Klaus Heitmann

Osterley House

Herrenhäuserliche Mäanderungen durch die englische Wirtschaftsgeschichte

Impressum

Copyright © Edition Shakuntala, Berlin

Verlag neobooks.de

ISBN 978-3-7427-3010-7

Umschlagbild:

Antony Devis Osterley House


In "Osterley House" werden zahlreiche historische Personen erwähnt, die manchem Leser nicht oder nicht näher bekannt sein dürften. Ein Register sämtlicher Personen mit Lebensdaten und kurzer Charakterisierung befindet sich am Ende des Textes.

Für denjenigen, welche es bevorzugen, das Werk in der Hand zu haben, steht es bei epubli.de auch in Buchformat zur Verfügung (ISBN 978-3-7467-1889-7). Es kann dort, über den Buchhandel oder die gängigen Onlinehändler bezogen werden.


Sie öffnete mir die Augen für einen Blick in das wahre Leben. - Samuel Johnson über Bernard Mandevilles Bienenfabel

Im Westen Londons liegt Osterley House. Es ist eines jener Herrenhäuser, welche die Engländer unter Hinzufügung des Ortsnamens mit einem gewissen Understatement, das latent auch einem unguten Gewissen geschuldet sein dürfte, schlicht als „house“ bezeichnen. Tatsächlich handelt es sich dabei aber, wenn auch nicht immer schon äußerlich, um alles andere als bescheidene Behausungen. Nicht nur, dass ihre Ausmaße weit über das hinausgehen, was man sich gewöhnlich unter einem Haus vorstellt. Innen befinden sich in der Regel opulent ausgestattete repräsentative Räume, darunter meist eine große Empfangshalle und ein eindrucksvolles Treppenhaus, Räumlichkeiten, in denen je nach der Epoche, in welcher das Haus entstand oder umgestaltet wurde, strahlendes Gold, dunkles Holz oder mehr oder weniger bunter Stuck vorherrschen. Zum Repertoire der „stately home“, wie diese Residenzen in England genannt werden, gehört auch eine Gemäldesammlung, in der einige Werke oder zumindest Kopien von Klassikern der Malkunst zu bestaunen sind, dazu allerhand Portraits von ehemaligen Besitzern des Hauses, ihren Familienangehörigen und royalen Celebritäten sowie romantische Landschaftsbilder, auf denen bevorzugt antike Ruinen abgebildet sind. Außerdem liebt man es, sich mit einer bedeutungsschweren Bibliothek zu umgeben, in der sich fein-ledern eingebundene Bücher und Prachtfolianten mit goldschimmernden Rücken, darunter vielbändige Geschichtswerke, Reise- und Länderbeschreibungen finden, welche, wiewohl meist ziemlich betagt, oft so makellos erhalten sind, dass die Vermutung nicht fern liegt, sie seien kaum je aus den Regalen genommen worden; manche prächtige Büchereihen erweisen sich bei näherer Betrachtung auch als bloße Ansammlung von Buchrücken, hinter denen sich eine Tür oder ein Schrank verbirgt. Umgeben ist das „house“ in der Regel von einem formalen Garten mit ornamental angeordneten oder zurechtgestutzten nicht selten exotischen Gewächsen samt einer lichten Orangerie für deren Winterquartier. Außerdem gehört dazu ein weitläufiger Landschaftspark, in dem das Herrenhaus möglichst mittig in „splendid isolation“ platziert ist. Darin kann man den Blick entlang ausgeklügelter, durch sorgfältig platzierte Baumgruppen perspektivisch verstärkte Sichtschneisen in die Ferne schweifen lassen, wo er hier und da auf antikisierende Tempelchen, schön gebogene Brücken über künstliche Kanäle und Teiche, sowie Brunnen und sonstige Lustbauten trifft. Eingehegt wird das Ganze schließlich von einer Kilometer langen Mauer aus abertausenden von Ziegelsteinen. All das trifft auch auf Osterley House zu.

Die Herrenhäuser, die wie vom Himmel gefallene Edelsteine über die ganze Landschaft der britischen Inseln verstreut sind, waren idealiter Orte, an denen man die Geschäfte des Alltags hinter sich lassen konnte, welche die „Herren“ vermutlich in Umkehrung der heute geläufigen Rangordnung wie die alten Römer am liebsten als „negotium“, als Abwesenheit von „otium“ (Muße), charakterisiert hätten. Aber in einem Volk, wo „negotium“ schon in der Sprache eine derart negative Konnotation verloren hat und „negotiation“ für Verhandeln und somit auch für Handel und letztendlich überhaupt für Handeln und damit für die vorwärts drängende „Aktivität“ steht, über welche sich moderne Gesellschaften im Wesentlichen definieren, in einem solchen Volk waren diese „Otiumvillen“, wie man die ländlichen Rückzugsorte der Antike nennt, immer auch Kristallisationspunkte des allgemeinen Lebens. Hier traf sich, wer in der politischen und finanziellen Oberschicht des Landes etwas zu sagen hatte oder zu sagen haben wollte. Hier verhandelte man, was in diesen Kreisen wichtig war, prägte statusbestimmende Standards und entfaltete wirtschaftliche Aktivitäten. Nicht zuletzt wurden hier Entscheidungen getroffen oder vorbereitet, mit denen ein Gemeinwesen gesteuert wurde, welches ab dem Ende des 16. Jahrhunderts das größte Reich der Weltgeschichte schaffen und die Speerspitze der weltwirtschaftlichen Entwicklung werden sollte.

