Im Laufe seiner langen und einzigartigen Karriere konzentrierte sich der Fotograf und Autor Michael Freeman vor allem auf dokumentarische Reisereportagen, die er in namhaften Publikationen weltweit veröffentlichen konnte, darunter in den Zeitschriften Time-Life, GEO und Smithsonian, für die er zahlreiche Bildreportagen aus der ganzen Welt fotografierte. Viele seiner Arbeiten entstanden in Asien, zu Beginn vor allem in Thailand, später bereiste er Südost-Asien inkl. Kambodscha, Japan und China. Sein aktuelles Buch handelt von der Tea Horse Road und zeichnet die alte asiatische Handelsroute nach, die sich ab dem 7. Jahrhundert zwischen China und Tibet entwickelte.
Seine zahlreichen Bücher über die Fotografie als Handwerk verkauften sich über vier Millionen Mal und wurden in 27 Sprachen übersetzt. Sein Bestseller, »Der fotografische Blick«, wurde zum Standardwerk über fotografische Bildkomposition und Design.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
ISBN 978-3-95845-762-1
1. Auflage 2017
www.mitp.de
E-Mail: mitp-verlag@sigloch.de
Telefon: +49 7953 / 7189 – 079
Telefax: +49 7953 / 7189 – 082
© 2017 mitp Verlags GmbH & Co. KG
Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Übersetzung der englischen Originalausgabe:
Michael Freeman: Black & White Photography
First published in The United Kingdom in 2017 by ILEX, a division of
Octopus Publishing Group Ltd
Carmelite House, 50 Victoria Embankment, London EC4Y ODZ
Design, layout and text copyright © Octopus Publishing Group Ltd 2017
Michael Freeman asserts the moral right to be identified as the author of this work
All rights reserved.
Übersetzung: Claudia Koch
Lektorat: Katja Völpel
Sprachkorrektorat: Ulrich Borstelmann
Covergestaltung: Christian Kalkert
Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck
Einführung
KAPITEL 1: DIE TRADITION VON SCHWARZ & WEISS
Das neue Schwarz & Weiß
Die technische Tradition
Die Kunst der Schwarzweiß-Fotografie
Der Reiz von Schwarzweiß
Filmqualitäten
Schwarzweiß als Normalität
Die Entscheidung des Fotografen
Wellenlänge & Empfindlichkeit
Farbe entfernen
Form
Struktur
Tonwertnuancen
Form & Volumen
Textur
Umsetzung
KAPITEL 2: DIGITALES SCHWARZWEISS
Der Monochrom-Sensor
Lineare Aufnahme
Das Beschneidungsproblem
Rauschen, Bit-Tiefe & Schattierung
Infrarot
Arbeitsablauf für die Bildbearbeitung
Silver Efex Pro
Grundlagen der Bildbearbeitung
Farben als Graustufen
Aus Filtern lernen
Standardumwandlungen
Farbton-Korrektur
Umkehrung der Helligkeit
Kontrast-Korrektur mit Farbton
Farbton für Tiefe und Atmosphäre
Farbton für Vegetation
Hauttöne
Besondere Farben
Gegensätze
Benachbarte Farben
Feinheiten
KAPITEL 3: KREATIVE VARIANTEN
Schwarzweiß denken
Der Umfang des Lichts: Ansel Adams
Der lange Weg des Grau: Paul Strand
Mitteltöne
Hoher Kontrast
Niedriger Kontrast
Schatten und Dunkelheit: Bill Brandt
Low-Key
High-Key & Grafik
High-Key
High-Key-Vergleiche
Das digitale Zonensystem
HDR in Schwarzweiß
Tonemapping ohne HDR
Farbstiche hinzufügen
Alte Verarbeitungseffekte
Schwarzweißfilm entwickeln
Glossar
Index
Bildnachweise
Die Schwarzweiß-Fotografie hat einen durchaus einzigartigen Stellwert in der Welt der Kunst und Bildgestaltung, was etwas überrascht, weil sie in der Welt der Fotografie eher als gegeben hingenommen wird. Mit diesem Buch will ich versuchen, die Schwarzweiß-Fotografie aus ihrer Selbstgefälligkeit zu locken, wobei mir die neuen Gegebenheiten – begünstigt durch die Digitalfotografie – zu Hilfe eilen.
