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Eine Art Nachwort: Goethes Cellini

Vorwort

B envenuto Cellini gilt als das enfant terrible unter den Künstlern der italienischen Renaissance. Er scheint all das in seiner Persönlichkeit zu vereinen, was das Klischee des Renaissancemannes auszeichnet. Dazu zählen seine Sinnlichkeit und Gewalttätigkeit – er beging zwei Morde und einen Totschlag –, sein Verlangen nach Schönheit, das stolze Bewusstsein seiner künstlerischen Geschicklichkeit, sein abenteuerlicher Lebenswandel.

Streitsüchtig und unangepasst, wurde er oft inhaftiert, einmal sogar zum Tod verurteilt. Darüber hinaus besaß Cellini die Fähigkeit, seine Gedanken, Gefühle und Erfahrungen in einer hinreißenden Lebensbeschreibung mitzuteilen. Dass er es darin mit der Wahrheit nicht immer genau nimmt und heftig prahlt, passt zu seinem schillernden Naturell. Cellini, der sehr viel konnte und alles wagte, war in seinem Leben vieles: Musiker, genialer Goldschmied und Bildhauer, Soldat, Münzmeister, Teilhaber eines Wettbüros, päpstlicher Stabträger, Fachbuchautor, Dichter und Festungsingenieur. Seine schöpferischen Energien entluden sich auf erstaunlich vielen Gebieten. Von seinen bildkünstlerischen Werken blieb jedoch nur ein Bruchteil erhalten. Das wenige, das der Nachwelt überliefert ist, etwa seine Skulptur des Perseus auf der Piazza della Signoria in Florenz, sein Marmorkruzifix im Escorial oder sein Salzfass im Kunsthistorischen Museum Wien, zählt zum Kanon der abendländischen Kunst.

In Österreich hat Cellinis Salzfass geradezu identitätsstiftenden Status erlangt. Verantwortlich dafür war auch der spektakuläre Raub des Prunkstücks aus dem Kunsthistorischen Museum Wien, der ein tosendes Medienecho und eine mehrjährige Fahndung nach sich zog. Dank hervorragender Polizeiarbeit nahm die Suche 2006 ein glückliches Ende. Infolge einer ausgefeilten Marketingstrategie des Museums gibt es das Salzfass heute als Souvenir auf Halstüchern, als Puzzle oder Flaschenöffner. In den Sommermonaten der letzten Jahre konnten Besucher vor dem Haupteingang ein übergroßes Exponat der Saliera besteigen, das zum beliebten Fotopoint geworden ist. Cellini, dem Ruhmsüchtigen, der sich oft unterschätzt fühlte, würde dies wahrscheinlich schmeicheln.

Cellinis Lebenslauf lässt sich grafisch mit einem Giebeldach vergleichen, wobei die als aufwärtsstrebend zu bezeichnende Seite länger ist als die abfallende. Aus der Florentiner Mittelschicht stammend, ging es für ihn beruflich steil bergauf, auch wenn die ersten vierundfünfzig Jahre seines Lebens nicht linear verliefen und dramatische Karriereknicks enthielten. Er arbeitete für die Päpste in Rom, die Medici in Florenz, den französischen König und bewohnte in Paris zeitweise ein Schloss. Nach der Aufstellung seiner Perseus-Skulptur 1554 in Florenz – dem künstlerischen Höhepunkt seines Lebens – ging es bergab. Cellini wurde zu einem Außenseiter am Hof der Medici, größtenteils selbst verschuldet, obwohl er das Gegenteil behauptete. Cellini schlug lebenswirkliche Fakten immer gern über einen literarischen Leisten.

Bereits der Kulturhistoriker Jacob Burckhardt sah in Cellini das „Urbild des modernen Menschen“.1 Modern ist, aus heutiger Perspektive betrachtet, vieles an Cellinis Persönlichkeit. So etwa seine Haltung den Großen und Mächtigen gegenüber. Cellini hatte stets das Verlangen, sich vom Diener-Herr-Verhältnis des Künstlers zu emanzipieren und Gleichwertigkeit zu beanspruchen, teilweise mit drastischen Konsequenzen für sich selbst. Noch heute wird Cellini als Vorkämpfer für die Anerkennung des Künstlers in einer Welt gefeiert, die Künstler entwertet, zuletzt im Musical Cellini.2 Wagemut und Durchhaltevermögen zeichneten ihn aus, ja man kann Cellini als vormodernen Self-Made-Man bezeichnen. Er hatte sich aus eigener Kraft hochgearbeitet, weitgehend ohne Unterstützung und gegen den Widerstand vieler.

Doch nicht nur in gesellschaftlicher Hinsicht, auch auf technischem und künstlerischem Gebiet war Cellini ein Grenzüberschreiter. Bei der Herstellung von Münzpressen erwies er sich als Innovator. Dass Cellini seine bronzene Perseus-Figur aus einem Stück goss und sie nicht aus mehreren zusammensetzte, war eine staunenerregende Meisterleistung. Da er als Kunsthandwerker auch den kreativen Akt der Erfindung (invezione) beanspruchte, leistete er einen wichtigen Beitrag zum modernen Begriff des „Künstlers“. Münzmeister und Medailleure galten als Handwerker, die größtenteils nach fremden Entwürfen arbeiteten, da man sie nur in geringem Maße zu kreativer Eigenleistung fähig hielt. Nicht so Cellini, der einen Ganzheitsanspruch hatte. Er ist ein Beispiel für autonomes Künstlertum, das aus dem subalternen Kunsthandwerk hervorging.

Cellini muss ein attraktiver Mann gewesen sein. Einen Bischof lässt er über sich sagen, er habe eine gute Symmetrie des Körpers und der Physiognomie. Das einzig authentische Porträt scheint dieses Eigenlob zu bestätigen. Auf Vasaris Deckengemälde im Palazzo Vecchio sieht man Cellini, bereits sechzigjährig, mit hoher Stirn, wohlgeformter Nase, gleichmäßigen Gesichtszügen und grauem Vollbart.

Er zeugte zahlreiche Kinder, hatte aber auch eine erotische Disposition für junge Männer. Im Gegensatz zu anderen Künstlern der italienischen Renaissance, die ebenfalls unter dem Verdacht der Homosexualität standen, war Cellini einer der wenigen, der seine Homophilie vor Gericht zugeben musste. Dafür wurde er schwer bestraft. Weil er auch mit künstlerischen Mitteln für die Enttabuisierung der Homosexualität eintrat, wurde er zu einer Ikone der Homosexuellenbewegung des 20. Jahrhunderts.

