Über das Buch:
Texas, 1896:
Abigail Kemp, eine pragmatische, entschlossene junge Frau, will nach dem Tod ihres Vaters die kleine Bäckerei in Honey Grove weiterführen. Als der Stadtrat ihr mitteilt, dass nur Männer als Geschäftseigentümer zugelassen sind, sucht Abigail fieberhaft nach einem Ausweg. Schnell hat sie eine kreative Lösung gefunden: Ein „Schein-Ehemann“ muss her! Also macht sie sich auf die Suche nach einem geeigneten Junggesellen. Ihre Wahl fällt auf den wortkargen Handwerker Zach Hamilton, der sich jedoch als längst nicht so formbar erweist wie Abigails Brotteig ...

Über die Autorin:
Karen Witemeyer liebt historische Romane mit Happy-End-Garantie und einer überzeugenden christlichen Botschaft. Nach dem Studium der Psychologie begann sie selbst mit dem Schreiben. Zusammen mit ihrem Mann und ihren drei Kindern lebt sie in Texas.

Kapitel 7

Zach hatte gerade seinen Hobel in der großen Werkzeugkiste unter der Werkbank verstaut, als Simeon mit einer zweiten Frau im Schlepptau auftauchte. Das Gesicht des Jungen glühte puterrot, als er das Mädchen durch die Halle führte und sie dabei so ehrfurchtsvoll anstarrte, dass es ein Wunder war, dass er nicht über seine Füße stolperte.

»Mr Zach. Ähm, hier ist noch eine Miss Kemp.«

Zach seufzte. Er hätte nicht gedacht, dass Abigail sich mit jemandem gegen ihn verbündete. Es sah ihr eigentlich gar nicht ähnlich, ihre Schwester vorzuschicken. Es sei denn …

Er verengte die Augen und musterte die blonde Frau mit dem vielen Haar und den fehlenden Grübchen. »Sie sind aber nicht hier, um mir das gleiche Angebot zu machen, oder? Denn meine Antwort ist immer noch Nein

Anstatt sich abschrecken zu lassen, lächelte sie ihn an. Dann wandte sie sich an den Jungen an ihrer Seite. »Danke, dass du mir den Weg gezeigt hast, Simeon.« Ihr Gesicht strahlte so hell, dass der Junge mit seiner übertriebenen Verbeugung fast vornübergefallen wäre. Rosalind griff in den Korb und zog einige Brötchen hervor. »Warum genießt du die nicht mit deinem Vater, während ich mit Mr Hamilton spreche.«

Simeon starrte sie nur an und machte keine Anstalten, nach dem Brot zu greifen.

Zach verdrehte die Augen. So würden sie nie vorankommen. Er riss Rosalind Kemp die Backwaren aus der Hand und drückte sie Simeon in die Arme, dann schubste er den Jungen in Richtung Ausgang. »Sag Reuben, dass ich hier alles abschließe«, sagte er, da er sichergehen wollte, dass der Kerl nicht zurückkam, um das Kemp-Mädchen weiter anzustarren.

Simeon nickte und seine Füße bewegten sich wie automatisch in die Richtung, in die Zach ihn geschoben hatte. Endlich war er durch das Tor verschwunden.

»Sehen Sie«, grummelte Zach, »ich weiß nicht, warum Ihre Schwester Sie geschickt hat, aber ...«

»Oh, Abigail weiß nicht, dass ich hier bin«, fiel Rosalind ihm ins Wort. Plötzlich war alle Freundlichkeit aus ihrem Gesicht gewichen und sie blickte sich hektisch um. »Ich habe nicht viel Zeit.«

Er verschränkte die Arme vor der Brust und versuchte, nicht allzu interessiert zu wirken. Hübsche Mädchen hatten ihre Tricks, um einen Mann um den Finger zu wickeln, bevor er es überhaupt merkte. Obwohl Abigails Schwester noch nie mit ihm geflirtet oder ihm irgendwelche Avancen gemacht hatte, mochte sie ihre Reize nutzen, um ihn zu manipulieren. Natürlich würde er das nicht zulassen. Er konnte die Wahrheit in den Gesichtern der Menschen lesen wie ein Prediger in der Bibel. Es hatte ihm einen Vorteil verschafft, bei dem bekanntesten Flussschiff-Spieler des Mississippi zu lernen: Er erkannte jeden Bluff auf eine Meile Entfernung.

»Ich höre.«

Sie stellte den Korb ab, dann trat sie näher an ihn heran und legte ihm eine Hand auf den Arm. »Sie müssen meine Schwester heiraten.«

Nun ja, sie kam wenigstens direkt zur Sache. Das musste man ihr zugutehalten.

»Um die Bäckerei zu retten, ja. Aber es gäbe auch noch andere Möglichkeiten. Ich weiß, dass ihr der Gedanke nicht gefällt, einen Geschäftspartner mit ins Boot zu holen, aber ...«

»Es geht um mehr als nur um die Bäckerei.« Rosalind biss sich auf die Unterlippe und schaute sich schnell um, bevor sie sich ihm wieder zuwandte. »Ich habe vor einer Weile etwas … getan. Etwas, von dem Abigail nichts ahnt. Etwas, das eine Kette an Ereignissen ausgelöst hat, die ich anscheinend nicht mehr aufhalten kann. Noch ist Abigail nicht in direkter Gefahr, aber es könnte passieren …« Wieder biss sie sich auf die Lippe.

Zach ahnte die unausgesprochenen Worte. Die Gefahr hatte Abigail noch nicht erreicht, aber Rosalind allemal. Genug, um sie in Panik zu versetzen.

»Wenn Sie Abigail nicht heiraten, wird sie Elmer Beekman bitten, ihr Mann zu werden und ich bin sicher, dass er Ja sagt. Er ist in fortgeschrittenem Alter und wird es sich nicht zweimal überlegen, so einfach an eine junge Frau zu kommen. Aber er ist ein Schwächling, Mr Hamilton. Er wird sie nicht beschützen können.« Ihre Hand schloss sich verzweifelt um seinen Arm. »Nicht vor dem Stadtrat. Und nicht vor … anderen Problemen.«

Elmer Beekman? Durch den wollte sie ihn ersetzen? Der Mann war eine Maus. Ruhig, fad und alt genug, um ihr Vater zu sein. Um Himmels willen! Sie konnte doch einen besseren Mann finden. Einen viel besseren. Und ihre Schwester hatte recht. Beekman wäre im Kampf gegen welche Probleme auch immer so nützlich wie eine nasse Zeitung.