Warum selbstgefällig? Weil sich die Schwarzweiß-Fotografie als älteste Art der Fotografie über mehr als ein Jahrhundert lang etabliert hat und darum kaum infrage gestellt wird. Viele, wahrscheinlich die meisten Menschen, nehmen die Schwarzweiß-Fotografie einfach als »gegeben« hin. Ich habe gerade noch einmal einen Band über die Geschichte der Fotografie von Ian Jeffrey gelesen, »Photography: A Concise History«, der in der Reihe »Thames & Hudson’s World of Art« erschienen ist. Für Jeffrey scheint die Schwarzweiß-Fotografie so sehr im Mittelpunkt zu stehen, dass er ihr ganze drei Seiten widmet – von 240. Das ist zwar nicht ungewöhnlich, angesichts der Tatsache, dass deutlich mehr Jahre schwarzweiß als in Farbe fotografiert wurde, zumindest erstaunlich. In der Welt der modernen Digitalfotografie funktioniert es so ohnehin nicht, denn hier kann sich der Fotograf von Bild zu Bild für das eine oder andere entscheiden, sobald er das Bild am Computer nachbearbeitet.
Scheinbar sehen die meisten Fotografen beim Fotografieren oder Nachbearbeiten ihre Arbeiten einzig in der Welt der Fotografie und weniger als Bestandteil des weiteren Kunstbegriffs. »Scheinbar« deshalb, weil sich das nicht quantifizieren lässt. Ohne Zweifel gilt jedoch: In allen Diskussionen bzw. Schriften über die Fotografie sind Bezüge zur Malerei bzw. anderen grafischen Kunstrichtungen äußerst dünn gesät. Das ist merkwürdig, wenn nicht gar kurzsichtig, spiegelt jedoch die Realität der Welt der Fotografie wider. Es mag dafür historische Gründe geben, und natürlich lässt es sich philosophisch erklären.
Aus Sicht der freien Künste gibt es weitaus mehr Akzeptanz für die Fotografie. In jüngerer Zeit widmen sich auch häufig Künstler der Fotografie, die sich eigentlich nicht selbst als Fotografen bezeichnen – ein Phänomen, das eingefleischte Fotografen durchaus mit Skepsis betrachten. Anders ausgedrückt: Zeitgenössische Künstler erobern die Fotografie häufiger, als Fotografen sich der Kunst widmen.
Und dieses Gefühl, dass die Fotografie in ihrer eigenen Welt lebt, sehr selbstständig und eher von anderen abgeschlossen, gestattet uns die Selbstgefälligkeit in Richtung Schwarzweiß. Die Fotografie ist einfach damit aufgewachsen. Inzwischen kommt sie jedoch in Bewegung, und das will ich in diesem Buch untersuchen.
Die digitale Fotografie war ein deutlicher Umbruch für die Art und Weise, wie wir schwarzweiß fotografieren. Der wichtigste praktische Unterschied zwischen Film und Sensor besteht natürlich darin, dass wir jetzt dieselbe Aufnahme monochrom oder in Farbe entwickeln können. Sie müssen sich nicht vorher entscheiden, denn Sie brauchen keinen Schwarzweiß- oder Farbfilm einzulegen, bevor Sie das Haus verlassen.
Darum konzentrieren sich die meisten Äußerungen zur Schwarzweiß-Fotografie auf die praktischen Seiten – wie man Bilder umwandelt, wie man Kanäle anpasst, um die Helligkeit verschiedener Farben in der Graustufenumsetzung zu beeinflussen, wie man den »Look« und die Körnung beliebter Schwarzweiß-Emulsionen erzielt etc.
All dies sind wichtige und wertvolle Themen, aber zwei wichtige Probleme fehlen: Viel entscheidender, als zu fragen »Wie fotografiere ich schwarzweiß«, ist die Frage »Warum« und vor allem »Wann«. Wie sich die verschiedenen Monochrom-Effekte aus einem Digitalbild erzeugen lassen, ist nicht allzu schwer zu erklären – natürlich finden Sie auch das alles in diesem Buch –, interessanter ist jedoch die Entscheidung, ob ich das Bild in Schwarzweiß umwandele oder in Farbe belasse.
