Philipp Hell

 

 

Netzball

 

Lieber per Netzball gewinnen als mit einem Kantenball verlieren!

 

© 2022 Philipp Hell

www.netzball-tischtenniskolumne.com

 

Covergestaltung: hollybookstore

Korrektorat: Reinhard Hell
 

Verlag:

Philipp Hell

c/o autorenglück.de

Franz-Mehring-Str. 15

01237 Dresden      

philipp.hell@gmx.net

 

Vertrieb: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

 

ISBN: 978-3-754955-55-0

Ausgabe 19.03.2022

 




Für meine Familie, mein anderes Hobby.

Philipp Hell, geboren 1984 in Wasserburg/Inn, spielte in der Tischtennis-Kreisliga mit überschaubarem Erfolg bisher für folgende Vereine:

 

Seine größten sportlichen Siege:

 

Er betreibt seit vielen Jahren den augenzwinkernden Tischtennis-Blog netzball-tischtenniskolumne.com und schreibt in regelmäßigen Abständen für Deutschlands größte Tischtennis-Seite mytischtennis.de als „Der Phasendrescher“.

 

Inhalt

 

Prolog: Was für ein Psychopathen-Sport!

 

Teil 1: Die Phasen eines Punktspiels

#1 Die Anfahrt

#2 Die Begrüßungsrede

#3 Die Eingangsdoppel

#4 Das Einspielen

#5 Die Seitenwahl

#6 Der erste Satz

#7 Seitenwechsel

#8 Der zweite Satz

#9 Stoppball!

#10 Der dritte Satz

#11 Der vierte Satz

#12 Auszeit!

#13 Der fünfte Satz

#14 Schiedsrichter

#15 Zuschauer

#16 Das zweite Einzel

#17 Die verdammte Rechnerei

#18 Sonderwünsche

#19 Das Schlussdoppel

#20 Abbauen und Duschen

#21 In der Kneipe

#22 Die Ergebniseingabe

#23 Der nächste Tag

 

#Quicklist: Sätze, die man beim Sex und beim Tischtennis sagen kann

 

Teil 2: Das ultimative Lexikon der Tischtennis-Spielertypen

#1 Der Routinier

#2 Der Resignierte

#3 Der Gesellige

#4 Der manisch Offensive

#5 Der Coach

#6 Die Nummer 1

#7 Der Materialspezialist

#8 Der ständige Ersatzmann

#9 Der Abteilungsleiter

#10 Der Edelfan

#11 Der Schreihals

#12 Das Multitalent

#13 Der Bescheißer

#14 Das Naturtalent

#15 Der Phlegmatiker

#16 Der Trainingsweltmeister

#17 Der Psychotrickser

#18 Der knallharte Optimierer

#19 Der Neidische

#20 Die Quotenfrau

#21 Der Vereinsclown

#22 Das ewige Talent

#23 Das Nervenbündel

#24 Die Legende

#25 Der Asiate

#26 Der blutige Anfänger

#27 Der Invalide

 

#Quicklist: Inhalt einer Tischtennis-Tasche

 

Teil 3: Die Phasen einer Tischtennis-Karriere

#1 Der Knirps

#2 Das talentierte Kind

#3 Der pubertierende Jugendliche

#4 Der übermotivierte 17-Jährige

#5 Der abwesende Student

#6 Der ehrgeizige Endzwanziger

#7 Der unpässliche Familienpapa

#8 Die zweite (oder dritte) Luft in den Vierzigern

#9 Der gesellige Mittfünfziger

#10 Der brandgefährliche Routinier

#11 Der Tischtennis-Opa

#12 Der Tischtennis-Greis

#13 Der pensionierte Edelfan

 

#Quicklist: Weit verbreitete Zähltische

 

Teil 4: Das ganze Drumherum

#1 Kurzes Lexikon wichtiger Tischtennis-Begriffe

#2 Leistungssteigernde Mittel

#3 Tischtennis und Sex

#4 Spielverlegung

#5 Firmenrunde

#6 Der TTR-Wert

#7 Vorrundenbilanz und Ranglistensitzung

#8 Der beste Schlag

#9 Lauf und Anti-Lauf

#10 Doppel

#11 Gegen Frauen spielen

#12 Mannschaftsführer

 

#Quicklist: Warum Jugendliche aufhören

 

Teil 5: Die Phasen eines Tischtennis-Turniers

#1 Die Anreise

#2 Das Einspielen

#3 Die Vorrunde

#4 Die Mittagspause

#5 Die Doppelrunde

#6 Die K.O.-Phase

#7 Das Finale

#8 Die Siegerehrung

 

#Quicklist: Die Mannschaftsführer der letzten 25 Jahre

 

Teil 6: Die Phasen einer Tischtennis-Saison

#1 Das Team

#2 Die Saisonvorbereitung

#3 Der Saisonauftakt

#4 Pokalspiel

#5 Spitzenreiter, Spitzenreiter, hey, hey!

#6 Die erste Krise

#7 Die Weihnachtspause

#8 Start in die Rückrunde

#9 Kampf um die goldene Ananas

#10 Englische Woche

#11 Relegation

#12 Feiern und Feste

#13 Die Sommerpause

 

#Quicklist: Bandenwerbung

 

Bonus: Die besten Tischtennis-Filme aller Zeiten

 

#Quicklist: Wichtige Sätze des Sporthallen-Hausmeisters

 

Danksagung





Prolog

 


Was für ein Psyochopathen-Sport!

 

In den Tischtennis-Hallen der Republik trifft man auf jede Menge Irre. Hier gilt es nichts zu beschönigen. Schließlich sind wir selbst mittendrin und das seit Jahren: Zwischen den größten Gockeln und den eingeschnapptesten Leberwürsten. Bei den krankhaft Ehrgeizigen und den unfassbar nervig Gleichgültigen.

Eigentlich hat man sich ganz gut an dies alles gewöhnt. Doch von Zeit zu Zeit ertappt man sich eben doch bei dem Gedanken warum man eigentlich mit keinem anständigen Sport begonnen hat damals in der Jugend. Fußball zum Beispiel. Oder wem das zu prollig ist eben Tennis. Wer keine Bälle mag halt Leichtathletik. Oder gar Hallenhalma. Sicherlich, das Talent war überall äußerst überschaubar. Aber warum zum Kuckuck musste es ausgerechnet Tischtennis sein?

Das fragt man sich wenn auf der anderen Seite der Platte mal wieder jemand explodiert, weil er – nach dem zweiten Kantenball im gesamten Spiel – die ganze Welt gegen sich wittert. Schreiend, brüllend, gestikulierend und mit der Mimik eines Gorillas beim Paarungstanz wird da die ganze Ungerechtigkeit des Lebens hinausgeschrien. Das vor zehn Minuten im Entscheidungssatz durch einen Aufschlagfehler des Gegners unfassbar glücklich und unverdient gewonnene Spiel ist da schon längst wieder vergessen. Aber warum steht dort auch diese Bande herum und warum ist die Hallendecke so niedrig!? Ach, das Kurzzeitgedächtnis!