Anspannung machte sich in Zachs Wirbelsäule breit und kroch ihm den Nacken hinauf. Er rollte den Kopf in den Nacken und versuchte, seine Schultermuskeln zu lockern, dann sah er das Mädchen vor sich wieder an. »Von welchen Problemen genau sprechen wir?«

Rosalind konnte ihm kaum in die Augen schauen. Nur langsam hob sie das Kinn, doch ihr Blick beeindruckte ihn. »Ich werde mit jemandem, der nicht zur Familie gehört, keine Details besprechen, aber ich schwöre, wenn Sie Abigail heiraten, sage ich Ihnen alles. Sie verdient es nicht, für meine Fehler zu bezahlen, doch ich fürchte, dass genau das geschehen wird, wenn niemand das Ruder in die Hand nimmt.«

Miss Kemp ließ ihn los und trat ein paar Schritte zurück. »Ich traue Elmer Beekman oder Clarence Ormandy nicht viel zu. Elmer würde ein Gebet sprechen und dann den Kopf in den Sand stecken. Und Clarence würde zu seiner Mutter laufen. Mrs Ormandy würde niemals ihre Reputation in der Stadt gefährden, um zwei skandalbehafteten Frauen zu helfen, selbst wenn ihr geliebter Sohn mit einer von ihnen verheiratet wäre. Sie würde wahrscheinlich eher ihren Einfluss geltend machen, um die Ehe annullieren zu lassen. Und obwohl ich an das Gebet glaube und diese Waffe auch jeden Tag nutze, bin ich der Überzeugung, dass es nicht schaden kann, einen großen Stein in der Schleuder zu haben, wenn man gegen einen Goliath antritt.«

Offenbar war er dieser große Stein.

Zach runzelte die Stirn. Elmer und Clarence waren wahrscheinlich die größten Weichlinge im ganzen County. Was dachte sich Abigail nur? Sie würden ihr in keinster Weise nützen.

Weshalb sie zuerst zu dir gekommen ist, Dummkopf.

Zach wandte Rosalind Kemp den Rücken zu und stemmte sich mit den Händen auf die Werkbank. Seine Finger umklammerten das Holz stärker als der Schraubstock, der dort montiert war.

Das war nicht seine Angelegenheit. Seine Knöchel wurden weiß. Nicht seine. Seine Schultern krümmten sich. Er ließ den Kopf sinken. Es war einfach nicht seine Angelegenheit. Er schloss die Augen.

Ein großer Fehler.

Denn sofort tauchten ungebetene Bilder vor seinem inneren Auge auf. Evie. Ein verzweifeltes kleines Mädchen von vier Jahren mit verschiedenfarbigen Augen, ungewollt von den Adoptivfamilien und auf der Suche nach dem Schutz und der Unterstützung eines älteren Bruders. Dann war da noch Seth. Vom Asthma geschlagen und schwach, unfähig, ohne seine Hilfe auch nur ein Jahr zu überleben. Sie waren damals auch nicht unbedingt Zachs Angelegenheit gewesen. Nicht bis Evies Bruder sein Leben gerettet und damit sein eigenes verloren hatte. Das Versprechen an einen sterbenden Jungen hatte Zachs Leben auf den Kopf gestellt und seine Zukunft verändert. Hatte ihn vom Einzelgänger zum Familienoberhaupt gemacht – und das mit dreizehn Jahren. Er war zu jung gewesen, um zu verstehen, welche Folgen es hatte, wenn andere von einem abhängig waren. Mit dreißig verstand er das alles viel besser. Vor allem auch seine eigenen Schwächen und Unzulänglichkeiten, mit denen er andere immer wieder enttäuschte. Doch was könnte eine größere Enttäuschung für Abigail sein als Elmer Beekman oder Clarence Ormandy?

Er schnaubte angewidert. Diese beiden würden nicht einmal einem Windhauch standhalten, wenn es hart auf hart kam, ganz zu schweigen von einem Sturm. Zach hatte Schwierigkeiten überstanden, die sich diese beiden zartbesaiteten Herren nicht einmal vorstellen konnten. Verwaist, bis aufs Blut schikaniert vom eigenen Großvater, verunglückt und dann auf sich allein gestellt mit zwei ebenfalls verwaisten Kindern, um die er sich kümmern musste – er, der er damals selbst noch ein Kind gewesen war. Doch seine Geschwister hatten nie Hunger gelitten. Hatten nie körperliche Schmerzen leiden müssen. Sie waren zu zwei erstaunlich normalen Persönlichkeiten herangewachsen trotz seiner oft rauen und unkonventionellen Methoden, weil sie wussten, dass er sie immer beschützen würde. Immer. Sie hatten sogar die Liebe fürs Leben gefunden. Das zählte doch etwas!

Was aber hatten Beekman und Ormandy vorzuweisen?

Nichts von Wert.

Trotzdem war das alles nicht seine Angelegenheit. Sosehr er die Kemp-Schwestern auch mochte – vor allem Abigail, wenn er ehrlich war –, ging ihn das alles nichts an. Doch andererseits, was würde geschehen, wenn er sie sich selbst überließ, zwei Lämmer im Angesicht von Wölfen?

Er hatte Dinge in seinem Leben getan, auf die er nicht stolz war – viele Dinge, Dinge, die ihn als Partner für Abigail Kemp disqualifizierten –, doch er hatte niemals zugelassen, dass unschuldigen Personen etwas zustieß, wenn er die Macht hatte, es zu verhindern. Und obwohl Abigail jemand Besseren als ihn verdiente, war er doch immer noch besser als Beekman oder Ormandy. Zumindest konnte er Schutz vor den Problemen bieten, die den Kemps ins Haus standen.

Und wenn Zach sich vorstellte, dass Abigail ihr Ehebett mit diesem ältlichen Weichling teilen musste …

Langsam wandte er sich um. Rosalind stand schweigend da, Hoffnung glitzerte in ihren Augen. Zach seufzte innerlich. Die Kleine brauchte einen großen Bruder. Sie war verletzlich, jung und hübsch. Sie erinnerte ihn an Evie.