Cellinis Leben bot Anlass zu konträren Deutungen. Oscar Wilde, der selbst wegen Homosexualität eingekerkert wurde, nannte ihn bei aller Bewunderung den „Erzschurken der Renaissance“.3 Für den englischen Literaturkritiker John Addington Symonds war Cellini ein Symbol der Lasterhaftigkeit. Seine Begierden seien „animalisch, zügellos und fast brutal“ gewesen.4 Friedrich Nietzsche hingegen, der Verächter aller christlichen Moral, sah in Cellini „die harmonische Ganzheit und den vielstimmigen Zusammenhalt in einer Natur“ verkörpert. Nach Nietzsche lebte Cellini seinen natürlichen Instinkten gemäß – jenseits von Gut und Böse.5 Goethe wiederum, für den Cellini zur Projektionsfläche seiner Sturm-und-Drang-Sehnsüchte im Weimarer Alltag wurde, sah in Cellini einen „Repräsentanten sämtlicher Menschheit“. Er deute das an, was „in jeden menschlichen Busen eingeschrieben“ sei.6 Held, Antiheld oder Künstlerverbrecher, so wird Cellini auch in Romanen, Filmen und Opernlibretti dargestellt.7 In Hector Berlioz romantischer Oper Benvenuto Cellini ist Cellini ein verkannter Künstler, der sich und sein Werk absolut setzt und am Ende alles gewinnt. In Kurt Weills Operette The Firebrand of Florence ist er der zweifelhafte Held einer derben Sexklamotte. Es ist schwierig, aus Cellinis literarischer Selbststilisierung und dem Firnis der Projektionen die historische Persönlichkeit herauszuarbeiten. Cellini hinterließ der Nachwelt eine Maske, hinter der er sich verbarg. Er widersprach sich häufig, war ein Mensch voller Obsessionen und Gegensätzlichkeiten. Gläubig, vertraute er gleichzeitig der Astrologie, und doch war seine Triebfeder die schöpferische Tat. Psychoanalytiker zu Beginn des 20. Jahrhunderts unterstellten ihm Paranoia und Paraphrenie, eine leichte Form der Schizophrenie.8 Sie zogen bei ihren Untersuchungen jedoch primär Cellinis Lebensbericht zu Rate, in dem Cellini seinen eigenen Mythos schafft und das Erlebte (um-)deutet. Auch bergen solch starre Auslegungen die Gefahr, dass Cellinis literarischem Hauptwerk ein falscher Akzent verliehen wird. Die Aufgabe des Biografen kann nun nicht nur darin bestehen, den Firnis abzutragen und vorzuführen, wie sehr Cellini die Fakten verzerrt. Vielmehr sollte er versuchen, die Modelle, denen Cellini folgte, zu identifizieren und zu analysieren, welche Funktion sie erfüllten, was sie leisteten, und schließlich, im Fall von Cellinis literarischen Texten, den Spannungen nachzuspüren, die zwischen dem Niedergeschriebenen und verfügbaren literarischen Formen bestanden.

Das vorliegende Buch, eine Einführung in Leben und Werk, ist die erste deutschsprachige Biografie des Künstlers. Dargestellt wird Cellinis Schaffen im Kontext seiner Zeit. Die Lebensbeschreibung ist auch ein Versuch, die innere Entwicklung Cellinis nachzuzeichnen, wie sie sich aus Briefen, Einträgen in seinen ökonomischen Tagebüchern und Dokumenten rekonstruieren lässt. Besonders akzentuiert wird Cellinis Rolle im „Feld der Kunst“ wie im „Feld der Macht“ (Pierre Bourdieu). Denn eines musste Cellini, der unter Machthabern erheblich zu leiden hatte, schmerzhaft erfahren: Große Fürsten können es „übel vermerken, wenn einer ihrer Diener […] die Wahrheit über ihr Benehmen äußert“.9

Florenz. Zwischen Schalmei und Werkbank (1500–1523)

Florenz um 1500

Es waren unruhige Zeiten, als Benvenuto Cellini am 3. November 1500 in Florenz geboren wurde. Vierzig Jahre lang hatte das durch den Frieden von Lodi bewährte Gleichgewicht zwischen den Großmächten Rom, Neapel, Mailand, Venedig und Florenz Bestand gehabt und eine Einmischung ausländischer Mächte in italienische Angelegenheiten verhindert. Diese Balance wurde 1494 zerstört, als der französische König Karl VIII. in Italien einfiel, um Erbansprüche auf Neapel geltend zu machen. Der Monarch hatte mit seiner Invasion die Florentiner vom Joch der Medici befreit. Doch hatte der Eroberungszug auch die Unabhängigkeit der Stadt Pisa zur Folge, die lange unter der Herrschaft von Florenz gestanden hatte. Militärische Kampagnen, etwa im Juli 1499, um Pisa zurückzuerobern, scheiterten. Als die Florentiner ihren Befehlshaber, den Condottiere Paolo Vitelli, verhafteten und wegen Erfolglosigkeit und vermeintlichen Verrats hinrichten ließen, machten sie sich dessen Bruder Vitellozzo zum unversöhnlichen Feind. Vitellozzo Vitelli machte fortan gemeinsame Sache mit den Feinden der Republik: Piero de’ Medici, dem vertriebenen Oberhaupt der Familie Medici, den Nachbarrepubliken und Cesare Borgia, der während seiner Eroberungszüge in der Romagna auch ein Auge auf die Arnometropole geworfen hatte. Niccolò Machiavelli, damals Sekretär beim Rat der Zehn, wo er für Florentiner Außen- und Verteidigungspolitik zuständig war, musste auf Gesandtschaftsreisen sein ganzes diplomatisches Geschick aufwenden, um im Auftrag seiner Dienstherren Bündnisse zu schmieden oder die Neutralität der Republik zu wahren – oft in großer Verzweiflung über die Mut- und Orientierungslosigkeit der Stadtväter.