Genauso irre sind auch diese sich krankhaften Selbstbeleidiger. Arschloch, Depp, Hirnverbrannter, Angsthase, Jugendspieler sind da noch die netteren Bezichtigungen bei denen man sich als Gegner zunächst immer selbst angegriffen fühlt. Bevor man merkt, dass der Typ auf der anderen Seite ausschließlich mit sich selbst beschäftigt ist.

Ganz anderes der offensive Aggressivling: Bei ihm geht die Statur und die modische Ausstattung einher mit martialischen Tätowierungen, welche zum Gesamteindruck eines kriminellen Motorrad-Rockers führen. Bereits beim Einspielen fängt man sich von ihm Blicke voller abgrundtiefem Hass ein, die dann auch prompt massenhaft Aufschlagfehler und verschossene Elfmeter provozieren. Kaum trottet man psychisch am Ende und gnadenlos besiegt von der Platte sieht man den Kerl liebevoll Frau und Kinderschar herzen als wäre er der Moderator einer ARD-Samstagsabendshow.

Doch zu spät, wieder einmal stand man sich selbst im Weg. Beim Fußball heißen die billigen Ausreden Gras zu hoch und Ball zu platt. Beim Tischtennis hat die Platte so komisch gespiegelt, und das Netz war nicht richtig gespannt. Oder der Gegner wollte sich nicht richtig einspielen. Wurde unfairerweise auch noch ständig gecoacht. Machte nahezu alle Aufschläge direkt aus der Hand. Und trug zu allem Überfluss auch noch so ein beschissenes Schweißband!

Tja, modisch gesehen zeigt da der ein oder andere sein Psychopathen-Wesen doch sehr öffentlich. Oder wie lassen sich sonst lila-pink-karierte XXL-Trikots aus den Achtzigern erklären die immer noch im Einsatz sind? Oder dutzende von Tapes und Bandagen als stünde ein zwölfründiger Profi-Boxkampf an statt eines körperkontaktlosen Tischtennis-Matches?

Weitere auffällige Zelluloidspezialisten: Das kleine Männchen, welches sich während des kompletten Spiels leise flüsternd mit sich selbst unterhält und dabei leicht diabolisch grinst wie der Joker aus den Batman-Filmen. Oder der Blinde, der ständig lautstark betont, dass genau dieser Ball doch gestern im Training immer kam. Der Halbstarke, der jeden verschossenen Ball direkt im Anschluss per Trockenübung noch einmal in aller Seelenruhe durchgeht. Auch schön: Der mit glasigen Augen geistig völlig abwesend vor sich Hinstarrende. Oder aber der Verzweifelte welcher sich abwechselnd Hasenfüßigkeit und Mädchentischtennis vorwirft. Ach, man könnte ewig so fortfahren.

Auf genau die entgegengesetzte Art und Weise schlimm sind wiederum diese Stoiker. Denen kann man die Bälle um die Ohren kloppen, sie abwechselnd mit Netz- und Kantenbällen traktieren und mit diversen Mätzchen zum vierten Aufschlagfehler im Satz provozieren – keine Regung. Absolut keine. Wahnsinnig. Wie kann das sein? Da regt man sich nur selber wieder auf. Beinahe so sehr wie über den jovialen Schwätzer. Dieser versucht zwischen den Ballwechseln ständig Konversation zu betreiben, hat immer einen lockeren Spruch auf den Lippen und amüsiert sich ununterbrochen über den eben gespielten angeblich besonders kuriosen Ballwechsel. Er wird wiederum nur noch getoppt vom Balletttänzer, der jeden verschlagenen Ball mittels einer Pirouette in 1-A-Haltungsnote verarbeitet, wobei er laut „Huiuiui!“ ruft.

Doch wechseln wir deswegen die Sportart? Vielleicht nächste Saison. Wenn man es den ganzen – anderen – Psychopathen endlich mal ordentlich gezeigt hat. Gerade diesem hüpfenden Idioten, der einen schon aufregt wenn er nur schwungvoll die Halle betritt. Muss man den immer wieder treffen!? Auf jeeeedem Turnier?? Und dann auch noch verlieren?? Muss das sein??? Ernsthaft???? SCHON WIEDER!? Per D-O-P-P-E-L-Netzroller??? ICH RASTE AUS!!!

 

DIE DREI GROSSEN LÜGEN

bei der Begrüßungsrede

 

 





Teil 1: Die Phasen eines Punktspiels


#1 Die Anfahrt

 

Tischtennis sei ein sehr komplexer Sport, heißt es gerne. Das stimmt! Bei Heimspielen ist normalerweise der großen Mehrheit der Spieler Ort und Zeitpunkt zumindest halbwegs konkret bekannt. Auswärtsspiele jedoch beginnen zunächst mit der organisatorisch anspruchsvollen sowie höchst beschwerlichen Anfahrt.

Normalerweise wird als Treffpunkt zur Abfahrt „die Halle“ ausgemacht, der zentrale Punkt für alle Belange eines jeden Tischtennis-Vereins. Dort steht man dann frierend im Trainingsanzug aus schönster Ballonseide in der Kälte herum und wartet auf die noch fehlenden Mitspieler. Eine typische Saison besteht üblicherweise mindestens aus folgenden Anfahrts-Situationen:

Spiel 1: Die neu formierte Sechser-Mannschaft reist mit sieben PKW beim Gegner an, da es mit der Absprache eher so mittel geklappt hat. Schließlich haben alle Spieler hinterher noch etwas vor und müssen daher direkt nach Spielende abreisen. Außerdem wollte Sörens Freundin mal wieder einen Abend mit ihm verbringen, daher hat sie sich ebenfalls mit dem eigenen Auto in der fremden Halle eingefunden.

Spiel 2: Bis auf die Nummer 1, die selbstverständlich immer alleine anreist, finden sich alle Spieler nun am doch gemeinsam vereinbarten Treffpunkt ein. Leider konnte nur einer von ihnen das Auto von seiner Gattin loseisen. Bevor es losgehen kann, muss folglich noch eine Partie „Tetris für Fortgeschrittene“ gespielt werden, um fünf Sporttaschen sowie fünf vollschlanke Tischtennis-Spieler in einen Fiat Uno zu bekommen. Merke: Für spannende Teambuilding-Maßnahmen muss man nicht extra in den nächsten Klettergarten fahren!

Spiel 3: Auch eine Viertelstunde nach der vereinbarten Abfahrtszeit fehlt noch ein Teammitglied. Telefonisch klärt sich nach mehreren erfolglosen Versuchen, dass er sich gerade auf Mallorca befindet und es daher wohl nicht mehr rechtzeitig zur Halle in Niederpforzheim-Süd schaffen wird. Spontan entschließen sich seine Mitspieler, einfach alle potentiellen Ersatzspieler, die halbwegs in der Nähe wohnen, direkt zu Hause zu besuchen. Einer wird sich hoffentlich kurzfristig vom abendlichen Fernsehprogramm und seinem Feierabendbier lösen können.

