Über das Buch:
Merle hat genug von der Langeweile im verschlafenen Bauerbach – höchste Zeit, einen Detektivclub zu gründen! Zusammen mit ihren besten Freundinnen Luna und Mirja, besser bekannt als Lu und Mi, will sie alle Verbrechen im Dorf aufklären. Nur stellt es sich als gar nicht so leicht heraus, überhaupt einen ersten Fall zu finden. Bis die Mädchen zufällig davon erfahren, dass im Dorfladen ein Dieb auf Raubzug gegangen ist! Und auch in der Schule gibt es Probleme: Die Außenseiterin Maxima scheint sich noch seltsamer zu verhalten als sonst …
Über die Autorin:
Esther Schuster liebt Bücher und gute Geschichten. Ihre Leidenschaft für Sprache und Geschriebenes ließ sie Deutsch und Englisch studieren und unterrichten. Nach einigen Jahren Familienzeit arbeitet sie als freie Lektorin und schreibt inzwischen auch selbst. Mit ihrem Mann und zwei Kindern lebt sie in Paderborn.
Der beste Freund aller Zeiten
Und es wurde ein wirklich schönes Wochenende. Den ganzen verregneten Freitagnachmittag verbrachten Opa und ich – zeitweise auch mit Mats – damit, Spiele zu spielen und uns Witze zu erzählen. (Mein aktueller Lieblingswitz ist dieser hier: »Bringen schwarze Katzen Unglück? – Das kommt darauf an, ob man ein Mensch oder eine Maus ist!« Opas Lieblingswitz geht so: »Was sagte der Architekt des schiefen Turms von Pisa? – ›Wird schon schiefgehen!‹«) Und dann versprach Opa mir, nächste Woche das neue Holzregal mitzubringen, das er für mich gebaut hatte, damit ich meine vielen Bücher nicht mehr auf dem Boden stapeln musste. Nur gut, dass Opas Bauwerke im Gegensatz zum schiefen Turm immer schön stabil und gerade ausfallen!
»Aber nur, wenn du vorher dieses Zimmer in Ordnung bringst«, brummte er, als wir zum Ausmessen nach oben gegangen waren. »Kreatives Chaos ist hierfür ja noch ein milder Ausdruck! Hier sieht’s aus wie bei Hempels unterm Sofa!«
»Na klar schaff ich hier Ordnung«, sagte ich. Für meinen geliebten Opa würde ich alles tun – sogar mein Zimmer aufräumen! (Na ja, zumindest das Nötigste.)
* * *
Am Samstag regnete es noch immer und ich beschäftigte mich vor allem mit Lesen und ein klitzekleines bisschen auch mit Aufräumen (immerhin hatte ich es versprochen).
Am Sonntag ließ sich dann die Sonne wieder blicken. Endlich! Aber Sonntage liebte ich sowieso! Das fing schon mit dem besonderen Frühstück an – mal frischer Hefezopf, mal Brötchen und ab und zu, mmmmmh!, Schokocreme dazu – und ging mit dem Gottesdienst weiter. Ich freute mich immer sehr darauf, dort meine Freundin Tabitha zu treffen, und wir liebten es, uns die neuesten Neuigkeiten aus der Woche zu erzählen (Schandtaten unserer Geschwister und Eltern inklusive), Pläne für den nächsten Übernachtungsbesuch bei ihr oder mir zu schmieden oder einfach nur herumzublödeln.