Lucantonio degli Uberti, Stadtansicht von Florenz, sog. Kettenplan, um 1470, Holzschnitt, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett

Im Inneren war Florenz durch das vierjährige Interregnum des Bußpredigers Girolamo Savonarola zerstritten wie selten zuvor. Nachdem die Medici 1494 vertrieben worden waren, hatte der Dominikaner Savonarola einen theokratischen Staat in Florenz errichtet und Christus zum König ausgerufen. Nach der Herrschaft der Medici sollte in den politischen Gremien nun auch das Gemeinwesen breiter repräsentiert werden. Um der Vision einer befriedeten und solidarischen Kommune gerecht zu werden, beschränkte man die Macht der alten Oligarchenfamilien. Dies kam einer politischen Revolution gleich und sorgte für sozialen Sprengstoff. Savonarola schuf nach dem Vorbild Venedigs den Großen Rat, der mehr als dreitausendsechshundert Mitglieder umfasste und über die wichtigsten Angelegenheiten der Verwaltung entschied. Oberstes Ziel des Dominikaners aber war eine moralische Erneuerung. In apokalyptischen Predigten geißelte er die menschliche Verderbtheit, die kirchliche Korruption, intellektuelle Überheblichkeit und fleischliche Begierde. Eine Sittenpolizei wurde eigens mit der Kontrolle der Florentiner betraut. Bald war der kulturelle Glanz der Stadt in Angst und Bespitzelung erstickt. Am letzten Karnevalstag des Jahres 1497 kam es zu einem beeindruckenden Autodafé. Ein Scheiterhaufen wurde auf der Piazza della Signoria errichtet, auf dem unter Beteiligung der Bevölkerung weltliche Eitelkeiten zum Opfer gebracht wurden. Zuunterst lagen Würfel, Spiegel, falsche Bärte, Perücken, Spielkarten, Schmuck und Parfümflaschen. Darüber befanden sich Bücher nichtchristlichen Inhalts, unter anderem das Epos Morgante von Luigi Pulci, in dem der Autor mit seinem berühmten Credo in blasphemischer Ironie das Glaubensbekenntnis parodiert, neben Zeichnungen, Büsten und Porträts berühmter Florentiner Schönheiten. Die Maler Fra Bartolommeo und Lorenzo di Credi, treue Anhänger Savonarolas, sollen ihre Bilder eigenhändig den Flammen übergeben haben. Viele Florentiner befanden sich in einem religiösen Trancezustand.

In Rom allerdings erwuchs Savonarola in Papst Alexander VI. ein übermächtiger Gegner. Der spanische Papst war verärgert, dass Savonarola ihn in Predigten attackierte und so schwerwiegender Dinge wie der Simonie und Ketzerei beschuldigte. Noch mehr erzürnte ihn aber, dass Savonarola den französischen König Karl VIII. unterstützte. Alexander VI. leistete der von Venedig geführten Liga gegen Frankreich Beistand, die den Expansionsgelüsten des französischen Königs Einhalt gebieten wollte. Unter Androhung eines Interdikts forderte der Papst im Frühjahr 1498 Savonarola gefangen zu nehmen und exkommunizierte ihn. Savonarolas Schicksal nahm seinen Lauf, als turnusgemäß eine neue Stadtregierung die Arbeit aufnahm, in der seine Feinde in der Mehrheit waren. Savonarola wurde festgenommen und seine unter Folter erpressten Antworten manipuliert. Der Ketzerei und schismatischer Bestrebungen überführt, wurde er am 23. Mai 1498 mit zwei weiteren Ordensbrüdern öffentlich degradiert, gehängt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Der Maler Sandro Botticelli gab der allgemeinen Stimmung um die Jahrhundertwende Ausdruck, als er sein Gemälde Anbetung des Kindes mit einer apokalyptischen Prophezeiung versah und auf einer Inschrift festhielt, er habe das Bild in den gegenwärtigen „Wirren“ gemalt. Savonarolas Erbe war eine politische Polarisierung und ein hasserfülltes Misstrauen innerhalb der Bürgerschaft. Die piagnoni (die Weinerlichen), die Regierenden zur Zeit des Bußpredigers, mussten nach dem Tod ihres geistigen Führers widerwillig ihre politischen Ämter den Gegnern überlassen. Jene arrabiati (die Wütenden), wie die Widersacher Savonarolas hießen, zogen gegen die Bewunderer des Predigers offen zu Felde. Dann waren da noch die palleschi, die Anhänger der Medici. Obwohl sie 1494 vertrieben worden waren, befanden sich noch immer zahlreiche Unterstützer der Familie in der Stadt. Die exilierten Medici warteten nur auf ihre Chance, in Florenz wieder an die Macht zu gelangen. Zu den politischen Wirren kamen in zunehmendem Maß wirtschaftliche Schwierigkeiten. Die für die Arnostadt wichtige Textilindustrie bekam immer stärkere Konkurrenz aus England, Frankreich und Flandern. Ständige Kriege führten dazu, dass die Gesamtwirtschaft stagnierte. Selbst der berühmte Finanz- und Bankensektor hatte an Bedeutung verloren.

Es gärte buchstäblich in Florenz. Die Signoria, das republikanische Parlament, für viele Florentiner der Lauheit verdächtig, sah sich gezwungen Exempel zu statuieren. Der Apotheker Luca Landucci schrieb in sein Tagebuch, dass am 29. Dezember 1500, wenige Wochen nach Cellinis Geburt, zwei Männer geköpft wurden, weil sie sich der Signoria widersetzt hätten.1 Wenige Tage später, am 14. Januar, griffen junge Männer Mitarbeiter des Podestà an. Zwei Wachmänner starben. Besonders die arrabiati waren in Aufruhr.

