Immer mehr Menschen leiden in den westlichen Industrie-Ländern an einer Einschränkung ihrer körperlichen und psychischen Belastbarkeit. Sie leiden an Symptomen, für die es in der universitären Medizin keine eindeutige Erklärung gibt. Diese Beschwerden liegen vorwiegend auf internistischem, neurologischem und psychiatrischem Fachgebiet. Bisher konnte noch keine schlüssige Erklärung für all diese Beschwerden gefunden werden. Dabei hatte sich die medizinische Forschung in den letzten Jahren doch rasant immer weiterentwickelt. Aber immer noch fehlt ein Erklärungsansatz für die Ursachen all dieser mysteriösen Erkrankungen. Das Warten geht also weiter. Wir müssen uns also damit abfinden, auch wenn es den Betroffenen sehr schwerfällt. Sie möchten nämlich, dass möglichst bald eine Behandlungsmöglichkeit gefunden wird.
Was könnte die Ursache dieser beschriebenen Einschränkungen sein? Gibt es vielleicht doch eine Erklärung? Wurde wirklich alles berücksichtigt?
In den letzten Jahren ist der Blick zunehmend auf das Epstein-Barr-Virus gefallen.
Dieses Virus lebt ja nach der Infektion, die meist in der Jugend oder im jungen Erwachsenenalter stattfindet, lebenslang in unserem Körper. Wir alle tragen das Virus also in uns. Wir haben uns also bereits in jungen Jahren damit angesteckt. Die Bezeichnungen „Kissing Disease“ oder „Student`s Disease“ geben uns dafür Hinweise, wann das wahrscheinlich geschah.
Soll wirklich das Epstein-Barr-Virus schuld an all den körperlichen und psychischen Einschränkungen sein?
All die vielen Blutuntersuchungen haben immer wieder gezeigt, dass sich unser Körper bereits mit dem Virus auseinandergesetzt hat. „Abgelaufene Infektion mit EBV“ stand dann immer auf dem Befund, den das Labor zurückgeschickt hatte. Wir hatten uns damit abgefunden und keine weiteren Untersuchungen veranlasst.
Das Virus wird leicht übertragen. Wir haben praktisch kaum eine Möglichkeit uns dagegen zu schützen. Es gibt leider auch immer noch keine Impfung gegen das Epstein-Barr-Virus.
Wir Menschen reagieren in unterschiedlicher Weise auf dieses Virus. Die einen merken überhaupt nichts von der Infektion, die anderen erholen sich nach der Infektion ihr ganzes Leben nicht mehr richtig davon.
Bis heute konnten zahlreiche, teilweise schwerwiegende Erkrankungen nachgewiesen werden, die durch das Epstein-Barr-Virus verursacht werden. Aber trotzdem wird die Gefährlichkeit des Virus immer noch nicht richtig wahrgenommen.
Eigentlich wird das Virus streng von unserem Immunsystem bewacht, das Virus ist quasi ein Gefangener in unserem Körper. Aber in bestimmten Situationen gelingt es dem Virus dann doch auszubrechen. Dann wird es von unserem Immunsystem gejagt, bis es wieder eingefangen worden ist. Dabei kann sich aber unser Immunsystem auch schwertun.
Neu ist, dass wir das Virus, wenn es „ausgebrochen“ ist, jetzt messen und auch genauer beobachten können.
Es ist also die chronische Epstein-Barr-Virus-Infektion, die uns krank macht! Diese Erkenntnis ist ziemlich neu. Wir wussten zwar, dass wir alle Virusträger sind, aber damit haben wir uns bisher immer zufriedengegeben. Dass dieses Virus aber ständig Veränderungen in unserem Körper vornimmt, das haben wir bisher nicht richtig beachtet.
Die Virusausbreitung, den Virusausbruch, die Reaktivierung des Virus, diese Möglichkeiten wurden immer schon vermutet, aber objektiv nachweisbar waren sie bisher nicht.
Wann kommt es überhaupt zu Reaktivierungen dieses Virus? Sind es wirklich die Reaktivierungen, die uns krank machen? Oder ist das Virus in unserem Körper ständig aktiv? Wie können wir uns eigentlich besser davor schützen? Darüber soll in diesem Buch die Rede sein. Wie kann die Aggressivität dieses Virus vermindert werden? Gibt es überhaupt eine Therapie? Das alles sind Themen dieses Buches.
