NACH
HÖHEREM
STREBEN
von
Orison Swett Marden
Ins Deutsche übertragen
von
Max Christlieb und Cornelia Bruns
Erstveröffentlichung: Stuttgart, J. Engelhorns Nachf., 1919
Neuauflage: F. Schwab Verlag – www.fsverlag.de, 2018
Cover: Antoine-Jean Gros, Bonaparte auf der Brücke von Arcole
Copyright © 2018 by F. Schwab Verlag
2. Auflage, ISBN: 978-3-944432-16-8
„Wie macht sich der Junge, Davis?“ fragte der Landwirt John Field, während er seinen Sohn Marshall bei der Bedienung eines Kunden beobachtete. „Nun, John, wir zwei sind ja alte Freunde“, antwortete Deacon Davis, nahm einen Apfel aus einem Fass und reichte ihn Marshalls Vater als eine Art Friedensbürgschaft. „Wir sind alte Freunde, und ich möchte dich nicht kränken: aber ich bin ein offenherziger Mann und will dir die Wahrheit sagen. Marshall ist ein guter und zuverlässiger Junge, das muss man ihm lassen; aber ein rechter Kaufmann wird er niemals, und wenn er tausend Jahre bei mir im Laden bleibt. Er ist nicht aus dem Holz geschnitzt, aus dem Kaufleute gemacht werden. Nimm ihn auf dein Gut zurück, John, und lass ihn die Kühe melken!“
Wenn Marshall Field als Lehrling in dem Laden von Deacon Davis in Pittsfield, Massachusetts, geblieben wäre, wo er seine erste Stelle angetreten hatte, da wäre er allerdings nicht der „königliche Kaufmann“ geworden, der er wurde. Als er aber nach Chicago ging und die fabelhaften Beispiele von armen Jungen sah, die die größten Erfolge erreichten, da wurde sein Ehrgeiz aufgeweckt und der Entschluss in ihm entzündet, selber ein Großkaufmann ersten Ranges zu werden. Er sagte zu sich selbst: „Wenn andre so wunderbare Erfolge haben, warum sollte ich das nicht auch können?“
Natürlich waren in Field die Anlagen zu einem großen Kaufmann von Anfang an vorhanden. Aber die äußeren Umstände und eine den Ehrgeiz und das Streben erweckende Umgebung trugen doch sehr viel dazu bei, dass die in ihm noch ohne Wirkung ruhende Energie ausgelöst wurde und seine verborgenen Kräfte zum Vorschein kamen.
Viele glauben, der Ehrgeiz sei eine Eigenschaft, die mit uns geboren sei, und könne eigentlich nicht gepflegt oder vergrößert werden; er sei uns gleichsam in die Wiege gelegt und entwickle sich ganz von selber. Aber das ist nicht richtig: gerade die Pflege macht beim Ehrgeiz sehr viel aus und ist unbedingt nötig bei ihm, etwa wie bei der musikalischen Begabung, die ungepflegt bald verkümmert.
Wenn wir gar nichts dazu tun, unsern Ehrgeiz in Taten umzusetzen, so bleibt er nicht, wie er war: seine Kraft verliert sich, und er wird stumpf, unser ganzes Streben wird matt und schwach. Wie können wir auch erwarten, dass er frisch und kräftig bleibt, wenn wir jahrelang in Untätigkeit, Trägheit und Gleichgültigkeit dahinleben? Wenn wir fortwährend die Gelegenheiten verpassen, ohne auch nur den Versuch zu machen, sie zu benutzen, so wird unser ganzes Streben stumpf und schwach.
Emerson sagt: „Was ich am nötigsten brauche, das ist ein Mensch, der mich veranlasst, alles zu leisten, was ich leisten kann.“ Meine Aufgabe ist, alles zu leisten, was ich kann, nicht was Männer wie Napoleon oder Lincoln leisten konnten, sondern was ich leisten kann. Alles kommt darauf an, dass ich das Beste aus mir heraushole: und es ist ein himmelweiter Unterschied, ob ich zehn, fünfzehn, fünfundzwanzig oder neunzig Prozent meiner Fähigkeiten nutzbar mache.
Es gibt unzählige Menschen, die die Mitte des Lebens erreicht haben, ohne richtig aufgewacht zu sein. Sie haben nur einen kleinen Teil ihrer Erfolgsmöglichkeiten entwickelt und nutzbar gemacht. Sie leben sozusagen noch im Schlaf. Das Beste in ihnen liegt so tief verdeckt, dass es noch gar nicht erwacht ist. Wenn wir solche Menschen treffen, so fühlen wir deutlich, dass sie einen verborgenen Vorrat von Kräften haben, die noch gar nicht in Wirksamkeit getreten sind. Weitaussehende Möglichkeiten schlummern unbewusst und ungenutzt in ihnen und gehen auf diese Weise ihrem allmählichen Untergang entgegen.
