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Butler Parker
– Staffel 17 –

E-Book 161-170

Günter Dönges

Impressum:

Epub-Version © 2022 Kelter Media GmbH & Co. KG, Averhoffstraße 14, 22085 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © Kelter Media GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74099-335-1

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Parker und die Mannequins

Roman von Dönges, Günter

»Na, Parker, wie gefallen Ihnen diese Damen?« erkundigte sich Mike Rander bei seinem Butler Josuah Parker.

Parker sah auf die Fotografien, die Mike Rander wie Kartenblätter in der Hand hielt. Das sonst unbewegte Gesicht des Butlers wurde fast hochmütig, zumindest aber abweisend. Er konnte gerade noch im letzten Moment ein Nasenrümpfen unterdrücken, dann aber sah Josuah Parker bewußt an den Bildern vorbei.

»Na, wie ist Ihre Meinung?« fragte Mike Rander noch einmal. Er hielt die Bilder so von sich ab, als sei er weitsichtig.

»Sir«, sagte Parker würdevoll, »Sie sollten inzwischen wissen, daß ich mich grundsätzlich niemals in die privaten Dinge meiner Herrschaft einmische.«

»Sie glauben also ...?« Milke Rander lachte laut. »Nein, Parker, Sie irren sich Sehen Sie sich die Bilder ruhig einmal genau an. Sie werden sich nämlich mit sechs dieser Damen befassen müssen.«

»Sir … sagte Parker und ein leichtes Keuchen war in seiner Stimme zu vernehmen. »Sie wollen mir doch nicht in meinem Alter zumuten ...”

»Wenn Sie sich für diesen Fall natürlich zu alt und für zu gebrechlich fühlen, entbinde ich Sie selbstverständlich von ...«

»Sir, es handelt sich um einen Fall?« fragte der Butler und verlor für Bruchteile von Sekunden seine sonstige Zurückhaltung.

»Es handelt sich um einen Fall«, erwiderte Mike Rander und nickte.

»Um einen Kriminalfall, Sir?« .

»So wahr ich hier stehe«, entgegnete Mike Rander. »Verzichten Sie unter diesen Umständen darauf, sich die sechs Damen anzusehen?«

Mike Rander war aufgestanden und warf die Fotos gespielt achtlos auf das Tischtuch. Er ging an seinem Butler vorbei und betrat den kleinen Dachgarten seines Hauses, das hart am Michigan-See, außerhalb von Chikago lag.

Mike Rander war Ende der Dreißig, mittelgroß und schlank. Er gab sich recht salopp, ohne dabei aber schlaksig zu wirken. Sein braunes Haar paßte ausgezeichnet zu den braunen, sympathischen Augen. Sein Gesicht war, ohne scharf geschnitten zu sein, kein Durchschnitt. Dem Kinn war Energie anzumerken.

Mike Rander arbeitete in der Stadt als Strafverteidiger. Auf Grund seines Namens war er durchaus in der Lage, sich seine Fälle auszusuchen. Er verteidigte grundsätzlich nur Menschen, die er nach bestem Wissen und Gewissen für unschuldig hielt.

Im Laufe der Zeit – es hatte sich eigentlich organisch ergeben – beschäftigte sich Mike Rander eigentlich immer mehr mit reiner Kriminalistik. Er besaß eine Detektivlizenz und vertrat den Standpunkt, es sei besser, Verbrechen schon im Ansatz zu verhüten. Er hielt das für wirkungsvoller als das beste Plädoyer. Inzwischen hatte sich sein Ruf auch auf diesem Gebiet gefestigt. Er konnte sich vor Aufträgen kaum noch retten.

Sein engster Mitarbeiter und seine wertvollste Hilfe war sein Butler.

Anläßlich eines Urlaubs in England hatte Mike Rander Josuah Parker engagiert. Das lag schon einige Jahre zurück. Josuah Parker, ein Meister seines Fachs, hatte sich in erstaunlich kurzer Zeit zu einem As der Kriminalistik entwickelt.

Es gab für Parker keine Situation, die er nicht gemeistert hätte. Seine Fähigkeiten und Kenntnisse grenzten manchmal an schwarze Magie. Doch niemals vergaß Josuah Parker, als was er engagiert worden war. Er war und blieb der hochherrschaftliche Butler und fühlte sich außerordentlich wohl in dieser freiwillig übernommenen Rolle.

Mike Rander hatte sich auf dem Dachgarten inzwischen längst umgedreht und beobachtete seinen Butler.

Josuah Parker trug, es konnte gar nicht anders sein, gestreifte schwarze Hose, eine gestreifte Weste und ein korrekt weißes Hemd mit einer schwarzen Krawatte. Er war etwas über mittelgroß, nicht schlank, aber auch nicht dick. Sein Alter war nur sehr schwer auszumachen.

Parker stand jetzt vor dem Tisch und begutachtete die Fotos der sechs Damen.

Mike Rander entging nichts.

Josuah Parker ging sehr methodisch vor. Er hob ein Bild nach dem anderen hoch, betrachtete es eingehend und zog hin und wieder eines der Fotos etwas näher an die Augen.

»Na, Parker, sagen Ihnen die Fotos etwas?« fragte Mike Rander, der zurück in das Zimmer gekommen war.

»Ich kann nicht umhin, zuzugeben, daß sie sechs Damen einen durchaus erfreulichen Anblick bieten«, erwiderte Parker und zog sich die Weste glatt. »Mit anderen Worten ausgedrückt, Sir, es gibt Geschöpfe auf Gottes Erde, die wesentlich unerfreulicher auf mich wirken.«

»Das war wieder einmal erstaunlich klar ausgedrückt«, sagte Mike Rander lächelnd. »Bringen Sie uns einen Schluck, Parker, wir wollen Kriegsrat halten ... Keine Widerrede, selbstverständlich trinken Sie in meiner Gegenwart! Oder legen Sie Wert darauf, daß ich Sie zu Hause lasse?«

Parker ging schneller als gewöhnlich.

