

Grundwissen Soziale Arbeit
Herausgegeben von Rudolf Bieker
Das gesamte Grundwissen der Sozialen Arbeit in einer Reihe: theoretisch fundiert, immer mit Blick auf die Arbeitspraxis, verständlich dargestellt und lernfreundlich gestaltet – für mehr Wissen im Studium und mehr Können im Beruf.
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1. Auflage 2022
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-039266-3
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-039267-0
epub: ISBN 978-3-17-039268-7
Mit dem sog. »Bologna-Prozess« galt es neu auszutarieren, welches Wissen Studierende der Sozialen Arbeit benötigen, um trotz erheblich verkürzter Ausbildungszeiten auch weiterhin »berufliche Handlungsfähigkeit« zu erlangen. Die Ergebnisse dieses nicht ganz schmerzfreien Abstimmungs- und Anpassungsprozesses lassen sich heute allerorten in volumigen Handbüchern nachlesen, in denen die neu entwickelten Module detailliert nach Lernzielen, Lehrinhalten, Lehrmethoden und Prüfungsformen beschrieben sind. Eine diskursive Selbstvergewisserung dieses Ausmaßes und dieser Präzision hat es vor Bologna allenfalls im Ausnahmefall gegeben.
Für Studierende bedeutet die Beschränkung der akademischen Grundausbildung auf sechs Semester, eine annähernd gleich große Stofffülle in deutlich verringerter Lernzeit bewältigen zu müssen. Die Erwartungen an das selbständige Lernen und Vertiefen des Stoffs in den eigenen vier Wänden sind deshalb deutlich gestiegen. Bologna hat das eigene Arbeitszimmer als Lernort gewissermaßen rekultiviert.
Die Idee zu der Reihe, in der das vorliegende Buch erscheint, ist vor dem Hintergrund dieser bildungspolitisch veränderten Rahmenbedingungen entstanden. Die nach und nach erscheinenden Bände sollen in kompakter Form nicht nur unabdingbares Grundwissen für das Studium der Sozialen Arbeit bereitstellen, sondern sich durch ihre Leserfreundlichkeit auch für das Selbststudium Studierender besonders eignen. Die Autor*innen der Reihe verpflichten sich diesem Ziel auf unterschiedliche Weise: durch die lernzielorientierte Begründung der ausgewählten Inhalte, durch die Begrenzung der Stoffmenge auf ein überschaubares Volumen, durch die Verständlichkeit ihrer Sprache, durch Anschaulichkeit und gezielte Theorie-Praxis-Verknüpfungen, nicht zuletzt aber auch durch lese(r)-freundliche Gestaltungselemente wie Schaubilder, Unterlegungen und andere Elemente.
Prof. Dr. Rudolf Bieker, Köln
Soziale Arbeit ist heute ein in vielen Ländern der Welt ausgeübter Beruf, entstanden häufig aus sozialen Bewegungen und staatlicher Armutspolitik. In Deutschland hat sie sich im 19. Jahrhundert aus privater Wohltätigkeit heraus entfaltet und ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine der zentralen Säulen des im Grundgesetz verankerten Sozialstaatsprinzips. Soziale Arbeit ist immer dann gefragt, wenn andere Mittel der gesellschaftlichen Teilhabesicherung wie Geld- oder Sachleistungen nicht geeignet oder alleine nicht ausreichend sind, um nachteilige Lebenslagen zu überwinden, um Fähigkeiten zur autonomen Lebensbewältigung zu entwickeln oder wiederzugewinnen, um vor Übergriffen durch andere geschützt zu werden und Konflikte zwischen dem*der Einzelnen und der Gesellschaft in Grenzen zu halten. Wie die Soziale Arbeit die Idee der gleichberechtigten Teilhabe aller Mitglieder der Gesellschaft in ihren wissenschaftlichen Konzeptionen, in ihren Methoden und rechtlichen und sozialpolitischen Fundamenten aufgreift, ist Gegenstand dieses einführenden Bands.
Im Beitrag von Rudolf Bieker (
 Kap. 1) geht es um eine grundlegende Einführung in den Gegenstand und die Funktionen Sozialer Arbeit. Soziale Arbeit wird als eine gesellschaftlich gewollte, sozialstaatlich institutionalisierte Dienstleistung markiert, die sich auf der Grundlage theoretischer Konzepte und professionstypischer Methoden um individuelle und zwischenmenschliche Probleme und Lebenslagen kümmert, für deren Bearbeitung eine öffentliche (Mit-)Verantwortung anerkannt ist oder begründet werden kann. Der Beitrag geht der Frage nach, welche Strukturmerkmale die Dienstleistung Soziale Arbeit charakterisieren und ob sie neben den ihr staatlicherseits zugedachten Funktionen der Hilfe und der sozialen Kontrolle nicht auch ein weitergehendes sozialpolitisches Mandat übernehmen muss, um soziale Benachteiligungen zu vermeiden und soziale Gerechtigkeit zu fördern.
Im Anschluss an diese Einführung rekonstruiert Carola Kuhlmann die Geschichte der Ausbildung und des Berufs der Sozialen Arbeit von der zunächst ehrenamtlich ausgeübten »Liebesthätigkeit« und Armenpflege bis heute (
 Kap. 2). Der Beitrag führt zunächst über die Etablierung von Fürsorger*innen im Weimarer Wohlfahrtsstaat zur Mittäterschaft an menschenverachtenden Fürsorgepraxen der »Volkspflege« nach 1933 bis zur Sozialfürsorge der DDR. Anschließend werden die Demokratisierung durch verschiedene soziale Bewegungen nach 1968, die Akademisierung des Berufs sowie die Ökonomisierung der Praxis nach 1990 ausgeführt und heutige Perspektiven der Entwicklung vorgestellt. Dabei werden in diesen Phasen die theoretischen (z. B. von der Lebenswelt- zur Dienstleistungsorientierung) und die praktischen Entwicklungen sowie die sich ändernde Sicht auf die Klient*innen herausgearbeitet. Die Auseinandersetzung mit der Geschichte soll dabei zu einem vertieften Verständnis von sich wandelnden Interpretationen von Armut und Hilfsbedürftigkeit verhelfen wie auch dazu, ›klassische‹ Probleme zu erkennen, mit denen die Soziale Arbeit konfrontiert wurde und wird: Armut, häusliche Gewalt, Kindesvernachlässigung, Sucht, Behinderung, soziale Isolation usw.
