Alfred Bekker & Abraham Merritt

Fast vergessene Welten: Fünf Science Fantasy Romane

Fast vergessene Welten: Fünf Science Fantasy Romane

Von Alfred Bekker & Abraham Merritt

Dampfende Dschungel, geheimnisvolle Städte, Tpre in andere Welten und Abenteurer, die sich in das Unbekannte wagen – darum geht es in den faszinierenden Romanen dieses Sammelbandes.

Dieses Buch enthält:

Sarangkôr – Drei Logan-Romane

von Alfred Bekker

Band 1: Logan und das Schiff der Ktoor

Band 2: Logan und die Stadt im Dschungel

Band 3: Logan und das Weltentor


Das Volk der Fata Morgana (Zwei Romane)

von Abraham Merritt


Band 1: Königin im Schattenreich

Band 2: Die Höhle des Kraken


Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.



Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Authors Titelbild: gleolite/123rf

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Alle Rechte vorbehalten.

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Alfred Bekker: Sarangkôr – Die Logan-Romane

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch

© by Author

© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de




Band 1: LOGAN UND DAS SCHIFF DER KTOOR

von Alfred Bekker

Französisch Indochina, 1936...

Es war Nacht.

Der Mond stand als fahle Sichel über den Kronen der Urwaldriesen.

Eine Gruppe von vier Reitern zog samt Packpferden die schmale Dschungelstraße entlang. Sie hatte am vorherigen Morgen den Ort Siemreap hinter sich gelassen und bewegte sich nun langsam auf Kampong Thum zu, einen kleinen Flusshafen an den Ufern des Stoeng Sen - jenem Zufluss des gewaltigen Mekong, an dessen Oberlauf ein sagenhaftes, so gut wie unerforschtes Gebiet lag...

Die Straße führte an Sümpfen vorbei, die die Ufer des gewaltigen Tonle-Sab-Sees säumten.

Der Nebel waberte in dicken Schwaden über die Straße.

Manchmal war er so dicht, dass man nur wenige Meter weit sehen konnte.

Eine gespenstische Szenerie.

Lange hatten die Reiter geschwiegen.

Aber ein fremdartiger Chor von Tierstimmen drang aus dem nahen Dschungel bis hier her. Schreie exotischer Vögel, Geräusche gefiederter Jäger und das Zirpen von Grillen mischten sich zu einem einzigartigen Chor.

Die Luft war von Feuchtigkeit gesättigt. Drückend lastete die Hitze auf den Reisenden.

Dennoch erhob jetzt einer von ihnen seine Stimme.

Sie gehörte einem breitschultrigen Mann in den Fünfzigern.

Er trug kurzgeschorenes, graues Haar, darüber eine helle, ziemlich fleckige Schiebermütze.

Die obersten Hemdknöpfe waren offen. Um die Körpermitte trug er einen Munitionsgürtel. Ein Smith & Wesson-Revolver vom Kaliber .38 steckte in einem Quick Draw Holster. Auf der linken Seite baumelte eine Machete vom Gürtel.

"Was glaubst du, was wir am Oberlauf des Stoeng Sen finden werden, Ray?", fragte er.

Ray Logan, der Mann, der die Gruppe anführte, war Mitte dreißig und dunkelhaarig. Auch er trug Revolver und Buschmesser am Gürtel.

Hemd und Hose klebten ihm am Körper.

"Das weiß ich nicht, Pierre", antwortete Ray Logan auf die Frage seines Begleiters.

"Aber du hast eine Ahnung!"

"Der glühende Feuerball am Himmel... Die Berichte von eigenartigen Lichterscheinungen, die in der gesamten Umgebung unter der Bevölkerung kursieren... Natürlich kann es sich auch um einen gewöhnlichen Asteroiden-Einschlag gehandelt haben."

Aber daran glaubte Ray Logan nicht.

Und das war der Grund dafür, dass er die Strapazen dieser Reise in den südostasiatischen Dschungel auf sich genommen hatte.

Weltweit war vor einigen Wochen über diese Lichterscheinungen berichtet worden. Die wildesten Spekulationen waren ins Kraut geschossen.

Die meisten anerkannten Astronomen glaubten an den Absturz eines Meteoriten in den Tiefen des indochinesischen Dschungels.

Aber Ray Logan glaubte, dass es sich um etwas anderes handelte.

Das größte Ereignis in der Geschichte der Menschheit.

Die Landung eines außerirdischen Raumschiffs.

Logan war der Erbe eines großen Industrie-Vermögens, das er bei geschickten Managern in guten Händen wusste. Hin und wieder ließ er sich in seiner Villa in den Hamptons auf Long Island die Bücher zeigen, ansonsten kümmerte er sich kaum um die Geschäfte.

Er hatte einfach kein Talent dazu und war daher der Ansicht, dass es besser war, diese Dinge jemandem zu überlassen, der etwas davon verstand.

Logan hatte schon von frühester Jugend an andere Interessen gehabt.

Geschichten, von Außerirdischen, die die Erde heimsuchten, wie sie in Magazinen wie 'Weird Tales', 'Argosy' oder 'All Story' abgedruckt wurden, hatten seine Phantasien beflügelt.

Zähneknirschend hatte es sein Vater hingenommen, dass Ray sich dem Studium der Archäologie und alter Sprachen hingegeben hatte. Raymond J. Logan sen. war davon ausgegangen, dass sich diese Vorliebe ebenso verflüchtigen würde wie das Interesse an Pulp Novels über glupschäugige Monster.

Er sollte sich allerdings getäuscht haben.

Nach dem plötzlichen Tod seiner Eltern bei einem tragischen Verkehrsunfall auf der Straße nach Montauk, Long Island, hatte Ray Logan jun. die Leitung von Logan Industries nicht selbst übernommen, sondern sie in berufenere Hände gelegt. Der junge Logan hatte sich stattdessen seinen Studien gewidmet, in denen er außergewöhnlichen Phänomenen aller Art auf die Spur zu kommen hoffte.

Insbesondere suchte er nach Spuren außerirdischen Lebens auf der Erde.