Eine Voraussetzung für diese außerordentliche Dynamik war die besondere Art des Generierens und Akkumulierens von Kapital, welche sich ab dem 17. Jahrhundert in England herausbildete und die sich im Großen und Ganzen bis heute erhalten hat. Auch insofern ist Osterley House mit von der Partie. Drei seiner Besitzer haben im englischen Wirtschaftsleben eine herausragende Rolle gespielt. Diese Kumulation machte mich neugierig, und indem ich diesen Figuren und ihren Beziehungen zu Osterley House nachging, begann eine lange und ziemlich windungsreiche Wanderung, die mich immer tiefer in die englische Wirtschaftsgeschichte, ja überhaupt in die zahlreichen Varianten der Geschichte samt allerlei Geschichten und Geschichtchen zog.Merkwürdigerweise fiel mitten in meine Betrachtungen die Abstimmung darüber, ob England aus der Europäischen Union ausscheiden solle, deren Ergebnis bekanntlich fast alle Beobachter und auch viele Engländer, nicht zuletzt die Initiatoren der Befragung überrascht hat. Dies war für mich umso mehr Grund, mich mit der insularen Seele und den Umständen zu befassen, die sie geprägt haben. Dabei kam ich zu dem Ergebnis, dass man eigentlich nicht sonderlich überrascht sein durfte.Ursprünglich hatte mein Interesse an Osterley House einen gänzlich anderen Grund. Der heutige Bau ist das Werk des großen klassizistischen Architekten und Designers Robert Adam aus dem 18. Jahrhundert, welcher Kontakt zu dem italienischen Kupferstecher Giovanni Battista Piranesi hatte, mit dem ich mich seit Beginn meines tieferen Interesses an den Erscheinungen der Kultur und das heißt nicht weniger als ein halbes Jahrhundert lang immer wieder befasst habe. Robert Adam war wie sein moralphilosophisch-wirtschaftstheoretischer „Vornamensvetter“ und Zeitgenosse Adam Smith, auf den ich im weiteren Verlauf meiner Erzählung noch zu sprechen komme, ein Schotte. Er hatte sich bei seinen architektonischen Studien in Rom mit Piranesi angefreundet und hatte sich von den stilistischen Vorstellungen und der Begeisterung des Italieners für die römische Antike anstecken lassen, was seinen eigenen noblen, geradezu kristallin-exquisiten (Adam)Stil formte, mit dem er eine ganze Epoche prägte. Diese Nähe zu Piranesi hatte zur Folge, dass ich mich mit Osterley House intensiver befasste, als mit den vielen anderen Herrenhäusern, welche ich in England besucht habe. Bei der näheren Beschäftigung mit derlei Fragen, die in erster Linie ästhetischer Natur sind, driftete ich aber schon bald in eine Welt ab, welche damit auf den ersten Blick wenig zu tun zu haben scheint, mit ihnen aber doch in merkwürdiger Dialektik verbunden ist, die Sphäre des großen Geldes und seines Erwerbs, welches die Voraussetzung für das Entstehen aber auch den Untergang von Herrenhäusern wie Osterley ist. Damit war ich bei den drei Eigentümern dieses Hauses, welche samt einigen Nebenfiguren beispielhaft für die merkwürdigen Verflechtungen stehen, welche Macht, Moral, Ästhetik und Wirtschaft in dieser Welt eingehen.


Ursprünglich hatte mein Interesse an Osterley House einen gänzlich anderen Grund. Der heutige Bau ist das Werk des großen klassizistischen Architekten und Designers Robert Adam aus dem 18. Jahrhundert, welcher Kontakt zu dem italienischen Kupferstecher Giovanni Battista Piranesi hatte, mit dem ich mich seit Beginn meines tieferen Interesses an den Erscheinungen der Kultur und das heißt nicht weniger als ein halbes Jahrhundert lang immer wieder befasst habe. Robert Adam war wie sein moralphilosophisch-wirtschaftstheoretischer „Vornamensvetter“ und Zeitgenosse Adam Smith, auf den ich im weiteren Verlauf meiner Erzählung noch zu sprechen komme, ein Schotte. Er hatte sich bei seinen architektonischen Studien in Rom mit Piranesi angefreundet und hatte sich von den stilistischen Vorstellungen und der Begeisterung des Italieners für die römische Antike anstecken lassen, was seinen eigenen noblen, geradezu kristallin-exquisiten (Adam)Stil formte, mit dem er eine ganze Epoche prägte. Diese Nähe zu Piranesi hatte zur Folge, dass ich mich mit Osterley House intensiver befasste, als mit den vielen anderen Herrenhäusern, welche ich in England besucht habe. Bei der näheren Beschäftigung mit derlei Fragen, die in erster Linie ästhetischer Natur sind, driftete ich aber schon bald in eine Welt ab, welche damit auf den ersten Blick wenig zu tun zu haben scheint, mit ihnen aber doch in merkwürdiger Dialektik verbunden ist, die Sphäre des großen Geldes und seines Erwerbs, welches die Voraussetzung für das Entstehen aber auch den Untergang von Herrenhäusern wie Osterley ist. Damit war ich bei den drei Eigentümern dieses Hauses, welche samt einigen Nebenfiguren beispielhaft für die merkwürdigen Verflechtungen stehen, welche Macht, Moral, Ästhetik und Wirtschaft in dieser Welt eingehen.

Schon der erste Besitzer von Osterley, so stellte ich fest, war eine Figur, die dem englischen Wirtschaftsleben einen markanten Stempel aufdrückte. Das Land, auf dem sich heute Haus und Park befinden, wurde bis in die 60-er Jahre des 16. Jh. landwirtschaftlich genutzt. Im Jahre 1562 erwarb der Geschäftsmann Thomas Gresham den Bauernhof, der sich dort befand. Gleichzeitig erhielt er von der Krone den Besitz der umliegenden weitläufigen Ländereien von rund drei Quadratkilometern mit der Erlaubnis, diese in einen Park umzuwandeln.