Spiel 4: Überraschenderweise haben sich dieses Mal die Spieler vollzählig und pünktlich am richtigen Treffpunkt eingefunden. Jetzt besteht nur noch ein kleines Problem: Keiner hat ein Auto mitgebracht! Nun kann nur gehofft werden, dass wenigstens die Frau des am nahesten wohnenden Teammitglieds ihren Wochenend-Einkauf auf einen anderen Tag verschieben kann – sonst müsste man wohl trampen.

Spiel 5: Erneut sind alle pünktlich am Treffpunkt erschienen, dieses Mal sind sogar genügend Autos vorhanden, es ist noch reichlich Zeit bis zum Spielbeginn und jeder bis in die Haarspitzen motiviert. Leider nur ist man selber der Fahrer desjenigen Autos, in dem sich die beiden Mitspieler eingefunden haben, welche sich absolut nicht riechen können. Nun herrscht natürlich – wieder einmal – dicke Luft und das Schneetreiben sowie das Verkehrschaos draußen macht die Sache auch nicht besser. Eine hervorragende Möglichkeit für den Fahrer die Inhalte des letzten Meditationskurses in der Praxis zu testen.

Spiel 6: Eine halbe Stunde vor Spielbeginn erreicht man – vollzählig und ausnahmsweise ohne Streitereien – die Halle des Gegners. Zunächst positiv überrascht von sich selbst und der ausgefuchsten Organisation stellt das Team jedoch bald fest, dass die Turnhalle verrammelt und verriegelt sowie verdächtig dunkel ist. Ein kurzer Anruf beim Abteilungsleiter – dein Freund und Helfer in jeder Tischtennis-Not – klärt darüber auf, dass der Gegner seit einigen Monaten in einem Hallen-Neubau am anderen Ende der Stadt spielt. Dort trifft man dann pünktlich vier Minuten nach dem offiziellen Spielbeginn ein.

Spiel 7: Alle möglichen Hindernisse in der Anfahrt wurden erfolgreich und rechtzeitig gemeistert, doch nun warten an und in der gegnerischen Halle nochmals einige Hürden auf das Auswärtsteam. Da gilt es zunächst den richtigen Eingang zu finden: Im Internet stand irgendetwas davon, dass der Hausmeister den Haupteingang immer schon frühzeitig zugesperrt hat, man sich jedoch über die Wiese mit den Obstbäumen in der Nebenstraße dem Schulgelände annähern kann, dort gibt es dann ein Loch im Zaun, Vorsicht vor dem Hausmeister-Hund, dann von außen an die Hallentür geklopft, und zwar im Rhythmus kurz-lang-lang-kurz und schon wird geöffnet. Leider hat man diese Beschreibungen vor Ort nur noch recht vage im Hinterkopf, die verbleibende Zeit fürs Umziehen beträgt schließlich noch dreieinhalb Minuten.

Spiel 8: Anfahrt und auch das Betreten des Gebäudes wurden perfektioniert und so macht man sich auf die Suche nach der passenden Umkleide. Dann jedoch platzt man zunächst in die Kabine der attraktiven Volleyball-Mädchen und wird direkt im Anschluss in der nächsten Kabine von den alarmierten und immer noch recht kernigen Taekwondo-Senioren empfangen. Beim Blick in die Sporttasche findet der junge Nachwuchsstar einige seiner notwendigen Utensilien nicht, sodass er später barfuß und mit dem Zweitschläger von Noppen-Norbert spielen muss – ganz klar Mamas Fehler. Außerdem bemerkt auch der ältere Kollege, dass er nicht alles Gewünschte in seiner Sporttasche vorfindet – er freut sich daher den ganzen Abend schon darauf sich später ein Handtuch mit Uwe teilen zu dürfen.

Spiel 9: Man betritt erstmalig vollzählig, frühzeitig sowie komplett ausgestattet des Gegners Halle, trifft aber leider nur die rüstigen Faustballer im Unterhemd an, die einem leutselig erklären: Ja, die Tischtennis-Spieler kämen immer etwas später, daher spiele man meistens noch den ein oder anderen Extra-Satz. Folglich nimmt das Team vorerst auf den bequemen Schulsport-Bänken Platz und bewundert eine Sportart, die offenkundig noch statischer ist als Tischtennis in der 4. Kreisliga Nord-West.

Spiel 10: Beim abschließenden Auswärtsspiel der Saison ist bei der eigenen Ankunft das gegnerische Team glücklicherweise frühzeitig anwesend, alle Platten sind bereits akkurat aufgebaut und so kann gleich mit dem Einspielen begonnen werden. Kommt es allen Teammitgliedern schon recht spanisch vor, dass man gegen das vermeintlich abgeschlagene Tabellenschlusslicht hierbei hauptsächlich das Bälle Aufheben trainiert (und wo ist eigentlich Hans-Dieter, der spielt doch eigentlich immer bei denen mit!?), so ist das Hallo groß als eine weitere Mannschaft die Halle betritt. Schnell klärt sich auf, dass man sich gerade mit der Landesliga-Mannschaft des Gegners eingespielt hat – die fünfte Mannschaft wartet aber schon im Gymnastik-Raum unter dem Dach.

 


#2 Die Begrüßungsrede

 

Da steckt man mitten drin in seinem Einzel, langsam geht es in die entscheidende Phase, Satzball – da schallt es plötzlich lautstark durch die Halle: „Training bitte einstellen!“ Klar, im zweiten Teil der Halle beginnt nun endlich – nach einer doppelt so langen Aufwärm- und Einspielphase wie bei den Normalsterblichen – auch für die erste Mannschaft aus der Bezirksliga ihr Punktspiel. Und deren Mannschaftsführer fordert immer wie selbstverständlich die volle Aufmerksamkeit aller Anwesenden ein. So unterbricht man wohl oder übel das eigene Match und lauscht seinen Ausführungen, wobei es natürlich große Unterschiede beim Vortrag gibt.

Da wäre zum einen der Routinier genannt. Er ist seit 27 Jahren Mannschaftsführer und hat in dieser Zeit bereits unzählige Begrüßungsreden gehalten. Ihn bringt folglich nichts mehr aus der Ruhe, geduldig wartet er, bis Bernd aufhört in seiner Tasche zu wühlen, bis der Jugendliche zum dritten Mal seinen Schläger geputzt hat und bis sich auch wirklich alle Gegner im Halbkreis um ihn aufgestellt und das Tuscheln eingestellt haben. Dann liest er in Seelenruhe die Aufstellungen sowie die ersten Spielpaarungen vor, deutet auf die beiden Spielplatten, wünscht „faire und spannende Spiele“ und dass – haha! – natürlich der Bessere gewinnen möge. Den einsetzenden, überschaubaren Applaus nimmt er nur peripher war, legt den Spielberichtsblock zur Seite, greift sich seinen Schläger und tritt an den Tisch. Es kann losgehen!

