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Inhalt

Einleitung

Die Körperlichkeit des Subjekts

Eine Phänomenologie der Nahrung

Die Existenzialanalytik revidieren. Ontologie und Politik

Erster Teil: Eine Phänomenologie der Nahrung

Kapitel 1: Leben von

Der Genuss

Das Gourmand-Cogito

Der Geschmack

Die Teezeremonie

Die irdische Verfasstheit (condition terrestre), die Lokalisierung und die Geburt

Kapitel 2: Der Raum, das Milieu und die anderen Seienden

Das Geografische des Seins, die Ökumene und das Konzept der Medianz (fûdosei)

Wohnen, Bauen, Bewirtschaften

Empathie, Kommunikation mit den Tieren und Teilen der gemeinsamen Welt

Zoopolis und Gerechtigkeit gegenüber den Tieren

Die fleischliche Ernährung und die Liebe zu den Tieren

Kapitel 3: Irrwege der Ernährung

Der Hunger als Ausgangspunkt der Ethik

Ein Problem der Gerechtigkeit, nicht des Mangels: Der Befähigungsansatz

Politik und Ethik der Ernährung

Phänomenologie der Nahrung und der Landwirtschaft

Anorexie, Bulimie und Adipositas: Die schmerzhafte Oralität

Zweiter Teil: Eine gemeinsame Welt aufbauen

Kapitel 1: Ein neuer Gesellschaftsvertrag

Hobbes’ Bestehen auf der Künstlichkeit des Vertrages oder der Gesellschaftsvertrag als Antwort auf die Gewalt

Der gemäßigte Liberalismus Lockes: Autonomie ohne Verschwendung und Ausbeutung

Der allgemeine Wille bei Rousseau und das Gefühl der Verpflichtung

Der Urzustand bei Rawls und der neue Gesellschaftsvertrag

Die Prinzipien der Gerechtigkeit als Teilen der Nahrung

Kapitel 2: Die Demokratie wieder aufbauen

Das repräsentative System vervollständigen

Die Hypothese einer dritten Kammer und die Rolle der Experten

Von der Konkurrenzdemokratie zur deliberativen Demokratie

Die Heterogenität des öffentlichen Raums und die Partizipation

Kultur und Demokratie. Die Intellektuellen, die Medien und die Schule

Kapitel 3: Jenseits der nationalen Grenzen

Im Schatten der Bombe

Globalisierung, Souveränität und methodologischer Kosmopolitismus

Das kosmopolitische Recht seit Kant

Globale Zivilgesellschaft und kosmopolitische Demokratie

Das Imaginäre, die Utopie und das Erbe der Aufklärung

Schluss

Die Erschließung des Möglichen und die Geselligkeit

Die Liebe zum Leben

Radikale Phänomenologie des Fühlens und politischer Konstruktivismus

Nachwort

Bibliografie

Register

Was bedeutet essen? Wie regelt man diese Metonymie der Introjektion? [...] ‚Man muß wohl essen‘ heißt nicht als erstes, etwas in sich aufzunehmen und zu umfassen, sondern essen zu lernen und zu essen zu geben, Lernen-dem-Anderen-zu-essen-zu-geben. Man ißt nie allein, das ist die Regel des ‚Man muß wohl essen‘. Es ist ein Gesetz unendlicher Gastfreundschaft. [...] Sie bestimmt das Gesetz, den Bedarf oder das Verlangen [...], die orexis, den Hunger und Durst [...], den Respekt vor dem Anderen im selben Augenblick, da man, indem man ihn erfährt [...], beginnen muß, sich mit ihm zu identifizieren, ihn zu assimilieren, zu verinnerlichen, in idealer Form aufzufassen [...], ihn mit Worten anzusprechen, die ebenfalls durch Mund, Ohr und Augen gehen, und das Gesetz zu respektieren, das gleichzeitig eine Stimme und ein Tribunal ist [...]. Die erhabene Überfeinerung des Respekts vor dem Anderen ist auch eine Art ‚guten Essens‘, eine Art ‚Essens-Gut‘. Das Gute läßt sich auch essen. Man muß es gut essen.

Jacques Derrida, „‚Man muß wohl essen‘.

Oder die Berechnung des Subjekts“, Auslassungspunkte.

Einleitung

„Am Anfang war der Hunger“, schreibt Levinas in Les Carnets de captivité1. Der Körper ist der Ausgangspunkt unserer Erfahrung. Er verwirft die Anmaßung des Bewusstseins, am Ursprung allen Sinns zu stehen und impliziert, dass wir die Materialität unserer Existenz in Rechnung stellen müssen. Denn der ursprüngliche und primitive Charakter des Hungers bedeutet, dass die Existenz nicht wesentlich als ein Projekt verstanden wird. Wir sind in eine sinnliche Welt getaucht, und diese wird nicht ausschließlich von Menschen bewohnt, ja nicht einmal ausschließlich von ihnen geprägt.

Es geht hier nicht um den Unterschied zwischen den Menschen und den anderen Lebewesen. Es reicht, den bei Merleau-Ponty so wichtigen Begriff des Verhaltens zu erwähnen, um an die heute wohlbekannten Anstrengungen der damaligen Philosophie, den anderen Arten einen moralischen Status zu geben, der sich radikal von dem der Dinge unterscheidet, zu erinnern und die Tiere nicht einfach als Wesen, die leben, sondern als andere Existenzen zu denken.2 Das Leben hat nicht mehr die ontologische Armut, auf die es der Mechanismus und alle Philosophien reduzierten, die die Freiheit als einen absoluten Beginn und ein Sich-Losreißen von der Natur zu begreifen suchten. Mit dieser Neubewertung des Lebens ging eine Berücksichtigung der Sensibilität einher, die als Empfänglichkeit für Schmerz und Lust verstanden wird, sowie eine Rehabilitierung des Sinnlichen, das nicht mehr nur als eine unklare Vorstellung verstanden wird. Die Idee der Welt selbst ist durch diese Phänomenologie des Lebendigen und durch die Arbeiten der Ethologen, die die Grenzen zwischen Natur und Kultur, Freiheit und Instinkt verschieben, bereichert worden.

