Kinderwunsch 3.0
Berichte aus der Tabuzone
Dr. Patricia Faas
Wer heute an moderne Fortpflanzungsmedizin denkt,
sieht vor seinem inneren Auge in Kulturschalen gelagerte Eizellen und sterile Labors, in denen Stickstoffnebel wabern. Vermummtes medizinisches Personal bewegt sich lautlos und vorsichtig zwischen Mikroskop und Brutschrank hin und her, Reagenzgläser mit künstlich befruchteten Embryonen in den Händen.
Für die meisten Menschen, die sich ein Kind wünschen, ist das eine befremdliche Vorstellung.
Seit einiger Zeit gibt es in den Medien eine ausführliche Berichterstattung zum Thema Unfruchtbarkeit und ihrer Behandlung. Es kursieren Schlagwörter wie künstliche Befruchtung, ICSI, Geschlechterselektion, Auswahl von Embryonen und Social Freezing, ganz so, als sei die Fortpflanzungsmedizin dafür da, einem in der Regel zahlungskräftigen Zielpublikum einen bestimmten Lebensstil – Elternschaft als Teil eines anspruchsvollen Lebensplans – und dazu noch wunschgemäss designte Nachkommen zu ermöglichen.
Meine Erfahrung als praktizierende Gynäkologin mit Schwerpunkt Fortpflanzungsmedizin sieht jedoch anders aus. Paare, die sich fürs Nachhelfen beim Kinderkriegen entscheiden, haben meist keine andere Wahl und nur einen Wunsch: überhaupt ein Kind in die Welt zu setzen, nach Möglichkeit ein gesundes. Geschlechterselektion ist kein Thema, in der Schweiz und in Deutschland ohnehin nicht erlaubt. In den seltensten Fällen sind Lifestyle-Gründe für die Behandlung verantwortlich, auch wenn einige Berichte in den Medien das gern nahelegen möchten. Meist wird darin das Bild der anspruchsvollen, urbanen Kundschaft gezeichnet, die sich mit all den medizinischen Möglichkeiten ein Designerbaby im Labor zurechtschneidern lassen möchte.
Aus meiner Sicht ist es Zeit, nicht nur über kinderlose Paare zu sprechen, sondern mit ihnen. Kaum ein Paar begibt sich freiwillig in reproduktionsmedizinische Behandlung. Häufig wird mit diesem Schritt sehr lange gewartet. Das Schweizer Register für assistierte Fortpflanzung, FIVNAT, gibt in seinem neuesten Jahresbericht mit Daten aus dem Jahr 2016 das Durchschnittsalter der Frauen, die sich einer In-vitro-Fertilisation unterziehen, mit 36,3 (1), das Deutsche IVF-Register, DIR, im Jahrbuch 2017 mit 35,7 Jahren (2) an.
Auch Frauen, die ihre Eizellen einfrieren lassen, treibt meist nicht freudige Sorglosigkeit zur Beratung, sondern die Befürchtung, zu dem Zeitpunkt, zu welchem sie eine Familie gründen können oder wollen, eventuell bereits unfruchtbar zu sein. Mitunter leiden sie an einer schweren Erkrankung, die sie veranlasst, Eizellen für ein oftmals hypothetisches Danach aufzubewahren. In vielen Fällen fehlt Frauen im gebärfähigen Alter auch einfach der richtige Mann fürs Leben.
Wie geht es den Frauen und Männern, wenn es nicht klappt? Wie tasten sie sich an die lebensbestimmenden Entscheidungen heran, die ihnen abverlangt werden, wenn die Reproduktionsmedizin den Hebel ansetzt? Was passiert in der eigenen Gefühlswelt, was mit dem Verhältnis zum Partner? Wie offen kann man mit Freunden, Freundinnen und Familie über Unfruchtbarkeit sprechen? Wie lebt man weiter, wenn man sich trotz aller medizinischer Hilfe seinen Kinderwunsch nicht erfüllen kann?