Ganz anders der Entertainer unter den Spielführern. Er genießt die volle Aufmerksamkeit aller Anwesenden, schließlich steht er gerne im Mittelpunkt. Und da seine Frau nach 15 Jahren Ehe inzwischen bei seinen Witzchen noch nicht einmal mehr müde lächeln kann, ist nun genau der richtige Zeitpunkt dafür. Kein Namenswitz zu flach und keine Selbstverständlichkeit zu bekannt um nicht erwähnt zu werden. Alle Spieler werden einzeln vorgestellt und ihre bisherige Saisonbilanz kurz besprochen. Außerdem werden die Spitznamen der Spieltische erwähnt („das sind der harte Horst sowie der knarzende Karl“). Der Entertainer vergisst nie, wirklich nie, zu erwähnen, dass man es nicht zu lange machen solle: Schließlich hätten alle Durst und die etwas trockene Pizza gibt es in der Wirtschaft auch nur bis 22 Uhr für 5 Euro. Schließlich meint er: „Die bessere Mannschaft ist mir eigentlich egal, Hauptsache wir gewinnen!“ Ein launiges „Mögen die Spiele beginnen!“ beendet die Mario Barth-artige Prozedur für alle Umstehenden, denn nach 14 Jahren in der gleichen Liga hat man jeden Witz schon viel zu oft gehört und die ganze Rede fühlt sich an wie ein langes, unangenehmes Déjà-vu.

Im krassen Gegensatz dazu steht das Mauerblümchen. Ihm ist es sichtlich unangenehm vor Leuten zu sprechen, daher hatte er sich auch vor der Saison mit Händen und Füßen gewehrt, Mannschaftsführer zu werden. Leider hatte von den Mitspielern nun wirklich keiner zeitliche Kapazitäten mehr frei und irgendwie ist er es dann eben doch geworden. Nun fokussiert er sich mit starrem Blick auf den umklammerten Spielberichtsbogen und murmelt die Aufstellung ohne Punkt und Komma in seinen nicht vorhandenen Bart. Schnell noch schöne Spiele gewünscht – geschafft! Handgestoppte 43 Sekunden, offenbar ein neuer Rekord.

Der Businesskasper wiederum hält keine Begrüßungsrede, er hält eine Präsentation: immer wieder möchte er auf „die nächste Folie“ verweisen statt auf Tisch zwei, er hofft, dass man im Doppel „Synergien heben“ kann und bezeichnet die ersten Einzel dann als die „nächsten Milestones“ des Punktspiels. Ab und zu zückt er sogar seinen Laserpointer und dreht sich zur Wand hinter ihm – bis er merkt, dass er in einer miefigen Turnhalle statt eines schnieken Besprechungsraums steht. Nichtsdestotrotz zieht er einen Tagesordnungspunkt nach dem anderen gnadenlos durch, ohne Rücksicht auf etwaige Einwürfe der Meeting Participants („sprich doch mal deutsch!“) näher einzugehen. Allerdings ist er etwas enttäuscht, dass das Delegieren von Aufgaben miserabel bis gar nicht funktioniert, da Ernst sich mit seiner künstlichen Hüfte einfach nicht in der Lage sieht, noch eine weitere Platte aus dem Geräteraum zu holen. Das Meeting-Protokoll will auch keiner schreiben und besonders der Applaus fällt für den Geschmack des Businessfuzzis etwas spärlich aus.

Bleibt noch der abwesende Mannschaftsführer zu erwähnen. Er kann heute leider selbst nicht antreten (Geburtstag der Frau, Abifeier der Tochter oder Jahreshauptversammlung im Kaninchenzüchterverein – wer weiß das schon?) und hat daher einen Ersatzspieler organisiert. Allerdings muss nun auch jemand anderes die Begrüßungsrede halten und da wurde niemand benannt: So reichen sechs gestandene erwachsene Männer beschämt den Spielblock solange reihum („Mach doch du!“ – „Ne, hab ich heute so ein Kratzen im Hals.“) bis kurzerhand der Mitläufer der Mannschaft mit Block in der Hand und knallroten Wangen nach vorne geschoben wird. Diese bemitleidenswerte Gestalt scheint wirklich noch nie eine Begrüßungsrede gehalten zu haben. Viel bemerkenswerter: Offenkundig war er auch noch nie bei einer anwesend! Hilfesuchend blickt er sich immer wieder zu seinen Mitspielern um, denn weder ist ihm das Spielsystem bekannt, noch kann er unfallfrei die Konsonanten-lastigen Namen seiner osteuropäischen Mitspieler vorlesen, noch weiß er, dass man zuerst die Aufstellung des Gegners vorliest und erst zum Schluss allen gute Spiele wünscht. Alle Anwesenden sind erleichtert, wenn die peinliche Vorstellung endlich vorüber ist. Hoffentlich ist nächste Woche der Captain wieder dabei!


#3 Die Eingangsdoppel

 

Das eigene erste Match läuft bereits seit einer Weile doch im Hinterkopf spukt noch eine Frage herum: Hat man da nicht etwas vergessen? Plötzlich fällt es einem siedend heiß ein: Doppel? Ach ja, da war ja was, die Eingangsdoppel! Und völlig irritiert stellt man umgehend fest, dass am Nachbar-Tisch tatsächlich noch Doppel gespielt wird. Hätten wir ja beinahe glatt vergessen.

Im Kreisliga-Tischtennis werden die Doppel beinahe schon traditionsgemäß sträflichst vernachlässigt. Trainiert wird so gut wie nie und die Aufstellung ist eine Mischung aus Willkür, dem kleinsten gemeinsamen Nenner aller Beteiligten sowie den privaten Vorlieben der Alpha-Tiere einer Mannschaft: Die Nummer 1 spielt selbstverständlich immer nur im Einser-Doppel, einer will auf gar keinen Fall das Opfer-Doppel geben, ein anderer spielt nicht mit dem Ersatzmann (der kann eh nix), ein weiterer Spieler kann nicht mit dem Noppenspieler an den Start gehen und der verbliebene Mann wiederum spielt schon seit seiner Jugend nur mit dem Herbert.

So richtig Vollgas scheint in den Eingangsdoppeln ohnehin kaum jemand zu geben, man beobachtet lieber den Gegner, achtet auf dessen Stärken und Schwächen und rechnet sich bereits die eigenen Chancen in den anschließenden Einzeln aus. Solange, bis man sich mal wieder über einen saublöden Aufschlagfehler seines Partners lautstark ärgern muss. Schließlich ist ohnehin vorher bereits klar, dass das starke Einserdoppel das Opferdoppel des Gegners klar im Griff haben wird, oder? Das eigene Opferdoppel heißt aus gutem Grund so. Und das Dreier-Doppel mit dem Ersatzmann aus der Vierten – ach…

Besonders dreist treiben es diejenigen Kandidaten, die schlicht und einfach ihr Pulver noch nicht verschießen wollen und dies auch nur mehr oder weniger gut verbergen können. Da werden die gemeinen Aufschläge ausgelassen, die Laufleistung wird auf ein Minimum reduziert und selbst der Vorrat an unflätigen Selbstbeschimpfungen wird für später aufgehoben. Schließlich stehen dann die wichtigen Einzel an, bei denen es um die wirklich harte Währung geht: um TTR Punkte statt nur um eine gute Doppel-Bilanz, für die man sich ja bei der Aufstellung der Rangliste für nächste Saison auch wieder nichts kaufen kann.