Seine Expeditionen hatten ihn schon in die ganze Welt geführt.

Immer wieder jagte er Berichten von unerklärlichen Erscheinungen nach.

So auch diesmal, als er einem abgestürzten Meteoriten in den Dschungel des uralten Khmer-Landes gefolgt war.

"Leider gibt es hier kein Netz von seismischen Messstationen", meinte Pierre Marquanteur. Ray Logan hatte den ehemaligen Fremdenlegionär vor allem deshalb auf seine Expedition mitgenommen, weil er einerseits mit einer Waffe umzugehen wusste und andererseits sich in Indochina gut auskannte. Er sprach unter anderem fließend Khmer. Damit war er einer der wenigen Europäer, die diese Sprache beherrschten.

Die französischen Kolonialbürokraten machten sich normalerweise nicht die Mühe, Vietnamesisch, Khmer oder einen der laotischen Dialekte zu erlernen. Und diejenigen, die es versucht hatten, waren zumeist daran gescheitert, von ein paar sehr hartnäckigen Missionaren mal abgesehen. Hin und wieder traf man auf einen Europäer, der ein paar Brocken Kantonesisch sprach, was vor allem für Geschäftsleute sehr wichtig sein konnte.

Schließlich wurde der Handel auf dem Mekong zwischen dem Delta südlich von Saigon bis hinauf in den Kern des alten Khmer-Reiches, das vor langer Zeit einmal ganz Südostasien beherrscht hatte, in erster Linie von Chinesen beherrscht.

Pierre Marquanteur war für Logan ein unverzichtbarer Begleiter, auch wenn ihm seine Söldnerseele etwas Unberechenbares gab.

Aber solange Logan den Ex-Legionär bezahlte, würde dieser auch loyal sein.

Die beiden anderen Reiter, die Logan begleiteten, waren Lon und Heng, zwei ortskundige Khmer, die sich im Übrigen auch darum zu kümmern hatten, dass die Lasttiere nicht verloren gingen. Insgesamt drei Packpferde führte die Gruppe mit sich.

Logan hätte gerne eine größere Expedition ausgerüstet. Aber damit hätte er unweigerlich das Misstrauen der französischen Kolonialbehörden auf sich gelenkt. Es war schon schwer genug gewesen, bis hier her zu gelangen, denn offiziell war das gesamte Gebiet am Oberlauf des Stoeng Sen seit dem mysteriösen Meteoriteneinschlag ein Sperrgebiet.

Allerdings war die französische Militärdichte in den unwegsamen Gebieten des alten Khmer-Reichs bei weitem nicht groß genug, um diese administrative, auf dem grünen Tisch der Bürokraten gesetzte Tatsache auch durchzusetzen.

Der Morgen graute bereits, als sie Kampong Thum erreichten.

Glutrot ging die Sonne jenseits des Stoeng Sen-Flusses auf und schimmerte geisterhaft durch die bodennahen Nebelbänke.

Die Reitergruppe erreichte den Flusshafen, der ein einzigartiges Gewimmel aus Booten verschiedener Größe darstellte.

In Anbetracht des kaum vorhandenen Straßennetzes waren die Wasserläufe des alten Khmer-Landes vor allem in den Dschungel-Regionen nach wie vor die wichtigsten Verkehrswege.

Im Hafen herrschte zu dieser frühen Stunde bereits Hochbetrieb. Die Fischer waren in der Nacht rausgefahren, um ihre Netze auszuwerfen. Jetzt, gegen Morgen, kamen sie zurück, um den Fang zu bergen.

"Fragt sich, wie wir jetzt weiterkommen", meinte Logan.

"Ich schlage vor, wir verkaufen die Pferde und nehmen ein Boot."

"Wird wohl das Beste sein."

Pierre Marquanteur wandte unruhig den Kopf.

"Was nicht in Ordnung, Pierre?"

"Irgendetwas stimmt hier nicht."

Auf der anderen Seite des Stoeng Sen lag Trapeang Veng, ein weiterer Flusshafen. Tagsüber verbanden Fähren die beiden Städte. Jetzt schimmerten die Häuser von Trapeang Veng wie die Schatten geisterhafter Skulpturen durch die Nebelwand hindurch, die sich über dem Fluss hielt.

Aufgeregtes Stimmengewirr drang an die Ohren der Ankömmlinge. Und auch Heng und Lon gerieten in Unruhe.

"Was ist los?", fragte Logan.

"Unsere Begleiter reden etwas von bösen Walddämonen... Sie müssen wohl irgendetwas von den Leuten hier aufgeschnappt haben."

Auffällig war in der Tat, dass sich von Dörflern kaum jemand für den Fang der Flussfischer interessierte.

Vor einem der Häuser war ein Menschenauflauf entstanden.

Die Leute redeten durcheinander.

Logan stieg vom Pferd ab, gab Heng die Zügel.

Pierre Marquanteur folgte seinem Beispiel.

Der ehemalige Fremdenlegionär spuckte aus und wischte sich mit dem schweißfeuchten Ärmel über den Mund.

"C'est drôle, n'est-ce pas? Hier interessiert sich offenbar keine Sau für uns!"

Nur wenige Blicke wurden den beiden Fremden gewidmet.

Dann verließ eine junge Frau das Haus. Sie war blond, trug enge Reithosen und ein Khaki-Hemd, das sich eng um ihre formvollendeten Rundungen schmiegte.

Die Einheimischen wichen zurück, bildeten eine Gasse vor ihr.

Dann begann die junge Frau in schlechtem Khmer zu reden.

Die Antwort war nur Schweigen.

Ob es daran lag, dass die Leute nicht antworten wollten oder die junge Frau einfach nicht verstanden, war nicht ganz eindeutig.

"Vielleicht sollte mein Partner Ihnen bei der Übersetzung helfen?", meldete sich Logan auf Englisch zu Wort.

Die junge Frau musterte ihn.

"Wer sind Sie?"

"Mein Name ist Ray Logan. Mein Begleiter Monsieur Marquanteur spricht fließend Khmer, Ma'am. Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?"