Die Vorstellung, dass die chronische Epstein-Barr-Virus-Infektion auf Dauer krank macht, ist in der universitären Medizin bisher noch völlig unbekannt. Das ist bedauerlich. Das kann sich aber ganz schnell ändern, wenn im Rahmen der Virusforschung ein patentierbares Medikament gefunden worden ist, das uns vollständig von diesem Virus befreien kann. Auch eine Impfung gegen das Epstein-Barr-Virus würde uns entscheidend weiterbringen. Impfungen gegen andere Herpesviren gibt es ja bereits. Warum sollte es nicht eines Tages auch eine Impfung gegen das Epstein-Barr-Virus geben?
Doch dafür muss erst die Bedeutung des Epstein-Barr-Virus und seine Gefahren richtig erkannt werden. Dieses Buch soll mit dazu beitragen. Im Mittelpunkt steht der Patient. Er soll in Zukunft besser in der Lage sein, mit dem Epstein-Barr-Virus in seinem Körper zurecht zu kommen.
Das wichtigste in diesem Kapitel:
Das Epstein-Barr-Virus wird unterschätzt, denn es kann uns dauerhaft krank machen! Bisher haben wir diese Tatsache zu wenig beachtet.
Das Epstein-Barr-Virus wurde 1964 von dem Pathologen Michael Anthony Epstein und seiner Mitarbeiterin, der Zoologin Yvonne Margret Barr, in London entdeckt. Außerdem war Bert Geoffrey Achong, ein Spezialist für die Elektronenmikroskopie aus Trinidad im Team mit dabei.
Das Epstein-Barr-Virus ist das Humane Herpes Virus 4 (HHV-4). Das Virus wurde in Zellkulturen von afrikanischen Burkitt-Lymphomen gefunden, darüber wird später noch ausführlicher berichtet werden.
Gibt es noch andere Herpes-Viren?
Hier die Liste:
HHV-1 und HHV-2 sind die allgemein bekannten Herpesviren im Mund- und im Genitalbereich, auch Herpes-Simplex genannt.
HHV-3 ist das Windpockenvirus (genauer Varizellen-Zoster-Virus), das nach einer Infektion später im Leben noch eine Gürtelrose (Herpes Zoster) auslösen kann.
HHV-5 ist der Erreger der Zytomegalie (CMV). Bei Immunschwäche, etwa bei einer HIV-Infektion, ist es gefürchtet. Sonst müssen wir uns bei diesem Virus keine Gedanken machen.
HHV-6 ist der Erreger des „3-Tage-Fieber“ bei Säuglingen und Kleinkindern. Ob allerdings auch Erwachsene damit befallen werden können, ist immer noch ungeklärt. Das Virus infiziert bestimmte weiße Blutkörperchen und bleibt lebenslang im Körper.
HHV-7 verhält sich ähnlich wie HHV-6 und bleibt ebenfalls lebenslang in unserem Körper.
HHV-8 ist das Kaposi-Sarkom-Herpesvirus, das nur bei AIDS-Patienten auftritt.
Die Durchseuchungsrate der Bevölkerung mit den Humanen Herpes-Viren in Deutschland (Häufigkeit von Antikörpern im Blut von Menschen)
Heute sind 130 verschiedene Herpesviren bekannt, die entweder bei Säugetieren, Vögeln, Fischen, Reptilien, Amphibien oder auch bei Schnecken vorkommen können. Bei uns Menschen sind bisher acht verschiedene Viren bekannt.
Das Epstein-Barr-Virus wurde in Zellkulturen des Burkitt-Lymphoms entdeckt. Damit hat alles angefangen. Das Burkitt-Lymphom ist eine bösartige Erkrankung des Lymphsystems und gehört zur Gruppe der B-Zell-Non-Hodgkin-Lymphomen. Diese Erkrankung ist die häufigste Tumorerkrankung bei Kindern im tropischen Afrika. Diese Kinder sind gleichzeitig mit dem Epstein-Barr-Virus und mit Malaria infiziert. Außerdem liegen bei diesen Kindern Veränderungen bestimmter Chromosomen vor. Der Tumor wächst sehr schnell, was aber dann wieder ein Vorteil für die Therapie ist, denn er spricht sehr gut auf die medikamentöse Tumor-Therapie an.
Das Epstein-Barr-Virus ist ein behülltes doppelsträngiges DNA-Virus. Die Übertragung des Virus auf andere Menschen erfolgt durch Tröpfcheninfektion oder durch Kontaktinfektion. Auch eine sexuelle Übertragung ist möglich.