Was berichten Frauen über das Konservieren ihrer Eizellen?
Darum geht es in diesem Interviewband.
Es kommen Frauen und Paare zu Wort, die über ihre Erfahrung mit künstlicher Befruchtung berichten: bei denen es geklappt hat oder auch nicht, die sich für Adoption oder Eizellspende entschieden oder den Kinderwunsch aufgegeben haben, die schlussendlich spontan schwanger geworden oder kinderlos geblieben sind. Zwei Frauen haben aus unterschiedlichen Gründen ihre Eizellen vorsorglich einfrieren lassen und berichten darüber.
Sie leben in der Schweiz oder in Deutschland, auf dem Land genauso wie in der Stadt.
Die Idee zu diesem Buch kam mir im Laufe der Jahre, in denen ich Paare mit Kinderwunsch beraten und behandelt habe. Wer kurz davor steht, sich einer In-vitro-Fertilisation zu unterziehen oder wer die Einpflanzung einer gespendeten Eizelle erwägt, hat oft Schwierigkeiten, an nicht-technische Informationen zu diesem Thema heranzukommen oder mit jemandem zu sprechen, der ähnliche Erfahrungen gemacht hat. Das liegt auch daran, dass man sich über Unfruchtbarkeit nicht so einfach austauschen kann.
In etwa fünfzehn Prozent der Bevölkerung sind im Laufe ihres Lebens mit Unfruchtbarkeit konfrontiert. Sobald man selbst betroffen ist, steigt der Bedarf an Information sprunghaft an. Gleichzeitig wird es für viele betroffene Paare schwierig, sich miteinander über dieses Thema auszutauschen. In unserer Gesellschaft sprechen wir heute locker über Transsexualität und homosexuelle Partnerschaften, über Libido und Sexualpraktiken, aber sobald ein unerfüllter Kinderwunsch im Raum steht, fehlen uns dafür oft die Worte. Sterilität ist häufig noch immer ein Tabu.
Der Wunsch nach einem Kind ist eine sehr private Angelegenheit, eine Sache zwischen zwei Menschen, Mann und Frau, intim, miteinander geteilt, ein tiefes, biologisch verankertes Verlangen, das eine gewaltige Wucht besitzt.
Wenn «es» klappt, spricht niemand darüber, ist es selbstverständlich. Wenn nicht, fühlen sich viele Betroffene mit diesem Thema allein.
Gleichzeitig zeigt es sich, dass Kinderwunsch und Kinderwunschbehandlung sehr viel mehr als rein private Themen sind, sogar weitreichende politische und ethische Dimensionen besitzen. Kaum eine medizinische Prozedur ist so stark gesetzlich geregelt wie der Umgang mit Keimzellen. Was in einem Land erlaubt ist, ist ein paar Kilometer weiter, jenseits der Landesgrenze, verboten. Diese unterschiedlichen gesetzlichen Realitäten, die moralischen Bewertungen und die daraus entstehenden Verunsicherungen schwingen in den meisten hier geschilderten Geschichten mit, manche werden sogar sehr stark davon geprägt.
Anhand der Berichte wird auch offensichtlich, wie unterschiedlich die finanzielle Regelung durch die Krankenversicherungssysteme ist. Wird in Deutschland unter Umständen geheiratet, damit die Krankenkasse eine In-vitro-Behandlung mitfinanziert, ist die Erstattung der IVF-Kosten in der Schweiz, ganz unabhängig vom Zivilstatus, prinzipiell ausgeschlossen. In Österreich gibt es einen Nationalfonds, der unter bestimmten Voraussetzungen die Finanzierung mitträgt.
Die von mir befragten Paare äussern sich auch zum Stellenwert der Familie, zur Stellung von Mann und Frau in der Gesellschaft und in der Partnerschaft und zu ihrem persönlichen Wertgefühl – mit Kindern oder ohne.