Ich liebte auch unseren großen, hellen Gemeindesaal und die vielen Leute darin, den wilden Mix von Menschen, von jungen und alten, dunkel- und hellhäutigen, schicken und weniger schicken, frohen und traurigen, bekannten und neuen ... Ich liebte die Lieder, die wir im Gottesdienst sangen, und schmetterte lauthals mit (auch wenn mein musikalischer Bruder schon mehr als einmal angedeutet hatte, dass ich nicht immer alle Töne traf). Ich liebte den Kindergottesdienst und die Geschichten aus der Bibel, die wir dort hörten (na ja, zumindest meistens ... also dann, wenn die Geschichten nicht zu bekannt und ihre Erzähler nicht zu alt waren), und auch die vielen anderen coolen Sachen, die wir dort machten. Ich liebte auch das Gewusel beim Kirchenkaffee nach dem Gottesdienst (und das durchaus nicht nur, weil es dann Kekse gab, auch wenn Mats mir das immer unterstellte). Ich liebte es, dann mit Tabitha durchs Gemeindehaus zu streifen (manchmal sogar nur auf Socken – sehr zum Leidwesen von Mama), mir gemeinsam mit ihr lustige Spiele zu überlegen und manchmal auch Streiche auszuhecken.
Aber vor allem liebte ich das Gefühl, Gott am Sonntag ganz besonders nahe zu sein. Ich wusste ja, dass Gott immer bei mir ist und ich jederzeit und überall mit ihm reden kann. Aber irgendwie waren die Sonntage eben doch was Besonderes: Ich kriegte dann so ein Gefühl, als ob ich eine Spezialverabredung mit meinem allerbesten Freund hätte und gleichzeitig zu einem großen, fröhlichen Fest eingeladen wäre. Wenn dann an einem Sonntag auch noch die Sonne schien, dann konnte ich mir nichts Schöneres denken!
* * *
Das i-Tüpfelchen auf diesem Sonntag war unsere gemeinsame Familienfahrradtour durch die Felder (Fahrradfahren ist fast genauso cool wie Rollerfahren): Wir schafften 25 Kilometer insgesamt – mein persönlicher Rekord! Papa hatte die Tour geplant – eine ganz neue, unbekannte Strecke –, und genau in der Mitte wartete eine Überraschung auf uns: ein neu eröffneter Ponyhof!
»Damit du nicht nur auf ’nem Drahtesel sitzen musst, sondern auch einen echten ausprobieren kannst«, sagte Papa grinsend, als ich ihm vor Freude um den Hals fiel. (Und es gab neben jeder Menge Ponys tatsächlich auch zwei Esel zum Reiten – sehr cool!)
Mats allerdings meckerte – »Das Leben ist kein Ponyhof!« und »Nur für kleine Mädchen!« und solche Sachen –, aber die Aussicht auf ein leckeres Eis im hofeigenen Café versöhnte ihn dann doch. (Wenn auch von vornherein klar war, dass es an Papas selbst gemachtes Eis nie heranreichen würde ...) Außerdem entdeckte Papa ein Draußen-Schach und damit war für unsere beiden »Jungs« der Nachmittag gerettet. Mama und ich hatten beim Reiten sowieso unseren Spaß.
Als ich am Abend müde in mein Bett fiel, war ich sehr glücklich. Und ich fühlte mich bereit für die neue Schulwoche, ja, ich freute mich sogar darauf, nicht zuletzt deshalb, weil wir wieder Detektivclubtreffen geplant hatten.
Von Gänseblümchen und Mordversuchen
Am Dienstag war es dann endlich so weit: Der Club ohne Namen sollte wieder zusammenkommen. (Montag ging nicht wegen Lus Ballett- und Mis Geigenstunde.) Pünktlich um fünfzehn Uhr versammelten wir drei Clubmitglieder uns in Mis Garten. Lu und ich waren ganz zappelig vor Ungeduld, denn heute würden wir endlich zum Beobachten ausschwärmen! Wir mussten dauernd kichern und schütteten vor Aufregung mehrfach den Inhalt unserer geheimen Detektivbeutel aus, die wir dann wieder mit viel Gekrame und Gelächter einräumen mussten.