Doch ihre Schwester? Das Letzte, was er für Abigail Kemp empfand, war brüderliche Zuneigung. Wenn er sie heiratete, mussten sie sich unbedingt noch einmal über gewisse Vorteile einer solchen Beziehung unterhalten. Denn nicht einmal ein Heiliger könnte eine Vernunftehe mit dieser Frau, die mit so viel Mut und Weiblichkeit gesegnet war, eingehen. Und Zach war alles andere als ein Heiliger.

»Also?«, wollte Rosalind wissen. »Werden Sie es tun? Werden Sie meine Schwester heiraten?«

»Ich sage noch nicht Ja. Ich muss mir noch einmal diesen Vertrag anschauen und ein paar, ähm, offene Fragen klären.«

Das alberne Mädchen warf sich an seine Brust und schlang die Arme um seine Taille, noch bevor er etwas dagegen unternehmen konnte. Sie erinnerte ihn von Minute zu Minute mehr an Evie.

»Oh, danke!« Sie küsste ihn auf die Wange und sprang dann zurück. »Das werden Sie nicht bereuen. Ich weiß es! Abigail ist der liebste Mensch auf der Welt. Ihr beide werdet ein tolles Paar sein. Das werden Sie noch sehen.«

Zach wich zurück. »Moment. Ich habe doch noch nichts versprochen. Ich habe nur gesagt, dass ich mir noch einmal den Vertrag anschauen werde.«

Ihr Lächeln trübte sich kein bisschen. »Sie werden sie heiraten. Das haben Sie schon entschieden. Ich kann es in Ihren Augen sehen. Sie bekommen nur ein wenig kalte Füße, weil Sie Ihr Junggesellendasein aufgeben müssen, aber glauben Sie mir, Sie werden viel mehr bekommen, als Sie zurücklassen.

Sein Junggesellendasein. Seine Freiheit. Die Freiheit, auf die er dreißig Jahre lang gewartet hatte. Der Gedanke, sie wieder aufzugeben, bescherte ihm weiche Knie. Er griff nach der Werkbank hinter sich. »Ich muss noch ein paar Tage über diese ganze Sache nachdenken.«

Sie schüttelte den Kopf. »Tut mir leid. Ich habe Ihnen schon mehr Zeit gelassen, als wir eigentlich haben. Wenn Abigail sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann zieht sie es auch durch. Ich habe ihr das Versprechen abgerungen, dass sie sich eine Tasse Tee macht und ihre Gedanken sortiert, bevor sie Mr Beekman ihren Antrag macht. Aber bestimmt ist sie schon auf dem Weg zur Pension. Wenn Sie sie nicht rechtzeitig aufhalten, war das alles hier umsonst.« Rosalind ergriff seine Hand. »Gehen Sie zu ihr, Mr Hamilton. Sofort. Bevor wir beide uns die schlimmsten Vorwürfe machen müssen.«

Zach ignorierte ihr Ziehen und wich keinen Millimeter. Er würde sich nicht in die Ehe treiben lassen, nicht einmal von einem süßen Mädchen, das ihn an seine Schwester erinnerte.

Aber diese Vorwürfe, von denen sie sprach … Er hatte ja schon eine beachtliche Sammlung davon angehäuft, die ihn immer wieder quälten. Da wäre es auch schon egal, wenn noch mehr dazukämen.

Das Bild von Elmer Beekman, der mit Abigail vor dem Traualtar stand, stieg vor seinem inneren Auge auf. Der glatzköpfige Alte, der sich zu ihr beugte und sie küsste …

Zach ballte die Fäuste und marschierte zum Tor.

Manche Dinge waren zu schlimm, als dass man einfach nur tatenlos danebenstehen und sie geschehen lassen konnte.

Kapitel 8

Die Vorhersehung musste Mitleid mit Abigail gehabt haben, denn sie traf schon auf der Straße vor seiner Pension auf Elmer Beekman, was ihr die Gelegenheit gab, ihm ihr Anliegen in relativer Privatsphäre vorzutragen und nicht drinnen im überhitzten Salon, wo all die anderen Gäste sie hätten belauschen können.

»Mr Beekman«, rief sie und verlängerte ihren Schritt, um ihn einzuholen. Als er sich umwandte, setzte sie ein Lächeln auf und winkte. »Sie habe ich gesucht! Kann ich kurz mit Ihnen reden?«

Er senkte das Kinn, als sie schließlich bei ihm stand. »Natürlich, Miss Kemp. Was kann ich für Sie tun?«

Der unangenehme Geruch seines Atems ließ im Laufe des Tages offensichtlich nicht nach. Schade. Sie hatte gehofft … Egal. Sie würde ihm Pfefferminz-Zahnpulver oder etwas Ähnliches geben. Dadurch würde sie sich jedenfalls nicht von ihrem Kurs abbringen lassen. Doch es wäre sicher weise, etwas mehr Abstand zwischen sich und ihren eventuellen Zukünftigen zu bringen.

Abigail lehnte sich leicht zurück, achtete jedoch darauf, ihr Lächeln beizubehalten. »Ich stecke in einer Zwangslage«, gab sie unumwunden zu, »doch Sie hätten die Möglichkeit, mich daraus zu befreien, Mr Beekman.«

Seine Augen wurden groß. »Ich?« Er wirkte bestürzt.

Sie sah Verwirrung in seinem Gesicht. Eigentlich hatte sie Heldenmut in ihm wecken wollen, nicht Angst.

Abigail ergriff trotzdem seinen Arm. »Machen Sie sich keine Sorgen. Es gibt keine Drachen zu erlegen. Ich brauche einfach nur Ihre Hilfe in einer ganz speziellen Angelegenheit.« Sie versuchte, so hilflos wie möglich zu schauen und senkte einmal sogar devot ihre Lider. Außergewöhnliche Zeiten erforderten außergewöhnliche Maßnahmen. »Gibt es einem Ort, an dem wir uns unterhalten könnten? Privat?«

Er blinzelte, als könne er immer noch nicht begreifen, was eine Frau von ihm wollte, doch schließlich schien sein freundliches Herz die Führung zu übernehmen. Er tätschelte ihre Hand, dann bot er ihr seinen Arm an. »Natürlich. Dort hinten steht eine Bank. Hinter der Eiche. Warum setzen wir uns nicht dorthin?«

»Wundervoll!« Abigail gestattete ihm, sie zu der schlanken Eiche zu führen, die an der Seite der Pension wuchs. Jemand hatte eine rechteckige Bank um den Stamm herumgebaut und so einen ruhigen Ort zum Reden oder Lesen geschaffen.