Er wollte auf keinen Fall zu Hause bleiben. Er witterte einen Fall und war daher ausnahmsweise bereit, in der Gegenwart seines Herrn einen Drink zu sich zu nehmen.

»Diese Affäre hat keine große Vorgeschichte«, sagte Rander, als Parker die Drinks serviert hatte. »Setzen Sie sich,

Sonst werde ich nervös, Parker. Na also, das geht doch ... Wie gesagt, die Vorgeschichte ist bescheiden. Diese sechs Damen auf den Fotos arbeiten als Mannequins.«

»Ein Beruf, der mir durchaus nicht unbekannt ist«, sagte Josuah Parker und nickte.

»Ein Beruf, den Sie bald in allen Einzelheiten studieren können«, wich Mike Rander aus. »Diese sechs Mannequins werden nämlich von einem Unbekannten bedroht!«

»Ein enttäuschter Freier vielleicht, Sir ...«

»Keine Ahnung.« Mike Rander unterbrach seinen Butler. »Die sechs Mannequins werden bedroht. Es existieren zwei Briefe, die dem Atelier zugestellt wurden, für das die sechs Damen arbeiten.«

»Befinden sich die beiden Briefe möglicherweise inzwischen in Ihrem Besitz?« fragte Butler Parker.

»Sie befinden sich ...«, antwortete Mike Rander lakonisch. »Sie können sie sich gleich genauer ansehen, Parker. Man droht diesen sechs Mädchen den Tod an, falls sie auf eine bestimmte Tournee gehen.«

»Die das Atelier durchführen will?«

»Blitzartig erraten«, erwiderte Rander lächelnd. »Das Atelier plant eine Tournee durch den Westen. Man will, wenn man sich so ausdrücken kann, auf die Dörfer gehen.«

»Den genauen Reiseplan kennen Sie inzwischen wohl auch, Sir?«

»Sie befinden sich in einer ausgezeichneten Stimmung«, lobte Rander seinen Butler. »Den Plan werde ich Ihnen gleich mitteilen. Unsere Aufgabe wird es sein, den Verfasser der beiden Drohbriefe ausfindig zu machen«.

»Warum besteht dieses Atelier darauf, die Tournee unter diesen Vorzeichen durchzuführen« fragte Parker.

»Zuviel Investitionen, man kann nicht mehr zurück. Die Termine sind abgeschlossen, man hat Säle gemietet, Bands verpflichtet, es drohen Konventionalstrafen und so weiter. Ein Zurück gibt es also nicht mehr. Die Sache sieht nämlich so aus: Das Atelier und seine sechs Mannequins arbeiten im Rahmen einer Show. Diese Show wiederum ist von einer Versandfirma aufgezogen worden, die für ihre Erzeugnisse und Waren werben will. Muß ich deutlicher werden?«

»Ich habe bereits verstanden«, sagte Parker würdevoll. »Die Versandfirma hat keine derartigen Briefe erhalten?«

»Nicht eine einzige Zeile, Parker, und das gibt uns schon einen gewissen Vorsprung.«

»Das finde ich auch, Sir, wenn ich mir diese Bemerkung vielleicht erlauben darf. Worin, wenn ich fragen darf, wird meine Aufgabe bestehen, Sir?«

»Parker, die Aufgabe, die ich Ihnen übertragen werde, ist äußerst heikel und verlangt einen Mann, der mehr als nur Grundsätze hat.«

»Sir«, sagte Josuah Parker, ohne mit einer Wimper zu zucken. »Mein einziger wesentlicher Grundsatz ist, heikle Dinge zu übernehmen. Was soll ich also tun?«

»Das ist schnell erklärt«, antwortete Mike Rander. »Sie haben nichts anderes zu tun, als Tag und Nacht diese sechs Damen zu überwachen. Sie dürfen sie nicht aus den Augen lassen. Sie müssen, überspitzt ausgedrückt, ein sechsfacher Schatten sein, der die Mädchen verfolgt.«

!Ich soll ...? Sir ...!«

»Ich sehe, diese Aufgabe übersteigt Ihre Kräfte«, sagte Mike Rander trocken, als sich Josuah Parker entsetzt und sehr steil aufgerichtet ‚hatte. »Reden wir also nicht mehr darüber.«

»Sir, Sie müssen mich mißverstanden haben«, sagte Butler Parker und räusperte sich. »Ich wollte gerade darauf aufmerksam machen, daß gerade ich mich für solch eine Aufgabe besonders eigne.«

Wie begeistert Josuah Parker war, zeigte sich an seinem Gesicht. Der Biß in eine grüne Zitrone hätte sein Gesicht nicht schlimmer verziehen können.

Korrekt gekleidet wie immer, betrat Josuah Parker wenige Stunden später die Empfangsräume des Ateliers.

Die junge Dame hinter der Anmeldetheke, die gleichzeitig den Vermittlungsschrank bediente, glaubte ihren Augen nicht zu trauen, als sie den Butler sah.

Josuah Parker hatte die gestreifte Weste für den Hausgebrauch gegen einen Rock ausgetauscht, der ein Mittelding zwischen altväterlichem Bratenrock und gestutztem Frack darstellte. Auf seinem Kopf saß die unvermeidliche Melone, an den Händen waren die Zwirnhandschuhe. Es braucht wohl nicht besonders betont zu werden, daß alles an Parker, bis auf sein Gesicht, schwarz war.

»Bitte schön?« fragte das gelackte Mädchen, das den ersten Schreck mit Mühe überstanden hatte.

Butler Parker verzog sein sonst so würdevolles Gesicht zu einem freundlichen Lächeln. Gleichzeitig lüftete er seine Melone mit einer eleganten Geste »Ich bin gekommen, um mit Mister Wilkinson Rücksprache zu nehmen«, sagte Butler Parker. »Ich werde erwartet. Mein Name ist Josuah Parker.«

Das Mädchen beeilte sich, den Butler anzumelden.