»Rrrruhe!«, rief Mi, die diese Woche den Clubvorsitz hatte (und sich für meine Begriffe deswegen ziemlich wichtigtat). »Wir fangen an! Aaalso, Punkt eins ist heute die genaue Beobachtung unserer Umgebung! Anders gesagt: Heute laufen wir Streife in Bauerbach! Lu, du nimmst das Gebiet zwischen Sperlingsweg und dem Krummen Bogen, Merle, du patrouillierst an der Bergstraße und den Gässchen dahinter und außerdem auf dem Höhenrandweg. Ich nehme den Bereich Schule – Kindergarten – Kirche und Umgebung. Um vier Uhr treffen wir uns hier wieder zu Punkt zwei: Berichterstattung. Los geht’s! Aber verhaltet euch unauffällig! Parole LuMeMi!«
»Parole LuMeMi!«, antworteten Lu und ich.
Was für ein Abenteuer! Ich zog mir die blaue Kappe, die ich Mats extra für diese Gelegenheit abgeschwatzt hatte, tief ins Gesicht und ging los. Erst die Bergstraße hoch (ich muss zugeben, ich kam ganz schön ins Schnaufen – das fehlende Rhönradtraining machte sich schon bemerkbar). Dann, ganz oben angekommen, ging es rechts in den Höhenrandweg. Das war die Straße mit den schniekesten Häusern in ganz Bauerbach, und – Achtung: sprechender Name – sie lag ganz am Rand des Dorfes oben auf dem Hügel vor dem Feld. Hier wohnten die allerreichsten Bauerbacher, unter anderem Anna und Angelina und ihre Familien. (Von denen war aber gerade nichts zu sehen, bestimmt waren die beiden mal wieder beim Reiten oder zum Shoppen in der Stadt.) Am Ende dieser langen Sackgasse lag der Spielplatz und von dort aus ging es scharf rechts einen steilen, schmalen Pfad entlang durch ein Gewirr von Bäumen und Büschen wieder nach unten. An Meiers Hof vorbei, noch einmal rechts ... und schon stand ich wieder am Fuß der Bergstraße.
Das Ganze hatte keine zehn Minuten gedauert. Gesehen hatte ich dabei: spielende Kinder in verschiedenen Gärten, zwei Damen auf einer Bank mit Kaffee in der Hand und die beiden Ponys auf dem Grundstück bei Meiers Hof. Gehört hatte ich: Kindergeschrei, Pferdegewieher und Flüche einer Männerstimme, die aus einer Garage drangen und sich um einen kaputten Rasenmäher drehten. Verdächtig war mir dabei nichts vorgekommen.
Ich entschied mich dafür, mir nun die Seitenstraßen der Bergstraße vorzunehmen. Brav marschierte ich eine nach der anderen ab und traf dabei in der vorletzten Frau Schmidt, die ihren Dobermann ausführte. Na ja, ehrlich gesagt sah es eher so aus, als führte der Hund Frau Schmidt aus. Er zog und zerrte an seiner Leine, sodass die alte Dame kaum hinterherkam, und das lebhafte Tier schien auch die Richtung zu bestimmen. Kein Wunder, dass es ihr neulich ausgebüxt war! (Ob Frau Schmidt ihre Schüler früher wohl besser im Griff gehabt hatte als diesen Hund? Musste sie wohl – wenn sie nicht nur superbrave Schüler gehabt hatte, was ich sehr bezweifelte.)
Otto und sein Frauchen blieben leider das einzig Interessante auf meinem Rundgang und schneller als erwartet stand ich wieder unten an der Bergstraße.
Es war fünfzehn Uhr fünfundzwanzig. Noch fünfunddreißig Minuten also ... Uff, so langsam gingen mir die Ideen aus. Ich beschloss, die Strecke vom Anfang noch einmal zu gehen – diesmal langsamer und mit mehr Bedacht. Beim Spielplatz hielt ich mich diesmal etwas länger auf. Ich pflückte einige Gänseblümchen, was mir die Gelegenheit gab, den gesamten Platz zu untersuchen, ohne dass jemand Verdacht schöpfte. Aber abgesehen von Ben und Luis aus der Vierten war niemand da und die beiden hingen bloß in der großen Nestschaukel ab. (Eigentlich lungerten sie fast immer auf irgendwelchen Spiel- oder Sportplätzen rum. Und meistens sahen sie dabei sehr gelangweilt aus.) Luis spielte auf seinem Handy und Ben las in einem Comic. Ab und zu schaute Ben auf seine Uhr, so, als ob er auf irgendetwas wartete – wahrscheinlich schlicht auf das Ende des Nachmittags. »Insgesamt also: nichts Auffälliges auf dem Spielplatz«, hielt ich für mich fest. Kurz darauf verließ ich ihn wieder und setzte meinen Weg fort.