Sie schwang ihren Rock nach vorne, als sie sich setzte, und versuchte nicht darauf zu achten, wie sehr sich die Knöpfe an der Weste ihres Begleiters spannten, als auch er sich niederließ. Sie könnte ihm eine neue nähen, die ihm besser passte, die seine Statur betonte und nicht seine Körperfülle. Nun ja, Statur war vielleicht etwas beschönigend ausgedrückt. Tatsächlich war er sogar einen oder zwei Zentimeter kleiner als sie. Vielleicht konnte sie auch einfach den Saum etwas auslassen. Sie wusste aus erster Hand, wie unbequem Kleidung sein konnte, die nach Durchschnittsmaßen gefertigt war. Sie zwickte an den meisten Stellen und engte die Bewegungen ein. Zum Glück hatte sie eine Schwester, die wahre Wunder mit der Nadel bewirken konnte und die ihr beigebracht hatte, wie man Standardmaße auf den eigenen Körper anpasste. Abigail konnte Mr Beekman also auch etwas Gutes tun.

Nun, da sie eine neue Kameradschaft mit dem Mann an ihrer Seite verspürte, lächelte Abigail mit unverfälschter Wärme.

»Wie kann ich Ihnen helfen, Miss Kemp?« Seine braunen Augen hatten eine ganz besondere Weichheit, die ihr bisher noch nie aufgefallen war. Vielleicht, wenn sie sich auf diese Augen konzentrierte, während sie mit ihm redete …

Sie richtete die Tasche auf ihrem Schoß und zog die Papiere hervor. Jetzt konnte sie nur hoffen, dass er nicht sah, dass sie schon leicht zerknittert waren und dadurch erkannte, dass er bei ihrem ungewöhnlichen Anliegen nicht ihre erste Wahl gewesen war.

»Bestimmt wissen Sie noch gar nicht«, fing sie an, »dass der Stadtrat ein altes Gesetz wiederentdeckt hat, welches Frauen verbietet ...«

»Da sind Sie ja, Miss Kemp!« Ein Schatten fiel auf sie. Ein großer Schatten, dessen beeindruckende Statur ihr die Worte, die sie gerade hatte aussprechen wollen, im Halse stecken bleiben ließ. »Sie versuchen aber nicht gerade, meinen Vertrag einem anderen Mann zu geben, bevor ich die Chance habe, alle Details zu lesen? Das wäre unfair.«

»Mr H-Hamilton!« Elmer Beekman sprang auf und taumelte zurück, als seien die Papiere, nach denen der Holzarbeiter jetzt griff, ein Paar Revolver.

Abigail war empört und riss Zacharias den Vertrag aus den Händen. »Sie haben Ihren Standpunkt zu diesem Thema schon deutlich gemacht, Mr Hamilton.« Musste er denn wirklich so attraktiv und heldenhaft aussehen, wie er da so vor ihr stand? Da wirkte der arme Mr Beekman doch gleich wie eine graue Maus.

Eine Maus mit freundlichen braunen Augen, rief Abigail sich in Erinnerung, während sie aufsprang und sich an dem Felsen vorbeischob. Doch der wich keinen Zentimeter. So musste sie sich zwischen ihm und der Bank hindurchdrücken, um ihren zukünftigen Ehemann zu verfolgen. Denn eine Maus mit freundlichen braunen Augen war definitiv besser als ein Katzenjunges, das einen Luchs als Mutter hatte. Sie würde ihre Tage bestimmt nicht damit verbringen, Mrs Ormandys gewetzten Krallen und scharfen Zähnen auszuweichen. Den Atem anzuhalten, um nicht ohnmächtig zu werden, war da gewiss das kleinere der beiden Übel. Aber dieses kleinere Übel machte sich gerade aus dem Staub.

»Bitte, Mr Beekman, ignorieren Sie ihn. Ich brauche nur ein paar Minuten, um Ihnen mein Dilemma zu erklären.«

Doch er schüttelte den Kopf und zog sich immer weiter in Richtung der Pension zurück. »Es tut mir leid, Miss Kemp, aber ich glaube nicht, dass ich Ihnen wirklich behilflich sein kann. Mr Hamilton scheint mir in dem Fall der richtige Mann zu sein.« Er stolperte über einen leeren Milcheimer, der neben der Hintertür gestanden hatte. Das Blech schepperte laut in die angespannte Atmosphäre hinein. Elmer wurde knallrot, sprang förmlich auf den Türknauf zu und verschwand mit kaum mehr als einem angedeuteten Nicken eilig in der Pension.

Abigails Schultern sackten in sich zusammen, als sie ihre Hoffnung auf eine Heirat mit ihm dahinschwinden sah.

»Also, kann ich jetzt bitte den Vertrag sehen?«

Die tiefe Männerstimme versteifte ihre Wirbelsäule schneller, als Eis Butter erhärtete.

Sie wirbelte zu Zacharias herum und versteckte den Vertrag hinter ihrem Rücken. »Was machen Sie hier? War es noch nicht genug, mein Angebot auszuschlagen? Wollen Sie mich jetzt auch noch demütigen und verhindern, dass ein anderer mir zur Seite steht? Ich weiß, dass ich nicht die Art Frau bin, die Männer wie Sie bevorzugen, aber ich hätte Mr Beekman davon überzeugen können, dass eine Übereinkunft mit mir kein schlechtes Geschäft ist. Nur weil Sie nicht an mir interessiert sind, bedeutet das nicht, dass es kein Mann ist.«

Er stand dort wie der Felsen, der er war – mit versteinertem Gesicht, hart und unnahbar. Dann hob er eine Augenbraue. »Fertig?«

Abigail funkelte ihn böse an und wünschte sich, ihr würden noch mehr wütende Worte einfallen. Sie hob das Kinn. »Vorerst.«

»Gut.« Er trat einen Schritt vor, sodass er direkt vor ihr stand.

Sie musste den Kopf heben, um ihm ins Gesicht zu schauen, was sie jedoch sofort bedauerte. Seine blauen Augen funkelten unwillig, sodass sie sich fragte, ob es wirklich so klug gewesen war, sich mit ihm anzulegen.