Der oberste Richter einer blühenden Stadt im Westen, heute einer der angesehensten Rechtsgelehrten des Landes, war bis zur Mitte seines Lebens, bis zum Erwachen seiner schlummernden Kräfte, ein unwissender Schmied. Jetzt ist er sechzig Jahre alt, hat die beste Büchersammlung der ganzen Stadt, gilt für ihren gebildetsten Einwohner und genießt den Ruf, dass sein höchster Ehrgeiz darin bestehe, andern Menschen zu helfen. Was hat diese Umwälzung in seinem Leben hervorgebracht? Es war das Hören eines einzigen Vortrags über den Wert der Bildung. Das erweckte die schlummernden Kräfte in ihm, entzündete seinen Ehrgeiz und stellte seine Füße auf den Weg der Selbstentwicklung.
Ich bin verschiedenen Menschen begegnet, die erst um die Mitte des Lebens erkannten, was für Möglichkeiten in ihnen schliefen. Dann aber wachten sie ganz plötzlich auf, und zwar war der Anlass das Lesen eines anregenden oder begeisternden Buches, das Hören eines Vortrags oder einer Predigt, das Zusammentreffen mit einem Menschen, der sie verstand, Vertrauen zu ihnen hatte und ihnen Mut einflößte.
Es hängt für dich ungeheuer viel davon ab, ob du mit Menschen zusammen bist, die an dich glauben, die ermutigen und loben, oder mit solchen, die alle deine Ideale herabziehen, deine Hoffnungen verspotten und kaltes Wasser auf das Feuer deines Ehrgeizes schütten.
Bei den meisten von uns braucht es gar keine so energischen Einflüsse, um sie zu verändern. Wir folgen ganz von selbst dem Beispiel, das unsre Umgebung uns gibt, und steigen und fallen mit den Wellen, auf denen wir schwimmen. Das Wort des Dichters:
Von allem, das ich seh‘, bin ich ein Teil
ist nicht bloß ein müßiges Spiel der Einbildungskraft, sondern es spricht die volle Wahrheit aus. Alles, was du erlebt hast, jede Predigt, jedes Buch, jedes Gespräch, jeder Mensch, mit dem du zusammen warst – alles hat auch in deinem Wesen einen Eindruck hinterlassen und du bist, nachdem du eine Erfahrung gemacht hast, nicht mehr ganz derselbe wie vorher, sondern etwas hat sich in dir und an dir verändert – wie Beecher sagte, er sei niemals mehr derselbe Mensch wie vorher, wenn er in Ruskin gelesen habe.
Wenn wir die Tausenden von Menschen ausfragen könnten, die es nie zu etwas Rechtem gebracht haben, so würden wir sicher als Hauptursache den Umstand finden, dass sie nie in die richtige anfeuernde und ermutigende Umgebung gekommen sind, ihr Ehrgeiz also nie entfacht wurde, oder dass sie in einer niederdrückenden, entmutigenden oder gar schlecht machenden Umgebung nicht stark genug zum Widerstand gewesen waren.
Wie es dir auch gehen mag – kein Opfer sollte dir zu groß sein, durch das du es erreichen kannst, in einer Umgebung zu leben, die deinen Ehrgeiz anfacht und dich dazu antreibt, an deiner Weiterbildung zu arbeiten. Halte dich zu Leuten, die dich verstehen und an dich glauben, die dir helfen, dich selbst zu finden, und die dich ermutigen, so viel aus dir zu machen, als du kannst. Davon kann es für dich abhängen, ob du etwas Besonderes wirst oder immer etwas Mittelmäßiges bleibst.
Wähle zu deinem Umgang Menschen, die selber danach streben, etwas Rechtes in der Welt zu werden, Menschen mit hohen Zielen und kühnem Ehrgeiz. Halte dich zu solchen, denen es Ernst ist. Ehrgeiz ist ansteckend: der Geist, der in deiner Umgebung herrscht, wird auf dich übergehen. Der Erfolg derer, die neben dir in die Höhe zu kommen streben, wird dich ermutigen und antreiben, dass du noch eifriger nach hohen Dingen trachtest, als du es vielleicht bisher getan hast.
