RUDOLF MARIA BERGMANN

 

 

 

 

BAUSÜDEN

 

 

Architektur und Denkmalpflege in Bayern

Texte aus zwei Jahrzehnten

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2018

IMPRESSUM

 

 

Bausüden

Architektur und Denkmalpflege in Bayern. Texte aus zwei Jahrzehnten

Von Rudolf Maria Bergmann

 

Originalausgabe

1. Auflage

ISBN: 978-3-7427-4594-1

 

© 2018 by Rudolf Maria Bergmann

 

Die versammelten Texte erschienen zwischen 1995 und 2013 in Fachzeitschriften und überregionalen deutschen Tageszeitungen.

 

Der Autor:

Journalist und Publizist, schreibt über Architektur, Kunst und Reisen. Zahlreiche Veröffentlichung, u.a. in: AIT, Baumeister, Bauwelt, Bayerische Staatszeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau, Goethe-Institut Inter Nationes, Häuser, kompass. Soldat in Kirche und Welt, Neue Zürcher Zeitung, Rheinischer Merkur, Der Tagesspiegel, Telepolis, Der Standard, Süddeutsche Zeitung, Zeitschrift für Gottesdienst und Predigt. Verfasser von Baudokumentationen und Baumonografien, Kunstführern, kunstwissenschaftlichen Publikationen. Beiträge in Anthologien und Jahrbüchern, Sachbuchautor.

 

 

Umschlaggestaltung, Illustration: Rudolf Maria Bergmann

Bildnachweis/copyright: Geroldshausen: Architekturbüro Bruckner, Würzburg. München, Allianz-Arena, BuGa: Nagy / Presseamt München. München-Riem, Friedhof: Robert Dreher, Städtische Friedhöfe München. Alle übrigen Fotos: Rudolf Maria Bergmann.

 

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet abrufbar über http://dnb.d-nb.de.

INHALT

 

 

BAD WINDSHEIM

Privates Glück in Serie

Ein Fertighaus der Nachkriegszeit im Fränkischen Freilandmuseum

 

BIRKENFELD – NEUSTADT/AISCH

Geschichte und Denkmal pflegen

Zur Instandsetzung der ehemaligen Klosterkirche Birkenfeld

 

COBURG

Transparente Veste

Neues Verwaltungsgebäude der HUK-Coburg

Architekten: HPP Hentrich-Petschnigg & Partner, Düsseldorf

 

EICHSTÄTT

Im Kleinen groß

Zu einem neuen Atelierhaus in einer alten Stadt

Architekten: Diezinger & Kramer, Eichstätt

 

EICHSTÄTT

Eichstätt baut aus Tradition modern

BDA-Preis Bayern 1997 für Diözesanbaumeister Karl Frey

 

EICHSTÄTT

Gratwanderungen. Bauen im historischen Bestand einer barocken Residenzstadt

Zum 80. Geburtstag des Architekten Karljosef Schattner

 

EICHSTÄTT

Umhegte Weite. Schneeräume

Ein einzigartiger Ort in diesen Wintertagen: der Eichstätter Residenzplatz

 

FRÄNKISCHE LANDSYNAGOGEN

Erinnerung, Geschichte, Gegenwart

Schicksale von Synagogen in der Provinz seit 1945

 

FÜSSEN

Der nächste Schwan kommt um halb acht

In Füssen entsteht das „König-Ludwig-Musical-Theater“

 

GEREUTH - UNTERMERZBACH

Einstürzende Altbauten

In den Haßbergen verfällt ein bedeutendes Renaissanceschloss

 

GEROLDSHAUSEN

Lakonie im Ländlichen

Über ein ungewöhnliches Bauernhaus des Architekten Bruno Bruckner

Architekten: Architekturbüro Bruno Bruckner, Würzburg

 

HOHENSCHWANGAU

Neues Schloss für Hohenschwangau

Der Wittelsbacher Ausgleichsfond erzählt im eigenen Museum seine Geschichte der Dynastie

Architekten: Staab Architekten, Berlin

 

ILLESHEIM

Vom Traumschloss zum Albtraum

Schwierige Instandsetzung von Schloss Illesheim im Aischgrund

 

INGOLSTADT

Neues Lern- und Ausbildungszentrum der Lebenshilfe Werkstätten

Architekten: Diezinger & Kramer, Eichstätt

 

INGOLSTADT

Umbau und Erweiterung des ehemaligen Jesuitenkollegs

Architekten: Karl Frey, Diözesanbauamt Eichstätt

 

