Stefan Gemmel
Winnewuff und Old Miezecat
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Ein kurzes Vorwort, bevor es losgeht
Der Schatz im Glitzerweg
Im Tal der Trümmer
Die Befreiung
Unter Ratten
Impressum neobooks
Früher dachte ich, dass nur die ganz wichtigen Bücher ein Vorwort bekommen. Bücher mit komplizierten Namen wie „Universallexikon“, „Autobiographie“ oder „Enzyklopädie“. So komplizierte Namen, dass man ein Vorwort braucht, um sie zu verstehen.
Ich dachte auch immer, Vorworte werden nur von sehr wichtigen und bedeutenden Personen gelesen, von Professoren, Staatsmännern, Doktoren und so weiter.
Also alles nichts für mich und meine Geschichten, dachte ich. Dabei hatte ich mir immer schon einmal ein Vorwort nur für meine Geschichten gewünscht!
Doch dann habe ich mein erstes Buch von Erich Kästner gelesen (war es „Emil und die Detektive“ oder „Pünktchen und Anton“?) und gesehen, dass es auch für witzige und spannende Geschichten Vorworte gibt. Man muss sie einfach nur schreiben!
Und deshalb sitze ich nun hier und verfasse mein erstes Vorwort.
Tja, aber genau genommen habe ich nichts Besonderes zu sagen. Eigentlich nur, dass mir das Schreiben sehr viel Spaß gemacht hat, und ich meinen Lesern ebenso viel Freude beim Lesen wünsche.
Das war's!
Ach ja, einen Hinweis vielleicht noch: Bevor das große Rätselraten beginnt, sage ich es lieber gleich: „Winnewuff und Old Miezecat“ wurde nach den Geschichten von Karl May geschrieben
– nicht umgekehrt!! Ich habe mich von dem viel berühmteren Kollegen inspirieren lassen und eine kleine Erzählung geschrieben, die nach seinen Figuren entstanden ist.
Aber ich glaube, Herr May hätte nichts dagegen gehabt. Denn, erstens habe nichts von ihm gestohlen, und zweitens will ich mit der Geschichte auch meine Bewunderung für all seine spannenden Westernerzählungen ausdrücken.
Deshalb bin ich mir ganz sicher, dass Karl May bestimmt nichts dagegen einzuwenden gehabt hätte.
So, das war nun wirklich alles, was ich sagen wollte. Aber – braucht man dafür ein Vorwort?
Ich hoffe es, denn sonst wäre dieses hier ja überflüssig, und das ist das Schlimmste, was einem Vorwort passieren kann: Dass es überflüssig ist, dass es eigentlich gar nicht gebraucht wird!
Oh, eines hätte ich beinahe vergessen: Was wäre ein Vorwort ohne Widmung? Ich widme dieses Buch also Karl May, dem großen Erzähler.
Jetzt lasse ich dich aber mit den kleinen und großen Helden, die ich mir ausgedacht habe, alleine und wünsche dir noch einmal sehr viel Freude beim Lesen.
Stefan Gemmel
Amadeus lag im Garten vor seiner Hütte und ließ sich die Sonne auf den Pelz scheinen. Er war allein zu Hause. Sein Frauchen war einkaufen und sein Herrchen bei der Arbeit. Es war wirklich nichts los an diesem Sommertag! Und so lag er nur faul auf der Wiese und sah den Schmetterlingen zu, wie sie munter zwischen den bunten Blumenkelchen hin und her tanzten.
Plötzlich klang die Stimme der Nachbarin zu ihm herüber. Sie redete mit ihrem Sohn.
Amadeus rappelte sich auf, streckte sich und gähnte genüsslich. Dann tappte er zu den Nachbarn, um zu sehen, ob es dort etwas Neues gab.
Als Amadeus die Einfahrt herauftrottete, konnte er die Stimme der Frau besser hören. Sie kam aus dem Wohnzimmer.
Der Hund legte die Ohren an. Schnell sprang er unter das Wohnzimmerfenster, reckte sich und sah in die Wohnung hinein.
Der Junge saß auf dem Sofa neben seiner Mutter. Sie hatte ein dickes Buch in der Hand und las ihm vor.
Amadeus legte sich flach in das Blumenbeet unter dem Fenster und hörte der Frau zu.
Sie las Geschichten vor von Karl May; von Winnetou, dem tapferen Indianerhäuptling und von Old Shatterhand, seinem Blutsbruder, dem unerschrockenen Westernhelden.
Nach einiger Zeit kam auch Moritz, der schwarze Kater von gegenüber, an dem Blumenbeet vorbei. Er machte es sich neben Amadeus gemütlich, und nun lauschten beide gemeinsam mit dem kleinen Jungen der Stimme der Mutter. Von ihr ließen sie sich in die Weiten des Wilden Westens entführen. Gebannt verfolgten sie, wie Winnetou und Old Shatterhand für das Gute eintraten und das Böse bekämpften, wie sie tollkühn der Gefahr ins Auge blickten und weder Tod noch Teufel fürchteten. Und wie sie schließlich aus jedem Abenteuer als strahlende Helden hervorgingen.
Und als Winnetous Schwester Ntscho-tschi, starb, da lagen sich Hund und Kater in den Armen und heulten und trauerten gemeinsam um die schöne Tochter des Apachenhäuptlings.