"Clarissa von Breden. Mein Vater ist Professor Dr. Kurt von Breden, seines Zeichens Wissenschaftler und Arzt. Wir..."

Unter den Leuten entstand ein Gemurmel. Die junge Frau brach ab und sagte: "Kommen Sie und sehen Sie sich selbst, an worum es geht. Dann werden Sie verstehen, warum die Leute so aufgebracht sind."

Das ließ Logan sich nicht zweimal sagen.

Er ging durch die sich bildende Gasse.

Pierre Marquanteur folgte ihm, schob sich dabei den Hut in den Nacken.

Sie betraten das Haus.

Das Licht war spärlich. Eine Fackel hing an der Wand. In der Mitte des Raumes kniete in Mann in den Sechzigern. Das schüttere Haar stand etwas wirr in der Gegend herum. Der schneeweiße Anzug war fleckig. Neben ihm befand sich eine Arzttasche auf dem Boden.

Ray Logan starrte auf jenes Etwas, das der Arzt ganz offensichtlich zum Gegenstand seiner Untersuchungen gemacht hatte.

Auf einer Länge von gut drei Metern waren Decken über dieses ETWAS gelegt, sodass es sich nur undeutlich darunter abhob.

"Professor von Breden?", fragte Logan.

Der Arzt erhob sich, blickte seine Tochter etwas irritiert an.

"Was sollen diese Leute hier?"

"Sie werden für uns übersetzen und die Leute da draußen fragen, wo genau sie DAS DORT gefunden haben." Und dabei deutete Clarissa auf die Decken. "Die Leute verstehen mich nicht."

"Sie wollen dich nicht verstehen, mein Kind!"

"Aber..."

"Sie haben Angst. Und ich kann es ihnen noch nicht einmal verdenken."

Professor Dr. von Bredens Gesichtsausdruck wurde düster.

"Wer sind Sie?", fragte er dann an Logan gewandt. Logan stellte sich und seinen Begleiter kurz vor. Dann fragte er: "Sie müssen jener Dr. Kurt von Breden sein, der durch einige Theorien den Unwillen seiner etablierteren Kollegen erregte."

Von Breden lächelte matt.

"Allerdings, der bin ich."

"Ich habe von Ihnen gehört."

"So?"

"Haben Sie nicht auf einer Expedition in die Anden den lebenden Körper einer bisher unbekannten krakenähnlichen Spezies entdeckt?"

Von Breden atmete tief durch. "Ja, das ist wahr."

"Leider ist Ihnen nicht die nötige Aufmerksamkeit für Ihre sensationellen Entdeckungen zuteil geworden."

"Was auch meine eigene Schuld war, denn ich habe nicht genügend Wert auf die Konservierung des Körpers dieses fremden Wesens gelegt. Ich fand ihn zwar noch lebend, aber zweifellos lag das Wesen bereits im Sterben. Kurz nachdem die Lebensfunktionen aussetzten, zersetzte sich der Körper durch äußerst aggressive Säuren, die aus dem Körperinneren kamen. Ich konnte nichts machen. Allerdings - diesmal werde ich denselben Fehler nicht noch einmal begehen..."

Logan runzelte die Stirn.

"Diesmal?", echote er und blickte auf die Decken.

"Ja, vielleicht ist ihnen der eigenartige Geruch noch nicht aufgefallen, aber die Decken sind in besonderen Lösungen getränkt, die ich für diesen Fall zusammengestellt habe. Hoffentlich gelingt es mir diesmal, meinen Fund zu konservieren..."

"Ich würde gerne einen Blick auf das Wesen werfen, Dr. von Breden."

"Unmöglich. Der Zerfallsprozess würde unweigerlich einsetzen, wenn die Lösung, in die die Decken getränkt sind, die Säure nicht mehr neutralisieren kann..."

Von Bredens Worte waren unmissverständlich.

Er sprach in einem Tonfall, der keinerlei Widerspruch duldete.

"In der Nähe ist ein Meteor abgestürzt", sagte Logan. "Jedenfalls sagt man das."

"Ich weiß", nickte von Breden. "Und es wundert mich, dass Sie in das Sperrgebiet hineingekommen sind."

"Oh, das war kein Problem, sofern man dem französischen Militär etwas ausweicht. Wie haben Sie das denn gemacht?"

"Ich war einfach sehr schnell."

"Dann sind Sie auch wegen des Meteors hier."

"Ich glaube, dass es sich um ein außerirdisches Raumschiff handelt, das hier havariert ist."

Logan nickte. "Ja, das denke ich auch."

Von Breden deutete auf die Decken.

"Sie wüssten gerne wie die Fremden aussehen, nicht wahr?"

"Natürlich."

"Stellen Sie sich ein tentakelbewertes, formloses Etwas vor. Ein Wesen, das sich scheinbar für keine Gestalt entscheiden konnte. Kalte Facettenaugen, eine glitschige Membran als Außenhaut... Die Fischer haben es im Wasser gefunden und hier her gebracht. Sie haben es für einen der zahlreichen hinduistischen Flussgötter gehalten, deren Kult im Verlauf der letzten tausend Jahre den Weg nach Hinterindien gefunden hat."

"Die Leute da draußen redeten von bösen Walddämonen", gab Pierre Marquanteur zu bedenken.

Von Breden lächelte matt. "Ich kann nur hoffen, dass sich diese Meinung nicht durchsetzt", erklärte er.

Draußen war indessen eine Art Tumult entstanden.

Ein Mann stürzte herein.

Es war ein Khmer.

Er hielt einen altertümlichen Hinterlader in der Hand, dessen Lauf durch die hohe Luftfeuchtigkeit schon sichtlich gelitten hatte und mit rostigen Stellen durchsetzt war.

Mit grimmigem Gesicht funkelte er den Arzt an, starrte dann auf die Decken. Immer wieder rief er etwas, das außer Pierre Marquanteur niemand im Raum verstand.

"Er meint, diese Kreatur habe das ganze Dorf spirituell verunreinigt. Auch uns. Und wir sollten so schnell wie möglich verschwinden, sonst würden wir Unglück über alle hier bringen", übersetzte Marquanteur.