Das ist eine theoretische Errungenschaft, aus der wir in der Praxis nicht alle Konsequenzen ziehen, wie die Gewalt zeigt, die in unseren Beziehungen zu den Tieren noch so präsent ist. Dabei gibt es eine Dimension der menschlichen Freiheit und auch der Ethik, die nicht ausreichend befragt worden ist. Es geht darum, dass meine Freiheit nicht nur in einer Welt und an der Natur ausgeübt wird, sondern dass ich mich in einer Umwelt befinde, die zugleich natürlich und künstlich ist, und in dieser aus Luft, Licht, Nahrungsmitteln, Arbeit und kulturellen Veranstaltungen bestehenden Umwelt lebe – mich also von ihr nähre. Die Körperlichkeit des Subjekts anzuerkennen, das „lebt von […]“, bedeutet, dass man das Gewicht auf die biologischen, sozialen und umweltbedingten Voraussetzungen der Existenz legt und den Menschen nicht mehr von der Natur trennt sowie den Dualismus Natur/Kultur überwindet.

Die Körperlichkeit des Subjekts

Die Umweltethiken, die seit den 1970er Jahren das Licht der Welt erblickten, haben gezeigt, dass jeder Versuch, die Natur zu beherrschen, darauf beruht, unsere Abhängigkeit von den Bedingungen unserer Existenz zu verkennen. Sie haben sich einer Vorstellung vom Menschen widersetzt, die diesen als ein außerhalb der Natur stehendes Wesen versteht, als eigenes Reich innerhalb eines Reichs, als ein Wesen, das auf eine Umwelt einwirkt, deren Wert und Zweck abhängig ist von dem Gebrauch, den es von ihr macht. Allerdings haben diese Philosophien – man denke an die angelsächsischen Umweltethiken in der Nachfolge Aldo Leopolds oder an Hans Jonas’ Ethik der Zukunft – noch keine Ontologie vorgeschlagen, die der sozialen und politischen Organisation, nach der die Ökologen rufen, als begriffliches Fundament dienen könnte.3

Um als Ausgangspunkt für eine „imaginäre Schöpfung“ dienen zu können, „die andere Bedeutungen als die Produktion und den Konsum ins Zentrum des menschlichen Lebens stellt und andere Zielvorstellungen hat, die vom Menschen als der Mühe wert anerkannt werden könnten“,4 hätte die Ökologie in den Mittelpunkt einer Existenzphilosophie gestellt werden müssen. Aber selbst die heutigen Umweltphilosophien, die über die Klischees hinsichtlich der Opposition Anthropozentrismus/Ökozentrismus hinausgehen, schaffen es nicht, andere Wertvorstellungen und Affekte wachzurufen als die, die den Besitz materieller Güter fest im Zentrum unseres Lebens verankert haben. Das ist der Grund, warum die Ökologie für die Individuen wie für die Gemeinschaften ein peripheres Anliegen bleibt.

Es gelingt ihr nicht, unser Verhältnis zu den anderen, zur Arbeit, zu unserem Körper und zu uns selbst zu verbessern, weil sie außerhalb unseres Lebens steht. Auch der Schutz der Biosphäre, das Recht der zu künftigen Generationen, sich einer gesunden Umwelt zu erfreuen, und die Interessen der anderen Arten – all dies verändert unsere Definition von Politik kaum, die nach wie vor als ein Spiel zu zweit gedacht wird, das ausschließlich die gegenwärtigen Menschen und Nationen betrifft. Die Umweltfragen ernst zu nehmen hat die Demokratie nicht wirklich verändert und nicht zu einer Erneuerung der deliberativen Instanzen, zu einer verstärkten Partizipation der Bürger oder zu einem Umsturz der Art und Weise geführt, wie die politischen Programme in ihrem Inhalt und in ihrer Argumentation konzipiert werden. Der Wortlaut des Gesellschaftsvertrags, zu dessen Neuformulierung die Ökologie auffordert, bleibt derselbe: Die einzige Grenze für meine Freiheit besteht darin, den gegenwärtigen Menschen keinen Schaden zuzufügen.

Nirgends hat man verhindern können, dass die Ökologie in den Hintergrund gedrängt wurde – konnten ihre sektorübergreifenden, globalen und langfristigen Anliegen doch innerhalb einer atomistischen Politik, in der häufig eine auf einem Gebiet ergriffene Maßnahme einer anderen widerspricht, keine Berücksichtigung finden. Schließlich ist es der Ökologie auch kaum gelungen, ein wirtschaftliches Entwicklungsmodell zu inspirieren, das eine Alternative zum Kapitalismus bilden könnte.5 Dieser ist seinem Wesen nach ebenso respektlos gegenüber der Umwelt, wie er auf subjektiver Ebene und auf der Ebene der menschlichen Beziehungen verheerend wirkt. Aufbauend auf dem Prinzip der Überproduktion, die keine Rücksicht auf die von der Natur jeder menschlichen Tätigkeit gesetzten äußeren Grenzen nimmt, schafft er durch Marketing und Werbung eine regelrechte Mystifikation, die immer neue – und immer wieder enttäuschte – Bedürfnisse schafft.6

Unsere Unfähigkeit, die Ökologie wirklich zu berücksichtigen, ist jedoch kein unabwendbares Schicksal. Sie erklärt sich vielmehr daraus, dass diese bisher von einer philosophischen Betrachtung der Existenz abgeschnitten blieb. Die Philosophien der Freiheit haben, von den Vertretern der Vertragstheorie bis zu den Existenzialisten, nicht hinreichend ermessen können, was es für uns bedeutet, die Erde zu bewohnen. Was die Umweltethiken angeht, so ist ihr Beitrag eher kritisch als konstruktiv: Sie haben die Grundlagen der Moral und des Rechts infrage gestellt, dabei aber nicht alle Bereiche des sozialen und politischen Lebens durchdrungen. Es ist ihnen nicht gelungen, unser Verhalten zu ändern, weil sie die Ökologie nicht mit der condition humaine verbunden und sich ausschließlich an die Vernunft gewandt haben.

Der Ehrgeiz einer philosophischen Reflexion, die die Ökologie und die Existenz denkt, die die menschliche Freiheit als ein In-der-Welt- und ein In-der-Natur-Sein konzipiert, ist es, eine Ontologie zu erarbeiten, die sich von derjenigen, die man mit den Philosophien der Freiheit und der von Heidegger in Sein und Zeit entwickelten Daseinsanalytik verbindet, unterscheidet. Im vorliegenden Werk geht es darum, Strukturen der Existenz, oder Existenzialien, freizulegen, in denen die Zugehörigkeit des Menschen zu einer ihn nährenden, zugleich natürlichen und kulturellen Wirklichkeit zum Ausdruck kommt. Der Akzent liegt nicht mehr darauf, was das Subjekt der Verantwortlichkeit in seinem Verhältnis zu den anderen Menschen, zu den anderen Arten und bei seinem Gebrauch der Natur tun oder nicht tun sollte. Man geht also von einer Philosophie des Subjekts weiter zu einer Ontologie, die sich aus der Beschreibung der fundamentalen Strukturen des menschlichen Seienden in der Interaktion mit seiner Umwelt und den anderen Seienden ergibt. Die Dinge, von denen ich lebe, geben sich, selbst wenn ich mich ihrer bediene, weder als Objekte noch als Geräte, sondern entwerfen einen Horizont, in dem die Nützlichkeit und die Produktion nicht an erster Stelle stehen. Darum bezeichne ich sie als „Nahrung“.

