Die Geschichte unserer Welt ist eine Geschichte, die man noch nicht genau kennt. Vor etwa 200 Jahren wußte die Geschichtswissenschaft nur von den letzten drei Jahrtausenden zu erzählen. Was vorher geschehen war, galt als Legende oder Vermutung. In einem großen Teil der zivilisierten Welt glaubte und lehrte man, daß die Erde plötzlich, im Jahre 4004 v. Chr., erschaffen worden sei; allerdings waren die Forscher darüber uneins, ob sich dies im Frühjahr oder im Herbst jenes Jahres ereignet habe. Diese phantastisch-pedantische Irrmeinung gründete sich auf eine zu wörtliche Auslegung der hebräischen Bibel und auf damit verbundene recht willkürliche theologische Annahmen. Solche Ideen sind von den Religionslehrern längst aufgegeben worden, und man weiß heute auf der ganzen Erde, daß das Weltall, in dem wir leben, allem Anschein nach seit einer ungeheuren Zeitperiode, möglicherweise sogar seit endloser Zeit besteht. Gewiß kann dieser Anschein trügen, wie etwa ein Zimmer durch einander gegenübergestellte Spiegel den Eindruck der Endlosigkeit erwecken kann. Der Gedanke jedoch, daß die Welt, in der wir leben, erst seit sechs- oder siebentausend Jahren bestehe, kann zweifellos als endgültig überholt angesehen werden.
Die Erde ist, wie heute jedermann weiß, ein Sphäroid, eine leicht abgeflachte Kugel, einer Apfelsine ähnlich, mit einem Durchmesser von fast 13000 km. Daß die Erde eine kugelförmige Gestalt hat, ist seit etwa 2500 Jahren zumindest einer kleinen Anzahl gebildeter Menschen bekannt. Vor dieser Zeit glaubte man, sie sei flach, und es bestanden verschiedene, heute phantastisch anmutende Auffassungen darüber, in welcher Beziehung sie zum Himmel, zu den Fixsternen und den Planeten stehe. Nun wissen wir, daß sie sich in 24 Stunden um ihre eigene Achse dreht (die ungefähr 3842 km kürzer ist als der Durchmesser des Äquators), was den Wechsel zwischen Tag und Nacht hervorbringt, und daß sie sich im Verlauf eines Jahres in einer leicht verzerrten und etwas veränderlichen ovalen Bahn um die Sonne bewegt. Ihre Entfernung von der Sonne schwankt zwischen 139 und 143 Millionen Kilometern.
380000 km. Erde und Mond sind nicht die einzigen Körper, die sich um die Sonne bewegen. Dies tun auch die Planeten Merkur und Venus in einer Entfernung von 57 beziehungsweise 107 Millionen Kilometern; und außerhalb der Erdbahn, und abgesehen von dem Gürtel zahlreicher kleinerer Körper, den Planetoiden, gibt es noch Mars, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun, in einer Durchschnittsentfernung von 225, bzw. 782, 1415, 2850 und 2870 Millionen Kilometern. Es ist sehr schwer, sich Millionen von Kilometern überhaupt vorzustellen. Vielleicht können wir der Phantasie des Lesers nachhelfen, wenn wir Sonne und Planeten auf einen besser faßlichen Maßstab bringen.
Um die Erde kreist eine kleinere Kugel, der Mond, in einer Durchschnittsentfernung vonWenn wir uns die Erde als einen kleinen Ball von 10 cm Durchmesser vorstellen, so wäre die Sonne eine große Kugel von 11 m Durchmesser und 1150 m von der Erde entfernt, das ist ein Weg von etwa zwanzig Minuten. Der Mond hätte die Größe einer Haselnuß und wäre 3 m von der Erde entfernt. Zwischen Erde und Sonne befänden sich die zwei inneren Planeten Merkur und Venus, 450 m beziehungsweise 900 m von der Sonne entfernt. Rings um diese Körper wäre Leere, bis man endlich zu Mars gelangte, 230 m sonnenferner als die Erde, dann zu Jupiter, ungefähr 6000 m von der Erde entfernt, mit einem Durchmesser von 1.20 m, zu dem etwas kleineren Saturn, etwa 12 km entfernt, zu Uranus, der 24 km, und zu Neptun, der 36 km entfernt wäre. Dann käme nichts und nichts, ausgenommen einige kleine Körperchen und dahintreibende Teilchen sich verflüchtigenden Dampfes, Tausende und Abertausende von Kilometern hindurch. Der nächste Fixstern befände sich nach diesem Maßstab 250000 km von der Erde entfernt.
Diese Zahlen werden vielleicht einen Begriff von der ungeheuren Leere des Raumes geben, in dem das Drama des Lebens sich abspielt.
In dieser ungeheuren Leere ist Leben nur auf der Erdoberfläche mit Bestimmtheit nachzuweisen. Es dringt höchstens 5 km in die 6000 km ein, die uns vom Erdmittelpunkt trennen, und reicht nicht höher als 8 km über die Erdoberfläche. Anscheinend ist der ganze übrige grenzenlose Raum leer und tot.
Es gilt heute als wahrscheinlich, daß die Erde schon etwa zwei Milliarden Jahre als selbständiger, sich um die Sonne drehender Planet existiert. Möglicherweise ist sie noch viel älter. Dies ist ein Zeitraum, der weit über unsere Vorstellungskraft hinausreicht. Vor dieser ungeheuren Periode selbständiger Existenz dürften die Sonne, die Erde und die anderen Planeten, die um die Sonne kreisen, ein großer Wirbel diffuser Materie im Raum gewesen sein. Das Fernrohr enthüllt uns in verschiedenen Gegenden des Himmels leuchtende spiralenförmige Wolken aus Materie, die Nebelflecken, die sich anscheinend um einen Mittelpunkt drehen. Es wird von vielen Astronomen angenommen, daß die Sonne und ihre Planeten einst solch eine Nebelspirale waren und daß ihre Materie sich dann in die gegenwärtige Form verdichtet hat. Durch majestätische Äonen hindurch ging diese Verdichtung vor sich, bis in der ungeheuer entfernten Vergangenheit, von der wir sprachen, die Erde und ihr Mond unterscheidbar wurden. Damals drehten sie sich viel schneller als heute; sie waren der Sonne näher; sie umkreisten sie weitaus rascher und dürften eine weißglühende oder geschmolzene Oberfläche gehabt haben. Die Sonne selbst glühte viel kräftiger im Himmelsraum.
