APHRODITE
HIPPOLYTOS, Sohn des Theseus
CHOR der Jagdgefährten des Hippolytos (Nebenchor)
ALTER DIENER des Hippolytos
CHOR trozenischer Frauen (Hauptchor)
AMME der Phaidra
PHAIDRA, zweite Gattin des Theseus, Stiefmutter des Hippolytos
THESEUS, König von Athen und Trozen
EIN BOTE, Reitknecht des Hippolytos
ARTEMIS
Dienerinnen der Phaidra
Gefolge des Theseus
Vor dem Königspalast des Theseus in Trozen auf der nördlichen Peloponnes, wo Theseus, Phaidra und Hippolytos leben. Ein Standbild der Artemis und eines der Aphrodite mit je einem Altar stehen beiderseits der Palasttür.
Die Tragödie wurde im Frühjahr 428 v. Chr. aufgeführt. Euripides errang im Tragödienagon den ersten Preis.
APHRODITE
Ja, mächtig bei den Menschen und nicht unberühmt
bin ich, die Göttin, die man Kypris nennt, bin’s auch im Himmel;
von allen, welche zwischen Schwarzem Meer und Atlas’ Grenzgebirge
ihr Leben fristen und das Licht der Sonne schauen,
5acht hoch ich die, die ehrfurchtsvoll sich beugen meiner Macht,
bring aber die zu Fall, die stolz mir trotzen.
Denn dieser Wesenszug ist auch den Göttern eigen:
Sie freuen sich, geehrt zu werden von den Menschen.
Die Wahrheit dieser Worte will ich bald beweisen.
10Denn Theseus’ Sohn, der Amazone Kind,
Hippolytos, des heilig-reinen Pittheus Zögling,
erklärt als einziger der Bürger hier im Land Trozen,
ich sei vom Wesen her die allerkümmerlichste Gottheit,
verwirft das Ehebett, will nichts von Heirat wissen,
15des Phoibos Schwester Artemis indes, das Kind des Zeus,
verehrt er, sieht in ihr die allerhöchste Gottheit.
Im grünen Wald, allzeit der Jungfrau beigesellt,
räumt frei mit seinen schnellen Hunden er das Land vom Wildgetier,
gewann sich ein Zusammensein, das Sterblichen nicht ziemt.
20Nun, das verarge ich den beiden nicht; was sollte ich?
Worin er aber gegen mich gefehlt, dafür will ich Hippolytos
bestrafen noch an diesem Tag; das meiste habe ich
schon lange eingefädelt, muss mich nicht mehr kräftig mühn.
Denn als er einst aus Pittheus’ Haus gekommen war
25zu Schau und heiligem Vollzug erhabener Mysterien
in Pandions Land, erblickte Phaidra ihn,
die edle Gattin seines Vaters, und im Herzen wurde sie gepackt
von ungeheurer Liebeslust, wie es mein Plan gefügt.
Und ehe sie hierher kam in das Land Trozen, ließ sie
30ganz dicht beim Fels der Pallas einen Kypristempel bauen,
von wo man Aussicht hat auf dieses Land,
entflammt in streng verschwiegner Leidenschaft. Zu Ehren von Hippolytos,
so wird man künftig sagen, sei der Göttin Kult gestiftet.
Seit Theseus dann das Kekropsland verlassen hat –
35der Blutschuld so entgehend an den Pallassöhnen – und
mit seiner Gattin her in dieses Land gesegelt ist,
nachdem er der Verbannung für ein Jahr ins Ausland zugestimmt,
härmt jetzt zu Tode sich die Arme, seufzend und
vom Stachel ihrer Liebe tief verstört –
40und sagt dabei kein Wort; um ihre Krankheit weiß nicht einer von den Hausgenossen.
Doch keinesfalls darf diese Leidenschaft so enden;
ich will die Sache Theseus offenbaren, und sie tritt ans Licht.
Und ihn, der feindlich mir gesinnt, den Jüngling, wird sein Vater
mit Flüchen töten, die Poseidon, Herr
45der Meere, Theseus als Geschenk verliehen hat.
Im Ganzen dreimal darf den Gott er bitten, und nie ist’s umsonst.
Auch Phaidra wird, zwar wahrend ihren guten Ruf,
zugrunde gehn; denn deren Unglück gilt mir nicht für wichtiger,
als dass mir einer, der mein Feind ist, Buße leistet,
50so hoch, dass ich damit zufrieden bin.