Ein Interviewband kann natürlich nicht alle Fragen beantworten. Aber er kann versuchen, einen Teil der Informationslücke zu schliessen. Die Frauen und Paare, die hier zu Wort kommen, haben in grosser Offenheit über ihre Erfahrungen, Gefühle und Lösungen berichtet. Die meisten waren begeistert von diesem Projekt, weil sie sich selbst so ein Buch gewünscht hätten, als sie auf der Suche nach Information waren. Insofern ist dies hier auch ein Mutmacher-Buch. Die Geschichten zeigen: Die anfängliche Überforderung mit der Problematik kanalisiert sich, die Verwirrung über die verschiedenen Möglichkeiten lichtet sich. Es geht weiter mit dem eigenen Leben. Jedes Paar findet seinen Weg.
Das Buch spart gleichgeschlechtliche Paare, Paare mit Samenspende und auch Frauen, die mittels Samenspende Mutter werden wollen, bewusst aus, denn dazu gibt es bereits entsprechende Literatur.
Ich bedanke mich von ganzem Herzen bei den Frauen und Männern, deren Geschichten ich erfahren und aufzeichnen durfte, für ihr Vertrauen und die Nähe.
Die Gespräche mit ihnen haben einen grossen Eindruck bei mir hinterlassen. Sicher tragen sie auch zu meinem eigenen, noch bewussteren, Umgang mit der Problematik bei. Selbstverständlich wurden Namen, Wohnort und Berufe von allen Befragten so verändert, so dass keine Rückschlüsse auf die jeweiligen Personen möglich sind, sofern sie nicht ohnehin im Schutz der Anonymität berichtet haben.
Am Ende des Buches befindet sich ein Glossar, damit Leser und Leserinnen die im Text kursiv hervorgehobenen Fachausdrücke für eine Erläuterung nachschlagen können.
Dr. med. Patricia Faas-Fehervary
Viele Jahre lang hatte ich von Kinderwunschbehandlung keine Ahnung. Klar, ich wusste, dass es so etwas gibt, mehr aber auch nicht. Interessiert hat es mich auch nicht besonders. Man beschäftigt sich erst dann mit dem Thema, wenn es soweit ist. Zumindest habe ich das so erlebt.
Bei mir hatten eigene Kinder zu meinem Lebenskonzept dazugehört, seit ich denken kann. Trotzdem hat es sehr lange nicht in mein Leben gepasst, Mutter zu werden.
Es hat eben gedauert, bis ich den richtigen Partner gefunden hatte. Es waren nicht nur das lange Studium und der Job, in erster Linie fehlte der Mann, mit dem eine eigene Familie überhaupt möglich wäre. Auf einmal gab es dann einen Mann in meinem Leben, Marc, ihn hätte ich mir durchaus als Vater meiner Kinder vorstellen können. Marc hatte aber bereits Nachwuchs, gleich mehrere Kinder aus seiner Ehe, die noch nicht geschieden war. Für mich wäre das kein Problem gewesen, für ihn war es eins. Er wollte auf keinen Fall weitere Nachkommen.
Nachdem mir richtig klargeworden war, was das bedeutet, habe ich mich ziemlich schnell aus der Beziehung verabschiedet. Es war vor allem die Vorstellung, an seiner Seite immer eine kinderlose Frau, das heisst, eine Frau zweiter Klasse zu sein. Diese Wertigkeit war für mich deutlich spürbar: Eine Frau mit Kindern ist immer mehr wert als eine kinderlose.
Ich wollte als Frau nicht in der zweiten Reihe stehen, auf ewig hinter der Ex und ihren Bedürfnissen, die wegen der Kinder immer in unserer Beziehung präsent wäre und – ebenfalls wegen der Kinder – immer mehr wert sein würde als ich.