Wenn wir durch die ungeheure Unendlichkeit der Zeit zurückwandern und die Erde in jenem frühen Stadium ihrer Geschichte sehen könnten, würden wir etwas erblicken, was dem Inneren eines heutigen Hochofens gliche oder der Oberfläche eines Lavastromes, ehe er auskühlt und erstarrt. Wir würden kein Wasser sehen, denn alles Wasser wäre überhitzter Dampf in einer stürmischen Atmosphäre von Schwefel- und Metalldünsten. Darunter kochte und brodelte ein Meer von geschmolzener Felsensubstanz. Über einem Himmel voll feuriger Wolken würde der Glanz der eilenden Sonne und des Mondes schnell dahinwirbeln wie Flammenatem.
Ganz allmählich, während Millionen von Jahren einander folgen, verliert diese feurige Szenerie ihre eruptive Weißglut. Aus den Dämpfen des Himmels regnet es hernieder, und oben beginnt es sich zu lichten; große schlackige Trümmer erstarrender Felsen tauchen an der Oberfläche des geschmolzenen
Meeres auf, um wieder zu verschwinden und anderen schwimmenden Massen Platz zu machen. Sonne und Mond rücken ferner und werden kleiner, die Geschwindigkeit ihrer Bewegung am Himmel nimmt ab. Der Mond ist nun infolge seines kleineren Umfangs längst nicht mehr weißglühend; im Wechsel von Mondfinsternis- und Vollmondphasen verdunkelt er das Licht der Sonne oder spiegelt es wider. Und so wird mit ungeheurer Langsamkeit durch unermeßliche Zeiträume hindurch die Erde dem Planeten, auf dem wir leben, immer ähnlicher, bis endlich ein Zeitalter herankommt, da in der auskühlenden Luft der Dampf sich zu Wolken verdichtet und der erste Wasserregen zischend auf die ersten Felsen drunten herabfällt. Zahllose weitere Jahrtausende hindurch schwebt der größte Teil des Wassers noch dampfförmig in der Atmosphäre, doch nun fließen heiße Ströme über die sich kristallisierenden Felsen und bilden Teiche und Seen, in die sie Geröll tragen und Schutt ablagern.Schließlich muß ein Zustand erreicht worden sein, da ein Mensch auf der Erde hätte stehen, um sich blicken, leben können. Hätten wir damals die Erde besucht, so hätten wir unter einem sturmbewegten Himmel gestanden, auf großen lavaähnlichen Felsmassen, ohne eine Spur von Erdreich, ohne ein Zeichen von Vegetation. Heiße, heftige Winde, viel stärker als der wildeste Wirbelsturm unserer Tage, und Regengüsse, wie sie unsere kühlere und langsamere Erde heute nicht mehr kennt, hätten uns heimgesucht. Rasend wären die niederstürzenden Wasser an uns vorübergesaust, voll vom Schlamm zerriebener Felsen, sich zu Strömen vereinend, Schründe und Schluchten einreißend, rastlos talwärts strebend, um ihr Geröll in den frühen Meeren abzulagern. Durch die Wolken hätten wir eine große Sonne erblickt, die sich sichtbar am Himmel bewegte, und mit ihrem Aufgang und dem des Mondes hätte die Erde täglich gebebt und ihre Oberfläche sich aufgeworfen. Und der Mond, der uns heute immer dasselbe Antlitz zeigt, hätte sich damals noch sichtbar gedreht und der Erde auch die Seite zugewendet, die er uns heute so unerbittlich verbirgt.
Die Erde alterte. Eine Million Jahre folgte der anderen, die Tage wurden länger, die Sonne rückte ferner und wurde milder, des Mondes Bewegung am Himmel verlangsamte sich; die Heftigkeit von Regen und Sturm nahm ab, das Wasser der
ersten Meere schwoll und floß zum Ozean zusammen, dem Gewand, das seither unseren Planeten umkleidet.Doch gab es noch kein Leben auf der Erde; die Meere waren tot und die Felsen kahl.
Unsere Kenntnis von den Lebensformen vor der Zeit, in die menschliche Erinnerung und Tradition zurückreichen, leitet sich aus Abdrücken und Fossilien in den Gesteinsschichten her. Wir finden in Schiefer, Kalk- und Sandstein neben den gerippten Spuren der frühesten Fluten und den Tropfgrübchen der frühesten Regengüsse Knochen, Muscheln, Fasern, Stengel, Früchte, Fußabdrücke, Einkratzungen und ähnliches. Durch emsiges Studium der Gesteinskunde ist es gelungen, die längstvergangene Geschichte des Lebens auf der Erde zusammenzustückeln. Das Sedimentärgestein liegt nicht in geordneter Reihenfolge Schicht auf Schicht; es ist vielmehr zerrissen, verbogen, aufgeworfen, entstellt und durcheinandergemischt, den Buchblättern einer Bibliothek vergleichbar, die wiederholt geplündert und durch Feuer beschädigt worden ist. Es hat der hingebungsvollen Lebensarbeit vieler bedurft, bis die Felsenkunde geordnet war und gelesen werden konnte. Man schätzt heute den durch die Geologie erforschten Zeitraum auf 1.600.000.000 Jahre.
Die ältesten Gesteinsschichten werden von den Geologen azoische Felsen genannt, weil sie keine Spuren von Leben enthalten. In Nordamerika gibt es große Gebietsstriche, in denen azoische Felsen bloßliegen; ihre gewaltige Dicke läßt die Geologen annehmen, daß sie mindestens die Hälfte jener Jahre darstellen, die die ganze geologische Zeit ausmachen. Wir wollen uns diese höchst bedeutsame Tatsache gut einprägen: die Hälfte des ungeheuren Zeitraumes, seit Land und Meer auf der Erde unterscheidbar wurden, hat uns keinerlei Spuren von Leben hinterlassen. Man findet in diesen Felsen Wellen- und Regenspuren, aber nicht die geringste Andeutung von einem Lebewesen.