In seiner Lebensbeschreibung geht Cellini auf einen Vorfall ein, der zeigen soll, wie einflussreich die Anhänger Savonarolas noch fünfundzwanzig Jahre nach dessen Hinrichtung in den städtischen Gremien waren. Als Cellini 1523 nach einer gewaltsamen Auseinandersetzung zum Tod verurteilt wurde, seien es vor allem die arronzinati cappuccetti (die umgebogenen Kappen) – wie man nun die ehemaligen Anhänger Savonarolas nannte – unter den Richtern gewesen, die die Todesstrafe verhängt hätten. Cellinis despektierlicher Tonfall ihnen gegenüber, ja sein gesamtes Sündenregister, das von Mehrfachmord, Körperverletzung, Unzucht mit Minderjährigen bis zum Vorwurf des Diebstahls von Kirchenbesitz reicht, zeigt, dass er mit Savonarolas Moralvorstellungen wenig anfangen konnte – und dies, obwohl er später selbst für zwei Jahre die niederen Weihen annahm. Der Bußprediger hatte mit seinem moralischen Feldzug gegen nahezu alles gekämpft, was Cellini den Zeitgenossen gegenüber verkörperte, etwa seine Gewalttätigkeit und Sinnenfreudigkeit, die exzentrische Selbstgefälligkeit, die Lust am Wettspiel oder Cellinis Bekenntnis zur Männerliebe. In Rom beschäftigte Cellini sich später mit okkulter Literatur und unterstützte den bisexuellen Dichter Luigi Pulci, den Enkel des gleichnamigen Morgante-Verfassers, dessen Epos Savonarola verbrennen ließ. Selbst an Cellinis Lebensbeschreibung hätte Savonarola Anstoß genommen, kollidierte autobiografisches Schreiben und damit das Streben nach Ruhm doch mit dem christlichen Demutsideal. Letztlich waren die Anhänger Savonarolas für Cellini aber nur ein geringes Problem. Ihrem Rigorismus entzog er sich durch Flucht. Cellini gelang es, in schwierigen Zeiten einundsiebzig Jahre alt zu werden, ungeachtet der Tatsache, dass er in seinem Leben mit den unterschiedlichsten politischen Kräftekonstellationen und Gefahren konfrontiert wurde. Der Florentiner hatte viele Feinde. Er arbeitete für die Medici und verkehrte gleichzeitig mit deren Kontrahenten. Cellini kämpfte als Soldat gegen die Truppen Kaiser Karls V. und duellierte sich. In einer Zeit, in der Gewalt zur Ökonomie des Daseins gehörte, wurden auch auf ihn Mordanschläge verübt. Cellini unternahm einen tollkühnen Fluchtversuch aus der Engelsburg, bei dem er sich schwer verletzte, ganz zu schweigen von gewaltsamen Auseinandersetzungen, Gefängnisaufenthalten, Prozessen, existenziellen Anfeindungen und Krankheiten. Cellini zeigt sich in seiner Lebensbeschreibung tief verwundert, dass er bei all dem „Leid“, das ihm widerfahren war, überhaupt ein so hohes Alter erreichen konnte. Er hatte allen Grund dazu, auch wenn sein Leid oft daraus resultierte, dass er anderen ein solches zufügte.

Die Vorfahren

Er sei von bescheidener Herkunft, bemerkt Cellini. Dabei rechnet er sich zu großer Ehre an, seiner Familie Ruhm verschafft zu haben. Ursprünglich stamme seine Sippe von dem römischen Hauptmann Fiorino da Cellino ab, der unter Julius Cäsar tapfer diente. Dieser Fiorino sei niemand Geringerer als der Namensgeber der Stadt Florenz.

Mit sinnlicher Kraft und Leidenschaft beginnt Cellini seine Lebensbeschreibung,2 von seiner Fantasie mitgerissen und mit gehöriger Großsprecherei. Als Leser historischer Schriften weiß er, dass Städte häufig nach dem Namen ihres Gründers benannt wurden, von Konstantinopel bis Pienza, und so beansprucht er den klingenden Städtenamen Fi(o)renze für seine Familie, um den durch Taten erlangten Wert seiner Sippschaft unter Beweis zu stellen. Dass er überdies aus einer alten Familie kommt und eine Verbindung zur Antike herstellen kann, adelt ihn im Selbstverständnis seiner Mitbürger zusätzlich.

Fiorino da Cellino, ursprünglich aus der Nähe von Bolsena stammend, habe sein Lager unterhalb von Fiesole am Fluss Arno aufgeschlagen, an dem heute Florenz liegt. Einschränkend fügt Cellini hinzu, dass an jenem Ort auch eine Überfülle an Blumen (fiori) wuchs. Der Stadtgründer Cäsar habe sich bei der Namensgebung sowohl von den schönen Blumen als auch vom Namen des Hauptmanns inspirieren lassen, dem er sehr gewogen war. Den möglichen Einwand etymologisch geschulter Humanisten, die Stadt verdanke ihren Namen der Lage am Lauf des Arno, abgeleitet von fluentia, entkräftet Cellini mit einem entwaffnenden Beweisschluss: „Denn Rom liegt am Lauf des Tiber, Ferrara an dem des Po […] und Paris an der Seine, und trotzdem haben sie ganz verschiedene Namen, zu denen sie auf anderem Weg gekommen sind.“

Man kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen, dass ein Fiorino da Cellino jemals gelebt hat, geschweige denn, dass Florenz nach ihm benannt wurde.3 Genealogische Hochstapelei war unter den Bildhauern und Malern der Arnostadt aber durchaus verbreitet, nicht zuletzt weil sie seit Generationen versuchten, sich vom traditionellen Milieu des Handwerks zu lösen und das Ansehen der freien Künste zu erlangen. Cellini verfuhr bei der Stilisierung seines Stammbaums sogar moderat im Vergleich mit anderen. Der von ihm hochverehrte Michelangelo diktierte seinem Biografen, er stamme von den Grafen von Canossa ab, und Cellinis Erzfeind, der Bildhauer Baccio Bandinelli, gab an, er entstamme dem Sieneser Grafengeschlecht der Bandini, dem auch Papst Alexander III. angehörte. Was Cellini dem Leser mit den Mitteln der Mystifizierung und der Aura des Außergewöhnlichen sagen will, ist, dass sich mit ihm, dem jüngsten Stammhalter, und Cellino, der am Anfang steht, ein Kreis schließt. Beiden gelang es, durch ihre Taten Ruhm zu erlangen und mit den mächtigsten Herrschern ihrer Zeit zu verkehren, der eine mit Julius Cäsar, der andere mit Päpsten, Herzögen, einem Kaiser und einem König.

Die Cellinis waren typische Angehörige des popolo minuto, der Florentiner Mittelschicht. Ursprünglich stammten sie aus dem zwischen Siena und Arezzo gelegenen Val d’Ambra. Der erste durch Archivalien nachweisbare Vertreter in Florenz ist Benvenutos Urgroßvater Cristofano, der aus dem Ambratal in die Arnostadt übersiedelte. 1487 wird dessen Sohn Andrea im Katasteramt der Stadt als „Maurer“ bezeichnet.4 Cellini hingegen schreibt, sein Großvater Andrea lebte von der Architektur. Diese vermeintliche Nobilitierung eines Maurers muss nicht der Selbsterhöhung Cellinis geschuldet sein. Es gab damals keine klar umrissene Ausbildung zum Architekten. Andrea war wohl in beiden Bereichen, dem praktischen wie dem theoretischen, als Baumeister tätig. Mit ihm jedenfalls entwuchs der Familienstammbaum seinen ländlichen Ursprüngen. Andreas Sohn Giovanni, Benvenutos Vater, interessierte sich dann ebenfalls für die Architektur. Doch bereits in jungen Jahren entflammte er für die Musik, eine Leidenschaft, unter der Benvenuto Cellini sehr zu leiden hatte.