Diese Entscheidung geht über den Unterschied zwischen Sensor und Film hinaus und führt uns geradewegs in die lange, reiche Tradition der Schwarzweiß-Fotografie. Film und frühere Entwicklungen wiegen in dieser Tradition natürlich schwer, darum entschuldige ich mich auch nicht für meinen Blick in die Vergangenheit. Aus der Schwarzweiß-Fotografie, ihrer Bildqualität und ihren Prozessen, können wir viel lernen. Nicht nur das: Die Schwarzweiß-Fotografie wird eher mit Kunst assoziiert als die Farbfotografie, und auch aus der monochromen Malerei können wir lernen. Das Thema, das sich wie ein roter Faden durch all das zieht, ist, die Farbpalette einzuschränken. Schließlich unterscheidet sich die Schwarzweiß-Fotografie nicht zuletzt dadurch von der Farbfotografie, dass wir die Welt nicht schwarzweiß sehen, und sie gibt auch nicht vor, die Realität darzustellen. Sie ist eine Interpretation des Blicks in ein besonderes Medium mit besonderer Charakteristik. Wie wir sehen werden, hat sich die Wahrnehmung der Schwarzweiß-Fotografie als Medium der Fotografie gewandelt. Was als Notwendigkeit begann, wurde als Normalität akzeptiert und ist jetzt – mit der Auswahl an allen Farben (und jeder Farbe) und mit unendlichen Möglichkeiten der Digitalbilder – eine kreative Entscheidung geworden.
Hätte die Fotografie – durch eine Laune der Wissenschaft – in Farbe begonnen, hätte sich dann die Schwarzweiß-Fotografie besser entwickelt? Abgesehen davon, dass wir die Geschichte kurzerhand etwas verdrehen müssten, ist diese Frage angesichts des wandelvollen Lebens der Schwarzweiß-Fotografie durchaus berechtigt. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Fotografen und Verleger jahrzehntelang nach Farbfotos gelechzt haben, und dann sofort Ablehnung einsetzte, als sie mit Kodachrome und später mit Fujichrome zu haben war. Sicher gab es unterschiedliche Ansichten, aber die Filmtechnologie und später die Sensortechnik haben die beiden Fotomedien nicht kontrollieren können. Es geht eben nicht nur darum, was eine Kamera kann und was nicht.
Die erste fixierte Fotografie – die nicht verblasste, wenn man sie Licht aussetzte – entstand 1824 auf lichtempfindlichem Stein, angefertigt von Nicephore Niepce, einige Jahre vor der berühmten, bis heute erhaltenen Arbeit auf Zinn. Es war monochrom, denn es zeichnete nur das auf die Oberfläche auftreffende Licht auf. Das erste Farbfoto gab es bereits 37 Jahre später, eine Aufnahme von Thomas Sutton. Nach einer wissenschaftlichen Arbeit des schottischen Physikers James Clerk Maxwell von 1855 half ihm Sutton 1861, eine Vorlesung mit dem Foto eines farbigen Bandes zu illustrieren. Die Technik, auch als Dreifarbprozess bekannt, bildet die Grundlage aller Farbreproduktion. Dabei wurden drei Platten angefertigt, die jede eine andere Farbe filterten – rot, grün und blau. Richtete man die drei Platten aus und projizierte sie zusammen, erhielt man das Farbbild.
Die Farbfotografie benutzt also Monochromtechnik. Vielleicht noch wichtiger ist, dass selbst die moderne Schwarzweiß-Fotografie eine Neuanordnung der Farben darstellt – was sehr wichtig ist. Es ist also unmöglich, über Schwarzweiß zu sprechen, ohne Farbe mit einzubeziehen, vor allem in der Digitalfotografie. Wie Niépces lithografischer Stein bzw. die beschichtete Zinntafel ist ein Kamerasensor empfindlich für alles sichtbare Licht (und etwas darüber hinaus), und ohne Hilfsmittel würde er nicht zwischen den Wellenlängen trennen. Und durch die Wellenlängen unterscheiden sich die Farben.
