TRÄUME, VISIONEN, WIRKLICHKEIT
Suchen und entscheiden
Ein Haus kaufen
Ein Haus erben
Eine Wohnung kaufen
Warum eine Wohnung und kein Haus?
Wiederaufbau in der Bundesrepublik Deutschland
Besondere Lage in der DDR
Beispiel Berlin
Was ist eigentlich Wohnungseigentum?
Was ist eine Wohnungseigentümergemeinschaft?
Wie wird Wohnungseigentum gebildet?
Historischer Exkurs
Mehrfamilienhaus – Umwandlung in Eigentumswohnungen
Das Haus behalten
Weitere Formen des Erwerbs
Der strategische Plan
Warum alt und nicht neu?
Baukultur
Schwächen aufdecken
Ihr Musterfahrplan für das Haus – die Logik der elf Stationen
Was sagt Ihnen der Makler über das Haus?
Den Experten schon vor dem Makler konsultieren
KÄUFERPROFIL UND HAUSSUCHE
Das Käufer-/Bauherrenprofil
Was genau suchen wir?
Und beim Mehrfamilienhaus?
Der Standort
Allgemeine Faktoren
Altlastenkataster und Bodengutachter
Ihr persönliches Profil
Das Gebäude
Konstruktion und Material
Bauen und Sanieren im Denkmal
Brauche ich einen Bodengutachter?
In die Zukunft denken
Was lassen Flächennutzungsplan und Bebauungsplan zu?
DIE VERMÖGENSANALYSE
Nüchterne Planung
Großer Kassensturz
Realistische Zeitpläne
Das ist drin: Vermögensanalyse
Analyse mit Weitblick
Die eigene Belastbarkeit
GEBÄUDEDIAGNOSE UND BAUPLANUNG
Die Expertensuche aufnehmen
Die richtigen Partner
Fachwissen für die Kaufverhandlung
Die Erstbesichtigung
Was hält wie lange?
Die Systematische Gebäudediagnose
Schwächen-Stärken-Profil (S-S-P)
Die Zweitbesichtigung – mit dem Experten
Von der Diagnose zur Therapie
Energiebilanz
Fragen der Planung beachten
Was in den Plänen steht
Bestandspläne prüfen
Neue Bestandspläne erstellen
Vom Bestandsplan zum Entwurfsplan
Genehmigungsplanung
Mit welchen Altlasten muss man rechnen?
Bauprodukte
Sachverständige und Experten als Berater
Welche Fachleute helfen Ihnen?
Ist guter Rat teuer?
Was leistet ein Wertermittler?
Massnahmen beschreiben
Wohnen auf dem Land – mit Hindernissen
Gebäudediagnose
Maßnahmenplan und Leistungsbeschreibung
Wie Sie Pläne lesen
Smart Home
Ausschreibung und Angebote
Leistungsbeschreibung
Ausschreibung durch den Fachmann
VOB-gerechte Ausschreibung?
Nebenleistungen und Besondere Leistungen
Zusammenhang von Ausschreibung, Vergabe und Bauleitung
Muss es der Billigste sein?
Die Vergabe der Arbeiten regeln
Nicht ohne Experten
Bauleitung und Qualitätskontrolle
Bauzeitenplan
Das Bautagebuch
Bauleitung
Qualitätssicherung
Abnahme und Dokumentation
Arten der Abnahme
Mehr als eine Formalie
Die „Hausakte“
Wie greift der Zahlungsplan?
Schlüsselübergabe
Ökologische Aspekte des Bauens
Material und Ressourcen
Energiebilanz
Neue Konzepte der Energieeffizienz
DER EIGENE FINANZIRUNGSPLAN
Bausteine der Finanzierung
Kostengrobschätzung
Eigenkapital
Mehr Eigenkapital oder höheres Darlehen
Noch einmal zu Ihrer Belastbarkeit
Finanzierungsinstrumente
Wer fördert was?
Lastenzuschuss
Erst die Finanzierung, dann das Projekt
SIE WERDEN EIGENTÜMER
Der Kaufvertrag und wichtige Dokumente
Das sollten Sie vor dem Notartermin wissen
Welche Versicherungen sind nötig?
Benötigen Sie einen Rechtsanwalt?
Noch etwas vergessen?
SERVICE
Adressen und Literatur
Adressen
Literatur
Stichwortverzeichnis
Phase 1 nennen wir die Orientierungsphase auf dem Weg zur eigenen Immobilie: Für viele Menschen – und auch für Sie – ist das ein lange gehegter Traum, der nun Wirklichkeit werden soll. Und immer mehr Menschen entscheiden sich gegen einen Neubau, sie bevorzugen stattdessen eine bereits vorhandene Immobilie.
Doch tragen gebrauchte Häuser, wie alle gebrauchten Gegenstände, die Spuren der zurückliegenden Nutzung in und an sich. Jedes gebrauchte Haus ist ein Haus mit einer eigenen Geschichte. Aber es trägt auch das Potenzial in sich, ein Haus mit Zukunft zu werden. Wie es um dieses Potenzial bestellt ist, wie Ihre eigenen Wünsche mit der Wirklichkeit in Übereinstimmung gebracht werden und wie Sie Ihre eigenen Vorstellungen überhaupt erst klar formulieren können, ist Gegenstand der Orientierungsphase.
Wer ein Haus kauft, tut das in der Regel nicht infolge eines spontanen Entschlusses, sondern nach reiflicher Überlegung. Oft sind es geradezu Lebensentscheidungen, die mit dem Hauskauf verbunden sind:
die Entscheidung für einen Ort, an dem man dauerhaft leben möchte,
die Entscheidung für eine bestimmte Lebensweise und
die Entscheidung für eine große finanzielle Investition, die den einen oder anderen Immobilienbesitzer bis an die Grenzen seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit führen kann.
Solche Grundsatzentscheidungen stehen in unterschiedlichen Lebensphasen an. Manche treffen eine Immobilienentscheidung schon sehr früh, wenn sie ihre berufliche Laufbahn beginnen oder eine Familie gründen. Andere treffen ihre Entscheidung später auf dem Höhepunkt ihrer beruflichen Laufbahn – oder schon mit Blick auf den bevorstehenden Ruhestand. Manchmal ist die Entscheidung für den Hauskauf auch mit einer beruflich bedingten Ortsveränderung verbunden, und oft ist gerade dann das Haus aus zweiter Hand die erste Wahl.
Nicht jeder führt aus eigenem Antrieb die Entscheidung für oder gegen den Immobilienerwerb herbei. Manchmal wird man auch aufgrund einer Erbschaft vor die Frage gestellt: Soll man die ererbte Immobilie selbst nutzen, gegebenenfalls Miterben auszahlen und die Familiengeschichte des Hauses fortschreiben oder das Grundstück samt Haus umgehend wieder loswerden?