Gresham, war, wie meine beiden anderen Protagonisten von Osterley House, ein Mann des Bürgerstandes. Sein Vater war ein wichtiger Player in der Londoner „City“, dem seit alters weitgehend selbstverwalteten wirtschaftlichen Herz und Gehirn Englands, in der er unter anderem die Position des Lord Mayors inne hatte. Daneben hatte er eines der größten englischen Handelshäuser aufgebaut. Thomas Gresham selbst lebte und arbeitete lange für die Familienfirma in den Niederlanden, wo im 16. Jahrhundert, als England noch eine drittklassige Macht war, wirtschaftlich die Musik spielte. Auf der Basis der Erfahrungen, die er dort machte, beriet er die englische Krone unter König Edward IV., Königin Maria I. und Elisabeth I. in fiskalpolitischen Fragen. Insbesondere vermittelte er dem Herrscherhaus, das finanziell alles andere als souverän und daher chronisch klamm war, Kredite internationaler Großinvestoren, darunter von den deutschen Handelshäusern der Tucher in Nürnberg und der Fugger in Augsburg, von denen die Krone im Gegenzug Juwelen und andere Waren zu völlig überteuerten Preisen kaufen musste. Bei der Wahl der Mittel, mit denen er der Krone Geld verschaffte, war er nicht sonderlich skrupulös. So wurden auf seinen Rat Handelsflotten, die von England nach Antwerpen auslaufen wollten, so lange festgehalten, bis die Kaufleute der Krone einen hohen Kredit zu Konditionen, welche eben die Krone bestimmte, eingeräumt hatten. Als das englische Pfund zur Zeit Edwards VI. durch Kursmanipulationen ausländischer Händler und Fehlentscheidungen des Agenten der Krone in den Niederlanden in eine gefährlichen Krise geraten war, wurde Gresham, ohne dass er sich danach gedrängt hatte, wie er betonte, selbst zum Agenten bestellt. Gresham gelang es mit trickreichen Operationen, den Pfundkurs zu stabilisieren, wodurch die angeschlagene Kreditwürdigkeit Englands wiederhergestellt und die ausländischen Schulden der Krone, die sich bedenklich aufgehäuft hatten, unerwartet schnell zurückgezahlt werden konnten. Spätestens seit dieser Tat stand er in dem Ruf, ein außerordentlich einfallsreicher Finanzmann zu sein. Zu den Methoden, mit denen Gresham die Gläubiger der Krone dazu brachte, Ruhe zu halten, gehörte die Veranstaltung von Banketten, deren Opulenz in krassem Gegensatz zu den wahren finanziellen Verhältnissen seines Auftraggebers stand. Eines dieser Gastmähler ließ er für teures Geld von einem niederländischen Maler abbilden, was ich als erstes, weil besonders treffendes Beispiel für die Verbindung der Welten von Kunst und Geld bringe. Leider konnte ich nicht herausfinden, von wem es stammt und was aus diesem Gemälde inzwischen geworden ist. Von Gresham selbst gibt es aber mehrere Bilder, darunter eine wunderbar altmeisterlich klare Darstellung von dem seinerzeit angesagtesten Portraitisten Antonis Mor, das sich im Amsterdamer Rijksmuseum befindet.

Auch sonst war Gresham, der sich das Wohlwollen der Mächtigen nicht zuletzt durch große Geschenke zu sichern wusste, der Krone dienstbar, etwa als Botschafter Englands bei der Regentin der spanischen Niederlande, wofür er in den, wenn auch niedrigsten Adelsstand erhoben wurde. Außerdem sammelte er mittels Agenten, die ihm in vielen Teilen Europas zu Diensten waren, und durch Bestechung von relevanten Amtsträgern fleißig politisch relevante Nachrichten, insbesondere über die Absichten Spaniens, das England seinerzeit ständig bedrängte. Vor allem mit seinem Freund William Cecil, dem engsten Berater von Königin Elisabeth, stand er in regem, streng geheimem Briefverkehr. Eine wichtige Rolle spielte er auch beim Schmuggel von Geld und Waffen nach England. Das Exportverbot für Silber, das Kaiser Karl V. zur Stabilisierung der spanischen Handelsbilanz erließ, unterlief er, indem er das Edelmetall, welches die Basis der Währungen in allen Ländern war, in Pfefferlieferungen versteckte. Waffen deklarierte er sinnigerweise als Samtlieferungen und zur Reduzierung des in England notorischen Mangels an Schießpulver organisierte er eine „Armada“, eine im wahrsten Sinne des Wortes „bewaffnete“ Flotte, bestehend aus fünf Schiffen voller Schießpulver, die den Sprengstoff, der nicht zuletzt für den Kampf gegen Spanien dringend benötigt wurde, von den spanischen Niederlanden ohne Zwischenfälle über den Ärmelkanal brachte.

Besonders gerne nahm Elisabeth I. Greshams Dienste und seinen Rat in finanziellen Dingen in Anspruch. Er vermittelte ihr nicht nur immer wieder neue Kredite in Antwerpen, das seinerzeit die Drehscheibe der nordeuropäischen Finanzmarktgeschäfte war. Als sich deren Schwerpunkt nach Hamburg verlagerte, sorgte er dafür, dass der notorische Wackelkandidat England hier als zuverlässiger Kreditnehmer erschien. Immer wieder mahnte der Kenner der misstrauischen kaufmännischen Seele die Krone, die zur finanziellen Leichtsinnigkeit neigte, nicht nur an die kurzfristigen Vorteile von Transaktionen zu denken, sondern sich durch pünktliche Kreditrückzahlungen auch künftigen Ressourcen zu sichern.