INGOLSTADT

Pionier in Ingolstadt

Neubau einer Sporthalle am gotischen Liebfrauenmünster

Architekten: Karl Frey, Diözesanbauamt Eichstätt

 

KÖSCHING

Für das Leben lernen

Anmerkungen zur neuen Staatlichen Realschule Kösching

Architekten: Herle & Herrle, Neuburg an der Donau

 

MÜNCHEN

Betörende Lichträume, fanatische Geometrie

In München wird am 16. September die Pinakothek der Moderne eröffnet

Architekten: Stephan Braunfels Architekten, München

 

MÜNCHEN

„Kurz alles, nur keine Architektur“

Hans Döllgast und seine Rettung der Alten Pinakothek. Zur Wiedereröffnung vor vierzig Jahren

 

MÜNCHEN - RIEM

Eden in Riem

Bundesgartenschau, Messestadt und das Wohnen im Grünen

Architekten: Herzog & de Meuron, Basel

 

MÜNCHEN - FRÖTTMANING

Die Welt zu Gast und unter Generalverdacht

Offene Fragen um die Überwachungstechnik in Münchens neuer Fußballarena

 

MÜNCHEN - RIEM

Der Bau, der Architekt, die Partei und ihr Kreuz

Neue Aussegnungshalle am Friedhof Riem

Architekten: Meck Architekten, München

 

NEUBURG AN DER DONAU

Passagen in unvertrauter Bescheidenheit

Neue Promenade am Donauufer in Neuburg

Architekten: Herle & Herrle, Neuburg an der Donau

 

NÜRNBERG

Stadt der Reichsparteitage und Menschenrechte

Zur Eröffnung des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände

Architekten: Günter Domenig, Graz

 

NÜRNBERG

Moderne im Lebkuchenland

Das neue „Staatliche Museum für Kunst und Design in Nürnberg“

Architekten: Staab Architekten, Berlin

 

NÜRNBERG

Aus für Gottes Haus

Der Kreuzkirche im Stadtteil Schweinau droht der Abriss

 

OCHSENFURT

Neues Pfarrzentrum in Ochsenfurt

Die katholische Kirchenstiftung hat sich für ein mutiges Projekt entschieden

Architekten: Lederer, Ragnarsdóttir, Oei, Stuttgart

 

PASSAU

Bauszenen aus Niederbayern

Der Varieteekünstler André Heller als Architekt in Passau

 

POTTENSTEIN

Geht ein Baudenkmal baden?

Dem Felsenfreibad Pottenstein droht der Abriss

 

ROTHENBURG OB DER TAUBER

Die Natur verachtet das Unnötige

Zu Bauten von Günter Behnisch in Rothenburg ob der Tauber

Architekten: Behnisch & Partner, Stuttgart

 

RUFFENHOFEN

Spirale in die Vergangenheit

Neues Limes-Museum im mittelfränkischen Ruffenhofen

Architekten: Karl + Probst, München

 

SCHWEINFURT

Schweinfurt? Schweinfurt!

Das „Museum Georg Schäfer“ eröffnet am 23. September

Architekten: Staab Architekten, Berlin

 

SCHWEINFURT

Weg mit der Moderne

In Schweinfurt wird ein bedeutender Bau der Neuen Sachlichkeit abgerissen

 

THALMÄSSING

Baukunstwerk für die Diaspora

Fertigstellung eines Pfarr- und Jugendheims in Thalmässing

Architekten: Meck Architekten, München

 

UFFENHEIM

Uffenheim ist überall

Der Umgang mit einer barocken Vorstadt entsetzt Denkmalschützer – ist aber kein Einzelfall

 

WASSERTRÜDINGEN

Alles fließt

Neues Museum „Fluvius“

Architekten: Holzinger Eberl Architekten, Ansbach

 

WEISSENBURG

Instandsetzung der Wülzburg

Abschluss eines fünfjährigen Sanierungsprogramms der Renaissancefestung

 

WEMDING

Architektur als Signatur der Existenz

Zum Weiterbau des Karmels „Maria, Mutter des Erlösers“

Architekten: Karl Frey, Diözesanbauamt Eichstätt

 

WÜRZBURG

Katholisch bauen

Umstrittene Pläne des kirchlichen Bauträgers SBW in Würzburg

 

WÜRZBURG

Einmal Fensterputzen für 350.000 Euro

Erhebliche Planungsmängel am Kulturspeicher in Würzburg

Architekten: Brückner & Brückner Architekten, Tirschenreuth, Würzburg

 