Amadeus und Moritz trafen sich nun jeden Tag in dem Blumenbeet unter dem Fensterbrett der Nachbarn und hörten der Mutter zu, wie sie ihrem Sohn Westerngeschichten vorlas. Geschichten von Jesse James und Lederstrumpf, von Buffalo Bill und Billi, the Kid, von den ersten Siedlern und der weiten Prärie.
Und als sie die letzte Geschichte gehört hatten, beschlossen Amadeus und Moritz, auch solch unerschrockene Westernhelden zu werden und die Abenteuer nachzuspielen.
Amadeus gab sich den Namen Winnewuff, Moritz nannte sich Old Miezecat, und dann machten sie sich auf die Suche nach üblen Ganoven und gemeinen Banditen.
Aber leider gab es in dieser Gegend nicht allzu viele von der Sorte, und so mussten Winnewuff
und Old Miezecat nach einer anderen Gelegenheit Ausschau halten, bei der sie ihren Heldenmut beweisen konnten.
Sie brauchten allerdings nicht lange zu warten, denn schon nach einigen Tagen entdeckte Old Miezecat in einer Abflussrinne ein vergilbtes Stück Papier.
„Vielleicht eine Schatzkarte“, überlegte der Kater.
Winnewuff warf nur einen kurzen Blick darauf, und antwortete dann ganz nach Indianerart mit einem lauten „Howgh! “, so wie es sich für tapfere Krieger gehört.
Doch erst nachdem der Hund und der Kater den Zettel von allen Seiten betrachtet hatten, kamen sie zu dem Schluss, dass die Karte echt sein müsse. Immerhin waren Ohrringe und Goldketten darauf abgebildet, und in der einen Ecke prangte sogar ein richtiger Stempel! Es bestand kein Zweifel: Die Karte war echt!
Das Papier war schon alt und an den Rändern zerfranst, doch der eigentliche Plan mit den eingezeichneten Straßen und Wegen war noch gut zu erkennen. Der Schatz war in dieser Stadt versteckt, genauer: im Glitzerweg Nr. 22, gleich hinter dem Industriegebiet.
„Der Schatz im Glitzerweg“, rief Old Miezecat aufgeregt, und Winnewuff stimmte ihm mit einem lauten „Howgh!“ zu.
Sie nahmen die Abkürzung am Bahnhof vorbei, als dort gerade ein Zug mit quietschenden Bremsen hielt. In der Hektik und dem Gewimmel der ein- und aussteigenden Menschen beobachteten Winnewuff und Old Miezecat eine kleine Maus, die geschickt zwischen all den Beinen und Füßen umherlief. Schließlich kletterte sie auf einen roten Kinderwagen, der in einer Ecke des Bahnhofs stand und stibitzte aus dem Wagennetz ein Stück frischen Käse. Dann sprang sie von dem Kinderwagen herunter und tauchte schnell wieder in dem Gewühl der Menschen unter.
„Hast du das gesehen?“, fragte Old Miezecat. „Ein Postkutschenräuber! Los, den schnappen wir uns!“
Schnell rannten sie der diebischen Maus hinterher. Old Miezecat erwischte sie gerade noch, ehe sie in einem Mauseloch verschwinden konnte.
„Hey, lass mich los, lass mich los!“, schrie der kleine Räuber, doch der Kater hielt ihn fest.
„Du gibst sofort den Käse zurück!“, sagte Winnewuff entrüstet.
„Den Käse? Bist du verrückt?“
„Du hast ihn gestohlen!“
„Nein, nur äh, geliehen.“
„Gib ihn zurück!“
Die Maus blickte von einem zum anderen. „Und was soll ich dann essen?“
„Egal, dieser Käse gehört dir nicht.“
Jetzt hatte sie aber wirklich genug! „Habt ihr eine Ahnung, was es heißt, eine Bahnhofsmaus zu sein? Hier kämpft man jeden Tag ums Überleben. So ein Mensch vermisst ein kleines Stück Käse nicht, ich aber kann eine ganze Woche davon leben!“
„Trotzdem ist er gestohlen.“ Winnewuff beharrte auf seiner Meinung.
„Ach, was weißt du denn schon?“, fragte die Maus schimpfend. „Das ist Notwehr und kein Stehlen! Ich muss mein Überleben sichern. Glaubst du, ich mache das aus Spaß?“ Sie schlug Old Miezecat auf die Pfoten und rief: „Und nun lass mich endlich runter, du strubbeliger Bettvorleger!“
Old Miezecat setzte die Maus auf die Erde. „Dir macht das Stehlen also keinen Spaß?“, wollte er wissen.
„Spaß? Von wegen! Ich könnte mir Schöneres vorstellen, als Babys den Käse aus dem Wagen zu klauen! Aber was will man machen? Harte Zeiten sind das!“ Die Maus legte stolz eine Pfote an die Brust. „Ich bin eine Ehrenmaus“, verkündete sie lauthals. „Das Stehlen ist mir zuwider, aber ich habe keine andere Wahl. Ich würde auch viel lieber etwas anderes tun, wenn ich bloß wüsste, was. Das müsst ihr mir glauben! Ich gebe euch mein Wort darauf.“
Winnewuff sah zu Old Miezecat, und Old Miezecat nickte Winnewuff zu.
„Gut, wir glauben dir“, verkündete Old Miezecat. „Bei deinem Wort als Ehrenmaus!“