Eine verbundene Mehrzahl von Menschen, die nach hohen Zielen streben, gleicht einer elektrischen Batterie und entwickelt eine starke magnetische Kraft, die dir hilft, dem Ziel deines Ehrgeizes näher zu kommen. Es ist im höchsten Grad anfeuernd, mit Menschen zusammen zu sein, deren Streben in derselben Richtung geht wie das deine. Wenn es dir an Energie fehlt, wenn du träge oder gleichgültig oder leichtsinnig wirst, so wird das beständige Drängen der anderen, die mehr Ehrgeiz haben und stärker emporstreben, auch dich mit vorwärts treiben.
Gehörst du zu den Träumern?
Die meisten Dinge, die das Leben erst lebenswert machen, die der Menschheit die gröbste Arbeit ersparen und sie über das bloße stumpfe Dasein hinausheben, kurz alle Annehmlichkeiten des Lebens verdanken wir den Träumern.
Nimm die Träumer aus der Weltgeschichte weg – wer wollte sie dann noch lesen? Unsre Träumer sind der Vortrupp der Menschheit, die Arbeiter, die mit gebeugtem Rücken und im Schweiß ihres Angesichtes die Wege bahnen, auf denen die Menschheit von Geschlecht zu Geschlecht vorwärts zieht.
Die Gegenwart ist nur die Summe aller Träume der Vergangenheit und ihre Verwirklichung.
Ohne die Träumer drängte sich die Bevölkerung Amerikas noch an der atlantischen Küste zusammen!
Die eigentlich und am stärksten „praktischen“ Leute sind die, die am schärfsten in die Zukunft blicken und die kommende Höhe der Kultur vorausschauen, die den Menschen der Zukunft schon jetzt im Geist frei sehen von all den hemmenden Fesseln, einengenden Schranken und bindenden Vorurteilen von heute. Sie haben die Fähigkeit, das Kommende vorauszusehen, und zugleich die Kraft, es zu verwirklichen. Die Träumer allein haben das scheinbar Unmögliche geleistet.
Die angeblich „ganz praktischen“ Menschen geben zwar den Wert der Einbildungskraft für den Künstler, den Musiker, den Dichter zu, glauben aber, dass sie für die große Welt der Wirklichkeit keinen Wert habe. Und doch waren alle Anführer der Menschheit „Träumer“. Auch die Männer, die in der Industrie eine führende Rolle gespielt haben, und unsre „königlichen Kaufleute“ waren sämtlich durch starke und prophetische Einbildungskraft ausgezeichnet. Sie hatten einen unerschütterlichen Glauben an die unbegrenzten Möglichkeiten für Gewerbe und Handel in unserm Volk.
Wie viele bloße Tatsachenmenschen ohne Einbildungskraft brauchte man wohl, um für den Fortschritt der Menschheit Männer wie Edison, Tesla, Bell oder Marconi, Arco, Röntgen oder Zeppelin aufzuwiegen?
Die Träume der Männer, die die drahtlose Telegraphie erfanden, haben bei den Schiffsunglücken schon Hunderten das Leben gerettet.
Der arme Bergwerkjunge George Stephenson träumte von einer Maschine, die Lasten bewegen sollte, und hat damit eine Umwälzung des gesamten Welthandels zuwege gebracht.
Der Traum von Cyrus W. Field, das unterseeische Kabel, hat die Erdteile miteinander verknüpft.
Die Fähigkeit zu „träumen“ ist geradezu ein göttliches Erbteil der Menschen. Kein Leiden kann uns heute niederdrücken, solange wir von einem schönen „Morgen“ träumen. Keine Mauer schließt uns ein, wenn wir „träumen“ können.
Die Fähigkeit, sich in einem Augenblick über alle Verlegenheiten, Schwierigkeiten und widrigen Umstände zum vollen Einklang des Schönen und Wahren zu erheben, ist eine unschätzbare Gabe. Wie mancher hätte nicht Hoffnung und Mut genug, den Kampf des Lebens weiter zu kämpfen, wenn ihm diese Fähigkeit des Träumens genommen würde.
Dieses Träumen ist eine für den Amerikaner ganz besonders bezeichnende Eigenschaft. Auch in Armut und Missgeschick bleibt er voll Selbstvertrauen und bietet dem Schicksal Trotz in der festen Überzeugung, dass bessere Zeiten kommen werden. Die untergeordnetste Handlungsgehilfin träumt von ihrem eigenen Geschäft, der ärmste Fabrikjunge von seinem prächtigen eigenen Heim.
Es ist etwas Herrliches um das Träumen – aber nur, wenn man die Willenskraft und die Ausdauer besitzt, seine Träume in Wirklichkeit umzusetzen. Träumen, ohne sich anzustrengen, wünschen, ohne etwas zu tun, dass der Wunsch auch verwirklicht wird, das zerstört den Charakter. Nur das Träumen hat Wert, das verbunden ist mit festem Entschluss und harter Arbeit.