WÜRZBURG

Würzburg ganz oben

Neues Bauen im weltberühmten Steinberg

Architekten: mayarchitekten, Würzburg

BAD WINDSHEIM

Privates Glück in Serie

Ein Fertighaus der Nachkriegszeit im Fränkischen Freilandmuseum

 

Zu den linken Architekturträumen der Moderne gehört das massenhaft produzierte Heim vom Fließband fürs gemeine Volk. In der musealen Gesellschaft von regional ganz unterschiedlichen und individuell gestalteten Häusern rechnet man damit am wenigsten. Allerdings wurde das Fertighaus aus Stahl der Firma M.A.N. im Jahr 1949 nicht etwa in der Stadt, sondern in einem Weiler im Nürnberger Reichswald aufgestellt.

 

Nach dem Krieg musste der Rüstungsbetrieb neue Geschäftsbereiche erschließen und setzte wegen des erheblichen Mangels an Wohnraum auf eine Fertighausproduktion, gedacht für die Vorstädte und die ländliche Peripherie. Insofern ist das kompakte Stahlhaus aus Nerreth (Lkr. Roth), als Prototyp produziert von 1946 bis 1948, ein Dokument für den Beginn der Veränderung des ländlichen Raums: Pendler erfüllen sich den Traum vom Wohnen im Grünen in Häusern von der Stange. Gleichzeitig ist das ursprünglich voll unterkellerte Haus, bei dem Wand- und Dachelemente aus Stahl vorgefertigt und vor Ort miteinander verschraubt wurden, ein Stück Architekturgeschichte. Die M.A.N. griff dabei auf ihre Fertighausproduktion der zwanziger Jahre zurück. Damals hatte die Bauweise Hochkonjunktur.

 

Die Anfänge des Fertighauses liegen allerdings im 18. Jahrhundert; die Entwicklung verlief parallel zur industriellen Revolution. Die Vorfertigung, seinerzeit für Lazarette entwickelt, erlebte während der Gründerzeit den ersten Höhepunkt in den so genannten „Schweizerhäusern“. Der erste Stararchitekt, der sich mit dem Bausatz-Prinzip beschäftigte, war Frank Lloyd Wright. Bis zum Ersten Weltkrieg entwarf er für eine Großtischlerei neunhundert Varianten des „American Home“. Bald las sich die Liste der Baukünstler, die dem Pionier Wright folgten, wie das Who’s who der klassischen Moderne: Adolf Loos, Le Corbusier, Jean Prouvé, Charles und Ray Eames, Buckminster Fuller, Richard Neutra, Eero Saarinen, Hans Poelzig. Nach dem Zweiten Weltkrieg bemühten sich Hersteller, Architekten, Banken, Medien und sogar Politiker intensiv um das Fertigheim. Die Versandhäuser Quelle und Neckermann hatten es im Angebot. Im Jahr 1958 war es ein Schwerpunkt der Weltausstellung in Brüssel. Keinem Fertighaus glückte allerdings jemals die Stilbildung. Schon vom „Packaged House“, das sich Konrad Wachsmann und Walter Gropius 1942 patentieren ließen, verbreitete sich nur das Modulprinzip. Das Design dagegen war ein derartiger Ladenhüter, dass der Hersteller 1952 Konkurs anmelden musste.

 

Der Stahlbau-Fertighaus-Produktion der M.A.N. erging es wenig besser. Von 1946 an wurden zunächst verschiedene Prototypen hergestellt. Das Stahlhaus aus Nerreth diente dabei auch als Musterhaus. Zwischen 1949 und 1953 produzierte man etwa 230 Häuser serienmäßig und verkaufte sie hauptsächlich im Umfeld der M.A.N.-Niederlassungen in Augsburg, Nürnberg und im Ruhrgebiet, aber auch im europäischen Ausland und in Übersee.

 

