Thomas von Aquino

 

Abhandlung über den Stein der Weisen

Übers., hrsg. u. mit e. ausführl. Einleitg vers. von Gustav Meyrink


Impressum

„Abhandlung über den Stein der Weisen“ von Thomas von Aquino [Übers., hrsg. u. mit e. ausführl. Einleitg vers. von Gustav Meyrink]

Erstveröffentlichung: 1925

Cover, Überarbeitung: F. Schwab Verlag

Neuauflage: F. Schwab Verlag, 2. Auflage 2018 – www.fsverlag.de sagt Danke!

Copyright © 2018 by F. Schwab Verlag

 

Einleitung.

Der Demiurg, der große Baumeister aller Welten, ist, das läßt sich nicht leugnen, ein Künstler von umfassender Vielseitigkeit! Nicht nur als Maler und Bildhauer betätigt er sich rastlos, auch als Verfasser von Dramen, Lustspielen, Possen, und, da er keine Zensur über sich duldet, in überaus häufigen Darbietungen erotischer Werke tut er sich gern hervor.

Bisweilen scheint es ihn auch zu reizen, ein Satirspiel zu schreiben und von uns armen Menschenkindern als Schauspielern unentgeltlich oder gegen ein zumindest sehr schäbiges Honorar in Szene gehen zu lassen.

Ein solches Satirspiel könnte den Titel führen:

„ALCHIMIE ODER DIE UNERFORSCHLICHKEIT.“

Nach unsern menschlichen kurzatmigen Begriffen hat es vielzuviel Akte, um dauernd auf dem Spielplan bleiben zu können; dennoch läßt es sich nicht leugnen, daß es recht geschickt geschrieben ist; treten doch immer wieder neue Spannungsmomente auf, und kaum droht uns das Gähnen zu überfallen, schon versteht es der Dichter meisterhaft, uns durch kleine liebenswürdige Tricks zu frischer Aufmerksamkeit anzuregen. Ich vermute, daß die Anfänge des Stückes in die Jugendzeit des Demiurgen zu verlegen sind, denn was wir über Alchimie wissen, verliert sich bis in die graue Vorzeit; an das Vorspiel und den ersten Akt kann sich keiner von uns mehr erinnern.

Die späteren Akte hingegen können wir alle uns leicht wieder vergegenwärtigen, wenn wir die Bücher des Mittelalters über Goldmacherkunst zur Hand nehmen. Das Bild, das sich da direkt oder indirekt vor unsern Augen malt, ist überaus farbenprächtig und mutet uns bisweilen an wie eine gespenstige Fata Morgana.

Einerseits lesen wir, daß immer wieder und wieder vor einwandfreien Gelehrten und wahrheitsliebenden Zeugen (um nur einen einzigen zu nennen: den berühmten holländischen Arzt van Helmont) Metallverwandlungen und Wirkungen des sogenannten Steines der Weisen vollbracht wurden, anderseits hören wir, daß es zu damaliger Zeit von Betrügern nur so wimmelte, die an Fürstenhöfen usw. mit Gaukeleien und Taschenspielertricks im trüben fischten.

Mit Erfindung der Buchdruckerkunst brach dann eine Flut von Büchern über die leidtragende Menschheit herein, in denen jeder, der die Tinte nicht halten konnte, offen oder versteckt zu wissen gab, er sei ein Adept und im Besitze des Geheimnisses, wie man Blei, Zinn oder Quecksilber in Gold verwandeln könne.