Man kann diese Fähigkeit des Träumens natürlich auch missbrauchen. Viele Menschen tun gar nichts als träumen und verbrauchen ihre ganze Kraft mit dem Bauen von Luftschlössern, die sie doch niemals auf den Boden der Wirklichkeit stellen, und so leben sie in einem Dunstkreis von Unnatur und Künstlichkeit, bis ihre Anlagen durch Nichtgebrauch verkümmern.
So weit als wir unsre Träume zur Wirklichkeit machen, so weit nimmt unsre Kraft und Fähigkeit zu. Die Verwirklichung unsrer Träume ist eine Quelle der Begeisterung zu neuen Unternehmungen.
Lass dir das Träumen nicht verbieten. Im Gegenteil, träume recht fleißig und glaube an die Verwirklichung deiner Träume, denn es sind Gottesgaben, die dich größer, stärker und besser machen. Hohes Streben ist wie eine Hand, die dir den Weg zeigt – und dieser Weg führt himmelwärts. Wie deine Träume sind, so wird dein Leben sein: sie sind Weissagungen von dem, was dein Leben sein sollte und sein kann.
Es kommt darauf an, dass wir unser Leben nach dem Bild gestalten, das unsre Träume uns in unsern höchsten Augenblicken zeigen, und dass wir diese Augenblicke für die Ewigkeit festhalten.
Tausende werden ihr ganzes Leben lang auf untergeordneten Stellungen festgehalten, weil sie nicht mehr imstande sind, die Schäden ganz zu überwinden, die ihnen früh erworbene Gewöhnung an nachlässiges Arbeiten zugefügt hat. Vielleicht war es schon in der Schule, dass sie anfingen, ihre Aufgaben unpünktlich und ungenau zu machen, sich um schwierige Dinge herumzudrücken, der Arbeit auszuweichen oder sie bloß halb zu tun. Neulich sah ich in einem Geschäft einen Spruch an der Wand, der einen großen Eindruck auf mich machte: „Nur das Beste ist gut genug!“ Welch ein wunderbarer Wahlspruch fürs Leben! Wie würde die ganze Welt verändert, wenn jedermann nach diesem Spruch lebte und arbeitete, wenn jeder sich sagte: was ich auch tue, nur das Beste, was ich leisten kann, ist gut genug! Die Geschichte der menschlichen Gesellschaft zeigt uns in zahllosen Fällen, was für schreckliche und erschütternde Folgen durch Nachlässigkeit und durch ganz unentschuldbare Versehen entstanden, weil so viele Menschen sich nicht daran gewöhnen können, gründlich und genau zu arbeiten und jede Arbeit tadellos fertigzumachen. Überall auf der Welt gewahren wir die traurigen Folgen elenden Stückwerks. Zahllose Gräber, vater- oder mutterlose Kinder – sie alle erzählen davon, dass irgendjemand nachlässig war, ein Versehen gemacht oder nicht pünktlich gearbeitet hatte.
Wenn alle Menschen bei jeder Arbeit ihr Gewissen zu Rate zögen und sie vollständig und tadellos ausführten, so würden nicht bloß viele Menschenleben gespart, es liefen nicht bloß tausendmal weniger verstümmelte Menschen, sondern wir hätten eine höher entwickelte Menschheit.
Wer gewohnheitsmäßig seine Arbeit kümmerlich und liederlich macht, der wird bald auch in andern Dingen unzuverlässig werden. Wer gewohnheitsmäßig seine Arbeit vernachlässigt, der verschlechtert seinen Charakter. Flickwerk bei der Arbeit macht das ganze Leben zum Flickwerk. Unsre Arbeit ist ein Teil von uns selbst. Jede unvollständige und nachlässige Arbeit, die aus deiner Hand kommt, macht dich unfähiger, gute Arbeit zu liefern: sie ist eine Beleidigung deiner Selbstachtung, eine Versündigung an deinem höchsten Ideal. Jedes schlechte Stück, das du lieferst, ist ein Feind, der dich herabzieht und dich hindert, vorwärts zu kommen und besser zu werden.
Eines der wichtigsten Vorzeichen des Erfolges ist die brennende Sehnsucht, seine Sachen wirklich fertig zu machen und im Kleinen ebenso genau zu sein wie im Großen. Der junge Mann, der vorwärts kommt, ist allemal der, der nicht damit zufrieden ist, wenn er etwas „leidlich“ gemacht hat, und der nichts halbfertig aus der Hand gibt: Nur was vollständig ist bis zur Vollkommenheit, genügt den Ansprüchen, die er an sich selber stellt. Solche Leute, die das unstillbare Verlangen in sich tragen, überall der Beste zu sein, das Beste zu leisten und das Beste zu haben, die halten die Fahne des Fortschritts in der Hand und werden Vorbilder und Ideale für andre.