Die Atmosphäre des eingeschossigen Hauses mit flach geneigtem Satteldach, Grundfläche acht mal zehn Meter, ist durch und durch geprägt vom sachlichen Duktus der architektonischen Moderne. Küche und Bad liegen nebeneinander, getrennt von einer stählernen Installationswand, in der Brauch- und Abwasserleitungen verlaufen. Wandschränke bilden die übrigen Innenwände. Für die rationale Organisation der Küche diente die berühmte „Frankfurter Küche“ (1926) von Margarete Schütte-Lihotzky als Vorbild. Das Raumangebot mit einem Zimmer gegenüber der Küche, Badezimmer mit Wanne, einem kombinierten Eß- und Arbeitszimmer, Schlafzimmer und dem Wohnzimmer mit Zugang zum Garten lag deutlich über dem damals übrigen Standard. Trotzdem konnten sich die Stahl-Fertighäuser nicht durchsetzen; die Serienproduktion wurde 1953 eingestellt. Sie erinnerten wohl doch zu sehr an die Baracken des amerikanischen Militärs, die tausenden deutschen Kriegsgefangenen als Unterkunft dienten und an die hölzernen Behelfsbauten für die Vertriebenen. Das Haus in Nerreth wurde 2005 abgetragen. Beim Wiederaufbau im Freilandmuseum erfolgte der teilweise Rückbau im Innern auf den baulichen Zustand von 1949. In Deutschland gibt es heute noch etwa vierzig Stahlhäuser der M.A.N. Einige stehen unter Denkmalschutz.

 

[04.2012]

 

BIRKENFELD – NEUSTADT/AISCH

Geschichte und Denkmal pflegen

Zur Instandsetzung der ehemaligen Klosterkirche Birkenfeld

 

Unterwegs nach Bad Windsheim kann man kurz hinter Neustadt an der Aisch den mächtigen Vierkanter im Dorf Birkenfeld nicht übersehen. Das ehemalige Zisterzienserinnenstift gehört zu den wenigen mittelalterlichen Klöstern in Bayern, die ein gewalttätiger Barock nicht überformte, weil es schon während der Reformation aufgelöst wurde. Über die Jahrhunderte erfuhren die Gebäude schwere Schäden und wechselnde Nutzungen. Nach dem Dreißigjährigen Krieg wurde die Kirche aus dem 14. Jahrhundert repariert, dabei eine Trennwand eingezogen: Der östliche Teil erhielt Emporen und ist seither evangelische Pfarrkirche. Der längere westliche Teil mit einer Nonnenempore über der Unterkirche diente landwirtschaftlichen Zwecken. Dieser eindrucksvolle dreischiffige Raum musste sogar als Kuhstall herhalten.

 

Heute gehört der profanierte Bereich der Stadt Neustadt. Die anderen Klostergebäude des Gevierts mit Seitenlängen von etwa 35 Metern, im Kern ebenfalls mittelalterlich, gehören Privateigentümern und erfuhren teils drastische Umbauten. Das Dormitorium hingegen, heute eine Scheune, bewahrt den überwältigenden Raumeindruck mittelalterlicher Bettelordensarchitektur, wie insgesamt die geschlossene Anlage ein Bild des Klosters aus der Gründungszeit gibt. Dabei haben sich den Mauern die Bedrängnisse der Jahrhunderte wie Sorgenfalten in ein vom Alter gegerbten Gesicht eingegraben. Allerdings verlor die heutige Kirche bei den Restaurierungen der 1970er und 1980er Jahre viel historische Substanz, indem verwitternde Schilfsandsteinblöcke der Fassaden durch fehlfarbenes neues Material ersetzt wurden.

 

In den neunziger Jahren führten neu entwickelte konservierende Instandsetzungsmaßnahmen bei der Restaurierung von Südfassade und Westgiebel zu deutlich überzeugenderen Resultaten. Bei der Sanierung der Unterkirche und der Nordfassade ab 2008 wurde dann erstmals nach dem Grundsatz verfahren, alle bauhistorischen Spuren der Jahrhunderte gleichwertig zu behandeln und zu bewahren. In der Unterkirche entfernte man lediglich die Einbauten des 20. Jahrhunderts, um den kreuzrippengewölbten siebenjochigen Raum wieder erlebbar zu machen, ohne schadhafte Steine und fehlende Steinrippen zu ersetzen. Außerdem verzichtete man auf die Rekonstruktion einer einheitlichen Raumfassung, um nicht mit den Alterungsspuren den sichtbaren Gang der Zeitläufte zu übertünchen. Obwohl der Raum für Veranstaltungen genutzt wird, erhielt er statt aufwändiger technischer Installationen, die ohne Eingriffe in die Substanz nicht möglich wären, lediglich einen Stampflehmboden und winddichte Fensterverschlüsse. Mittlerweile zeigt sich, dass auch so einfache Maßnahmen ein stabiles Raumklima gewährleisten.

 

Einher ging damit allerdings der Entschluss der Stadt Neustadt als Eigentümerin, auf eine intensive Nutzung der großartigen gotischen Halle zu verzichten. Für eine neoliberale Gesellschaft, in der noch das unscheinbarste Baudenkmal „in Wert gesetzt“ werden und „sich rechnen“ soll, ist das eine kluge und vorausschauende Entscheidung, weil sie auch nachfolgende Generationen einschließt. Das passt auch zu einer Sanierung, die der ganzen Geschichte des Denkmals Respekt zollt.