Dann traf ich Daniel, kurz vor meinem 37. Geburtstag. Er war am Beginn unserer Beziehung ziemlich zurückhaltend, weil er noch nie eine lange Partnerschaft erlebt hatte. Beziehungen waren bei ihm bisher immer nach relativ kurzer Zeit wieder auseinandergegangen. Daher waren Kinder für ihn überhaupt kein Thema. Ich hingegen hörte die biologische Uhr ticken. Ich habe meinen Kinderwunsch in unserem ersten Beziehungsjahr vorsichtig immer wieder erwähnt, wohldosiert, um ihn nicht zu erschrecken. Nach etwa einem Jahr liess sich Daniel dann breitschlagen, die Verhütung abzusetzen. Das hätten wir auch schon früher machen können, denn es passierte nichts, rein gar nichts. Jeden Monat setzte mit frustrierender Pünktlichkeit die Blutung ein.
Ich bin dann zu meinem Frauenarzt gegangen, der zwei Mal den Zyklus kontrolliert hat. Er stellte dabei fest, dass alles normal ist und ich jeden Monat einen Eisprung hatte. Inzwischen war ich 38. Aufgrund meines Alters überwies er mich direkt an einen Reproduktionsmediziner. Für mich kam das überraschend. War das nicht viel zu früh? Wir hatten doch gerade erst ein halbes Jahr probiert, ein Kind zu zeugen.
Obwohl ich sonst mit meinen engen Freundinnen über viele Dinge sprechen kann, war das bei der Kinderlosigkeit anders. Es fühlte sich von der ersten Sekunde so an, als ob man über dieses Thema weder mit Freunden noch mit Familie richtig reden könne. Als ich die Überweisung für das Kinderwunschzentrum in den Händen hielt, fühlte ich mich überrumpelt. Ich war ziemlich skeptisch, ob wir diesen Schritt wirklich schon wagen sollten. Also überwand ich mich und versuchte, mit meiner besten Freundin allgemein über meine Angst zu sprechen, dass «es» nicht klappen könnte. Sie hatte zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Kinder, Teenager inzwischen, und konnte meine Befürchtungen gar nicht verstehen. Für sie war völlig klar, dass es bei mir mit einer Schwangerschaft funktionieren würde. Ihre Erfahrungen waren auch andere. Sie selbst war immer sehr schnell schwanger geworden. «Ausserdem», sagte sie, «wo liegt denn das Problem? Wenn es nicht natürlich geht, dann eben mit Behandlung. Damit klappt es immer, heutzutage.»
Nach dem Gespräch mit meiner Freundin fühlte ich mich noch einsamer als vorher, und mir wurde schmerzhaft bewusst, dass ich mich ihr mit diesem Thema nicht weiter anvertrauen konnte. Jetzt, wo das alles meilenweit hinter mir liegt, wundere ich mich, wie gross das Unwissen über die wenigen fruchtbaren Jahre von uns Frauen in der Bevölkerung ist, und ich frage mich, warum die Chancen auf eine erfolgreiche Kinderwunschbehandlung viel zu hoch eingeschätzt werden. Es entspricht leider nicht den Tatsachen, dass aus jeder Behandlung ein Baby resultiert.
Ich habe dann letztendlich Simone, meine Freundin aus Kindertagen, angerufen. Sie ist Ärztin. Simone hat mir geraten, einen naturheilkundlichen Arzt aufzusuchen, was ich auch tat. Ich bin absolut nicht esoterisch veranlagt, darum habe ich mich auch nicht gewundert, dass die von diesem Arzt durchgeführte Eigenblut-Therapie zu keiner Schwangerschaft geführt hat. Aber immerhin war ich jetzt so weit, einen Spezialisten zu konsultieren.
Der erste Termin in der Kinderwunschklinik war seltsam. Ich kann mich noch genau an dieses flaue Gefühl erinnern, das ich hatte. Daniel wollte erst gar nicht mitkommen, aber die Klinik hatte empfohlen, dass beim ersten Gespräch beide Partner anwesend sind.
Widerstrebend hat er sich gefügt. Während wir im Wartezimmer sassen, spürte ich einen immensen Abstand zwischen Daniel und mir.