Der Erbfall ist kein Ausnahmefall auf dem Weg zur eigenen Immobilie. Laut einer Studie des Deutschen Instituts für Altersvorsorge stieg die Immobilienquote bei den Erblassern jüngst deutlich an. So besitzt heute fast die Hälfte aller Erblasser auch Immobilien, während vor 15 Jahren noch zwei Drittel keine Immobilien zu vererben hatten. Das vererbte Immobilienvermögen überschritt damals nur in jedem fünften Erbfall die Schwelle von 150 000 Euro, mittlerweile immerhin in jedem vierten. In Deutschland, dem einstmals klassischen Mieterland, hat besonders nach dem Zweiten Weltkrieg die „Wirtschaftswunder-Generation“ verstärkt Immobilienbesitz erworben. Entsprechend erhöht hat sich dadurch der Anteil der selbst genutzten Wohnimmobilien. In naher Zukunft wird sich also das Verhältnis der vererbten Vermögensklassen deutlich vom Geld hin zu Immobilien verschieben. Acht von zehn Deutschen werden in naher Zukunft Immobilienerben sein.
Der Erbfall ist aber nur scheinbar ein kostenloser Weg zum eigenen Haus. Denn unter Umständen müssen Miterben ausgezahlt werden, wenn man das Haus für sich in Besitz nehmen will. Möglicherweise müssen juristische Probleme ausgeräumt und Lasten übernommen werden, die man dem Haus äußerlich nicht unbedingt ansieht. Und eventuell muss man in ein geerbtes Haus mehr Geld hineinstecken, als es objektiv wert ist – jedenfalls wenn man von rein wirtschaftlichen Überlegungen ausgeht. Jeder Einzelfall ist anders und muss individuell betrachtet und bewertet werden. Der Erbe eines Hauses steht vor den gleichen Problemen wie der Käufer. Grundsätzlich wird er die gleichen sachlichen Maßstäbe an die Bewertung der Immobilie anlegen müssen. Und die gleiche Abfolge an Analyse- und Bewertungsmaßnahmen, die er beim Kauf eines Hauses anwendet, um gegen unangenehme Überraschungen möglichst gefeit zu sein, sollte er auch bei einer geerbten Immobilie einhalten, wenn man entscheiden will, ob sie zum eigenen Haus werden soll oder besser nicht.
Einen wichtigen Unterschied gibt es natürlich zwischen dem Kauf eines fremden Wohneigentums und dem Erben einer Liegenschaft, die sich womöglich seit Generationen im Familienbesitz befindet – die emotionale Aufladung eines „Familienerbstücks“. Mag es ein noch so alter Kasten sein, war es das Elternhaus, hat man – ob man will oder nicht – eine besondere emotionale Bindung zu der Immobilie. Man fühlt vielleicht mehr, als es rationale Gründe geboten erscheinen lassen, eine besondere Verpflichtung, sich des Hauses ehrerbietig anzunehmen und vielleicht sogar finanzielle Belastungen auf sich zu nehmen.
Wie schwierig es sein kann, ererbtes Gut zu erhalten, mussten im 19. Jahrhundert auch viele Adelsfamilien erfahren, als die Gebote der wirtschaftlichen Rechnungsführung auch vor der einst privilegierten Aristokratie nicht haltmachten. So hielt beispielsweise die thüringische Adelsfamilie Erffa lange Zeit am Schloss Unterlind (im heutigen Kreis Sonneberg) fest, obwohl die Betriebskosten bereits Mitte des 19. Jahrhunderts die Erträge der zugehörigen Landwirtschaft überstiegen. Die Familie wollte das Schloss an den Herzog von Sachsen-Meiningen verkaufen, aber der lehnte das Angebot nach einem Wirtschaftlichkeitsgutachten ab. Als Eduard von Erffa das Schloss ein paar Jahre später abermals verkaufen wollte, schrieb ihm sein Bruder Hermann ziemlich ratlos und zugleich mahnend: „Es bliebe nur der Gedanke übrig, Lind aus Pietät für unsere alte, seit drei Jahrhunderten dort ansässige Familie zu erhalten, und da glaube ich nun, dass du … gewiss nicht dulden wirst, dass irgend ein Fabrikant in dem alten ehrwürdigen Hause Webstühle und Spinnmaschinen aufstellt, damit du jährlich eine Mehreinnahme von 1 500 Mark haben wirst.“ Zwar wurde das Schloss am Ende doch keine Textilfabrik, aber 1890 erwarb mit Gustav Luge ein bürgerlicher Käufer das Anwesen, der sich ein Schloss leisten wollte (und wohl auch konnte).
Entscheidungen in Immobilienangelegenheiten trifft man nicht allein aus dem Bauch heraus – jedenfalls sollte man das nicht tun. Aber die Entscheidung für oder gegen eine selbst genutzte Immobilie wird niemals frei von Emotionen sein. Schließlich will man in diesem Haus wohnen, vielleicht auch arbeiten – und zum Leben gehören Gefühle ebenso wie Verstand. Mag der Verstand auch die Entscheidung für oder gegen eine Immobilie bestimmen: Wenn man sich in einem Haus nicht wohlfühlt, kann der Verstand das Unbehagen nicht schöndenken. Manchmal kann es durchaus nützlich sein, dem sogenannten Bauchgefühl zu vertrauen: vor allem dann, wenn es rät, den Verstand kritisch zu schärfen.
Gefühl und Verstand haben beim Erwerb eines Hauses immer nebeneinander ihren Platz. Gut ist es, wenn sie nicht gegeneinander antreten, sondern miteinander arbeiten. Mit anderen Worten: Die Vernunft erwirbt eine Immobilie. Das Gefühl kauft ein Haus.
Wer vor dem Entschluss steht, sich eine eigene Wohnimmobilie anzuschaffen, wird sich mit unterschiedlichen Bewertungen der verschiedenen Immobilientypen konfrontiert sehen. Und aus den unterschiedlichen Bewertungen werden oft sehr verschiedene Ratschläge abgeleitet. Acht von zehn Deutschen möchten am liebsten im eigenen Heim wohnen. Aber nur vier von zehn haben sich diesen Wunsch bislang erfüllt. Vielen Deutschen – das ergeben Umfragen immer wieder – bedeutet das Häuschen im Grünen die Erfüllung all ihrer Wohnträume und Immobilienwünsche. Manchmal sind das aber sehr romantische Träume, die einer nüchternen Analyse der tatsächlichen Wohnbedürfnisse nicht standhalten.
