LUNATA
LUNATA
Die Nase
© 1836 by Nikolai Wassiljewitsch Gogol
Originaltitel Nos
Aus dem Russischen von Wilhelm Lange
© Lunata Berlin 2020
Kapitel 1
Kapitel 2
Am 25. März ereignete sich in Petersburg eine ganz ungewöhnliche, seltsame Begebenheit. Der auf dem Himmelfahrtsprospekt wohnende Barbier Iwan Jakowlewitsch (der Familienname war ihm verlorengegangen, und sogar auf seinem Schilde, das einen Herrn mit einer eingeseiften Wange darstellte, war weiter nichts zu lesen als die Aufschrift: » ... und wird zur Ader gelassen«) – also, der Barbier Iwan Jakowlewitsch erwachte ziemlich früh und spürte den Duft frischgebackenen Brotes. Er richtete sich in seinem Bett ein wenig auf und sah, daß seine Frau, eine ziemlich ehrenwerte Dame, die sehr gern Kaffee trank, aus dem Ofen soeben ausgebackene Brote zog.
»Heute, Praskowja Ossipowna, will ich keinen Kaffee«, sagte Iwan Jakowlewitsch; »statt dessen möchte ich warmes Brot mit Zwiebeln essen.« (Das heißt, Iwan Jakowlewitsch wollte gern beides, aber er wußte, daß es vollständig unmöglich war, beides zugleich zu erlangen, denn Praskowja Ossipowna mochte derartige Gelüste durchaus nicht leiden.) Mag der Dummkopf meinetwegen nur Brot essen, um so besser für mich, dachte sein Ehegespons; dann bleibt für mich noch eine Portion Kaffee übrig, und warf ein Brot auf den Tisch.
Iwan Jakowlewitsch zog anstandshalber einen Frack über das Hemd, setzte sich an den Tisch, schüttete sich Salz aus, machte sich zwei Zwiebelköpfe zurecht, nahm das Messer zur Hand, zog ein bedeutsames Gesicht und begann das Brot zu schneiden. Nachdem er das Brot in zwei Hälften geschnitten, sah er mitten hinein – und zu seinem großen Erstaunen erblickte er etwas Weißliches. Iwan Jakowlewitsch stocherte vorsichtig mit dem Messer daran herum und befühlte es mit dem Finger. »Ganz fest!« murmelte er in den Bart, »was mag denn das sein?«
Er steckte die Finger hinein und zog – eine Nase heraus! ... Da ließ Iwan Jakowlewitsch die Hände sinken, begann sich die Augen zu reiben und zu tasten: Eine Nase, wirklich eine Nase! und noch obendrein schien es die Nase eines Bekannten zu sein. Entsetzen malte sich auf Iwans Gesicht, aber dieses Entsetzen war noch nichts gegen den Abscheu, der sich seiner Gattin bemächtigte.
»Wo hast du denn diese Nase abgeschnitten, du Vieh?« schrie sie zornig. »Du Halunke! du Trunkenbold! ich selbst werde dich der Polizei anzeigen! Ein solcher Spitzbube! Schon von drei Herren habe ich gehört, daß du während des Rasierens so an der Nase zerrst, daß sie kaum sitzen bleibt!«
Aber Iwan Jakowlewitsch war mehr tot als lebendig; er erkannte, daß diese Nase keinem andern gehören konnte als dem Kollegien-Assessor Kowalow, den er jeden Mittwoch und Sonntag rasierte.
»Wart, Praskowja Ossipowna! ich wickele sie in ein Läppchen und lege sie in die Ecke; da mag sie ein Weilchen liegen bleiben, dann werde ich sie fortschaffen.«
»Nichts da! Was, ich sollte hier in meinem Zimmer eine abgeschnittene Nase haben! So'n vertrockneter Zwieback! Versteht weiter nichts, als nur immer mit dem Rasiermesser über den Riemen zu streichen; aber seine Pflicht tun, das wird er bald gar nicht mehr imstande sein, der Herumtreiber, der Taugenichts! Soll ich etwa bei der Polizei für dich alles verantworten? ... Ach du Schmierer, du einfältiger Klotz! Hinaus damit! Hinaus! Bringe sie, wohin du willst! Daß ich sie hier nicht mehr vor Augen habe!«