Die Infektion mit dem Virus erfolgt oft auch schon im Kindesalter. Während bei Säuglingen in der Regel keine Symptome auftreten, kommt es bei Jugendlichen oder Erwachsenen Infizierten in 30–60 % aller Fälle zum Ausbruch des Pfeifferschen Drüsenfiebers. Ab dem 40. Lebensjahr sind dann über 95 % der Menschen mit dem Epstein-Barr-Virus infiziert.
Sowohl nach einer asymptomatischen (es bestehen keinerlei Symptome) als auch nach einer symptomatischen Infektion mit Krankheitserscheinungen bleibt das Virus lebenslang in unserem Körper. Es kann wie alle Herpesviren dann wieder irgendwann reaktiviert werden. Für gewöhnlich wird eine Reaktivierung vom Patienten selbst zunächst überhaupt nicht bemerkt und dann schnell durch unser Immunsystem auch wieder eingedämmt. Besteht eine Immunsuppression (Einschränkung der Funktionstüchtigkeit des Immunsystems), etwa bei HIV-Infizierten oder Organempfängern, kann sich das Virus aber unkontrolliert vermehren und zur Entstehung von verschiedenen, heute allerdings noch seltenen Krebserkrankungen beitragen.
Inzwischen weiß man aber auch, dass starke Stressfaktoren, also körperlicher oder auch psychischer Stress, ebenfalls zur Reaktivierung des Epstein-Barr-Virus beitragen kann.
Wie wurde das Virus eigentlich entdeckt?
Der Weg, der zur Entdeckung des Virus führte, ging über den englischen Chirurgen Denis Burkitt, der sich im Mulago Hospital in Kampala, der Hauptstadt Ugandas, mit der Verbreitung bestimmter Krebserkrankungen in Afrika beschäftigte. Er fand heraus, dass mehrere Tumorarten, die dort gehäuft bei Kindern auftraten, bösartige Lymphknotenerkrankungen waren. Burkitt erkannte, dass mehrere Faktoren im Zusammenhang mit dem Auftreten der Krankheit standen. Es waren:
Es zeigte sich auch eine Übereinstimmung mit dem afrikanischen Malariagürtel. Burkitt behauptete später:
"Die Tatsache, dass die Verteilung der Krebserkrankung von klimatischen Faktoren abhing, legte den starken Verdacht nahe, dass ein Überträger, vielleicht ein Insekt, für ihre Verbreitung verantwortlich war. Das alles ließ aber auch vermuten, dass der Erreger auch ein Virus sein könnte."
Als Burkitt damals diese Vermutung äußerte, kannte man bereits zahlreiche Viren, die bei Tieren Tumoren hervorriefen, aber noch kein einziges menschliches Tumorvirus.
Mit Hilfe der Elektronenmikroskopie gelangen es dann Epstein und Barr in einer kleinen Lymphom-Zellpopulation von Burkitt virale Partikel nachzuweisen, die aufgrund ihrer morphologischen Beschaffenheit den Herpesviren zugeordnet werden konnten. Die Viruspartikel waren jedoch kleiner als das bereits bekannte Herpes-Simplex-Virus (HSV-1). Somit war zu diesem Zeitpunkt weder die genaue Identität des Virus noch eine mögliche Rolle in der Pathogenese des Burkitt-Lymphoms geklärt.
In den Jahren nach der ersten Beschreibung der viralen Partikel hatten verschiedene Arbeitsgruppen das Virus, das später nach seinen Entdeckern als Epstein-Barr-Virus (EBV) bezeichnet wurde, weiter untersucht.
Die Wissenschaftler Werner und Gertrude Henle, die beide damals am Kinderkrankenhaus von Philadelphia arbeiteten, entwickelten als erste einen Test, mit dem sich bei Patienten mit Burkitt-Lymphom Antikörper im Blut nachweisen ließen, die jedoch nicht mit gesunden B-Zellen, aber mit solchen, die aus dem Burkitt-Lymphom stammten, reagierten. Dies war sozusagen ein Nachweisverfahren für den noch unbekannten Erreger in den Zellen des Burkitt-Lymphoms.
Dann erlebten die Henles allerdings eine Überraschung. Nachdem sie zuerst feststellten mussten, dass die meisten gesunden Afrikaner ebenfalls diese Antikörper im Blut hatten, welche Burkitt-Lymphom-Zellen erkannten, fanden sie diese auch bei ihren Labormitarbeitern und schließlich bei einem hohen Anteil der Bevölkerung aus aller Welt, von denen man nach dem Zufallsprinzip Proben entnommen hatten. Es gab also den Erreger des Burkitt-Lymphoms überall auf der ganzen Welt. Das führte zu einer großen Verunsicherung.