Ein ehrgeiziger Vater

Es ist der Wunsch der meisten Väter: Der Sohn möge einmal ein zufriedenstellendes Auskommen haben, das ihm ein sorgenfreies Leben ermöglicht. Auch Giovanni Cellini hegte diesen Wunsch für seinen Sohn Benvenuto und betrieb dessen Realisierung nachdrücklich. Benvenuto sollte als Musiker in Giovanni Cellinis Fußstapfen treten, der als Stadtpfeifer für die Signoria tätig war. Bereits mit elf Jahren bekam Benvenuto durch Fürsprache des Vaters ein Engagement als Bläser in Diensten der Parte Guelfa, der politischen Gesellschaft der Guelfen-Fraktion, die eine kleine Musikkapelle unterhielt. Zahlungen sind überliefert, aus denen hervorgeht, dass dem Elfjährigen am 15. Dezember 1511 von den Kapitänen der Guelfen-Partei ein Honorar von 4 Lire für die Monate September bis Dezember ausbezahlt wurde.5 Giovanni Cellinis Wunsch erscheint umso verständlicher, wenn man die Begabung Benvenutos – er fand später immerhin Aufnahme in die Kapelle des Papstes6 – und die Privilegien des Pfeiferamtes in Betracht zieht. Die Stelle sicherte ein Grundeinkommen und erlaubte es Nebentätigkeiten nachzugehen. So war Giovanni Cellini auch als Instrumentenbauer, Kunsthandwerker, Ingenieur und Baumeister tätig und genoss Vergünstigungen wie gestellter Kleidung, Gratisessen und eine Pension, die ihm zustanden. Da das Amt üblicherweise durch Erbfolge vergeben wurde, war es das Sprungbrett für die nächste Generation. Doch zum Leidwesen Giovanni Cellinis, der ein leidenschaftlicher Musiker war, war der Beruf des Pfeifers auf Dauer nicht gut genug für Benvenuto, auch nicht als Brotberuf und Standbein, das ihm Zeit für andere Betätigungen ließ. Klagen über die „zu niedere Kunst“ durchziehen die ersten Kapitel seiner Lebensbeschreibung, ja ein regelrechter Widerwille gegen die Musik. Giovanni Cellini, überzeugt von der musikalischen Begabung des Sohnes, war ehrgeizig und muss ihn emotional unter Druck gesetzt haben. In klagendem Ton bedrängte er ihn. „Der größte Wunsch, den er – was mich betrifft – auf der Welt hatte, war, dass aus mir ein bedeutender Musiker werden sollte.“ Immer wieder liest man, dass es zu Konflikten mit dem Vater kam. Das subalterne Arbeitsverhältnis des piffero aber empfand Benvenuto Cellini als Fron. Er wollte mehr sein als ein Tuttist, der bei offiziellen Empfängen, bei Prozessionen, Turnieren oder Festen als einer unter vielen musizierte. Er war zu sehr Individualist, und der Wunsch, sich seiner Leidenschaft, dem Kunsthandwerk, zu widmen, wurde früh offensichtlich.

Benedetto da Maiano, Drei Pfeifer (links), Skulpturengruppe Incoronazione di Ferdinando d’Aragona, Marmor, Florenz, Museo Nazionale del Bargello

Dass der Beruf des piffero aber durchaus attraktiv war, beweist der Lebensweg des Vaters. Geboren im Jahr 1451, war Giovanni Cellini nicht nur ein erfolgreicher Musiker – mehrfach wird er in den überlieferten Dokumenten als musikalischer Leiter (maestro) der pifferi bezeichnet7 – sondern auch ein Universaltalent und Überlebenskünstler, der sich mit den verschiedenen Herrschern arrangierte. Es gelang ihm in den Wirren der Florentiner Innenpolitik, die sich durch stete Spannungen zwischen Medici-Anhängern und Medici-Gegnern auszeichnete, seine Stelle zu behaupten, ja sogar von den verschiedenen Machthabern geschätzt zu werden. Giovanni Cellinis Interesse galt ursprünglich der Architektur. Musik betrieb er nur als Nebenbeschäftigung. Einer Forderung des römischen Architekturtheoretikers Vitruv entsprechend musste ein guter Baumeister auch musikalische Kenntnisse haben, da sich die Harmoniegesetze der Musik, so glaubte man, in der Architektur spiegelten. Giovanni Cellini begann Viola und Flöte zu spielen. Bald entwickelte er eine Leidenschaft für die Instrumentalmusik, und seine Begabung blieb den pifferi nicht verborgen. 1480, unter der Regentschaft von Lorenzo de’ Medici, dem sogenannten Prächtigen, wurde er bei den Stadtpfeifern aufgenommen. Dennoch war er weiterhin auch als Baumeister gefragt. Luca Landucci berichtet, dass er am 4. Juli 1509 nach dem Tod des Architekten Simone del Pollaiuolo Giovanni Cellini eine Zeichnung gab, nach der gegenüber der Kirche San Lorenzo ein Gotteshaus für den Evangelisten Johannes gebaut werden sollte.

Als Giovanni Cellini 1480 seinen Dienst bei den pifferi antrat, befand sich Florenz in einer kulturellen Blüte. Es war jene Zeit innerhalb der Florentiner Hochkultur, in der die vom Kulturwissenschaftler Aby Warburg konstatierte Erneuerung der heidnischen Antike stattfand. Während der Herrschaft Lorenzos des Prächtigen war der christliche Schöpfergott aus der Mode gekommen. Man huldigte unverhohlen den alten Göttern der Römer und Griechen. Sie bevölkerten den Himmel der Astrologen, die Verse der Poeten und die Gemälde der Maler. So hat eines der berühmtesten Gemälde Botticellis keine christliche Legende, sondern einen antiken Mythos zum Gegenstand – die Geburt der Venus. Sinnlichkeit wurde in dieser neuheidnischen Welt geradezu als göttlich angesehen, und Musik galt als ein wesentlicher Bestandteil des irdischen Frohsinns. Benvenuto Cellini schrieb später, dass das Volk von Florenz sich in Sommernächten auf Straßen und Plätzen häufig versammelte, um improvisierten Gesängen beizuwohnen. Erotisch-blasphemische Karnevalsgesänge, deren Sprachcodes auch Cellini später in seine Gedichte übernahm,8 erfreuten sich großer Beliebtheit.