Der Arzt, der uns betreute, war erfahren und angenehm, aber das Gespräch mit ihm war ein Schock. Er teilte uns sehr direkt mit, dass unsere Chancen auf ein eigenes Kind minimal seien, und zwar aufgrund der schlechten Spermien von Daniel und meinem fortgeschrittenen Alter. Klar, ich war Ende dreissig, aber mein Lebensgefühl war zu jenem Zeitpunkt ein völlig anderes. Ich kam mir noch jung und eher studentisch vor. Unser Lebensstil war jugendlich und lässig und orientierte sich eher am Lustprinzip als am Bausparvertrag. Und da sass uns dieser Experte gegenüber, der uns deutlich machte, dass ich am Ende meiner fruchtbaren Jahre angelangt war. Das hat gesessen.
Der Arzt empfahl uns ohne weitere Umschweife eine künstliche Befruchtung. Damit hatten wir beide nicht gerechnet. Der Begriff war uns bekannt, aber was er bedeutete, wussten weder Daniel noch ich.
Eine künstliche Befruchtung oder In-vitro-Fertilisation kam für mich erst einmal nicht in Frage, für Daniel schon gar nicht. Er knabberte noch daran, dass sein Spermienbefund auffällig war. Wahrscheinlich hat er das als Affront gegen seine Männlichkeit gesehen, vermutlich war auch Scham dabei. Er hat nie wirklich darüber gesprochen. Aber ich habe es gespürt.
Überhaupt wurde Daniel jetzt zum grössten Problem für mich. Er war am Anfang total gegen jede Art von Behandlung. Der Arzt hatte uns anfangs eine etwas natürlichere Therapie vorgeschlagen, eine Insemination im normalen Zyklus ohne Hormoneinnahme. Daniels Part wäre nur die Spermienabgabe zum richtigen Zeitpunkt gewesen, aber auch das wollte er erst einmal nicht. Er war ein richtiger Bremsklotz.
Gott sei Dank bin ich ein ziemlich geduldiger Mensch, vor allem gegenüber anderen, das ist wirklich eine meiner Stärken. Mit meiner Salamitaktik habe mich ihm langsam angenähert und es dann geschafft, dass er für einen Behandlungsversuch bereit war. Der Arzt hatte zwar angedeutet, dass die Insemination, also das Einspritzen von Spermien in die Gebärmutter, nur eine ganz geringe Erfolgschance habe, aber das war egal. Zu diesem Schritt war Daniel bereit, und das haben wir dann auch zwei Mal versucht.
Im Nachhinein muss ich sagen, dass ich den Stress, der mit der Behandlung einsetzte, völlig unterschätzt habe. Meine berufliche Situation war schwierig, und deswegen war ich schon extrem angespannt und deprimiert. Dazu kam nun noch die Belastung durch die vielen sehr kurzfristig angesetzten Arzttermine, die kaum unterzubringen waren. Vor halb neun am Morgen gab es in der Praxis keinen Termin und am Abend, nach Dienstschluss, auch nicht. Wie sollte ich mich immer mit einer Entschuldigung aus dem Büro schleichen? Das machte mir richtig Druck.
Und dann setzte leider nach beiden Inseminationen pünktlich die Blutung ein. Ich habe das als noch schlimmer empfunden als in der Zeit, bevor wir mit den Behandlungen begonnen hatten. Mir war vom Verstand her klar, dass die Chance auf eine Schwangerschaft auch mit der Insemination gering war, aber an dieses Fünkchen Hoffnung klammerte ich mich Monat für Monat.
Normalerweise bin ich psychisch ziemlich stabil, mich bringt so schnell nichts aus der Ruhe, auch nicht schwere Belastungen. Darum hätte ich auch vorher nie gedacht, dass mir die erfolglosen Versuche so viel ausmachen könnten. Mit meiner Trauer und meinem Aufgewühltsein nach jedem erfolglos verstrichenen Monat war ich ziemlich allein. Jetzt empfand ich meine aussichtslose Situation am Arbeitsplatz fast schon als Glücksfall. Wenn mich jemand fragte, was mit mir los sei, konnte ich es einfach auf meinen Vorgesetzten schieben. Das reichte allen als Erklärung für meine depressive Stimmung.