Gehen wir in der Felsenkunde weiter, so erscheinen immer mehr Anzeichen vergangenen Lebens. Das Zeitalter der Weltgeschichte, aus dem diese Spuren stammen, wird von den
Geologen das früh-paläozoische genannt. Die ersten Beweise dafür, daß das Leben anhob, sind Spuren von sehr einfachen und niedrigen Wesen: Schalen kleiner Schalentiere, Stengel und blumenartige Köpfe von Zoophyten (Pflanzentiere), Seegräser und Spuren und Überreste von Seewürmern und Krustazeen (Krustentiere). Sehr früh erscheinen gewisse, Blattläusen ähnliche Wesen, kriechende Geschöpfe, die sich zu Kugeln zusammenrollen können, die Trilobiten. Später, nach etlichen Millionen Jahren, erscheinen gewisse Seeskorpione, beweglichere und kraftvollere Geschöpfe, als sie die Welt bis dahin gesehen hatte.Keines dieser Geschöpfe war sehr groß. Die größten unter ihnen, gewisse Seeskorpione, waren etwa 2½ cm lang. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, daß auf dem Land pflanzliches oder tierisches Leben bestand; dieser Teil der Felsenkunde weist weder Fische noch Wirbeltiere auf. Alle Pflanzen und Lebewesen, die uns aus dieser Periode der Erdgeschichte Spuren hinterlassen haben, sind Bewohner seichter Gewässer und von der Flut des Meeres überschwemmter Gebiete. Wenn wir Flora und Fauna des früh-paläozoischen Zeitalters mit etwas Heutigem vergleichen wollen, so tun wir am besten, einen Wassertropfen aus einem Bergsee oder einem schlammigen Tümpel unter dem Mikroskop zu betrachten – die Größe stimmt zwar nicht, doch finden wir kleine Krustazeen, kleine Schalentiere, Zoophyten und Algen von erstaunlicher Ähnlichkeit mit jenen schwerfälligeren, größeren Typen, die einst die Krone alles Lebendigen auf unserm Planeten waren.
Wir müssen uns jedoch darüber klar sein, daß die früh-paläozoischen Felsen uns wahrscheinlich durchaus kein vollständiges Bild von den Uranfängen des Lebens auf unserm Planeten geben. Wenn ein Geschöpf nicht Knochen oder andere harte Teile aufweist, wenn es keine Schale besitzt oder nicht groß und schwer genug ist, um charakteristische Fußabdrücke oder Fährten im Schlamm zu hinterlassen, werden kaum irgendwelche fossile Spuren seines Daseins erhalten bleiben.
Es gibt heute Hunderttausende von Spezies mit weichem Körper, von denen ein künftiger Geologe keinerlei Spuren wird auffinden können. In der Urzeit der Erde mögen Millionen und Abermillionen solcher Wesen gelebt und sich vermehrt haben, geworden und vergangen sein, ohne daß sie eine Spur
hinterlassen hätten. Die Gewässer der warmen und seichten Seen und Meere der sogenannten azoischen Periode mögen von zahllosen Abarten niedriger, gallertartiger, schalen- und knochenloser Geschöpfe gewimmelt haben, und eine Unzahl grüner, schaumiger Pflanzen mag sich über die sonnigen Felsen und Buchten der von der Flut heimgesuchten Ufer ausgebreitet haben. Die Felsenkunde ist ebensowenig ein vollständiges Verzeichnis der Lebewesen der Vergangenheit, wie etwa die Geschäftsbücher eines Bankhauses eine Liste sämtlicher Einwohner aus der Nachbarschaft enthalten. Erst wenn eine Spezies eine Schale, ein Skelett, ein Gehäuse oder einen kalkhaltigen Stengel abzusondern beginnt und damit sozusagen etwas für die Zukunft zurücklegt, wird die Geologie ihrer habhaft. Allerdings findet man in Felsen, die noch älter sind als die mit fossilen Spuren, hie und da Graphit, eine Form reinen Kohlenstoffs, und manche Forscher glauben, daß dieser durch die Lebensfunktionen unbekannter Geschöpfe aus einer Kohlenstoffverbindung ausgeschieden worden ist.Als man noch glaubte, die Welt bestehe erst seit einigen Jahrtausenden, nahm man an, daß die verschiedenen Pflanzen- und Tierarten fix und fertig, d.h. genauso geschaffen worden seien, wie sie heute sind, jede Spezies für sich. Als man jedoch die Felsenkunde zu entdecken und zu studieren begann, wich dieser Glaube der Vermutung, daß viele Arten sich im Verlauf der Zeitalter verändert und entwickelt hätten, und daraus wieder erwuchs der Glaube an die sogenannte organische Evolution, nämlich, daß alle lebenden Spezies auf der Erde, tierische wie pflanzliche, in einem langsamen, andauernden Veränderungsprozeß aus einer sehr einfachen Urform des Lebens entstanden seien, aus einer fast strukturlosen lebendigen Substanz in den fernen sogenannten azoischen Meeren.
Die Frage der organischen Evolution hat, ebenso wie die des Alters der Welt, seinerzeit bittere Kämpfe hervorgerufen. Es gab eine Zeit, da der Glaube an die organische Evolution aus ziemlich unverständlichen Gründen für unvereinbar galt mit
der wahren christlichen, jüdischen oder mohammedanischen Lehre. Diese Zeit ist vorüber, und Menschen von orthodoxestem katholischen, protestantischen, jüdischen oder mohammedanischen Glauben dürfen sich nun zu der neueren und weiteren Ansicht über den gemeinsamen Ursprung alles Lebendigen bekennen. Es ist wohl keine Lebensform auf der Erde plötzlich entstanden. Leben erwuchs und wächst immer noch. Durch riesenhafte Zeiträume hindurch, Zeiträume, vor denen unsere Vorstellungskraft versagt, ist das Leben aus weiter nichts als einer Regung im Schlamm zwischen Flut und Ebbe emporgewachsen zu Freiheit, Kraft und Bewußtheit.Das Leben besteht aus Individuen. Diese Individuen sind bestimmt; sie gleichen nicht den Klumpen und Massen, nicht einmal den unbegrenzten und bewegungslosen Kristallen der leblosen Materie. Sie haben zwei Merkmale, die die tote Materie nicht aufweist: sie nehmen Nahrung auf und vermehren sich. Sie können andere Individuen hervorbringen, die ihnen im wesentlichen gleichen, sich jedoch immer auch geringfügig von ihnen unterscheiden. Es gibt eine spezifische, eine Familienähnlichkeit zwischen dem Individuum und seinen Jungen, und es gibt einen individuellen Unterschied zwischen Eltern und Nachkommenschaft; dies gilt für jede Spezies und für jedes Lebensstadium.