Die menschliche Existenz sowie die Konzeptionen von Freiheit und Zeitlichkeit bekommen einen neuen Sinn, wenn man nach den Existenzialien sucht, die mit dem „leben von“ verbunden sind. Letztere lassen sich in der Nachfolge einer Philosophie der Körperlichkeit verorten, die von einer Reihe zeitgenössischer Phänomenologen in L’Autonomie brisée und Éléments pour une éthique de la vulnérabilité 7 skizziert und erarbeitet wurde. Die Reflexion über die Körperlichkeit des Subjekts zu vertiefen hilft dabei, eine Dimension mit einzuschließen, die von den westlichen Denkern in ihrer Beschreibung der condition humaine oft vernachlässigt worden ist. Die Ökologie dient als Ausgangspunkt, um sich einer grundsätzlichen Lücke bewusst zu werden.

„Ökologie“ kommt von oikos, das auf Griechisch Haus, Heim, Lebensraum heißt, und von logos, was die Rede, die Vernunft und die Wissenschaft bezeichnet. Die Ökologie ist das Studium der Milieus, in denen Lebewesen leben und sich fortpflanzen. Sie ist die Wissenschaft von der Umwelt und den Existenzbedingungen des Lebendigen, also der Menschen und der Tiere, die in dem Sinne fühlende Wesen sind, dass sie Schmerz empfinden, der Pflanzen, die mit ihrem Milieu interagieren, sowie der Ökosysteme, die zwar keine Organismen und nicht reizempfindlich sind, aber sich entwickeln und eine Fähigkeit zur Resilienz zeigen, die durch unsere Ausbeutung bedroht werden kann. Die Ökologie geht mit der Einsicht einher, dass wir auf die Umwelten einwirken und von ihnen ebenso wie von den anderen Lebewesen abhängig sind. Hier überlagern sich mehrere Disziplinen und Wissenschaften, die alle gemeinsam haben, dass sie unsere Existenzbedingungen und die Weise, wie wir die Erde bewohnen, hinterfragen.8

Im Französischen reicht schon das Verb habiter – „bewohnen“ – aus, um den Dualismus Natur/Kultur, von dem wir eben sprachen, zurückzuweisen. Es weist darauf hin, dass die Welt der Menschen trotz all ihrer Besonderheiten nicht unabhängig von den Böden, den Elementen, den Ökosystemen und dem Klima ist. Die Geografie spielt in einer Geschichte, die nicht ausschließlich die der sozialen Gruppen oder der sozialen Kämpfe ist, ebenfalls eine zentrale Rolle. Bewohnen, französisch habiter, kommt vom lateinischen habitare, das bedeutet: bleiben, eine Art zu sein oder eine Gewohnheit zu haben (habituari).9 Erst seit 1050 etwa bezeichnet dieses Verb den Umstand, irgendwo unterzukommen und eine Bleibe zu haben. Das Habitat, ein Begriff, der ursprünglich aus dem Wortschatz der Botanik und der Zoologie stammt, ist das Territorium, das die Pflanze im Naturzustand beansprucht. Seit 1881 dient es auch zur Bezeichnung des geografischen Milieus, der ökologischen Nische, die jede Pflanzen- oder Tierart einnimmt. Es ist bei den Naturforschern der „letzte Ausdruck der Lebensform“ und enthält ebenso Angaben über das geografische Milieu wie über morphologische Charakteristika und Sitten.10 Schließlich ist die habitatio die Bleibe, aber sie ist auch die Kleidung (das „Habit“), die einem erlaubt, seinen Platz zu behaupten, und bevor sie die Wohnung oder das Logis bezeichnet, bezieht sie sich auf den habitus insgesamt, d. h., auf eine Gesamtheit von Zusammenhängen, gegenüber denen das Individuum eine autonome Stellung einnehmen kann.

So verstanden ist das Wohnen „der Prozess der Einrichtung eines Aufenthaltsorts“, das „Produkt einer langsamen und unvorhersehbaren Aneignung“ durch die Individuen, die daran beteiligt sind, und es verweist auf die „komplexe Menge an Handlungen, Erinnerungen und Identitäten, die mit ihm verbunden sind“.11 Es impliziert auch, dass wir unser Zusammenleben mit den anderen Arten überdenken, denn „die Menschen [sind] nur Mitreisende anderer Geschöpfe auf der Odyssee der Evolution“.12 Darüber hinaus wirft die Schädigung des städtischen und ländlichen Habitats das Problem auf, wie wir Wissensbestände weitergeben und so Respekt vor dem Erbe zeigen können, das unsere Ahnen uns überlassen haben.

Von Ökologie zu sprechen und den oikos, das Heim der Erdenbürger, ernst zu nehmen, heißt, über die Frage, wie wir mit den Ressourcen verantwortlich umgeben können, hinauszugehen. Gewiss steht dieses wichtige Problem im Zentrum jeder Frage nach der Umwelt als dem Milieu, aus dem der Mensch für sein Leben und für seine ökonomische Entwicklung nützliche Ressourcen bezieht. Aber zu bedenken, wie ich die Erde bewohne und mit den anderen Arten zusammenlebe (oder eben nicht), und dabei nicht von Ressourcen, sondern von Nahrung zu sprechen, heißt, weiter zu gehen als jede Umweltphilosophie. Es heißt einen Weg einzuschlagen, der sicherlich nicht der einer nachhaltigen Entwicklung ist.