Er versuchte, den Mann zu beruhigen.

Ein weiterer Mann drängte in den Raum hinein. Er hielt eine Machete in der Hand.

Sein Blick war scheu.

Offenbar hatte die nackte Furcht bislang verhindert, dass jemand sich dem konservierten Wesen näherte.

Aber die Angst schien die Dörfler inzwischen verlassen zu haben.

Weitere Männer drängten herein.

Logan zog seine Pistole, feuerte in die Luft.

Alle Anwesenden erstarrten.

"Ob Sie unsere Probleme auf diese Weise lösen, möchte ich stark bezweifeln", kommentierte Clarissa von Breden diese Vorgehensweise auf leicht schnippische Art.

Ray Logan fand, dass sie ihren Kopf für die Bredrouille, in der sie steckte, immer noch reichlich hoch trug. Aber er hütete sich davor, dazu auch nur eine einzige Silbe zu sagen.

Er wandte sich an Marquanteur.

"Sag ihnen, dass wir wissen müssen, woher dieses Wesen kommt? Wo es gefunden wurde? Wir werden es dann dorthin zurückbringen!"

"Was fällt Ihnen ein!", mischte sich Clarissa ein. "Dieser Fund gehört an die Öffentlichkeit!"

"Das nächste naturkundliche Museum ist leider ein paar tausend Meilen entfernt, Teuerste", erwiderte Logan. "Und außerdem scheint mir, dass diese Leute ziemlich unangenehm werden können, wenn wir auf ihre Ängste nicht eingehen!"

"Pah! Aberglauben!", rief Clarissa.

"Möglich. Aber gleichgültig, ob dies nun ein Walddämon, Flussgott oder Außerirdischer ist - diese Leute sind in der Mehrzahl!"

"Er hat recht!", sagte Kurt von Breden. "Vielleicht können wir auf diese Weise das Präparat retten!"

Das Präparat, durchzuckte es Logan.

Der kalte Terminus des Arztes für ein Wesen, das noch vor gar nicht langer Zeit zweifellos gelebt hatte. Zumindest, als die Fischer es gefunden und hier her gebracht hatten, denn andernfalls hätte sich die Kreatur ja nach den Erkenntnissen Dr. von Bredens augenblicklich zersetzt.

Ein Wesen, das vermutlich eine unendlich lange Reise hinter sich hatte.

Eine Reise, von der sich kein lebender Mensch auch nur annähernd eine angemessene Vorstellung zu machen in der Lage war.

Marquanteur verhandelte indessen mit den Khmer. Immer weitere Männer drängten herein. Viele mit Hacken und Macheten bewaffnet.

Ein zahnloser Dorfältester wurde herbeigeholt. Die Sache schien kompliziert zu sein.

"Ich nehme an, Sie wollen auch den Ursprung dieses Wesens kennen lernen", wandte Ray Logan sich an die von Bredens.

Clarissa hob das Kinn und enthielt sich einer Antwort.

Ihr Vater nickte.

"Was auch immer dort im Dschungel an der Absturzstelle geschehen ist, es könnte den Lauf der Welt verändern!"

"Vermutlich wird man die Tatsachen gar nicht zur Kenntnis nehmen", war Clarissa deutlich skeptischer. "Es ist doch immer dasselbe. Erinnere dich an die Südamerika-Expedition, Dad!"

"Damals hatte ich keine Beweise, aber diesmal..."

Sie seufzte.

Pierre Marquanteur meldete sich nun zu Wort.

"Sie sind damit einverstanden, wenn wir das Wesen fortbringen. Die Fischer sind am Oberlauf des Stoeng Sen, etwa eine Tagesreise mit dem Boot von hier aus, darauf gestoßen."

"Wir brauchen ein Boot. Und eine Mannschaft!"

"Solange man hier noch der Meinung war, dass es sich um eine Inkarnation des Flussgottes Kanandravindroman handelt, hätten die Dörfler Schlange gestanden, um uns mit ihren Booten zu Diensten zu sein."

Von Breden hob die Augenbrauen.

"Und jetzt?"

Marquanteur grinste verbissen.

"Jetzt glauben sie, dass Sie den Walddämon Nol Phum vor sich haben. Hier aus dem Dorf wird uns ums Verrecken niemand flussaufwärts bringen!"

"Dann sollen sie einen der chinesischen Händler fragen", schlug Logan vor. "Wir verkaufen unsere Pferde und können einen guten Preis zahlen..."

Pierre Marquanteur nickte. "Das könnte die Lösung sein", murmelte er, bevor er wieder auf Khmer zu verhandeln begann.



1

Es fand sich schließlich ein Händler, der bereit war, die Gruppe mitsamt ihrer absonderlichen Fracht flussaufwärts zu bringen. Der Bootseigner hieß Sung und war Chinese. Er teilte den Geisterglauben der Khmer nicht. Sein Boot hieß L'OISEAU DE FEU ('Feuervogel') und war für hiesige Verhältnisse schon recht groß. Es hatte sogar eine kleine Kajüte.

Sung war ein kleiner, gedrungener Mann mit blauschwarzem Haar und undurchdringlichen Gesichtszügen. Er legte Wert darauf, zur Hälfte Franzose zu sein, da sein Vater ein französischer Kolonialoffizier gewesen sei. Normalerweise nahm er keine Passagiere mit, sondern beförderte Handelsgüter. Aber die Bezahlung überzeugte ihn. Logan überließ ihm die Pferde, die ein in Kampong Thum ansässiger Verwandter für ihn verkaufen würde.

Das wog eine Handelsfahrt allemal auf.

Sung hatte gute Laune, als sie aufbrauchen.

Seine beiden annamitischen Angestellten hingegen wirkten alles andere als begeistert, zumal sie mithelfen mussten, den in Decken gehüllten Körper des Tentakelwesens an Bord zu bringen.

Zu diesem Zweck wurde eine große Cargo-Kiste genommen, die von Dr. von Breden mit entsprechenden Chemikalien präpariert wurde.

Diese Prozedur zog sich bis zum Mittag hin. Schließlich musste bei der Umbettung des Tentakelwesens mit äußerster Vorsicht vorgegangen werden.