Doch seh ich dort den Sohn des Theseus kommen,
zurückgekehrt von mühevoller Jagd, Hippolytos,
und so will ich von diesem Ort hier mich entfernen.
Ein großer Schwarm von Dienern folgt ihm auf dem Fuß
55und singt mit ihm zusammen, ehrend so
die Göttin Artemis mit lautem Lied.
Er ahnt ja nicht, dass offen steht für ihn das Tor
des Hades und dass dieses Tages Licht das letzte sein wird, das er sieht. ab
HIPPOLYTOS
tritt auf, begleitet von den Jagdgefährten; sie versammeln sich um den vor der Artemisstatue errichteten Altar, um ihre Göttin mit einem schlichten Hymnus zu preisen
Folgt mir, folgt und besingt
die himmlische Tochter des Zeus,
60Artemis, die uns umsorgt!
HIPPOLYTOS UND DIENER
Herrin, ehrwürdigste Herrin,
Zeus’ Sprössling,
gegrüßt, gegrüßt sei mir, Tochter
65des Zeus und der Leto, Artemis,
weitaus schönste der Jungfrauen,
die du am großen Himmel
bewohnst den Hof deines edlen Vaters,
Zeus’ goldreiches Haus.
70Gegrüßt sei du mir, aller-, aller-
schönste von den Jungfrauen im Olymp,
du Artemis!
HIPPOLYTOS
vor dem Standbild der Artemis
Dir, Herrin, bring ich diesen Kranz von unberührter Wiese,
den ich geflochten und schmuck angeordnet hab;
75dort wagt kein Hirt sein Vieh zu weiden, dorthin drang
noch nie die Sichel vor, nein, unberührten Wiesengrund
durchschwärmt die Biene, wenn der Lenz im Land,
und Aidos pflegt wie einen Garten ihn mit frischem Quell.
Nur der, der nicht als etwas Angelerntes, sondern von Natur
80ein Leben unbedingter Keuschheit sich für immer hat erlost,
darf pflücken hier, den Schlechten ist es nicht erlaubt.
Nimm, liebe Herrin, für dein goldnes Haar
den Kopfschmuck an aus meiner frommen Hand!
Denn mir allein von allen Menschen kommt dies Vorrecht zu:
85Mit dir bin ich zusammen, wechsle mit dir Worte, darf
vernehmen deine Stimme, aber nicht dein Auge sehn.
Des Lebens Zielpunkt möge ich erreichen, wie ich es begann!
EIN ALTER DIENER ist, durch den lärmenden Schwarm veranlasst, aus dem Palast getreten
Gebieter – denn nur Götter soll man Herren nennen –,
nimmst einen guten Rat du von mir an?
HIPPOLYTOS
90Gewiss! Denn andernfalls erschiene ich als nicht gescheit.
ALTER DIENER
Nun, kennst du das Gesetz, das bei den Menschen gilt?
HIPPOLYTOS
Nein, doch nach welchem fragst du mich denn eigentlich?
ALTER DIENER
Dass man das stolze Wesen hasst, das nicht zu allen freundlich ist.
HIPPOLYTOS
Mit Recht! Welch Sterblicher fällt nicht zur Last, wenn stolz er ist?
ALTER DIENER
95Umgänglichkeit hingegen macht beliebt?
HIPPOLYTOS
Ja sehr, und bringt Gewinn mit kleiner Müh.
ALTER DIENER
Auch bei den Göttern, glaubst du, ist es ebenso?
HIPPOLYTOS
Ja, wenn wir Menschen uns nach Götterbräuchen richten.
ALTER DIENER
Warum begrüßt du dann nicht eine stolz-erhabne Göttin?
HIPPOLYTOS
100Und welche? Hüte dich, dass dir dein Mund nicht einen Fehltritt tut!
ALTER DIENER
deutet auf Aphrodites Standbild
Sie, die dort steht bei deinem Haustor: Aphrodite!
HIPPOLYTOS
Von weitem nur, da rein ich bin, begrüß ich sie.
ALTER DIENER
Doch hochgeehrt ist sie und angesehen bei den Sterblichen.
HIPPOLYTOS
Die einen ziehen diesen, andre jenen vor, bei Göttern wie bei Menschen.