Die Wissenschaft ist nicht imstande, uns zu erklären, warum die Nachkommen ihren Eltern ähneln und sich doch auch wieder von ihnen unterscheiden. In Anbetracht dieser Tatsache begreift der gesunde Menschenverstand auch ohne wissenschaftliche Bildung, daß bei einer Veränderung der Bedingungen, unter denen eine Spezies lebt, die Spezies selbst entsprechende Veränderungen mitmacht. Denn in jeder Generation der Spezies muß es einerseits solche Geschöpfe geben, deren individuelle Eigenart ihnen die Anpassung an neue Lebensbedingungen erleichtert, und andererseits solche, deren individuelle Besonderheit ihnen das Leben verhältnismäßig schwerer macht. Gewöhnlich werden die erstgenannten länger leben, mehr Nachkommen zur Welt bringen und sich zahlreicher vermehren, und so wird sich Generation um Generation der Durchschnitt der Spezies in günstigem Sinne verändern. Dieser Vorgang, den man natürliche Zuchtwahl nennt, ist eigentlich nicht so sehr eine wissenschaftliche Theorie als vielmehr eine notwendige
Folgerung aus den Tatsachen der Fortpflanzung und der individuellen Verschiedenheit. Es ist möglich, daß die Wissenschaft von vielen Kräften, die die Art verändern, zerstören oder erhalten, noch nichts weiß oder sie nur unklar erkennt; wer aber die Wirkung der natürlichen Zuchtwahl auf das Leben seit seinem Urbeginn leugnet, ist entweder in Unkenntnis der elementaren Tatsachen des Lebens oder nicht imstande, folgerichtig zu denken.Viele Wissenschaftler haben über die Uranfänge des Lebens gegrübelt. Ihre Forschungen sind oft von größtem Interesse, doch konnten sie uns bisher durchaus keine bestimmte Kunde, keine überzeugende Theorie darüber geben, auf welche Weise das Leben begann. Fast alle Forscher stimmen darin überein, daß es wahrscheinlich im Schlamm oder Sand der warmen, sonnendurchleuchteten, seichten Salzgewässer entstanden ist und daß es sich dann über den Teil des Strandes ausgebreitet hat, wo Ebbe und Flut miteinander abwechseln, und schließlich auch ins offene Meer vorgedrungen ist.
Die Urwelt war reich an heftigen Fluten und Strömungen. Immer wieder müssen Lebewesen dadurch der Vernichtung preisgegeben worden sein, daß sie den Strand hinaufgespült wurden und austrockneten oder daß des Meer sie mit hinaus und in die Tiefe riß, wo sie sich außerhalb des Bereichs von Luft und Sonne befanden. Die frühen Lebensbedingungen begünstigten vor allem die Entwicklungstendenz, Wurzel zu fassen und sich festzuhalten, und die Tendenz, eine äußere Haut und Hülle als Schutz des gestrandeten Individuums gegen sofortiges Austrocknen zu bilden. Und während einerseits die Uransätze zu einer Geschmacksempfindung das Individuum auf die Suche nach Nahrung hinaustrieben, mußte andererseits schon die geringste Lichtempfindlichkeit ihm helfen, sich wieder herauszukämpfen aus der Finsternis der Meerestiefe und aus dunklen Grotten oder zurückzukriechen aus der übermäßigen Helle gefährlicher Untiefen.
Die ersten Schalen und Körperpanzer der Lebewesen dürften mehr ein Schutz gegen Austrocknung als gegen angriffslustige Feinde gewesen sein. Doch erscheinen Zähne und Scheren sehr früh in der Geschichte des Lebens.
Während langer Zeitalter waren die frühesten Wasserskorpione die Beherrscher des Lebens. In einer weiteren Lagerung
der paläozoischen Felsen, in der sogenannten Silur-Formation, deren Alter die Geologen auf fünfhundert Millionen Jahre schätzen, findet sich ein neuer Typus von Lebewesen, mit Augen und Zähnen und viel mächtigeren Schwimmkräften. Sie weisen ein Rückgrat auf, es sind die ersten Fische, die ersten Wirbeltiere.Die Anzahl der Fische nimmt in der nächsten Felsenschicht, in der devonischen Formation, beträchtlich zu. Sie sind so vorherrschend, daß man diese Periode der Felsenkunde das Zeitalter der Fische nennt. Fische von einer Art, die nun aus der Welt verschwunden ist, Fische, verwandt mit den heutigen Haien und Stören, schossen durch die Gewässer, sprangen in die Luft, weideten in den Seegräsern, verfolgten und jagten einander und verliehen den Wassern der Erde eine neue Belebtheit. Diese Tiere waren nach unsern heutigen Begriffen nicht besonders groß. Wenige von ihnen waren länger als etwa dreiviertel Meter, allerdings gab es einige Ausnahmeformen, die eine Länge von ungefähr sechs Metern erreichten.
Die Geologie sagt uns nichts über die Ahnen dieser Fische. Es scheint, als ob sie mit keiner vorhergegangenen Form verwandt gewesen wären. Die Zoologen haben höchst interessante Ansichten über ihre Abstammung, und zwar leiten sie diese hauptsächlich aus dem Entwicklungsgang der Eier heutiger verwandter Fischarten ab. Die Ahnen der Wirbeltiere waren anscheinend Weichtiere, vielleicht ganz kleine schwimmende Lebewesen, die harte Teile zuerst als Zähne rings um den Mund zu entwickeln begannen. Die Zähne eines Glattrochen oder eines Dornhais bedecken den Gaumen und den Boden des Mundes und reichen über die Lippen hinaus, wo sie in die flachen, aber doch zahnähnlichen Schuppen übergehen, die den größten Teil des Körpers einhüllen. Erst nach der Entwicklung solcher zahnartiger Schuppen kommen die Fische aus der dunklen Vergangenheit in das Licht der geologischen Erkenntnis, als die frühesten Wirbeltiere, von denen die Felsenkunde uns zu berichten weiß.
Das Land war während des Zeitalters der Fische anscheinend völlig unbelebt. Klippen und felsiges Hochland lagen kahl, der Sonne und dem Regen ausgesetzt. Es gab noch kein wirkliches Erdreich, denn es lebten noch keine Erdwürmer, mit deren Hilfe sich ein solches erst entwickeln kann, und keine Pflanzen, die kleine Felsenteilchen in Humus verwandeln; es gab keine Spur von Moos oder Flechten. Das Leben beschränkte sich auf das Meer.