So gleichen die Eingangsdoppel einer Amateurzirkus-Vorstellung auf überschaubarem Niveau mit hohem Klamauk-Faktor: Da versucht ein fideler Senior um seinen bulligen Partner mit dem Wendekreis eines Vierzigtonners und dem Bewegungsradius eines Bierdeckels herumzulaufen. Da verzweifeln Spieler am Offensivfeuerwerk ihres Nebenmannes, der die Bälle, die er da spielt, zuletzt Ende der 90er auf der Platte untergebracht hat. Da starren Spieler intensiv und hochkonzentriert auf ihren Schlägerbelag, damit sich der Partner nach dem Ball bücken muss. Da brüllen sich am Nachbartisch die Mitspieler gegenseitig an, dass sie doch bitte dem Gegner nicht immer die Bälle so hoch auflegen sollen und ein kurzer Aufschlag sei auch ab und zu enorm hilfreich gegen diesen offensiven Linkshänder! Und anschließend streiten sich alle vier Spieler darüber, wer jetzt eigentlich gerade auf wen aufschlagen muss, schließlich hattet ihr doch im ersten Satz, dann haben wir bei 4:2 im zweiten gewechselt, ihr hattet anschließend diesen Kantenball, und dann hat der Klaus…

Der Schiedsrichter wiederum sitzt teilnahmslos daneben: Nie weiß er wie es steht, die Wechselregel ist ihm schon immer ein Buch mit sieben Siegeln gewesen und Angaben auf die falsche Seite zählt er aus Prinzip nicht. Die kann er auch gar nicht sehen, da er wie ein Achtklässler lustlos auf dem Stuhl fläzt und nebenbei auf seinem Smartphone eifrig bei Tinder unterwegs ist – zumindest solange, bis er die spärlich bekleidete siebzehnjährige Tochter des Abteilungsleiters entdeckt, ihm ein lauter Schrei entweicht und er damit unabsichtlich den spektakulärsten Ballwechsel des ganzen Spiels unterbricht. Schon blöd, gerade bei Matchball für den Gegner.

Eigentlich liegt das Wohl und Wehe einer Mannschaft unter Doppel-Gesichtspunkten meistens ohnehin in der Hand bzw. den Schlägern des Dreierdoppels. Hier duellieren sich die überforderten Ersatzleute mit den in der Rangliste so weit hinten stehenden Spielern, dass es für sie selbst für das Opferdoppel nicht mehr gereicht hat. Spielerisch würde man sofort einen mehrklassigen Unterschied zu dem sonstigen Geschehen dieses Punktspiels erkennen – wenn man nur zusehen würde. Doch wenn es im Dreierdoppel in die entscheidende Phase geht, laufen an den anderen Tischen schon längst die Einzel der Starspieler – und diese fordern selbstverständlich die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Anwesenden ein.

Geht das Spiel am Ende des Abends nach einem genauso frühen wie unglücklichen 0:3-Rückstand nach den Doppeln mit 6:9 verloren, so sind sich alle Beteiligten darüber einig, dass nächste Woche endlich mal Doppel trainiert werden muss. Und vielleicht sollte man sich gleich noch ein paar strategische Gedanken über die Zusammensetzung der Doppel-Paarungen machen. Wie, der Ulf kann Dienstag nicht, Sören ist die ganze Woche auf Malle und am Freitag ist der Hans-Dieter wie immer bei seiner 300km entfernt lebenden Freundin? Dann eben übernächste Woche, dann aber ganz bestimmt, Jungs!

 

DIE DREI GROSSEN LÜGEN

Beim Kauf eines neuen Schlägers

 

 


#4 Das Einspielen

 

Bevor ein Tischtennismatch beginnt, stehen zunächst die obligatorische Begrüßung und dann das Einspielen auf dem Programm. Bereits beim Händeschütteln lassen sich anhand des Verhaltens der Spieler erste Vorhersagen über den weiteren Verlauf des Spiels treffen. Folgende Typen sind schon vor dem Match eindeutig zu identifizieren:

Der grobe Aggressivling – nimmt die Hand seines Gegners in den Schraubstock und taxiert ihn mit weit aufgerissenen Augen. Bereits während des Einspielens versucht er, direkt die ersten Punkte zu erzielen. Er wird später gnadenlosen Topspin-Angriff spielen.

Der joviale Schwätzer – stellt sich zunächst mit Vor- und Nachnamen vor und philosophiert anschließend noch über das Wetter während er ausgiebig die Hand seines Gegenübers schüttelt. Seinen Monolog führt er während der ersten lockeren Ballwechsel auch fort und kann nur unterbrochen werden, indem man ein paar Angriffsbälle links und rechts neben ihm einschlagen lässt – er muss dann zunächst nämlich den Ball holen. Ob er gewinnt oder verliert, ist ihm offenkundig völlig egal.

Der Griesgram – meist älteren Semesters, bringt kaum die Zähne zum Gruß auseinander. Anscheinend stört ihn dieses Match in seiner gemütlichen Feierabend-Gestaltung – das zahlt er seinem Gegner aber auch heim. Er spielt oftmals Noppen, klar.

Der Unsichere – blickt beim Händeschütteln betreten zu Boden und wäre offenkundig lieber ganz woanders als in dieser Sporthalle. Beim Einspielen übt er schon einmal fleißig das Ballaufheben. Er wird später insgesamt nur acht Punkte machen.

Der arrogante Uninteressierte – unterhält sich parallel noch mit den Zuschauern. Er wird routiniert seinen Stiefel runterspielen und entweder klar gewinnen oder klar verlieren. Die Unterhaltung mit den Zuschauern führt er natürlich auch beim anschließenden Einspielen fort. Den Wechsel von Vor- auf Rückhand muss man ihm nahezu aufzwingen, er ist jedoch immer „bereit, wenn du es bist“. Und ob er die erste Angabe hat oder nicht – nichts könnte ihm gleichgültiger sein.

Der Hektiker – eilt an die Platte, ergreift die ausgestreckte Hand seines Gegners nur für einen Sekundenbruchteil und tut nach dem ersten Konter-Ballwechsel lautstark kund, dass er nun soweit wäre. Psychologische Botschaft: Allzeit bereit, ich mach dich platt! Während des Spiels wird man selber nur selten ruhig und konzentriert an der Platte stehen wenn er aus vollem Lauf seine Angaben macht.