Das Musikleben in Florenz wurde maßgeblich von Lorenzo de’ Medici geprägt. Er musizierte selbst und gab Kompositionen in Auftrag. Sein Biograf Niccolò Valori, ein Zeitgenosse, schreibt, dass er sich ein Leben lang an der Musik ergötzt habe und er über außerordentliche musikalische Kenntnisse verfügt habe, sodass er es mit jedem anderen auf diesem Gebiet aufnehmen konnte.9 Es war dann aber gerade der Prächtige, bemerkt Cellini, der Giovanni Cellini 1491 zu dessen Unglück bei den pifferi entließ und durch einen deutschen Musiker ersetzte, allerdings nur, weil Lorenzo de’ Medici überzeugt war, Giovanni Cellini solle seine anderen Begabungen – Baukunst, Kunsthandwerk und Instrumentenbau – bevorzugt pflegen. Die Liebe zur Musik muss allerdings derart ausgeprägt gewesen sein, dass er 1495 nach der Vertreibung der Medici unter dem kunstkritischen Regiment Savonarolas zu den Stadtpfeifern zurückkehrte, um die Contralto- und Controbasso-Partien zu übernehmen, zunächst als Aushilfe ohne Honorar. Mit 50 Florin, die er einem gewissen Adamo Adami für dessen Ausscheiden bezahlte, kaufte sich Giovanni Cellini 1497 in das Ensemble ein und blieb bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1514. Wie wichtig ihm die Stelle war, zeigt, dass er sogar einen Rechtsbruch beging, da Ensemblestellen nicht veräußert werden durften. Giovanni Cellini wurde bei der Obrigkeit denunziert, ging jedoch straffrei aus und konnte die Stelle behalten.10 Auch nach seinem Ausscheiden blieb er der Ensemblemusik treu. Gemeinsam mit seinem Sohn trat er hin und wieder mit den Pfeifern der Parte Guelfa auf.

Machiavelli begriff seine Heimatstadt in seiner Geschichte von Florenz als ein lebendiges Wesen und die Entwicklung ihrer Regierungsformen als naturgemäß. Im Lauf von wenigen Generationen hatten die Florentiner die unterschiedlichsten Herrschaftsformen und hegemonialen Ansprüche kennengelernt: Adelsherrschaft, Kämpfe des Mittelstands mit den Arbeitern, Tyrannis, republikanische Verfassung und Scheindemokratie, Primat einer Familie und Theokratie. Auch Giovanni Cellini sah Herrscher kommen und gehen. Dabei war es ihm wie einem Chamäleon gelungen, sich stets anzupassen: Nach Lorenzo de’ Medici und der Vertreibung seines Sohnes Piero im Jahr 1494 diente er Savonarolas Volksregierung, nach dessen Hinrichtung 1498 dem Gonfaloniere auf Lebenszeit Piero Soderini; und nach dessen Flucht 1512 wurde er Zeuge der Rückkehr der Medici unter Kardinal Giovanni de’ Medici. Er muss eine angesehene Persönlichkeit gewesen sein, insbesondere Piero Soderini schätzte seine Fähigkeiten. Am 26. Juli 1503 zahlte die Signoria Giovanni Cellini 56 Lire und 13 Soldi, damit er als Begleiter von Leonardo da Vinci in das Lager bei Pisa fahren konnte, wo – der politischen Spannungen zwischen Florenz und Pisa wegen – Beratungen über die Umleitung des Arno stattfanden. Leonardo da Vinci plante unter Mithilfe Giovanni Cellinis, den Fluss zum Vorteil von Florenz zu verlegen. Die Pisaner sollten vom Wasserweg abgeschnitten werden. Doch ausgetrocknet waren am Ende nur die Finanzen der Stadt Florenz, da das Unternehmen scheiterte. Im Januar 1504 wurde Giovanni Cellini eine Ehre zuteil, die für sein hohes gesellschaftliches Renommee spricht. Er wurde als einziger Musiker Stimmberechtigter in einer Jury, die darüber zu bestimmen hatte, an welchem Ort in Florenz Michelangelos David aufgestellt werden sollte. Die Namen der anderen Experten lesen sich wie das Who‘s who der damals in Florenz ansässigen Künstler: Wahlberechtigt waren unter anderem Botticelli, Leonardo da Vinci, Michelangelo, Andrea della Robbia, Giuliano da Sangallo Perugino, Filippino Lippi, Lorenzo di Credi, Francesco Granacci und Piero di Cosimo.

Hatte der David ursprünglich eine kirchliche Bestimmung, sah man in ihm bald ein Symbol des republikanischen Sieges gegen die Medici. Wie der Hirtenjunge David gegen den Riesen Goliath triumphierte, so hatte sich die Stadt gegen die mächtige Familie behauptet. Die Entscheidung, wo er positioniert werden sollte, war damit ein Politikum höchsten Ranges. Es wurden Standorte in der Nähe der kirchlichen und der politischen Schaltzentralen vorgeschlagen, am Dom (Botticelli) oder nahe dem Palazzo della Signoria. Giovanni Cellini, der im Abstimmungsprotokoll als Regierungsbeamter aufgeführt wird,11 plädierte für die Loggia della Signoria oder alternativ für den Innenhof des Palazzo. Er entsprach damit der Erwartungshaltung seines Dienstherrn, denn der Fingerzeig war mit seinem Juryurteil garantiert. Giovanni Cellini sorgte dafür, dass Michelangelos David zu einem Zeichen republikanischer Identität wurde. Es gehört allerdings zur Ironie der Cellini, dass es später sein Sohn Benvenuto war, der über seine Perseus-Statue in unmittelbarer Nähe des David die Alleinherrschaft eines Medici-Fürsten pries.