»Erstens«, sagte er, »habe ich noch nie in meinem Leben eine Frau gedemütigt. Ein paar Frauen habe ich vielleicht Angst eingejagt, viele habe ich verärgert, aber noch nie habe ich eine Frau erniedrigt.«

Abigail runzelte die Stirn. Hatte er gerade zugegeben, Frauen geängstigt zu haben? Das passte nicht zu dem, was sie von ihm wusste. Natürlich auch nicht ihr Vorwurf, dass er sie hatte demütigen wollen. Nur weil sie sich so gefühlt hatte, hieß das nicht, dass er es wirklich darauf angelegt hatte.

»Zweitens, was soll dieser Unsinn, dass Sie nicht die Art Frau sind, für die ich mich interessiere? Was wissen Sie denn über mich? Sie sprechen von sich selbst, als wären sie eine Strafe oder ein Trostpreis. Jeder Mann, der erst von Ihrem Wert überzeugt werden muss, ist ein Idiot und Ihrer nicht wert.«

Abigail blinzelte. War das gerade ein Kompliment gewesen? Das war bei all seinem Knurren und Grummeln schwer zu sagen, aber ihr Herz tat dennoch einen erfreuten Satz. Auch ihr Puls beschleunigte sich zusehends.

»Und wo wir gerade von Männern reden, die Ihrer nicht wert sind: Wenn Elmer Beekman es nicht einmal schafft, bei einer freundlichen Diskussion seinen Mann zu stehen, wie soll er Sie da vor dem Stadtrat unterstützen? Er ist nicht der Richtige für Sie.«

»Sie aber auch nicht«, murmelte sie. »Das haben Sie vorhin sehr deutlich gemacht. Ich denke, Ihre Worte waren ›Ich bin nicht Ihr Mann‹.«

Seine Gesichtszüge entspannten sich und für einen Augenblick hatte sie das Gefühl, er würde erröten. »Tja, nun, da habe ich mich vielleicht etwas falsch ausgedrückt.«

Vielleicht etwas …? »Was genau wollen Sie damit sagen, Mr Hamilton?«

»Mein Name ist Zach.« Er rieb sich den Nacken und trat von einem Bein aufs andere. Dann stieß er den Atem aus – der nicht nach Zwiebeln und Knoblauch roch, wie sie erfreut feststellte – und sah ihr in die Augen. »Kann ich jetzt einen Blick auf den Vertrag werfen, den Sie hinter Ihrem Rücken verstecken, oder nicht?«

Mit zitternden Händen reichte Abigail ihm die Papiere. Er nahm sie und fing sofort an zu lesen. Seine Lippen bewegten sich dabei leicht, wie bei einem kleinen Jungen, der nicht sehr sicher im Lesen war. Diese Verletzlichkeit traf Abigail so unerwartet, dass sie selbst errötete.

Sie hatte keine Ahnung, warum Zacharias Hamilton seine Meinung geändert hatte oder wie er sie bei Mr Beekmans Pension gefunden hatte, doch sie war nicht so dumm, einem geschenkten Gaul ins Maul zu schauen. Er war hier. Las den Vertrag. Ließ sich nicht abschrecken. Wenn Gott das Rote Meer zu teilen und sein Volk hindurchzuschicken vermochte, konnte er ihr wohl auch einen verlässlichen Partner senden. Sie musste einfach nur weiter um ein Wunder beten.

Nachdem er auch die zweite Seite gelesen hatte, suchte Zach ihren Blick. »Da steht überhaupt nichts von … Gemeinschaft.«

Gemeinschaft? »Sie meinen meine Schwester?« Rosie war ihre einzige noch lebende Verwandte und noch nicht volljährig. »Sie würde natürlich in Gemeinschaft mit uns leben. Und weiter in der Bäckerei arbeiten.«

Er schüttelte den Kopf. »Nicht diese Art von Gemeinschaft.« Er räusperte sich. »Eheliche … Gemeinschaft.«

Eheliche …?

Oh.

Feuer entzündete sich auf Abigails Wangen. Sie war so mit ihrem Geschäft beschäftigt gewesen, dass sie über persönliche Aspekte dieser Heirat überhaupt nicht nachgedacht hatte. »Das, ähm, habe ich wohl nicht im Blick gehabt.«

»Tja, es ist aber meiner Meinung nach schon ein sehr wichtiger Bestandteil dieses … Arrangements. Also würde ich schon gerne wissen, worauf ich mich da einlasse.«

Gütiger Himmel. Worauf hatte sie sich da nur eingelassen … eheliche Verpflichtungen vertraglich festzulegen, mitten auf einer öffentlichen Straße!? Das war nicht gerade ein Thema, das Frauen überhaupt in den Mund nehmen sollten.

Doch sie konnte sein Anliegen auch nicht übergehen. So unangenehm es ihr auch war, war es doch völlig legitim. Und dass er seine Fragen und Wünsche von vornherein so direkt äußerte, sagte ihr, dass sie auch in Zukunft gut miteinander klarkommen würden. Kein Herumdrucksen und um den heißen Brei herumreden. Einfach ein pragmatisches, direktes Ansprechen fraglicher Themen. Damit konnte sie umgehen.

Abigail richtete sich auf. Das war nun ihre Chance, grundsätzliche Regeln aufzustellen, Grenzen, die ihre Mutter niemals hatte setzen können. »Ich bin in erster Linie Geschäftsfrau, Mr Hamilton. Unsere Absprache ist praktischer Natur.«

»Wenn wir also nur die praktische Seite betrachten, Miss Kemp«, unterbrach er sie, »müsste auch Ihnen klar sein, dass ein Mann nicht wie ein Eunuch mit einer Frau verheiratet sein kann, die so aussieht wie Sie.« Ihr weich und weiblich geformter Körper schien sein Gefallen zu finden, wenngleich sie sich selbst meist zu dick fühlte. Er fand sie wirklich attraktiv? Der Boden unter Abigails Füßen schien nachzugeben.

»Ich werde den Vertrag unterscheiben, wenn Sie dazu bereit sind, die eheliche Gemeinschaft mit in unseren Handel aufzunehmen.« Er wirkte unerbittlich, als er das sagte. In seiner Stimme schwang keine Romantik oder Sentimentalität mit. Aber sie war diejenige gewesen, die zuerst die praktische Natur dieses Geschäftes betont hatte. Es war ja nicht so, als würden sie einander umwerben.