So spricht für eine Wohnung in der Regel zunächst ihre Lage in einem urbanen Umfeld, sofern man auf diese Urbanität Wert legt. Bei gleicher Lage spricht für die Wohnung der relativ günstigere Preis gegenüber einem Haus. Die Preisunterschiede zwischen Wohnung und Haus schwinden allerdings. Besonders in den Metropolen wie Berlin, Hamburg, München, Köln, Düsseldorf, Frankfurt a. M. und Stuttgart haben sich die Preise für Wohnimmobilien nicht nur verteuert; vergleicht man die Quadratmeterpreise, so musste ein Käufer im Jahr 2020 etwa in Berlin für eine Eigentumswohnung sogar tiefer in die Tasche greifen (4668 Euro pro Quadratmeter) als für ein Haus (4550 Euro pro Quadratmeter). Das teuerste Haus in Berlin erzielte einen Quadratmeterpreis von 9718 Euro, das günstigste lag bei 1575 Euro. Die günstigsten Eigentumswohnungen hingegen waren erst für einen Einstiegspreis von 2654 Euro je Quadratmeter zu haben.
Indes ist auf dem Immobilienmarkt vieles in Bewegung geraten. Ob eine Wohnung wirklich „relativ günstiger“ ist als ein Einfamilienhaus, lässt sich schwer sagen, wenn die Vergleichbarkeit nicht mehr gegeben ist. Die Binnenmigration, der Zuzug in die Ballungszentren, treibt die Nachfrage nach Eigentumswohnungen in attraktiven Stadtlagen nach oben. Die Entscheidung für eine Eigentumswohnung ist oft durch andere Kriterien bestimmt als den Preis: Die Lage ist der überwiegend entscheidende Faktor; sie wird von den Interessenten in Beziehung gesetzt zu den persönlichen Bedürfnissen, zur beruflichen Perspektive, zum Lebensalter …
Und nicht zuletzt spielt auch die Frage eine Rolle, ob eine Eigentumswohnung als Wertanlage taugt. Unter diesem letzten Gesichtspunkt kann der Umstand nicht verschwiegen werden, dass Eigentumswohnungen auch als Spekulationsobjekte gehandelt werden, deren Marktpreise weit über die unmittelbaren Nutzungserwägungen hinausgehen.
Nicht immer handelt es sich gleich um Lebensentscheidungen, wie sie mit einem Hauskauf verbunden sind. Aber Entscheidungen grundsätzlicher Natur werden gleichwohl regelmäßig getroffen:
die Entscheidung für einen Ort, an dem man dauerhaft leben möchte, die Entscheidung für eine bestimmte, womöglich urbane Lebensweise;
die Entscheidung für (oder gegen) eine große finanzielle Investition, die den Immobilienkäufer bis an die Grenzen seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit führen kann;
die Entscheidung gegen ein Haus und für die scheinbar „kleine Lösung“, eben für eine Wohnung;
die Entscheidung für die Option „Mobilität“; eine Wohnung ist weniger „ein Klotz am Bein“ als ein Haus und lässt sich leichter vermieten oder veräußern, wenn man erneut den Standort wechselt;
die Entscheidung, eine Wohnung als Wertanlage zu kaufen, die man vielleicht nur in einer bestimmten Lebensphase selbst bewohnt und in einer anderen Lebensphase als Renditeobjekt oder für die Altersvorsorge unterhält;
die Entscheidung aufgrund der individuellen Situation, der Lage des Objekts, der Infrastruktur und der Erwartungshaltung, die man dem Objekt gegenüber hegt.
Aber hieße es mit dem Vergleich von Haus und Wohnung nicht Äpfel mit Birnen zu vergleichen? Genau das hieße es. Doch ist ein solcher Vergleich ja bei Weitem nicht so unsinnig, wie es die Redensart glauben machen will. Bei beiden handelt es sich schließlich um Obst! Es ist sogar sehr nützlich und notwendig, Äpfel mit Birnen zu vergleichen! Wie sollte man sonst herausbekommen, ob der Apfel oder doch eher die Birne das passende Obst für den eigenen Bedarf und Geschmack ist?
Mit anderen Worten: Die Analyse beginnt nicht beim Objekt, sondern beim Käufer, beim Subjekt des Immobilienerwerbs. Hier stellt sich zunächst die Frage nach den Bedürfnissen und den Möglichkeiten des potenziellen Wohnungseigentümers. Wenn klar ist, wonach er sucht und was seine wirtschaftlichen Möglichkeiten erlauben, beginnt die genauere Betrachtung der Objekte, die dafür infrage kommen. Dafür gibt es einen genauen Fahrplan, der in diesem Buch an ausgewählten Beispielen vorgestellt wird.
Reihenhäuser sind juristisch oft Wohnungseigentumsanlagen.
Typisches Etagenhaus aus der Mitte Berlins, erbaut 1879
Glauben Sie nicht, dass die Diagnose einer gebrauchten Wohnung weniger Aufmerksamkeit erfordert als die Diagnose eines kompletten Hauses. Die Untersuchungskriterien sind im Grunde dieselben, und die Diagnoseschritte haben die gleiche Reihenfolge. Manches gestaltet sich nur – wegen der besonderen Rechtsform des Wohnungseigentums – ein wenig komplizierter.
Deutschland ist das klassische Mieterland. Das selbst genutzte Wohneigentum ist hier – trotz des Aufschwungs in den letzten Jahren – immer noch weniger verbreitet als bei manchen unserer west- und nordeuropäischen Nachbarn. Hierin ist zunächst kein Werturteil zu sehen, sondern lediglich die Beschreibung europäischer Verschiedenartigkeit. Und diese Verschiedenartigkeit hat historische Ursachen. Für Deutschlands besondere Situation erlangen mindestens drei dieser Ursachen besondere Bedeutung.
Die erste Ursache liegt im ausgehenden 19. Jahrhundert. Nach dem deutsch-französischen Krieg und der Reichsgründung 1871 begab sich Deutschland auf den Weg vom spätfeudalen Agrarland zur Industrienation. Zwischen 1880 und 1900 entstanden die großen industriellen Ballungszentren. Deren Arbeitskräftehunger ließ die Städte explosionsartig anschwellen. Der Wohnungsbedarf wurde überwiegend mit Geschossbauten befriedigt; wegen der Gleichförmigkeit der Bebauung und der hohen Bebauungsdichte sprach man von Mietskasernen. Die zuziehenden Arbeitskräfte hätten weder genügend Fläche vorgefunden, um sich darauf ihre eigenen Häuser zu bauen, noch wären sie dazu wirtschaftlich in der Lage gewesen. Und nicht nur dank der drastischen Zeichnungen Heinrich Zilles sind die oft katastrophalen sozialen und hygienischen Zustände in den großen Mietshauskomplexen bekannt geworden. Auch die Akten der Baupolizeibehörden sind voller Klagen und behördlicher Eingriffe wegen unerlaubter Überbauung, unzureichender Lüftung, miserabler Sanitäreinrichtungen, nicht genehmigter Gewerbebetriebe und vieler anderer Mängel, die das Leben in den Mietskasernen um 1900 kennzeichneten. Heute, dies sei angemerkt, bilden die einstigen Mietskasernen – sofern sie den Zweiten Weltkrieg unzerstört überstanden haben – oftmals die begehrtesten Wohnquartiere in den Innenstädten, sobald die enge Bebauung entkernt und die Gebäude und Wohnungen saniert und modernisiert sind.
