Inhalt

  1. Cover
  2. Impressum
  3. Brennende Prärie
  4. Kapitel 2
  5. Kapitel 3
  6. Kapitel 4
  7. Kapitel 5
  8. Kapitel 6
  9. Kapitel 7
  10. Kapitel 8
  11. Kapitel 9
  12. Kapitel 10
  13. Kapitel 11
  14. Kapitel 12
  15. Kapitel 13
  16. Kapitel 14
  17. Kapitel 15
  18. Kapitel 16
  19. Kapitel 17
  20. Vorschau

Brennende Prärie

1

Black Eagles Schar besteht aus siebzehn Kriegern, achtundzwanzig Frauen und Mädchen und elf Kindern unter zwölf Jahren, also insgesamt sechsundfünfzig Seelen. Nachdem sie sich aus dem Reservat schlichen mit ihrer wenigen Habe, sind sie nun drei Tage und drei Nächte unterwegs.

Es waren Tage und Nächte mit Sturm und prasselndem Regen – wolkenverhangen die Tage und rabenschwarz die Nächte, nur manchmal von Blitzen erhellt. Und so entkam Black Eagle mit seiner Schar den Soldaten – den Mila Hanskas –, die der Indianeragent ihnen nachschickte, um sie zurückzubringen oder zu töten.

Als dann am vierten Tag die Sonne hoch am Himmel steht und die armselige Schar zu wärmen beginnt, da danken sie alle Wakan Tanka, dem Großen Geist. Denn nun glauben sie entkommen zu sein.

Einige Krieger schwärmen aus, um zu jagen, und kommen mit reicher Beute zurück.

Und dann brennen bald die Feuer in einem Creekbett, wo sie unter der überhängenden Uferwand genügend trockenes Holz fanden. Dennoch ist dieses Holz und Gestrüpp nicht so trocken, dass ihre Feuer keinen Rauch hochsteigen lassen.

Black Eagle und seine Krieger kennen die Gefahr. Aber ihre Schar ist zu ausgehungert und erschöpft. Sie müssen Nahrung einnehmen, die sich in ihnen zu Säften und Kräften wandeln soll.

Sie sind also in Sorge und beobachten in weiter Runde die wellige Prärie, die wie ein erstarrtes Meer wirkt. Doch sie alle haben noch niemals ein Meer gesehen und können diesen Vergleich nicht ziehen.

Der Rauch steigt steil aus dem Creekbett heraus gen Himmel. Black Eagles Sorgen werden immer größer. Doch ihr Weg ins Powder-River-Land ist noch weit. Sie haben keine Pferde. Die konnten sie aus dem Reservat nicht mitnehmen. Und sie mussten drei Tage und drei Nächte endlose Meilen laufen. Doch der prasselnde Regen verwischte ihre Fährte.

Auch der Creek führt Hochwasser, doch jetzt wird er gewiss jede Stunde um einen ganzen Zoll sinken.

Black Eagle denkt wieder darüber nach, wohin er mit seiner Schar flüchten soll.

Sie gehören zum Volk der Arapaho.

Er könnte zu den Cheyenne oder den Sioux, deren mächtigsten Stämme die Hunkpapa, Oglala und Minnecounjou sind und die von berühmten Häuptlingen geführt werden.

Dort könnte die Arapaho-Schar Schutz finden. Daran glaubt Black Eagle. Denn ist Red Cloud nicht zu Verhandlungen in Washington gewesen? Hat man den freien Sioux und Cheyenne nicht Land mit einem neuen Friedensvertrag garantiert und die Forts am Bozeman Weg aufgegeben?

Ja, Black Eagle ist voller Hoffnungen.

Einer der Knaben bringt ihm ein großes Stück gebratenes Antilopenfleisch. Als er es in den Händen hält und sich mit dem Messer ein Stück abschneidet und den Mund damit füllt, da verspürt er Hoffnung und Mut noch stärker.

Ja, er wird seine kleine Schar zu einem der großen Stämme führen. Und man wird sie aufnehmen wie Brüder und Schwestern. Davon hat er gehört. Sonst hätte er den Ausbruch nicht gewagt.

Als er das zerkaute Fleisch hinunterschluckt und den Blick wieder in die Ferne richtet, da sieht er sie kommen.

Es sind keine Soldaten, aber deshalb gewiss sehr viel schlimmer. Er hält sie für Büffeljäger oder ein Milizaufgebot, das dieses Land von wilden Indianern säubern soll, die immer wieder den Bau der Eisenbahn verhindern wollen, die von Laramie weiter nach Westen vordringen soll.

Die Reiterschar – es müssen an die hundert Mann sein – muss auf ihre Fährte gestoßen sein, die nach dem Aufhören des Regen wieder sichtbar wurde.

Black Eagle isst erst noch das große Stück Fleisch.

Dann ruft er hinunter ins Creekbett: »Wasicuns kommen auf unserer Fährte! Sie sind nur noch eine Meile weit entfernt! Hundert Wasicuns kommen, um uns zu töten!«

Als er das gerufen hat, muss er nicht lange warten.