Wie so oft in der Geschichte der Medizin kam dann auch den Henles der Zufall zu Hilfe.
Was war passiert?
Eine der technischen Assistentinnen des Labors am Kinderkrankenhaus in Philadelphia erkrankte 1967 an Pfeifferschem Drüsenfieber, auch als Infektiöse Mononukleose bekannt. Sie hatte die typischen Symptome und die Ärzte in diesem Krankenhaus stellten bei ihr auch die richtige Diagnose.
Als sie nach der Erkrankung dann wieder zur Arbeit zurückkam und man ihr routinemäßig auch wieder eine Blutprobe entnommen hatte, um sie auf verschiedene Erreger zu untersuchen, enthielt bei ihr das Blut plötzlich in hoher Konzentration Antikörper gegen die B-Zellen des Burkitt-Lymphoms, obwohl der gleiche Test vor ihrer Erkrankung damals noch negativ war.
Die B-Zellen der Assistentin wurden dann in Gewebekulturschalen gezüchtet. Sie vermehrten sich unbegrenzt weiter und enthielten ein Antigen, das auch mit den Antikörpern aus Patienten mit Burkitt-Lymphom reagierte. Dieses Antigen setzte schließlich dann auch Viruspartikel frei, die von dem Virus aus dem Burkitt-Lymphom nicht zu unterscheiden waren.
Weitere Untersuchungen von Blutproben im Rahmen einer prospektiven Studie zur Infektiösen Mononukleose 1968 erhärteten den Verdacht der Henles, dass das Epstein-Barr-Virus der Erreger des Pfeifferschen Drüsenfiebers war.
Eine weitere Beobachtung, nämlich dass Antikörper gegen das Epstein-Barr-Virus sehr lange bzw. lebenslang nachweisbar blieben, deutete darauf hin, dass EBV nach der Erstinfektion eine Persistenz in den Zellen des hämatopoetischen Systems etablierte, wie sie für andere Herpesviren bereits damals auch schon bekannt war.
Diese Untersuchungen ergaben also, dass das Epstein-Barr-Virus ein neues, menschliches Herpesvirus sein musste. Das Epstein-Barr-Virus war wirklich der Erreger des Pfeifferschen Drüsenfiebers.
EBV ist, wie andere Herpesviren auch, ein gering umweltresistentes Virus und es ist deshalb so gut wie nie frei nachzuweisen. Außerhalb des menschlichen Körpers stirbt das Virus rasch. Die Übertragung von EBV erfolgt in erster Linie über den Speichel, insbesondere beim Küssen oder engem körperlichen Kontakt. Eine Übertragung durch Sex, Blutprodukte oder Knochenmarkstransplantationen ist aber auch nicht auszuschließen.
Durch zwei völlig verschiedene Vermehrungsstrategien gelingt es dem Virus dann nach dem Eindringen in den menschlichen Organismus seine Erbinformation zu vermehren und dann „Nachkommenviren“ freizusetzen:
Zunächst dient die Infektion einer Zelle der Produktion und Freisetzung von infektiösen Viruspartikeln. Das Virus braucht also die menschliche Zelle, um sich überhaupt vermehren zu können.
Das Besondere ist aber, dass durch die latente (ruhende) Infektion in der Wirtszelle zunächst ein viraler Ruhezustand eingerichtet wird, der sich dadurch der immunologischen Kontrolle des Wirtsorganismus weitgehendst entzieht. Das Immunsystem reagiert also zunächst gar nicht auf das Epstein-Barr-Virus, weil es sich gar nicht bemerkbar macht. Es hat sich quasi versteckt. Das Virus tritt nach der Infektion also sofort in eine Ruhestadium ein. Das war neu und ungewöhnlich im Vergleich zu anderen Viren.
Initial infiziert das EBV die Epithelzellen der Mundschleimhaut und B-Lymphozyten im Mund und im Rachen über einen Rezeptor, der normalerweise Komplement an sich bindet. Es ist wahrscheinlich ein Zufall, dass diese Verbindung möglich ist. Komplement spielt bei jeder Entzündungsreaktion eine Rolle. Seine Funktion wird später genauer beschrieben.
Auf diese Art und Weise steht ein permanentes Virusreservoir zur Verfügung, das nach geeigneter Reaktivierung in eine produktive Phase mit erneuter Virusfreisetzung zurückkehren kann.