Es ist mit Recht gesagt worden: Nachlässigkeit und Unwissenheit wetteifern miteinander, wer das meiste Unglück in die Welt bringen kann. Wie mancher junge Mann kommt nicht vorwärts, weil er eine Eigenschaft hat, die er für ungefährlich hält: Nachlässigkeit, Mangel an Genauigkeit. Nie macht er etwas ganz fertig, was er angefangen hat; nie kann man sich bei ihm darauf verlassen, dass etwas ganz in Ordnung ist, das er abliefert: immer muss noch jemand seine Arbeit nachprüfen. So gibt es Hunderte von Handlungsgehilfen und Buchhalter, die nie über ein ganz kleines Gehalt und eine ganz untergeordnete Stellung hinauskommen, weil sie eben nicht gelernt haben, eine Sache vollkommen recht zu machen. Die meisten jungen Leute sehen nicht, dass die Sprossen der Leiter, die zu den höchsten Stellen führt, nur aus der treuen Erfüllung der ganz gewöhnlichen, niederen, alltäglichen Pflichten bestehen, die sie in ihrer jetzigen Stellung zu erfüllen haben. Deine Arbeit von heute ist der Schlüssel zu der Tür deiner Beförderung für morgen. Es gibt viele Angestellte, die auf irgendeine große Sache warten: die soll ihnen Gelegenheit geben, zu zeigen, was sie wert sind. „Was kann dieses trockene Einerlei, diese gewöhnliche und alltägliche Arbeit nützen, um mich vorwärts zu bringen?“ so sagen sie zu sich selber. Aber nur der kommt voran in der Welt, der die günstige Gelegenheit gerade in diesen einfachen Arbeiten entdeckt, der in ganz gewöhnlichen Umständen ungewöhnliche Möglichkeiten erblickt. Was die Aufmerksamkeit deines Vorgesetzten und andrer Leute auf dich lenkt, das ist folgendes: tu deine Arbeit ein wenig besser als die Leute um dich herum, mache sie ein wenig hübscher, ein wenig schneller, ein wenig genauer, ein wenig sorgfältiger als die andern; sei findig im Entdecken, wie man alte Dinge auf neue und bessere Art machen kann; sei ein wenig höflicher und zuvorkommender, ein wenig taktvoller, fröhlicher und hoffnungsfreudiger, ein wenig energischer und brauchbarer als die andern!
Auch wenn du noch so wenig dafür bekommst, darfst du doch niemals eine Arbeit aus der Hand geben, für die du nicht mit gutem Gewissen einstehen kannst. Wenn du eine Arbeit fertigmachst, so musst du imstande sein zu sagen: „Hier ist mein Werk, ich bin bereit, dafür aufzukommen. Es ist nicht bloß annähernd leidlich gemacht, es ist gearbeitet, so gut als ich es machen konnte, es ist vollkommen fertiggemacht. Ich will dafür aufkommen, jeder darf mich nach dieser Arbeit beurteilen.“ Gründlichkeit und Vollständigkeit der Arbeit – das waren die Eigenschaften aller erfolgreichen und großen Männer. „Genie ist Fleiß.“
Nur dem Fleiß, den keine Mühe bleichet,
Rauscht der Wahrheit tief versteckter Born.
Aber viele von unsern amerikanischen Landsleuten scheinen zu glauben, dass sie sich alle Arten von ärmlicher, nachlässiger, halbfertiger Arbeit leisten und damit doch Erfolge erster Güte erreichen könnten.
Dickens ließ sich nie darauf ein, öffentlich vorzulesen, wenn er sich nicht ganz sorgfältig vorbereitet hatte. Es war seine Gewohnheit, ein Stück, das er vorlesen wollte, sechs Monate vorher täglich für sich zu lesen.
Der große französische Schriftsteller Balzac arbeitete oft an einer Seite eine ganze Woche, und da wundern sich noch manche unter den wie Pilze über Nacht aufgeschossenen Schriftstellern unsrer Tage, warum Balzac so berühmt ist. Manche entschuldigen sich, wenn sie kümmerliche und nachlässige Arbeit liefern, sie hätten keine Zeit gehabt, bessere zu machen. Aber in allen gewöhnlichen Lebenslagen hat man Zeit genug, alles so zu tun, wie es getan werden soll, und wenn wir uns daran gewöhnten, stets nur vollkommene Arbeiten aus der Hand zu geben, so wäre unser Leben selbst unendlich viel vollkommener, und es wäre ein Ganzes, während es heute meist nur Stückwerk ist.