»Mister Wilkinson erwartet Sie in seinem Büro«, sagte sie, nachdem sie den Hörer wieder aufgelegt hatte. »Dort durch die Tür.«

Parker bedankte sich durch ein würdevolles Kopfnicken. Er schritt gemessen auf die bezeichnete Tür zu und trat ein. Im Vorzimmer wurde er bereits von einem Boy erwartet, der vor Staunen seinen Unterkiefer nicht mehr zu schließen vermochte. Er führte Josuah Parker vor eine wattierte Tür, klingelte und trat zur Seite, als ein elektrischer Türöffner die Tür auf sperrte.

»Ah, Mister Par …«

Ein stämmiger Mann mit breiten Schultern und einem runden, rosigen Babygesicht, hatte sich umgewendet und kam grüßend auf Parker zu. Als er des Butlers Erscheinung wahrgenommen hatte, war er so verblüfft, daß er nicht weiterreden konnte.

»Mein Name ist Parker«, stellte sich der Butler vor. »Sie baten Mister Rander, meinen Chef, um Hilfe ... Er ist leider verhindert zu kommen. Er schickt mich, um die ersten Ermittlungen zu erheben.«

»Wie? Ja ...! Natürlich! Sagen Sie, Mister Parker – aber so nehmen Sie doch Platz, Sie müssen ziemlich müde sein. Verstehen Sie denn etwas von diesen Dingen? Ich will Ihnen auf keinen Fall zu nahe treten, mißverstehen Sie mich nicht, aber ...«

Ja, und dann schwieg Wilkinson, der nicht unhöflich sein wollte.

»Wenn Sie gestatten, Sir, möchte ich einige Fragen an Sie stellen«, sagte Butler Parker, zur Sache kommend »Ich kenne den Inhalt der beiden Drohschreiben. Ich kenne Ihre sechs Mannequins, die mit auf Tournee gehen werden. Ich kenne aber nicht die näheren Umstände. Wurden Sie früher schon einmal in ähnlicher Weise belästigt?« »Nein, deswegen ja auch meine Sorgen«, antwortete Wilkinson. »Ich kann mir die beiden Drohbriefe überhaupt nicht erklären.« »

»Können Sie einen Grund dafür angeben, warum man Sie und Ihre Mannequins daran hindern will, die Show zu begleiten?«

»Ich zerbreche mir ununterbrochen den Kopf darüber«, erklärte Wilkinson. »Selbstverständlich scheiden die üblichen Möglichkeiten aus. Ich habe keine Feinde, keine Konkurrenz, die mich auf diese Art und Weise an der Arbeit hindern will. Kurz, Mister Parker, ich stehe vor einem Rätsel.«

»Ich liebe Rätsel dieser Art«, sagte Josuah Parker in einem schwachen Anflug von Vertraulichkeit. »Um aber auf den Fall zurückzukommen: wissen Ihre Mannequins von den Drohbriefen?«

»Aber nein, ich habe ihnen kein Wort davon erzählt. Womöglich sprängen mir einige Girls ab, dann sitze ich nämlich auf dem trockenen. Sehen Sie, die vorzuführenden Kleider sind den Girls auf die Haut gearbeitet worden. Sie können von keinem anderen Mädchen getragen werden.«

»Mister Wilkinson, ich fürchte, – Sie werden Ihre sechs Mannequins aber informieren müssen«, sagte Parker ernst. »Wenn ich mich recht erinnere, werden ja gerade die Mannequins bedroht, falls sie auf Tournee gehen.«

»Das stimmt natürlich. Aber verstehen Sie doch, Mister Parker, ich kann doch unmöglich ...«

».. dieses Risiko eingehen, nicht wahr? Ich verstehe Sie vollkommen«, sagte Parker, nachdem er seinen Gesprächspartner erfolgreich unterbrochen hatte. »Im Falle eines ernstlichen Zwischenfalles hätten Sie sich jedoch glatt mitschuldig gemacht.«

»Das heißt also ...?«

»Wenn Sie erlauben, werde ich mich mit den Damen in Verbindung setzen und ihnen die Lage schildern«, sagte Parker,

»Das kommt überhaupt nicht in Betracht, davon sagte mir Mister Rander kein Wort.«

»Er läßt durch mich bestellen, daß die sechs Damen informiert werden müssen«, beharrte Parker auf seinem Standpunkt. »Ich werde mich so neutral wie möglich verhalten.«

Wilkinson antwortete nicht sofort.

Er ging um seinen mächtigen Schreibtisch herum, blätterte nervös und völlig sinnlos in einigen Akten und zündete sich schließlich eine Zigarette an.

»Also gut«, sagte er nach einer Weile und sah auf, »informieren Sie meine Girls. Aber machen Sie sich nicht in Panik, Mister Parker. Betonen Sie, daß sie alle sehr gut bewacht werden.«

»Sie werden mit mir zufrieden sein«, sagte Parker. Er schüttelte den Kopf, als Wilkinson ihm eine Zigarette anbieten wollte. »Wenn Sie erlauben, würde ich gern eine meiner Zigarren rauchen.«

»Aber selbstverständlich, Mister Parker.«

Der Butler bediente sich.

Er holte mit abgezirkelten Bewegungen sein Etui aus der Tasche, beschnitt den schwarzen Torpedo und setzte ihn in Brand. Er nickte zufrieden und paffte die ersten Rauchwolken in das recht große Zimmer hinein.

Nun war es so, daß Wilkinson von den Schwaden dieser Zigarre umwoben wurde.

Der Erfolg war frappierend.

Wilkinson begnügte sich zuerst mit einem diskreten Hüsteln, dann aber wurden seine Stimmbänder derart gereizt, daß er recht laut hustete und nach Luft rang. Er wischte sich eine Träne aus den Augenwinkeln und sah mißtrauisch und ratlos auf den durchaus zufrieden wirkenden Butler, der sich den Rauch der Zigarre unter die Nase fächerte.

»Haben Sie etwas dagegen, daß ich das Fenster öffne?« fragte Wilkinson. Er wartete die Antwort seines Gastes natürlich nicht ab, sondern rannte förmlich über den dicken Teppich zum Fenster und riß es auf. Nach Luft schnappend, beugte er sich weit ins Freie. Parker schüttelte den Kopf.