Als Ort der Persistenz von EBV im menschlichen Körper werden heute ruhende B-Gedächtnis-Zellen angesehen. Bis zur Hälfte dieser B-Zellen im peripheren Blut sind mit EBV infiziert und die Zahl dieser latent infizierten Zellen in einem Patienten bleibt über Jahre hinweg ziemlich stabil.
Um der Eliminierung durch das Immunsystem zu entkommen, werden während dieser persistierenden Vermehrungsphase verschiedene Stoffe freigesetzt, die die Erkennung virusinfizierter Zellen durch zytotoxische T-Lymphozyten verhindern. Das Immunsystem des Wirts (also des Menschen) wird dadurch ständig getäuscht.
Durch Reaktivierung können während dieser asymptomatischen Persistenz des Virus in den ruhenden B-Gedächtniszellen auch immer wieder B-Zellen erfolgreich in den lytischen Zyklus übergehen. Das bedeutet, dass der Mensch wieder Viren ausausscheidet, ohne selbst krank zu sein.
Die Produktion von „Nachkommenviren“ bleibt dann jedoch auf Zellschichten und Gewebe beschränkt, die dem Immunsystem nicht zugänglich sind. So wird EBV ständig an einigen Orten des Körpers, wie der Ohrspeicheldrüse oder der Gebärmutterschleimhaut, produziert, ohne vom Immunsystem überhaupt erkannt zu werden.
Wie sieht das Epstein-Barr-Virus eigentlich aus?
Das Epstein-Barr-Virus zeigt den klassischen Aufbau der Herpesviren. Es hat eine kugelige Gestalt mit einer Hülle. Auf dieser Hülle sind stachelförmige Ausstülpungen zu erkennen, auch „Spikes“ genannt. Diese haben wichtige Funktionen beim Kontakt des Virus mit den menschlichen Zellen.
Die DNA des Virus liegt unter der Hülle in einem abgegrenzten Raum, dem Viruskapsid. Das Kapsid aller Herpesviren weist eine geometrische, auch ikosaedrisch genannte, Struktur auf.
Im Inneren des Kapsids findet man den Viruskern mit der Virus-DNA. Es ist wie eine Schatzkammer. Wie ein Sarkophag eines Pharaos im Alten Ägypten.
Es werden zwei Subtypen von EBV unterschieden, EBV-1 (oder auch Typ A) und EBV-2 (oder auch Typ B). Sie unterscheiden sich in der Aminosäuresequenz ihrer DNA voneinander.
EBV-1 scheint der häufiger vorkommende Subtyp zu sein. EBV-2 dagegen scheint einfacher von der latenten in die lytische Phase wechseln zu können. Während EBV-1 in der westlichen Hemisphäre und Südostasien dominant ist, treten in Neu-Guinea und Äquatorial-Afrika die Typen 1 und 2 etwa in der gleichen Häufigkeit auf.
Das besondere an EBV ist also, dass es alles unternimmt, um den menschlichen Körper zu täuschen. Das menschliche Immunsystem findet plötzlich das Virus überhaupt nicht mehr und kann deshalb wenig dagegen unternehmen. So überlebt das Virus lebenslang in unserem Körper.
Das wichtigste in diesem Kapitel:
Das Epstein-Barr-Virus wurde erstmals aus Tumorzellen des Burkitt-Lymphoms isoliert.
Das Epstein-Barr-Virus bleibt nach einer Infektion lebenslang in unserem Körper zurück.
Das Epstein-Barr-Virus „trickst“ unser Immunsystem geschickt aus und macht sich unsichtbar. Immer wieder wird es dann kurzzeitig aktiv und es kommt dann zu Neuinfektionen.
Hier wird noch ausführlicher die Reaktion des menschlichen Körpers auf das Epstein-Barr-Virus dargestellt.
Das Epstein-Barr-Virus infiziert im menschlichen Körper Schleimhautzellen und B-Lymphozyten, also eine bestimmte Untergruppe der weißen Blutkörperchen im Mund- und Rachenbereich über den Komplementrezeptor CD21. Somit hat das Virus geschickt einen Weg gefunden, in die Zelle hinein zu kommen. Das Komplementsystem übernimmt als Teil des angeborenen Immunsystems wichtige Aufgaben bei der Erkennung von gefährlichen Mikroorganismen. In diesem Fall hat es aber leider versagt. Möglicherweise benutzt das Epstein-Barr-Virus eine Technik, die bisher in der Evolution noch nicht bekannt war. Das Epstein-Barr-Virus muss also ein relativ „junges Virus“ sein. Die Zellen hatten also bisher zu wenig Zeit, um neue Strategien gegen das Virus zu erfinden.
