Titel
Impressum
Karina
Manuela Langner
Aufenthalt der
Leidenschaft
Roman
DeBehr
Copyright by: Manuela Langner
Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg
Erstauflage: 2022
Umschlaggrafik Copyright by AdobeStock by matusyd
ISBN: 9783957539595
Mechanisch legte Karina das letzte Teil in den Koffer. Mehr ging auch wirklich nicht rein. Nur mit viel Kraft konnte sie den Deckel nach unten drücken. Sie hob ihn von ihrem Bett und rollte ihn in den Flur zu der Reisetasche, die auch den Anschein hatte, aus allen Nähten platzen zu wollen. Obenauf lag die graue Handtasche. Ihr neuestes Exemplar, extra groß, mit vielen Innentaschen für allerlei Kleinkram, den Frau so braucht. Ideal als Handgepäck für den Flieger.
In Gedanken ging Karina noch mal alles durch, was sie brauchte. Reisepass, Flugticket, steckten beide in ihrer Handtasche im Außenfach. Ihren Wohnungsschlüssel musste sie dann noch bei Frau Walther, ihrer Nachbarin, abgeben. Frau Walther ist so lieb, während ihrer Abwesenheit ihre Pflanzen zu gießen und die Post aus dem Kasten zu holen. Die Gute wird auch ihre Hausordnung in der Zeit übernehmen. Das machten die beiden Frauen immer so. Ist Frau Walther nicht da, dann kümmerte sich Karina um Post und Blumen.
Bis zum Abflug hatte sie noch über 3 Stunden, in 20 Minuten sollte das Taxi kommen, welches sie bestellt hatte. Sie hatte Zeit, konnte noch etwas entspannen. Nervös strich sie sich die halblangen, leicht gewellten Haare aus dem Gesicht. Sie hätte wohl doch noch mal zum Friseur gehen sollen. Aber dazu war keine Zeit mehr gewesen. Die letzten Tage waren sehr anstrengend. Im Geschäft war der Teufel los. Zuletzt hatte sie noch gedacht, sie könne ihren Urlaub gar nicht antreten. Dabei war er schon so lange geplant und Karina hatte ihn auch bitter nötig.
Karina Sommer betreibt ein kleines, exklusives Modegeschäft. Ihre Boutique „Chick“ liegt am Marktplatz. Vor fast zwei Jahren hatte sich die gelernte Maßschneiderin den Traum eines eigenen kleinen Geschäftes erfüllt. Es ging gut. Anfangs hatte sie allein tagsüber im Laden gestanden und abends oder an den Wochenenden Änderungen an Kleidungsstücken erledigt. Mittlerweile leistete sie sich eine Verkäuferin. Melanie, kurz Melli genannt, war ihre eine Freundin geworden in dieser Zeit. Daher hatte sie nun mehr Zeit, auch selber zu entwerfen und ihre eigene Kollektion anzubieten. Und damit bewies sie ein richtig gutes Händchen. Ihre Modelle waren gefragt. Karina arbeitete gern. Sie ging auf, wenn sie nach Kundenwünschen entwerfen konnte. Das war es, was sie sich immer gewünscht hatte. Niemals möchte sie die Arbeit, ihre Boutique und die Kundinnen missen. Dennoch, die Arbeit war sehr nervraubend. In der letzten Zeit hatte sie ab und an eine Studentin als Aushilfe beschäftigt. Claudia Brückner hatte sich gut eingearbeitet. Sie war ein nettes, aufgeschlossenes Mädchen, 22 Jahre, etwas korpulent, aber lustig und vor allem unkompliziert. Mit den Damen, die die Boutique bevorzugten, kam sie ausgezeichnet klar. Ihre frische Art war sehr beliebt. Selbst bei schwierigen Damen. Und davon gab es einige.
Die Gewissheit war es, mit Melli und Claudia 2 tolle Menschen in ihrem Geschäft zu wissen, was Karina veranlasste, jetzt auch mal an sich zu denken.