Niemand wusste schließlich - auch Dr. von Breden nicht - durch was die Selbstauflösung des Kadavers letztlich ausgelöst wurde.

Dieses mal wollte Dr. von Breden sein Präparat um jeden Preis erhalten und nicht wieder mit leeren Händen vor einer hämischen Fachöffentlichkeit dastehen, die nichts besseres zu tun hatte, als einen Außenseiter ihrer Zunft nach allen Regeln der Kunst zu verhöhnen.

Dann endlich konnte die L'OISEAU DE FEU ablegen.

Die Khmer-Begleiter Lon und Heng fuhren nur widerwillig mit, wie ihren Gesichtern überdeutlich anzusehen war.

Die Furcht war ihnen anzusehen.

Sun verlachte sie als abergläubische Narren. Er jedenfalls würde sich wegen ein paar grausiger Erzählungen von zweifelhaftem Wahrheitsgehalt ein gutes Geschäft nicht vermasseln lassen.

"Und wenn uns doch jemand in die Quere kommen sollte, habe ich das hier", meinte er dann an Logan gewandt und holte eine geladene Maschinenpistole amerikanischer Bauart hervor. Sie wies das typische runde Trommelmagazin auf. "So etwas braucht man hier...Schon wegen der Banditen", meinte er.

"Die dürften unser geringstes Problem sein", murmelte Logan daraufhin vor sich hin.

Die heißen Tage vergingen einer wie der andere, während sich die L'OISEAU DE FEU den Stoeng Sen hinaufquälte.

Der Motor machte auf Ray Logan alles andere als einen soliden Eindruck. Und was die Treibstoffvorräte anbetraf, so schien der Schiffseigner wohl ebenfalls fest mit dem Beistand übernatürlicher Kräfte zu rechnen.

Die feuchte Hitze und die Moskitos setzten der Besatzung stark zu.

Vor allem auf Dr. Kurt von Breden traf dies zu.

Tag und Nacht wurde die Besatzung der L'OISEAU DE FEU von den eigenartigen Geräuschen des Urwaldes umgeben. Ein geradezu gespenstischer Chor, der von wucherndem Leben kündete. Das undurchdringliche Grün wimmelte nur so von Lebendigkeit.

Unheimliche Schreie, das Schlagen großer Vogelschwingen und das Rascheln von Blättern mischten sich zu einem eigentümlichen Klangteppich, der jedem unvergesslich bleiben musste, der ihn einmal gehört hatte.

Eine Woche lang ging es immer weiter den Stoeng Sen hinauf.

Die L'OISEAU DE FEU legte in einigen kleineren Ortschaften an, die am Flussufer lagen. Pierre Marquanteur schnappte haarsträubende Geschichten von unheimlichen Dämonenwesen auf, die im Dschungel flussaufwärts ihr Unwesen trieben. Die Beschreibungen dieser Wesen ähnelten jener Tentakelspezies, von der Dr. von Breden ein Exemplar konserviert hatte. Einmal erlebten sie, wie die Bewohner einer Ortschaft sogar einen kostbaren Zebu geopfert hatten, um die 'Dämonen', wieder zu besänftigen...

Es war zweifelhaft, ob diese Art Dämonen darauf reagieren würde...

Wohin Logan und seine Begleiter auch kamen, fanden sie eine Atmosphäre tiefster Verstörung unter den Bewohnern der Gegend vor.

"Hast du die Blicke der Leute gesehen, Ray?", fragte Pierre Marquanteur, als er später zusammen mit Ray Logan am Bug der L'OISEAU DE FEU stand und sich eine Gauloises ansteckte.

"Ja", murmelte Logan.

"Sie haben uns angesehen wie Todgeweihte."

"Wenigstens hat Sung seine gute Laune bis jetzt behalten."

"Wenn sich daran etwas ändern sollte, wird's brenzlig."

"Meinst du, der Chinese setzt uns einfach ans Ufer?"

"Mitsamt diesem eingepökelten Tentakelwesen, Ray!"

Logan atmete tief durch.

Er fühlte, dass er nahe am Ziel war. An jenem Ziel, dem er schon jahrelang hinterher jagte.

"Was glaubst du, was uns an der Absturzstelle erwartet, Ray?"

"Ich habe keine Ahnung!"

"Was hältst du von Professor von Breden?"

"Schwer zu beurteilen, Ray." Ein Lächeln glitt über das Gesicht des ehemaligen Fremdenlegionärs. Dann zuckte er die Achseln. "In meinen Augen gibt es da nur zwei Möglichkeiten: Entweder er ist wirklich ein genialer Forscher, der auf ein großes Geheimnis gestoßen ist oder..."

"Oder?", echote Logan.

"Oder er ist ein Verrückter."

"Wenn er ein Verrückter ist, dann sind wir es auch."

"Ich weiß nicht, ob das ein Trost ist, Ray."

"Für mich schon."

"Na, dann..."

Eine Pause des Schweigens entstand. Das Motorengeräusch der L'OUISEAU DE FEU übertönte größtenteils das vielstimmige Dschungelkonzert. Wir sind an einem Ort, an dem wir nicht sein sollten , ging es Logan durch den Kopf. Ein eigenartiges, unbehagliches Gefühl machte sich in seiner Magengegend bemerkbar. Er hatte keine Furcht, aber ihm wurde bewusst, dass die Gruppe einem Phänomen auf der Spur war, dessen Enthüllung zweifellos den Lauf der Geschichte verändern musste. Die erste Begegnung eines Menschen mit einem Außerirdischen, auch wenn das erste Exemplar, auf das wir gestoßen sind, nicht mehr lebte... Logan wischte sich den Schweiß von der Stirn. Seine Kleider waren durchgeweicht. Kambodscha glich zu dieser Jahreszeit einer Waschküche. Die Hitze war in Verbindung mit der hohen Luftfeuchtigkeit beinahe unerträglich. Sie lähmte sowohl Körper als auch Geist. Logan hatte zwischenzeitlich immer wieder das Gefühl gehabt, in einer Art Traum zu leben.