Die Hauptaufgabe des Komplementsystems besteht nämlich darin, die Oberfläche von Krankheitserregern zu bedecken, um so den körpereigenen Abwehrzellen die Zerstörung auch jener Krankheitserreger zu ermöglichen, die sie sonst nicht erkennen würden. Daneben löst es eine Reihe von Entzündungsreaktionen aus, die den Kampf gegen die Infektion unterstützen. Die Bestandteile einiger Komplementeiweiße wirken auch als Botenstoffe, die weitere Abwehrzellen zum Infektionsherd heranlocken sollen. Eine weitere Funktion ist die direkte Zerstörung von Bakterien durch das Einfügen von Poren in deren Zellmembran. Dadurch sterben die Bakterien dann ab.
Der Ausdruck „Komplement“ wurde schon 1890 von Paul Ehrlich eingeführt.
Das Epstein-Barr-Virus benutzt also geschickt normale Funktionen des menschlichen Immunsystems für sich. Dabei verläuft die Infektion in vier Phasen ab:
Phase 1, die Infektionsphase
Nach der Infektion einer Zelle begibt sich das Epstein-Barr-Virus zunächst in einen Ruhezustand. Es ist damit vom menschlichen Immunsystem ab sofort nicht mehr erkennbar. Es kommt somit auch zu keinem Ausbruch einer Erkrankung. Es treten also auch keine Krankheitserscheinungen auf. Die Vermehrung des Virus erfolgt also im Verborgenen. Diese Phase dauert unterschiedlich lange. Die Dauer lässt sich nicht genau voraussagen. Wann kommt also die nächste Phase?
Stress, Umweltbelastungen, andere schwere Erkrankungen, aber auch starke körperliche Belastungen, der Mangel an Zink, an Vitamin D und anderen Vitalstoffen, eine einseitige Ernährung, Alkohol oder Drogeneinnahme beschleunigen dann einen Übergang in Phase 2.
Phase 2, die Erkrankungsphase
Jetzt kommt das Pfeiffersche Drüsenfieber, auch als Mononukleose bekannt, in Gang. Der Mensch erkrankt also. Er wird somit „symptomatisch“, es treten jetzt Krankheitserscheinungen auf. Diese Krankheitserscheinungen findet man allerdings nur bei etwa 30 bis 60% aller Neuinfektionen. In den USA wird diese Erkrankung auch als „Kissing Disease“ oder auch als „Student´s Disease“ bezeichnet. Studenten küssen und feiern. Aber sie müssen auch viel lernen, deshalb haben sie auch ständig Stress wegen der Prüfungen. Dann kommt es bei ihnen zu einem Ausbruch der Krankheit. Kindern geht es allerdings ähnlich. Auch sie haben immer wieder körperlichen und emotionalen Stress.
In dieser Phase ist das Virus am ansteckendsten. Infizierte sollten sich daher möglichst abschirmen und verhindern, dass sie weitere Mitmenschen anstecken. Jetzt sind auch plötzlich Antikörper im Blut nachweisbar. Das war ja in Phase 1 ja nicht so. Das Immunsystem hat jetzt das Virus entdeckt und reagiert darauf. Es sind die Natürlichen Killerzellen (NK), die jetzt Jagd auf das Epstein-Barr-Virus machen. Sie versuchen alles, um das Virus abzutöten.
Das Immunsystem ist nun sehr mit dem Epstein-Barr-Virus beschäftigt. Es kann sich jetzt nicht auch noch um andere Erreger kümmern. Deshalb kommt es jetzt in dieser Phase auch zu sogenannten Co-Infektionen, also Zweiterkrankungen. Am häufigsten sind es Streptokokken, also Bakterien. Auch sie befallen bevorzugt nun Mund, Hals und den Rachen.
Die Erkrankung heißt ja Drüsenfieber. Das Virus befällt vor allem Lymphknoten im Mund, Rachen und am Hals, aber auch andere lymphatische Organe wie Leber und Milz sind betroffen. Ganz unterschiedlich ist die Krankheitsdauer. Sie kann kurz sein und der Mensch erholt sich dann wieder relativ schnell. Sie kann aber auch einige Monate andauern.
Phase 3, die Latenzphase
Phase 2 kann auch übersprungen werden und nach Phase 1 kommt dann gleich Phase 3. Das sind nämlich die Patienten, die keinerlei Krankheitserscheinungen beim Pfeifferschen Drüsenfieber aufweisen und sich auch ganz gesund fühlen. Sie wissen nichts vom Pfeifferschen Drüsenfieber. Trotzdem haben sie Antikörper gebildet und tragen das Virus in sich.