Statt zu behaupten, es ginge darum, das ökonomische Wachstum, den Schutz der Biosphäre und die Verwendung ihrer begrenzten Ressourcen mit der sozialen Gerechtigkeit zu vereinbaren, verbindet die philosophische Reflexion, wenn sie von der Ökologie inspiriert ist, von der Moral bis zur Ästhetik alle Dimensionen der Existenz: von der Landwirtschaft über die Erziehung, die Ökonomie, den Städtebau bis hin zur Architektur. Sie ist nicht zu trennen von einem Nachdenken über das Subjekt und sein Verhältnis zum anderen. Selbst die Ethik ist weniger eine Frage nach dem moralischen Status der verschiedenen Entitäten als eine Lebenseinstellung. Sie ist von einer Reflexion über das Subjekt und sein Verhältnis zum anderen ebenso wenig zu trennen wie vom Infragestellen meiner Freiheit durch die Existenz der anderen, die ich ihres Zugangs zu der Nahrung nicht berauben und denen ich kein herabgemindertes Leben aufzwingen darf.

Untrennbar verbunden mit einer Ersten Philosophie, die die Grundstrukturen der Existenz freilegt, bezieht sich die Ethik wesentlich auf die Grenzen des Handelns, die ich meiner Freiheit im Kampf um die Existenz sowie im Hinblick auf meine Entwicklung, auch die ökonomische, auferlege. Weit entfernt davon, bloß ein Feld für Spezialuntersuchungen zu sein, verlangt die Ökologie im Gegenteil eine Erneuerung der Philosophie, die bis jetzt als Grundlage der Ethik und der Politik gedient hat. Sie geht einher mit einer vollständigen Neugestaltung der Autonomie. Sie ist „die wahre Freiheit […], die notwendige Selbstbegrenzung nicht nur in den Regeln des Sozialverhaltens, sondern auch in den Regeln, die wir in unserem Umgang mit der Umwelt anwenden“.13 Sie bahnt, kurz gesagt, den Weg für einen neuen Gesellschaftsvertrag.

Die Ökologie zu einer philosophischen Frage zu machen und den oikos zu denken, heißt nicht, dass der Mensch wie die anderen Arten ist. Zwar kennen auch Tiere Empathie und können sich gegenseitig helfen, auch wenn sie unterschiedlichen Arten angehören. Aber auch wenn die Existenz gewisser Tier- und Pflanzenarten durch das Verschwinden anderer Arten bedroht sein kann, sind wir Menschen die einzigen, die ein solches Verschwinden beklagen können. Außerdem ist unsere technologische Macht unendlich viel größer als die der Tiere. Diese Macht ist, aufgrund ihres großen Maßstabs und der Unumkehrbarkeit mancher ihrer Konsequenzen, die sich heute über mehrere Tausend Jahre und auf eine unschätzbare Anzahl anderer Lebewesen erstrecken können, mit der Technik unserer Ahnen nicht mehr vergleichbar. Aber der Mensch hat auch die Fähigkeit, für andere Arten und zukünftige Generationen vorzusorgen. Das ist die Definition der Verantwortung, die – anders als das Mitleid – nicht die Anwesenheit derer, für die ich verantwortlich bin, in Fleisch und Blut voraussetzt. Unsere Verantwortung geht auch über unsere Fähigkeit zur Identifikation, ja selbst über unser Vorstellungsvermögen hinaus, wenn unser Handeln Auswirkungen auf Tausende, sogar Millionen von Menschen hat oder wenn es die Lebensverhältnisse zukünftiger Individuen schwer belastet.

Indem sie uns dazu bringt, die Bedingungen unserer Existenz wirklich ins Auge zu fassen und also zu bedenken, wovon wir leben und was uns ebenso sehr formt, wie wir es formen, lässt uns die Ökologie den Menschen nicht mehr als Subjekt und die Natur als Objekt denken. Unsere Existenz kann von dem, wovon wir abhängen, nicht getrennt werden; es ist nicht mehr möglich, die Natur zu verstehen, indem man vom Menschen und der Weise abstrahiert, wie er sie im Lauf der Jahrhunderte verändert hat – wie es uns die Landschaften lehren, die Ansichten gestalteter Orte sind. Ziel des vorliegenden Werks ist es nicht, eine Umweltethik vorzulegen, die an den Status, den man den verschiedenen Entitäten zubilligt, und den legitimen Gebrauch, den wir von ihnen machen können, gebunden wäre. Stattdessen legt es eine Existenzphilosophie vor, die einbezieht, was uns die Ökologie über das „leben von“ lehrt, und leitet daraus eine politische Organisationsform ab, die mit der Erarbeitung eines neuen Gesellschaftsvertrags verbunden ist.

Letzterer unterscheidet sich von demjenigen, den wir heute kennen, in dem Maß, wie der Schutz der Biosphäre, die Interessen der zukünftigen Generationen und der Respekt vor den anderen Lebewesen, insbesondere den Tieren, in der Politik eine zentrale Stellung einnehmen müssen. Sie bestimmen neue Staatspflichten und führen nicht nur zur Erneuerung der Institutionen, sondern verändern auch, wie wir über Gegenkräfte nachdenken, über die politische Kultur, die Beziehungen zwischen Regierenden und Regierten, den Inhalt und den Tenor der Programme und politischen Debatten, die Bildung der Bürger und ihrer Repräsentanten. Mehr noch, in dieser politischen Theorie, die sich wie Rousseaus Gesellschaftsvertrag vor allem auf die Prinzipien des Staatsrechts bezieht, spielt eine Phänomenologie der Nahrung, die sich aus einer Philosophie der Körperlichkeit und des „leben von“ ergibt, die Rolle der Fiktion eines Naturzustandes bei den Vertretern der Vertragstheorie.

„Leben von“ – das heißt von einer guten Suppe ebenso leben wie von Luft und Licht, vom Kino, vom Spazierengehen, von Arbeit, von Liebe, vom Schlaf, von der Stadt und vom Land. Unsere Umwelt ist im Wesentlichen hybrid. Das Nachdenken über die Existenzbedingungen und das „leben von“, das schon in jeder Philosophie der Körperlichkeit präsent war, die darauf achtet, was unserer Intentionalität entgeht, findet in der Ökologie zu einer ganz neuen Vertiefung. Denn man darf sich nicht auf die Beschädigung des Körpers konzentrieren, die im Zentrum der Ethik der Verwundbarkeit stand und die enge Verbindung hervorhob, die zwischen der Verwundbarkeit als Zerbrechlichkeit und der Verwundbarkeit als Öffnung auf den anderen oder Verantwortlichkeit für den anderen besteht. Gewiss, ich bin verantwortlich für den anderen und werde von ihm berührt, bin betroffen von dem, was ihm passiert, weil ich ein verwundetes Subjekt bin, das den Schmerz und das Alter fühlt und nicht allein oder verlassen sterben will. Aber was, wenn wir in unsere Reflexion nicht nur die Zerbrechlichkeit und die Abnutzung des Körpers sowie die Unzulänglichkeit der Psyche, sondern auch den Genuss mit einbeziehen, bedenken, dass das, wovon wir leben, uns nicht versklavt, sondern befriedigt – wie der Nachtisch, den ich genieße, wie die Landschaft, deren Schönheit ich bewundere, wie das Meerwasser, in dem ich mich entspanne, wie die Liebe zu einem anderen, wie die Gegenwart von Meinesgleichen oder die von Tieren, selbst der unbezähmbarsten, wie die Kunst, die mich erhebt, wie die Stadt, in der ich wohne, selbst wie die Arbeit, die ebenso körperlich wie intellektuell ist; die selbst dann körperlich ist, wenn sie intellektuell ist?