Als Profession stützt sich die Soziale Arbeit notwendigerweise auf wissenschaftliches Wissen, um ihre anspruchsvollen Problemstellungen systematisch analysieren und bearbeiten zu können. Vor diesem Hintergrund skizziert Heiko Löwenstein in seinem Beitrag über »Wissenschaftliche Grundlagen der Sozialen Arbeit« (
 Kap. 3) den aktuellen Stand der Diskussion um Soziale Arbeit als Profession und als wissenschaftliche Disziplin, um davon ausgehend in Theoriediskurse Sozialer Arbeit einzuführen. Allgemein lässt sich von einer Theorie sprechen, wenn einzelne wissenschaftliche Erkenntnisse logisch zueinander in Bezug gesetzt und verdichtet werden können. Anhand spezifischerer Kriterien lassen sich explizite Theorien Sozialer Arbeit von Theorien anderer wissenschaftlicher Disziplinen wiederum unterscheiden. Aktuell existiert in der Sozialen Arbeit eine kaum mehr zu überblickende Zahl an unterschiedlichen Fachkonzepten und Theorien. Um diese Vielfalt zu strukturieren, übersichtlicher zu gestalten und eine erste Orientierung zu geben, wird eine Typologie entwickelt, die fallorientierte, lebensweltorientierte, feldorientierte und systemorientierte Ansätze voneinander unterscheidet. Indem in die jeweiligen theoretischen Grundannahmen entlang der zentralen theoretischen Anschlussstellen eingeführt wird, soll ein erstes Fundament für eine tiefergehende Auseinandersetzung im Laufe des Studiums gelegt werden. Soweit es das Verständnis unterstützt, werden theoriegeschichtliche Einordnungen vorgenommen. Um dafür zu sensibilisieren, dass aus verschiedenen theoretischen Orientierungen auch unterschiedliche Schwerpunktsetzungen in der Praxis Sozialer Arbeit resultieren, werden erste Hinweise gegeben, welche Konsequenzen sich für das methodische Handeln am Fall, in der Lebenswelt, im Feld und mit Systemen ergeben können.
Der Beitrag leitet damit zu den Methoden der Sozialen Arbeit über (
 Kap. 4). Wie schon zuvor von Heiko Löwenstein postuliert weisen auch Anne van Rießen und Michael Fehlau eingangs auf die Theoriebezüge methodischen Handels in der Sozialen Arbeit hin. Am Beispiel der Jugendberufshilfe verdeutlichen sie sodann die Relevanz eines integrierten und zugleich partizipatorisch ausgerichteten Methodenverständnisses, das den Einsatz von Methoden als spezifische Handlungsformen an den jeweiligen Kontext des Handelns bindet und damit Offenheit verlangt. Nach diesen Vorklärungen führen die Autor*innen in elf ausgewählte Methoden ein, die das Repertoire der Vorgehensweisen Sozialer Arbeit heute weithin bestimmen. Sie folgen dabei einem eigenen Ordnungsversuch, der die überkommene Dreiteilung der Methoden in Einzelfallhilfe, Gruppenarbeit und Gemeinwesenarbeit – ergänzt um professions- und organisationsbezogene Methoden – als strukturbildenden Ausgangspunkt nutzt. Präsentiert werden u. a. die Methoden Soziale Diagnostik, Beratung, Soziale Netzwerkarbeit, Supervision und kollegiale Beratung sowie (Selbst-)Evaluation. Die Verfasser*innen zeigen auf, wie die alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringende Digitalisierung auch das methodische Handeln in der Sozialen Arbeit immer stärker verändert. Welche Ergebnisse dieser hochdynamische Prozess zeitigen wird, ist gegenwärtig noch kaum abschätzbar. Methodisches Handeln muss auf Seiten der Adressat*innen jedenfalls neben den Inklusionschancen auch die Exklusionsrisiken der Digitalisierung bedenken.
Professionelle Soziale Arbeit ist heute keine freiwillige und ehrenamtliche »Liebesthätigkeit« mehr, sondern trägt, eingebunden in gesetzliche Regelungen, wesentlich zur Umsetzung des in Deutschland verfassungsrechtlich verankerten Sozialstaatsprinzips bei. Hiervon ausgehend legen Heike Niemeyer und Timo Schwarzwälder die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen für Soziale Arbeit dar (
 Kap. 5). Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen werden politische Entscheidungen getroffen, die ihren Ausdruck in Gesetzen, Gesetzesänderungen und -reformen finden. Somit stehen Sozialpolitik und Sozialrecht in enger Wechselbeziehung zueinander und haben entscheidenden Einfluss auf die konkreten Voraussetzungen vor Ort, unter denen Soziale Arbeit stattfindet.
Überwiegend wird Soziale Arbeit heute in einem Beschäftigungsverhältnis ausgeübt, für das neben dem allgemeinen Arbeitsrecht meist tarifvertragliche oder ähnliche Regelungen gelten. Diese können sich je nach Trägerschaft der Arbeitgeber*innen und Organisation der Arbeitnehmer*innen unterscheiden. Welche Sicherheiten, Besonderheiten, aber auch Lücken diese Regelungssysteme aufweisen, wie demzufolge die Arbeitsbedingungen in der Sozialen Arbeit beschaffen sind, beschreiben Heike Niemeyer und Rudolf Bieker in ihrem abschließenden Beitrag (
 Kap. 6).