 

Üblicherweise diagnostizieren Bauforscher ja penibel möglichst alle „Veränderungsphasen“ eines Gebäudes auf der Suche nach der vermeintlich ursprünglichen äußeren und inneren Gestalt und originaler Bausubstanz. Selten ist dabei aber das hypothetisch postulierte Original wirklich dingfest zu machen. Dann stellt sich bei der „denkmalgerechten“ Sanierung die Frage, an welchem Punkt man die Zäsur setzt und die Geschichte des Baudenkmals einfriert. Damit wird zwar ein Teil der Historie konserviert, anderes aus der Biografie geht aber verloren. Für eine einheitliche Raumfassung werden schließlich verlorene Oberflächen rekonstruiert, deren Makellosigkeit dann die Auffrischung gealterter Partien nach sich zieht, um Dissonanzen im Gesamteindruck zu vermeiden. Schließlich erlebt man alterslose Räume, die ähnlich gekünstelt wirken wie geliftete Körper.

 

Im Aischgrund ist dagegen endlich einmal ein Baudenkmal zu besichtigen, das nach der Sanierung nicht aussieht wie sein eigener Klon. Gerade durch das Belassen der Spuren aus allen Jahrhunderten wirkt die Architektur so nahbar und aufrichtig. Zu dieser ästhetischen Qualität trägt auch bei, dass man eine zerstörte Spindeltreppe an der Südfassade nicht in alten Formen reproduzierte, sondern an derselben Stelle 2011 als modernen Neubau errichtete, der den historischen Bestand nur an wenigen Punkten berührt. Das Neue als neu und das Alte als alt nebeneinander zu zeigen, ist ein Credo der Moderne, das man so bislang von der Denkmalpflege nicht erwartete.

 

Der jüngst verstorbene Architekt Karljosef Schattner erzählte oft von den erbitterten Auseinandersetzungen, die er deswegen als Eichstätter Diözesanbaumeister über Jahrzehnte mit Denkmalpflegern führte. Trotzdem schrieb er Architekturgeschichte mit dem Umbau eines barocken Domherrnhofs zur Universitätsbibliothek, wo er mehrere historische Raumfassungen als ironischen Kommentar auf eine Wand projizierte, weil sich die Denkmalschützer auf keine Fassung einigen konnten. Wenn der für die Sanierung in Birkenfeld zuständige Denkmalpfleger Thomas Wenderoth in einem Artikel schreibt, dass diese Instandsetzungen „in vielerlei Hinsicht [...] zu den wichtigsten und erfolgreichsten Denkmalinstandsetzungen der letzten Jahrzehnte in Bayern zählen“, wünschte man sich, dass generell Bewegung in die oftmals verhärteten Fronten kommt, obwohl das Landesamt für Denkmalpflege sich beeilt zu betonen, dass das Vorgehen in Birkenfeld „keinen Paradigmenwechsel“ darstellt.

 

[02.2013]

 

COBURG

Transparente Veste

Neues Verwaltungsgebäude der HUK-Coburg

 

Der Großstadt böswillige Erfindung ist die Provinz. Ludwig XIV. wusste davon nichts: Versailles ließ er zwischen grasenden Kühen abwerfen, draußen, irgendwo. Ein Haugout hängt der Provinz seit letztem Jahrhundert an. Nehmen wir Coburg. Dort begann 1949 der Aufstieg der HUK. Eine Gefahr der Provinz: sie wird gern unterschätzt. Als die Konkurrenz aufwachte, gehörte die HUK zu den größten Versicherern Deutschlands. Sie zählt 6600 Mitarbeiter, gut die Hälfte in Coburg, wo seit 1990 fast tausend neue Arbeitsplätze entstanden. Dem Raumbedarf konnte man kaum hinterherbauen. Anfangs genügte ein Raum, zuletzt war man über die Stadt verteilt. Die Bauten der HUK blieben immer maßvoll und der historischen Architektur verpflichtet. Trotz enormer Wirtschaftspotenz hatte man einen Versicherungspalast nie im Sinn. Es fehlen die parvenühaften Attitüden der Branche. Man muss dazu wissen, dass ein paar Pastoren die HUK gegründet hatten. Die Corporate Identity des Konzerns ist eine Melange aus protestantischer Askese, Ökonomie und Solidität. Mit dem Gebäude am Bahnhofsplatz wagte man in den sechziger Jahren zwar ein Bekenntnis zur modernen Architektur, der Stahlbeton-Skelettbau mit vorgehängter Aluminium-Glasfassade scheut allerdings jedes Imponiergehabe wie der Teufel das Weihwasser. Nur im Detail herrschen diskret edle Materialien.