Da hatte er nun den breitschultrigen, starken Mann vor sich, dem man doch wirklich viel Zutrauen konnte. Aber auch dieser Mann wußte nicht die Spezialanfertigung seiner Zigarren zu schätzen. Parker entschloß sich aus Höflichkeit, die Zigarre abzulegen und nicht mehr an ihr zu saugen.

»Wenn Sie erlauben, würde ich jetzt gerne einmal mit den sechs Mannequins reden«, sagte Parker.

»Das ist eine prächtige Idee«, pflichtete ihm Wilkinson sofort bei. »Warten Sie, ich werde die Girls verständigen.« Wilkinson räumte fluchtartig das Feld und ließ den Butler allein zurück. Parker warf einen lüsternen Blick auf die schwelende Zigarre und kämpfte mit sich, ob er weiterrauchen sollte oder nicht. Aus Gründen des Takts entschloß er sich dann aber, die weiteren Verhandlungen nicht zu sabotieren oder gar unmöglich zu machen. Er entfernte die Glut, holte eine flache Schachtel hervor und verstaute die Zigarre darin.

Wenig später öffnete sich die Tür. Vorsichtig schob Wilkinson seinen Kopf ins Zimmer. Als er sicher war, daß sich die Luft inzwischen wieder gefahrlos atmen ließ, kam er herein und trat zur Seite.

Parker erhob sich und verbeugte sich gemessen.

Aufmerksam betrachtete er die sechs jungen Damen, die etwas nervös und befangen den Raum betraten. Sie trugen alle leichte Frisiermäntel, waren wohl gerade von der Arbeit vor den Kameras weggeholt worden.

»Das ist Mister Parker«, stellte Wilkinson den Butler vor. »Er wird Ihnen von einer gewissen Sache berichten ... Ich möchte aber vorausschicken, daß ihr allesamt unter Vertrag steht.«

Parker faßte sich kurz.

Er sprach von den beiden Drohbriefen, aber er sprach auch davon, daß die mitreisenden Mannequins bewacht würden. Die sechs Girls hörten ihm schweigend zu.

»Es heißt in den beiden Drohbriefen, daß Sie eventuell Ärger haben werden«, beendete der Butler seine kurze Erläuterung. »Was unter Ärger zu verstehen ist, läßt sich noch nicht mit Sicherheit Mister Wilkinson bestand darauf, daß Sie informiert wurden.« Parker zuckte zusammen, als die sechs Mannequins gleichzeitig zu reden begannen. Sie bestürmten ihn mit Fragen, Sorgen und Ängsten. Parker hielt aber diesem Ansturm durchaus stand und beantwortete alle Fragen, so gut er es eben vermochte.

Er hatte übrigens längst insgeheim festgestellt, daß er es mit sehr ansprechenden weiblichen Wesen zu tun hatte Jeder dieser sechs Mannequins war eine Schönheit.

»Wir sollen also beschützt werden«, sagte endlich ein schwarzhaariges Mannequin, das sich zum Wortführer erhob. »Und wie soll diese Bewachung aussehen? Wer soll sie übernehmen?«

»Mister Parker wird diese Aufgabe übernehmen, die bestimmt nur pro forma ausgeübt zu werden braucht«, erklärte Wilkinson schnell.

»Sie wollen uns schützen und bewachen?« fragte das schwarzhaarige Mannequin mit deutlichem Spott.

»Sie werden sicher mit mir zufrieden sein«, gab Parker bescheiden zurück und verbeugte sich. »Ich möchte meine Fähigkeiten auf keinen Fall besonders heraussteilen oder anpreisen, aber ich glaube versichern zu können ...«

»Sir, ich will Sie auf keinen Fall beleidigen, aber schließlich werden wir unsere Haut zu Markt tragen ... Wenn wir schon mitmachen, dann nur unter der Bedingung, Mister Wilkinson, daß wir eine wirkliche Leibwache mitbekommen.«

»Vollkommen richtig«, mischte sich ein platinblondes Mädchen ein. »Warum wenden wir uns nicht an die Polizei und bitten um Schutz?«

»Aber Kinder«, entgegnete Wilkinson, »warum nehmen wir einen verrückten Brief eigentlich so ernst? Vielleicht hat sich einer einen dummen Scherz mit uns erlaubt. Nehmen wir die Sache doch nicht tragisch!«

»Warum soll die Polizei nicht benachrichtigt werden?« fragte das blonde Mädchen hartnäckig zurück.

»Das halbe ich doch bereits getan«, antwortete Wilkinson verärgert. »Man hat mir versprochen, die Behörden der Städte zu informieren, in denen wir gastieren. Aber gut, ich werde für zwei Detektive sorgen, die Mister Parker zur Seite stehen. Unter diesen Voraussetzungen dürfte doch wohl alles in Ordnung sein, wie?«

Nun, es war alles in Ordnung.

Selbst Parker erhob keine Einwände gegen die Verstärkung. Er gab sich überhaupt überraschend mundfaul, was erstaunlich war. Lag ihm soviel daran, die sechs Mannequins begleiten zu können? Hatte Josuah Parker sein Herz für junge Damen entdeckt? Oder witterte dieser gerissene Fuchs einen Fall, der ihn besonders interessierte ...

Das Rollverdeck des großen, komfortabel eingerichteten Reisebusses war aufgeschoben worden.

Vorn neben dem Fahrer saß der Fotograf Tralben und einer der schnell engagierten Leibwächter.

Verteilt dahinter hockten die sechs Mannequins, die es sich sehr bequem gemacht hatten. Sie trugen durchweg einfache Sommerkleider und hatten sich Sonnenbrillen aufgesetzt.

Auf den hinteren Sitzen hielt sich Stephan Wilkinson auf. Der Chef des Ateliers unterhielt sich angeregt mit dem zweiten Privatdetektiv, der einen überraschend guten Eindruck machte. Er wirkte wie ein Filmheld und war, wenn man flüchtig hinschaute, das Double von Alan Ladd.