Köln und Bochum, im September 2021  | Die Herausgeber*innen  | 
 Was Sie in diesem Kapitel lernen könnenIn diesem ersten Beitrag geht es um eine scheinbar schlichte Frage: Was ist eigentlich Soziale Arbeit? Doch worauf zielt diese Frage? Geht es um die Praxis Sozialer Arbeit (das »Ist«) oder geht es darum, was Soziale Arbeit ihrem Anspruch nach sein will, also das »Soll«? Wie immer man bei der Antwort auch ansetzt, ergibt sich am Ende kein Bild, das von dem Standpunkt der antwortenden Person gänzlich unabhängig wäre. Das ist unmittelbar evident, wenn es um konzeptionelle Vorstellungen (das »Soll«) geht, bei denen mit Einheitlichkeit kaum zu rechnen ist. Doch auch Praxis kann sich aus dem Blickwinkel verschiedener Betrachter*innen sehr unterschiedlich darstellen. Kurzum: Die Frage »Was ist Soziale Arbeit?« erlaubt unterschiedliche Antworten.
Der Beitrag versucht das hier angedeutete Problem einer objektiven, vom Betrachter oder der Betrachterin unabhängigen Antwort auf die Ausgangsfrage pragmatisch zu lösen. Er greift auf theoretisch-konzeptionelle, beobachtungsgestützte und ethische Elemente zurück, die bei aller Unterschiedlichkeit von Aussagen und Sichtweisen zur Ausgangsfrage zumindest weitgehend einem Common Sense in der wissenschaftlichen Befassung mit Sozialer Arbeit entsprechen.
Der Beitrag beginnt mit einer begrifflichen Einordnung Sozialer Arbeit als Dienstleistung und arbeitet heraus, was diese auszeichnet und von kommerziellen Dienstleistungen unterscheidet. Sodann geht es um den Gegenstand Sozialer Arbeit. Dieser ist eng mit der Bearbeitung Sozialer Probleme verbunden, die sich in Lebenslagen von Menschen ausdrücken. Danach werden wir die Frage »Was ist Soziale Arbeit?« anhand ihres gesellschaftlichen, in sich keineswegs spannungsfreien Auftrags (Mandat) weiterführen. Schlussendlich wird uns die Forderung beschäftigen, dieses Mandat um ein professionelles bzw. politisches Mandat zu erweitern.
Aus volkswirtschaftlicher Sicht gehört die Soziale Arbeit zum Dienstleistungssektor. Dienstleistungen produzieren immaterielle Güter. Anders als einen Ziegelstein oder einen Stuhl kann man sie nicht anfassen, stapeln, vorproduzieren, lagern, vor Auslieferung einer Qualitätskontrolle unterwerfen und bei Untauglichkeit wieder zurückschicken (vgl. Badura & Groß 1976, S. 68).
Im Unterschied etwa zu handwerklichen Dienstleistungen werden Dienstleistungen der Sozialen Arbeit nicht auf einem Markt angeboten, der sich durch Angebot und Nachfrage mehr oder weniger selbst reguliert. Die Dienstleistungen der Sozialen Arbeit sind vielmehr staatlich reguliert und finanziert.
Zu sozialen Dienstleistungen werden Dienstleistungen dann, wenn sie als eigenständiges Element oder als integrierter Teil eines gesetzlich geregelten Leistungsversprechens gewährt werden.
»Mütter und Väter, die allein für ein Kind oder einen Jugendlichen zu sorgen haben oder tatsächlich sorgen, haben Anspruch auf Beratung und Unterstützung« (§ 18 Abs. 1 SGB VIII).
Zu den sozialen Dienstleistungen im weiteren Sinne lassen sich auch solche Leistungen zählen, die aus einer sozialstaatsähnlichen Idee (Nächstenliebe, bürgerschaftliche Solidarität etc.) von nicht-staatlichen, aber gemeinnützigen Akteur*innen (Wohlfahrtsverbände, Stiftungen etc.) freiwillig angeboten werden. Diese Leistungen ergänzen das staatliche Programm. Weil sie im öffentlichen Interesse liegen, werden sie regelmäßig durch finanzielle Mittel des Staates (Bund, Länder, Kommunen) bezuschusst.
Professionell betreute Ferienprojekte für Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien; offene Angebote für ältere Menschen.
Soziale Dienstleistungen stellen eine Teilmenge personenbezogener Dienstleistungen dar (Dunkel 2011, S. 190).
Soziale Arbeit ist eine Dienstleistung, die sich unmittelbar auf die Person der Nutzer*innen und ihre Lebenslage richtet, einschließlich aller damit verbundenen Tätigkeiten (z. B. Erstellung von Diagnosen und Gutachten, vgl. Olk, Otto & Backhaus-Maul 2003, S. XII).
Adressat*innen personenbezogener Dienstleistungen können Individuen, Gruppen oder auch größere soziale Einheiten sein, wie z. B. die Bewohner*innen eines Stadtquartiers. Nicht alle personenbezogenen Dienstleistungen weisen aber ein Spezifikum auf, wie es für die Soziale Arbeit gilt. Die Besonderheit der Sozialen Arbeit liegt in der Notwendigkeit der aktiven Mitwirkung der Adressat*innen bei der ›Erstellung‹ der Dienstleistung Soziale Arbeit.