Da Elisabeths Vater, Heinrich VIII., sein fiskalisches Defizit kurzsichtig und auf eben nicht seriöse Weise durch Verringerung des Edelmetallgehaltes der Münzen zu reduzieren versucht hatte, was zu einem Verfall des Pfundes führte, riet Gresham der Königin zu einer Münzreform, die sie dann auch zum Vorteil des Staatshaushaltes durchführte. Wir wissen nicht, ob er der Königin davon abriet, die leeren Kassen der Krone durch die Staatspiraterie gegen den spanischen Rivalen auf den Weltmeeren aufzubessern, wie sie etwa ein Francis Drake betrieb - die Königin war an einer Handelgesellschaft beteiligt, die Drakes Raubzüge finanzierte, woraus sie eine hübsche Dividende bezog-, eine bemerkenswerte Variante der Public-Private-Partnership, die so typisch für die englische Staatsorganisation ist und nicht selten zweifelhafte Effekte erzeugt (Drakes Vetter John Hawkins, der das gleiche „Geschäftsmodell“ praktizierte, handelte mit Unterstützung der Krone als einer der ersten Engländer auch noch mit Sklaven, was ein Jahrhundert später ein gigantisches public-private Modell werden sollte, auf das ich im Zusammenhang mit der South-Sea-Company noch zurückkommen werde). Gresham selbst war jedenfalls an der Gründung einer Handelsgesellschaft, der „Compagnie of Cathai“, beteiligt, welche die Expedition des berüchtigten Freibeuters Martin Frobisher finanzierte, mit der eine Nord-West-Passage nach Asien gefunden werden sollte. Allerdings hatte er mit diesem Ausflug in die Sphäre der Glücksritter und „Merchand-Adventurer“, die damals von London aus in alle Welt ausschwärmten, wenig Fortune. In der City ging nach Frobishers erster Expedition im Jahre 1576 das Gerücht herum, dass er Golderzvorkommen entdeckt habe, weswegen man ihn umgehend mit einer weiteren Expedition beauftragte, nicht ohne ihn zuvor, unbekümmert um die Rechte der indigenen Bevölkerung, zu nicht weniger als zum „Großadmiral aller Meere und Gewässer von Cathai“, also China, und anderer neu zu entdeckender Gewässer ernannt hatte. Da er von dieser Fahrt zweihundert Tonnen Gestein mitgebracht hatte, das man für goldhaltig hielt, schickte man ihn, im Goldrausch - der Mutter aller Modelle zur leichten Gewinnmaximierung - jede kaufmännische Vorsicht außer Acht lassend und ohne eine weitere Überprüfung des mitgebrachten Materials gleich mit fünfzehn Schiffen wieder los, die er mit Golderz füllen sollte. Als er zurückkam, wusste man schon, dass man sich verspekuliert hatte. Es hatte sich herausgestellt, dass das goldschimmernde Gestein wertloses Pyrit war.


Für Königin Elisabeth hatte Gresham noch eine Aufgabe zu erfüllen, die ihm nicht angenehm, aber offenbar nicht abzulehnen war. Er musste in seinem Haushalt Lady Mary Grey, eine Urenkelin Heinrichs VII, und Großcousine der Königin mit Thronfolgeberechtigung, quasi als Gefangene halten. Die unglückliche Lady hatte ohne die erforderliche königliche Zustimmung heimlich und unter Stand, nämlich einen bloßen, wenn auch stattlichen königlichen Portier geehelicht, weshalb sie der damaligen, geradezu shakespearesk-rigorosen Thronsicherungspolitik gemäß sofort und auf Dauer von ihrem Angetrauten getrennt und viele Jahre unter Hausarrest gestellt wurde, ein Schicksal, das auch ihre Schwester Catherine erlitt, die ihre Gefühle genausowenig im Zaum halten konnte oder wollte und ebenfalls heimlich geheiratet hatte. Drei Jahre ihrer „Gefangenschaft“ verbrachte Lady Mary Grey im Hause Greshams, die beiden letzten in Osterley House. Der Hausherr suchte, auch zur Entlastung seiner Frau, welche die traurige Lady zu betreuen hatte, mehrfach um Entbindung von dieser Last nach, fand damit aber bei Hofe lange kein Gehör.

Bei Gelegenheit von Mary und Catherine Grey muss ich noch auf das Schicksal einer weiteren Grey-Schwester samt dessen Weiterungen eingehen, weil sich dadurch die für die westliche Politkultur so bedeutenden Entwicklungen am Ende des 17. Jahrhunderts, die im Verlauf meiner Erzählung noch eine Rolle spielen, recht plastisch von den Verhältnissen der Gresham-Zeit abheben werden. Die dritte im Bunde der Geschwister war Lady Jane. Ihr Leben war ein wahrhaftes Königsdrama á la Shakespeare, was auch wieder mit mehr oder weniger geglückten Eheallianzen zu tun hatte, mit denen zu Fürstens Zeiten bevorzugt (Eroberungs)Politik gemacht wurde. Um diese Lady hatte sich der ehrgeizige John Dudley, Earl of Warwick, bemüht, der es zu einem der wichtigsten Ratgeber Heinrichs VIII. gebracht hatte, aber nach noch Höherem strebte. Der politische Ehrgeiz und der Hang, die Nähe der Krone zu suchen, der in seiner Familie endemisch war, sollten ihm und seiner Entourage nicht gut bekommen. Schon John Dudleys Vater Edmund war damit schlecht gefahren. Er war unter Heinrich VII. so etwas wie ein Finanzminister. Als solcher hatte er ein strenges Regime geführt und sich insbesondere beim Adel unbeliebt gemacht, den er rigoros zur Kasse bat. Nach dem Tode seines Herrn wurde er von Heinrich VIII., der sich damit wohl die Sympathie des Adels sichern wollte, unter einem Vorwand in den Tower gesperrt, wo er wegen Hochverrates enthauptet wurde, was der Beginn einer ganzen Serie von Köpfungen rund um die Familie Dudley war. Sohn John scheint dem König die Beseitigung seines Vaters nicht allzu übel genommen zu haben, denn er verdingte sich bei ihm als Heerführer und Berater in verschiedenen wichtigen Funktionen. Als Heinrich VIII. seinem Tod entgegen sah, berief er John Dudley in den Regentschaftsrat, der für seinen noch minderjährigen Sohn aus der Ehe mit Jane Seymour, den nachmaligen Edward VI., bis zu dessen Volljährigkeit die Regierungsgeschäfte führen sollte. Dessen Vorsitz hatte zunächst Edwards Onkel, der zu diesem Zweck zum Herzog von Somerset erhoben wurde. Als sich nach einigen Jahren unter den Granden Widerstand gegen den Herzog unter anderem deswegen erhob, weil er durch einen misslungenen Feldzug nach Schottland die Finanzen des Landes zerrüttet hatte und zu viel Verständnis für aufständische Bauern zeigte, die gegen die zunehmenden Einzäunungen von Ackerland durch den Adel protestierten, nutzte Dudley, der selbst Großgrundbesitzer war und schon außerordentich blutige Schlachten gegen die Bauern geführt hatte, die Gelegentheit, um Somerset im Verein mit Gleichgesinnten zu stürzen. Er ließ sich von Edward VI., den er auf seiner Seite hatte bzw. hatte ziehen können, selbst zum Herzog (von Northumberland) erheben und veranlasste fünf Tage danach ungeachtet der Tatsache, dass er seinen Sohn Guildfort kurz zuvor mit Somersets Tochter verheiratet hatte, dass letzterer in den Tower gesperrt und bald darauf hinrichtet wurde. (Trocken notierte der frühreife 14-jährige Edward VI. am 22.1.1552 in sein Tagebuch: „Dem Herzog von Somerset wurde heute morgen zwischen acht und neu Uhr der Kopf abgeschlagen.“). Bei dieser Gelegenheit übernahm Dudley auch noch Somersets soeben fertiggestelltes, unweit von Osterley House liegendes schönes Herrenhaus Syon (das Robert Adam wie Osterley House später prachtvoll ausstattete). Mit der Beseitigung Somersets war Northumberland de facto der Regent Englands. (Als solcher machte er übrigens Gresham zum Agenten der Krone in den Niederlanden mit dem Auftrag, die erwähnte Zerrüttung der englischen Finanzen durch Somersets Schottlandfeldzug zu reparieren.) Aber er wollte noch höher hinaus.