In einem Zustand, bei dem man zur Hälfte wach, sich zur anderen Hälfte jedoch in einer Art Dämmerschlaf befand.

"Was glaubst du, was diese Außerirdischen oder worum immer es sich sonst bei diesen eigenartigen Kreaturen handeln mag, im Schilde führen?", fragte Pierre Marquanteur schließlich.

Ray Logan zuckte die Achseln.

"Wir wissen so gut wie nichts über sie. Alles, was wir haben ist ein toter Körper, den die Bewohner dieses Landes für einen Walddämon halten."

"Meiner Ansicht nach verfügt eine Spezies, die in der Lage ist, den Abgrund zwischen den Welten zu überwinden, bestimmt auch über eine fortgeschrittene Waffentechnologie", meinte Pierre Marquanteur. "Es wäre vielleicht nicht gerade ratsam, sich den Zorn dieser Tentakelwesen zuzuziehen."

"Vielleicht haben wir das schon", erwiderte Logan, "und zwar ohne, dass wir uns dessen bewusst wären."

Marquanteurs Blick wurde düster. Er verstand genau, was Logan meinte.

"Wenn weiße Seefahrer in der Vergangenheit eine Insel erreichten, auf der die Eingeborenen den Leichnam eines Europäers wie eine Reliquie mit sich herum trugen, so wurde wahrscheinlich meistens kurzer Prozess gemacht."

"Richtig", nickte Logan. "Nur, dass im Moment vielleicht die gesamte Menschheit, sich in der Rolle der unzivilisierten Eingeborenen befindet."

"Ich hoffe wirklich, dass du Unrecht hast, Ray. Mon dieu, c'est ne-pas drole." Marquanteur rückte etwas näher an Logan heran und sprach jetzt in gedämpften Tonfall. "Der chinesische Schiffseigner gefällt mir übrigens nicht."

"Monsieur Sung?"

"Genau."

"Wir sollten ihn im Auge behalten. Er ist zwar nicht abergläubisch und auch nicht so ein Angsthase wie diese Khmer, aber wenn es hart auf hart kommt, werden wir uns nicht auf ihn verlassen können."

"Ich weiß."

In diesem Augenblick trat Clarissa von Breden an Deck. Sie atmete tief durch, wischte sich mit einer fahrigen Geste eine Strähne aus dem Gesicht. Das Hemd klebte ihr am Körper. Ein mattes Lächeln spielte einen Augenaufschlag lang um ihre vollen Lippen, als sie Logan sah.

Der Amerikaner ging auf die Frau zu. Marquanteur blieb im Hintergrund, zündete sich eine Gauloises an, was ihm erst im zweiten Versuch gelang. Die Streichhölzer waren feucht geworden.

"Merde", fluchte er. "C'est encroyable."

Die Feuchtigkeit war einfach überall, drang überall hin und machte offensichtlich selbst einem Mann wie Marquanteur zu schaffen, der an diese klimatischen Bedingungen mehr als jeder andere Weiße gewöhnt war.

Clarissa von Breden trat an die Reling, rang erneut nach Luft.

"Gibt es irgendwelche Schwierigkeiten?", fragte Ray Logan.

Clarissa nickte. "Das kann man wohl sagen."

"Schwierigkeiten welcher Art?"

"Es hängt mit dem Präparat zusammen", berichtete Clarissa von Breden.

"Was ist damit?", fragte Logan.

"Es zersetzt sich."

"Trotz der Maßnahmen der Konservierung, die Ihr Vater angewendet hat?"

"Ja. Und es besteht die Gefahr, dass wir das Präparat vollständig verlieren. Mein Vater tut zwar alles, was er kann, aber so wie es aussieht..."

Sie sprach nicht weiter, verschränkte jetzt die Arme unter der Brust.

"Sie benutzen denselben teilnahmslos, kalten Begriff, wie Ihr Vater", stellte Logan schließlich nach einer Pause fest.

Clarissa sah ihn erstaunt an.

"Wovon sprechen Sie, Mr. Logan?"

"Nennen Sie mich Ray."

"Vielleicht, wenn wir uns etwas besser kennen", erwiderte sie.

"Ganz, wie Sie wollen."

"Was für einen Begriff meinten Sie?", fragte Clarissa.

"Sie sprachen von diesem Wesen als Präparat."

Sie lächelte. "Und das erscheint Ihnen kalt und teilnahmslos?"

"Ist es das nicht? Über den toten Körper eines Bekannten würden Sie sicherlich anders reden."

"Diese Wesen ist kein Bekannter", gab Clarissa von Breden zu bedenken.

"Das ist allerdings richtig. Aber es ist ein Lebewesen, zumindest war es das. Ein Lebewesen, das intelligent genug war, um den Abgrund zwischen den Sternen zu überbrücken."

"Verzeihen Sie mir den kühlen Blick der Wissenschaftlerin."

"Ihnen verzeihe ich doch alles, Clarissa."

"Ihre gönnerhaften Sprüche können Sie sich sparen", erwiderte Clarissa von Breden kühl.

"Geben Sie es zu."

"Was?"

"Dass Sie auch zu den Männern gehören, die glauben, dass eine Frau nicht logisch denken kann. Wenn man wie Sie viel im Dschungel unterwegs ist, dann kommt man doch vielleicht nicht oft dazu eine Zeitung zu lesen, sonst hätten Sie sicherlich längst von den Arbeiten einer Madame Curie gehört."

"Denken Sie mal an, ich habe davon gehört."

"Aber Sie scheinen nichts verstanden zu haben."

"Immerhin habe ich verstanden, dass Sie eine sehr schlagfertige Frau sind. Im Übrigen sind wir demselben Geheimnis auf der Spur und ich finde, da sollten wir an einem Strang ziehen."

"Schön, dass Sie das auch so sehen, Mr. Logan."

"Clarissa!", rief jetzt Professor von Breden, der sich unter Deck befand.

"Mein Vater braucht meine Hilfe", sagte Clarissa.

"Wenn ich irgendetwas für Sie tun kann?"

"Im Moment nicht, Mr. Logan."