Wenn Menschen Dienstleistungen vom Typ der Sozialen Arbeit erhalten, geht es in der Regel um Veränderungen, die sich auf die existenziellen und sozialen Verhältnisse von Menschen beziehen, auf die Ressourcen, die ihnen zur Bewältigung des Lebens zur Verfügung stehen (z. B. Wissen, Problemlösungskompetenzen, Veränderungsmotivation) und/oder auf das soziale Verhalten von Menschen (z. B. Gewalt, Vernachlässigung der elterlichen Sorge). Veränderungen kommen hier durchweg nur zustande, wenn die Adressat*innen sich auf die Zusammenarbeit mit den Sozialfachkräften einlassen (Badura & Gross 1976, S. 68; Bieker 1989, S. 7). Eine Veränderung der Lebenslage oder von Verhaltensweisen ist nicht über den Kopf der Personen hinweg möglich. Im Unterschied zu personenbezogenen Dienstleistungen, die an Menschen vollzogen werden (z. B. Körperpflege, Haarschnitt, Maßnehmen der Schneiderin) kann Soziale Arbeit nur mit den ›Kund*innen‹ erbracht werden, nicht an ihnen. Es reicht hier nicht aus, dass sich Adressat*innen – ähnlich Patient*innen bei der Wundpflege im Altenheim – ruhig verhalten oder wie Kund*innen im Supermarkt das Scannen der ausgewählten Lebensmittel abwarten, damit die Dienstleistung erfolgreich abgeschlossen werden kann. In der Sozialen Arbeit geht es darum, Adressat*innen zur Offenheit für Veränderungen zu bewegen. Die Adressat*innen müssen die Leistungen grundsätzlich wollen, sich mit Widerständen und Ängsten vor Veränderungen auseinandersetzen, bisherige Verhaltensweisen hinterfragen, Informationen über sich preisgeben, Lösungen untereinander und gegen ein ›Weiter so‹ abwägen etc. Um eine Veränderung zu bewirken, ist jedenfalls die unbeteiligte Entgegennahme des Dienstleistungsangebots nicht aussichtsreich.
Die gelingende Kommunikation zwischen Sozialfachkräften und Adressat*innen ist die conditio sine qua non in der Sozialen Arbeit.
Für den Erfolg der Dienstleistung ist von erheblicher Bedeutung, ob es zu einem produktiven Arbeitsbündnis zwischen Sozialarbeiter*innen und Adressat*innen kommt, in dem sich die Adressat*innen akzeptiert fühlen, weder eine offene noch eine latente Entwertung als ›Lebensversager*innen‹, ›krank‹ oder ›unfähig‹ erfahren und weder bei der Problemdeutung noch bei der möglichen Problemlösung von den Sozialfachkräften übergangen werden. In einer respektvollen, auf grundsätzlicher Akzeptanz des Gegenübers als Person aufbauenden Gestaltung der Beziehung gilt es zu versuchen, Adressat*innen für notwendige Veränderungen aufzuschließen.
»Die erforderliche Akzeptanz ist nicht bloß ein passives Hinnehmen, sondern ein aktives Bejahen. Sie bezieht sich nicht auf einzelne Handlungen, die für gut oder schlecht, gut oder böse gehalten werden mögen, sondern besteht in der Annahme und Anerkennung des Anderen als Person in seiner prinzipiellen Fähigkeit und Berechtigung zur Selbstbestimmung. Mit personeller Selbstbestimmung ist nicht eine beliebige, zufällige Entscheidung für oder gegen etwas gemeint, sondern die Fähigkeit eines Subjekts, über seine grundlegenden Wertsetzungen zu entscheiden« (Schmid Noerr 2021, S. 71).
Da Veränderungen sich sowohl auf das soziale Verhalten von Menschen (Lebensführung) als auch auf ihre sozialen Lebensverhältnisse (materielle Lebenslage, soziale Integration) beziehen und beides in Wechselwirkung miteinander steht, lässt sich Soziale Arbeit begrifflich als ganzheitlich angelegte psychosoziale Dienstleistung einordnen. Psychosoziale Dienstleistungen setzen am Alltag von Menschen an. Es geht um dessen Bewältigung, um Entwicklungsförderung, Kompetenzentwicklung und Prävention (vgl. Wälte & Lübeck 2021, S. 26). Die Persönlichkeit der Adressat*innen ist in diese Veränderung immer involviert.
Weil Soziale Arbeit nur mit, und nicht ohne oder gegen ihre Adressat*innen aussichtsreich ist, wird sie in der Fachliteratur als Ko-Produktion beschrieben. Sozialfachkräfte und Adressat*innen müssen im ›Produktionsprozess‹ erfolgreich zusammenwirken. Der Handlungserfolg im Sinne einer diskursiven Verständigung und der Umsetzung ihrer Ergebnisse in aktives Handeln entsteht in der Interaktion als das gemeinsame Ergebnis beider Akteur*innen. Sozialfachkräfte gelten hierbei in der Regel als die Produzent*innen, die Adressat*innen als Ko-Produzent*innen (Badura & Gross 1976, S. 69; Gartner & Riessman 1978, S. 21ff.).