Nach der Regelung, die Heinrich VIII. getroffen hatte, sollte seine katholische Tochter Maria in der Thronfolge hinter Edward VI. stehen (erst danach kam die eher lauwarm protestantische Elisabeth). Edward aber war ein glühender Anhänger des Protestantismus und wollte verhindern, dass ein Katholik die Königsmacht erhielt, weswegen er in Erwartung seines Todes - er starb im Alter von nur 15 Jahren vermutlich an Tuberkulose - die Erbfolge dahingehend änderte, dass nach ihm seine Cousine Lady Jane, eine ebenfalls überzeugte Protestantin, den Thron erben solle. Darüber ob und inwieweit John Dudley, der sich auch auf die protestantische Seite geschlagen hatte, den jungen Mann dabei beeinflusst hat, streiten die Historiker. Dafür spricht jedenfalls die Tatsache, dass John Dudley, der als außerordentlich einschüchternde Persönlichkeit geschildert wird, kaum dass Edward VI. das entsprechende Dokument ausgestellt hatte, seinen sechszehnjährigen Sohn Guiltford mit der seinerzeit fünfzehnjährigen Jane Grey verheiratete. Nach dem Tode Edwards proklamierte Dudley seine nunmehrige Schwiegertochter in Syon House zur Königin und schickte Truppen zur Verhaftung Marias los. Diese hatte sich aber schon nach Norfolk in Sicherheit gebracht, wo sie einen Tag nach Lady Grey von der katholischen Partei zur Königin ausgerufen wurde. Die Katholiken konnten sich gegen die protestantische Partei schnell durchsetzten, sodass Lady Grey die Königswürde schon nach neun Tagen an Maria I. verlor, womit sie als Neuntage-Königin in die Geschichte einging. Im Zuge der Verwicklungen wurde nun Dudley verhaftet und wegen Hochverrates angeklagt. Er versuchte, sich noch durch Anerkennung von Maria und Übertritt zum Katholizismus zu retten, wurde aber dennoch verurteilt und im Tower hingerichtet. Auch Lady Grey wurde, wie übrigens auch alle Söhne Dudleys, wegen Hochverrates zum Tode verurteilt. Maria begnadigte aber die Söhne Dudleys und verzichtete zunächst auf die Vollstreckung des Urteils gegen Lady Grey und ihren Gemahl. Als sich wenig später die protestantische Partei unter Beteiligung von Janes Großvater, dem Herzog von Suffolk, wegen Marias Absicht, Philipp II. von Spanien zu ehelichen, in der sog. Wyatt-Verschwörung gegen die Königin erhob, hielten sie und ihre Berater es aus staatspolitischen Gründen dann aber doch für angebracht, auch die Eheleute zu köpfen (Großvater Suffolk und zwei Mitverschwörer gingen dabei selbstverständlich ebenfalls ihrer Häupter verlustig). In diesem Zusammenhang verbrachte auch Marias Halbschwester Elisabeth, welche der Beteiligung an der Verschwörung verdächtigt wurde, einige Zeit im Tower, wo sie sich mit Robert Dudley, einem der Söhne Northumberlands, getroffen haben soll, der als Geliebter der späteren „jungfräulichen Königin“ vermutet wird und eine wichtige Rolle bei ihren politischen Schachzügen spielen sollte (u.a. bestellte sie ihn zum Lordprotector, das heißt zum Regenten bis zu Klärung der Thronnachfolge, als sie befürchtete, dass sie wegen einer Pockenerkrankung sterben könnte; außerdem wollte sie ihn mit Maria Stuart von Schottland verheiraten, um auf diese Weise das störrische Volk im Norden der Insel in Griff zu bekommen, was aber misslang). Einmal richtig in Gang gesetzt ging das Köpferollen munter weiter - meist mit einem öffentlichen Spektakel und anschließender Präsentation des aufgespießten und zur längeren Erhaltung geteerten abgeschlagenen Hauptes und weiterer Körperteile der Inkriminierten auf der London Bridge. (Im Jahre 1595 zählte ein deutscher Reisender über dreißig aufgespießte Köpfe auf der Brücke). Maria brachte in ihrer fünfjährigen Regierungszeit rund dreihundert Prostestanten auf das Schafott, womit sie sich den Titel „Bloody Mary“ redlich verdiente. Elisabeth setzte die blutige Tradition, wenn auch mit einer etwas geringeren Schlagzahl, fort (eines ihrer Opfer war bekanntlich Maria Stuart von Schottland, das England, worauf ich noch eingehen werde, erst über ein Jahrhundert später in den Griff bekommen konnte). Diese blutige Art des Erwerbs, der Sicherung und des Übergangs von Macht sollte sich, wie gesagt, erst Ende des 17. Jahrhundert im Zuge der Entwickungen ändern, die ein außerordentlich wichtiger Bestandteil der polit-ökonomischen Geschichte England sind.