Ich war fast so weit, die Segel zu streichen und meinen Kinderwunsch aufzugeben. Simone bestärkte mich dann, dass wir doch eine In-vitro-Fertilisation erwägen sollten, weil diese Form der Behandlung sehr viel mehr erfolgversprechender sei. Vorher sollte man ihrer Meinung nach nicht ans Aufhören denken.
Die künstliche Befruchtung war dann noch einmal ein Riesenschritt für uns.
Ich hatte vor allem grossen Respekt vor der nötigen Selbstbehandlung mit den Spritzen. Am Anfang konnte ich mir nicht vorstellen, mich selbst täglich zu spritzen. Ausserdem hatte ich Angst vor einer Überstimulation meiner Eierstöcke. Das beschreibt ja jeder ärztliche Aufklärungsbogen als eines der Hauptrisiken. Schliesslich führt man dem Körper riesige Hormonmengen zu, was alles andere als normal ist.
Sollte man das Schicksal überhaupt derartig herausfordern? Oder sich nicht besser mit dem begnügen, was man so hat im Leben?
Und dann war da auch noch die Vollnarkose. Auch so etwas hatte ich bisher noch nicht erlebt. Ich war immer gesund gewesen, es würde das erste Mal sein, und ich hatte keine Ahnung, wie mein Körper darauf reagieren würde. Trotz aller Unsicherheit verzichtete ich komplett auf eigenes Surfen im Internet. Ich besuchte keine Blogs und verliess mich ausschliesslich auf die Informationen, die mir der Arzt gab.
Die In-vitro-Fertilisation hatte aber noch eine ganz andere Auswirkung: wir heirateten. Man hatte uns vorher darüber aufgeklärt, dass die Krankenkassen in Deutschland die Behandlung nur bei Ehepaaren bezahlen. Ich will nicht gerade sagen, dass wir sonst überhaupt nicht geheiratet hätten, aber das Finanzielle spielte tatsächlich eine Rolle. Die Behandlung kostet ja auch einen ordentlichen Batzen Geld. Auf jeden Fall hat sie unseren Schritt vor den Traualtar beschleunigt.
Gott sei Dank erwiesen sich alle Bedenken, die ich noch vor dem Start der Therapie gehabt hatte, als unbegründet. Die Stimulation mit den Hormonen und auch der operative Eingriff verliefen unkompliziert. Ich merkte die Medikamente überhaupt nicht in meinem Körper. Ich fühlte mich wie immer. Es wurden dann tatsächlich fünfzehn Eizellen gewonnen, und es fand auch eine Befruchtung statt. Man konnte sogar einige befruchtete Eizellen einfrieren, falls es nicht direkt klappen sollte.
Mir wurden einige Tage später zwei Embryonen eingesetzt. Danach hiess es zwei Wochen warten. In der Zwischenzeit gab es noch eine etwas unverständliche Computerauswertung der Kinderwunschklinik, welche unsere Chance auf eine Schwangerschaft ausrechnete. Bei uns wurde die Chance als gering bewertet, das Eintreten einer Schwangerschaft war also sehr unwahrscheinlich. Und so kam es dann auch.
Das war noch einmal ein Tiefschlag, der negative Schwangerschaftstest und das Schweigen darüber. Daniel und ich hatten abgemacht, dass ausser uns von diesem Schritt wirklich niemand etwas erfahren sollte, nicht einmal die Menschen, die schon wussten, dass wir in Behandlung waren. Das ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite ist es angenehm, dass man niemandem mitteilen muss, dass es nicht geklappt hat. Andererseits kann man sich aber auch keinem anvertrauen, selbst wenn man sich das wünscht. So hockten wir erst einmal mit unserer Enttäuschung aufeinander.