Adressat*innen als Ko-Produzent*innen zu sehen, folgt – zunächst – keiner moralischen Grundhaltung, die der Unterwerfung von Menschen unter die Anweisungsmacht von kommunalen und staatlichen Behörden und ihren Mitarbeiter*innen entgegenwirken soll; sie ist eine Notwendigkeit, die sich nüchtern aus der Tatsache ergibt, dass ein direkter Zugriff Dritter auf die Dispositionen von Individuen (Sichtweisen, Motivation, Selbstreflexion, Handlungsbereitschaften etc.) nicht möglich ist. Menschen sind immer auch eigensinnige, durch ihre Biografie und ihre soziale Umwelt geprägte Subjekte, die über eigene Präferenzen, Überzeugungen, Alltagstheorien, Deutungsmuster und Gewohnheiten verfügen (Oelerich & Schaarschuch 2005, S. 80). Wenn Adressat*innen der Sozialen Arbeit demzufolge als Subjekte und nicht als Objekte ihnen zugedachter Angebote und Maßnahmen betrachtet werden müssen, liegt darin zugleich aber auch die moralische Verpflichtung, sie entsprechend zu behandeln, d. h. sie ihres Subjektstatus nicht durch fürsorgliche Bevormundung und ungerechtfertigte Gängelung und Eingriffe zu berauben. Damit dient das Subjektkonzept zugleich der kritischen Analyse von Verhältnissen, in denen Adressat*innen das Recht auf Eigensinnigkeit und Selbstbestimmung genommen wird, ohne dass hierfür zwingende Gründe (z. B. Selbst- oder Fremdgefährdung) vorliegen (
 Kap. 1.4.2; zu ethischen Fragen des Umgangs mit anderen Menschen bei eingeschränkter Selbstbestimmung: Schmid Noerr 2021, S. 163ff.).
Schaarschuch (1999 und 2003) hat den Subjektstatus der Adressat*innen – die bei ihm Nutzer*innen genannt werden (dazu: Schaarschuch 2008) – theoretisch noch weiter zugespitzt. In dieser radikaleren Sichtweise kommt es zu einer Rollenumkehr: Die Nutzer*innen sind für Schaarschuch die Produzent*innen, Sozialfachkräfte nur Ko-Produzent*innen. Indem Nutzer*innen sich die Sichtweisen ihres Gegenübers aneignen, bewirken sie eine Veränderung ihrer Person. Die Tätigkeit der Dienstleistenden wird somit zu einem Mittel, das erst durch die aktive Anerkennung/Aneignung durch die Nutzer*innen seinen Zweck erfüllen kann (ebd., S. 156). Damit sind Nutzer*innen nicht nur Konsument*innen einer Dienstleistung, sondern auch Produzent*innen ihres Ergebnisses; Sozialfachkräfte werden zu Ko-Produzent*innen, die den Prozess der Selbstveränderung anleiten, unterstützen, begleiten und der »Produktion des Subjektes« zuarbeiten. Dadurch leisten sie einen Dienst (Oelerich & Schaarschuch 2005, S. 81).
Wenn Soziale Arbeit hinsichtlich Verlauf (Prozess) und Ergebnis (Outcome) als Ko-Produktion zu verstehen ist, müssen Sozialfachkräfte die Perspektive ihrer jeweiligen Adressat*innen aktiv erkunden und versuchen, diese vor dem Hintergrund von Biografie und gegenwärtiger Lebenswelt (
 Kap. 3.4) zu verstehen.
Verstehen bedeutet nachzuvollziehen, welche Bedürfnisse und Interessen die Sichtweise des Anderen zum Ausdruck bringt und zu prüfen, ob diese gesellschaftlich anerkennungsfähig sind. Bedürfnisse können legitim sein, auch wenn die Mittel zu ihrer Verwirklichung nicht anerkennungsfähig sind. Verstehen bedeutet nicht billigen. Verstehen kann aber bedeuten, Adressat*innen Zeit für Veränderungen zuzugestehen.
Auch wenn das Verhältnis zwischen Sozialfachkräften und Adressat*innen strukturell asymmetrisch ist (z. B. durch den fachlichen Kompetenzvorsprung der Sozialfachkräfte, durch die Abhängigkeit von Hilfen, 
 Kap. 1.3), erfordert der Subjektstatus der Adressat*innen, diesen ohne Helfer- bzw. Überlegenheitsattitüde zu begegnen und die Kommunikation so weit wie möglich auf Augenhöhe zu führen. Selbstbestimmungsrechte sind hier nicht deshalb suspendiert, weil Menschen Adressat*innen sozialstaatlicher Leistungen sind. Adressat*innen dürfen demzufolge Angebote auch ablehnen, und zwar auch dann, wenn dies aus Sicht der Sozialfachkräfte nicht ›zielführend‹ ist. Ob etwas veränderungsbedürftig ist, wo genau der Bedarf liegt und wie er zu befriedigen ist, ist nach dem Dienstleistungsverständnis nicht der exklusiven Beurteilung der Fachkraft als ›Expertin‹ überlassen, sondern Gegenstand einer diskursiven Verständigung. Bei dieser geht es weder darum, Veränderungsbedürftigkeit unwidersprochen der Selbstdefinition der Betroffenen zu überlassen noch Veränderungsbedürftigkeit aus einer Haltung fachlicher Überlegenheit für nicht verhandelbar zu halten. Die Zustimmung der Adressat*innen zu einer gemeinsamen Definition von Hilfebedürftigkeit kann hierbei als »Kriterium für eine gelungene Kommunikation« (Hamburger 2016, S. 178) gelten. Diese kann aber nicht erzwungen werden. Am Ende ist es – zumindest vorläufig – hinzunehmen, dass Adressat*innen die Deutungsangebote der Sozialfachkraft und die damit korrespondierenden Hilfsangebote ablehnen (Müller 2015, S. 54) oder noch nicht annehmen können. Allerdings kann sich die Soziale Arbeit bei auftretenden Meinungsverschiedenheiten in bestimmten Fällen nicht aus der Interaktion mit ihren Adressat*innen zurückziehen (z. B. bei Personen, die wegen einer psychischen Behinderung nicht für sich selber sorgen können und deshalb in einem gesetzlichen Betreuungsverhältnis stehen, 
 Kap. 1.4.2).