Trotzdem konnte sie ihm bei diesem Aspekt ihres Handels nicht mit abgeklärter Sachlichkeit begegnen. Das fühlte sich … falsch an.

Außerdem hatte sie sich geschworen, die Fehler ihrer Mutter nicht zu wiederholen. Jetzt konnte sie noch Bedingungen verhandeln, um diesen Schwur aufrechtzuerhalten.

Abigail biss sich nachdenklich auf die Lippe. Die Bäckerei stand an erster Stelle. Ihr Lebensunterhalt. Ihre Leidenschaft. Der Schlüssel zu Rosies Zukunft. Vielleicht war es besser, Zacharias ihre Zustimmung zu geben. Die Details könnten sie dann später klären.

Doch Abigail verwarf diesen Gedanken ebenso schnell wieder, wie er ihr gekommen war. Sie respektierte Zach zu sehr, um ihn in eine lebenslange Verpflichtung zu locken, ohne dass sie vorher vollkommen ehrlich zueinander waren. Wenn er mit einer Vernunftehe zufrieden gewesen wäre, hätten die Dinge anders gelegen. Sie hätten einfach als Freunde leben können, hätten sich zu gemeinsamen Mahlzeiten und gesellschaftlichen Anlässen getroffen. Persönliches wäre außen vor geblieben. Doch dieser ideale Plan war wohl etwas naiv gewesen.

Zach schien den Vertrag unterschreiben zu wollen – würde seine Freiheit aufgeben, um ihre Bäckerei zu retten. Alles, was er dafür haben wollte, war eine echte Ehe. Das aber war das eine, von dem sie nicht sicher war, dass sie es ihm wirklich geben konnte. Sosehr sie die Bäckerei auch liebte, würde sie doch niemals vergessen, was mit ihrer Mutter geschehen war.

Sie musste es ihm erzählen, musste sich erklären. Wenn sie irgendeinen Kompromiss finden konnten, bekamen sie vielleicht beide, was sie wollten.

Abigail warf einen schnellen Blick auf die Bank und raffte allen Mut zusammen. Dann sah sie Zach fest an. »Können wir uns kurz setzen?«

Kapitel 9

Zach nickte und setzte sich auf die Bank. Während er für Evie gesorgt hatte, war ihm etwas sehr deutlich geworden: Frauen ging es viel besser, wenn sie einfach über Probleme reden konnten. Sie mussten sie nicht wirklich lösen; sie wollten einfach nur ihre Bedenken und Sorgen äußern und brauchten jemanden, der ihnen zuhörte. Ihm erschien das als Zeitverschwendung. Es war doch besser, eine Antwort zu bekommen und sich daran zu machen, Pläne umzusetzen, als immer und immer wieder dasselbe Thema durchzukauen. Doch momentan hatte er hier nicht das Sagen. Es war an Abigail, die Entscheidung zu treffen. Also spielte er nach ihren Regeln.

Denn die andere Lektion, die er von seiner kleinen Schwester gelernt hatte, war, dass er Geduld haben musste, um die Antwort zu bekommen, die er haben wollte. Frauen unter Druck zu setzen und eine schnelle Entscheidung zu verlangen, führte nur zu Wut und schürte Widerwillen. Da er wollte, dass Abigail ihn am Ende ihrer Unterhaltung noch mochte und auf seine Wünsche einging, musste er diesen Umweg gehen, seinen Mund halten und die Ohren öffnen.

Als sie so dicht neben ihm saß und ihre Beine sich wie zufällig berührten, hätte er am liebsten seinen Arm um ihre Schultern gelegt und sie an sich gezogen.

Das bestärkte ihn nur noch darin, dass eheliche Verpflichtungen auf jeden Fall ein fester Bestandteil ihres Handels sein mussten.

Sie wandte sie sich ihm zu und richtete ihre goldbraunen Augen auf ihn. Die Verletzlichkeit in ihrem Blick traf ihn bis ins Mark. Schmerz – alt, tief, unverarbeitet. Diese Art Schmerz kannte er. Am liebsten hätte er sie geschüttelt, damit sie endlich ihre Sorgen mit ihm teilte.

»Mein Vater hat sich immer einen Sohn gewünscht«, fing sie schließlich an. »Er hat mich und Rosie ignoriert, als wir klein waren, dann schließlich toleriert, als wir alt genug waren, um zu arbeiten.«

Der Mann schien ein Idiot gewesen zu sein.

»Meine Mutter starb, als ich vierzehn Jahre alt war.« Abigail hatte den Blick in den Schoß gesenkt, jetzt hob sie ihn aber langsam wieder. »Nach sieben Fehlgeburten.«

Zach zuckte zusammen.

»Nach der fünften Fehlgeburt hat der Arzt sie gewarnt, dass eine weitere Schwangerschaft sie umbringen könnte. Dass ihr Körper zu schwach wäre, um ein Kind auszutragen. Doch mein Vater wollte unbedingt einen Sohn haben, also haben sie es weiter versucht. Und sind immer wieder gescheitert. Die erste Totgeburt war ein Junge zwei Jahre nach mir. Dann kam Rosie. Dann sieben Schwangerschaften in zehn Jahren, von denen keine länger als bis zum fünften Monat währte.« Abigail reckte das Kinn und ballte die Hände zu Fäusten. »Mein Vater hat meine Mutter umgebracht und sie hat es zugelassen.«

Zach starrte auf seine Knie. Was sollte er dazu bloß sagen? Sollte er ihr versichern, dass er nicht das gleiche Monster war wie ihr Vater? Sollte er ihr sagen, dass sie sicher viel zäher war als ihre Mutter? Bei seinem Glück mit Frauen würde sie einen solchen Kommentar wohl eher als Beleidigung empfinden ...

Gab es nicht irgendeinen Spruch, dass selbst ein Narr weise wirkte, wenn er seine Zunge im Zaum hielt? Zach biss also die Zähne zusammen und überließ Abigail das Reden.

»Wenn wir also auch eheliche Verpflichtungen in unsere Vereinbarung mit aufnehmen«, sagte sie und sah ihn fest an, obwohl ihr dieses Thema sichtlich unangenehm war, »will ich ein paar grundsätzliche Regeln festlegen.«

Gut, sie hatte die Tür noch nicht vollständig geschlossen. Das war doch schon mal etwas.