Auf dieser Welt der kahlen Felsen spielten sich große klimatische Veränderungen ab. Die Ursachen dieser klimatischen Veränderungen sind sehr mannigfach und müssen erst richtig abgeschätzt werden. Die Veränderung der Erdbahn, die langsame Verschiebung der Rotationsachse, Veränderungen der Gestalt der Kontinente, vielleicht auch Schwankungen der Sonnenhitze bewirkten einmal, daß große Gebiete der Erdoberfläche für lange Zeit von Kälte und Eis heimgesucht wurden, dann wieder verursachten sie während Millionen von Jahren ein warmes oder ein gemäßigtes Klima. Es scheint in der Geschichte der Welt Phasen großer innerer Tätigkeit gegeben zu haben, Phasen vulkanischer Ausbrüche, heftiger Erderschütterungen und -aufwürfe, die im Verlauf einiger Millionen Jahre die Umrisse der Gebirge und des Festlandes veränderten, die Tiefe des Meeres vergrößerten, die Berge höher trieben und ein extremes Klima begünstigten. Auf diese Perioden dürften wieder Zeitalter verhältnismäßiger Ruhe gefolgt sein, da Frost, Regen und Flüsse die Berge abtrugen und große Mengen von Schlamm in die Tiefe des Meeres schwemmten; die Meere wurden dadurch seichter, aber größer, sie breiteten sich immer weiter über das Land aus. Der Leser muß sich die Vorstellung aus dem Kopf schlagen, daß die Erdoberfläche seit der Erhärtung der Erdkruste beständig kühler geworden sei. Nachdem die äußere Abkühlung einmal stattgefunden hatte, beeinflußte die innere Temperatur die Zustände auf der Oberfläche nicht mehr. Es gab sogar schon in der azoischen Periode große Mengen von Eis und Schnee, also ›Eiszeiten‹.
Erst gegen Ende des Zeitalters der Fische, in einer Periode ausgedehnter seichter Meere und Lagunen, breitete sich
das Leben mit Erfolg von den Gewässern auf das Land aus. Ohne Zweifel hatten sich die frühen Typen der Wesen, die nun in großer Fülle auftraten, schon während Millionen von Jahren vereinzelt (und aus der Felsenkunde nicht ersichtlich) entwickelt. Nun aber kam eine ihnen günstige Zeit.Die Pflanzen gingen den tierischen Formen bei dieser Invasion des Landes sicherlich voran, wahrscheinlich aber kamen die Tiere gleich hinter den Pflanzen. Das erste Problem, das die Pflanze zu lösen hatte, war die Beschaffung einer festen Stütze, mit deren Hilfe sie ihre Blätter zum Sonnenlicht emporhalten konnte, sobald das Wasser, das sie bis dahin getragen hatte, ihr entzogen war; die zweite Schwierigkeit bestand darin, Wasser aus dem sumpfigen Grund in ihr Gewebe überzuleiten. Die beiden Probleme wurden durch die Entwicklung holziger Zellen gelöst, die die Pflanze stützten und gleichzeitig Wasser zu den Blättern leiteten. Die Felsenkunde zeigt nun mit einem Mal eine Unzahl meist sehr großer holziger Sumpfpflanzen, große Baummoose, Baumfarne, riesenhafte Sumpfeichen und ähnliches. Und mit ihnen kam Zeitalter um Zeitalter eine Menge tierischer Formen aus dem Wasser gekrochen. Es erschienen Hundertfüßler und Tausendfüßler und die ersten primitiven Insekten; es gab Wesen, verwandt mit den alten Riesenkrabben und Seeskorpionen, aus denen die ersten Spinnen und Landskorpione wurden, und bald folgten ihnen auch Wirbeltiere.
Manche der frühen Insekten waren sehr groß. Es gab Libellen in dieser Periode, deren Flügel eine Spannweite von etwa fünfundsiebzig Zentimetern hatten.
Auf verschiedene Art paßten sich die neuen Lebensformen und Geschlechter der Luftatmung an. Bis dahin hatten alle Tiere in Wasser gelöste Luft geatmet, und das tun eigentlich alle animalischen Wesen auch heute noch. Nun aber erwarben die Tiere auf verschiedene Art und Weise die Fähigkeit, sich im eigenen Körper die nötige Feuchtigkeit zu beschaffen. Auch heute würde ein Mensch mit einer völlig trockenen Lunge ersticken; die Oberfläche der Lunge muß feucht sein, damit die Luft durch sie in das Blut übergehen kann. Die Anpassung an die Luftatmung geschieht entweder durch die Entwicklung einer Schutzdecke über den veralteten Kiemen, die die Verdunstung verhindert, oder durch die Entwicklung von Röhren oder
anderen neuen Atmungsorganen, die tief im Körper liegen und durch eine wässerige Sekretion befeuchtet werden. Die alten Kiemen, mit deren Hilfe der Fischahne der Wirbeltiere geatmet hatte, taugten nicht für das Atmen auf dem Lande; bei dieser Gruppe des Tierreichs wird die Schwimmblase des Fisches zu einem neuen, tiefliegenden Atmungsorgan, zur Lunge. Die als Amphibien bekannten Tiere, die heutigen Frösche und Wassermolche, beginnen ihr Leben im Wasser, wo sie durch Kiemen atmen; später übernimmt die Lunge, die sich wie die Schwimmblase vieler Fische als sackartige Fortsetzung am Hals entwickelt, die Arbeit des Atmens, das Tier kommt ans Land, die Kiemen schrumpfen ein, die Kiemenschlitze verschwinden. (Nur ein Kiemenschlitz entwickelt sich zum Ohrgang und Trommelfell.) Das Tier kann von da ab nur noch in der Luft leben, doch muß es sich zumindest an den Rand des Wassers begeben, um seine Eier zu legen und so seine Gattung fortzupflanzen.Alle luftatmenden Wirbeltiere im Zeitalter der Sümpfe und Pflanzen gehörten der Klasse der Amphibien an. Fast alle ihre Spielarten waren den heutigen Molchen verwandt, und manche von ihnen erreichten eine beträchtliche Größe. Sie waren zwar Landtiere, aber sie mußten in der Nähe des Wassers oder feuchter, sumpfiger Orte leben, und alle großen Bäume dieser Periode waren gleichfalls amphibisch (das heißt ›beidlebig‹). Keiner von ihnen brachte Früchte und Samen hervor, die sich auf dem Lande mit Hilfe von Tau und Regen allein entwickeln konnten. Anscheinend mußten sie ihre Sporen ins Wasser schütten, damit diese keimen konnten.