In der Praxis sind die Fähigkeit und Bereitschaft zu einer diskursiven Verständigung auf Seiten der Adressat*innen oft nicht gegeben. Es gehört daher zum Handlungsauftrag einer subjektorientierten Sozialen Arbeit, sich um die Erweiterung dieser Fähigkeit zu bemühen. Darin steckt das Dilemma, das Recht auf Selbstbestimmung trotz der individuell eingeschränkten Handlungsautonomie zu respektieren und dieses Ziel nicht vorschnell aufzugeben (Brumlik 2020; zur praxisorientierten Auflösung dieser ethischen Antinomie: Schmid Noerr 2021, S. 163ff.).
Sich am Subjekt bzw. den Adressat*innen zu orientieren (ihren Sichtweisen, Bedürfnissen, Prioritäten) ist nicht nur eine Notwendigkeit und ein ethisches Postulat moderner Sozialer Arbeit, sondern – bekannt unter dem Begriff Kundenorientierung – auch ein zentrales Leitprinzip des Wirtschaftslebens. Während Soziale Dienste und Einrichtungen durch mangelnde Adressat*innenorientierung mangelhafte Wirksamkeit und vermeidbare Folgekosten produzieren, gefährdet fehlende Kundenorientierung von Wirtschaftsunternehmen im Extremfall sogar ihren Fortbestand. Kunden- bzw. Marktorientierung sind deshalb das A und O jeder kommerziellen Wirtschaftstätigkeit. Wenngleich die Grundperspektive vergleichbar ist – Angebote müssen sich am Bedarf der Kunden/Adressat*innen ausrichten –, sind die Dienstleistungskonzepte zwischen markttätigen Unternehmen und Sozialer Arbeit nicht gleichzusetzen (Oechler 2009, S. 73). Versuche Mitte der 1990er Jahre, die kommunalen Verwaltungen (und damit auch die Ämter der Sozialverwaltung) in einem kommerziellen Verständnis zu »kundenorientierten Dienstleistungsunternehmen« umzubauen, konnten daher nicht überzeugen (KGSt 1994; Bieker 2004).
Kommerzielle Dienstleister bedienen ihr Eigeninteresse an einem Geschäftsabschluss. Dienstleistungen der Sozialen Arbeit haben ihren Erfolgsmaßstab dagegen in der Fremdnützigkeit des Handelns. Zwar könnte Sozialarbeiter*innen grundsätzlich gleichgültig sein, ob es ihnen gelingt, Adressat*innen von der Notwendigkeit einer Therapie oder dergleichen zu überzeugen, dagegen stehen aber der sozialstaatliche Auftrag sowie professionstypische ethische Bindungen. Diese richten sich hier auf das Wohl der*des Einzelnen und/oder das Wohl der Allgemeinheit und nicht darauf, durch bedingungslose Wunscherfüllung sich selbst einen (wirtschaftlichen) Vorteil zu verschaffen. Deshalb werden Sozialfachkräfte den Wunsch überforderter Eltern, das auffällige Kind ›ins Heim zu stecken‹, aus der Situation der Eltern heraus zu verstehen versuchen, aber nicht ohne weiteres zur Ausführung entgegennehmen. Der Auftrag der Sozialen Arbeit lautet nicht, Adressat*innen möglichst nicht zu irritieren, sie nicht auf die Unsinnigkeit und Unstimmigkeit ihres Handelns aufmerksam zu machen oder sie davor zu bewahren, Ausflüchte und Ausreden als Hindernisse einer notwendigen Veränderung zu erkennen. In der Sozialen Arbeit geht es in einem oft längerfristig angelegten Prozess der kooperativen Problembearbeitung um
• das Klären uneindeutiger und komplexer Situationen,
• das respektvolle Hinterfragen der Adressat*innensicht,
• das behutsame Einbringen alternativer Handlungsoptionen und deren Begründung,
• die Ermutigung, unbekannte Wege zu gehen,
• die Aktivierung von Selbsthilfepotenzialen,
• das Erschließen von lebensweltlichen und anderen Ressourcen,
• das begründete Eingrenzen nicht erfüllbarer Ansprüche.
Solche Handlungsziele sind dem Wirtschaftsleben ebenso fremd wie Zielsetzungen, die auf die Erweiterung individueller Handlungskompetenzen oder die sozialpädagogische Förderung der Persönlichkeit gerichtet sind.
Soziale Arbeit als Dienstleistung wird zentrale wirtschaftliche Handlungsimperative zurückweisen. Sie wird ihre Leistungen vor dem Hintergrund ihrer sozialstaatlichen Beauftragung und ihrer ethischen Grundlagen auch dann erbringen, wenn diese aus wirtschaftlicher Sicht ›unrentabel‹ sind.
Die Frage z. B., ob sich Soziale Arbeit hochbetagten Menschen überhaupt zuwenden sollte, wo doch der Mitteleinsatz im Kinder- und Jugendbereich angesichts der größeren Lebenserwartung einen höheren Kosten-Nutzen-Quotienten verspricht, wäre betriebswirtschaftlich zwar konsequent, ethisch aber verwerflich.
Adressat*innen sind auch keine Kund*innen. Die Metapher »Kunde« kann zwar hilfreich sein, um Soziale Dienste und Einrichtungen in ihrer Organisationsstruktur, in ihren Angeboten und ihrem Umgang mit Menschen möglichst weitgehend an die Bedürfnisse und Wünsche ihrer Adressat*innen anzupassen. Angebote sollten z. B. leicht zugänglich und vernetzt sein; sie sollten für potenzielle Nutzer*innen attraktiv sein und in der Lage sein, unbürokratisch zu operieren etc. Im Gegensatz zum kommerziellen Bereich will Soziale Arbeit aber
• ihre Angebote nicht aus Umsatzgründen soweit wie möglich ausdehnen, weitere Leistungswünsche hervorrufen, laufende Leistungen verlängern und den Kunden binden, damit er bald wiederkommt.