Auf den letzten Sitzen des Wagens hielt sich Butler Josuah Parker auf. Und beim besten Willen nichts an ihm erinnerte daran, daß er ausgezogen war, ein etwaiges Verbrechen zu verhindern.

Parker bot wie gewöhnlich ein recht seltsames Bild. Selbstverständlich war er trotz der Hitze korrekt gekleidet. Selbst im Wagen verzichtete er nicht darauf, die Melone zu tragen. Zwischen seinen. Knien hielt er einen umfangreichen Regenschirm, der völlig deplaciert wirkte.

Parker genoß diese Fahrt, die ihn an einen Ausflug erinnerte. Der Bus, in dem er und die sechs Mannequins saßen, gehörten zu einem Autobus-Konvoi, der in Chikago zusammengestellt worden war und der die Mitglieder und das technische Personal der Versamdfirma-Show über Land tragen sollte.

Sie hatten Chikago schon am frühen Morgen verlassen. Längst lag die riesige Steinwüste hinter ihnen. Sie befanden sich auf einem Highway, der nach Milwaukee führte. Der Verkehr war nicht gerade stark, und das Auge wurde von der Landschaft kaum abgelenkt.

Josuiah Parker war sehr mit sich zufrieden. Selbstverständlich hatte der Butler sich bereits mit den sechs Girls befaßt. Obwohl er kaum mit ihnen gesprochen hatte, kannte er sie bereits.

Da waren erst einmal die Zwillinge Costers, beide brünett, groß und sehr schlank. Sie sahen auf den ersten Blick hin zum Verwechseln ähnlich. Parker wußte aber bereits mehr. Cora Costers besaß eine kleine Narbe hinter dem Ohr, Kay Costers hatte einen Goldzahn in der oberen Zahnreihe.

Das platinblonde Girl, daß sich gern als Wortführerin aufspielte, nannte sich Gwenn Landers.

Ein anderes Mädchen dieser Truppe hieß Lana Lubbers und hatte ihr langfallendes Haar pechschwarz gefärbt. Sie war die Spezialistin für exotische Kleider.

Nummer fünf in dieser Reihe hörte auf den Namen Ava Craling und hatte sich auf Strandkostüme und Badeanzüge spezialisiert. Sie kicherte gern und häufig und schien recht naiv zu sein.

Das sechste Mädchen dieser Mannequin-Truppe hieß Gloria Golders und konnte mit dem Schneewittchen aus dem Disney-Film verwechselt werden. Sie trug Brautkleider über die Laufstege und hatte unwahrscheinliche Erfolge damit.

Aus Zeitmangel hatte sich der Butler natürlich nicht genau um die einzelnen Mädchen kümmern können. Aus Gründen der Gewissenhaftigkeit aber liefen Ermittlungen, die sich mit dem Vorleben der sechs Mannequins befaßten. Parker und Rander überließen nie etwas dem Zufall. Zudem mußten sie ja erst einmal herausbekommen, aus welchen Motiven heraus diese beiden Drohbriefe geschrieben worden waren. Wenn man erst einmal den Grund kannte, war schon viel erreicht.

Butler Parker kannte seine beiden Berufskollegen nicht. Sie besaßen echte Detektivlizenzen und machten den Eindruck von Männern, die Schwierigkeiten besonders gern mit den Fäusten aus dem Wege räumten. Für diesen Fall waren sie möglicherweise besonders gut geeignet.

Es störte Parker überhaupt nicht, daß ihn die beiden etwa dreißigjährigen Männer recht spöttisch behandelt hatten. Er war solche Behandlung gewöhnt. Man nahm ihn meist zu Beginn eines Falles nie ernst. Daß sich das dann später sehr schnell änderte, wußte Parker allerdings auch. An falscher Bescheidenheit litt der Butler bestimmt nicht.

Die beiden Leibwächter nannten sich übrigens Mike Bonners und James Fandow. Bonners war der Chef und redete gern, wie jetzt zum Beispiel mit Wilkinson.

Vor dem Mannequin-Bus rollte ein gleich großer Wagen, in dem einige Stimmungskanonen und Sänger saßen. Hinter dem Bus rollten zwei geschlossene Laster, in denen sich die Dekorationen und das technische Gerät befanden. Der Konvoi bestand aus vier Wagen, in denen nichts fehlte.

Ob der Verfasser der beiden Drohbriefe sich in einem der vier Busse befand?

Butler Parker konnte vorerst nichts unternehmen. Er mußte auf die kommenden Ereignisse warten und konnte nur seine Augen und Ohren aufsperren. Er fragte sich immer wieder, wie der etwaige Täter eventuell vorgehen könnte. Seine Drohung hatte sich ausschließlich auf die sechs Mannequins bezogen, ein Punkt, der Parker immer wieder zu denken gab.

Aus welchem Grund war der Schreiber der beiden Drohbriefe so daran interessiert, daß die sechs Mannequins die Tournee nicht mitmachten? Sollte der Atelierchef Wilkinson geschädigt werden? Wollte der Verfasser alle oder nur ein bestimmtes Mannequin daran hindern, die Reise mitzumachen?

Parker schloß nachdenklich seine Augen. Er freute sich nachträglich darüber, daß sein Chef Mike Rander sich entschlossen hatte, diesen Fall zu übernehmen. Er hatte das sichere Gefühl, daß sich noch viel ereignen würde.

»Schlafen Sie?« wurde Parker plötzlich gefragt.

»Tief und fest, mein Herr«, sagte der Butler, ohne die Augen zu öffnen. Er wußte, daß Mike Bonners, der Chef der Leibwache, sich an ihn gewendet hatte.

»Sie sind ein Witzbold, aber das liebe ich«, stellte Bonners fest. »Was halten Sie von dieser komischen Geschichte?«

»Ich bin im Moment nicht orientiert«, antwortete Parker und öffnete die Augen. Er nickte, sein erster Eindruck hatte nicht getäuscht. Neben ihm schien Alan Ladd zu sitzen.