Alle Antikörper gegen das Epstein-Barr-Virus sind nun im Blut nachweisbar. Falls Krankheitssymptome bestanden haben gehen diese wieder zurück und das Virus zieht sich erneut in die lymphatischen Organe zurück. Es geht zurück in die Ruhephase. Es wartet wieder geduldig auf einen neuen Ausbruch. Diese Phase kann Jahre oder Jahrzehnte andauern.
Phase 4, die chronische Phase
Jetzt kommt die sogenannte „lytische Phase“ der Epstein-Barr-Virus-Infektion. Das bedeutet, dass das Virus nun nach einer Ruhephase wieder aktiv wird. Es war möglicherweise lange Ruhe gewesen. Niemand dachte mehr an das Virus und plötzlich kommt es wieder zu einem neuen Ausbruch. Das Epstein-Barr-Virus breitet sich jetzt also erneut aus, es infiziert weitere Zellen des menschlichen Körpers und tötet sie dabei ab. Dieser Vorgang heißt Lyse. Ursache ist eine vorübergehende Immunschwäche. Z. B. bei Stress, nach einem traumatischen Ereignis, durch eine andere Krankheit oder die Einnahme von Medikamenten, die das Immunsystem schwächen. Im Prinzip können jetzt alle Organe befallen werden. Dies ist auch die Phase der Autoimmunerkrankungen. Jetzt treten auch die „Mysteriösen Erkrankungen“ auf, die von der universitären Medizin bisher nicht erklärt werden konnten.
Die Gründe für den Übergang vom Latenz- in den erneuten Aktivzustand (Lytische Phase) sind inzwischen weiter erforscht worden. Bestimmte Eiweißstoffe aktivieren die Gene von EBV, die für die Vermehrung der Viruspartikel erforderlich sind. Etwa 70 verschiedene Gene sind während der Ruhephase einfach abgeschaltet gewesen. Das Virus hatte geschlafen oder sich einfach ausgeruht für den nächsten Angriff.
Bei der Virusvermehrung wird innerhalb der Zelle nun eine große Zahl neuer Virus-Partikel gebildet und dann freigesetzt (lytischer Zyklus). Nachteilig für das Virus ist, dass das Immunsystem dadurch auf die Krankheitserreger wieder aufmerksam gemacht wird. Die Antikörperproduktion setzt nun erneut ein.
Dies ist also die Arbeitsweise des Epstein-Barr-Virus. Hier läuft es anders als bei den üblichen Virusinfektionen, bei denen sofort oder nach einer bestimmten Inkubationszeit nach der Infektion plötzlich Krankheitserscheinungen auftreten. Der Mensch nimmt die Infektion also rasch wahr.
Das Epstein-Barr-Virus infiziert die B-Zellen des Immunsystems und schleust dann sein Erbgut in deren Zellkern ein. Während die meisten anderen Viren sofort ihren lytischen Vermehrungszyklus starten und dafür den menschlichen Zellapparat zur Vermehrung ihres eigenen Erbguts sowie zur Herstellung wichtiger Strukturproteine aus den Genen nutzen, begnügt sich das EBV damit, lediglich ein paar Gene von der Zelle in eigene Proteine verwandeln zu lassen. Die Umpolung der menschlichen Zelle ist also zunächst gering. Diese latenten Gene sorgen dafür, dass das EBV-Erbgut stabil im Zellkern verbleiben kann, während sich die Zelle selbst wieder ganz normal vermehrt und nicht abstirbt. Diese scheinbar friedliche Koexistenz, die aber in Wirklichkeit gar keine ist, endet aber dann, wenn das Virus in seine Vermehrungsphase übergeht und dann wieder infektiös wird.
Als Ort im menschlichen Körper, wo EBV überlebt, werden heute ruhende B-Gedächtnis-Zellen angesehen. Nur sehr wenige, denn nur etwa 50 von 10⁶ B-Zellen im peripheren Blut sind dabei mit EBV infiziert und die Zahl dieser infizierten Zellen in einem Patienten bleibt über viele Jahre hinweg ziemlich stabil.
Die Produktion von „Nachkommenviren“ bleibt dann jedoch auf Zellschichten und Gewebe beschränkt, die dem menschlichen Immunsystem nur eingeschränkt zugänglich sind. So wird EBV ständig an einigen Orten des Körpers, wie der Ohrspeicheldrüse oder der Gebärmutterschleimhaut produziert, ohne vom Immunsystem überhaupt erkannt zu werden. Im peripheren Blut erfolgt dann die Vermehrung der Viren ohne eine EBV-spezifischen Immunantwort des menschlichen Körpers auszulösen. Die Vermehrung des Virus führt letztendlich wieder zur Infektion von Epithelzellen der Speicheldrüsen und zur Freisetzung infektiöser Viruspartikel in die Speichelflüssigkeit bei den befallenen Patienten.