• nicht jeden Wunsch, für den der Kunde im Wirtschaftsleben bereit ist zu zahlen, erfüllen (ein Alkoholiker wird also keinen Schnaps als Hilfe zur Lebensbewältigung bekommen). Leistungen in der Sozialen Arbeit erfolgen auf der Grundlage rechtlicher Bestimmungen und fachlicher Beurteilungen und nicht nach Zahlungsfähigkeit. Fachlich geht es nicht darum, Adressat*innen möglichst perfekt zu bedienen, sondern um die Befähigung zur Lebensbewältigung und um Hilfe zur Selbsthilfe unter Mitwirkung/Partizipation des »Kunden«.
• den »Kunden« möglichst nicht von Eigenleistungen abhalten.
Im Wirtschaftsleben ist der Status eines Kunden im Allgemeinen durch die folgenden Merkmale charakterisiert (Bieker 2004, S. 35):
• Der Kunde tritt aktiv als Nachfrager auf den Markt; dementsprechend erfolgt ohne Nachfrage keine Lieferung. Im Rahmen seiner Möglichkeiten kann er zumeist zwischen verschiedenen Anbietern frei wählen.
• Für das zu erwerbende Produkt/die Dienstleistung erbringt der Kunde eine Gegenleistung in Form des zu entrichtenden Preises. Auf diesen kann er grundsätzlich einwirken.
• Beginn und Ende einer Geschäftsbeziehung legt der Kunde fest.
• Mit der Wahl des Angebotes übt der Kunde einen Einfluss auf Inhalt und Qualität des Angebots aus.
• Der Kunde ist von existenzieller Bedeutung für den Anbieter einer Leistung und wird daher umworben.
Einzelne Merkmale können in der Praxis zwar erfüllt sein, z. B. können Wahlmöglichkeiten bestehen, z. T. werden Adressat*innen umworben, um die Finanzierung der Einrichtung zu sichern, z. T. entscheiden die Adressat*innen darüber, ob und wie lange sie psychosoziale Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Insgesamt lassen sich die genannten Kundeneigenschaften aber nicht bruchlos auf Adressat*innen der Sozialen Arbeit übertragen. Dies liegt wesentlich in der Tatsache begründet, dass sich der Dienstleistungsauftrag der Sozialen Arbeit nicht darauf beschränkt, den Bedarf ihrer Adressat*innen zu befriedigen, sondern dass sie gegenüber ihren Adressat*innen zugleich gesellschaftliche Erwartungen erfüllen muss. Soziale Arbeit ist auch Dienstleisterin für die Gesellschaft (
 Kap. 1.4.2).
Die subjekt- bzw. adressat*innenorientierte Ausrichtung Sozialer Arbeit gehört heute zu den Grundlagen des Sozialrechts. So wurde das autoritative und eingriffsorientierte Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) zu Beginn der 1990er Jahre durch ein dienstleistungsorientiertes Kinder- und Jugendhilfegesetz abgelöst und in das Sozialgesetzbuch als Leistungsrecht eingeordnet.
Erziehungsberechtigte sollen seitdem durch Bereitstellung psychosozialer Dienstleistungen in ihrer Erziehungsaufgabe unterstützt werden; dadurch soll staatlichen Eingriffen vorgebeugt werden (vgl. Schimke 2003). Erziehungshilfen sollen nicht nur den Interessen von Eltern und Kindern dienen, sondern auch dem Interesse der Gesellschaft am Schutz ihrer Mitglieder und deren erfolgreicher Sozialisation (zum Begriff Sozialisation: 
 Kap. 1.2.1). Eltern, Kindern und Jugendlichen werden zudem Beteiligungsrechte eingeräumt. Damit soll u. a. gewährleistet werden, dass Angebote und Bedarf nicht einseitig aus der Perspektive der Sozialverwaltung bestimmt werden, sondern unter aktiver Mitwirkung der Adressat*innen.
Auch Datenschutz spielt seitdem eine wichtige Rolle. Eine Verpflichtung zur Jugendhilfeplanung soll außerdem die Passung zwischen Bedarf und Angebot »unter Berücksichtigung der Wünsche, Bedürfnisse und Interessen der jungen Menschen und der Personensorgeberechtigten« (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII) gewährleisten.
Als herausragendes Element einer subjekt- oder adressat*innenorientierten Perspektive und dem mit ihr korrespondierenden Verständnis von Sozialer Arbeit als Dienstleistung kann die Hilfeplanung im SGB VIII gelten. Ein partizipatorisches Handlungsmodell dieser Art war bis zum Inkrafttreten des SGB VIII im Jahr 1990 nicht vorgesehen. Die laufende Reform des Jugendhilferechts soll den Subjektstatus von Eltern und Kindern noch weiter stärken (Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen 2021).
»Die Entscheidung über die im Einzelfall angezeigte Hilfeart soll, wenn Hilfe voraussichtlich für längere Zeit zu leisten ist, im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte getroffen werden. Als Grundlage für die Ausgestaltung der Hilfe sollen sie zusammen mit dem Personensorgeberechtigten und dem Kind oder dem Jugendlichen (Hervorh. R. B.) einen Hilfeplan aufstellen, der Feststellungen über den Bedarf, die zu gewährende Art der Hilfe sowie die notwendigen Leistungen enthält; sie sollen regelmäßig prüfen, ob die gewählte Hilfeart weiterhin geeignet und notwendig ist.«
Anstatt die Adressat*innen (Personensorgeberechtigte, Kinder und Jugendliche)
»zu einem Objekt von Vorgängen der Anamnese, der Diagnose, der ›Behandlung‹ zu machen, soll Erziehungshilfe sich vollziehen in einem gemeinsamen Prozeß der Hilfeplanung, in dem die Adressaten einen eigenständigen Subjektstatus als zentrale Teilnehmer in einem Aushandlungsprozeß einnehmen« (Merchel 1994, S. 4).