Seinen Talenten entsprechend breit einsetzbar, erhielt Giovanni Cellini im Februar 1505 Haushaltsmittel, um das Gerüst zu bauen, mithilfe dessen Leonardo da Vinci in der Sala del Consiglio des Regierungspalastes die Schlacht von Anghiari malte. Er besorgte Leonardo auch die Farben für das Monumentalgemälde. Dass sein Sohn Benvenuto später während seines Aufenthalts in Frankreich von König Franz I. ähnlich großzügig behandelt wurde wie Leonardo, erfüllte Benvenuto Cellini mit Stolz, zeigte es doch seinen sozialen Aufstieg.

Sowohl Giovanni als auch Benvenuto Cellini waren Musiker, die mehrere Instrumente beherrschten und sich auf vielen Gebieten der Musik auskannten. Das Repertoire der Stadtpfeifer umfasste neben Unterhaltungsmusik – sie spielten unter anderem der Signoria zu Tisch auf – auch Instrumentalfassungen von Vokalmotetten und Improvisationen, da sie bei unterschiedlichen Gelegenheiten und auf Abruf auftreten mussten. Da traditionell immer auch Deutsche und Flamen zu den Ensemblemitgliedern zählten, dürfte das Repertoire nicht nur auf italienische Kompositionen beschränkt gewesen sein. Die Stadtpfeifer setzten sich aus vier Bläsern, drei Schalmeispielern und einem Trompeter zusammen, gelegentlich wurde das Ensemble durch Aushilfen erweitert. Giovanni Cellini spielte neben der Schalmei die Viola und die Flöte, darüber hinaus muss er Grundkenntnisse im Orgel-, Clavicembalo-, Lauten- und Harfenspiel gehabt haben, da er diese Instrumente baute. Seinen Sohn Benvenuto lehrte er Flöte, Trompete, Horn und Schalmei spielen, Gesang und Komposition. Cellini berichtet, wie er in noch zartem Alter, auf den Schultern eines Magistratsbeamten sitzend, zusammen mit dem Vater und den anderen Musikern vor der Signoria auftrat und dabei den Part der Sopranflöte übernahm. Jener frühen Förderung war es auch zu verdanken, dass Benvenuto mit nur elf Jahren eine Stelle in der Kapelle der Parte Guelfa bekam.

Von Giovanni Cellini sind keine schriftlichen Stellungnahmen überliefert. Sein Leben lässt sich nur aus Amtsurkunden und Rechnungsbüchern, beiläufigen Bemerkungen Dritter und dem Bericht des Sohnes rekonstruieren. Benvenuto Cellini zeichnet in seiner Lebensbeschreibung ein liebevolles, aber auch kritisches Bild des Vaters. Vieles, was er später mit großem Selbstbewusstsein für sich selbst beanspruchen wird, legt er bereits im Vater an: die dichterische und prophetische Ader, Akribie, Durchsetzungsvermögen, Autorität, Mut, den lockeren Umgang mit den Gesetzen, die Regelüberschreitung – eine Liebesheirat, wie sie Giovanni gegen den Willen seines Vaters eingehen sollte, war ungewöhnlich – sowie die Perfektion und Innovation im Kunsthandwerk. Mit großer Faszination berichtet Benvenuto, wie sein Vater einen Spiegel aus Knochen und Elfenbein in Form eines Glücksrads baute, den er kunstvoll mit Intarsien und einem lateinischen Vers versah. Selbst die körperliche Robustheit und Vitalität war beiden Männern gemeinsam und ließ sie ein hohes Alter erreichen. Giovanni Cellini starb erst 1527 mit sechsundsiebzig Jahren an der Pest. Doch war er in den Augen des Sohnes auch ein Opfer seiner Leidenschaft für die „niedere Kunst“ der Musik und seines Sicherheitsdenkens. Selbst das Zureden Lorenzos des Prächtigen habe nicht bewirkt, dass der Vater von seiner Neigung dauerhaft abließ. Unterschwellig klingt der Vorwurf des Provinzialismus an, denn im Gegensatz zu Benvenuto, der den Instinkt des Zugvogels besaß, blieb Giovanni Cellinis Wirkungskreis stets auf Florenz beschränkt. Er hätte, so die implizite Aussage des Sohnes, mehr aus seinen Begabungen in Kunsthandwerk und Ingenieurwesen machen können. Der Kampf mit dem Vater trug aber zu Cellinis Identitätsfindung als bildender Künstler bei. Nur über die Auseinandersetzung mit dem autoritären Familienoberhaupt, das den Beruf des Musikers exemplarisch verkörperte, fand Cellini seine Berufung zur bildenden Kunst.

Von der Existenz der Mutter, Elisabetta Granacci, weiß die Nachwelt bis auf einen Geburtseintrag in einem Steuerverzeichnis nur über die Lebensbeschreibung des Sohnes. Sie wurde 1464 geboren und war dreizehn Jahre jünger als ihr Mann. Ihre Eltern lebten in unmittelbarer Nachbarschaft der Cellini. Elisabetta Granacci hatte mehrere Geschwister und muss „außergewöhnlich schön“ gewesen sein. Als feststand, dass die beiden Nachbarskinder heiraten wollten und die Väter um die Mitgift der Braut feilschten – Elisabetta entstammte keiner wohlhabenden Familie –, war Giovanni bereits derart verliebt in sie, dass er sich trotz des Widerstands seines Vaters entschloss, auf die Aussteuer zu verzichten. Der Liebesheirat entsprangen dann sechs Kinder, von denen zwei Söhne, Benvenuto und der jüngere Giovan Francesco (Cecchino), sowie zwei Töchter, Benvenutos ältere Schwester Nicolosa (Cosa) und Liperata, das Kindesalter überlebten.12

Wie der Historiker Anthony Grafton bemerkt, waren die Florentiner des 15. Jahrhunderts „alles andere als Feministen“.13 Durch Auswertung unzähliger Dokumente in Florentiner Archiven haben Sozialgeschichtsforscher herausgefunden, dass die Stellung der Frau in der Florentiner Renaissance durch die herrschenden Normen von Herkommen und Recht besonders schwach war.14 Die Gesellschaft war durch und durch patriarchalisch. Das von Humanisten entworfene Frauenbild trug dazu bei. Leon Battista Alberti (1404–1472) entwarf in seinem Dialog Vom Hauswesen, in dessen drittem Buch eine mustergültige Florentiner Ehe skizziert wird, das Ideal einer bescheidenen Hausfrau, die dem Mann untertan still im Hintergrund wirkt. Schweigen außerhalb des Hauses, ordnende Tätigkeit im Inneren, so lauteten die wichtigsten Gebote für eine verheiratete Florentinerin. Dementsprechend ist anzunehmen, dass auch Elisabetta Granacci, kaum war der Brautkranz verwelkt, die Sorge für Haushalt und Familie weitgehend alleine trug und ein zurückgezogenes Leben führte. Selbst ihrem Sohn Benvenuto, der zu misogynen Ausfällen neigte – Frauen sind laut Cellini oft materialistisch, geschwätzig oder intrigant –, schien ihre Existenz nicht weiter erwähnenswert. Er widmet ihr außer dem Hinweis, dass sich die Eltern einer „heiligen Liebe“ erfreuten, kaum ein Wort.