Auch ihre Beziehung zu Peter Holfert ist in dieser Zeit auf der Strecke geblieben. Peter arbeitete als Filialleiter in der hiesigen Sparkasse. Da auch er durch seine Arbeit sehr angespannt war, sahen sich beide kaum noch. Irgendwann gefiel Peter diese Art Beziehung nicht mehr und er hatte sich getrennt.
Wenn Karina ehrlich war, so richtig gepasst hatte es schon länger nicht mehr bei den beiden. In der ersten Zeit hatte sie das ganz schön mitgenommen. Immerhin war er da, wenn sie ihn brauchte. Sie hatte jemanden zum Reden, Lachen und auch einfach nur zum Kuscheln. Nun war da plötzlich keiner mehr. Und da beide noch in getrennten Wohnungen lebten, eine Bedingung die Karina gleich zu Anfang ihrer Beziehung gestellt hatte, war es ein Abschied, der schnell über die Bühne gegangen war.
Mittlerweile hatte sich Peter auch schon mit einer neuen Liebe getröstet. Eine etwas pummelige, aber durchaus liebenswürdige Frau. Einige Jahre älter als er. Karina kennt sie von gelegentlichen Besuchen in ihrer Boutique, aber sehr häuslich, und das dürfte Peter wohl ausnehmend gut gefallen.
Sie war in ihre Gedanken versunken, als das Telefon klingelte. Erschreckt sprang sie auf und eilte in den Flur, wo ihr Apparat steht.
„Sommer“, meldete sie sich. „Gut, dass ich dich noch erreiche“, klang die Stimme ihrer Mitarbeiterin, Melanie Scholz, die mittlerweile auch ihre beste Freundin war, aufgeregt an ihr Ohr.
„Frau Wittig war gerade hier zur Anprobe ihres neuen Kleides, welches Du ihr für ihre Silberhochzeit entworfen hattest. Es passte auch alles wie angegossen, Frau Wittig war so froh und hat gestrahlt. Und dann, beim Ausziehen, ist sie mit ihrem Ring an der Spitze im Ärmel hängen geblieben. Nun ist ein kleiner Riss im Ärmel, gerade vorn zur Ansicht. Sie braucht doch das Kleid am Wochenende, was soll ich jetzt tun? Sie ist untröstlich, und ich erst. Leider kann ich nicht so kunstfertig mit der Nadel umgehen wie Du. Was machen wir jetzt?“ Es sprudelte nur so aus Melanie heraus.
„Beruhige Dich erst einmal, Melli, ich komme vorbei. Ich habe noch etwas Zeit, ich mache mich gleich auf den Weg und wenn es wirklich nur ein kleiner Riss ist, dann behebe ich den Schaden schnell und Frau Wittig kann sich im neuen Kleid ihrem Mann in die Silberarme werfen.“
Ein erleichtertes Seufzen klang an Karinas Ohr, was ihr ein Schmunzeln hervorrief. „Bis gleich Melli, ich bin unterwegs. Leg bitte alles bereit, was ich brauche. Machs gut!“
Sie hatte immer noch das Schmunzeln auf ihren Lippen, als sie bei Frau Walther klingelte.
Da alles mit Frau Walther besprochen war, ging die Übergabe des Schlüssels sehr schnell. Frau Walther war eine ältere Frau, die eine Tochter hatte, die nur wenig jünger ist als Karina selber. Daher bedarf es keiner großen Erklärungen, auf Frau Walther ist hundert Prozent Verlass.
In schnellen Schritten verließ Karina das Haus, sie wohnte nur eine Straße weiter vom Marktplatz, von ihrer Boutique entfernt. Wenn sie sich sputete, lief sie nicht mal 5 Minuten. Die kleine Reparatur und der Rückweg sollten zeitlich reichen, bis ihr Taxi kam.
Und wirklich, nach nur 4 Minuten stand sie schwer atmend in ihrem Laden. Melanie war erleichtert und fiel ihrer Freundin um den Hals. „Mensch, Karina, Du bist ein Schatz. Es tut mir leid, dass ich dich noch mal stören muss vor deinem Urlaub, aber ich wusste mir nicht anders zu helfen.“
„Schon gut, Melli, zeig mir mal den Unfall. Ich werde sehen, ob ich was machen kann. Wie ich sehe, hast Du mir schon alles bereitgelegt. Es wird schon werden.“ Fein säuberlich hatte die Angestellte einige Nadeln, die Schere, Spitze und kleine Stoffreste parat gelegt. Sie wollte auf keinen Fall, dass Karina zu spät zum Flughafen kam. Aufmunternd lächelte sie die nervöse Freundin an.