Es gehört zum Interessantesten in der vergleichenden Anatomie, zu verfolgen, in welch komplizierter und wunderbarer Weise sich die Lebewesen der Notwendigkeit angepaßt haben, in der Luft zu existieren. Alle Lebewesen, Pflanzen wie Tiere, sind ursprünglich Geschöpfe des Wassers. Zum Beispiel machen alle höheren Wirbeltiere von den Fischen aufwärts bis zum Menschen, und er mit inbegriffen, im Ei oder vor der Geburt ein Entwicklungsstadium durch, in dem sie Kiemenschlitze haben; diese verschwinden, bevor das Junge aus dem Ei kriecht oder geboren wird. Das beim Fisch bloßliegende, wasserumspülte Auge wird in den höheren Entwicklungsformen durch Lider und durch Feuchtigkeit absondernde Drüsen vor dem
Austrocknen geschützt. Die schwächeren Schallvibrationen der Luft machen ein Trommelfell erforderlich. Fast jedes Organ hat in dem Bestreben, sich den Bedingungen der Luft anzupassen, derartige Veränderungen mitgemacht.Im Zeitalter der Kohlenformation und der Amphibien spielte sich das Leben in den Sümpfen und Lagunen und auf Landstreifen zwischen den Gewässern ab. So weit war das Leben gekommen. Die Hügel und Hochländer aber waren noch ganz kahl und unbelebt. Das Leben hatte zwar in der Luft zu atmen gelernt, aber es wurzelte noch im heimischen Element des Wassers; noch mußte es zum Wasser zurück, um sich fortzupflanzen.
Auf das üppige Leben des Kohlenzeitalters folgte eine lange Reihe trockener und rauher Perioden. Die Felsenkunde zeigt uns dicke Sandsteinlager aus jenem Zeitraum, in denen nur verhältnismäßig wenige Fossilien enthalten sind. Die Temperatur der Welt war großen Schwankungen unterworfen, es gab lange Perioden eisiger Kälte. Über große Landstriche hin verschwand die üppige Sumpfvegetation, und es begann durch das Darüberschichten neuer Sedimentslager jener Kompressions- und Mineralisierungsprozeß, der der Welt den größten Teil ihrer heutigen Kohlenlager geschenkt hat.
Gerade in solchen Perioden der Veränderung bringt das Leben sehr rasch Modifikationen zuwege; in harten Zeiten lernt es am meisten. Als das Klima wieder wärmer und feuchter wurde, hatte sich eine Reihe neuer Tier- und Pflanzenformen ausgebildet. Die Felsenkunde zeigt uns Überreste von Wirbeltieren, aus deren Eiern nicht mehr Kaulquappen auskrochen, das heißt nicht mehr Tiere, die eine Zeitlang im Wasser leben müssen; die Entwicklung im Ei erreicht vielmehr ein der ausgewachsenen Form so nahes Stadium, daß die Jungen vom ersten Augenblick ihrer selbständigen Existenz in der Luft leben können. Die Kiemen fallen gänzlich weg, die Kiemenschlitze erscheinen nur in einer embryonalen Phase.
Diese neuen Wesen ohne Kaulquappenstadium waren die Reptile. Gleichzeitig mit ihnen hatten sich samentragende
Bäume entwickelt, die ihre Samen unabhängig von Sümpfen oder Seen verbreiten konnten. Es gab nun Palmfarne und viele tropische Koniferen, jedoch noch keine blühenden Pflanzen und keine Gräser. Die Arten der Farne waren zahlreich, ebenso die der Insekten. Es gab Käfer, aber noch keine Bienen oder Schmetterlinge. Alle Grundformen einer neuen, wirklichen Land-Fauna und -Flora waren während der langen harten Zeitalter entstanden. Dieses neue Landleben bedurfte nur glücklicher Umstände, um zu blühen und sich zu entfalten.Nach langen Zeitaltern und zahlreichen Schwankungen kamen endlich mildere Verhältnisse. Die bis jetzt noch nicht berechenbaren Bewegungen der Erdkruste, die Veränderungen der Erdbahn, die Zunahme und Verminderung der Neigung von Erdbahn und Pol zueinander wirkten zusammen, um für lange Zeit auf weiten Gebieten warme Bedingungen zu schaffen. Es wird angenommen, daß diese Periode im ganzen mehr als zweihundert Millionen Jahre gedauert hat. Zum Unterschied von den beiden vorhergehenden viel längeren Perioden, der paläozoischen und azoischen (zusammen vierzehnhundert Millionen Jahre), nennt man sie die mesozoische Periode; zwischen ihr und der gegenwärtigen Zeit liegt die känozoische oder Periode des neuen Lebens. Die mesozoische Periode heißt auch das Zeitalter der Reptile, wegen der in ihr auftretenden erstaunlichen Überfülle und Mannigfaltigkeit dieser Tierart. Sie fand vor rund achtzig Millionen Jahren ihr Ende.
In der heutigen Welt gibt es verhältnismäßig wenige Reptilien, und ihre Verbreitung ist beschränkt. Sie sind allerdings zahlreicher als die wenigen überlebenden Vertreter der Amphibien-Gattung, die einst im Kohlenzeitalter die Welt beherrschte. Es gibt heute noch Schlangen, Land- und Seeschildkröten (Chelonen), Alligatoren, Krokodile und Eidechsen. Es sind ausnahmslos Lebewesen, die das ganze Jahr hindurch der Wärme bedürfen; sie können der Kälte nicht Widerstand leisten, und es ist möglich, daß alle Reptilarten der mesozoischen Periode unter derselben Beschränkung litten. Man könnte sie eine Glashausfauna nennen, die inmitten einer Glashausflora lebte. Fröste ertrugen sie nicht. Immerhin hatte die Welt eine wirkliche Fauna und Flora des trockenen Landes hervorgebracht, im Gegensatz zu der üppigen Schlamm- und Sumpf-Fauna und -Flora des vorhergehenden Lebens auf der Erde.
Alle Reptilarten, die wir heute kennen, waren damals viel reichlicher vertreten; es gab verschiedene Arten großer Schildkröten, riesige Krokodile und zahlreiche Eidechsen und Schlangen; dazu kam noch eine Anzahl wunderbarer Geschöpfe, die heute völlig von der Erde verschwunden sind. Es gab viele Abarten eines Tieres, das man Dinosaurus nennt. Die Vegetation breitete sich über die niedrigeren Gebiete der Welt aus, Schilfrohr, Farne und ähnliches; in dieser üppigen Flora weidete nun bald eine Unzahl grasfressender Reptile, die an Größe zunahmen, je mehr die mesozoische Periode sich ihrem Höhepunkt näherte. Manche dieser Tiere überragten an Größe alle anderen Landtiere, die je gelebt haben; sie waren so groß wie Wale. Der Diplodocus Carnegii zum Beispiel maß etwa fünfundzwanzig Meter von der Schnauze bis zum Schwanz; der Gigantosaurus war sogar noch größer, er war über dreißig Meter lang. Von diesen Ungeheuern nährte sich ein Schwarm fleischfressender Dinosaurier von entsprechender Größe. Eine Abart der Dinosaurier, der Tyrannosaurus, wird in vielen Büchern als das Schrecklichste geschildert, was das Reich der Reptile je hervorgebracht hat.