Der Perfektionist – das krasse Gegenteil zum Hektiker. Er beginnt mit einem intensiven Händedruck und legt Wert auf Augenkontakt. Offiziell nur eine Minute Einspielzeit? Pah! Solange er nicht jede seiner 17 verschiedenen Schlagvarianten – erfolgreich – ausprobiert hat, sieht er sich nicht in der Lage, auch nur ansatzweise den ersten Satz zu beginnen. Außerdem ist dem Perfektionisten bei einer Einspielzeit von unter fünf Minuten immer noch kalt – nicht umsonst spricht er daher auch immer vom „Warmspielen“. Finden zwei dieser Experten zusammen, kann es schon einmal vorkommen, dass der Zähler mit einem launigen „Also ich wär dann soweit, Jungs“ die Einspiel-Vorstellung nach einer knappen Viertelstunde beendet. Während des Spiels hält der Perfektionist dann einige Male kurz inne, um per Trockenübung nochmal seinen Topspin-Schlag technisch sauber durchzugehen bevor es weitergehen kann.

Der Noppen-Spezialist – verwendet beim Einspielen entweder auf Vor- und Rückhand nur seine glatte Schlägerseite. Dann kann man zwar minutenlang ganz nett hin und her kontern, doch im Spiel kommen diese Schläge natürlich nie wieder zum Einsatz. Oder aber der Noppen-Mann gibt von Anfang an alles, was er hat. In diesem Fall kann man sich zwar bereits mit den erstaunlichen Flugeigenschaften seiner Bälle bekannt machen, an ein Einspielen im klassischen Sinne ist aber nicht zu denken. Wenigstens muss man so nicht erst bei einem 0:2-Satzrückstand feststellen, dass der Gegner vermutlich lange Noppen spielt.

Der Egomane – ebenfalls sehr unbeliebt zum Einspielen. Die Begrüßung hat er leider vergessen. Er legt Wert darauf, dass er in Ruhe einige Bälle anziehen kann, erst auf der Vorhand, dann noch auf der Rückhand. Dann noch ein paar Unterschnitt-Ballwechsel, um die Sicherheit und das Gefühl für den Ball zu bekommen. Und zum Abschluss will er noch zwei, drei Aufschlagvarianten probieren. Ist er endlich fertig mit seinem umfangreichen Programm und will das Spiel beginnen, ist die Überraschung groß, wenn der Gegner völlig eigennützig noch mehr Schläge üben möchte als die bisherigen Topspin-Blocks. Der Egomane wird sich im Verlauf des Spiels von allem und jedem abseits der Platte gestört fühlen, Kantenbälle des Gegners hat er jedoch leider nie gesehen.

Zusammengefasst stellt sich folglich jedem Tischtennis-Spieler die Frage, ob man nicht besser gänzlich auf Begrüßung und Einspielen verzichten sollte, um dem Gegner nicht freiwillig einen zu tiefen Einblick in die eigene Psyche und das eigene Schlagrepertoire zu gewähren. Andererseits: Nie wieder gelingt diese Vielzahl von spektakulären Stopps, Monster-Rettungstaten, tödlichsten Schnitt-Bällen und absoluten Wunderschlägen wie vor Beginn des eigentlichen Spiels. Wenn man anschließend schon klar verlieren muss, so hat man auf diese Art wenigsten zeigen können, dass man eigentlich sehr ordentlich spielen könnte – hätte einem der grobe Aggressivling nicht bei der Begrüßung direkt die Hand verstaucht.


#5 Die Seitenwahl

 

Haben sich – nach einer Odyssee-artigen Anfahrt der Auswärtsmannschaft – beide Spieler endlich zur Genüge nach allen Regeln der Kunst, hochmotiviert und technisch vom Allerfeinsten eingespielt (oder auch nicht), so steht bei den Amateuren vor dem eigentlichen Spielbeginn noch die obligatorische Seitenwahl an. Gut, normalerweise handelt es sich dabei eher nur um das Losen darum, wer zuerst Aufschlag hat – denn die Seitenwahl wurde ja bereits entschieden als der schnellere und cleverere der beiden Spieler sich einfach auf die bessere Plattenseite gestellt hat.

Auch bei diesem Losen werden von den Tischtennisspielern wieder ganz verschiedene Ansätze verfolgt. Einerseits gibt es diejenigen, die darauf bestehen, dass sich der Zähler von seinem Stuhl erhebt und die Wahl durchführt. Sie wünschen sich einen gewissen offiziellen, ja sogar festlichen Rahmen für ihr Einzel. Andere wiederum haben Mitleid mit ihrem ausgepumpt auf dem Schiedsrichter-Stuhl hängenden Mitspieler, der offenkundig noch an seiner gerade erlittenen epischen Niederlage zu knabbern hat, und führen die Wahl umgehend selbst durch.

Bei den Durchführenden dieser Wahl kann man einige spezielle Typen beobachten: Den gelangweilten Kaugummi-Kauer, der sich bereits einen Meter vor dem Tisch umgehend notdürftig bückt und dann seine Hände zur Wahl nur wenige Zentimeter auseinanderstreckt – zu seiner Verteidigung ist anzumerken, dass er sich dank seines beeindruckenden Bauchumfanges auch kaum näher an den Tisch stellen kann. Oder den akkuraten Wichtigtuer, welcher zunächst mehrfach die perfekte Rotation des Balles auf der Platte überprüft bevor er beginnt – nach der Wahl verkündet er dann lautstark „Aufschlag TSV Hinterdümpfelbach 2, erster Satz, 0:0.“ Und nicht zu vergessen den Jugendlichen, der den Ball alberner Weise zunächst sekundenlang zwischen seinen spärlich behaarten Beinen hin- und herwandern lässt wie ein verschlagener Hütchenspieler vor einer beliebten Touristenattraktion.

Beim Wählen kommt nun wieder Tiefen-Psychologie ins Spiel: Je nach Grad der Abergläubigkeit des Wählenden will dieser unbedingt oder auf gar keinen Fall den ersten Aufschlag haben. Letzteres lässt sich natürlich einfach provozieren, indem man frühzeitig und äußerst bestimmt in eine Richtung deutet bevor der die Wahl Durchführende überhaupt seine Arme in entgegengesetzte Richtungen ausgestreckt hat. Allerdings besteht hier noch die Gefahr, dass man dann den Aufschlag trotzdem anschließend „geschenkt“ bekommt – ein ganz schlechtes Omen für den weiteren Verlauf des Abends. Zu erwähnen sei hier auch noch der ausgebuffte Stratege, der sich in stundenlanger Kleinarbeitet detailliert ausgerechnet hat, dass er natürlich nur dann beim Stand von 10:10 im fünften Satz Aufschlag hat, wenn er das Match eben nicht mit eigenem Aufschlag beginnt.

Will man jedoch unbedingt zuerst aufschlagen, so ist man schon auf die Hilfe der außen sitzenden Mitspieler und Zuschauer angewiesen, welche mit mehr oder weniger heimlichen Zeichen oder unauffälligem Hüsteln – natürlich verbotenerweise – dezente Hinweise geben können: Plötzlich fallen mehrere Bierflaschen gleichzeitig um, werden Handtücher wichtig hin- und hergewedelt, werden Stühle lautstark gerückt oder wird – aus Versehen! – der Balleimer umgeworfen.