Wir brauchten nach der misslungenen IVF-Behandlung eine Pause. Von den vielen geernteten Eizellen hatten sich zwar nur wenige befruchten lassen, aber zum Glück hatten wir noch befruchtete Eizellen für wenigstens einen Auftauzyklus eingefroren.
Als wir dann so weit waren, noch einmal zu starten, bekam ich eine leichte hormonelle Vorbehandlung, die ich ebenfalls gut vertrug. Da wir keine Eizellen ernten mussten, waren keine Spritzen nötig. Am Wochenende vor dem geplanten Transfer halfen wir meinem Schwager beim Hausabbruch. Ich hatte mich richtig darauf gefreut und legte mich voll ins Zeug. Ich glaube, das war eine lang ersehnte Gelegenheit, mich richtig abzureagieren, den ganzen aufgestauten Frust einmal loszuwerden. Wahrscheinlich bin ich etwas zu wild vorgegangen. Jedenfalls passte ich nicht auf, weswegen mir ein grosser Mauerbrocken direkt auf den Rücken fiel. Kurz darauf konnte ich vor Schmerzen nur noch krumm gehen. Daniel drängte mich dazu, einen Notfallarzt aufzusuchen. Der Arzt gab mir schmerzstillende Medikamente. Aber da ich auf gar keinen Fall das Eintreten einer Schwangerschaft durch unvorsichtiges, falsches Verhalten von meiner Seite gefährden wollte, nahm ich das Medikament nicht. Ich konnte mich zwar kaum noch bewegen, aber ich biss die Zähne zusammen. Irgendwann würde es schon wieder besser werden.
Und ich wurde belohnt: Eine Schwangerschaft trat ein, mit der letzten eingefrorenen, befruchteten Eizelle, die noch vorhanden war. Es war ein wirkliches Wunder. Vor allem ein Moment bleibt für mich unvergesslich: als mein Frauenarzt zwei Wochen nach dem positiven Schwangerschaftstest im Ultraschall auf einen kleinen, weissen Punkt deutete, der fest vor sich hin pulsierte. Das kleine Herz hatte zu schlagen begonnen.
Inzwischen war ich über vierzig Jahre alt, es stellte sich daher die Frage, ob wir das Ungeborene genauer auf genetische Erkrankungen untersuchen wollten. Daniel und ich einigten uns auf den Ersttrimestertest, bei dem ein Ultraschall durchgeführt wird, um festzustellen, ob die Nackenfalte des Babys verdickt ist und eine Blutprobe von mir entnommen wird. Alles war ok. Darüber hinaus wollte ich keine spezielle weitergehende Diagnostik. Wenn mir jemand zu einer Fruchtwasserpunktion geraten hätte, weiss ich nicht, ob ich das tatsächlich hätte durchführen lassen. Das Risiko, das Kind wieder zu verlieren, wäre mir wahrscheinlich zu hoch erschienen.
Die Schwangerschaft war insgesamt super. Ich litt auch nicht an übermässigen Ängsten wegen der vorangegangenen Behandlung, ich freute mich einfach. Und so hatte ich auch eine völlig unkomplizierte natürliche Geburt.
Die ganze Schwangerschaft war so einfach gewesen und das Glück nach der Entbindung so riesig, dass wir über ein zweites Kind nachdachten. Aber dazu kam es nicht mehr, da sich zwei Jahre nach der Geburt herausstellte, dass ich eine schwere Krankheit hatte. Aber das ist eine andere Geschichte.
Mit dem Wissen von heute würde ich im Nachhinein einiges in meinem Leben anders gestalten: Ich würde nicht mehr über so viele Jahre die Pille nehmen. Viel zu lange hatte ich mich darauf konzentriert, nicht schwanger zu werden, mit gravierenden Nebenwirkungen, wie sich jetzt herausstellen sollte. Jahrelang war ich wegen Migräne medikamentös behandelt worden. Seit dem Absetzen der Pille bin ich keine Migräne-Patientin mehr.
Die Hormonbehandlung als Teil der künstlichen Befruchtung war meiner Einschätzung nach nicht so gravierend wie ich befürchtet hatte.