Als ich zum dritten Mal am unteren Ende der Bergstraße anlangte, ohne auch nur eines meiner Detektivutensilien benötigt zu haben, fing die ganze Sache an, mir gewaltig auf die Nerven zu gehen. Wer hatte sich das überhaupt ausgedacht – durch Bauerbach zu latschen, bis einem die Füße wehtaten? Und warum schienen die Detektive in den Büchern über geheime Hinweise und spannende Fälle immer geradezu zu stolpern, wenn sie auch nur einen Schritt aus ihrer Tür machten? Lange, langweilige Nachmittage ohne heiße Spur kamen in den Büchern, die ich kannte, jedenfalls nicht vor.
Fünfzehn Uhr achtundvierzig. Noch zwölf Minuten. Die würde ich am Brunnen unter der Linde verbringen, beschloss ich, da hatte man schließlich auch einen guten Rundumblick auf die Umgebung. Und vorher würde ich mir noch was zu trinken kaufen, denn mir war inzwischen ganz schön heiß und ich hatte Durst.
Also nahm ich Kurs auf Kießling, unseren Lebensmittelladen in der Ortsmitte. Gerade als ich hineingehen wollte, kam mir Maxima entgegen. Ich murmelte ein sehr kurzes »Hallo«, aber sie beachtete mich kaum und quetschte sich schnell an mir vorbei aus der Tür. Das war ja mal wieder typisch! Ich ging in den Laden und besorgte mir eine Apfelschorle. Beim Hinausgehen überflog ich noch das Schwarze Brett in der Hoffnung, dort eine Vermisstenanzeige oder etwas Ähnliches zu finden – ohne Erfolg. Die nächsten Minuten verbrachte ich wie geplant gegenüber von Kießling am Brunnen im Kühlen und ließ meine Blicke über den Platz schweifen. Aber heute schien irgendwie nicht mein Tag zu sein – zumindest nicht in meiner Rolle als Detektivin, denn ich konnte auch jetzt einfach nichts Verdächtiges entdecken. Na ja, vielleicht haben die beiden anderen ja mehr Glück gehabt, dachte ich, als ich schließlich zu unserem Hauptquartier bei Mi trottete.
* * *
»Nun, was habt ihr zu berichten?«, fragte Mi mit gezücktem Stift.
»Ach, fangt ihr mal an«, meinte ich schulterzuckend.
»Lu? Irgendwelche Besonderheiten?«
Lu dachte kurz nach. »Nö, nicht wirklich.« Sie sah fast so gelangweilt und enttäuscht aus wie ich.
»Hast du denn deinen Detektivbeutel benutzen können?«, fragte Mi.
Da erhellte sich Lus Gesicht. »Ja, das habe ich! Die Tüte für das Beweismaterial habe ich gebraucht!«
»Echt? Wofür?« Ich spürte wieder einen Funken Hoffnung. »Hast du einen Verbrechenstatort gefunden? Spuren gesichert? Was hast du uns mitgebracht?«, wollte ich wissen.
»Mitgebracht habe ich nichts«, antwortete Lu. »Die Tüte habe ich ja gar nicht mehr.«
»Wieso?«, riefen Mi und ich wie aus einem Mund.