Auch viele Bücher über die theoretische Möglichkeit der Metallverwandlung wurden geschrieben, und um zu zeigen, was für ein gerissener Bühnenschriftsteller der Herr Demiurg ist, so oft es gilt, hie und da Witze einzustreuen, wenn die Darstellung anfängt langweilig zu werden, will ich kurz erwähnen, daß ein gewisser Adolf Helfferich in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein damals berühmtes Buch herausgab, betitelt: „Die neuere Naturwissenschaft, ihre Ergebnisse und Aussichten.“ Triest 1857. Darin tritt dieser Herr Helfferich offen für die Alchimie und ihre Behauptungen ein. Daß viele Jahrzehnte später ein Mann gleichen Namens sich vor die Rampe der Weltgeschichte begibt, als deutscher Reichsbankpräsident maskiert, und es meisterlich versteht, Metall zu verwandeln, nämlich Gold in Papier, ist ein so brillanter Witz, daß nur ein ganz von Gott verlassener Kunstkritiker behaupten könnte, es handle sich hier nicht um Überlegung und Absicht der Weltgeschichtsregie, sondern um Zufall. Für mich liegt es auf der Hand, daß der Dichter dieses Satirspiels den Namen Helfferich im Jahre 1857 in seinem Theaterstück hat über die Bühne gehen lassen, lediglich um durch seine Wiederholung im Jahre 1917 dem Götterpublikum im Olymp einen Spaß zu bereiten.

Auch der Einfall, dem Metallverwandler Helfferich unserer Tage einen zweiten Adepten namens Dr. Schacht auf dem Fuße folgen zu lassen, der umgekehrt aus Papier Gold gemacht hat, wenn auch leider nur in ganz minimalen Spuren, ist eines so trefflichen Dramatikers, wie der Demiurg einer ist, durchaus würdig. Wie sorgfältig und überlegt er beim Verfassen seiner dichterischen Werke verfährt, geht schon aus der Wahl der Namen hervor, die er seinen Figuren gibt. Sie tragen fast alle etwas von einer symbolischen Unterbedeutung an sich: der eine heißt Helfferich — ist also keineswegs ein Helfer, sondern eher das Gegenteil, — und der andere hat den ominösen Namen Schacht, ist also für so manchen, der die Deflation als Doktor-Eisenbartkur am eigenen Geldbeutel erlebte, eine Art höhnischer Anspielung auf ein Begräbnis.

Nehmen wir die mittelalterlichen Bücher über Alchimie vor und lesen sie durch, wozu freilich ein heroischer Entschluß und die Ausdauer eines Langstreckenradfahrers gehört, so finden wir in allen die Warnung an den Leser: sollte es dir gelingen, den Sinn unserer Schrift zu begreifen und dem Geheimnis, wie die Goldtinktur hergestellt wird, auf die Spur zu kommen, so lasse dich lieber zu Tode foltern, als dich bewegen, das Geheimnis preiszugeben, denn es ist Gottes Wille, daß es verborgen bleibe.

Und dieses Wissen um den Willen Gottes — was wohl heißen soll: das Wissen um den Willen des Demiurgen — ist auch der Grund, so sagen die bücherschreibenden Adepten aller Zeiten, weshalb sie die Schilderung des metallverwandelnden Prozesses nur verhüllt und mit dunkeln Worten dem Leser und Lehrling vorsetzen.

Man fühlt sich da versucht anzunehmen, daß die Herren Bücherschreiber nur deshalb so geheimnisvoll geraunt haben, weil sie eben selbst nichts wußten und sich in Wichtigtuerei gut gefielen.

Mag sein, daß dem so gewesen ist, ob es aber auf sämtliche Fälle zutrifft? Ich für meinen Teil möchte es sehr bezweifeln. Dem heiligen Thomas von Aquino z. B. zuzumuten, er habe ein Manuskript geschrieben, um der Laienwelt gegenüber den alchimistischen Adepten zu mimen, geht doch wohl nicht an! Und Thomas von Aquino war nicht nur ein Mann von denkbar lauterstem Charakter, sondern auch einer der größten Gelehrten seiner Zeit. Nicht umsonst hatte man ihm den Beinamen eines Doktor Angelikus gegeben.

Nun werden viele sagen: der heilige Thomas von Aquino hat die hier in Übersetzung vorliegenden Bücher über Alchimie eben gar nicht geschrieben, und es handelt sich da um „längst nachgewiesene Fälschungen“ aus dem Mittelalter.