»Na, ich meine die beiden Drohbriefe selbstverständlich«, sagte Mike Bonners. »Allzu ernst darf man sie wohl nicht nehmen. Habe das Gefühl, daß sich da so ein Witzbold einen albernen Scherz erlaubt hat. Gut, von mir aus ... aber wenn sich auch nur einer an die Girls heranmachen sollte, muß er mit Ärger rechnen.«

Mike Bonners klopfte erklärend auf seine ausgebeulte Jacke, daß selbst ein blutiger Laie auf den Gedanken gekommen wäre, er müsse eine Schulterhalfter samt Inhalt tragen.

»Sie tragen überzeugende Argumente mit sich herum«, räumte der Butler freundlich ein. »Ist eine Schulterhalfter bei dieser Hitze nicht sehr störend?«

»Na, Sie sind gut. Wollen Sie damit, etwa sagen, Sie würden keine Kanone mit sich herumschleppen?«

»Allerdings«, sagte Parker freundlich.

»Revolver befördert man besser und angenehmer im Koffer.«

»Mann, Sie sind mir einer«, erwiderte Bonners verächtlich. »Angenommen, wir würden jetzt überfallen, wie wollten Sie sich denn wehren?«

»Ich muß gestehen, daß ich mir darüber bisher keine Gedanken gemacht habe!«

»Na gut, dann werde ich Ihnen mal sagen, was wir dann aufziehen werden«, legte Bonners los. »Ich habe mir das so gedacht: Fandow und ich verwickeln die Burschen in ein Feuergefecht. Sie, mein Junge, werden dafür sorgen, daß uns keiner in den Rücken fallen kann. Und nachts in den Quartieren werden wir eine richtiggehende Wache aufstellen. Wir haben da so unsere Erfahrungen.«

»Ich hoffe, von Ihnen profitieren zu können«, sagte Parker nur.

»Halten Sie sich nur an uns«, gab Bonners zurück. »Ich werde aufpassen, daß Ihnen nichts geschieht.«

»Sie ahnen nicht, wie dankbar ich Ihnen bin«, antwortete der Butler gläubig.

»Was haben Sie denn so bisher ausgegraben?« fragte Mike Bonners vertraulich.

»Nichts, aber auch gar nichts«, sagte Parker bedauernd.

»Seit wann sind Sie eigentlich Detektiv?«

»Oh, zwar schon eine Reihe von Jahren, aber ich war auf Geschäftsermittlungen spezialisiert«, schwindelte der Butler. »Ich habe das Gefühl, mich wohl‘ umstellen zu müssen.«

»Sieht mir auch so aus«, gab Bonners zurück.

Der Detektiv erlaubte sich, auf Parkers Schulter zu klopfen, was sich der Butler erstaunlicherweise gefallen ließ. Bonners grinste herablassend, schwang sich hoch und ging nach vom zu seinem Partner, um ihm wohl brühwarm zu erzählen, welche Niete von einem Kollegen sich noch an Bord befand.

»Hallo, Mister Parker!« Wilkinson schob sich auf den Nebensitz und wies mit einer angerauchten Zigarre auf die beiden Detektive. »Scheinen mächtig in Ordnung zu sein, wie?«

»Sehr energisch«, erwiderte Parker ausweichend.

»Wir werden das Ding schon schaukeln«, redete Wilkinson optimistisch weiter.

»Sicherlich, Sir. Sagen Sie, sind die sechs Mannequins fest bei Ihnen angestellt?«

»Das kann ich mir nicht leisten. Nein, nein, wir kleinen Firmen engagieren die Mädels immer von Fall zu Fall.«

»Seit wann sind die sechs Damen bei Ihnen unter Vertrag?«

»Seit ... warten Sie mal, ja, seit drei Monaten, als ich das Angebot für die Tournee erhielt.«

»Halben Sie früher schon einmal mit einem der Mannequins gearbeitet?«

»Mit Ava Craling. Wir machten eine Serie für einen Kalender. Ja, und Gwenn Landers war schon einige Male bei mir.«

»Die sechs Damen sind sehr bekannt in der Branche?«

»Bekannt? Tja, so kann man das wohl ausdrücken, obwohl sie natürlich alle nicht zur Spitzenklasse gehören. Ich meine, keine von ihnen ist bisher in der Vogue erschienen. Sie sind alle sehr solider Durchschnitt, nicht besonders extravagant.«

»Beteiligen sich außer Ihnen noch andere Firmen an diesem Unternehmen?«

»Ich bin der einzige«, antwortete Wilkinson. »Aber das hat mich ’ne Menge Schweiß und Arbeit gekostet. An der Ausschreibung waren verschiedene Firmen beteiligt. Einige meiner Konkurrenten haben sich so die Hacken abgelaufen, um mit der Versandfirma ins Geschäft kommen zu können. Schließlich habe ich aber gesiegt. Meine Bedingungen waren eben besser.«

»Bei Gelegenheit sollten Sie mir die Konkurrenten einmal etwas näher beschreiben«, sagte Parker.

»Sie glauben doch nicht etwa ...?«

»Wer weiß?« sagte Parker lächelnd »Aus Konkurrenzneid geschehen oft die merkwürdigsten Dinge. Angenommen, Mister Wilkinson, Sie hätten absagen müssen, kurzfristig, weil die Mannequins Angst bekamen, an wen hätte sich die Versandfirma wohl gewendet?«

»An Steven Pandors. Er lag Kopf an Kopf mit mir im Rennen.«

»Ein angenehmer Kollege?«

»Ein Haifisch! Er ist verschuldet, zu viele kostspielige Ausgaben. Er muß sich beeilen, wenn er nicht Pleite machen will.«

»Angenommen, durch irgendeinen Umstand würde Ihre Truppe unterwegs platzen, Mister Wilkinson, könnte dieser Panders sofort einspringen?«

»Aber klar, er hat einige Mannequins unter Vertrag. Und die Kleider, die die Versandfirma für meine Mannequins zusammengeschneidert hat, ließen sich wohl leicht umändern. Die Mannequins sind ja fast alle genormt ... Hören Sie, Mister Parker, Sie haben mich da auf einen verrückten Gedanken gebracht. Sollte etwa Pandors die beiden Drohriefe geschrieben haben? Zuzutrauen wäre ihm das schon.«