"Ich stehe Ihnen gerne zur Verfügung."

"Wie gesagt, im Moment reicht es völlig, wenn Sie mich respektieren." Mit diesen Worten drehte sie sich um und stieg wieder unter Deck.

"Touché, Ray", hörte der Amerikaner Pierre Marquanteur hinter sich sagen.

Logan drehte sich herum.

Pierre Marquanteur grinste breit. "Die ist nicht auf den Mund gefallen, was? Wird Zeit, dass bei dir mal jemand das letzte Wort hat, Ray."

"Hey, ich bezahle dich dafür, dass du auf meiner Seite bist, Pierre", erwiderte Logan.



2

Die L'OISEAU DE FEU erreichte zwei Tage später das Dorf Teng Phong. Das Gebiet, in dem sich die Gruppe befand, schien recht dünn besiedelt zu sein, denn seit ihrem Aufbruch aus Kampong Thum waren sie auf keinerlei Spuren menschlicher Besiedlung gestoßen. Nicht ein einziges Flussboot war der L'OISEAU DE FEU auf dem Stoeng Sen entgegengekommen.

Als das Boot den Flusshafen von Teng Phong erreichte, setzte gerade die Dämmerung ein.

Eigentlich der ideale Zeitpunkt für die Fischer, um mit ihren Booten hinauszufahren und die Netze auszulegen.

Aber für die Fischer dieses Dorfes schien das nicht zu gelten.

Die Boote lagen sämtlich in dem kleinen Flusshafen und nirgendwo machte sich jemand daran, irgendwelche Vorbereitungen für einen nächtlichen Fischzug zu treffen.

Die Männer standen in kleinen Gruppen in der Nähe der Anlegestellen herum und blickten der L'OISEAU DE FEU mit misstrauischen Blicken entgegen.

"Mit Verlaub, aber die scheinen sich nicht gerade darüber zu freuen, uns zu sehen", knurrte Pierre Marquanteur düster, der zusammen mit Logan im Bug des Flussbootes befand.

Unruhe entstand unter den Leuten an den Landungsstegen.

Das Stimmengewirr drang bis zur L'OISEAU DE FEU hinüber.

Einige Männer liefen laut rufend zu den Hütten des Dorfes.

Wenig später kehrten die ersten von ihnen zurück.

Sie trugen Macheten in den Händen, schwangen sie über den Köpfen. Einige hatten auch altmodische Hinterlader dabei.

"Merde! Da braut sich etwas zusammen", murmelte Pierre Marquanteur düster. Er zog seine Waffe aus dem Futteral, überprüfte die Ladung des Smith & Wesson-Revolvers vom Kaliber .38 Special.

"Verstehst du, was sie sagen?", fragte Logan.

"Genug, um zu bemerken, dass diese Leute auf unsere Gesellschaft offenbar keinen Wert legen!"

Sun, der chinesische Schiffseigner der L'OISEAU DE FEU wedelte aufgeregt mit den Armen herum und redete auf seine beiden Khmer-Gehilfen ein, die ziemlich ratlos dastanden.

Einer von ihnen befand am Ruder.

Sun jagte ihn mit ein paar lautstarken Verwünschungen davon.

Logan lief zu ihm, um ihn zu fragen, was er vorhatte.

Der Schiffseigner versuchte lächelte nichtssagend.

Ein Lächeln, das einer Maske glich.

"Machen Sie sich keine Sorgen, Monsieur Logan", meinte Sun. "Ich lege schon seit vielen Jahren regelmäßig in diesem Dorf an. Die Bewohner sind friedlich."

"Aber irgendetwas regt die Dorfbewohner auf", sagte Logan.

Sun sah den Amerikaner mit regungslosem Gesicht an.

"Ich hoffe nicht, dass sich schon herumgesprochen hat, was Sie an Bord gebracht haben. Dieses..." Er suchte nach dem richtigen Wort, verzog dann das Gesicht und fuhr fort: "Dieses Monstrum! Monsieur, ich möchte keinen Ärger. Mit niemandem. Weder mit diesen Khmer-Barbaren, noch mit irgendjemandem sonst."

"Worauf wollen Sie hinaus?"

"Ist das so schwer zu erraten? Sie können froh sein, dass ich Ihre Gruppe überhaupt transportiere... Mit diesem merkwürdigen etwas an Bord, das die Waldmenschen hier für einen Dämon oder dergleichen halten."

"Sie wollen das Ding in den Fluss werfen, wenn es Ärger gibt?"

"Notfalls ja, Monsieur Logan."

"Warum reden Sie mit mir darüber? Sprechen Sie mit Professor von Breden."

"Ich hatte gedacht, dass Sie etwas praktischer veranlagt sind und mehr Verständnis für meine Lage aufbringen!"

Vielleicht löst sich das Problem ja von ganz allein, ging es Logan durch den Kopf.

Logan blickte zum Dorf hinüber. Das aufgeregte Stimmengewirr wurde immer lauter, übertönte nun deutlich den Schiffsmotor.

Inzwischen war Professor von Breden an Deck gekommen.

Sein Gesicht wirkte blass.

Clarissa war bei ihm.

Logan beobachtete die beiden.

Sie unterhielten sich kurz und recht leise. Logan konnte kein Wort davon verstehen.

Die L'OISEAU DE FEU legte an.

Heng, einer der beiden Khmer-Gehilfen des Schiffseigners sprang vom Bug aus an Land und begann damit, das Boot zu vertäuen.

Pierre Marquanteur war der zweite Mann, der auf den Steg sprang. Er unterstützte Heng dabei, das Flussboot richtig zu vertäuen.

Sun begann jetzt - noch vom Boot aus - auf die am Ufer stehenden Khmer einzureden. Er beherrschte deren Sprache einigermaßen, obgleich er für seine Ausführungen auch ausgiebig die Hände zu Hilfe nahm.

Offenbar gelang es dem Chinesen tatsächlich, die ziemlich aufgebrachte Menge am Ufer zu beruhigen.

Logan sah sich das Treiben dort eine Weile schweigend an, dann lief er zu von Breden und seiner Tochter.