Berlin-Britz, sogenannte Hufeisensiedlung, zwischen 1925 und 1928 entworfen und erbaut von Bruno Taut und Martin Wagner sowie dem Gartenarchitekten Leberecht Migge
Nach dem Ersten Weltkrieg versuchten Architekten, Sozialreformer und fortschrittliche Politiker, dem weit verbreiteten Wohnungselend mit neuen Ideen zu begegnen. Es war die große Zeit des Siedlungsbaus in aufgelockerter Bebauung und der bautechnischen Experimente. Wohnungsbaugenossenschaften bildeten ein Gegengewicht zum privaten Hausund Grundbesitz, der bis dahin den Mietwohnungsbau allein dominierte. Aber auch die Wohnungsbaugenossenschaften und gemeinnützigen Baugesellschaften bauten Mietwohnungen. Sie konnten auch gar nichts anderes bauen, denn für sogenannte Eigentumswohnungen, wie wir sie heute kennen, gab es noch keine rechtliche Grundlage.
Der Zweite Weltkrieg hatte einen beträchtli-chen Teil des – schon vor dem Krieg nicht ausreichenden – Wohnungsbestands vernichtet. In den Westzonen waren 1945 von 10,6 Millionen Wohnungen 2,3 Millionen total zerstört, weitere 2,3 Millionen galten als schwer beschädigt. In der sowjetischen Zone waren etwa 10 Prozent der 5,1 Millionen Wohnungen vollkommen vernichtet. Zur angestammten Bevölkerung kamen Millionen Flüchtlinge und Umsiedler aus den deutschen Ostgebieten und dem Sudetenland hinzu, denen Wohnraum zugewiesen werden musste. Der Wohnraummangel war in West wie Ost eine Tatsache.
In dieser Situation standen beide deutschen Staaten vor einer Mammutaufgabe: der Beseitigung der Wohnungsnot und dem Wiederaufbau. Im Westen wurde, was nicht überrascht, diese Aufgabe gänzlich anders gelöst als im Osten.
In den Westzonen gab es für 14,6 Millionen Haushalte nur 9,4 Millionen Wohnungen – Behelfsheime wie Baracken und Gartenlauben eingeschlossen. Fünf Personen teilten sich statistisch gesehen eine Wohnung, pro Person standen 15 qm Wohnraum zur Verfügung. Die Qualität dieser Wohnräume bleibt bei dieser Statistik außer Betracht.
Der jungen Bundesrepublik standen drei alternative Wege offen, um die Wohnungsbauförderung anzugehen:
Förderung über die Bauträger,
Förderung über das Gebäude (Objektförderung),
Förderung der Mieterkaufkraft (Subjektförderung).
Man entschied sich für den Weg der Objektförderung. Aus Haushaltsmitteln des Bundes wurden zinslose Baudarlehen mit Tilgungsfristen von 30 bis 35 Jahren an private Investoren vergeben. Im Gegenzug verlangte man den Investoren für die Dauer der Förderung eine Sozialbindung ab: Die geförderten Wohnungen durften nur an solche Haushalte vermietet werden, deren Einkommen bestimmte Grenzen nicht überschritt. Anders als bis 1933 war die Förderung nicht mehr nur auf Unternehmen beschränkt, die eine Gemeinnützigkeit langfristig garantierten. Mit diesen Direktsubventionen gelang es innerhalb kurzer Zeit, den sozialen Wohnungsbau anzukurbeln. Auch im internationalen Vergleich lagen die staatlichen Subventionen für Mietwohnungen und Eigenheime außerordentlich hoch. So war der Anteil der privaten Bautätigkeit im Wohnungsbau schon 1950 groß und stieg in der Folgezeit weiter an: In der Mobilisierung privater Investoren für den Mietwohnungsbau liegt die zweite historische Ursache dafür, dass in (West-)Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ein dynamischer Mietwohnungsmarkt entstand. Dazu trug auch die flexible Handhabung der Mietpreisbindung bei, die in Deutschland die Marktmechanismen nicht aushebelte. In anderen europäischen Ländern wie beispielsweise Großbritannien führten starre Regulierungen der Wohnungsmieten dazu, dass sich private Investoren mehr und mehr aus dem Mietwohnungsmarkt zurückzogen und die „Sozialwohnung“ zu etwas Anrüchigem wurde, das ihre Bewohner regelrecht stigmatisierte. Es ist daher wohl kein Zufall gewesen, dass die Brandkatastrophe im Londoner Grenfell Tower, einem 24-geschossigen Wohngebäude aus den 1970er-Jahren, ausgerechnet einen Sozialwohnungsbau zerstörte, obwohl er 2015/16 erst saniert worden war. Offenbar war man bei dieser Sanierung mit Brandschutzvorschriften so nachlässig umgegangen, dass sich ein Wohnungsbrand über die hinterlüftete Fassade mit brennbarer Dämmung auf das gesamte Gebäude ausbreiten konnte. 71 Menschen kamen bei dieser Brandkatastrophe ums Leben.
1951 begann in der Bundesrepublik Deutschland die Eigentumsförderung. Man erreichte die direkte Förderung der Bauherren, indem man die steuerliche Abzugsfähigkeit von Investitionen in selbst genutztes Wohneigentum einführte. Ein Jahr darauf schuf das Wohnungsbauprämiengesetz Grundlagen für eine besondere Form der privaten Vermögensbildung, die dem selbst genutzten Wohneigentum zugutekam. Die in den folgenden 35 Jahren gezahlten Subventionen machten etwa 40 Prozent der Finanzierungsmittel aus, die in dieser Zeit für den Wohnungsbau aufgewendet wurden.