Die Farbkomponente eines Digitalfotos kommt von einem transparenten Schachbrettfilter vor dem Sensor – der Bayer-Matrix –, die ein Pixelmuster aus roten, grünen und blauen Filtern aufweist. Das Bild wird in diesen drei Kanälen aufgezeichnet und kombiniert, um ebenso wie Maxwells Dia- und Farbfilm Vollfarbbilder aufzunehmen. Der Unterschied ist, dass mithilfe der Digitaltechnik auch Schwarzweiß-Bilder aus diesen drei Kanälen hergestellt werden können, und zwar auf verschiedenste Weise. Jede Farbe der Originalszene kann in mehr oder weniger jede Graustufe umgewandelt werden, von sehr dunkel bis sehr hell. Dieser Prozess ist in der Schwarzweiß-Fotografie völlig neu und lässt sich für verschiedenste Effekte endlos untersuchen.
SCHATTENSPIEL
Genauso einfach lässt sich jedoch auch ein Bild aufnehmen, das man von vornherein in Schwarzweiß umwandeln will.
TULOU-HÄUSER
Natürlich liegt das Original dieses Fotos in Farbe vor, aber ich kann immer wieder zum Original zurückkehren und eine andere Umwandlung vornehmen. Dabei lässt sich sogar die Stimmung jedesmal wieder komplett ändern.
Fairerweise tauche ich gleich tief in die Geschichte ein, denn die Historie der Schwarzweiß-Fotografie ist lang und reichhaltig. Film und ältere Prozesse nehmen dabei viel Raum ein, und wir können viel von der Schwarzweiß-Fotografie, ihrer Bildqualität und den Prozessen lernen. Im Grunde entwickelten sich Farb- und Schwarzweiß-Fotografie parallel. Die eine Geschichte berichtet von dem, was möglich war, die andere davon, was verschiedene Fotografen wollten. Natürlich sind diese technische und die ästhetische Historie eng miteinander verflochten.
Niépces Foto von 1826 ist das erste, das bis heute erhalten ist. Es verwendete eine Art Asphalt, den man bereits von der Gravur kannte, als Überzug für eine Zinnplatte. Dieser härtete sich eher, als dass er nachdunkelte, wenn er in der Kamera Licht ausgesetzt war, was mindestens 8 Stunden dauerte. Nach einer Wäsche mit Lösungsmitteln verblieben die harten, helleren Bereiche.
Zwölf Jahre später hatte Niépces Partner, Daguerre, eine lichtempfindlichere Platte entwickelt. Kupfer mir Silberbeschichtung wurde mit Jod aus erhitzten Jodkristallen bedampft. Nach der Aufnahme wurde das Bild, das bis dahin nicht sichtbar war, mit Quecksilberdampf entwickelt – ein gefährliches Verfahren. Schließlich wurde das Bild mit Natriumhyposulfit fixiert. Es entstand ein sehr detailreiches, feines Foto. Durch das spiegelähnliche Finish musste es jedoch aus einem bestimmten Winkel betrachtet werden, und da es sich um ein Positiv handelte, konnte man nicht mehrere Abzüge anfertigen. Dennoch wurde die Belichtungszeit von 8 Stunden auf 20 bis 30 Minuten reduziert – was für Porträts jedoch noch zu lang war. Dennoch wurde die Fotografie damit auch praktisch möglich.
