leid, dass ich so misstrauisch war.“ (Und das meine ich auch ehrlich!)

Dann scheint er kurz zu überlegen ob er mir auch wirklich vertrauen kann, sieht mich nachdenklich an und sagt dann: „Das darf wirklich kein Mensch erfahren was ich dir jetzt sage, Tina. Verspreche es!“ Ich verspreche es.

„Ich bin illegal hier in Deutschland und ich bin auf der Flucht.“ gesteht er plötzlich und auch Mama schaut mich jetzt ernst an. „Ich vertraue es dir deshalb an, damit du siehst, dass ich wirklich mit offenen Karten spielen will.“ Mama schaut mich besorgt an.

„Keiner darf wissen, dass er bei mir ist, hörst du? Niemand!“ bittet sie mich.

Wieder nicke ich. „Okay.“

„Wenn sie mich finden, dann werde ich abgeschoben und ich und deine Mama werden uns wohl nie wieder sehen!“ erklärt Adil mir.

„Ist das auch der Grund warum du dich oft auch mal woanders herumtreibst?“ verstehe ich nun und Adil nickt. Er grinst jetzt schelmisch.

„Eigentlich hätte ich ja nichts mehr dagegen gehabt zurück nach Marokko zu gehen, nachdem ich festgestellt hatte, dass ich hier in Deutschland ja ohnehin nicht glücklich werden kann. Das wäre doch tatsächlich ein Freiflug für mich gewesen, den ich auch dankbar angenommen hätte. Aber dann bin ich dieser wundervollen Frau hier begegnet…“

Er gibt meiner Mama nun einen leidenschaftlichen Kuss und ich merke wie sehr sie dabei strahlt und wie glücklich sie beide sind. (Ich schäme mich ja so für meine Aktion!)

Insgeheim schwöre ich mir an diesem Abend, dass ich bestimmt nie wieder etwas gegen Mamas Beziehung unternehmen werde.

Eine happy Zeit

Je mehr ich Adil kennenlerne umso öfter stelle ich fest, dass er ein ausgezeichneter Koch ist!

„Ich habe immer wieder in allen Küchen der Gastronomie gejobbt, sogar auf einem Schiff nach Italien!“ behauptet Adil stolz, als er mir erklärt wo er schon überall herumgekommen ist. (Dafür bewundert ihn sicherlich nicht nur meine Mama...)

„Wow, das schmeckt ja ausgezeichnet!“ lobe ich ihn jedes Mal, wenn ich mal wieder bei Mama und ihm zum Essen eingeladen bin.

Von pochierten Eiern zum Frühstück bis hin zu leckeren Hähnchengerichten – Adil hat es drauf! Manchmal wirkt er auch geistesabwesend und man merkt, dass ihm viele Sorgen durch den Kopf gehen, aber das hält ihn keinesfalls davon ab stets einen Witz zu machen oder einen frechen Spruch loszulassen um meine Mama und mich aufzubauen. (Seine Lieblingsfrage ist ständig „Ist das nicht lieb?!“, sobald er meiner Mama etwas Gutes getan hat und sie lacht dann stets und verbessert ihn: „Das heißt aber: Ist das nicht schön?“)

Auch ich habe mit der Zeit endlich einmal wieder einen neuen Freund: Vitalij heißt er und er ist ein jüdischer Russlanddeutscher (Ich bevorzuge mehr die osteuropäischen Männer, im Gegensatz zu Mama.).

Doch leider war ich in punkto Beziehungen ja noch nie so wirklich ein Glückspilz, denn schon wieder hat meine neue Beziehung gleich zwei Haken:

Erstens einmal habe ich von Vitalij erfahren, dass er in einer völlig anderen Stadt studiert und unsere Beziehung so auf eine Fernbeziehung herausläuft (Natürlich hat er mir das erst gebeichtet, nachdem ich mich schon auf ihn eingelassen hatte! Und ich werde in dieser Beziehung wohl mehr mit Briefeschreiben beschäftigt sein als mit Liebe machen!), und zweitens ist Vitalij angehender Arzt und experimentiert leidenschaftlich gern mit Urin (Diese Leidenschaft kann ich ganz und gar nicht teilen!). Vor allem der Morgenurin hat es ihm angetan, den er immer sofort nach dem Aufstehen gurgelt!