Wohneigentumsquoten ausgewählter europäischer Staaten
Rumänien |
95,80 % |
Ungarn |
91,30 % |
Litauen |
90,30 % |
Polen |
84,20 % |
Estland |
81,70 % |
Norwegen |
80,30 % |
Spanien |
76,20 % |
Griechenland |
75,40 % |
Portugal |
73,90 % |
Belgien |
71,30 % |
Finnland |
71,10 % |
Niederlande |
68,90 % |
Schweden |
63,60 % |
Dänemark |
60,80 % |
Österreich |
55,20 % |
Deutschland |
51,10 % |
Schweiz |
41,60 % |
Quelle: eurostat 2020
Im Lauf der Zeit kamen mehrfach neue Förderwerkzeuge zur Anwendung, zum Beispiel wurde die direkte Förderung zugunsten der indirekten Förderung über Steuervergünstigungen nach § 7 b Einkommensteuergesetz zurückgefahren. Ein bedeutsamer Schritt war die Ausdehnung der Förderung auch auf Altbauwohnungen im Bestand. Dadurch verschob sich der Fokus von den bis dahin favorisierten Eigenheimen auf die sogenannten Eigentumswohnungen. Seit 1996 gab es dann eine neue Art der direkten Förderung, die Eigenheimzulage. Sie war eine der größten direkten Subventionen, die in die Förderung des selbst genutzten Wohneigentums flossen. Gefördert wurden sowohl klassische Eigenheime als auch Wohnungseigentum. Seit 2004 waren Altbauten den Neubauten hinsichtlich der finanziellen Förderung gleichgestellt. Allein in diesem Jahr wurden 11,4 Milliarden Euro als Eigenheimzulage ausgereicht. 2006 wurde die Eigenheimzulage schließlich abgeschafft. Seit 2008 gibt es direkte Förderung im Rahmen der sogenannten Riester-Verträge.
Die Regierung der DDR, die 1952 den „Aufbau des Sozialismus“ beschloss, hatte 1950 das sogenannte Aufbaugesetz erlassen. Mit seiner Hilfe wurde es möglich, Besitzer von Grundstücken zu enteignen, wenn der Staat diese Grundstücke für den Wiederaufbau in Anspruch nahm. Zwar erfolgte die Enteignung gegen Zahlung einer Entschädigung, doch lagen diese Entschädigungen regelmäßig unter dem Verkehrswert, den diese Grundstücke unter marktwirtschaftlichen Bedingungen gehabt hätten, und sie wurden überdies auf Sperrkonten deponiert. Somit konnten die enteigneten Grundstücksbesitzer über die Entschädigungen nicht frei verfügen, sondern durften nur minimale Beträge von den Sperrkonten abrufen. Nichtsdestominder hat die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen des Vereinigungsprozesses 1990 die Rechtswirksamkeit der Enteignungen nach dem Aufbaugesetz der DDR nie angezweifelt.
§ 14 AUFBAUGESETZ DER DDR VON 1950
1Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik kann Städte, Kreise und Gemeinden oder Teile hiervon zu Aufbaugebieten erklären.
2Die Erklärung zum Aufbaugebiet bewirkt, dass in diesem Gebiet eine Inanspruchnahme von bebauten und unbebauten Grundstücken für den Aufbau und eine damit verbundene dauernde oder zeitweilige Beschränkung oder Entziehung des Eigentums und anderer Rechte erfolgen kann.
3Die Entschädigung erfolgt nach den zu erlassenden gesetzlichen Bestimmungen.
Zur Ideologie des Sozialismus passte weder privater Grundbesitz noch Wohnungseigentum; zwar wurden Eigentümer selbst genutzter Einfamilienhäuser, Doppelhäuser und vergleichbarer Immobilien in ihrem Besitzstand nicht angetastet, sofern nicht der Staat, wie bei grenznahen Immobilien, mittels „Aufbaugesetz“ zugriff. Die Privatbesitzer von Mietshäusern konnten jedoch die Erhaltung ihrer Immobilien aus den staatlicherseits eingefrorenen Mieten bald nicht mehr bestreiten. Der Neubau von Mietwohnungen war Aufgabe des Staates und seiner staatlichen Baubetriebe, auch wenn ein Teil des Wohnungsbestands in „genossenschaftliches Eigentum“ der AWGs (Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften) überführt wurde.
Indes forcierte die DDR in weit höherem Maß, als es der regierenden SED ideologisch ins Konzept passte, den Bau von sogenannten Eigenheimen. Damit wurde nicht nur zusätzlicher Wohnraum geschaffen, es gelang auch, Geldreserven privater Bauherren abzuschöpfen und deren Eigenleistungen zu mobilisieren. Zwischen 1971 und 1989 entstanden 207 679 Eigenheime. Die Bildung von Wohnungseigentum allerdings, wie sie in der Bundesrepublik nach dem Wohnungseigentumsgesetz von 1951 möglich wurde, war in der DDR bis 1990 nicht gegeben. Im wohnungspolitischen Weg der DDR ist der dritte wesentliche Grund für die hohe Mietwohnungsquote in Deutschland zu sehen.
Karl-Marx-Allee (vormals Stalin-allee) Nord, Block C, heutiger Zustand nach Rekonstruktion
Immobilienverhältnisse, die „typisch deutsch“ sind, treffen in Berlin aufeinander, obwohl und gerade weil die Stadt bis 1990 geteilt war. Hier lässt sich das ganze Spektrum der Wohn- und Eigentumsverhältnisse auf engstem Raum überblicken: von klassischen Villen über Mietskasernen zu luxuriösen Lofts, von traditionellen Reihenhäusern über einstmals futuristisch anmutende Wohnmaschinen bis zu den Großsiedlungen in Großtafelbauweise.
Berlin ist eine Mieterstadt. Der Anteil des selbst genutzten Wohneigentums liegt im gesamten Stadtgebiet bei 14 Prozent. Die Berliner wohnten Ende 2020 in 1 982 800 Wohnungen, die sich auf zirka 330 400 Wohngebäude verteilen. Das sind immerhin rund 20 000 Wohngebäude und 115 000 Wohnungen mehr als im Jahr 2010. Ein beträchtlicher Teil des Wohnungsbestands, nämlich 42 Prozent, ist bereits in den Jahren bis 1950 entstanden. Die meisten dieser Altbauwohnungen stehen in den Bezirken Mitte (einschließlich der alten Bezirke Tiergarten und Wedding), Friedrichshain-Kreuzberg und Charlottenburg-Wilmersdorf. Rund 49 Prozent der Berliner Wohnungen entstanden zwischen 1949 und 1990 – also im Zeichen der Teilung der Stadt. Aus dieser Zeit stammen auch die typischen Bauten in Großtafelbauweise im Osten der Stadt – oft kurz mit „die Platte“ umschrieben –, die heute ungefähr 14 Prozent des Wohnungsbestands der Hauptstadt ausmachen. In den 20 Jahren nach der Wiedervereinigung entstanden lediglich 9 Prozent des Berliner Wohnungsbestands. Allein diese Gegenüberstellung macht deutlich: Man stößt in Großstädten wie Berlin bei der Wohnungssuche viel eher auf gebrauchte Wohnungen, die mehr als 20 Jahre alt sind, als auf Neubauwohnungen zum Erstbezug.