Die Daguerreotypie erhielt schnell Konkurrenz von einem neuen Verfahren, der Kalotypie oder auch Talbotypie, die statt Metalltafeln Papier verwendete und dem modernen Film näher kam, weil sie ein Negativbild erzeugte, mit dem man so viele Positivabzüge wie gewünscht erzeugen konnte. Damit bot die Kalotypie einen enormen Vorteil, auch wenn die Bildqualität hinter der Daguerreotypie zurückstand. Erfunden wurde sie vom Engländer Henry Fox Talbot (1800-1877), der hochwertiges Schreibpapier mit Silbernitrat und Natriumjodid beschichtete, gefolgt von einer Lösung aus Gallussäure und Silbernitrat, um das Papier lichtempfindlich zu machen. Nach der Belichtung wurde das Papier mit einer weiteren Anwendung dieser Lösung entwickelt. Nach dem Trocknen konnte man vom Papiernegativ Kontaktabzüge anfertigen. Der nächste wichtige Schritt in dieser Entwicklung war 1851 die Erfindung des Kollodiumverfahrens durch Frederick Scott Archer (1813-1857). Auch als Nassplatten-Verfahren bezeichnet, setzte es sich trotz der aufwändigen Vorbereitung der Platten schnell durch. Die Platten mussten zwar direkt vor der Aufnahme vorbereitet werden, dann waren jedoch Kurzbelichtungen von bis zu 10 s möglich. Diese hohe Empfindlichkeit erzielte der Fotograf, indem er auf die Platte Kolodium goss, eine natriumjodidhaltige Lösung, die Platte in verschiedene Winkel neigte, bis sich die Lösung gleichmäßig verteilte, und sie dann schnell in eine Silbernitratlösung tauchte. Weil die Empfindlichkeit verloren war, sobald das Kollodium trocknete, musste die Platte nass belichtet werden, ein großes Hindernis für die Arbeit vor Ort.
Bis in die 1870er Jahre hinein war eine Emulsion bestehend aus Gelatine und Silberbromid als trockener Ersatz für das Kollodium erfunden worden, schnell gingen die Platten in Massenproduktion. Zwar ist das voluminöse und zerbrechliche Glas inzwischen durch flexiblen Film ersetzt worden, die Schwarzweiß-Emulsion ist jedoch noch immer dieselbe: die lichtempfindlichen Kristalle, die Körnung, sind in eine Schicht Gelatine eingebettet. Ursprünglich bestand Film aus Zelluloid, wurde zwischendurch aus Nitro-Zellulose und Zellulose-Azetat hergestellt, bevor er heute aus äußerst stabilen synthetischen Polymeren gemacht wird. Welche Zusammensetzung man auch verwendete, durch den Film wurde es möglich, lange Emulsionsstreifen aufzurollen – die Grundlage für den Kinofilm, 35-mm- und Rollfilm.
DAGUERREOTYPIE
Eine einfache Daguerreotypie-Kamera aus Holz mit einem Fokusmechanismus, bei dem der hintere Plattenhalter weiter rückwärts verschoben werden kann (links).
KOLLODIUM
Ein Kollodium-Nassplatten-Set aus dem 19. Jahrhundert. Der gesamte Prozess, von der Beschichtung über die Belichtung bis hin zur Entwicklung, musste abgeschlossen sein, bevor die Platte austrocknete (rechts).
WIE FILM AUF LICHT REAGIERT
Der exakte Ablauf, nachdem ein Film Licht ausgesetzt war, ist komplex. Zuerst gibt das Licht Fotoelektronen ab, die sich mit Silberionen zu Silberatomen verbinden, die kleine unreine Flecken auf jedem Silberhalid-Kristall erzeugen. In diesem Stadium gibt es noch kein sichtbares Bild auf dem Film, das wird erst mithilfe eines chemischen Entwicklers erzeugt. Die Entwicklung schwärzt die belichteten Bereiche der Emulsion, indem sie die Silberhalide zu metallischem Silber reduziert – das ist dunkel. Jedes Korn wird entweder entwickelt (geschwärzt) oder nicht; Zwischenstufen für Grau gibt es nicht. Das Endergebnis mit verschiedenen Helligkeitsstufen im Negativ ist durch die Anzahl der belichteten Körner in einem kleinen Bereich des Films bedingt: wenn nur wenige belichtet wurden, entsteht ein Hellgrau, haben alle reagiert, wird der Film schwarz.
EINE MERKWÜRDIGE ANORDNUNG
Das Konzept eines Schnappschusses entwickelte sich erst viel später – vorher war das einfach unmöglich, weil der Aufbau einer Aufnahme so lange dauerte.