Das dramatische Schicksal der hochgebildeten Lady Grey, die Platon und Livius in den Originalsprachen las, ist vielfach zum Gegenstand von Romanen, Theaterstücken, Gemälden und Filmen geworden, in denen insbesondere die Art, wie die junge Frau ein Spielball in den Händen ergeiziger Männer war, mehr oder weniger melodramatisch verarbeitet worden ist. Insbesondere um ihre letzten Tage und Stunden ranken sich allerhand rührselige Legenden, zumal sie in Erwartung des Todes ergreifende Briefe an ihren Mann und andere Vertraute geschickt hatte, die sehr zum Verdruss von Königin Maria schon bald nach ihrem Tod gedruckt wurden. Sie verweigerte standhaft die Konversion zum katholischen Glauben, die man ihr anbot, und starb wie Sokrates, indem sie sich - ihre Unschuld betoned - dem Gesetz beugte (und auf ein Nachleben mit ihrem Mann, den sie tatsächlich geliebt zu haben scheint, im Jenseits vertraute). Von protestantischer Seite wurde sie später geradezu zur Mätyrerin stilisiert. In Deutschland hat sie Theodor Fontane mit einer in Knittelversen etwas holpernden Ballade verewigt.


Thomas Gresham, um auf ihn zurückzukommen, musste bei all den Diensten, welche er für die Krone leistete, nicht darben. Er strich bei der Vermittlung der vielfältigen Geschäfte zwischen dem Königshaus und dem Ausland nicht nur eine ordentliche Marge ein. Er durfte auch großzügig seine Auslagen abrechnen und Geld der Krone für private Spekulationen verwenden. Als nach Beendigung seiner Tätigkeit für die Regierung ein Revisor die finanziellen Beziehungen zwischen ihm und der Krone prüfte und zu dem Ergebnis kam, dass er der Krone noch einen ansehnlichen Betrag schuldete, besorgte er sich ein Doppel des Berichtes, setzte darauf eine ziemlich freihändig errechnete Gegenforderung und ging damit zu Königin Elisabeth, um sich das Ganze bestätigen zu lassen, was sie, da sie ihn angesichts seiner Verdienste nicht desavouieren wollte, auch tat. Im Übrigen wurde er von der Krone mit reichlich Land belohnt. Dasselbe stammte aus einer weiteren Maßnahme, mit der Heinrich VIII. die Not leidenden königlichen Finanzen aufbesserte, nämlich aus den Enteignungen, welche im Zuge der Entmachtung der katholischen Kirche sehr viel Land „frei“ gemacht hatten - immerhin gehörte den seinerzeit aufgelösten Klöstern einmal nicht weniger als ein Sechstel des englischen Grundes. Auf diese Weise gelangte Gresham wohl auch an den Grund von Osterley House und Park. Am Ende war Gresham einer der reichsten Männer Englands. Er konnte sich daher ein anständiges Herrenhaus leisten.

Thomas Gresham baute also ein „house“ auf dem Grund von Osterley, der so geschickt außerhalb der geschäftigen Hauptstadt lag, dass man seine Ruhe hatte und einigermaßen sicher vor der Pest war, die London immer wieder heimsuchte, aber mit einer Stunde Kutschenfahrt auch wieder so nah, dass man bei der Entscheidung wichtiger politischer oder geschäftlicher Angelegenheiten schnell an den Brennpunkten der Entscheidungsfindung präsent sein konnte. Wir wissen heute nicht mehr genau, wie Osterley House damals aussah. Man kann aber annehmen, dass es den Vermögensverhältnissen seines Erbauers angemessen war. Die Kubatur, die dem heutigen Bau im Wesentlichen noch zu Grunde liegt, war jedenfalls gewaltig. Wenn das alte Osterley House dem Burghley House ähnelte, das sich William Cecil, der 1. Earl of Exeter, zur gleichen Zeit im Norden Londons baute, war es auch sonst nicht eben bescheiden. Dafür dass dies der Fall gewesen sein dürfte, spricht, dass an beiden Häusern der Architekt arbeitete, den sich Gresham zum Bau eines ebenfalls sehr prachtvollen Geschäftshauses in der City aus Antwerpen geholt hatte, wo man sich eine sehr aufwendige Bauweise leisten konnte. In zeitgenössischen Beschreibungen wird Osterley House als „angemessenes und stattliches Haus aus Backsteinen“, beschrieben, das „eines Prinzen würdig“ sei. Darauf dass es auch königlichen Ansprüchen genügte, deutet die Tatsache, dass sich Elisabeth hier öfters aufhielt. Bei einem ihrer Besuche soll sie bemängelt haben, dass der Ehrenhof vor dem Haus zu groß sei, er würde schöner, wenn man ihn in der Mitte durch eine Wand teilte. Am nächsten Morgen, so wird berichtet, habe Gresham die Königin mit der fertigen Mauer überrascht, welche eilig herbei gerufene Bauleute über Nacht erstellten hätten (was angesichts der tiefen nächtlichen Stille auf dem völlig einsam liegenden Anwesen, bei der jede Aktivität weithin hörbar gewesen sein muss, nicht leicht nachzuvollziehen ist).