ALTER DIENER
105Ich wünsch dir Glück – mit so viel Einsicht, wie du brauchst!
HIPPOLYTOS
Kein Gott gefällt mir, dem des Nachts gehuldigt wird.
ALTER DIENER
Mein Sohn, den Göttern Ehren zu erweisen ist doch Pflicht!
HIPPOLYTOS
bricht das Gespräch ab und wendet sich an seine Jagdgefährten
Los, marsch, Begleiter, geht hinein ins Haus und kümmert euch
ums Mahl! Erquickend ist ja nach der Jagd
110ein voller Tisch! Auch sollt ihr mir die Pferde striegeln,
damit ich sie, wenn ich mich sattgegessen, wieder an
den Wagen schirre und gehörig sich bewegen lasse.
die Jagdgehilfen ab ins Haus
zum Diener Doch deiner Kypris sag ich vielmals Lebewohl!
Hippolytos folgt den Jagdbegleitern
ALTER DIENER
Ich aber will – die Jungen nämlich darf man nicht zum Vorbild
115nehmen, die so gesinnt –, ich will, wie es für Sklaven
zu sprechen sich geziemt, zu deinem Standbild beten,
du Herrin Kypris. Zeig doch Nachsicht, wenn
infolge seiner Jugend einer trägt ein Herz voll Leidenschaft
und Unsinn schwatzt. Tu so, als ob du das nicht hörst!
120Denn Götter sollen klüger als die Menschen sein! ab
CHOR
Str. 1Des Ringstroms Wasser, erzählt man, lässt ein Felsen hier tropfen,
entsendet aus steilen Wänden den sprudelnden Quell,
der in Krügen geschöpft wird.
125Dort war eine Freundin von mir,
die purpurne Tücher
im Quellwasser
wusch und dann sie über den Rücken hin
breitete eines warmen, sonnendurchglühten Felsblocks. Von dorther
130kam zu mir die erste Kunde über die Herrin:
G.-Str. 1Aufgerieben vom Krankenlager, halte sie drinnen
sich im Haus auf, und dünner Flor
beschatte ihr blondes Haupt.
135Der dritte Tag schon, so hör ich,
sei es heute, an dem ihr Mund
keine Speise anrührt
und rein sie sich halte von Demeters Korn,
vor heimlichem Leid entschlossen, anzusteuern
140des Todes unglückseliges Fahrziel.
Str. 2Bist du von einer Gottheit besessen, junge Frau,
sei es von Pan, sei es von Hekate
oder den ehrwürdigen Korybanten,
dass du verstört bist, oder der Mutter der Berge?
145Oder wirst du zermürbt, weil du dich verfehlt hast
an Diktynna, der vielen Wildtiere Herrin,
da du versäumtest, Opferkuchen zu opfern?
Denn sie durchstreift auch Trozens Lagune
und die Sandbank, das feste Land des Meeres,
150in den nassen Wirbeln der Salzflut.
G.-Str. 2Oder deines Gatten, des Führers
der Erechthiden, des edelgebornen,
nimmt zärtlich jemand im Hause sich an
in heimlicher Liebschaft, verborgen vor dir, seiner Gattin?
155Oder ein Seemann fuhr,
aufgebrochen von Kreta,
in den für Seeleute gastlichsten Hafen,
eine Nachricht bringend der Königin,
und aus Gram über ihr Leid
160ist ihre Seele gefesselt ans Bett?
EpodeEs pflegt ja dem schwierig gearteten Wesen
der Frauen schlimme, unheilvolle
Hilflosigkeit innezuwohnen
gegenüber Wehen und aberwitzigen Launen.
165Durch meinen eigenen Mutterleib fuhr einst
dieser Sturm; zu ihr aber, die hilft beim Gebären,
der himmlischen Herrin des Bogens, schrie ich,
zu Artemis, und immer vielbeneidet kommt sie zu mir
mit Hilfe der Götter.
Das Palasttor öffnet sich; Phaidra wird von Dienerinnen auf einem Ruhebett auf die offene Bühne getragen und niedergesetzt; die Amme begleitet sie
CHORFÜHRERIN
170Doch hier vor dem Tor ist die greise Amme
und bringt sie heraus aus dem Haus!
Finsterer noch umwölken die Brauen sich.
Was da eigentlich vorgeht, möchte ich wissen,
warum so zerrüttet
175der Königin Leib und seine Farbe so anders.