„Das solltest du unbedingt auch ein paarmal machen, Tina, es ist gut gegen Bakterien und Viren in der Mundschleimhaut! Man braucht wirklich keine anderen Medikamente, wenn man auf diese Weise vorbeugen kann.“ meint Vitalij stets dazu und klingt so stolz, als habe er damit die Entdeckung des Jahrhunderts gemacht.

Ich lehne dann immer dankend ab und muss mich immer wieder neu dazu überwinden, ihn danach auch noch zu küssen… (Ich gebe zu, der einzige Tipp von Vitalij, den er mir mal gegeben hat und den ich doch tatsächlich schon einmal ausprobiert habe ist, dass ich den Morgenurin auf die Augenringe einklopfe und man so sofort frisch ausschaut…)

Eines Tages, ich nehme gerade mal wieder Abschied von Vitalij der für längere Zeit wieder in der anderen Stadt studieren wird, klingelt meine Mama völlig unerwartet, mit einem Kochtopf in den Händen, an der Tür.

„Guck mal, das hat Adil vorher gekocht: Spaghetti Bolognese auf marokkanische Art, mit frischen Oliven und Gemüse! Er will, dass du auch etwas davon probierst und ihm deine ehrliche Meinung mitteilst, ob es dir auch so gut geschmeckt hat wie mir.“

Mama zwinkert mir aufmunternd zu als sie mir den Topf übergibt und Vitalij sieht.

„Hm, wie das schon duftet! Lecker!“ schwärme ich dankbar.

„Na, ich störe dann mal nicht weiter. Tschüss ihr beiden!“ verabschiedet Mama sich gleich wieder und geht.

„Wie nett ist das denn! Magst du auch noch etwas davon?“ biete ich Vitalij an.

Doch der schüttelt nur angewidert den Kopf. „Nö, von einem Araber esse ich nichts, nein danke!“ Ich schaue ihn fragend an. „Wieso das denn?“ will ich wissen.

„Du weißt doch, dass ich Jude bin und keine Moslems mag! Und ich esse auch nichts von einem Moslem!“ ist seine entschiedene Antwort.

„Hat unser Rabbiner nicht am letzten Schabbat-Gottesdienst gesagt, dass Gott am Anfang den Mensch erschaffen hat und nicht die Moslems, Juden, Christen und so weiter? Dass solche Dinge erst später hinzukamen?“ appelliere ich an sein Gewissen.

Vitalij schweigt. „Was ist los?“ hake ich nach. Er zuckt mit den Achseln. „Na ja, der Rabbiner hat aber auch gesagt, dass wenn wir nichts Gutes über eine Person sagen können, dann sollen wir lieber gar nichts sagen. Und außerdem hat der Rabbiner ja auch noch andere Dinge gesagt, wie dass das Rauchen dem Körper schadet.“ spielt er jetzt auf mich an. (Ich will mich aber nicht darauf einlassen, echt keine Lust!)

„Na, dann halt eben nicht! Dann bleibt mir eben mehr.“ gebe ich etwas schroff zurück.

Vitalij schaut jetzt auf seine Uhr. „Du, ich muss auch schon wieder los, wenn ich den Zug kriegen will!“ Er gibt mir noch einen Kuss und weg ist er.

Enttäuscht schaue ich ihm aus dem Fenster nach. (Auch toll eine neue Beziehung zu haben, wenn ich dann doch wieder allein essen muss!)

Doch ich mach mir nichts draus und gehe eben zu Mama herüber um doch nicht allein essen zu müssen.

So ergibt es sich ganz von selbst, dass ich fast täglich bei Mama und Adil esse und ich ihren Neuen immer noch besser kennenlerne.