Während diese ungeheuren Tiere zwischen den Farnkräutern und immergrünen Gewächsen der mesozoischen Dschungeln weideten und jagten, verfolgten andere, jetzt ausgestorbene Reptile, deren vordere Gliedmaßen sich ähnlich denen der Fledermaus ausgebildet hatten, Insekten und auch einander; anfänglich hüpften sie oder stürzten sich fallschirmartig aus der Höhe herab, bald aber flogen sie zwischen den Palmwedeln und Zweigen der Waldbäume umher. Es waren die Pterodaktyle, die ersten fliegenden Tiere mit einer Wirbelsäule; sie bedeuten eine neue Stufe der Vervollkommnung im Aufstieg der Wirbeltiere.
Überdies kehrten einige Reptile zum Wasser zurück. Drei Gruppen von Schwimmtieren waren wieder in das Meer eingedrungen, aus dem ihre Ahnen gekommen waren: der Mesosaurus, der Plesiosaurus und der Ichthyosaurus. Auch unter diesen erreichten einige die Größe der heutigen Walfische. Der Ichthyosaurus scheint ein richtiges Meertier gewesen zu sein. Der Plesiosaurus hat unter den heutigen Tieren keinen Verwandten; sein Körper war gedrungen und groß und mit Schwimmfüßen ausgestattet, mit deren Hilfe er schwimmen oder auch
durch Sümpfe und auf dem Grunde seichter Gewässer waten konnte; der verhältnismäßig kleine Kopf ruhte auf einem Hals, viel länger vergleichsweise als der eines Schwanes. Entweder suchte sich der Plesiosaurus die Nahrung unter Wasser, im Schwimmen, etwa wie der Schwan, oder er lauerte unter Wasser und schnappte nach vorüberziehenden Fischen oder anderen Tieren.So war zur Hauptsache das Landleben während des ganzen mesozoischen Zeitalters. Nach unserer heutigen Erkenntnis war es ein Fortschritt über alles Vorhergegangene hinaus. Es hatte Landtiere hervorgebracht, größer an Gestalt, Kraft und Beweglichkeit und weiter verbreitet, ›vitaler‹, wie man zu sagen pflegt, als irgendein Lebewesen, das die Welt bis dahin gesehen. In den Meeren gab es keinen solchen Fortschritt, doch hatte sich eine Überfülle neuer Lebensformen entwickelt. Eine ungeheure Menge von tintenfischartigen Geschöpfen, die Ammoniten, waren in den seichten Gewässern aufgetaucht; sie hatten mit Abteilungen versehene, meist spiralenförmig gewundene Gehäuse. Vorläufer dieser Tiere hatte es schon in den paläozoischen Meeren gegeben, nun aber war die Zeit ihrer größten Entfaltung gekommen. Heute gibt es von ihnen keine Abkömmlinge mehr; am nächsten verwandt ist ihnen das Perlboot, ein Bewohner der tropischen Gewässer. Ferner hatte sich ein neuer und fruchtbarerer Fischtypus entwickelt, mit leichteren und feineren Schuppen als die platten- und zahnartigen der bisherigen Fische; dieser neue Typus wurde nun in den Meeren und Flüssen vorherrschend und ist es bis auf den heutigen Tag geblieben.
In einigen Absätzen haben wir die üppige Vegetation und die wimmelnden Reptile des mesozoischen Zeitalters, jenes ersten großen Lebenssommers, geschildert. Während nun die Dinosaurier in den heißen Waldungen und den sumpfigen Ebenen herrschten und die Pterodaktyle die Wälder mit ihrem Geflatter und vielleicht auch mit Geschrei und Gekrächze erfüllten, indem sie Insekten verfolgten, die in den noch blütenlosen Gebüschen und Bäumen umhersummten, erwarben einige weniger
auffallende und zahlreiche Tierformen am Rande dieser üppigen Lebenszone gewisse Kräfte, eine gewisse Widerstandsfähigkeit, die ihrer Rasse von äußerstem Nutzen werden sollte, als die lächelnde Freigebigkeit der Sonne und der Erde zu schwinden begann.Kampf um Nahrung oder Verfolgung durch Feinde hat anscheinend eine Gruppe hüpfender Reptilarten, Geschöpfe vom Typus der Dinosaurier, vor die Wahl gestellt, entweder ausgerottet zu werden oder sich den kälteren Lebensbedingungen höherer Hügelländer oder gewisser Küstengebiete anzupassen. Bei manchen dieser bedrängten Tiergruppen entwickelte sich eine neue Art von Schuppen, Schuppen, die sich zu Kielen verlängerten und sich bald in rohe Ansätze von Federn verzweigten. Diese kielartigen Schuppen lagen übereinander und bildeten eine wärmeerhaltende Hülle, wirksamer als irgendeine bis dahin von den Reptilen entwickelte Körperbedeckung. So wurde ein Eindringen in kältere, noch unbewohnte Gebiete möglich. Vielleicht gleichzeitig mit den erwähnten Veränderungen entwickelten diese Tiere eine größere Besorgtheit um ihre Eier. Die meisten Reptile kümmern sich gar nicht um ihre Eier, sie überlassen die Ausbrütung der Sonne und der warmen Jahreszeit. Einige Arten jenes neuen Zweiges am Baum des Lebens jedoch erwarben die Gewohnheit, ihre Eier zu behüten und sie durch den eigenen Körper warm zu halten.