Strebe nach dem Höchsten und lass dich durch nichts davon abbringen. Habe nie etwas zu tun mit minderwertiger Arbeit. Was für einen Beruf du auch hast – dein Warenzeichen sei stets: Tadellose Arbeit.
Die Sehnsucht, die wir im Herzen tragen, die Wünsche, die unsre Seele erfüllen, sind mehr als bloße Luftgebilde der Einbildung oder müßige Träume. Sie sind Weissagungen, Vorausverkündigungen, Vorboten und Vorläufer dessen, was dereinst Wirklichkeit werden kann. Sie sind die Gradmesser dessen, was als Möglichkeit in uns liegt, sie bezeichnen die Höhe unsres Strebens und die Weite unsrer Kraft.
Viele Menschen lassen ihre Sehnsucht allmählich abflauen, weil sie nicht wissen, dass gerade durch die Stärke und Wärme dieser Sehnsucht unsre Kraft zur Verwirklichung wächst.
Die Sehnsucht, die uns erfüllt, gibt uns schöpferische Kraft, das zu tun, was wir tun wollen, sie wirkt auf unsre Fähigkeiten wie ein Mittel, das sie stärkt und frisch erhält, und lässt so unsre Träume zur Wahrheit werden.
Die Natur ist wie ein Geschäft, in dem alle Waren den gleichen Preis haben: wenn wir ihn bezahlen, so erhalten wir, was wir wollen. Unsre Gedanken gleichen Wurzeln, die wir in den Boden der allgemeinen Weltenergie einsenken und durch die diese Energie in uns einströmt und alles anzieht, was zur Erfüllung unsrer Sehnsucht dient.
Der Zugvogel hat den Trieb nach Süden zu fliegen nur deshalb, weil es einen wirklichen Süden gibt. Ebenso hat der Schöpfer diese Sehnsucht nach einem höheren, reicheren Leben, in dem das, was in uns liegt, sich vollkommen entfalten kann, nicht in uns gelegt, ohne uns auch die Möglichkeit ihrer Erfüllung zu sichern. Hinter all unsern guten und berechtigten Wünschen steht die Gottheit selber als Bürge ihrer Erfüllung.
Aber das gilt freilich nicht von unsern kindischen Wünschen nach Dingen, die wir bloß haben möchten, aber gar nicht wirklich brauchen, nicht von den Dingen, die süß scheinen und wenn wir sie kosten, in unsrem Mund zu Asche werden, sondern nur von der berechtigten Sehnsucht der Seele nach voller, freier Selbstentfaltung, nach einem Leben, in dem wir uns nach dem Bild gestalten können, das uns in unsern höchsten Augenblicken vorschwebt. Unsre Ideale sind die vorausfallenden Schatten der Wirklichkeit, die hinter ihnen steht.
Wir vermehren oder vermindern unausgesetzt unsre Leistungsfähigkeit je nach der Art der Gedanken, Gefühle oder Ideale, die uns erfüllen. Willst du den Charakter eines Menschen kennen, so frage ihn nur nach seinem Ideal, denn das ist das Gestaltende in ihm.
Die Gedanken, Gefühle, Ideale oder Wünsche, die uns am stärksten bewegen, die gestalten unser Leben und unser Wesen. Deshalb muss in uns immer der Zug nach der Höhe lebendig sein: wir müssen entschlossen sein, niemals, weder in Gedanken noch in Handlungen, herabzublicken nach dem, was unter uns liegt, oder gar uns damit zu begnügen, sondern alles, was wir tun, soll den Stempel der Vollkommenheit tragen. Diese Richtung unsres Geistes nach aufwärts zieht unser ganzes Leben nach oben: ein solcher Geist ist stets in der Verfassung, seine größte Kraft auszugeben und kann mit all den tausend Feinden unsres Glücks, unsres Erfolges und unsrer Leistungsfähigkeit fertig werden.
Wenn wir etwas beständig in Gedanken bejahen, dann sind wir auf dem Weg, es zu erreichen, auch wenn es zunächst kaum möglich erscheint. Wenn wir das Ideal, das wir verwirklichen wollen, sei es nun körperliche Gesundheit oder geistige Vornehmheit, uns so lebhaft als möglich vor die Augen des Geistes stellen und mit aller Kraft danach streben, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir es erreichen, viel größer, als wenn wir das nicht tun.
Die Sehnsucht muss sich zum Entschluss verfestigen, nur dann ist sie wirksam und arbeitet an ihrer eigenen Verwirklichung. Heiße Sehnsucht und kraftvolle Entschlossenheit vereint geben schaffende Kraft; Sehnen und Streben zusammen machen erst den Erfolg. Dagegen verschwindet ein bloßes Sehnen ohne ernstes Streben, eine Sehnsucht, die nichts zu ihrer eigenen Verwirklichung tut, ganz von selbst.