»Welche Regeln schlagen Sie vor?« Er versuchte, so locker wie möglich zu wirken. Zach wollte nicht zu viel Verhandlungsstärke dadurch aufgeben, dass er sie spüren ließ, wie sehr er an dieser Verbindung interessiert war.

»Also, erst einmal würde ich Sie gerne besser kennenlernen, bevor wir … sehr vertraut miteinander werden.« Ihr Mut schien sie zu verlassen, denn sie senkte den Blick. »Aufgrund meiner geschäftlichen Probleme werfen wir uns direkt in die Ehe und übergehen die Zeit des Werbens. Aber ich will mich nicht fühlen wie eine Frau, die … die … die ihre Tugend für den Preis einer Bäckerei verkauft.« Ihre Stimme war nun kaum mehr als ein Flüstern. »Oder die man behandelt wie eine … eine …«

Prostituierte. Sie musste es nicht aussprechen. Zach wusste genau, was sie meinte. Und wenn er alleine gewesen wäre, hätte er mit aller Macht seine Faust gegen die Rückwand der Pension gerammt, um sich dafür zu bestrafen, dass er ihr auch nur eine Sekunde lang einen Grund gegeben hatte, sich so zu fühlen.

»Abigail«, sagte er fordernd und seine Stimme klang mürrischer, als er es beabsichtigt hatte, »sehen Sie mich an.«

Sie hob den Kopf und die Scham, die ihr ins Gesicht geschrieben stand, war für ihn schlimmer als alles, was sie ihm hätte vorwerfen können.

»Ich will nicht, dass Sie das Gefühl haben, ausgenutzt zu werden. Sollte das der Fall sein, dann müsste ich mich schämen und ganz gewiss nicht Sie.« Er schüttelte den Kopf und suchte nach den richtigen Worten, damit es ihr besser ging, doch ihm fiel nichts Vernünftiges ein. Also entschied er sich dazu, einfach offen zu sein. »Ich bin ein Mann«, bekundete er, »und Männer neigen dazu, eine Beziehung auch sehr von der körperlichen Seite her zu betrachten. Aber wenn wir diese Beziehung miteinander eingehen, sind wir Partner. In allen Belangen. Sie haben das Recht, Nein zu sagen, wann immer Ihnen danach ist, und ich werde es respektieren. Und wenn Sie eine engere Beziehung zu mir verschieben wollen, bis wir uns besser kennengelernt haben, gut. Aber ich muss Sie warnen, dass Sie nicht alles mögen werden, was Sie über mich erfahren.«

Da waren endlich wieder ihre Grübchen, die er schon viel zu lange nicht mehr gesehen hatte. »Tja, ich habe auch ein paar dunkle Flecken auf meiner weißen Weste.«

»Wirklich? Wo? Das kann ich mir nicht vorstellen!«

Er grinste, und das schüchterne Lächeln, das sie ihm schenkte, erwärmte sein Herz. Er konnte sich Schlimmeres im Leben vorstellen, als diese Frau zum Lächeln zu bringen.

Doch jetzt wurde er wieder ernst und kehrte zum Thema zurück. »Solange ich Ihr Versprechen habe, dass Sie einer ehelichen Gemeinschaft auch in körperlichen Belangen nicht ganz abgeneigt sind, würde ich diesen Vertrag unterschreiben.«

Höchstwahrscheinlich würde er sich noch den einen oder anderen Tipp bei Reuben holen müssen, wie man sich einer Frau gegenüber charmant verhielt. Der Mann hatte sechs Kinder. Er musste es wissen. Doch darum würde Zach sich später kümmern. Jetzt musste er Abigail erst einmal beruhigen und sie davon überzeugen, dass er sie nicht zu etwas zwingen würde, was sie nicht wollte.

Ihr Kinn wanderte wieder nach oben und sie sah ihn herausfordernd an. »Und was ist, wenn ich keine Kinder haben will – zumindest nicht sofort? Wenn ich mich erst einmal auf die Bäckerei konzentrieren will?«

Er wusste nicht genau, wie man eine Schwangerschaft verhindern konnte, aber auch darüber konnte man sich sicher informieren. »Ich denke, das liegt vor allem in Gottes Hand«, sagte er schließlich, »aber ich schwöre, dass ich keine Ansprüche haben werde, die Sie nicht bereit sind zu erfüllen.« Er seufzte und zuckte die Schultern. »Die Wahrheit ist, dass ich nie erwartet habe, Kinder zu bekommen. Ich hatte geplant, mein Leben alleine zu verbringen. Ich musste schon meine Geschwister großziehen und hatte nicht vor, diese Erfahrung noch einmal zu wiederholen.« Obwohl er den Gedanken, dass Abigail ein Kind von ihm unter dem Herzen tragen würde, mit einem Mal sehr schön fand. »Aber sollten wir doch ein oder zwei Kinder bekommen, werde ich alles dafür tun, dass Sie die Last nicht alleine schultern müssen.«

Sie beäugte ihn skeptisch. »Sie würden nicht erwarten, dass ich die Bäckerei aufgebe und daheim bei den Kindern bleibe?«

Hatte er nicht gerade gesagt, dass sie gleichberechtigte Partner sein würden? Zach musste seinen Unwillen niederkämpfen und versuchte sich in Erinnerung zu rufen, dass Abigail als Vergleich nur einen Mann vor Augen hatte, der nie auf die Wünsche, Träume und das gesundheitliche Wohl seiner Frau Rücksicht genommen hatte.