Eine Phänomenologie der Nahrung

Als Nahrung (nourritures)14 bezeichnen wir das, wovon wir leben und was wir brauchen, die Umwelt, in die wir eingebettet sind, und alles, womit wir uns versehen, sowie die Weise, wie wir es uns beschaffen: unsere Tauschhandlungen, die Verteilungskreisläufe, die Techniken, mit deren Hilfe wir uns bewegen, unsere Wohnstätten, unser Schaffen, aber auch die Ökosysteme, die aus Biozönosen – aus dort existierenden, uns oftmals unbekannten Lebewesen – und den durch ihre physikalischen und chemischen Charakteristika definierten Biotopen bestehen. Diese den Dualismus Natur/Kultur überwindende Bezeichnung erlaubt es nicht mehr, die Natur als eine Ressource aufzufassen, die bloß instrumentalen Wert hat.

Die Dinge, einschließlich der technischen Objekte, stehen uns nicht bloß als Geräte zur Verfügung, sondern sind Bedingungen unserer Existenz. Diese Umkehrung im Status der Repräsentation war bereits in der phänomenologischen Konzeption der Welt vorhanden, vor allem bei Merleau-Ponty, der die Wechselwirkung zwischen dem Selbstbewusstsein und dem Welt-Bewusstsein aufgedeckt und betont hat, dass diese Verflochtenheit in jeder Wahrnehmung besteht. Wenn wir von „Nahrung“ sprechen, tun wir jedoch einen weiteren Schritt hin zu einer Philosophie, in der die Existenz als „eine Beziehung zu einem Gegenstand und gleichzeitig eine Beziehung zu dieser Beziehung […], die ihrerseits ebenso das Leben ernährt und erfüllt“ 15 gesehen wird.

Daraus folgt eine andere Wahrnehmung der „äußeren“ Umwelt – die Andersartigkeit der Nahrung, der Wälder, der Seen und der Pflanzen, der Jahreszeiten, der Stadt, der Straßen, der Lebensmittel. Meine Existenz wird in und mit diesen Elementen gedacht, die weder bloße Ressourcen sind, die ich ausbeute, noch das Nicht-Ich, an dem und gegen das ich meinen Willen behaupte. Darüber hinaus sind diese Bedingungen meiner Existenz auch die Existenzbedingungen der anderen. Sie sind durch die Zeit entstanden – und zwar ebenso durch die Zeit der Evolution wie durch die Zeit, die von der Geschichte und der menschlichen Technik verändert wurde. Wie sich insbesondere hinsichtlich der Geburt zeigen wird, mündet die Analyse der Körperlichkeit des Subjekts von vornherein in die Intersubjektivität. Wir sind mit den anderen durch unser Verhältnis zur Nahrung verbunden, die darüber hinaus die gegenseitige Abhängigkeit der Arten voneinander hervorhebt.

Mehr noch, was ich benötige, um zu leben, konstituiert mich, insofern es mein Fortbestehen ermöglicht, aber auch und vor allem, insofern es meiner Existenz Wert oder vielmehr einen Geschmack, eine Note verleiht. Der Wert des Lebens resultiert nicht aus einem Urteil über die Qualität der Dinge, derer ich mich bediene, noch aus dem über ihren Energiegehalt; er liegt in dem Geschmack, den die Dinge für mich haben, in der Weise, wie ich, indem ich sie mir einverleibe, das Leben liebe. Bedürftigkeit und Lebenserhalt sind von dieser Erfahrung nur dann getrennt, wenn ich Mangel leide. Den Gebrauch der Dinge und ihren Zweck von dieser Einverleibung zu lösen heißt, das Verhältnis verfehlen, das ich zu ihnen habe, und das zuerst eines des Genusses ist.

Das Leben in der Welt der Nahrung ist Genuss, weil ich gerne lebe, weil ich das Leben liebe – noch bevor ich mich erkenne, mir Sorgen um mich mache und mich in die Zukunft hineinversetze, indem ich dem, was in meinen Augen wertvoll ist, Existenz verleihe. Ich bin Liebe zum Leben, bevor ich Freiheit bin. Diese Liebe zum Leben umhüllt meine Freiheit. Sie drückt sich darin aus, dass das, wovon ich lebe, mich erfreut: „Die Liebe zum Leben hat keine Ähnlichkeit mit der Sorge um das Sein“,16 sondern ist das Glück, zu sein. Das Leben wird geliebt: Es ist selbst sein eigener Zweck. Es handelt sich jedoch nicht um eine Existenz, die an die Bedürfnisse gefesselt ist. Nur wenn es ein elendes Leben ist, schafft der Mangel Bedürfnisse jenseits des Genusses. Hunger, Kälte und erzwungene Arbeit machen, dass ich mich auf die Nahrung stürze, um eine Energie wiederzugewinnen, die mir nur dazu dienen wird, an die Arbeit zurückzukehren.17

Wenn das Leben in der Welt der Nahrung Liebe zum Leben ist, dann ist eine fundamentale Struktur der Existenz dieses Wesens – in dessen Sein es einen Sinn des Daseins gibt – der Geschmack, die Würze der Dinge, ihre Schönheit und alles, was ihm an ihnen förderlich ist.

Statt den Genuss der Ethik entgegenzusetzen, müssen wir die Wichtigkeit dieser Dimension bedenken, die zu verstehen erlaubt, wie der Mensch die Erde bewohnt. Anders als das sichere Vergnügen Epikurs – eines Denkers, zu dessen Verdiensten es gehört, auf der Verbindung zwischen Glück und Tugend zu bestehen – verweist der Genuss im vorliegenden Werk auch auf den Geschmack und das ästhetische Vergnügen, das nicht nur ein besonderes, auf die Kunst beschränktes Vergnügen ist, sondern auf allen Gebieten des Lebens unsere Art zu sein charakterisiert.