Unsre Ideale sind die stärksten Charakterbildner und haben den größten Einfluss auf die Gestaltung unsres Lebens. Unser beständig im Herzen getragenes Ideal prägt sich in unsrem Äußeren und in unsrem Leben aus.
Alles, was wir im Leben erreichen, haben wir vorher in unsrem Geist geschaffen, wie ein Haus schon wirklich und fertig vor dem Geist des Baumeisters steht, ehe auch nur ein einziger Stein auf den Grund gelegt wird. Die Bilder unsrer Träume sind die Pläne zu unsrem Lebensbau. Aber sie bleiben bloße Pläne, wenn wir uns nicht mit kräftigem Entschluss daran machen, sie auszuführen, gerade wie der Plan des Baumeisters nur auf dem Papier bleibt, wenn der Maurer und der Zimmermann nicht an die Arbeit gehen.
Willst du in irgendeiner bestimmten Richtung vollkommener werden, so stelle dir die betreffende Eigenschaft so lebhaft und so andauernd wie möglich vor und denke dir ein ganz bestimmtes Ideal. Halte das beständig vor deinen Blicken fest, bis du spürst, wie es dich emporzieht und sich allmählich verwirklicht. So wird schließlich der schwache und unvollkommene Mensch verschwinden, den Fehler, Sünden und Laster aus dir gemacht haben, und an seine Stelle tritt der ideale Mensch, dein andres, besseres, göttliches Selbst.
Es liegt eine unwiderstehlich schaffende Kraft darin, dass wir unsern Geist beständig auf die Richtung einstellen, nach der unsre Sehnsucht geht: sie zieht das Ersehnte geradezu herbei und macht das wirklich, was wir wollen.
Unsre geistige Haltung, die Sehnsucht, die unser Herz erfüllt, ist ein beständiges Gebet, das die Natur schließlich erhört.
Es liegt eine unwiderstehliche Kraft in der Gewohnheit, etwas ganz bestimmt zu erwarten, ganz fest zu glauben, dass wir unsern Wunsch verwirklichen werden. Nichts hilft uns so viel, als eine hoffnungsvolle Haltung des Geistes, die stets und überall das Beste, das Höchste, das Schönste erwartet.
Der Glaube, dass wir etwas erreichen werden, wirkt aufs stärkste zur Erreichung mit. Die feste Hoffnung, dass uns ein behagliches Heim, Wohlstand, Einfluss, Ansehen, Stellung gewiss ist, bringt allein schon diese Dinge der Verwirklichung näher.
Wie viele leben nach der falschen Überzeugung, dass die guten Dinge nur für andre in der Welt sind und nicht für sie selber; sie beruhigen sich bei dem Glauben, dass sie nicht zu denen gehören, die darauf Anspruch haben. Aber warum gehören sie nicht zu denen? Bloß weil sie sich nicht getrauen, sich unbefangen zu ihnen zu rechnen, weil sie sich selbst für minderwertig halten, weil sie sich selber Schranken setzen. Es gibt keine Möglichkeit, die Güter dieser Welt zu erreichen für den, der vollkommen überzeugt ist, er habe keinen Anspruch darauf.
Wenn du freilich umhergehst mit einem Gesicht, als wenn du jedermann um Entschuldigung bitten wolltest, dass du überhaupt da seiest, als wenn du froh wärest, das aufzulesen, was die andern wegwerfen, als wenn du überzeugt wärest, alles Gute sei nichts für dich, dann wird dich allerdings jeder für etwas höchst Minderwertiges halten.
Wir sind immer schon auf dem Weg, das zu erreichen, was wir ernstlich wollen: wenn wir aber nichts wirklich wollen, so bekommen wir auch nichts. Keiner kann reich werden, solang er mehr oder weniger überzeugt ist, er werde arm bleiben.
Wer reich werden möchte und doch beständig nichts andres erwartet, als arm bleiben zu müssen, der ist gerade so töricht, als wer nach Osten kommen möchte und beständig nach Westen fährt. Nichts kann dem zum Erfolg helfen, der seine eigene Kraft zum Erfolg bezweifelt und so beständig den Misserfolg herbeizieht. Wer Erfolg haben will, der muss den Erfolg bestimmt erwarten: seine Gedanken müssen vorwärtsschreitend, schöpferisch, aufbauend, erfinderisch und vor allem hoffnungsvoll sein.