Dementsprechend wurde auch mit der jüngsten Reform der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen die durchgängige und aktive Beteiligung der Adressat*innen im Gesamtplanverfahren deutlich gestärkt (BTHG v. 23.12.2016).
Die Vorstellung, dass sich Soziale Arbeit als ein durch und durch partnerschaftlicher Aushandlungsprozess über das Gegebene (»Welches Problem liegt vor?«) und das Erforderliche (»Was ist zu tun?«) verstehen lässt, wie sie mit dem Verständnis Sozialer Arbeit als personenbezogener Dienstleistung verbunden ist, stellt ein zentrales, aber auch ein idealtypisches Konstrukt dar, das sich an der Praxis allzu oft bricht.
Die Grenzen des Aushandlungsmodells treten dann zutage, wenn alles Reden und Überzeugen im Ergebnislosen endet, die Verhältnisse aber nicht so bleiben können, wie sie sind, z. B. wenn es nicht gelingt, häusliche Gewalt abzustellen oder Kinder vor der Vernachlässigung durch ihre drogenabhängigen Eltern zu schützen. Das bedeutet: Das Leitkonzept dienstleistungs- bzw. adressat*innenorientierte Soziale Arbeit stößt in der Praxis immer wieder an Grenzen (
 Kap. 1.4.2).
Zur Markierung des Gegenstands Sozialer Arbeit wird heute weitgehend auf den soziologischen Begriff »Soziale Probleme« zurückgegriffen. Er gilt als Klammerbegriff, der die enorme inhaltliche Spannweite des Gegenstands unter eine gemeinsame Formel stellt. Silvia Staub-Bernasconi (2018, S. 195) zufolge sind Soziale Probleme die »Domain« der Profession Soziale Arbeit, d. h. ihr ureigenes Operationsgelände. Mit Sozialen Problemen befassen sich zwar auch andere Berufsgruppen (z. B. Soziolog*innen, Politiker*innen auf unterschiedlichen staatlichen Ebenen, Volkswirt*innen, Psychiater*innen), sie haben jedoch andere professionelle Bezugspunkte als die Soziale Arbeit.
»Betroffenheiten von sozialen Problemen stellen die Handlungsanlässe, Begründungen und Legitimationen für Soziale Arbeit dar und bestimmen ihre Diskurse, Programmatiken und Methoden genauso wie ihre Finanzierung und öffentliche bzw. politische Anerkennung; sie sind die Grundlage und das ›Material‹ für professionelle Interventionen und ihre Institutionalisierung in Beratungs- und Jugendhilfeeinrichtungen, in sozialpolitisch relevanten Gesetzestexten, in Betreuungs- und Resozialisierungsmaßnahmen oder anderen sozialen Diensten« (Groenemeyer 2018, S. 1492).
In der soziologischen Diskussion ist allerdings umstritten, was Soziale Probleme sind bzw. wie sie bestimmt werden können: Handelt es sich um objektiv feststellbare, unmittelbar evidente Gegebenheiten (die man erfassen und in einer Liste zusammenstellen kann) oder existieren sie – so nach radikal-konstruktivistischer Auffassung – erst, wenn sie zur Sprache kommen, d. h. als soziale Wirklichkeit ›konstruiert‹ worden sind (ausführlich: Groenemeyer 2018; Staub-Bernasconi 2018, S. 209). Nach hier vertretener Auffassung haben sie eine doppelseitige Bindung: Sie sind zwar objektiv existent (d. h., sie werden nicht beliebig ›konstruiert‹), aber ohne Anerkennung sind sie nicht als gesellschaftliche und politische Wirklichkeit relevant und folglich weder Zielpunkt gesellschaftlichen Drängens nach einer ›Lösung‹ noch staatlicher Aktivitäten zu ihrer Eindämmung.
Soziale Probleme lassen sich allgemein definieren als Gegebenheiten innerhalb einer Gesellschaft, die in einem gesellschaftlichen Thematisierungsprozess als bedeutsame negative Abweichung von einem erwünschten Sollzustand gewertet werden, daher als veränderungsbedürftig gelten und aufgrund der ihnen zuerkannten öffentlichen Bedeutung zum Gegenstand staatlicher Handlungsprogramme, Maßnahmen und Gesetze gemacht werden. Von den Problemen können Individuen, bestimmte Gruppen der Gesellschaft oder die Gesellschaft als Ganzes betroffen sein. Die politisch gewollten Reaktionen können darauf gerichtet sein, das Auftreten der Probleme zu vermeiden (Prävention) oder diese Probleme, wenn sie aufgetreten sind, zu verringern oder zu beseitigen (wie Probleme zu ›Problemen‹ werden: Herriger 2000; Schetsche 2014).
Soziale Probleme markieren zwar das Hauptfeld der Zuständigkeiten der Sozialen Arbeit, leuchten ihren Gegenstand aber nicht vollständig aus. Denn die Soziale Arbeit erbringt über die präventive und reaktive Bearbeitung von sozialen Problemen hinaus auch wichtige sozialisatorische Leistungen (s. das nachfolgende Textfeld) im Prozess des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen, ohne dass diesem Prozess ›Probleme‹ zugrunde liegen oder solche hier mit Sicherheit prognostiziert werden müssten. Unter dem Begriff Soziale Arbeit firmiert heute nicht allein die aus der Armenfürsorge entstandene Sozialarbeit und die Mitte des 19. Jahrhunderts aus der sozialen Frage der Industrialisierung hervorgegangene Sozialpädagogik, die sich um arme, verwaiste und gefährdete Kinder kümmerte (
 Kap. 2); Adressat*innen sind auch Kinder und Jugendliche außerhalb belasteter Biografien und kritischer Lebenslagen.