Wohnungseigentum bedeutete aber auch für Altbauten eine Chance. Wie in anderen Großstädten überlagerten sich dabei wirtschaftliche Interessen, bautechnische Lösungen und soziale Konflikte. Die Hausbesetzerszene war in den Achtzigerjahren in West-Berlin (ab 1990 auch im Ostteil der Stadt) besonders aktiv. Der großflächige Abriss von Altbauquartieren sollte verhindert werden. Was 1980 die „Schlacht am Fraenkelufer“ für Kreuzberg war, das war zehn Jahre später der Barrikadenkampf in der Mainzer Straße für Friedrichshain: Symbol für den Widerstand gegen Entmietung und befürchtete Edelsanierung und Umwandlung in unerschwingliche Eigentumswohnungen. Den Straßenkämpfern folgten die Bautrupps, die Aufsteiger verdrängten die Aussteiger. 1992 beschrieb die „taz“ die Situation mit der ihr eigenen ideologischen Färbung: „Längst ist die Schickeria lecker geworden auf diese Gegend (…) Keine Fassade, die nicht erneuert würde. Kein Hinterhof, der nicht völlig umgestaltet würde. Statt der gemeinsamen Außenklos nun die individuelle Nasszelle (…) Richtig schick wird es hier und richtig teuer.“ Zwanzig Jahre später sind manche der damals sanierten Wohnungen als Eigentumswohnungen auf dem Immobilienmarkt: „Zum Verkauf steht eine außergewöhnliche Maisonettewohnung, die einen Vergleich mit Wohnungen zum Beispiel im Pariser Montmartre-Viertel nicht zu scheuen braucht“, heißt es in einem Immobilienangebot.
Baualtersklassen des Gebäudebestands am Beispiel Berlin (stadtentwicklung.berlin.de)
Auch weiter im Osten der Stadt hat sich einiges getan; hier war der Nachholbedarf bei der Altbausanierung besonders groß. Mittlerweile sind Friedrichshain und Prenzlauer Berg zu Modequartieren geworden, und Stadtteile wie Weißensee und Pankow werden von Jahr zu Jahr attraktiver. Typisch ist aber auch, dass viele Sanierungen aus den Achtziger- und Neunzigerjahren bereits wieder zu Sanierungsfällen geworden sind, nicht zuletzt weil sich die gesetzlichen Vorgaben für Wärmeschutz und Energieeffizienz seither wesentlich verschärft haben. Nach 1990 standen zudem zahlreiche Plattenbauten in den großen Wohngebieten des Ostens zur Sanierung an. Eine Anzahl dieser Wohnanlagen ist in Wohnungseigentum umgewandelt worden, und die meisten dieser Objekte wurden bereits nach den neuesten Standards saniert. Der Ruf der „Platte“ haftete ihnen weiter an. Der Quadratmeterpreis für eine 22 bis 30 Jahre alte Wohnung liegt je nach Lage und Ausstattung zwischen etwa 980 bis 1 700 Euro.
Ein Gebäude ist in der Regel nicht aus einzelnen Wohnungen modular zusammengesetzt (dass es natürlich auch solche Experimentalbauten gab, kann für die hier dargestellten Fragen unberücksichtigt bleiben), sondern ein Ganzes, das nicht ohne Weiteres in kleinere Einheiten, sprich Wohnungen zerlegt werden kann. Eine Wohnung in einem Mehrparteienhaus, an welcher der Eigentümer seine Eigentumsrechte ebenso unbeschränkt ausüben könnte, als wäre er Eigentümer eines Hauses, kann es also nicht geben. Die Eigentumswohnung existiert demgemäß nicht real gegenständlich, sondern als Rechtskonstrukt, noch dazu als historisch gesehen sehr junges Rechtsgebilde. Erst das Wohneigentumsgesetz von 1951 schuf in der Bundesrepublik Deutschland die gesetzliche Grundlage dafür. Seitdem können nicht nur komplette Grundstücke nebst den auf ihnen gelegenen Bauten ihre Eigentümer bekommen, sondern auch Anteile des Grundstücks mitsamt abgeschlossenen Wohneinheiten, die sich in einem auf dem Grundstück gelegenen Gebäude befinden.
Mit diesem Gesetz wurde ein Rechtsgrundsatz des Bürgerlichen Gesetzbuchs durchbrochen, das in § 93 bestimmt:
„Bestandteile einer Sache, die voneinander nicht getrennt werden können, ohne dass der eine oder andere zerstört oder in seinem Wesen verändert wird (wesentliche Bestandteile), können nicht Gegenstand besonderer Rechte sein.“
Es ist völlig klar, dass eine einzelne Wohnung in einem Mehrparteienhaus nicht realiter vom übrigen Haus getrennt werden kann, ohne dass dem Gebäude irreversibler Schaden entsteht. Folglich war nach dem Verständnis des Bürgerlichen Gesetzbuchs ein Eigentumsrecht an einer Wohnung, das unabhängig vom Eigentumsrecht an dem gesamten Gebäude besteht, nicht denkbar.
Somit schuf das Wohnungseigentumsgesetz von 1951 in diesem Punkt eine völlig neue Rechtskonstruktion, indem es in § 1 Abs. 2 festlegte:
„Wohnungseigentum ist das Sondereigentum an einer Wohnung in Verbindung mit dem Miteigentumsanteil an dem gemeinschaftlichen Eigentum, zu dem es gehört.“
Was umgangssprachlich Eigentumswohnung heißt, muss korrekt und gesetzeskonform eigentlich Wohnungseigentum genannt werden. Diese neue Rechtskonstruktion des Wohnungseigentums hat drei konstitutive Faktoren. Es ist a) Sondereigentum, das b) als solches nur in Verbindung mit einem definierten Miteigentumsanteil am gemeinschaftlichen Eigentum existiert, und c) das zugleich das Mitgliedschaftsrecht in einer Wohnungseigentümergemeinschaft begründet.
Balkone sind Sondereigentum, aber die konstruktiven Teile wie Bodenplatte und Brüstung zählen zum Gemeinschaftseigentum – mit Konsequenzen für die Sanierung.
Das Miteigentum nach Bruchteilen wird in den §§ 1008–1011 des BGB geregelt. Der kreative Akt der Gesetzgebung von 1951 be-stand darin, dem Miteigentum ein bestimmtes Sondereigentum zuzuordnen.