 

Als sich Anfang der neunziger Jahre das Raumproblem zuspitzte, entschloss man sich zum großen Wurf. Draußen vor der Stadt fand man das geeignete Terrain: Realisiert wurde eines der größten Bauvorhaben in Deutschland außerhalb Berlins, Investitionsvolumen 527 Millionen Mark. Davon machte man kein Aufheben, auch die Einweihung ging im Juli still über die Bühne. Bescheidene Noblesse der Provinz.

 

Der erste Bauabschnitt schuf Raum für 2000 Mitarbeiter. Das Grundstück und das Architekturkonzept lassen eine Erweiterung auf 4500 Arbeitsplätze zu. Hatte beim Wettbewerb 1993 das Büro HPP Hentrich-Petschnigg & Partner zunächst den zweiten Preis errungen, konnte es sich nach der Modifizierung des Entwurfs auf den ersten Platz vorschieben. HPP gehört mit 280 Mitarbeitern zu den bedeutenden Architekten-Sozietäten Deutschlands. Als „Architekturfabrik“ schilt man mitunter die Gemeinschaft, aber gemeint ist nichts anderes als eine internationale Bauhütte. Nur Zeit, die in Generationen rechnet, hat man nicht mehr: Die HUK-Zentrale mit 110.000m² Geschossfläche und 440.000m³ Rauminhalt wurde in dreißig Monaten hochgezogen. An der Veste über der Stadt hatte man noch Jahrhunderte gebaut. Mit ihrem Volumen kann sich die HUK leicht messen. Imposanteres wurde in Coburg nie gebaut. HPP, ließe sich sagen, habe gerade mit Büro- und Verwaltungsgebäuden und mit großen Bauvolumina viel Erfahrung, aber man täte einem Œuvre unrecht, das ins Gigantische angewachsen ist. Die Zahl errungener Preise muss auf Kollegen entmutigend wirken. Neidern bleibt immerhin Schadenfreude, wird HPP doch hartnäckig nur auf ein Gebäude festgenagelt: das Thyssen-Hochhaus in Düsseldorf, von Hentrich und Petschnigg 1957/60 gebaut und als Ikone in die Architekturgeschichte entrückt.

 

Die HUK setzt mit dem Neubau deutlich neue Akzente, ohne dabei alte Tugenden abzulegen; HPP greift in der Grunddisposition ein bewährtes Schema auf, das bei der niedrigen Geschosszahl eine optimale Naturanbindung für die Benutzer gewährleistet und dennoch die Grundstücksfläche ökonomisch ausreizt. Eine Landschaftsachse in Nord-Süd-Richtung gab die Orientierung des flachen Gebäudeensembles vor, das nach Osten von drei und nach Westen von fünf regelmäßig angeordnete Querbauten in Kammstellung strukturiert wird, die sich in der Hauptachse erschließen. Dazwischen ist als Zentrum die gläserne Eingangshalle eingespannt, sie verbindet die Flankenbauten auf allen fünf Ebenen. Neben dem Empfang spielt sie überzeugend einen kulturellen Part: Ausstellungen und Konzerte unterstützt eine verborgene aufwändige Technik.

 

Die Gebäude im Westtrakt umfassen Bürobereiche, der Osttrakt ist partiell als Zentralgebäude konzipiert, mit dem Betriebsrestaurant im Erdgeschoss, einem Bildungsbereich in zwei separierten Baukörpermodulen und dem runden Besprechungspool. Dort werden wohl wichtige Entscheidungen getroffen, denn der Kopfbau genießt im Eingangsbereich eine prominente Position. Aber weil er sich unter den Baukörper duckt, wirkt die ausschwingende Gebärde trotz der filigranen Front aus Glas, Stahl und Aluminium behäbig. Als hätte man auf dem Weg nach oben Angst vor der eigenen Courage bekommen. Innen ist das Zentrum der Rotunde eher zufällige Leere als bewusst umbauter Raum, denn es findet die Mitte nicht in sich selbst.