Dann sammeln sich die Krieger bei ihm. Manche kauen noch das Fleisch, das die Squaws über dem Feuer brieten.

Eine Weile schweigen sie und sehen auf das sich nähernde Unheil.

Dann spricht einer kehlig: »Die sind schlimmer als Mila Hanskas. Selbst wenn wir uns ergeben, werden sie uns töten. Also sollten wir kämpfen, weil wir ohnehin schon tot sind, obwohl noch lebendig. ›Tela nun vela‹, wie die Sioux sagen.«

Als er verstummt, da erheben sie sich, bilden eine breite Front und setzen sich in Bewegung. Ja, sie schreiten den Reitern entgegen.

Und als sie nahe genug sind, da beginnen sie das Todeslied zu singen.

Black Eagle führt sie an, und er denkt dabei an seine Squaw, die noch so jung und schön ist und ein Kind von ihm unterm Herzen trägt. Sein Hass auf die Weißen könnte nicht größer sein.

Sie alle wissen, dass sie sterben werden. Selbst wenn sie sich ergeben würden, um ins Reservat zurückzukehren, es würde sie nicht mehr retten.

Denn sie wollen nicht zurück ins Reservat, um dort zu hungern, weil der Agent die Lieferungen der Regierung unterschlägt und zu seinem Vorteil verkauft, sie also hungern lässt. Und längst gibt es im Reservat nichts mehr zu jagen.

Sie werden sterben, auch ihre Frauen und Kinder wird man erschlagen oder auf andere Art töten.

Ja, sie alle wissen, dass sie in den Tod gehen. Deshalb singen sie das Totenlied und bitten so, dass ihre Seelen Einlass nach Wanagi Yata finden können.

Doch sie wollen kämpfend untergehen.

Leider haben sie nicht viele Waffen, nur wenige Gewehre, zwei Revolver und einige Kriegsbogen. Man hatte ihnen im Reservat nicht mehr erlaubt.

Hinter ihnen – noch unten im Creekbett –, da beginnen nun auch die Frauen und Kinder zu singen. Denn sie alle kennen das Massaker am Sand Creek und hörten auch von all den vielen anderen Massakern.1)

Und so nimmt das Schreckliche und Ungeheuerliche seinen Lauf, ist nicht mehr aufzuhalten.

Die weiße Horde besteht aus Siedlern, Büffeljägern, Banditen und Abenteurern.

Hinter diesem Aufgebot stehen mächtige Land- und Boden-Verwertungsgesellschaften, die darauf warten, Tausenden von Siedlern Kredite geben zu können, um sie so zu ihren Sklaven zu machen, gewissermaßen zu Leibeigenen, die aus der Prärie ein Weizenland machen.

Es wird ein erbarmungsloses Abschlachten, ein blutiges Morden.

Black Eagle hat schnell den Anführer ausgemacht, einen riesigen Mann mit einem schwarzen Vollbart, in Lederkleidung und auf einem schwarzen Hengst.

Dieser Anführer hält die Zügel mit seinen Zähnen fest, lenkt den Hengst mit Schenkeldruck und feuert mit zwei Revolvern.

Und so lässt sich Black Eagle fallen, als wäre er getroffen.

Doch als der schwarze Hengst an ihm vorbeitrabt – und noch bevor ihn der Reiter herumziehen kann –, da schnellt Black Eagle empor und landet mit einem Pantersprung, wie ihn nur die Reitervölker der Prärie können, hinter dem schwarzbärtigen Riesen auf dessen Hengst.

Black Eagles Messer ist scharf. Es fährt unter des Schwarzbarts Kinn quer über dessen Gurgelknoten.

Dann wirft Black Eagle den schon fast Toten nach der Seite aus dem Sattel und setzt sich selbst hinein, beugt sich weit vor und bekommt die Zügelleinen in die Hand.

Er muss dann mit dem Hengst einen Kampf austragen, bis er ihn endlich unter Kontrolle bekommt. Als er ihn herumzieht, um wieder am Kampf teilnehmen zu können, da sieht er, dass es zu spät ist.

Von seinen Kriegern steht keiner mehr.

Und so ergreift er die Flucht, verfolgt von Kugeln. Er spürt einige Streifschüsse wie Peitschenhiebe.

Er hat nun die Wahl, entweder mit den Frauen und Kindern zu sterben oder ein Entkommen zu versuchen, um Rache nehmen zu können an allen Weißen.

Er entschließt sich in diesen Sekunden für die Rache.

In seinem Herzen stirbt nun etwas.

Mehr als ein Dutzend Reiter verfolgen ihn. Doch ihre Pferde können es mit dem schwarzen Hengst nicht aufnehmen. Nach etwa einer Meile ist sein Vorsprung groß genug, sodass sie anhalten, weil sie begriffen haben, wie uneinholbar er auf diesem Pferd ist.

Doch auch er hält an.

