Drei russische Märchen

LUNATA

Drei russische Märchen

Alexander Puschkin

Inhalt

Märchen vom Fischer und dem Fischlein

Märchen vom Zaren Saltan

Märchen von der toten Zarentochter und den sieben Recken

Über den Autor

Märchen vom Fischer und dem Fischlein

Lebte einst mit der Alten ein Alter

am Ufer des blauen Meeres;

eine Erdhütte war ihre Wohnung,

drin sie dreiunddreißig Jahre hausten.

Mit dem Sacknetz fing Fisch der Alte,

die Alte saß spinnend am Spinnrad.

Einstmals warf er sein Sacknetz ins Meer aus –

doch nur Schlamm zog das Netz ans Ufer;

wieder warf er das Sacknetz ins Meer aus –

doch nur Seegras brachte das Sacknetz;

und zum dritten Mal warf er das Netz aus –

sieh, da brachte das Netz ihm ein Fischlein,

ein gar seltenes Fischlein, ein goldnes.

Da flehte das goldene Fischlein

und sprach mit menschlicher Stimme:

»Laß mich, Alter, zurück in die Meeresflut,

will dafür dir ein Lösegeld zahlen:

Wie du's selber bestimmst, will ich's zahlen.«

Staunen faßte den Alten und Schrecken:

Dreiunddreißig Jahr lang fing er Fische

und hörte doch nie einen sprechen.

Er ließ frei das goldene Fischlein,

sprach zu ihm die freundlichen Worte:

»Gott sei mit dir, du goldenes Fischlein!

Deines Lösegelds nimmer bedarf ich;

tauch zurück in die blauende Meerflut

und ergehe dich lustig im Freien!«

Heim zur Alten ging wieder der Alte

und erzählte vom Wunder, dem großen:

»Heute hatt ich ein Fischlein gefangen,

ein gar seltenes Fischlein, ein goldenes;

so wie wir sprach das goldene Fischlein,

bat, nach Hause, ins Meer es zu lassen,

wollte mir ein Lösegeld zahlen,

wie ich selber es sollte bestimmen,

ich mochte kein Lösegeld nehmen,

ließ umsonst in die Meerflut das Fischlein.«

Doch da schalt die Alte den Alten:

»Ach, du Erznarr, du alberner Tölpel!

Warum hast du kein Lösegeld genommen?

Einen Trog hättest du sollen verlangen,

da der unsere längst schon geborsten!«

An das blauende Meer ging der Alte –

sieh, da kräuselte leicht sich die Fläche.

Er rief laut nach dem goldenen Fischlein,

und es kam das Fischlein und fragte:

»Sprich, Alter, was willst du haben?«

Und der Alte verneigt sich und bittet:

»Hab Erbarmen, allmächtiges Fischlein!

Meine Alte, die schilt mich und zankt mich,

läßt mich Alten daheim nicht in Ruhe:

Sie begehrt einen Trog, einen neuen,

da der unsere längst schon geborsten.«

Antwort bietet das goldene Fischlein:

»Sei getrost, geh mit Gott deines Weges!

Einen neuen Trog sollt ihr haben.«

Heim zur Alten kehrt der Alte –

sieh, der neue Trog war zur Stelle!

Doch noch ärger schalt ihn die Alte:

»Ach, du Erznarr, du alberner Tölpel!

Warst so dumm, einen Trog zu begehren!

Welchen Nutzen kann bringen ein Trog mir?

Geh zurück, du Narr, zu dem Fischlein,

verneig dich und bitt um ein Häuschen!«

An das blauende Meer ging der Alte

– war das blaue finster geworden –,

er rief laut nach dem goldenen Fischlein,

und es kam das Fischlein und fragte:

»Sprich, Alter, was willst du haben?«

Und der Alte verneigt sich und bittet:

»Hab Erbarmen, allmächtiges Fischlein!

Ärger schilt nur und zankt mich die Alte,

läßt mich Alten daheim nicht in Ruhe:

Gar ein Haus will die Keiferin haben!«

Antwort bietet das goldene Fischlein:

»Sei getrost, geh mit Gott deines Weges!

So sei's denn, ein Haus sollt ihr haben!«

Heim zur Erdhütte kehrte der Alte,

aber diese ist spurlos verschwunden.

Vor ihm steht ein Häuschen mit Erkern,

mit getünchtem Schornstein aus Ziegeln,

vorn – ein Tor von behobelten Eichen.

Die Alte sitzt vor dem Fenster:

Was das Zeug hält, schilt sie den Alten:

»Ach, du Erznarr, du alberner Tölpel!

Warst so dumm, nur ein Haus zu begehren!

Geh zurück zu dem Fischlein und sag ihm:

Eine Bäuerin will ich nicht bleiben,

eine Edelfrau will ich nun werden!«

An das blauende Meer ging der Alte

– es wogte und brauste die Fläche –,

er rief laut nach dem goldenen Fischlein,

und es kam das Fischlein und Fragte:

»Sprich, Alter, was willst du haben?«

Und der Alte verneigt sich und bittet:

»Hab Erbarmen, allmächtiges Fischlein!

Immer ärger treibt's meine Alte,

läßt mich Alten daheim nicht in Ruhe:

Eine Bäuerin will sie nicht bleiben –

eine Edelfrau will sie nun werden!«

Antwort bietet das goldene Fischlein:

»Sei getrost, geh mit Gott deines Weges!«

Heim zur Alten kehrte der Alte.

Und was sieht er? Ein Herrenhaus!

Auf der Freitreppe steht seine Alte

in kostbarem Zobelfellpelzchen.

Auf dem Scheitel brokatenes Häubchen,

um den Hals ein Geschnüre von Perlen,

an den Fingern goldene Ringe,

an den Füßen rotjuchtene Schuhe.

Vor ihr stehen dienstwillige Diener,

sie schlägt sie, zieht sie am Schopfe.

Der Alte sagt zu der Alten:

»Gott zum Gruße, vielgnädige Herrin!

Sprich, ist nun deine Seele zufrieden?«

Doch voll Zornes fuhr an ihn die Alte

und befahl ihm, als Stallknecht zu dienen.

Eine Woche verstreicht und die zweite,

noch närrischer wurde die Alte.