Anders als Levinas glauben wir nicht, dass der Übergang von der Beziehung zu sich selbst zur Beziehung zum anderen, von der Ebene des Genusses zu derjenigen der Ethik, einen Bruch bildet.18 Gewiss, Genuss ist nicht Moral. Er ist ein egoistisches Beben, wie es die Volksweisheit in dem Sprichwort ausdrückt: „Ventre affamé n’a point d’oreilles – Ein leerer Magen kann nicht hören“. Mehr noch, die Existenz des anderen selbst ist es, die meine Freiheit infrage stellt. Es sind seine Bedürfnisse, die infrage stellen, was Levinas das gute Recht oder das gute Gewissen der Freiheit nennt, nämlich zu tun, was ich will, und zu konsumieren, was ich begehre.19 Selbst die Philosophie der Menschenrechte zieht nicht alle Konsequenzen aus dem, was das Recht des anderen Menschen von mir und von der Gesellschaft fordert. Wenn wir eine negative Konzeption der Freiheit vertreten, sind wir sicherlich leichter bereit, die Rechte, zu denen wir individuell Zugang haben, anzuerkennen, als die Pflichten, die der andere Mensch, aber auch die anderen Menschen und die anderen Arten, uns auferlegen und die allesamt unserer Gier Grenzen setzen.

Indem Levinas von der sinnlichen Welt als von der der Nahrung spricht und die Verwundbarkeit des hungrigen Menschen betont, stellt er sich mit Entschlossenheit gegen Philosophien, die den Menschen zuerst als Freiheit denken und diese als die Fähigkeit verstehen, Entscheidungen zu treffen und zu verändern.20 In diesen Philosophien wird die Sorge um sich selbst nicht von der Furcht um den anderen und der unbeantwortbaren Frage nach meinem Recht auf Leben gestört – jener Furcht, dass „mein ‚Platz an der Sonne‘“ die „widerrechtliche Inbesitznahme von Lebensraum“ ist, „der Anderen gehört, die ich schon unterdrückt und ausgehungert […] habe“.21 In diesem Sinn ist es unabweisbar, dass der andere, der sterblich ist und vielleicht keinen Zugang zur Nahrung haben könnte, mich aus dem Genuss herausreißt oder, wie Levinas sagen würde, „mich belehrt“. Jedenfalls soll in diesem Werk gezeigt werden, dass ich, noch bevor ich dem anderen gegenübertrete, mich bereits in einem ethischen Bereich befinde, sobald ich mich auf die Nahrung beziehe.

Selbst wenn ich ihm nicht physisch begegne, sind der andere und die anderen in der Umwelt, von der ich mich nähre – der natürlichen wie der künstlichen – bereits präsent. Wie ich Nahrung konsumiere, wirkt sich auf die anderen aus. Mein Verhältnis zur Nahrung ist, fundamentaler noch, selbst eine Lebenshaltung, die der Ethik angehört. Wenn sich der Mensch von den Elementen nährt, die ihn umgeben wie etwa die Luft, dann kann sich die Ethik nicht auf unsere Beziehungen zu den anderen Menschen beschränken. Sie muss in Rechnung stellen, wovon wir abhängig sind: von den Wesen, die die Umwelt, von der wir heute leben, geformt haben, und von allen, die sie unterhalten oder mit denen wir die Nahrung teilen. Sie ist, mehr noch, bereits in dem Verhältnis zu suchen, das wir zur Nahrung herstellen.

Die Ethik ist die Dimension meiner Beziehung zu den anderen Wesen, den menschlichen und den nicht-menschlichen, die mein Verhältnis zur Nahrung herstellt. Mit meiner Ressourcennutzung, durch die Energie, mit der ich gewisse landwirtschaftliche Produktionsweisen unterstütze, in meiner Ernährungsweise, stehe ich schon in Beziehung zu den anderen Menschen, deren Tätigkeit und damit Leben ich unterstütze oder auf die mein Handeln einen Einfluss hat, der umso entscheidender ist, als er das Ergebnis täglicher Entscheidung ist. Sobald ich konsumiere, sobald ich mich in der Welt durch den Kauf von Produkten verhalte, sobald ich mich mit dem Auto fortbewege, sobald ich eine Zigarettenkippe hinwerfe, befinde ich mich im ethischen Bereich. Noch vor der Begegnung mit dem anderen, die in ihrer Äußerlichkeit die Quelle der Ethik ist – das heißt, der andere macht mich von vornherein mit der Ethik als einer Dimension bekannt, die mit der objektiven Bewertung der Eigenschaften des anderen, mit der Erkenntnis oder auch mit dem Spiel der rivalisierenden Freiheiten auf der Suche nach Anerkennung nichts zu tun hat –, noch vor der Begegnung mit dem Gesicht des anderen, das mich als verantwortlich bezeichnet, gibt es also die Welt der Nahrung. Mein Verhältnis zu ihr ist der ursprüngliche Ort der Ethik.

Auf diese Weise über die Ethik nachzudenken ändert nichts an der Tatsache, dass mein Verhältnis zum anderen sich von meinem Verhältnis zu den Tieren und zu den Bäumen unterscheidet und von moralischen Normen bestimmt wird, die ich nicht immer auf die anderen Arten anwenden kann. Indessen hat die Ethik nicht nur die Dimension meines Verhältnisses zum anderen; sie hängt auch von meinem Verhältnis zur Nahrung ab. Diese fällt nicht vom Himmel: Sie verlangt die Arbeit des anderen und wirft das Problem des Teilens mit den anderen Menschen und den anderen Arten auf. Die Gerechtigkeit, also die Tatsache, dass es in den Bereich der Ethik und der Politik gehört, wie wir die Erde bewohnen und ihre Schönheit bewahren, aber auch die Wichtigkeit, die Nahrung für uns hat, wenn wir sie genießen oder ihre Vernichtung uns so schmerzhaft trifft, als ob, wie Callicott sagt, „die Welt unser Körper wäre“22 – all dies hat zur Folge, dass Bereiche, die gewöhnlich getrennt sind, wie die Moral, die Politik, die Ökologie und die Ästhetik, in einer Existenzphilosophie und in der Ontologie, die ihr Fundament bildet, vereint werden.