Die technische Geschichte des Films zwang die Fotografen mindestens die ersten hundert Jahre lang zur Schwarzweiß-Fotografie. Sie passten sich an, und die eigentlichen Einschränkungen wurden Qualitäten, die sich zur Kunst mauserten. Ein frühes Beispiel war der Umgang mit den Grenzen des orthochromatischen Films, der auf rote Lichtanteile so unempfindlich reagierte, dass ein blauer Himmel rein weiß wurde. Viele Fotografen versuchten, das zu umgehen, indem sie verschiedene Himmel mit Wolken hinzufügten (die ersten Möchtegern- Photoshoper). Einige jedoch, wie Timothy O’Sullivan, verwendeten den Weißraum im Sucher als geoemetrische Form in der Bildkomposition. John Szarkowski, von 1962 bis 1991 Director of Photography am MoMA, schrieb über ihn, er »akzeptierte den weißen Himmel und setzte ihn als Form an, mitten im Spannungsfeld zwischen dem optischen Horizont des Bildes und den Rändern der Platte«.
Ein späteres Beispiel für die kreative Nutzung des Unvermeidlichen war der Umgang mit der Körnung. Auf mikroskopischer Ebene besteht das Negativ aus Silberkörnern, die in der Emulsion schwimmen, und solange Negative mehrere Zoll groß waren, waren sie kaum zu sehen. Die Entwicklung hin zu Filmrollen für schnelles Fotografieren, vor allem die Erfindung der Leica, machten das Filmkorn sichtbar. Statt Kontaktabzügen wurde das Bild nun mit einer kleineren Kamera aufgenommen und in der Dunkelkammer vergrößert. Selbst auf normalen Abzügen war das Filmkorn zu sehen. Zeitschriften und anderen Verlegern gefiel das natürlich nicht, aber zunehmend setzte sich eine Ästhetik der Oberflächenkörnung, die wie Sand wirkte, durch – dem Bild wurde eine Struktur hinzugefügt, die aus dem Prozess selbst stammte. Ein Film, der Kodak Tri-X, war unter Bildreportern wegen seiner engen Körnung besonders beliebt.
Bis in die 1930er Jahre war Fotografie im Wesentlichen schwarzweiß. Die verschiedenen Bewegungen und Gegenbewegungen, wie Pictorialismus und Straight Photography, funktionierten in diesen Grenzen, jedoch nicht als Opposition zur Farbe. Vor-Kodak-Fotografen waren auch keineswegs farbenblind und benutzten stark gefärbte Filter, als man beim Fotografieren die Farben der Natur in Graustufen umsetzte. Aber erst als die Farbfotografie leicht und einfach zu bewerkstelligen war, begann die Idee von Schwarzweiß zu greifen. Nun konnte man etwas wählen, weil man es so wollte. Darum könnte man argumentieren, die bewusste Schwarzweiß-Fotografie begann 1935 mit der Erfindung des Kodachrome, des ersten praktischen Farbfilms. Es dauerte eine Weile, bis sich dieser Einfluss durchsetzte, aber bis in die 1970er Jahre hatte sich die Fotografie größtenteils gewandelt und Farbe wurde zur Norm.
FORM ENTSCHEIDET
Ein ausgewaschener Himmel und ein zugelaufener Vordergrund spielen keine Rolle, wenn sich das Bild auf die Form konzentriert.
Seit den 1960er Jahren bis zum Ende des Jahrtausends existierten Farb- und Schwarzweiß-Fotografie als Alternativen, wobei die Farbe zwar dominierte, Schwarzweiß jedoch weiterhin von Fotografen praktiziert wurde, die sich trotz der Popularität der Farbfotografie bewusst dafür entschieden hatten. Kaum jemand fotografierte beides. Bei der Fotografie auf Film traf man die Entscheidung, welche Rolle man in die Kamera einlegte – Farbe oder Schwarzweiß. Allein dafür war etwas Vorausplanung nötig, die man aus ästhetischen, häufig aber auch aus praktischen Gründen traf, wenn es um die Lichtqualität ging (Schwarzweißfilm konnte viel lichtempfindlicher gemacht werden als Farbfilm). Dahinter stand jedoch immer die persönliche Entscheidung, ob man sich als Schwarzweiß-Fotograf sah oder nicht. Das ganze Ethos der reinen und essenziellen Schwarzweiß-Fotografie gegen die krasse und gewöhnliche Farbfotografie begann sich bereits in den 60er und 70er Jahren herauszukristallisieren.