Mit dieser Anpassung an die Kälte gingen andere, innere Modifikationen vor sich, die jene Geschöpfe, die Urvögel, warmblütig und vom Sonnenschein unabhängig machten. Die allerersten Vögel scheinen Seevögel gewesen zu sein, die von Fischen lebten; ihre vorderen Gliedmaßen, noch keine richtigen Flügel, ähnelten den ruderartigen Flügeln der Pinguine. Ein besonders primitiver Vogel, der neuseeländische Kiwi, hat Federn von sehr einfacher Beschaffenheit, er fliegt weder, noch scheint er von fliegenden Ahnen abzustammen. In der Entwicklungsgeschichte der Vögel treten die Federn früher auf als die Flügel. Sobald sich jedoch die Feder gebildet hatte, führte die Möglichkeit, das Gefieder auszubreiten, unvermeidlich zum Flügel. Wir kennen aus dem Studium der Fossilien zumindest einen Vogel, der zwar reptilische Zähne im Kiefer und einen langen Reptilschwanz, dabei aber auch wirkliche Vogelflügel hatte, und der sicherlich fliegen konnte und unter den
Pterodaktylen des mesozoischen Zeitalters seinen Platz behauptete. Immerhin waren die Vögel in der mesozoischen Periode weder mannigfaltig noch zahlreich. Wenn ein Mensch sich in eine typisch mesozoische Landschaft zurückversetzen könnte, so würde er tagelang wandern, ohne einen Vogel zu sehen oder zu hören, hingegen könnte er eine Fülle von Pterodaktylen und Insekten zwischen den Farnen und Schilfrohren erblicken.Auch würde er wohl kein Säugetier entdecken. Wahrscheinlich Säugetiere schon Millionen von Jahren, ehe die ersten wirklichen Vögel erschienen, doch waren sie durchweg sehr klein und unbedeutend und lebten versteckt.
Die frühesten Säugetiere waren wie die Urvögel durch Kampf um Nahrung und durch Verfolgung dazu gezwungen worden, sich an ein schweres Leben zu gewöhnen und sich der Kälte anzupassen. Auch bei ihnen entwickelten sich die Schuppen zu etwas Kielartigem und bildeten eine wärmeerhaltende Hülle; auch sie machten Modifikationen durch, wurden warmblütig und von der Bebrütung durch die Sonne unabhängig. Statt Federn entwickelten sie Haare, und statt ihre Eier zu hüten und zu bebrüten, behielten sie sie warm und sicher innerhalb ihres Körpers, bis sie fast lebensreif waren. Die meisten von ihnen wurden vivipar, das heißt, sie brachten die Jungen lebend zur Welt. Auch entwickelten sie die Neigung, die Jungen noch nach der Geburt zu beschützen und zu nähren. Die meisten, aber nicht alle heutigen Säugetiere haben Zitzen und säugen ihre Jungen. Es gibt heute noch zwei Säugetiere, die Eier legen und keine richtigen Zitzen haben, wenngleich sie die Jungen durch eine Sekretion ihrer Bauchhaut ernähren: das Schnabeltier (Ornithorhynchus) und der Ameisenigel (Echidna). Der Ameisenigel legt lederige Eier und steckt sie in eine Tasche an seinem Bauch, in der er sie warm und sicher umherträgt, bis sie ausgebrütet sind.
Wie gesagt, ein Besucher der mesozoischen Welt hätte Tage und Wochen keinen Vogel gefunden; ohne genaue Weisung, wohin zu gehen und zu schauen, hätte er auch vergebens nach Spuren eines Säugetieres gesucht. Die Vögel ebenso wie die Säugetiere waren im mesozoischen Zeitalter außergewöhnliche, nebensächliche und unwichtige Geschöpfe.
Das Zeitalter der Reptile dauerte, wie man nun annimmt, achtzig Millionen Jahre. Hätte irgendein mit menschlichem
Verstand begabtes Wesen die Welt durch diese unausdenkbar lange Zeitspanne hindurch beobachten können, wie sicher und ewig wären ihm die Sonnenwärme und das üppige Wachstum erschienen, wie feststehend das plätschernde Wohlbehagen der Dinosaurier und die flatternde Mannigfaltigkeit der fliegenden Eidechsen! Dann aber begannen die geheimnisvollen Rhythmen und wachsenden Kräfte des Universums sich gegen diese scheinbar ewige Gleichförmigkeit zu wenden. Die Gunst des Glücks, die dem Leben so unendlich lange gelächelt hatte, wendete sich. Zeitalter um Zeitalter, Myriaden von Jahren hindurch, kam, gewiß unter wechselvollem Hin und Her, ein Umschwung zu harten Lebensbedingungen, kamen große Veränderungen der Erdoberfläche, große Umgestaltungen der Gebirge und Meere. Die Felsenkunde zeigt uns aus der Zeit des mesozoischen Niederganges eine sehr bedeutsame Erscheinung, die auf einen dauernden Wechsel der Lebensbedingungen hinweist: ein heftiges Schwanken der Lebensformen und das Auftreten neuer, seltsamer Arten. Unter der zunehmenden Gefahr des Aussterbens entfalten die älteren Arten und Geschlechter ein Höchstmaß der Fähigkeit zu Veränderung und Anpassung. Die Ammoniten zum Beispiel stellen auf den letzten Seiten des mesozoischen Kapitels in der Felsenkunde eine Unmenge phantastischer Formen zur Schau. Gleichmäßige Bedingungen fördern neue Lebensformen nicht; es entwickeln sich keine solchen, sie werden vielmehr unterdrückt; die durch Anpassung bestausgerüstete Form besteht schon. Unter neuen Bedingungen leidet der gewöhnliche Typus, die neue Form hingegen hat mehr Aussicht, leben zu bleiben und Fuß zu fassen …Dann kommt eine Unterbrechung in der Felsenkunde, die mehrere Millionen Jahre umfassen dürfte. Hier liegt noch ein Schleier über die Lebensgeschichte gebreitet, der uns selbst deren bloße Umrisse verhüllt. Wo er sich wieder hebt, erfahren wir, daß das Zeitalter der Reptile zu Ende ist; die Dinosaurier, Plesiosaurier und Ichthyosaurier, die Pterodaktyle, die zahllosen Geschlechter und Arten der Ammoniten sind völlig verschwunden. Sie sind in ihrer überwältigenden Fülle gestorben und haben keine Nachkommen hinterlassen. Die Kälte hat sie getötet. Alle ihre Spielarten hatten sich als ungenügend erwiesen; sie waren zu keiner überdauernden Lebensform gelangt. Die Welt hatte eine Phase extremer Bedingungen
durchgemacht, zu hart für ihre Widerstandskraft; das mesozoische Leben war nach und nach völlig hingemordet worden, und nun finden wir eine neue Landschaft, eine neue, kräftigere Flora und eine neue, lebensfähigere Fauna im Besitz der Welt.Dies neue Blatt der Geschichte des Lebens beginnt mit einer sehr kargen und ärmlichen Szenerie. Die Farne und tropischen Koniferen haben blühenden Pflanzen und Sträuchern Platz gemacht und Bäumen, die ihre Blätter abwerfen können, um sich vor der Zerstörung durch den Schnee des Winters zu bewahren; und wo es früher eine Überfülle von Reptilen gegeben hat, treten nun immer zahlreichere Spielarten von Vögeln und Säugetieren auf den Plan.