Skorpion und Salamander. Frühe Jahre

Die Cellinis wohnten bereits seit drei Generationen in Florenz in der Via Chiara 4 in der Nähe des Klosters Sant’Orsola, als Benvenuto am 3. November 1500 geboren wurde. Nach heutiger Zeitrechnung wäre es der 14. November gewesen, da im Florenz des frühen 16. Jahrhunderts noch der julianische Kalender galt.15 Es war ungewöhnlich kalt für die Jahreszeit. Luca Landucci schreibt, dass es Ende November ununterbrochen schneite. Nie sei in Florenz mehr Schnee und ein derart lang anhaltender Schneefall gesehen worden. Die Florentiner nutzten das Spektakel und verwandelten die Piazza della Signoria in einen Eisskulpturenpark. Löwen, das Wappentier von Florenz, und menschliche Figuren wurden aus Schnee gebaut. Wie üblich beteiligten sich auch Kunsthandwerker an der Erschaffung der Skulpturen und wetteiferten um die schönste.

Cellini erhielt den Vornamen Benvenuto (Willkommen), denn seine Eltern hatten sich nach vielen kinderlosen Ehejahren auf ein Mädchen eingestellt und erlebten seine Geburt als eine angenehme Überraschung.16 Wie Cellini berichtet, sei die Geburt eines Knaben auch deshalb verblüffend für sie gewesen, weil die Mutter dieselben kulinarischen Gelüste auch während der Schwangerschaft mit seiner Schwester Rosa verspürt habe. So diente bereits Cellinis Lebensbeginn dazu, seine persönliche Legende zu fördern. In der Durchbrechung gynäkologischer Weisheiten der Zeit kündigte sich seine Auserwähltheit an.17 Dass er sein Geburtsdatum regelmäßig auf den 1. November oder die Nacht auf den 2. November zurückdatiert, somit in die Nähe des Patronatsfests Allerheiligen, steht ebenfalls in diesem Zusammenhang. Seinem Gefühl des Erwähltseins haftet etwas Messianisches an.

Cellini erinnert sich an zwei symbolträchtige Ereignisse aus seiner Kindheit. Als er etwa drei Jahre alt war, nahm er unbekümmert einen giftigen Skorpion in die Hand, der aus einer Wasserleitung kroch. Begeistert zeigte der Junge den vermeintlichen Krebs seinem Vater und seinem Großvater. Der Großvater versuchte ihm voller Entsetzen das Untier abzuschmeicheln. Doch auf dessen ängstliches Zureden, er möge es fallen lassen, reagierte Benvenuto mit Trotz, bis der Vater kurz entschlossen eine Schere nahm und dem Tier Schwanz und Zange abschnitt. Damit war die Gefahr für Benvenutos Leben gebannt.

Das Geschehen hat einen symbolischen Subtext. Es soll – so die implizite Forderung des Autors – als Zeichen gedeutet werden, da einem von Gott Auserwählten ein giftiges Tier nicht schaden kann. Im Lukasevangelium 10,19 findet sich das entsprechende Zitat: „Siehe, ich habe euch die Macht gegeben, auf Schlangen und Skorpione zu treten, und über alle Gewalt des Feindes: er wird Euch keinen Schaden zufügen.“18 Cellini nimmt damit die weitere Erzählung in seiner Lebensbeschreibung vorweg, denn im Lauf der Jahre wird er noch mit zahlreichen Feinden konfrontiert. Trotz aller Kümmernisse wird er nicht besiegt. So zumindest berichtet er es. Sein Vater, der die Bedeutung des Ereignisses erkannte, sah dies als gutes Vorzeichen.

Es war wiederum der Vater, der dem fünfjährigen Benvenuto eines Tages auf ein besonderes Tier aufmerksam machte und ihm dabei eine schallende Ohrfeige gab. Im Kaminfeuer wärmte sich ein Feuersalamander, ohne Schaden an den Flammen zu nehmen. Dem bestürzten Benvenuto, der sich keiner Schuld bewusst war, sagte der Vater: „Ich habe dir diese Ohrfeige nicht gegeben, weil du etwas Böses getan hast, sondern nur, damit du dich an diese Eidechse erinnerst, […] Es ist ein Salamander, wie ihn noch nie jemand gesehen hat, […].“ Wiederum deutete der Vater die Zeichen richtig. Die Ohrfeige war lediglich eine einprägsame Gedächtnishilfe. Denn der Salamander, Ausdruck der Lebenskraft unter widrigen Umständen, war auch das Emblemtier des französischen Königs Franz I., an dessen Hof Cellini später erfolgreich arbeitete. Selbststilisierung geht in dieser Textpassage mit dem Glauben an Vorherbestimmung und göttliche Zeichen einher.19

Cellini ist in seiner Lebensbeschreibung ein Meister des emblematischen Schreibens und der Selbstcharismatisierung. Feinde oder Bedrohungen dienen ihm, wie in jedem Heldenmythos, als dramaturgischer Kunstgriff, als unverzichtbarer Hintergrund, der die Charakterisierung des Helden erst ermöglicht. Damit zusammenhängend unterschlägt er Informationen, die seinem Renommee schaden. Mit keiner Silbe erwähnt Cellini, dass er bis zu seinem neunzehnten Lebensjahr als Pfeifer für die Kapelle der Parte Guelfa tätig war. Im Zeitraum von 1511 bis 1519 sind sechzehn Honorarbelege überliefert, die beweisen, dass er, jeweils für einen Zeitraum von mehreren Monaten, als piffero für die Parte Guelfa musizierte. Die Kapelle muss ein Fixpunkt in seinem Leben gewesen sein. Cellinis Verdienst trug zum Erhalt der Familie bei. Aus den Honorarabrechnungen geht auch hervor, dass er sich von den Kapitänen der Guelfen-Fraktion Geld lieh.20