Das änderte sich völlig durch die Digitalfotografie, und der bei weitem größte Unterschied zwischen Sensor und Film besteht darin, dass aus derselben Aufnahme sowohl ein Schwarzweiß- als auch ein Farbfoto entstehen kann. Man muss vorher keine Entscheidung treffen, ob man lieber den Farb- oder den Schwarzweiß-Film in die Kamera legt.
All das führte zu einer veränderten Wahrnehmung von Schwarzweiß als Medium in der Fotografie. Oder anders formuliert: Es begann als Notwendigkeit, wurde als normal akzeptiert und nun, mit der vollen Auswahl an Farben (wirklich aller Farben) und den unbegrenzten Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung, ist es eine kreative Entscheidung geworden.
STRASSENSZENE
Mitten im Chaos einer geschäftigen Stadtszene entscheiden sich Street-Fotografen häufig für Schwarzweiß, um die Aufmerksamkeit auf feine Gesten zu lenken, die sonst übersehen würden.
Wenn Sie fotografieren, erfolgreich noch dazu, bringen Sie einiges in Einklang: Ihre Idee, Ihren Blickwinkel, Bildkomposition, Timing, – dazu noch etwas Glück, und wenn es der große Wurf werden soll, etwas Magie. Elliot Erwitt, dem zu diesem Thema immer die richtige Formulierung einfällt, sagte: »Gute Fotografie ist ziemlich interessant, sehr gute ist irr, bisweilen magisch … das hat mit dem bewussten Wollen oder Wünschen des Fotografen nichts zu tun.«
Später dann, bei der Nachbearbeitung, brauchen Sie weder viel Glück noch Magie. Das wollen Sie auch gar nicht. Die Zeiten sind vorbei, in denen das Bild in der Nachbearbeitung gemacht wurde. Stattdessen müssen Sie in der Lage sein, dem Bild gerecht zu werden, und das schreit nach dem logischen Ansatz. Sie brauchen einen Plan. Dabei ist es nicht das Schlechteste, in eine Zeit zurückzublicken, in der man das Finish einer Fotografie wirklich planen musste – zur Zeit der Schwarzweiß-Abzüge aus der Dunkelkammer. Alle High-End-Fotografen machten einen Plan, wie sie ein Negativ drucken würden, denn Abwedeln und Nachbelichten waren teuer. Den Plan machen sie noch immer, denn traditionelle Drucke werden für diesen Markt noch immer mit Silber-Druckern statt mit Inkjets angefertigt. Ein unbestrittener Meister der Dunkelkammer war Ansel Adams, und er schrieb auch lang und breit über dieses Thema. Sein Buch Das Positiv von 1982 ist nicht nur ein Klassiker unter den Fotoanleitungen, sondern für die aktuelle Schwarzweiß-Bildbearbeitung auch noch topaktuell. Eigentlich merkwürdig, denn darin geht es einzig und allein um die nasse Dunkelkammer und um keine der heutigen Technologien. Aber relevant bleibt es dennoch, denn es befasst sich mit den Grundlagen, wie man aus einer Aufnahme ein ausstellungswürdiges Foto macht. Adams wurde nicht müde zu betonen, dass es keinesfalls nur um Technik geht. Da gibt es »viel Spielraum für kreative Variation und subjektive Kontrolle« und der Prozess enthielt »endlose feinste Variationen, die mit dem Originalkonzept verbunden sind«.
Der Grund, warum Künstler wie Adams, die es ernst meinten, einen Plan machten – also einen physischen Plan auf Papier oder einem Arbeitsabzug –, war einfach: Die Uhr lief, buchstäblich, während das Papier auf der Staffelei unter dem Vergrößerer lag. Jedes Abwedeln und Nachbelichten musste innerhalb kürzester Zeit erledigt sein. In seinem Buch Das Positiv