Gegen Mittag schwenkten die vier Busse vom Highway ab, bogen in eine gut befestigte Straße ein und hielten schon nach kurzer Fahrt vor einem endlichem Anwesen, das hart an einem See lag. Parker stieg zusammen mit den anderen Leuten aus und sah sich interessiert um. Sein Blick fiel auf eine riesige Halle, die in Holzkonstruktion errichtet worden war. Hierin sollte die Show einige Proben veranstalten, bevor die eigentliche Tournee begann. Die Busse parkten unterhalb einiger mächtigen Eichen, das Personal, die Bühnenarbeiter und die Techniker wimmelten wie aufgescheuchte Ameisen um die Wagen herum und begannen sofort mit dem Ausladen der Dekorationen und technischen Einrichtungen.

Parker hätte sich diese exakten Arbeiten einmal näher angesehen, aber er hatte ja schließlich eine wesentlich wichtigere Aufgabe übernommen.

Er folgte also den sechs Mannequins, die, begleitet von Wilkinson und den beiden Detektiven, auf ein frei stehendes Holzhaus zugingen, das sich rechts von einem Landungssteg befand, der weit in den See hineinführte. Die Mitglieder der Unterhaltungsabteilung steuerten auf das große Haupthaus zu, dessen Eingang mit einigen völlig unsinnigen Säulen beflankt war. Sie wohnten dort zusammen mit dem Manager der Tournee, seinem Assistenten und dem Stab. Die übrigen Leute sollten später in einem langgestreckten, ebenerdigen Haus untergebracht werden, das rechts von den vier Bussen stand.

Das Holzhaus, in dem die sechs Mannequins verschwanden, war zweistöckig. Als Parker die kleine Halle betrat, platzte er in eine kleine Konferenz. Wilkinson und seine beiden Leibwächter überlegten gerade, wo man die Mannequins unterbringen sollte.

»Ich bin der Meinung, die Girls sollten in den oberen Stock ziehen«, sagte Wilkinson. »Sie, Bonners, und Ihr Partner richten sich hier unten ein. Ich werde auch unten bleiben. So können wir die Mädchen am besten schützen.«

»Eine ausgezeichnete Idee«, pflichtete Parker sofort bei, bevor Bonners etwas sagen konnte. »Falls Sie mich nicht vergessen haben sollten, wird sich sicher auch für mich noch eine kleine Kammer finden lassen.«

»Sieht schlecht aus«, sagte Bonners großspurig. »Sie können natürlich mit Fandow zusammenziehen.«

»Sie wissen nicht, was Sie ihm an tun«, meinte Parker und hob entsetzt die Arme. »Eingeweihte behaupten, mein Schnarchen grenze an Perversität.«

»Dann gehen Sie doch dort ’rüber in den Pavillon«, schlug Wilkinson vor. Er deutete auf ein kleines, nett aussehendes Gartenhäuschen, das versteckt zwischen übermannshohen Büschen lag.

Parker ging nach draußen, sah sich den Pavillon näher an und war sofort mit dem Vorschlag einverstanden. Als er das Wilkinson und Bonners mitteilte, waren die beiden Männer sichtlich zufrieden. Es paßte ihnen wohl, den Butler los zu werden. Viel trauten sie Parker bestimmt nicht zu.

Eine halbe Stunde später hatte Parker sich bereits eingerichtet. Seine beiden Koffer standen im Pavillon, der sogar über einen respektablen Waschraum verfügte. Parker, diesmal auf den Regenschirm verzichtend, schritt hinüber zu der großen Holzhalle, in der sich einiges tat.

Die mitreisenden Angestellten der Versandfirma hatten Dekorationen aufgebaut, Kabel gezogen, Scheinwerfer ausgestellt und Übertragungsanlagen installiert. Eine kleine Band von acht Mann stimmte die Instrumente, oben auf der Bühne redete der Manager wie ein Wasserfall.

Parker hielt sich allerdings nicht lange auf.

Er suchte nach seinen sechs Mannequins, vermutete sie hinter den Dekorationen und entdeckte sie auch tatsächlich in einem Verschlag, wo sie sich umziehen wollten.

Parker stellte mit einem Blick fest, daß nur fünf Girls vor ihm waren.

»Wo ist ... Lana Lubbers?« fragte er Bonners, der gerade auftauchte.

»Wer ist denn das?«

»Eines der Mannequins.«

»Keine Ahnung, na, die wird wohl gleich antanzen. Feiner Job hier, wie?«

»Ich will es nicht bestreiten«, sagte Parker. »Ich fürchte nur, wir stören die Mannequins beim Umkleiden.«

»Tut mir leid, meine Damen.« Bonners lächelte gewinnend. »Es wird sich nicht vermeiden lassen, daß einer von uns hier bei Ihnen sein wird. Aus Gründen der Sicherheit, wie es sich versteht Selbstverständlich werden wir Sie nicht behindern.«

»Cora, sieh doch mal nach Lana«, sagte Kay Costers zu ihrer Zwillingsschwester. »Sie müßte doch längst hier sein.«

»Ist sie allein in der Unterkunft zurückgeblieben?« erkundigte sich der Butler.

»Sie wollte noch schnell hinüber in den Store«, sagte Kay Costers. Das Mannequin wies mit dem Kopf zum Fenster hinüber. Parker ging dorthin und nickte. Beim Einfahren in dieses Grundstück hatte er den Store im Haupthaus gesehen.

Er dachte selbstverständlich nicht daran, Bonners mitzunehmen. Er verließ die Bühne über eine kleine, steile Treppe, öffnete die seitliche Bühnentür und ging zum Store hinüber. Es paßte ihm nicht, daß die Mannequins leichtsinnig waren. Gewiße Spielregeln mußten im Zukunft unter allen Umständen eingehalten werden.