Dazu trifft das Wohnungseigentumsgesetz in § 3 folgende Festlegung:
„(1) Das Miteigentum (§ 1008 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) an einem Grundstück kann durch Vertrag der Miteigentümer in der Weise beschränkt werden, dass jedem der Miteigentümer abweichend von § 93 des Bürgerlichen Gesetzbuchs das Sondereigentum an einer bestimmten Wohnung oder an nicht zu Wohnzwecken dienenden bestimmten Räumen in einem auf dem Grundstück errichteten oder zu errichtenden Gebäude (Sondereigentum) eingeräumt wird. Stellplätze gelten als Räume im Sinne des Satzes 1.“
„(3) Sondereigentum soll nur eingeräumt werden, wenn die Wohnungen oder sonstigen Räume in sich abgeschlossen sind …“ Das Miteigentum nach Bruchteilen ist keine reale Teilung der Sache, sondern eine ideelle Teilung des Eigentumsrechts, das sich auf die gesamte Sache bezieht. Das Wohnungseigentum besteht also aus zwei untrennbar miteinander verbundenen Eigentumsformen, dem Sondereigentum und dem Miteigentum nach Bruchteilen. Beide Bestandteile sind nicht losgelöst voneinander juristisch „handhabbar“.
Das Wohnungseigentumsgesetz (WEG) wurde in den Jahren 1973 und 2007 reformiert. Dennoch ergab sich Veränderungsbedarf, der vor allem aus den Notwendigkeiten der energetischen Ertüchtigung älterer Gebäude herrührt. Darum hatten die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag 2018 vereinbart: „Wir werden die Regelungen des Wohnungseigentumsrechts reformieren und mit dem Mietrecht harmonisieren, um die Vorbereitung und Durchführung von Beschlüssen der Wohnungseigentümer über bauliche Maßnahmen insbesondere in den Bereichen Barrierefreiheit, energetische Sanierung, Förderung von Elektromobilität und Einbruchschutz zu erleichtern.“
Eine länderübergreifende Arbeitsgruppe unter Vorsitz des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) und des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz (BStMdJ) arbeitet daran. Die Justizminister beschlossen im Juni 2018, eine länderoffene Arbeitsgruppe einzurichten. Den Vorsitz in dieser Arbeitsgruppe führen das BMJV sowie das BStMdJ. Vorab erarbeiten beide Ministerien Diskussionsentwürfe: das BMJV zu einem „Gesetz zur Förderung von Barrierefreiheit und Elektromobilität im Miet- und Wohnungseigentumsrecht“ und das BStMdJ für ein „Gesetz für zukunftsfähiges Wohnen im Wohneigentum“. Zuletzt brachten die Länder Baden-Württemberg und Bayern im Oktober 2019 im Bundesrat einen „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs und des Wohnungseigentumsgesetzes zur Förderung der Elektromobilität“ ein.
Es soll möglich werden, dass die Eigentümerversammlung flexibler über bauliche Veränderungen und Aufwendungen am Gemeinschaftseigentum entscheidet. Insbesondere soll die Kostenverteilung neu geregelt werden, sodass es möglich wird, einen oder mehrere Eigentümer nicht nur die unmittelbaren Kosten einer Maßnahme, sondern ausdrücklich auch die Folgekosten und etwa die künftigen Kosten der Instandhaltung dauerhaft übernehmen zu lassen.
Bauliche Maßnahmen in Wohnungseigentumsgemeinschaften, die im Interesse der Gemeinschaft liegen, sollen erleichtert werden. So soll bestehender Modernisierungsstau abgebaut und die Schaffung neuen Wohnraums (beispielsweise durch Ausbau bestehender Gebäude) ermöglicht werden.
Bauliche Maßnahmen, die der Modernisierung oder Anpassung an den Stand der Technik dienen, sollen gefördert beziehungsweise erleichtert werden.
Ferner sollen Maßnahmen zum Einbruchschutz, dem Ausbau der Ladeinfrastruktur für Elektromobilität und zur Herstellung von Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen und ältere Menschen erleichtert und gefördert werden.
Die Handlungsfähigkeit der Wohnungseigentümerversammlungen soll dadurch gestärkt werden, dass die schwerfälligen formalen Anforderungen an die Beschlussfähigkeit der Eigentümerversammlungen geändert werden.
Missbrauchsmöglichkeiten vonseiten eines Mehrheitswohnungseigentümers sollen abgestellt werden.
Am Ende des Gesetzgebungsprozesses stand das Wohnungseigentumsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Januar 2021 (BGBl. I S. 34).
Zwischen der Bildung des Wohnungseigentums durch die Teilungserklärung des teilenden Alleineigentümers und dem Zeitpunkt, zu dem der letzte Ersterwerber ins Wohnungsgrundbuch eingetragen und damit eine Wohnungseigentümergemeinschaft im vollen Rechtssinn entstanden ist, ergibt sich eine Übergangsphase, in der eine Art Vorgemeinschaft entsteht, die bestimmte Rechte innehat und Pflichten übernehmen muss. Sie wird als „werdende Wohnungseigentümergemeinschaft“ bezeichnet und kann unter Umständen auch längere Zeit Bestand haben. Diese Rechtsfigur basiert nicht auf Gesetzestext, sondern auf anerkannter höchster Rechtsprechung und der Meinungsbildung in der Rechtswissenschaft. Darum sieht das Diskussionspapier vor, diese Rechtsfigur der „werdenden Wohnungseigentümergemeinschaft“ nunmehr auch in einem Gesetzestext zu kodifizieren. Näheres zum Sachstand finden Sie im Internet unter www.bmjv.de, wenn Sie nach dem Begriff Wohnungseigentumsgesetz suchen. Dort können Sie auch den Gesetzentwurf des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz einsehen.
Wichtige gesellschaftliche Verbände wie der Dachverband Deutscher Immobilienverwalter, der Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen e. V. (BFW), die Bundesnotarkammer, der Deutsche Anwaltsverein und der Deutsche Mieterbund plädierten bereits 2018 für eine umfassende Reform des Wohnungseigentumsrechts. Ob das mit der 2021 verkündeten Neufassung gelungen ist, muss die Praxis zeigen. Auf jeden Fall dürfte die Reform des Gesetzes auch die bislang geltenden Regularien in Wohnungseigentümergemeinschaften nachhaltig beeinflussen. Eigentümern ist jedenfalls anzuraten, sich mit dem Gesetzestext vertraut zu machen und die Rechtsprechung zu verfolgen.
Damit ist es aber noch nicht getan, denn für den Betrieb und Bestand einer Eigentumswohnanlage müssen bestimmte Bauteile eines Hauses nicht einzelnen, sondern allen Nutzern zugerechnet werden.
Teileigentum – Neben dem eigentlichen Wohnungseigentum, dem Sondereigentum als Alleineigentum an den Räumen einer Wohnung, kann Teileigentum eingeräumt werden. Dabei handelt es sich ebenfalls um Sondereigentum, aber an den nicht zu Wohnzwecken dienenden Räumen und Flächen (etwa separate Abstellräume, Schuppen, Kellerräume, auch Laden- und Gewerbeflächen).