 

Dabei sind die großen Trakte von selbstverständlicher Klarheit und räumlicher Großzügigkeit; die Architektur gewinnt ihre Form ganz aus dem Dienen am Menschen. Zu jedem Arbeitsplatz gehört ein hohes aufmachbares Fenster; dieses Grundraster bleibt trotz Umbaumöglichkeiten erhalten. In den langen Erschließungsachsen öffnen große Fensterbahnen die Flure, an deren Stirnseiten Fenster die Point de vues der Gartenkunst spielen. Die Atmosphäre ist kultiviert, aber nicht gestelzt, ein wenig vornehm, doch unangestrengt. Klassisches Repertoire ist dabei im Spiel: Symmetrie, Proportion, Achsialität. Viel Gefühl für Tradition, das Vokabular zeitgemäß. Den delikaten Geschmack befördern innen wie außen wenige Materialien: Beton, Metall und Glas, Holz und schüchtern exquisiter Granit. Die Länge der Fassaden in der Hauptachse kaschieren rhythmisch vorkragende Köpfe von Kammbauten und vorgehängte Tonziegelverblendungen. Über allem herrscht Glas und Helligkeit und Klarheit. Obwohl die Gebäude mit horizontaler Energie in die Landschaft drängen, ist da durch die diaphanen Wände keine Schwere. Die Eingangshalle steigt in einer Stahlkonstruktion gotisch leicht empor und entwickelt mit den Brücken in allen Geschossen eine enorme Ausdruckskraft. Wie im Barock wird darin das Ankommen zur Inszenierung von Besuchern und Besuchten. Sie nobilitiert auch die Gäste. Ein wenig spielt sie auch Gartensaal, Sala terrena, denn sie führt die Landschaftsachse, der Baumreihen und lange Wasserbassins folgen, durch das Gebäude hindurch. Ein protestantisches Versailles. Durch die Alleinlage über der Stadt kommt ein feiner Reflex feudaler Absonderung ins Spiel, und der Kreis zur Veste schließt sich. Dort verkaufte man auch Schutz und Sicherheit.

 

[10.1998]

EICHSTÄTT

Im Kleinen groß

Zu einem neuen Atelierhaus in einer alten Stadt

 

Paradiese gibt es nicht, nicht einmal in der Provinz. Nehmen wir Eichstätt, zum Beispiel, die Kleinstadt im Altmühltal, besser gesagt: diesen europäischen architektonischen Ausnahmezustand. Trotz viel gelobter und ausgezeichneter neuer Architektur kämpft die Bischofsstadt mit allenthalben bekannten Problemen: Einkaufszentren an der Peripherie trocknen den Einzelhandel im Zentrum aus, Arztpraxen und Büros verknappen dort den Wohnraum. Die Folgen sind absehbar. Und natürlich träumt man sich auch in Eichstätt gern retour in eine aufgehübschte Vergangenheit, beispielsweise mit dem kulinarischen Dialog von der mundgeblasenen Butzenscheibe und duftigem Barokoko an ökologisch wertvollen Sonnenkollektoren. Mutige Bauherren haben es in solcher Atmosphäre nicht leichter als anderswo. Denn auch an der Altmühl herrscht die Denkmalpflege als absolutistische Bewahranstalt über die Historie und ein Jurahausrettungsverein verwaltet das Interpretationsmonopol für Hausgestaltung. Zeitgenössisches gilt beiden ausdrücklich als Störfaktor. Der Bildhauer Günter Lang ließ sich davon nicht schrecken.

 

Lange gehörte das Stadtquartier am Salzstadel nicht eben zu Eichstätts piekfeinen Ecken. Vergeblich hatte man über Jahre versucht, durch gezielte Eingriffe die Wohnqualität zu heben. Die Denkmalpfleger waren noch begeistert, als Günter Lang vor zwölf Jahren sein Geburtshaus, ein satter Bau aus dem 17. Jahrhundert, historisch korrekt liften ließ, aber natürlich entsetzt, als er schließlich das ruinöse Jurahaus vis-à-vis kaufte, um es durch einen Atelierbau ersetzen zu lassen. Gleichwohl wertet nun ausgerechnet dieser Neubau das ganze Karree zu einem neuen kulturellen Treffpunkt auf und trägt zur Belebung der Innenstadt bei.

 

Dem Eichstätter Architekturbüro Diezinger und Kramer gelang das Kunststück mit einem kleinen Haus. Klein, doch ganz und gar nicht unbedeutend, im Gegenteil: Ein gebautes Manifest der Schlichtheit, ein Plädoyer für die Reduktion. Weil ohnehin nichts schwerer fällt als das Einfache, entsteht dabei nur im besten Fall Architektur. Hier zum Beispiel.