Auf diese Weise stellt sich bald heraus, dass Adil und ich sogar noch viel mehrere Gemeinsamkeiten teilen als nur das leckere Essen allein:

beide trinken wir leidenschaftlich gerne Rotwein, spielen gerne strategische Brettspiele und lieben es uns über tiefsinnige Themen zu unterhalten und darüber stundenlang zu diskutieren. (Meine Mama sitzt meistens dabei und hört interessiert zu.)

So kommt es, dass Adil eines Tages einen ausgezeichneten Rotwein anschleppt.

„Diesmal hab ich uns einen guten Italiener zum Essen mitgebracht, einen Bardolino!“ zwinkert Adil mir zu und schenkt mir ein. Ich probiere und bin hin und weg:

das vollmundige Aroma süßer Trauben harmoniert ja perfekt mit dem herben, holzigen Nachgeschmack. „Der geht echt runter wie Öl!“ gebe ich mein Kompliment ab.

Adil freut sich über seine gute Wahl.

„Na ja, ich hoffe doch nicht zu gut und ihr werdet noch betrunken!“ gibt Mama, die neben mir sitzt und nicht mittrinkt, ihren Senf dazu. „Mach dir keine Sorgen, meine Liebe!“ muntert Adil sie augenzwinkernd auf und verschwindet wieder in der Küche, aus der es herrlich nach orientalischen Gewürzen duftet. „Meine Damen, gleich ist das Essen fertig!“ ruft er uns fröhlich aus der Küche zu. „Die Bolognese die du vor einigen Tagen gekocht hast waren oberlecker!“ lobe ich Adil noch nachträglich. „Und haben sie deinem Freund auch geschmeckt?“ will er nun wissen. (Oh weh, soll ich ihm jetzt wirklich die Wahrheit sagen?)

„Mein Freund, er ist Jude wie du weißt, wollte leider nichts von dir essen. Tut mir leid, er ist da einfach etwas eigens.“ gestehe ich ehrlich. „Aber für mich war dein Essen ein wahres Gedicht, ehrlich!“ (Ich habe irgendwann mal gelernt, dass man schlechte Nachrichten am besten immer so verpackt, dass sie mit einem Kompliment enden…)

Adil wirkt nun etwas enttäuscht. „Na ja, schade, aber da kann man eben auch nichts machen.“ meint er dann achselzuckend (Ich merke, dass diese Nachricht ihn innerlich ganz schön getroffen hat.) „Sag mal, was ist denn da eigentlich immer los mit den Moslems und Juden?“ fange ich da ein ziemlich heikles Thema an.

Adil runzelt nachdenklich die Stirn. „Es ist immer wieder das alte Thema wegen Jerusalem, der heiligen Stadt und es geht auch immer noch darum wem das Land gehört…Eigentlich traurig, denn ob im Koran, in der Thora oder in der Bibel, überall steht im Grunde doch das Gleiche drin und das wir alle Brüder und Schwestern sind. Doch jeder denkt er hat die einzige Wahrheit gepachtet und der andere ist eben ein Ungläubiger.“ seufzt Adil.

Er schaut mich ernst an. „Für mich ist jeder Mensch ein Mensch und wir alle haben das gleiche Blut! Sicherlich gibt es Abweichungen im Glauben, aber auch bei uns Moslems spricht Gott nie davon, dass er unnötiges Blutvergießen liebt! Ich denke, dass es auch schon längst nicht mehr um den ehemaligen Grund, den Gebietsanspruch, allein geht, der gerne als Auslöser hergenommen wird. Die Menschen haben sich gegenseitig einfach schon viel zu viel angetan und es ist schwer jemals wieder einen Frieden herzustellen, da jeder immer wieder ein Unrecht mit einem anderen Unrecht vergelten will.“

„Und was ist mit den Terroristen, den extremen Moslems, die sich dauernd in die Luft sprengen?“ will ich nun von ihm wissen.