Er drückte die Tür zum Store auf und blieb im Eingang stehen, bis sich seine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Dann trat er an die Theke und klopfte mit dem Knöchel seines Mittelfingers gegen eine Glasscheibe.

Nichts rührte sich im Laden.

Parkers Gesicht verriet keine Bewegung.

Er verließ die Theke und sah sich in dem Store etwas näher um. Alles wirkte etwas antiquiert und verstaubt, wenngleich die Reklamen auf den neuesten Stand gebracht worden waren. Vor einer Mittelsäule befand sich ein altertümlicher Kachelofen. Und hinter diesem Ofen hervor ... ragten zwei lange, schlanke Beine.

Parker trat schnell näher.

Als er um den Kachelofen herumkam.

blieb er wie vereist stehen und griff unwillkürlich noch seiner Melone. Er brauchte sich trotz der Dämmerung, die im Store herrschte, nicht zu vergewissern, daß die am Boden liegende Gestalt Lana Lubbers war.

Das Mannequin war ermordet worden!

Parker kniete neben der Toten nieder und fand die Mordwaffe auf Anhieb Es handelte sich um ein Messer, das man dem Mädchen in den Rücken gestoßen hatte. Lana Lubbers mußte auf der Stelle tot gewesen sein.

Parker richtete sich wieder auf, suchte nach einem Telefon und fand es an der Mittelsäule hängend. Er hob den Hörer aus der Gabel, hörte eine unpersönliche Stimme vom Vermittlungsamt und ließ sich die örtliche Polizeidienststelle geben.

Es knackte in der Leitung, dann meldete sich eine schnarrende, etwas hochmütige Stimme.

»Hier spricht Ralph Random«, sagte diese Stimme. »Was ist los?«

»Hier spricht Josuah Parker«, antwortete der Butler. »Was los ist, wollen Sie wissen? Hier wurde vor kurzer Zeit ein Mord ausgeführt, wenn Sie es genau wissen wollen. Vielleicht läßt es sich ermöglichen, daß Sie vorbeikommen.«

»Von wo aus sprechen Sie?«

»Ich glaube, dieses Haus nennt sich Waterside, oder so ähnlich«, antwortete der Butler. »Es liegt an einem See.«

»Weiß Bescheid. Rühren Sie die Leiche nicht an und warten Sie, bis wir gekommen sind!«

»Ich werde mich bemühen«, sagte Parker höflich und legte den Hörer zurück in die Gabel. Da er allein war holte er sein Etui aus der Tasche und zündete sich eine seiner Spezialzigarren an. Parker stand steif und korrekt neben der Theke und sah hinaus auf den Hof, auf dem einige Arbeiter zu sehen waren. Kein Mensch schien zu ahnen, daß ein Mord ausgeführt worden war. Und dennoch, einer der Mitreisenden mußte der Mörder sein, daran gab es nichts zu zweifeln. Oder aber der Mörder hatte gewußt, daß die Show hier am See eine Generalprobe aufziehen würde, hatte auf sein Opfer gelauert und es hier im Store gestellt.

Parkers Gehirn arbeitete auf Hochtouren.

Er gab sich keinen Phantastereien hin, sicherlich nicht, aber er prüfte alle Möglichkeiten, die zu diesem schrecklichen Mord hätten führen können.

Wieso war Lana Lubbers in diesen Store gegangen? Hatte sie etwas kaufen wollen? Oder hatte sie hier ein Rendezvous mit dem Mörder gehabt? Sollte der Mörder sein Opfer wirklich hier gestellt haben? Hatte er es hierher bestellt?

Wichtiger als die Beantwortung all dieser Fragten war das Finden des Mordmotivs. Warum wollte der Verfasser der beiden Drohbriefe, der wohl mit dem Mörder identisch war, die Mannequins daran hindern, sich an der Show .zu beteiligen? Lag ein echter, gravierender Grund vor, oder aber waren die beiden Drohbriefe nichts anderes als eine gut durchdachte Finte, um jede Spur von vornherein unsichtbar zu machen?

Butler Parker griff mit abgezirkelten Bewegungen in die Tasche seiner Jacke und förderte ein umfangreiches Notizbuch hervor, in das er einen Katalog von Fragen hineinschrieb. Parker liebte die Methode, er überließ nie etwas dem Zufall.

Draußen auf dem Vorplatz erschien jetzt Wilkinson, der einen recht erregten Eindruck machte. Er steuerte auf den Eingang zu.

Parker geriet in schnelle Bewegung.

Er glitt geschmeidig zur Tür, verriegelte sie von innen und verbarg sich hinter einigen Fässern, die dicht neben der Tür abgestellt waren. Parker war gerade in Deckung, als Wilkinson auch bereits schon an der Tür rüttelte. Er fluchte ausgiebig, weil sie sich nicht öffnen ließ, rief noch einige Male den Namen der Toten und hastete dann weiter.

Parker entriegelte die Tür erst dann, als vor dem Haus ein Stationswagen erschien, der sehr verstaubt war. Trotzdem ließen sich die Inschriften noch erkennen, die auf die Seitenwände des Wagens gemalt waren.

Ein stämmiger, breitschultriger Mann kletterte aus dem Wagen, rückte sich seinen Stetson zurecht und ging energisch auf die Tür zu. Parker öffnete und lüftete seine Melone.

»Ich bin Random«, stellte sich der Mann vor und wies auf seinen Sheriffstern. »Haben Sie eben mit mir gesprochen?«

»Richtig!«

»Sie hatten verdammt Glück, daß Sie mich noch erreichten«, erwiderte Ralph Random lächelnd und schüttelte Parker recht kräftig die Hand. »Ich wollte gerade losfahren und ... aber das tut nichts zur Sache ... Wo haben wir die Leiche?«

»Sie sind der Polizeichef?« erkundigte sich der Butler sicherheitshalber noch einmal.

»Alles in einer Person«, sagte Random und nickte. »In dem kleinen, lausigen Nest dort drüben hinter den Hügeln kommt man mit einem einzigen Mann aus. Ich bin es schon seit vier Jahren und werd’s wohl noch sein, wenn ich achtzig geworden bin.«