 

Das Atelierhaus ordnet sich der gebauten Umgebung unter, indem es im Grund- und Aufriss den Konturen des Vorgängerbaus folgt. Traufe, First und Dachneigung zitieren in Maßstab und Proportion den Typus des Altmühltaler Jurahauses. Weiter geht die Referenz an die regionale Bautradition aber nicht.

 

Die Dreigeschossigkeit des niedrigen Altbaus wurde zu Gunsten einer saloppen zweigeschossigen Aufteilung mit großzügig bemessenen Räumen aufgegeben. Obwohl jedes Geschoss nur über 75 Quadratmeter Grundfläche verfügt, wirkt das Haus überraschend weitläufig. Dieses Kunststück gelang, weil der Kubus innen räumlich erfahrbar bleibt, indem alle Außenwände und Dachflächen eine scharf umrissene homogene Hülle bilden.

 

Im Erdgeschoss wurde ein kleinerer Ausstellungsraum wie eine Schaufensterkoje proportioniert. Intim ist die Atmosphäre hier und dennoch von luftiger Weite, weil das Obergeschoss wie eine Empore den Blick nach oben freigibt. Der größere Raum dahinter, um die drei Stufen des Treppenantritts angehoben, lässt sich mit wenigen Handgriffen zur abgeschlossenen Gästewohnung umfunktionieren: Hinter Schranktüren verbergen sich Küchenzeile und Nasszelle.

 

Die filigrane Treppe mündet unmittelbar im geräumigen Atelierraum des Künstlers. Ungeteilt und offen bis unter den First, ist das Obergeschoss ein Ort von lapidarer Schönheit. Noch größer als der Raum ohnehin schon ist, lässt ihn ein eingestellter Holzcontainer erscheinen, der über dem Eingangsbereich zu schweben scheint und als Haus im Haus wiederum eine Nasszelle verbirgt.

 

Die Fassaden sind in ihrer Grundauffassung den Jurahäusern nicht unähnlich, so weit es um das Verhältnis von Wand und Öffnung geht. Gleichwohl sind sie aber auch völlig anders durch den Verzicht auf jegliche Symmetrie. Einzig die Erfordernisse in den Räumen bestimmten Platzierung und Größe der Fensterausschnitte, die zwanglos aus dem Kubus geschnitten sind. Insofern erzählen sie außen nichts vom Innenleben des Hauses, während sie drinnen das Draußen in ästhetisch inszenierte Ausschnitte zerlegen. So projiziert ein stehendes Fenster, das in der Eingangsfassade schwimmt, das Bild der Hauswand gegenüber in den oberen Raum. Das Eckschaufenster im Erdgeschoss setzt hingegen einen markanten Akzent im Straßenraum. Damit wird zugleich auf ein Leitmotiv Eichstätter Architektur angespielt, den „blickführenden Erker“, wenngleich im umgekehrten Sinn: Nicht um den Ausblick geht es hier, sondern um den Einblick in einen Ausstellungsraum.

 

Die ungeteilten Fenster sitzen bündig auf der Außenwand, schmale schwarze Einfassungen nobilitieren sie zu transparenten Bildern im edlen Grau der Fassaden. Sie fungieren als Membranen und Flächen vielschichtiger Projektionen des Inneren nach draußen und des Außen nach drinnen. Kommunikation wollen sie befördern, Gedankenaustausch, den der Hausherr sucht.

 

Die Eingangstür, in die Mauertiefe eingelassen, signalisiert den öffentlich zugänglichen Raum sinnfällig. In Maß und Proportion bezieht sie sich ausdrücklich nicht auf die Fenster, nicht einmal ihre Höhe nimmt Bezug auf das Schaufenster gegenüber. Trotz weniger Elemente wirkt die Fassade dadurch lebendig. Fläche und Volumen, geschlossene Wand und Öffnung inszenieren ein kontradiktorisches Zusammenspiel. Die Traufseiten geben sich dagegen einsilbig, beinahe monoton, weil nur die Eingangsfassade zum Haus und dem öffentlich begehbaren Stadtraum gehört und im Kontext der Umgebung das Stadtquartier prägt. Sie bildet ab und ist selbst ein Bild. Merkwürdig vertraut wirkt dabei das Eckschaufenster: Gestattet ist die Erinnerung an eine Ikone der amerikanischen Malerei, Edward Hoppers Gemälde „Mitternachtsvögel“.

 

[11.2001]

EICHSTÄTT