Um das Haus herum legte Gresham einen riesigen eingezäunten Park an, den er durch den Erwerb anliegender Ländereien im Laufe der Zeit noch erheblich erweiterte. Der Park war so groß, dass das, was davon heute übrig ist, noch immer eines der größten unbebauten Gebiete Londons ist, das an weitläufigen öffentlichen Grünflächen ja nicht eben arm ist. Wegen der Dominanz des Grundes wird das ganze Anwesen daher auch Osterley Park genannt.

Als Unternehmer wusste Gresham den Park auch wirtschaftlich zu nutzen. Er legte Seen für die Zucht von Fischen und eine Reiherzuchtanlage an. Mit dem Wasser des vorbei fließenden Flusses Brent betrieb er mehrere Mühlen, darunter die erste Papiermühle Englands.

Die alt eingesessenen Bauern waren von einer derart herrenhaften Nutzung des Landes natürlich alles andere als begeistert, denn sie verloren dadurch ihre Lebensgrundlage. Ihre Einstellung gegenüber dem „Landlord“ lässt sich an Hand eines Ereignisses erkennen, das sich bei einem Besuch von Königin Elisabeth zugetragen haben soll. Die Darbietung von Liedern, Sonetten und eines eigens für diesen Anlass geschriebenen Schauspiels, die Gresham für die Königin veranstaltete, soll durch zwei Frauen gestört worden sein, die „bösartig, diabolisch und illegal“ die Zäune und Einfriedungen des Parks niederrissen und verbrannten. In der Tat trug Gresham mit seiner Art der Landnutzung zu der durchaus zwiespältigen Entwicklung bei, durch welche England einerseits seinen einsamen Spitzenplatz in der weltwirtschaftlichen Entwicklung erlangen, andererseits aber auch ernorme neue soziale Probleme erzeugen sollte. Eine Ursache für den Beginn der industriellen Revolution und der damit einhergehenden Verelendung der ehemals bäuerlichen Bevölkerung Englands wird nämlich darin gesehen, dass sich ab der Zeit eines Gresham das Bodenrecht änderte. Das mittelalterliche Recht, nach welchem der landwirtschaftliche Boden dem „Eigentümer“ meist nur während der Anbauperiode zur alleinigen Nutzung zur Verfügung stand, ansonsten aber von der Allgemeinheit, den „commeners“, etwa zum Grasen von Vieh genutzt werden konnte, wurde unter dem Druck des Adels und des Großkapitals zunehmend abgelöst durch das Recht des „Eigentümers“, eingezäunte Flächen zu bilden, über deren Verwendung er alleine entscheiden konnte (was sie abgesehen vom großformatigem und damit effizienteren Getreideanbau im Wesentlichen dazu nutzten, massenhaft die wenig arbeitsintensive Schafzucht zu betreiben mit der Folge, dass England zum wichtigsten Produzenten von Wolle aufstieg). Die stark zunehmende Bildung solcher „enclosures“ trieb die Bauern von der Scholle, was dazu führte, dass sie in die Städte zogen. (Der irische, in England tätige Schriftsteller Oliver Goldsmith, auf den ich später noch näher eingehen werde, hat dieses Problem schon in seiner 1770 erschienenen Elegie „The deserted Village“ thematisiert und ergreifend das armselige Schicksal der vertriebenen Landbevölkerung geschildert, die gezwungen war, in die Städte oder nach Amerika auszuwandern.) Die große Menge ungebundener, Arbeit suchender Menschen aber gilt als eine Voraussetzung für das Entstehen der großen Manufakturen, die schließlich in rasender Schnelle die Wirtschaftswelt revolutionierten und England seinen großen Vorsprung in der weltwirtschaftlichen Entwicklung sichern sollte. Mittlerweile hat sich das Phänomen der Landflucht gerade in London, aber auch in vielen anderen großen Städten der Welt umgekehrt und die inzwischen „eingeborenen“ Stadtbewohner werden nun in ähnlicher Weise wie einst die Landbevölkerung durch eine neue Schicht wohlhabend gewordener Marktteilnehmer aus ihren Quartieren verdrängt, von Personen, die sich, wie es im schönsten Soziologendeutsch heißt, nicht anders als die Herrenhausbesitzer „im Habitus und Geschmack, in den sozialen und kulturellen Ausdrucksweisen und symbolhaft inszenierten Konsumgewohnheiten“ von ihnen unterscheiden, ein Prozess, der in Anlehnung an die Rückkehr der „landed gentry“ in die Städte ab der Mitte des 19. Jahrhunderts als „Gentrifizierung“ bezeichnet wird.


Gresham trug noch ein Weiteres zur Beförderung des englischen Wirtschaftslebens bei. Er gründete nach dem Muster der Niederlande den ersten englischen Platz für den geregelten Handel mit vertretbaren, das heißt nicht individuell zu liefernden Gütern, die Londoner Börse. Dazu ließ er in der City von seinem Antwerpener Architekten und mit Materialien, die eigens aus den Niederlanden herbeigebracht wurden, das bereits erwähnte repräsentative Geschäftshaus im flämischen Stil erstellen. Auf einem zeitgenössischen Stich ist ein palastartiges Gebäude mit einem prächtigen Innenhof zu sehen, über dessen Säulenarkaden sich Nischen mit überlebensgroßen Statuen befinden. Ausdrücklich ist darauf vermerkt, dass Gresham den Bau auf eigene Kosten zum Schmuck der königlichen Stadt London und zum öffentlichen Gebrauch erstellt habe. Die „Royal Exchange“, die Königin Elisabeth im Jahre 1571 eröffnete, wurde zum Nukleus des Wirtschaftszentrums City, diesem gerade einmal eine Quadratmeile großen Stadtbezirk, der im Laufe der Zeit zu einem der Hotspots der Weltwirtschaft werden sollte.