Manchem Spieler ist es aber auch schlicht und einfach egal, ob er mit Aufschlag oder Rückschlag beginnt. Er beweist dies dadurch, dass er sich die Entscheidung „links oder rechts“ von seinem Schläger abnehmen lässt: Diesen kurz mit dem Kopf auf die Mittellinie der Platte gesetzt, dann zünftig drehen lassen wie einen Kreisel und abwarten auf welche Seite des Tisches der Griff am Ende zeigt. Es versteht sich von selbst, dass diese Form der Entscheidungsfindung nur von absoluten Gleichgültigen mit jahrzehntealtem Schlägermaterial praktiziert wird.

Irgendwann sind dann aber doch alle Vorbereitungen getroffen, alle Trainingsjacken ausgezogen, alle Trikotkrägen noch einmal gerichtet, der letzte Schweißtropfen vom Einspielen von der Stirn gewischt, alle wertvollen Tipps der Mitspieler eingeholt, das pinke Stirnband in Position gerückt und der allerletzte nervöse Schluck aus der Pulle genommen. Das Spiel kann beginnen.


#6 Der erste Satz

 

Nach jeder Menge mehr oder weniger sinnvollem Vorgeplänkel sowie diversen physischen und psychischen Vorbereitungen ist es irgendwann soweit: Das Spiel beginnt. Da alles seine Ordnung haben muss in so einem Tischtennis-Match, beginnt es üblicherweise mit dem ersten Satz. Dieser wiederum wird in den meisten Fällen mit dem allerersten Ballwechsel eröffnet.

Nun mögen viele Zelluloidspezialisten sich einfach an den Tisch stellen und loslegen. Die sportpsychologisch Ambitionierteren unter den Kreisliga-Spielern jedoch stehen einmal mehr vor einigen schwierigen Entscheidungen.

Hat man den ersten Aufschlag, so stellt sich die große Frage, ob man gleich zu Beginn seinen besten Aufschlag auspackt um den Gegner direkt einzuschüchtern. Schließlich ist es immer schön, das Spiel anschließend mit einem technisch anspruchsvollen Service-Winner zu eröffnen. Erstens liegt man gleich einmal selbstbewusst in Front, nahezu immer ein emotionaler Vorteil – und sei er noch so klein. Zweitens zeigt man dem Gegner umgehend, dass man technisch und taktisch sogar noch mehr zu bieten hat, als man während des Einspielens bereits angedeutet hatte.

Andererseits jedoch bietet man seinem Kontrahenten so bereits frühzeitig die Möglichkeit, sich auf die guten Aufschläge einzustellen. Spätestens beim vierten Versuch wird er den etwas unkonventionellen und selbstverständlich verdeckt ausgeführten Seit-Unter-Überschnitt mit unangenehm langer Flugbahn dann doch entschlüsselt haben und in der Lage sein, ihn aggressiv über das Netz zurückzuspielen. Geht es schließlich in die „Do-or-Die“-Phase des Satzes oder später gar des ganzen Matches, so hat man sich einer möglichen Geheimwaffe bereits frühzeitig – und womöglich auch noch unnötigerweise – selbst beraubt. Als Überraschungseffekt bieten sich in so einem Fall oftmals nur noch Angabenfehler an, leider nur selten zum eigenen Vorteil.

Für den Rückschläger beim ersten Ballwechsel bieten sich prinzipiell ebenfalls zwei konträre Möglichkeiten: Gleich mal voll auf Attacke gehen und den allerersten Aufschlag direkt angreifen, koste es was es wolle. Trifft man das Geschoss wie erhofft (und sei es nur durch Glück und auch nur mit dem Finger sowie der äußersten Schlägerkante) und punktet damit ebenso direkt wie spektakulär, so geben sich etwa 15% der Gegner innerlich sofort geschlagen – auch wenn sie es zu diesem Zeitpunkt selber noch gar nicht wissen.

Doch selbst wenn der direkte Angriffsschlag meterweit an der Platte vorbeifliegt, so hat man den Aufschläger auf jeden Fall zumindest eingeschüchtert. Dieser weiß nun, dass er sich anschnallen müssen wird in diesem Match, vermutlich sogar warm anziehen, denn der Rückschläger wird höchstwahrscheinlich drei Sätze lang ein wahres Feuerwerk an Offensiv-Tischtennis abschießen. Dies ist bestimmt nicht jedermanns Sache, solange man nicht als „King of Block“ im Kreis berühmt-berüchtigt ist oder entweder die Ballonabwehr oder den hässlichen Slice zu seinen Hauptstärken zählt.

Um den Aufschläger hinterher etwas einzulullen, bietet es sich dem aggressiven Rückschläger an, die folgenden drei oder vier Bälle lediglich defensiv über das Netz zurückzueiern und ihn so in Sicherheit zu wiegen – bevor dann wieder ein brutaler Topspin-Ball ausgepackt wird, vor dem jeder festinstallierte Blitzer kapitulieren müsste.

Diese Taktik funktioniert natürlich auch andersherum: Zunächst werden die ersten paar Ballwechsel schön zurückhaltend bestritten, ein bisschen kontern, ein bisschen Schnitt. Vielleicht macht der Gegenüber ja von sich aus viele Fehler, mal abwarten. Und wenn dieser sich darauf eingestellt hat, dass er hier in Ruhe abwarten kann bis ihm die Bälle früher oder später auf Nasenspitzenhöhe zur Attacke präsentiert werden, dann überrascht man ihn gnadenlos mit willkürlichen Attacken direkt auf den Aufschlag. Zumindest falls man inzwischen die Angabe des Gegners lesen kann und auch technisch dazu in der Lage ist, den immer wieder verzweifelt von der Seite reingerufenen Hinweis „Zieh doch das Ding einfach an!“ umzusetzen.

Nach zwei Dritteln des ersten Satzes hat sich der Durchschnittsspieler normalerweise einen gerade noch überschaubaren Zwei- oder Drei-Punkte-Rückstand eingehandelt. Nun gilt es abzuwägen: Weiterhin den Gegner genauestens beobachten und selber als Test ein paar taktische Sperenzchen einstreuen und damit das Risiko des mehr oder weniger gegenwehrlosen Verlustes des ersten Satzes eingehen? Oder aber plötzlich und unvermittelt in den 120%-Modus schalten und die gemeinen Aufschläge, die tödlichen Topspins, die scharfen Unterschnitt-Bälle sowie erste Mätzchen und Psychotricks auspacken, immer in der Gefahr, dem Gegner frühzeitig einen Blick in die eigenen Karten zu gewähren? Zumeist entscheidet man sich für ein undefiniertes Mittelding, welches überwiegend schief läuft und nach der feststehenden Drei-Satz-Pleite zu der beinahe immer richtigen Analyse führt, dass zumindest im ersten Satz aber mehr drin gewesen wäre.

So oder so ist der erste Durchgang zum Ausprobieren da: Man schaut sich in Ruhe an was der Gegner überhaupt zu bieten hat, versucht dessen Aufschläge sowie Stärke und Richtung des Schnittes zu lesen, attackiert einige schöne Bälle und gockelt nach spektakulären Punktgewinnen aufgeplustert und mit Beckerfaust an der Platte herum. Kurz, man prüft den Gegner ebenso wie sich selbst und versucht sich dabei einen sowohl spielerischen als auch psychologischen Vorteil zu verschaffen: Nämlich eine 1:0-Satzführung, ganz genau.