Melanie Scholz war erleichtert und griff nach dem Kleid. Im Ärmel war ganz deutlich der kleine Riss zu sehen. Karina wiegte den Kopf, es sah aber doch schlimmer aus, als sie dachte. Direkt im vorderen Bereich. Mit Kunstnähen sollte es wohl gehen, aber das dauerte. In spätestens 15 Minuten sollte sie im Taxi sitzen. Sie musste ja aber nun auch wieder nach Hause eilen, ihr Gepäck von oben holen.
Na ja, nicht lange stöhnen und grübeln. Beherzt setzte sie sich mit dem Kleid an ihren Arbeitstisch im hellen Hinterzimmer und begann mit ihrer Arbeit. Melanie ließ sie arbeiten. Mit keinem Wort unterbrach sie die Arbeit ihrer Freundin. Sie wusste, dass es viel verlangt war, ihre Freundin und Chefin nochmals in die Boutique zu bestellen. Aber leider konnte sie nicht halb so gut mit Nadel und Faden umgehen wie Karina. Einiges hatte sie sich von ihr schon abgesehen, kann selber Säume kürzen oder kleine Nähte ändern, aber so was. Nein, das konnte sie beim besten Willen nicht.
Ruhig und besonnen arbeitete Karina an dem Ärmel. Ganz vertieft war sie. In ihrer Arbeit ging sie auf, das machte ihr Spaß. Sie war auch nicht wirklich böse, dass Melanie sie um Hilfe gerufen hatte. Wenn nicht grad ihr Flieger … Oh weh, erschrocken blickte sie zur Uhr. Das Taxi stand sicher bereits vor ihrer Haustür, sie saß doch tatsächlich fast 20 Minuten hier. Hoffentlich wartete es. Zu dumm, dass sie nicht daran gedacht hatte, bei der Taxizentrale anzurufen und das Taxi umzubestellen.
Die letzten Stiche, geschafft. Eilig legte Karina alles zur Seite und ging in den Verkaufsraum. Hier war ihre Freundin gerade mit einer schwierigen Kundin beschäftigt. Da wollte sie doch nicht stören, womöglich zog die Frau Karina auch noch in ein Gespräch. Sie winkte Melanie nur kurz zu, schickte ihr eine Kusshand entgegen und schlüpfte, ehe man sie zurückhalten konnte, auf die Straße. Melanie winkte dankbar erleichtert zurück und ihre Lippen formen nur ‚Danke!‘, dann sah sie von Karina schon nichts mehr.
In fliegenden Schritten eilte Karina nach Hause.
Als sie um die Ecke bog, sah sie bereits, das Taxi war weg. Natürlich! Der Fahrer wusste ja nicht Bescheid, dass er hätte warten sollen. Er hatte vermutlich geklingelt und als keiner kam, ist er wieder abgefahren.
Zurück in ihrer Wohnung, abgehetzt und leicht schniefend, rief sie sofort in der Taxizentrale an, erklärte der Dame ihren Notstand und bat die nette Frau am anderen Ende, ihr sogleich ein neues Taxi zu schicken. Für den Ausfall komme sie natürlich auf.
Die Frau versprach, ihr das nächste verfügbare Taxi zu schicken, was allerdings einige Minuten dauern konnte. Wie ein Tiger im Käfig lief Karin nun in ihrem Wohnzimmer nervös auf und ab. Immer vom Fenster bis zum Flur und wieder zurück. Jedes Mal, wenn sie beim Fenster ankam, blickte sie nach unten. Nichts zu sehen. Ihre Aufregung wuchs. Nervös strich sie eins ums andere Mal eine nichtvorhandene Haarsträhne aus dem Gesicht. Was, wenn sie zu spät am Flughafen ankäme.