Gresham legte nicht nur archtektonisch Wert auf Stil. Aktienhändler waren an der Börse wegen ihres rüpelhaften Benehmens zunächst nicht zugelassen. Sie trafen sich in der Umgebung der Royal Exchange, ab der Mitte des 17. Jahrhundert vor allem in Kaffeehäusern wie „Jonathans“, die sich in einer noch heute bestehenden Gasse zwischen Cornhill und Lombard Street befanden, die man später Exchange Alley, verkürzt Change Alley nannte. Dort entwickelte sich im Laufe der Zeit ein systematischer Aktienhandel.

Schließlich wird mit dem Namen des Herrn von Osterley House auch das ökonomische Phänomen verbunden, wonach staatlich angeordnetes schlechtes, das heißt aus minderwertigem Metall bestehendes Geld auf die Dauer das gute Geld verdrängt, da letzteres gehortet wird. Unter Verweis auf dieses „Gesetz“, dessen Gültigkeit inzwischen auch für andere Wirtschaftsbereiche erwiesen ist, hatte Gresham Königin Elisabeth zu der erwähnten Münzreform geraten, weswegen es nach ihm benannt wurde (allerdings hatten sich schon Aristophanes und Kopernikus mit diesem Problem beschäftigt). Damit wurde Gresham auch ein Platz in den Annalen des Nachdenkens über die Funktionsweise der Nationalökonomie zugewiesen, eine Wissenschaft, in der England angeführt durch Adam Smith, bald ebenfalls die Richtung bestimmen sollte.

Gresham, dessen einziger Sohn im Alter von zwanzig Jahren gestorben war, verfügte, dass sein Vermögen nach seinem Tod weitgehend öffentlichen Zwecken dienen solle. Einen Teil vermachte er in letzter Instanz der „City of London Corporation“, der Körperschaft, durch welche die „Square Mile“ seit dem frühen Mittelalter nach einem eigenen hochkomplexen Verfahren mehr oder weniger demokratisch regiert wird (sie gilt als die älteste demokratische Institution Englands). Zum anderen bedachte er die „Mercers Corporation“, die Tuchhändlergilde, der er angehörte, die älteste der zahlreichen Zunftorganisationen, welche die Basis der Verfassung der „City Corporation“ bilden; diese bis heute bestehenden „Livery Corporations“, das heißt Livree tragenden Standesorganisationen, kümmerten sich, abgesehen von der Regelung berufständiger Fragen, vor allem um die sozialen Belange ihrer Mitglieder. Von den Einkünften aus seiner Hinterlassenschaft war das Gresham College zu finanzieren, welches er gründete, die älteste Bildungsinstitution der „City“, in der laut testamentarischer Verfügung sieben Professoren täglich Vorlesungen über Astronomie, Medizin, Musik, Recht, Rhetorik, Mathematik und Theologie halten sollten, was, wenn auch nicht in dem Umfang, den der Stifter anstrebte, bis heute beibehalten wird. Außerdem ordnete er an, dass aus diesen Mitteln auch die Armenhäuser für acht Personen zu unterhalten seien, die er hinter seinem Stadthaus in der City bauen ließ. Auch diese Institution ist bis heute erhalten, wurde jedoch, da das Grundstück in der City für eine derart „unwirtschaftliche“ Verwendung zu wertvoll wurde, im 19. Jahrhundert in den Stadtteil Brixton verlegt, wo die Häuser so hübsch und gemütlich um eine parkartige Grünfläche gruppiert sind, dass heute mancher ordentlich verdienender Vertreter der Mittelklasse froh wäre, wenn er dort eine Bleibe ergattern könnte. Gresham ist damit auch ein frühes Beispiel für das Engagement der reichen Bürger Englands für öffentliche Belange und für die karitativen und mäzenatischen Tendenzen, welche mit der nicht selten rigoros-liberalistischen anglo-sächsischen Wirtschaftspraxis immer wieder einhergehen. London dankt es ihm dadurch, dass es gleich drei Straßen nach ihm benannte, darunter die Straße, an der die Guildhall, das mittelalterliche Rathaus der City, liegt. Thomas Haywood, ein prominenter Stückeschreiber aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, machte ihn posthum auch zu einer Figur in einer City-Komödie. Im dem Stück, in dem vom Bau der Royal Exchange bis zum Untergang der spanischen Armada diverse Ereignisse aus der Regierungszeit Elisabeths glorifizierend thematisiert werden, geht es sinnigerweise um einen Kredit, den die notorisch klamme Elisabeth zurückzahlen will, obwohl sie ihn gar nicht erhalten hat. Der Kreditgeber war auf einen Trickbetrüger hereingefallen, welcher behauptete, im Namen der Königin zu handeln. Bemerkenswerterweise hat Gresham im Park von Stowe, einem der größten und prächtigsten Herrenhäuser Englands, auf das ich später noch eingehen werde, die Ehre, im „Tempel of the British Worthys“, der im Tal der Elysischen Felder steht, einer der sechzehn Personen zu sein, die der Hausherr in seiner persönlichen Walhalla zu den Großen des Landes zählte. Seine Büste steht dort neben denen von Shakespeare, Locke, Elisabeth I. und Newton. Zu jeder Büste gibt es eine Inschrift, in der in einem Satz die Leistungen des jeweiligen Granden treffend zusammengefasst sind. Sie lautet für ihn: „Thomas Gresham, der durch den ehrenhaften Beruf des Kaufmannes, mit dem er sich selbst und sein Land bereicherte, indem er den Handel in der Welt vorantrieb, die Royal Exchange baute.“