Ich bin jetzt wieder gesund und lebe viel bewusster. Zum Beispiel bin ich überhaupt nicht auf eine Vollzeittätigkeit und die Karriereleiter neben meiner Mutterrolle aus. Nach allem, was ich erlebt habe, bin ich froh, dass ich neben einer Teilzeit-Berufstätigkeit vor allem Zeit für meine kleine Familie habe.
Wir haben auf jeden Fall vor, Johanna über ihre Entstehungsgeschichte zu informieren, wenn sie alt genug ist. Aber in unserem Freundeskreis wissen viele noch immer nicht, dass unsere Tochter ein Retortenbaby ist.
Obwohl ich von jeher auf dem Land lebe, habe ich sehr spät geheiratet. Ich war lange Zeit ziemlich beschäftigt, denn meine Schwester, die alleinerziehend war, ist in jungen Jahren innerhalb kurzer Zeit an einer bösartigen Krankheit verstorben. Ich habe zunächst sie gepflegt, dann ihren Sohn an Kindes statt angenommen.
Einige Zeit danach habe ich meinen jetzigen Ehemann kennengelernt. Er ist Bauer und hat einen grossen Hof mit Viehzucht, Ponys und Pferden, ein wahres Paradies. Zwischen uns hat es sofort wortlos funktioniert. Wir wussten, wir sind füreinander bestimmt. Da war ich gerade vierzig geworden. Ihn hat es auch nicht gestört, dass ich den Jungen mit in die Ehe gebracht habe, im Gegenteil.
Mein Mann ist sechs Jahre jünger als ich. Von Anfang an war klar, dass wir gerne ein gemeinsames Kind hätten. Wegen meines Alters standen die Chancen ziemlich schlecht. Nachdem wir es ein Jahr lang erfolglos probiert hatten, sind wir von meiner Frauenärztin an ein Kinderwunschinstitut überwiesen worden.
Es war ein ziemlich weiter Weg für uns von unserem Hof in die Stadt, aber wir haben das Monat für Monat durchgezogen. Erst wurden die Spermien in meine Gebärmutter gespritzt, irgendwann begannen wir mit künstlicher Befruchtung, IVF. Am Anfang entstanden durch die hormonelle Stimulierung immer noch mehrere Eizellen. Bei den letzten Versuchen entwickelte sich trotz einer Riesendosis an Hormonen, die ich mir täglich spritzen musste, nur noch eine einzige Eizelle. Es ergab gar keinen Unterschied mehr, ob ich Medikamente nahm oder nicht, das Ergebnis war immer das gleiche. Nicht ein einziges Mal hatte ich einen positiven Schwangerschaftstest.
Irgendwann fragte ich meine Kinderwunsch-Ärztin, ob es für uns überhaupt keine Möglichkeit mehr auf ein Baby gäbe. Damals fing ich an, wirklich verzweifelt zu sein. Der Wunsch nach einem gemeinsamen Kind war bei meinem Mann und mir sehr gross. Ich wollte unbedingt weitermachen, sah aber, dass mir die Felle davonschwammen.
Inzwischen war ich 43 Jahre alt. Die Ärztin zögerte etwas, dann sagte sie: «Doch, es gibt da noch etwas, die Eizellspende.» Ich hatte noch nie davon gehört. Sie erklärte mir, in der Schweiz sei das nicht möglich, aber im Ausland könne man die Eizelle einer jungen Frau kaufen. Die würde dann von den Spermien meines Mannes befruchtet und mir eingesetzt. Aber, sagte sie, das Kind sei dann nicht mit mir verwandt. Das war für mich überhaupt kein Problem. Wir hatten ja schon den Sohn meiner Schwester, mit dem ich auch nur ein bisschen verwandt war und mein Mann gar nicht. Der wuchs bei uns auf als unser Sohn und war inzwischen ein fröhlicher Primarschulbub geworden. Ein eigenes Kind kann man auch nicht mehr lieben.