Experimentell im Labor kann das in den B-Lymphozyten vorliegende Virus durch die Behandlung mit verschiedenen Stoffen reaktiviert und der lytische Zyklus dadurch eingeleitet werden.
Die lytische Vermehrungsphase resultiert in der Produktion und Freisetzung infektiöser Viruspartikel. Dabei ist aber immer noch über den Prozess der Virusreifung, den Transport der Viruspartikel zur Zellmembran und die endgültige Freisetzung der Viruspartikel an der Zellmembran selbst sehr wenig bekannt.
Das wichtigste in diesem Kapitel:
Der Ablauf einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus erfolgt in vier Schritten. Nach einer Infektion begibt sich das Virus sofort in einen Ruhezustand und wird dann vom menschlichen Immunsystem nicht mehr erkannt.
Nach einer Reaktivierung vermehrt sich das Virus und es kommt zum Ausbruch des zum Pfeifferschen Drüsenfieber.
Danach tritt eine erneute Ruhephase ein, die irgendwann aber wieder beendet wird und es entstehen dann wieder neue Viruspartikel. Der Mensch ist somit wieder infektiös geworden.
Das Epstein-Barr-Virus bedient sich der menschlichen Zelle, um überleben zu können. Eine scheinbare anfängliche Koexistenz wird im weiteren Verlauf beendet. Das Virus muss sich von Zeit zu Zeit wieder vermehren. Nur so kann es sein Überleben sichern.
Das Pfeiffersche Drüsenfieber oder die Infektiöse Mononukleose betrifft vor allem Jugendliche und junge Erwachsene. Zu den typischen Symptomen der Erkrankung zählen Fieber, Halsschmerzen und Lymphknotenschwellungen, meist im Halsbereich. Der Name der Erkrankung geht auf den deutschen Internisten und Kinderarzt Emil Pfeiffer (1846-1921) zurück, der diese Krankheit 1889 erstmals beschrieb. Pfeiffer selbst nannte diese Krankheit „Drüsenfieber“, angelehnt an zwei der Hauptsymptome, nämlich Fieber und schmerzhafte Lymphknotenschwellungen.
Pfeiffersches Drüsenfieber tritt vor allem bei jüngeren Menschen zwischen 15 und 25 Jahren auf. Bis zum 40. Lebensjahr hat sich fast jeder in der Bevölkerung (über 95 Prozent) mit dem Epstein-Barr-Virus infiziert. Bei etwa jedem zweiten Infizierten bricht die Infektion jedoch nicht aus. Das heißt, die Betroffenen tragen das Virus zwar in sich, erkranken aber nicht am Pfeifferschen Drüsenfieber. Auch bei Kindern unter 5 Jahren führt eine Infektion normalerweise nicht zum Ausbruch der Erkrankung und bleibt somit asymptomatisch.
Vom Zeitpunkt der Infektion bis zum Auftreten der ersten Symptome, das ist die Inkubationszeit, vergehen bei Jugendlichen etwa ein bis zwei Wochen. Bei Erwachsen kann die Inkubationszeit aber auch viel länger dauern, nämlich bis zu zehn Wochen.
Typischerweise ist das Epstein-Barr-Virus während der akuten Phase des Pfeifferschen Drüsenfiebers sowie noch über mehrere Monate danach im Speichel infizierter Personen vorhanden. In dieser Zeit besteht also weiter eine Ansteckungsgefahr für Menschen, die nicht immun gegen das Epstein-Barr-Virus sind, also bisher noch nicht erkrankt waren.
Zu einer Ansteckung mit dem Epstein-Barr-Virus kommt es hauptsächlich über den Speichel bei Mund-zu-Mund-Kontakt. Deswegen ist das Pfeiffersche Drüsenfieber umgangssprachlich auch als Kusskrankheit („Kissing Disease“) bekannt. Die Viren gelangen mit dem Speichel in den Mundraum und so schließlich auch in die Zellen des Rachenraums. Hier vermehren sie sich vor allem in den Epithelzellen von Ohrspeicheldrüse, Mundhöhle und Zunge. Dort werden die Epstein-Barr-Viren dann später auch wieder ausgeschieden.