»Sehen Sie … Kinder großzuziehen ist zeitraubende, harte Arbeit. Ich weiß das. Ich habe es schon erlebt. Mit Säuglingen und Kleinkindern stelle ich es mir noch viel schwieriger vor. Ob Sie nun eine Bäckerei führen oder nicht, ich würde Ihnen niemals die Lasten alleine aufbürden. Wenn ich sage, dass wir Partner sind, meine ich es auch so. Wir teilen uns die Verantwortung für die Familie. Es ist offensichtlich, dass Ihnen die Bäckerei sehr am Herzen liegt. Ich würde nicht von Ihnen verlangen, dass Sie sie aufgeben, nur weil ein paar kleine Schreihälse auf den Plan treten. Was ich aber tun würde, ist, nach Möglichkeiten zu suchen, Sie zu unterstützen. Reuben nimmt die Kinder einen Morgen in der Woche mit an die Arbeit. So eine Arbeitsteilung könnten wir auch versuchen. Vielleicht könnten wir eine Art Laufstall in der Backstube aufbauen, wenn die Kleinen bei Ihnen sind. Wir könnten auch ein Kindermädchen anstellen, wenn Sie mehr Zeit zum Arbeiten brauchen. Sie wissen schon, wegen all des Geldes, das ich spare, wenn ich bei Ihnen einziehe ...«

Das brachte ihm ein weiteres Lächeln ein und Zach atmete erleichtert auf. Dann runzelte sie die Stirn. »Sie haben Ihre Geschwister großgezogen?«

»Adoptivgeschwister, ja.« Irgendetwas trieb ihn dazu, die Familienverhältnisse noch etwas genauer zu erklären. »Also, Seth hat sich meistens um Evie gekümmert. Ich habe dafür gesorgt, dass ihre Bäuche voll sind und sie ein Dach über dem Kopf haben.«

»Wo sind sie jetzt?« Sie wirkte besorgt. Vielleicht fragte sie sich, ob er sie von irgendeiner Klippe geworfen hatte.

»Pecan Gap. Evie hat letztes Jahr geheiratet. Seth auch. Sie leben auf benachbarten Farmen.«

Sie zog die Stirn kraus. »Aber wie können die beiden schon erwachsen sein? Sie selbst sind doch auch noch nicht …«

Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Ich habe früh angefangen. Aber das ist eine andere Geschichte.«

Die er hoffentlich sehr viel später erzählen würde. Oder nie, wenn es nach ihm ginge. Denn dann würde auch zur Sprache kommen, auf welche Weise er es geschafft hatte, für die genannten vollen Bäuche und das Dach über dem Kopf zu sorgen. Und er wollte nicht, dass Abigail etwas von seiner dunklen Vergangenheit mitbekam. Es war besser, sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren.

»Wenn es für Sie in Ordnung ist«, sagte er, »würde ich den Vertrag mitnehmen und noch ein wenig darüber nachdenken.« Und vor allem zu Gott beten, obwohl die Beziehung zwischen ihm und dem Allmächtigen immer noch auf recht wackeligen Füßen stand. »Sie müssen sich wahrscheinlich auch noch Gedanken über den Vertrag machen, nachdem Sie von meinen Wünschen erfahren haben. Ich würde sagen, ich komme morgen früh in die Bäckerei, bevor Sie öffnen. Dann können wir in Ruhe den Vertrag abschließen, wenn wir uns einig sind.«

Sie blinzelte – zweimal. »Verstehe ich das richtig, dass sie mein Angebot wirklich annehmen wollen?«

War sie in den letzten zwanzig Minuten irgendwo anders gewesen? Er hob eine Augenbraue. »Ich dachte, ich hätte mich deutlich ausgedrückt. Wollen Sie es mir vielleicht ausreden?«

»Nein!« Sie schüttelte den Kopf so heftig, dass es ihn mit Stolz erfüllte.

Es war wirklich schön, die erste Wahl einer Frau zu sein, auch wenn er selbst nie geplant hatte zu heiraten. Allerdings … wenn man die anderen Kandidaten auf ihrer Liste – Beekman und Ormandy – in Betracht zog, dann war es wiederum doch kein so großes Kompliment.

»Gut.« Er steckte den Vertrag in seinen Hosenbund. Dann erhob er sich und bot ihr die Hand an, um ihr aufzuhelfen. Er hatte das Gefühl, dass ein wahrer Gentleman jetzt so etwas tun würde. Natürlich war er kein Gentleman, doch wenn sie tatsächlich seine Frau werden würde, musste er sich ein wenig ins Zeug legen.

Außerdem hatte er mittlerweile mindestens vier Augenpaare entdeckt, die sie durch das Fenster der Pensionsküche hindurch beobachteten. Und er würde niemandem einen Anlass bieten, sich über irgendwelche unangemessenen Verhaltensweisen aufzuregen.

Abigails Hand legte sich in seine und er schloss seine Finger um die ihren. Sie hatte einen festen Griff, doch die Berührung war alles andere als ein herkömmlicher Handschlag. Seine Haut erwärmte sich, wo sie ihn berührte. Es war ein Gefühl, das ihm nicht sehr vertraut, aber auch nicht unangenehm war. Er vermutete, dass er sich daran gewöhnen würde.

Er führte sie so von der Pension weg, dass sie die heimlichen Beobachter nicht bemerken würde.

»Ich denke, dann sehen wir uns morgen?«, sagte sie, als sie ihre Hand aus der seinen nahm und ihren Rock glatt strich.

»Ja, Ma’am.« Zach nickte und versuchte sich selbst davon zu überzeugen, dass der Gedanke, seine Freiheit aufzugeben, ihm nicht doch Angst machte. »In aller Frühe.«

Ihre Lippen wölbten sich zu einem Lächeln, dann nickte sie ihm noch einmal zu und er sah ihr hinterher, wie sie in Richtung Bäckerei davonging.

Vielleicht hätte er den Vertrag unterscheiben sollen, ohne sich Zeit zu geben, über die Konsequenzen nachzudenken. Aber nein. Wenn er sich an eine Frau binden sollte, musste er sichergehen, dass er unter dem Joch nicht zusammenbrach.

Noch hatte er seine Freiheit. Er konnte diesen Pfad weitergehen. Wenn er sich allerdings für Abigail entschied, gab es kein Zurück mehr. Kein Jammern und Bereuen. Keine Bedauern, dass ihm seine Flügel gestutzt waren und er seine Ungebundenheit verloren hatte. Es wäre ganz alleine seine Entscheidung und er würde das Beste daraus machen – wie er es schon sein ganzes Leben lang getan hatte.

Zach warf einen kurzen Blick zum Himmel, bevor er nach Hause trottete.

Du kannst mich einfach nicht in Ruhe lassen, was? Ständig hängst du mir Familie ans Bein, obwohl du weißt, dass ich es immer wieder vermassle. Ich hatte gehofft, irgendwann würdest du daraus lernen.

Anscheinend nicht.

Zach seufzte und wandte den Blick nach Süden. War es zu spät, das Schiff nach England zu nehmen, um die Queen zu sehen?