Die Welt als Nahrung zu denken heißt nicht einfach, ein Bild zu gebrauchen, um zu illustrieren, wie das Äußere zum Inneren wird, etwa wenn ich ein Lebensmittel zu mir nehme, es verdaue und die Energie aus ihm heraushole. Der Bezug auf die Ernährung lässt eine Philosophie erkennen, die die Dichotomie zwischen dem Biologischen und dem Kulturellen, dem Intimen und dem Kollektiven, der Privatsphäre und dem gesellschaftlichen Leben, dem persönlichen Geschmack und den vertrauten Gewohnheiten, überwinden will. Darüber hinaus wird mit der Betonung des Hungers nicht nur die Fragilität des Menschen hervorgehoben, seine Schmerzempfindlichkeit und die Tatsache, dass der Entzug von Nahrung die Schwächung und den Tod zur Folge hat; sie radikalisiert auch das Nachdenken über unsere Körperlichkeit, die „der ständige Zweifel an dem Privileg, das man dem Bewußtsein zuschreibt, allem einen ‚Sinn zu verleihen‘“, ist.23

Der Akzent verlagert sich jedoch nicht auf bloße Passivität, wie es in der Ethik der Verwundbarkeit der Fall war. Die Lust, das Vergnügen der Augen und des Gaumens, der Geschmack und das Bedürfnis nach Neuem erneuern das Verständnis unserer Abhängigkeit von den Bedingungen unserer Existenz. Und indem sie die Ästhetik im Herzen der Ethik (neu) etablieren, erneuern sie auch das Verständnis dessen, was für uns das Bewohnen der Erde bedeutet. Würden wir die Schädigung der Ökosysteme, die Zerstörung der Landschaften und die abscheulichen Lebensbedingungen, die den Tieren durch die industrielle Zucht aufgezwungen werden, hinnehmen, wenn der Geschmack, statt ein Sinn unter anderen zu sein oder die Zugehörigkeit der Individuen zu einer sozialen Klasse zu signalisieren, das wäre, was, wie das Gemüt bei Kant, unsere Sinne an unser Herz und unseren Geist bindet?

Unsere Abhängigkeit von den Bedingungen unserer Existenz ist auch eine Abhängigkeit vom anderen, oder vielmehr ein Bedürfnis, das wir nach ihm haben, nach seinem Körper, seiner Arbeit, seinem Wissen und seinem Können. Man ist nie allein, ob man eine Autobahn benutzt, eine Brücke überquert oder ob man liest. Vor einem selbst oder zugleich mit einem selbst sind es andere, die solche Handlungen ermöglichen. Im Akt des Essens nimmt eine solche Verflechtung jedoch eine Selbstverständlichkeit an, die dieser zugleich sozialen und natürlichen Tatsache einen paradigmatischen Charakter verleiht.

Tatsächlich ist das Essen immer ein Essen mit den anderen und durch sie, weil die Lebensmittel, die ich konsumiere, von jemand anderem zubereitet worden sind, ob ich ihn kenne oder nicht, oder jemand den Baum gepflanzt hat, dessen Früchte ich pflücke. Sie setzen voraus, dass das Getreide produziert und geerntet wurde, und verweisen somit auf die Landwirtschaft, den Handel und die globale Ökonomie, die in Abhängigkeit von Vorräten und Ernten über den Preis der Grundnahrungsmittel entscheiden, wie etwa dem des Getreides, das Mensch und Vieh zur Nahrung dient. Nicht nur die Kochkunst, die Kultur und die Großzügigkeit derer, die es übernommen haben zu kochen und von einer Generation zur nächsten ihre Rezepte weiterzugeben, sondern auch das, was ich esse, das heißt, diejenigen, die ich esse oder die zu Nahrungszwecken zu töten ich mich weigere, sind bei diesem alltäglichen Akt mitgemeint.

Jedes Mal, wenn wir essen, ist unsere Verantwortlichkeit gegenüber den anderen Menschen und den anderen Lebewesen angesprochen, ob wir uns dessen voll bewusst sind oder nicht. Die Ernährung bindet uns an die anderen Wesen, die menschlichen wie die nicht-menschlichen, an die Kreisläufe von Produktion und Handel, an die Transportmittel. Essen heißt, jede Trennung zwischen den Disziplinen zu bestreiten und sich mitten ins Leben zu stellen, es heißt, von vornherein in der Ethik und in der Politik zu sein. Die Grenzen zwischen dem Materiellen und dem Spirituellen verschwimmen wie in den religiösen Riten, wo schon immer Verbote und Vorsichtsmaßnahmen den Akt des Sich-Nährens umgeben haben, besonders wenn es darum geht, das Fleisch eines Tiers zu essen. So sagt Levinas, alle hohlen Reden über Ethik und Gerechtigkeit hinter sich lassend, dass die Spiritualität in der Geste bestehe, „einen vom Hunger heimgesuchten Drittwelt-Bewohner zu nähren“. Er spricht bei dieser Gelegenheit von einem „erhabene[r] Materialismus“.24

Im Lichte einer Phänomenologie des Essensakts ist der Mensch kein Wesen mehr, das von den anderen, die sich auch zu ernähren versuchen, getrennt wäre. Allerdings deuten sich in der Kunst des Tafelns, der sozialen und geselligen Dimension des Diners sowie den Krankheiten, die sich mit dem Verhältnis zur Nahrung verbinden können, wie etwa Anorexie und Adipositas, bereits die zwischen Mensch und Tier bestehenden Unterschiede an. Zu bedenken, dass wir „vom ‚guten Essen und Trinken‘, von der Luft, vom Licht, vom Schauen, von der Arbeit, von Ideen, vom Schlaf usw.“,25 leben und bei all diesen Aktivitäten die Bindungen zu berücksichtigen, die wir zu den anderen – vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen – Menschen sowie zu denen unterhalten, die fern von uns leben, ohne dabei die Beziehung zu den anderen Arten zu vergessen – das alles heißt, sich auf den Weg zu einer Beschreibung der Existenzstrukturen zu machen; und zwar auf eine Weise, die mit der Existenzialanalytik Heideggers bricht.