Ich möchte darauf erwidern: nichts dergleichen ist nachgewiesen. Alles spricht sogar für das Gegenteil. Meines Wissens ist der Einzige, der behauptet hat, die dem Thomas von Aquino zugeschriebenen alchimistischen Werke müßten Fälschungen sein, ein gewisser Naudé gewesen, ein Franzose, der im Jahre 1712 einen ungeheuern Wälzer geschrieben hat, betitelt: „Apologie pour les grands hommes soupςonnés de Magie“. Darin nimmt er gewisse große Männer und unter ihnen vor allem den heiligen Thomas in Schutz gegen den Verdacht — Magie (!) betrieben zu haben. — Als ob die Art der Alchimie, von der der heilige Thomas von Aquino in seinen Manuskripten spricht, auch nur das geringste mit Magie zu tun hätte!

Freilich, es gibt eine Art „Alchimie“, die reine Magie ist, aber diese Art Alchimie befaßt sich nicht damit, Blei in Gold zu verwandeln, sondern — Tiermenschen in — „Goldmenschen“.

Es gibt so manches Buch, dessen Inhalt auf chemisches - alchimistisches Verfahren eingeschätzt wird, und das trotzdem aber auch gar nichts mit dergleichen zu tun hat, sondern lediglich mit einem magischen Prozeß, der in das Gebiet des Yoga, oder nennen wir es: „mystische Freimaurerei“ gehört. Daß nun der heilige Thomas von Aquino praktische „Freimaurerei“ betrieben hätte — gegen diesen Verdacht braucht man ihn wohl nicht erst in Schutz zu nehmen! Ebensowenig aber braucht man ihn gegen einen „Vorwurf“ in Schutz zu nehmen, er habe sich für Metallverwandlung interessiert, oder sich, wie aus dem hier vorliegenden Traktate hervorgeht, seinem Freund, dem Bruder Reinaldus gewidmet, mit ihr — und zwar mit Erfolg — befaßt. Denn die Alchimie, nämlich die chemische (nicht die freimaurerisch-rosenkreuzerisch-magische) war zur Zeit Thomas von Aquinos und auch später niemals von der Kirche verboten. Haben sich doch zahlreiche katholische Fürsten mit ihr praktisch befaßt, wie allgemein bekannt ist.

Der einzige „Beweis“, den der erwähnte Naudé gegen die alchimistischen Schriften Thomas von Aquinos hinsichtlich ihrer Echtheit ins Treffen führt, läßt sich in die Worte zusammendrängen: es ist ausgeschlossen, daß ein Mann von der Gelehrsamkeit und dem frommen Lebenswandel eines Thomas von Aquino, der überdies im Jahre 1333 von der Kirche heilig gesprochen wurde, sich mit Alchimie hätte befassen können! — Nun, wenn das ein „Beweis“ sein soll!

Thomas von Aquino war bekanntlich ein Schüler des Albertus Magnus (Albert de Groots), der, wie jedes Kind weiß, ein überzeugter und eifriger Alchimist war; ist es da wahrscheinlich, daß diese beiden Männer niemals über Alchimie gesprochen hätten? Vielleicht verschiedene Meinungen über dieses Thema gehabt und infolgedessen miteinander darüber disputiert hätten? Oder: sie wären gleicher Meinung über die Alchimie gewesen, läge es da nicht auf der Hand, daß Thomas von Aquino darüber geschrieben hätte?

Vergleicht man den Stil seiner alchimistischen Schriften mit dem seiner scholastischen Abhandlungen, so findet man in beiden die gleiche knappe, klare Ausdrucksweise, und wohl nur jemand, der mit aller Gewalt zweifeln will, wird dann noch behaupten dürfen, es läge keine Fälschung vor. Überdies kommt nirgends in den alchimistischen Schriften des Thomas von Aquino ein Anachronismus, oder etwas dergleichen vor, was Anhaltspunkte ergeben könnte, er sei nicht der wirkliche Autor gewesen.

Möglichkeit