"Ich habe gehört, dass es Probleme mit dem...Präparat gibt", meinte er. Logan hatte gezögert, ehe er das Wort Präparat aussprach, was Clarissa von Breden mit einem triumphierenden Lächeln quittierte.

Kurt von Breden atmete tief durch, wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn.

"Es ist diese verfluchte Hitze", sagte er. "Außerdem gehen in dem Körper dieses Außerirdischen chemische Prozesse vor sich, die außerhalb unseres bisherigen Erkenntnishorizontes liegen... Aber im Moment scheint es so, als hätte sich der Zersetzungsprozess zumindest verlangsamt. Ich wusste ja, wonach ich hier in Indochina suchte und deswegen hatte ich natürlich einige Chemikalien dabei, von denen ich mir eine konservierende Wirkung versprach..."

"Und? Sind Sie mit der Wirkung zufrieden?"

"Nein, Mr. Logan. Ganz und gar nicht." Er hob die Schultern. "Wir wissen einfach zu wenig über diese Wesen, das ist das Problem!"



3

Logan, der Professor und Clarissa gingen schließlich auch von Bord. Die Lage hatte sich einigermaßen stabilisiert. Das war vor allem Suns Verdienst. Ihn kannten sie. Und bis zu einem gewissen Grad vertrauten sie ihm auch.

"Was hat die Leute so beunruhigt?", wandte sich Logan an den Chinesen.

"Sie sollten die Sprache dieses Landes lernen, Monsieur Logan!", erwiderte Sun. "Das hat viele Vorteile. Einer davon ist, dass man Sie nicht so leicht übers Ohr haut, wie man bei Ihnen, glaube ich, sagt."

"Ich werde es nachholen, wenn ich mal Zeit habe, Mr. Sun."

"Also tun Sie es nie!"

"Und wenn schon!"

"Diese Leute waren zunächst so misstrauisch, weil sie Sie und Ihren Gefährten Marquanteur gesehen haben..."

"Sehen wir so furchterregend aus?"

"Vor kurzem waren ein paar Weiße hier. Europäer oder Amerikaner. Und die müssen ziemlich schlimm hier gewütet haben. Alors, comment ca dire en anglais? Sie haben ein paar Männer erschossen und einige weitere gezwungen, sie als Träger zu begleiten."

"Als Träger?"

"Ja, sie brauchten Träger für ihre Expedition."

"Was suchten sie denn?"

Sun sprach einen etwas älteren Khmer an.

Dieser antwortete. Sun musste noch einmal zurück fragen, da er die Antwort offenbar nicht auf Anhieb verstand. Schließlich sagte der Chinese: "Sie wollten die Stelle finden, an der der Stern abgestürzt ist... Ja, so hat dieser Mann es ausgedrückt!"

"Dann haben diese Leute dasselbe Ziel gehabt wie wir", stellte Logan düster fest.

"Diese Leute meiden das Gebiet, in dem der Stern abstürzte, wie sie es nennen."

"Aberglaube?"

"Sie können es so nennen, Logan."

"Und wie würden Sie es nennen, Sun?"

"Vorsicht."

"Ist wohl immer eine Sache des Standpunkts."

"Sie sagen es."

"Fragen Sie den Mann danach, wie diese Weißen aussahen. Ob er sich an irgendwelche Besonderheiten erinnern kann."

"Bin ich Ihr Dolmetscher?"

"Na los, machen Sie schon!"

Sun atmete tief durch. Seine Lippen bewegten sich, formten Worte auf Khmer. Pierre Marquanteur näherte sich, hörte mit kritischer Miene zu.

Der Alte antwortete.

Sun fragte ein paarmal nach.

Schließlich war es Marquanteur, der die Worte des Alten übersetzte.

"Der Anführer dieser Weißen hatte links nur ein halbes Ohr", erklärte der ehemalige Fremdenlegionär. "Kennst du zufällig jemanden, der sich abstürzende Sterne interessiert und dem irgendjemand das halbe Ohr weggesäbelt hat?"

"Sehr witzig, Pierre!"

"Hätte ja sein können!"

"Wir müssen wissen, wo dieses Halbohr mit seinen Leuten hingezogen ist!"

Pierre Marquanteur formulierte die Frage auf Khmer. Die Augen des Alten flackerten unruhig. Er wechselte ein paar nervöse Blicke mit den anderen Dörflern, die um ihn herumstanden.

Ein paar Worte wurden hin und her gewechselt.

"Sie sind im Dschungel verschwunden", gab Pierre Marquanteur schließlich die Aussagen der Dörfler wieder. "Es gab ein paar Männer, die versucht haben, ihnen zu folgen..."

"Was wurde aus ihnen?", hakte Logan nach.

"Keiner von ihnen ist zurückgekehrt. Ich nehme an, dieses Halbohr und seine Bande haben kurzen Prozess mit ihnen gemacht."

"Ja, das ist zu befürchten..."

Mr. Sun meldete sich jetzt zu Wort. "Ich schlage vor, dass wir zuerst einmal die Geschäfte erledigen."

"An was anderes können Sie wohl gar nicht denken, was?", höhnte Pierre Marquanteur.

Der Chinese wirkte keineswegs beleidigt. Zumindest zeigte er es nicht. "Die Leute hier sind ziemlich aufgeregt. Es wird eine Weile dauern, bis sie wieder einigermaßen vernünftig sind."

"Sie müssen es ja wissen", knurrte Marquanteur und verzog das Gesicht dabei.

Logan wandte sich an den ehemaligen Fremdenlegionär und forderte: "Sag den Leuten, dass wir mit diesem Halbohr nichts zu tun haben. Nicht das Geringste!"

"Wie du willst, Ray..."

Pierre Marquanteur brachte die entsprechenden Sätze ziemlich fließend auf Khmer heraus. Die Dörfler hörten ihm interessiert zu. Vielleicht glauben sie uns, vielleicht auch nicht, dachte Logan . Aber ob wir aus den Leuten hier noch irgendwelche brauchbaren Informationen herausbekommen werden, ist doch sehr fraglich...