#7 Seitenwechsel

 

Kaum ist ein Satz vorbei, schon steht der Seitenwechsel an. Äußerst interessant sind hierbei einmal mehr die verschiedenen Spielertypen, welche den eigentlich so simpel erscheinenden Gang vorbei an der Platte überaus unterschiedlich vollziehen:

Die Testosteron-Bolzen, die mit stolzgeschwellter Brust nach ihrem Satzgewinn so knapp wie möglich am Gegner vorbeigehen und ihn dabei ununterbrochen mit weit geöffneten Augen fixieren. Ein kurzes Anrempeln ist dabei immer drin.

Die betreten zu Boden Blickenden, beschämt über den üblen Netzball und den darauffolgenden dreckigen Kantenball welche erst zum Satzgewinn geführt haben.

Die noch betretener zu Boden Blickenden, die gerade einen noch tieferen Tiefpunkt ihrer an Tiefpunkten reichen Kreisliga-Karriere erleben mussten.

Die schelmisch Grinsenden, die gerade einem übermächtigen Gegner einen nicht erwarteten Satzverlust zugefügt haben.

Die Ausweicher, die niemals auf der gleichen Seite wie ihr Kontrahent am Tisch vorbeigehen.

Die vollorganisierten Sammler, die Trainingsjacke, Trinkflasche, Handtuch und Ball auflesen bevor sie sich auf den langen Weg auf die andere Seite machen, wo sie ihre Utensilien zunächst wieder verstauen müssen.

Die nervösen Angstpinkler, die gar nicht erst die Seite tauschen, sondern sofort im Vollsprint aufs stille Örtchen verschwinden.

Die aggressiven Verlierer, die nach dem bitteren und in seiner Höhe zu hoch ausgefallenen 2:11 zunächst noch dem Tisch einen kräftigen Tritt verpassen, bevor sie wutschnaubend auf die andere Seite stapfen.

Die lautstarken Flucher, die ihrem Gegner neben der Platte dreimal in die Quere kommend Zeter und Mordio rufen und von ihren Mannschaftkollegen bereits eifrig zur Satzanalyse herbeigerufen werden.

Denn das Pausenprogramm besteht anders als im Fußballstadion nicht aus der Beschallung von seichtestem Synthie-Pop, sondern aus dem zugetextet werden diverser taktisch ambitionierter Mitspielern. Hier gilt es nun grundverschiedene Coaching-Typen zu unterscheiden.

Leider trifft man ihn viel zu selten an: Den begnadeten Beobachter und Hinweisgeber. Er hat wirklich ein Auge dafür, was im vergangenen Satz schiefgelaufen ist. Zwar könnte er es selber technisch nicht umsetzen, doch seinen Kollegen kann er wirklich ein paar Kniffe und Tricks nennen. Da hat sich der vom Verein finanzierte Erwerb der F-Trainerlizenz wirklich bezahlt gemacht.

Häufiger anzutreffen sind hingegen die – zumeist jungen – Besserwisser. Ganz klar, hier und heute muss man offensiv an die Sache rangehen, gerade der Rückhandblock des Gegners sei eine Schande, man solle doch sein Herz und das Heft des Handelns endlich in die Hand nehmen. Da steht er nun da, der so beratene Mannschaftssenior, mit seinen langen Noppen und seinem kurzen Anti mit denen er seit 40 Jahren knallhartes Verteidigungstischtennis spielt, und fragt sich erstens, was nun wirklich zu tun ist und zweitens ob sein Mitspieler noch alle Latten am Zaun hat.

Wäre mal lieber der genauso maulfaule wie gleichgültige Ersatzspieler erschienen, denn der gibt wenigstens gar keine Tipps. Seine Ansprache, wenn man sie denn überhaupt so nennen will, weist eine noch höhere Floskeldichte auf als die sonntägliche Fußball-Plauderrunde „Doppelpass“ auf Sport1: War doch gar nicht so schlecht bisher, konzentriert weiterspielen, nur nicht nachlassen und, ganz wichtig, sein Spiel spielen! Vielleicht den Gegner eher auf der Rückhand halten, hm, wobei, da hat er ja diesen starken Unterschnitt, dann vielleicht doch eher auf der Vorhand anspielen, gut, ja, da ist dieser Wahnsinns-Topspin, tja, also, was machen wir da!? Kurze Pause, dann ein aufmunterndes „Wird schon!“ und schon trollt er wieder ab. Setzt sich der nicht nur maul- sondern auch lauffaule Ersatzspieler nach dieser Kraftanstrengung wieder auf die Zuschauer-Bank (ca. 25cm hoch, ist noch vom Kinderturnen am Nachmittag übrig geblieben), so raunt er seinem Nebenmann zu, dass er ja eigentlich nur aus psychologischen Erwägungen zu seinem Mitspieler gegangen ist – schließlich wird dessen Gegner seit geschlagenen zehn Minuten von einem ehemaligen Regionalliga-Spieler intensiv gecoacht.

Manchmal kommt es gar vor, dass gleich mehrere Mitspieler auf den Aktiven einreden. Gerade in Drucksituationen (7:7 am vorletzten Spieltag im Kampf um den Aufstieg oder gar beim Relegationsspiel gegen den Abstieg) fühlen sich plötzlich sogar überzeugte Schweiger bemüßigt, dem aktuell wichtigsten Mann ein paar Ratschläge mit auf den Weg zu geben. Selbstverständlich reden dabei alle gleichzeitig und durcheinander und von einer konsistenten Spielanalyse, geschweige denn technisch-taktischen Anweisungen, ist man weit entfernt.

Doch auch das krasse Gegenteil ist nicht unbedingt beliebt. Gerade wenn man sich einen Satz lang von einem nicht gerade übermächtigen Gegner hat vorführen lassen und nun hilfesuchend um sich blickt, muss man feststellen, dass der Raucher wie üblich seit einer halben Stunde beim Rauchen ist, der Familienvater lautstark mit der pubertierenden Tochter telefoniert, der direkt von der Arbeit gekommene Workaholic schon länger auf der Toilette weilt, die Nummer 1 den Zuschauern strahlend und leidenschaftlich von seinem souveränen Erfolg im Auftakt-Einzel berichtet und der einzig verbliebene eigene Mann auf der Bank intensiv gegen Angry Birds kämpft (oder ist es doch wieder Tinder?) und daher sein Smartphone traktiert.

 

DIE DREI GROSSEN LÜGEN

beim Spitzenspiel

 

 


#8 Der zweite Satz

 

Ehe man es sich versieht, ist der erste Satz schon weg – und so ganz genau hat man nicht mitbekommen warum eigentlich. Eventuell wird man noch in der Satzpause mehr oder weniger intensiv von seinen Mitspielern gecoacht, doch hinterher steht man doch wieder einsam am Tisch und muss es folglich auch alleine richten.