»Na, die habe ich doch Frau Schmidt gegeben!«, erklärte Lu. »Für ihren Hund! Der hat nämlich ... na, ihr wisst schon, er hat halt einfach vor einen Garten gekackt und sie hatte keinen Gassibeutel dabei, da habe ich ihr die Tüte gegeben.«
Mi und ich stöhnten auf. Das war ja nun wirklich nicht Sinn der Sache gewesen, unsere wertvollen Detektivutensilien so zu verschwenden! Aber die herzensgute und nächstenliebende Lu wollte das partout nicht einsehen. Mi holte ihr einen neuen Beutel, setzte sich wieder und räusperte sich. »Jetzt bin ich dran. Und ihr werdet es nicht glauben: Ich habe einen Mord beobachtet!«, sagte sie langsam und betont.
»Nein!«, rief Lu erschüttert. »Das ist ja schrecklich!«
»Das kann man wohl sagen«, bestätigte Mi.
Ich sagte gar nichts. Es hatte mir die Sprache verschlagen.
Mi begann, von den Details des grauenvollen Ereignisses zu berichten: »Es war auf dem Friedhof. Das Opfer – grauhaarig, eher klein und zierlich – hatte sich auf die Bank gesetzt – ihr wisst schon, die bei der alten Eiche, wohl um sich zu sonnen oder so. Ich wollte mich eben dazugesellen, da sah ich den Mörder herankommen – elegant, ganz in Schwarz, mit stechendem Blick.«
Lus Augen wurden immer größer.
Mi fuhr fort: »Ich wusste zwar noch nicht, dass es ein Mörder war, aber irgendetwas hielt mich davor zurück, zur Bank zu gehen. Ich blieb also, wo ich war, und beobachtete die Szene. Der Mörder näherte sich dem Opfer langsam von hinten, vollkommen unhörbar. Und dann ging auf einmal alles ganz schnell: Der große Schwarze stürzte sich auf die kleine Graue und – zack – hatte er sie erledigt! Dann nahm er sie und ... und ... äh ...« Mi geriet plötzlich merkwürdigerweise ins Stottern.
»Und was? Hast du etwa vergessen, was dann passierte?«, fragte ich. Mir hatte zunächst auch der Atem gestockt – teils aus Schock und teils aus Neid, aber jetzt bemerkte ich ein Zucken um Mis Mundwinkel und wurde misstrauisch. »Jetzt erzähl schon«, forderte ich sie ungeduldig auf. »Was ist wirklich passiert?«
Nun konnte sich Mi nicht mehr halten und brach in lautes Gelächter aus. »Reingefallen!«, prustete sie. »Reingefallen!« Sie konnte sich kaum noch beruhigen und kicherte mehr, als zu sprechen. Doch langsam erschloss sich uns, was sie beobachtet hatte: Eine Katze hatte eine Maus gefangen und getötet – das war alles!!!
Als es Lu endlich auch dämmerte, stöhnte sie auf: »Mensch, Mi, du hast mich vielleicht erschreckt!«
»Ich fand’s witzig«, kicherte Mi.
»Ich nicht«, sagte ich. Ich war echt gefrustet. »Ich habe den Eindruck, dass ihr beiden unseren Detektivclub nicht wirklich richtig ernst genug nehmt!«
Das interessierte Mi allerdings überhaupt nicht. Sie war in einer ihrer albernen Stimmungen und meinte nur scheinheilig: »Dann hast du ja bestimmt einige schwerwiegende und wichtige Beobachtungen gemacht, Merle?«
»Nö«, gab ich zurück. »Nichts, was es wert wäre, protokolliert zu werden.«
Doch da hatte ich mich gewaltig getäuscht.
Mis Mecker-Mittwoch
Für Mittwoch war unser nächstes Treffen geplant. Da es schon morgens in Strömen regnete und die Wettervorhersage keine Besserung für den Nachmittag versprach, bestimmte Mi, dass wir heute, statt wieder draußen Beobachtungen zu machen, »den nächsten Schritt einleiten« würden. Der bestand darin, die Zeitungen nach unaufgeklärten Verbrechen zu durchforsten. (Eigentlich waren wir, glaube ich, alle nicht undankbar, dass uns ein weiterer Dorfspaziergang erspart wurde.) Zunächst erlaubte sie mir allerdings, meinen Supercode vorzustellen.