Da, sie hörte ein Auto. Es hielt. Fahrig drehte sie sich um und sprang zum Fenster.
Enttäuschung machte sich breit, es war kein Taxi, sondern nur der kleine, dicke Nachbar aus dem Nebenhaus.
Weiter ging ihre Wanderung vom Wohnzimmerfenster zum Flur und wieder zurück.
Nun wartete sie schon fast 15 Minuten.
Endlich, ein Klingeln. Durch die Freisprechanlage der Wohnungsklingel rief sie dem Taxifahrer zu, dass sie unterwegs sei.
Entschlossen schnappte sie ihre Tasche und hängte sie sich über die Schulter. Den Koffer in der einen, die Reisetasche in der anderen Hand, verließ sie das Haus.
Dienstbeflissen kam der Taxifahrer, ein junger, hoch aufgeschossener Mann, auf sie zu und begrüßte sie freundlich. „Na, Sie wollen wohl eine Weltreise machen mit dem vielen Gepäck? Geben Sie mir mal ihren Koffer und die Tasche, ich verstaue ihr Zeug. Steigen Sie schon mal ein. Es geht gleich los.“ Die ruhige Art des Mannes verfehlte ihre Wirkung nicht. Karina atmete tief durch. Ein Blick auf ihre Uhr sagte ihr, dass es zwar knapp wird, aber durchaus noch gut zu schaffen war.
Erleichtert sank sie in die Polster des Wagens. Sie schloss die Augen. Was jetzt noch passierte oder auch nicht, es lag nicht mehr in ihrer Macht.
Die Fahrt verlief angenehm. Der junge Mann, ein Student, der sich durch Taxifahrten etwas Geld zum Studium dazuverdiente, wusste lustig zu erzählen. Er merkte die Anspannung seines Fahrgastes. Genauso merkte er auch bald, dass die junge Frau ruhiger wurde und langsam entspannte. Sie lachte sogar einige Male herzlich über die frische Art seiner Erzählung.
Schon fast gelöst kam sie am Flughafen an. Sie bedankte sich freundlich und gab dem jungen Mann ein reichliches Trinkgeld, was er mit breitem Grinsen und einer angedeuteten Verbeugung quittierte. Eilig schnappte sich Karina ihr Gepäck und strebte dem Terminal zu. Es wurde Zeit. Obwohl der Fahrer ziemlich zügig gefahren war, wurden sie an einigen Ampeln länger aufgehalten.
Noch als sie sich suchend nach der Gepäckabfertigung umsah, hörte sie durch die Lautsprecheranlage, dass ihr Flug aufgerufen wurde. Zielstrebig steuerte sie auf die Abfertigungsanlage zu und legte ihr Flugticket vor.
Die Dame am Check-in musterte das Ticket und dann Karina. „Sie kommen reichlich spät. Ihr Flug wurde soeben aufgerufen. Bitte begeben Sie sich schnellstens zum Ausgang E. Das ist hier den Gang runter, die nächste links und dann sehen Sie den Ausgang E schon. Schönen Flug wünsche ich Ihnen.“ Ein kurzes: „Danke“ und schon war Karina verschwunden.
Wieder hörte sie die Ansage ihres Fluges und lief schneller. Schließlich wollte sie nun ihren Flug nicht verpassen.
Endlich war alles geschafft und Karina saß erschöpft, aber glücklich in der Maschine.
Die Reise konnte beginnen. Zunächst ging es bis Paris, hier musste sie in eine andere Maschine umsteigen und hatte knappe 2 Stunden Aufenthalt. Leider gab es keinen Flug, der sie direkt bis Costa Rica brachte. Aber das sollte nun ihre Vorfreude auf den Urlaub, der zwei Wochen lang vor ihr lag, nicht trüben. Glücklich schloss sie die Augen, um zu träumen.
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„Paul, ich bleibe da. Ich kann dich unmöglich jetzt mit diesen Problemen alleine hierlassen. Der Damm muss fertig werden, es hängt so vieles davon ab. Denk nur was passiert, wenn die nächste Flutkatastrophe kommt. Ich kann auch vier Wochen später nach Hause fahren.“