Die Existenzialanalytik revidieren. Ontologie und Politik

Das Aufdecken der Körperlichkeit des Subjekts ist bereits eine Kritik an der heideggerschen Ontologie. Außerdem wird die Idee, dass sich die Existenz durch die Sorge definiert, erschüttert, sobald man auf der Bedeutung des Genusses besteht. Nur, wenn man nur das Allernötigste zum Überleben hat, isst man, um zu leben:

Wir atmen, um zu atmen, essen und trinken, um zu essen und zu trinken, behausen uns, um uns zu behausen, studieren, um unsere Neugier zu befriedigen, gehen spazieren, um spazieren zu gehen. Das alles ist nicht, um zu leben. Das alles ist Leben. Leben ist eine Aufrichtigkeit.26

Nur in einer Welt der Ausbeutung kann die Nahrung als Werkzeug oder als Treibstoff interpretiert werden, schreibt Levinas, nachdem er darauf hingewiesen hat, dass das Werkzeug und der Nutzen bei Heidegger den Gebrauch der Dinge und dessen Ergebnis verdecken, das in Befriedigung oder Vergnügen besteht. Schließlich, wenn wir mit Blick auf die Nahrung, die uns an die anderen Menschen und an die anderen Arten bindet, die Existenz und die Ökologie nicht nur auf der Ebene der Ethik, sondern auch der Ontologie miteinander verbinden, dann kann die Philosophie, die wir konstruieren, keine des „Für-sich“ sein. Die Sorge um die Existenz wird umhüllt vom Genuss oder der Befriedigung.27 Die Liebe zum Leben kommt vor der Planung, was besagt, dass das Sein zum Tode in einer Phänomenologie der Nahrung nicht so fundamental und originär ist wie bei Heidegger. Die Tatsache, dass man sich von Dingen nährt, die Sorge, dass es an diesen Dingen fehlen könnte, die Arbeit und die Anstrengungen, die ich leisten muss, um mir gute Existenzbedingungen zu verschaffen, all das entreißt mich der Einsamkeit. Ich bin von vornherein in einer Welt, die nicht nur eine von Menschen ist. Diese Umwelt ist nicht bloß ein Sprungbrett für meine Freiheit. Sie verweist auf bewusste und unbewusste Bindungen an die anderen Menschen und Wesen, auf Beziehungen, die man mit ihnen eingegangen ist, oder auf ihre Ausbeutung, die das Ergebnis einer Verleugnung eben dieser Abhängigkeitsbeziehung ist. Diese Umwelt zeigt auch die Verwundbarkeit der Menschen, die am äußersten Ende der Nahrungskette stehen und die Konsequenzen der Wasserverschmutzung oder des Virenbefalls, unter dem die Vögel oder das Vieh leiden, zu tragen haben.

Außerdem ist unsere Zeit verschränkt mit einer umfassenderen Zeit, die nicht nur die der Geschichte, sondern auch die der Natur und sogar, für einen jeden von uns, der Jahreszeiten und des Wechsels von Tag und Nacht ist.28 Selbst wer nachts aktiv ist und tagsüber schläft, muss sich ausruhen. Alle brauchen diesen Wechsel, so wie sie Licht, Luft und Wasser brauchen. Wie Heidegger die menschliche Zeitlichkeit denkt, trägt dieser Realität nicht Rechnung. Ist die Idee, dass die authentische Zeitlichkeit die eigene Projektion ausgehend von der Möglichkeit der Unmöglichkeit der eigenen Existenz ist, nicht bezeichnend für eine Philosophie der Freiheit, in der das, was die condition humaine charakterisiert – nämlich Sterblichkeit, Kontingenz, die Faktizität oder der Verlust des Selbst in der Anonymität – unter Abstraktion von anderen Bedingungen unserer Existenz gedacht wird, wie der Natur, des Klimas, der Umwelt und der gegenseitigen Abhängigkeit zwischen uns und den anderen Wesen?

Levinas schreibt so manches Mal, dass das heideggersche Dasein nie Hunger hat.29 Ein Wesen, das Hunger und Durst hat und die Kälte spürt, denkt die Freiheit nicht als Eroberung seiner selbst; was für dieses Wesen zählt, ist, keine Entbehrungen mehr zu leiden und Lust zu empfinden; das Leben zu genießen. Geht das Vergessen dieser Dimension nicht damit einher, wie Heidegger die Existenz interpretiert, indem er sie vom Leben trennt und fast ausschließlich ihre „ek-statische“ Dimension aufscheinen lässt? Was soll man von der Unterscheidung halten, die er zwischen den Seienden – die zuhanden oder in Reichweite sind und die er durch die Nützlichkeit und den Zweck, den wir ihnen zuweisen, bestimmt –, und dem Dasein trifft, das als einziges „ek-sistiert“, und, indem es existiert, die Struktur der Welt und den Sinn des Seins aufdeckt?

Nachdem die Verwundbarkeit des Menschen berücksichtigt wurde, die auf eine Phänomenologie der Passivität verweist, die nicht nur die Beschädigung unseres Körpers hervorhebt, sondern auch die Öffnung zum anderen und unsere Verantwortung für ihn (Levinas), nach der Dekonstruktion dessen, wie die Philosophie die Grenzen der Moral gedacht und die Souveränität des Subjekts begründet hat, indem sie den Menschen dem Tier entgegensetzte und die Tiere aus der moralischen Gemeinschaft ausschloss (Derrida), erlaubt die Phänomenologie der Nahrung, mit neuem Elan die Kategorien zu untersuchen, die der Philosophie des Subjekts und selbst der Existenzialanalytik Heideggers noch immer zugrunde liegen, und eine andere Ontologie zu entwickeln.

Diese ist keine Lehre vom Sein in dem Sinn, wie man von einem Wesen des Menschen sprechen könnte. Das Ende der Metaphysik als einer Lehre, die das Besondere des Menschen zum Ausdruck bringt, ihn als ein vernünftiges Tier charakterisiert oder seine Vollendung im Lichte einer abgeschlossenen Konzeption des Seins misst – sei sie theologisch wie im Christentum oder kosmologisch wie bei Aristoteles – dieses Ende ist eine Errungenschaft. Wenn der Mensch zugleich in biologische und kulturelle Aktivitäten verstrickt ist, wie man am Akt des Essens sieht, gibt es keine Natur im Sinne eines unveränderlichen Wesens. Darum ist die Phänomenologie der Nahrung eine Philosophie der Existenz und kein Essentialismus. Warum dann von Ontologie sprechen? Etwa weil die Seinsweisen des Menschen, seine Weisen zu existieren, erlauben würden, die Strukturen des Seins aufzudecken, es zu verstehen, wie bei Heidegger?

Die Antwort auf diese Frage ist negativ, denn die Existenz liegt nicht im Blickfeld des Seins. Wie bei Levinas haben wir es mit dem Existierenden zu tun, nicht mit der Existenz. Das Existierende lebt von Nahrung und begegnet dem anderen. Es ist weder zuerst noch wesentlich ein Verstehen der Welt, sondern es ist mit der Welt, es ist im Fühlen in Kontakt mit den Dingen. Mehr noch, die von Levinas schon in seinen ersten Werken entwickelte Ontologie der Passivität und des „leben von“ bricht mit dem Pri