Gemeinschaftseigentum – Zum Gemeinschaftseigentum gehören alle gemeinschaftlich genutzten Teile des Grundstücks und des Gebäudes, beispielsweise die Grundfläche des Gebäudes selbst und natürlich alle statisch notwendigen Bauteile (Außenwände, Wohnungstrennwände, Geschossdecken, Dach, Gebäudehülle einschließlich Fenster und Außentüren), die gemeinsam genutzten Verkehrsflächen (Eingänge, Durchgänge, Treppen und Treppenhäuser) und die Haustechnik (Heizung, Sanitär- und Elektroinstallation, Entwässerungsanlage, gegebenenfalls Aufzug). Zum Gemeinschaftseigentum zählen aber auch die notwendigen Finanzmittel der Eigentümergemeinschaft (zum Beispiel die Instandhaltungsrücklagen).
KRITERIUM ABGESCHLOSSENHEIT Im Einzelfall ist genau zu prüfen, was dem Sonder- oder Teileigentum zugeordnet werden kann und woran nur Sondernutzungsrechte bestehen. So ist die Abgeschlossenheit die Voraussetzung, um Sondereigentum an einer Wohnung zu begründen. Um als abgeschlossen zu gelten, muss eine Wohnung nicht nur Wohnungstrennwände und Decken besitzen, sondern einen eigenen, abschließbaren Zugang vom Freien, vom Treppenhaus oder von einem Vorraum, und sie muss mindestens über Wasserversorgung, Ausguss und Toilette sowie über eine Kochmöglichkeit verfügen. Dauerhaft markierte Kfz-Stellplätze in einer Sammelgarage begründen Abgeschlossenheit, allerdings nur dort und nicht auf Freiflächen. Ebenso gelten sogenannte Doppelparker in Garagen nicht als abgeschlossen, insofern kann an ihnen nur Sondernutzungsrecht entstehen.
Sondernutzungsrecht – Mit dieser besonderen Rechtsform werden gemeinschaftliche Flächen, Räume oder Bauteile (zum Beispiel eine Treppe oder eine Terrasse, typischerweise auch ein Stück Garten, das an eine Erdgeschosswohnung grenzt) einem bestimmten Wohn- oder Teileigentum zugeordnet. Damit verfügt der Berechtigte dann allein über diese Fläche, den Raum oder das Bauteil, die Verfügung der anderen Eigentümer darüber wird ausgeschlossen. Sofern dies in der Teilungserklärung so vereinbart ist, trägt der Berechtigte die Kosten der Bewirtschaftung. Instandhaltungen sind Sache der Eigentümergemeinschaft, sofern sie nicht anders beschlossen hat.
In einem Gebäude ist oft nicht leicht zu entscheiden, was zum Gemeinschaftseigentum und was zum Sondereigentum des Miteigentümers gehört. Die gesetzlichen Bestimmungen sind nicht immer hilfreich, wie „bei allen Teilen der Fassade, welche die äußere Gestalt des Gebäudes bestimmen“. Grundsätzlich stehen sie im Gemeinschaftseigentum, aber an einigen Punkten berühren sich Gemeinschaftsund Sondereigentum nahezu! So sind die Außenseiten der Fenster (einschließlich der Verglasung) zweifelsfrei Gemeinschaftseigentum. Die Innenseiten der Fenster stehen im Sondereigentum. Außenjalousien vor den Fenstern sind Gemeinschaftseigentum, die Zugvorrichtungen und die Gurte aber Sondereigentum.
Noch kurioser mutet die Rechtslage bei Balkonen an. Der Balkonraum als solcher ist grundsätzlich sondereigentumsfähig. Die festen Bauteile des Balkons aber sind Teile des Gemeinschaftseigentums. In manchen Teilungserklärungen wird der Balkon per Sondernutzungsrecht dem jeweiligen Wohnungseigentümer zugewiesen. Eine gemeinschaftliche Nutzung scheidet auch aus, weil der Zugang zum Balkon ja nur über abgeschlossenes Sondereigentum möglich ist. Streit kommt regelmäßig auf, wenn Balkone saniert werden müssen, was besonders bei älteren Mehrfamilienhäusern vorkommen wird. Die Miteigentümer, deren Wohnungen über keinen Balkon verfügen, werden sich nur ungern zur Kostentragung heranziehen lassen. Nun kommt es darauf an, wie das Sondernutzungsrecht in der Teilungserklärung definiert wurde. Dem Grundsatz nach existiert ein Sondernutzungsrecht nur für Gemeinschaftseigentum – wofür auch sonst? In einigen Teilungserklärungen wird das Sondernutzungsrecht an einem Balkon aber dem Sondereigentum grundsätzlich gleichgestellt. Ist dies der Fall, muss der Inhaber dieses besonders ausgestatteten Sondernutzungsrechts wohl allein für die Sanierungskosten „seines“ Balkons aufkommen, obwohl er eigentumsrechtlich gesehen tatsächlich Gemeinschaftseigentum ist.
Aufteilung der Eigentumsverhältnisse in Mehrparteienhäusern
Das Verhältnis der Wohnungseigentümer zueinander richtet sich nach den Regelungen des Wohnungseigentumsgesetzes (WoEigG) und, sofern dieses Gesetz keine besonderen Regelungen trifft, nach den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Das WoEigG spricht in Abschnitt 2 (§§ 10–19) ausdrücklich von einer „Gemeinschaft der Wohnungseigentümer“, was die Gesamtheit der Wohnungseigentümer einer Liegenschaft meint. Das Gesetz beschreibt die Rechte der Eigentümergemeinschaft gegenüber Dritten sowie die Rechte und Pflichten der Eigentümer gegenüber der Gemeinschaft und der Gemeinschaft gegenüber den einzelnen Eigentümern.
In § 10 Absatz 6 heißt es: „Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer kann im Rahmen der gesamten Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums gegenüber Dritten und Wohnungseigentümern selbst Rechte erwerben und Pflichten eingehen. Sie ist Inhaberin der als Gemeinschaft gesetzlich begründeten und rechtsgeschäftlich erworbenen Rechte und Pflichten. Sie übt die gemeinschaftsbezogenen Rechte der Wohnungseigentümer aus und nimmt die gemeinschaftsbezogenen Pflichten der Wohnungseigentümer wahr, ebenso sonstige Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer, soweit diese gemeinschaftlich geltend gemacht werden können oder zu erfüllen sind. Die Gemeinschaft muss die Bezeichnung ‚Wohnungseigentümergemeinschaft‘ gefolgt von der bestimmten Angabe des gemeinschaftlichen Grundstücks führen. Sie kann vor Gericht klagen und verklagt werden.“
Die Wohnungseigentümerversammlung