»Das ist ganz einfach«, sagte ich. »Wenn man eine geheime Nachricht schreibt, ersetzt man jeden Buchstaben des Alphabets mit einem anderen und teilt dann dem Adressaten den Verschlüsselungscode mit. Also: Zum Beispiel lege ich fest, dass A zu B wird, das heißt, dass alle Buchstaben durch den jeweils nächsten im Alphabet ersetzt werden. Aus MERLE wird dann NFSMF.«
»Hä?«, machte Lu, doch Mi rief begeistert: »Klaro, das heißt, statt MI schreibe ich NJ und statt LU MV! Ist ja echt super einfach!«
Jetzt schien auch Lu zu begreifen und ich konnte mit der Anwendung starten: »Okay, Leute, dann wird’s jetzt ein bisschen schwieriger! Diesmal heißt es: Aus A wird C! Wir verschieben also immer um zwei Buchstaben! Und jede schreibt für die anderen eine geheime Nachricht auf! Mi fängt an. Los geht’s!«
Mi kratzte sich kurz am Kopf, grinste dann breit und schrieb:
DGP NKGDV CPPC.
»Bist du sicher?«, fragte ich, als ich die Nachricht entschlüsselt hatte.
»Klar!«, antwortete Mi. »Hast du keine Augen im Kopf?«
Dann war ich an der Reihe. Ich schrieb:
OK OCI OCVU.
Mi wurde etwas rot im Gesicht und fragte: »Glaubst du?«
»Klar, ich hab doch Augen im Kopf!« Nun war ich es, die breit grinste.
Lu allerdings meinte: »Ich versteh nur Bahnhof!«
Also erklärten wir es ihr noch einmal, Buchstabe für Buchstabe, und schließlich strahlte Lu übers ganze Gesicht. »Jetzt hab ich’s verstanden – wie es geht und was es bedeutet!«
»Sehr gut«, beglückwünschte ich sie, »denn jetzt bist du dran!«
»Okay«, sagte Lu, »ich verrate euch aber nicht, welchen Buchstaben ich für das A nehme!«
»Das ist voll schwierig!«, protestierte Mi. »Dann dürfen Merle und ich dafür aber zusammenarbeiten!«
Nachdem Lu das genehmigt hatte, machte sie sich an die Arbeit. Volle fünf Minuten später präsentierte sie uns ihre Nachricht:
VPU UNO UXATRE.
Dieses Rätsel war wirklich eine harte Nuss! Es dauerte eine ganze Weile, bis Mi und ich es gemeinsam geschafft hatten.
»Lu, wir haben’s raus. Aber weißt du was? Da ist ein Fehler drin!«, verkündete ich.
»Stimmt«, sagte Mi und grinste: »Lu wollte uns doch tatsächlich ein X für ein U vormachen.«
»Dabei hätte es eigentlich ein H für ein U sein müssen!«, rief ich. »Sag mal, Lu, ist das denn eigentlich dein Ernst, was du da geschrieben hast?«
»Auf jeden Fall! Kann ich ein Butterbrot haben?«
»Klar!«, antwortete Mi.
»Also, seht ihr, wie einfach und doch gleichzeitig schwierig das ist?«, fasste ich zusammen. »Dabei war das ja erst die einfachste Pippifaxstufe! Noch viel besser ist die Verschlüsselung natürlich, wenn man die Buchstaben nicht der Reihe nach benutzt, also nicht alphabetisch aufschreibt, sondern in anderen festgelegten Zuordnungen, die allen Beteiligten bekannt sind. In Sherlock Holmes for Kids hab ich mal so ’ne Codierungsscheibe gesehen, das heißt, eigentlich waren es zwei Scheiben, die gegeneinander verschiebbar waren, und die Buchstaben darauf waren ganz wild durcheinandergewürfelt ... Könnt ihr es euch ungefähr vorstellen?«