Für einen bestimmten Zweck zu arbeiten und etwas ganz andres zu erwarten, ist tödlich für jeden Erfolg. Wie groß auch der Wunsch nach Glück ist, eine trübselige und armselige Haltung des Geistes verschließt alle Tore, die dahin führen.
Die meisten Menschen nehmen ihren Anstrengungen von vornherein viel von ihrer Wirkung, weil ihre geistige Haltung nicht mit ihrem Ziel übereinstimmt und sie während der Arbeit für eine Sache etwas ganz andres erwarten: so treiben sie den Erfolg geradezu von sich weg. Sie gehen an ihre Arbeit nicht mit der sicheren Erwartung des Gelingens heran, die den Sieg erzwingt, nicht mit der Entschlossenheit und dem Vertrauen, die gar keine Niederlage für möglich halten.
Was die Seele erwartet, das baut sie auf. Nichts macht eine Krankheit so schnell schlimmer, wie eine Haltung des Geistes, die ängstlich auf jedes Anzeichen merkt und so die Lebenskraft schwächt. Es wirkt wahrhaft niederdrückend, wenn man so beständig etwas erwartet, das uns Leiden oder gar Tod bringt, es trocknet die Quelle des Lebens und seiner Kraft aus und schwächt das unglückliche Opfer mit unheimlicher Schnelligkeit. Umgekehrt ist hoffnungsvolles Erwarten der Besserung und fester Glaube daran ein wirkliches Heilmittel. Der Glaube an die Arznei oder an den Arzt wirkt viel mehr zur Heilung mit, als die Arznei oder der Arzt selber.
Wenn du dich so weit bringst, dass du gar nicht mehr anders kannst als glauben, die Zukunft bringe dir lauter Gutes, Gesundheit, Wohlstand, Glück, Ansehen – so ist das mehr wert für dich zum Vorwärtskommen, als eine große Geldsumme.
Fast alle Menschen meiner Bekanntschaft, die es zu etwas gebracht haben, waren gewohnt, stets zu erwarten, dass die Dinge sich gut für sie entwickeln werden. Wie trübe und entmutigend auch der Ausblick zu sein schien – sie waren felsenfest überzeugt, es wird gut ausgehen. Diese Haltung des Geistes zieht in geheimnisvoller Weise die Dinge zu uns heran, die wir wünschen, gerade wie wenn unser Eigentum zu uns kommen wollte.
Unsre Kräfte arbeiten unter einem höheren Befehl und haben die Neigung, das zu leisten, was wir von ihnen erwarten. Wenn wir viel von ihnen verlangen und ihnen befehlen, sie sollen unsre Wünsche verwirklichen, so stellen sie sich in Reih und Glied und helfen uns.
Wenn wir Großes von uns verlangen, so holen wir das Beste aus uns heraus und setzen Kräfte in Bewegung, die ohne das verborgen geblieben wären.
Glaube von ganzem Herzen, dass du das ausführen wirst, wozu du bestimmt bist. Lass keinen Augenblick Zweifel daran aufkommen, vertreibe derartige Gedanken sofort und gib bloß günstigen Gedanken Einlass, die das bejahen, was du erreichen willst.
Lebe in beständiger Erwartung immer besserer Dinge, in der Überzeugung, dass etwas Großes und Schönes deiner harrt, wenn du verständig darauf hinarbeitest, deinen Geist in schöpferischer Verfassung erhältst und nicht nachlässt zu ringen und zu kämpfen. Nichts bringt dich schneller hoch, als die hoffnungsvolle Erwartung, dass deine Sache gut ausgehen wird, dass du Erfolg haben und in jedem Fall, es mag gehen wie es will, glücklich sein wirst.
Wer mit dieser Hoffnung ausgerüstet und entschlossen ist, sein Ziel zu erreichen, dem kann die halbe Welt in den Weg treten: seine bloße Entschlossenheit schlägt die Feinde seines Erfolgs in die Flucht, denen der Schwankende und Unentschlossene niemals standhalten kann.
Ein guter Teil des Erfolgs mancher Geschäftsmänner beruht auf ihrer Gabe der höflichen Hartnäckigkeit.
Der Mann, der sich nicht unterkriegen lässt, wie unangenehm auch der andre sei, den er zum Kunden haben will, der gewinnt seine Sache schließlich: er kommt nicht bloß zweimal, sondern drei- und viermal wieder und sein Lohn ist zuletzt nicht bloß die Anerkennung seines „Gegners“, sondern der Abschluss des Geschäfts, den er seiner mit höflichen Formen verbundenen Ausdauer verdankt. Er lässt kein „Nein“ als Antwort gelten, aber er beharrt auf seiner Sache so höflich und in so angenehmer Weise, dass ihm niemand etwas übelnehmen kann.