Denn inzwischen hat er die schwere Buffalo Sharps im Sattelschuh neben seinen rechten Knie entdeckt. Und er weiß, dass er mit diesem Gewehr auf vierhundert Yards noch treffen kann.

In einer der Satteltaschen findet er reichlich Munition.

Und so stößt er einen gellenden Kriegsschrei aus. Er weiß, dass er alles verloren hat, was ein Krieger und Häuptling verlieren kann.

Seine kleine Schar, die ihm vertraute und daran glaubte, dass er sie in die Freiheit führen würde, ist verloren. Das Gewehrfeuer ist nicht mehr zu hören.

Also wird auch seine Frau mit all den an deren Frauen und Kindern niedergemetzelt worden sein. Man wird die Frauen und Mädchen auch vergewaltigt haben.

Black Eagle kennt die vielen Berichte von solchen Massakern. Das Schreckliche, was damals am Sand Creek geschah, hat es mehrfach da und dort gegeben, wo die roten Ureinwohner den gierigen Weißen nicht weichen wollten.

Er macht sich keine Illusionen.

Mit seinem gellenden Kriegsschrei befreit er sich für eine Weile von seinem Schmerz und dem deprimierenden Gefühl der Hilflosigkeit.

Denn nun kann er mit Erfolg kämpfen, Rache nehmen.

Schon einmal besaß er solch eine Buffalo Sharps. Er erbeutete sie von einem Büffeljäger, der zu einer starken Mannschaft gehörte, die jeden Tag Hunderte von Büffeln tötete, nur ihrer Häute wegen.

Und so sitzt er ab, bindet den Hengst an einem starken Busch und macht das schwere Gewehr schussbereit.

Seine Verfolger verharren immer noch und lassen ihre Pferde verschnaufen, die sie etwa vier Meilen galoppieren ließen, ohne den Verfolgten einzuholen.

Er stellt das Visier auf vierhundert Yards ein, also eine Viertelmeile.

Als er niederkniet, das linke Bein hochstellt, um den Ellbogen auf das Knie stützen und so aufgelegt schießen zu können, da wird das Ziel in weiter Ferne noch kleiner.

Aber seine Augen sind scharf. Er hofft, dass die Pulverladung der Papppatrone stark genug ist. Doch das ist sie gewiss, denn mit diesen Geschossen kann man auf diese Entfernung einen ausgewachsenen Büffelbullen töten.

Er muss nicht lange zielen. Dann kracht der Schuss, und er weiß, dass die Reiter das Geschoss heranrauschen hören wie eine kleine Granate.

Er nahm eine Handvoll Patronen aus der Satteltasche mit, die er nun neben seinen linken Fuß legt. Drüben sieht er einen der Reiter vom Pferd kippen.

Er lädt nach und zielt ebenfalls nur kurz.

Und abermals trifft er.

Dann reißen die anderen Reiter ihre Pferde herum und ergreifen die Flucht.

Sie haben gar keine andere Wahl.

Denn wenn sie ihn angreifen, kann er sich auf den schwarzen Hengst werfen und ihnen abermals leicht entkommen. Dann würde sich alles mehrmals wiederholen. Denn gegen einen schnellen Hengst und eine weit reichende Sharps haben sie keine Chance, wenn der Schütze ein erstklassiger Scharfschütze ist. Und das ist Black Eagle.

Noch einmal schießt er und erledigt einen dritten Mörder.

Ja, sie sind Mörder, gnadenlose Schlächter.

Sie sind nun außer seiner Schussweite, denn seine erbeutete Sharps hat kein Zielfernrohr. Das befindet sich in weiches Leder eingewickelt in der anderen Satteltasche. Er hat es noch nicht entdeckt.

Als er die kleine Horde flüchten sieht, da stößt er noch einmal den gellenden Kriegsschrei aus.

Dann aber springt er zu dem angebundenen Hengst, löst die Zügelenden mit einem schnellen Griff vom Busch, schwingt sich in den Sattel und nimmt die Verfolgung auf. Er muss etwa eine Meile reiten, dann ist er den neun Reitern wieder nahe genug.

Und so wiederholt sich das gnadenlose Spiel der Rache.

Diesmal tötet er zwei der Reiter.

Doch dann sieht er viele andere vom Creek her herangejagt kommen, vom Ort des grausamen und gnadenlosen Massakers.

Er begreift, dass er an diesem Tag aufhören muss mit seiner Rache.

Es ist Zeit zur Flucht. Denn er will noch nicht sterben, sondern möchte noch lange leben, um Rache nehmen zu können. Denn wie sonst könnte er den Schmerz in seinem Herzen ertragen?

Er kann ja nicht zu irgendeinem Gerichtshof gehen und Anklage erheben.

Er hat keine Rechte, weil er ein Roter ist. Und so ist er in seinem Zustand vergleichbar mit einem blutgierigen Raubtier. Aber ist der Mensch nicht immer schon das böseste Raubtier auf dieser Erde?

Und läuft nicht die Linie, die Gut und Böse trennt, durch jedes Menschenherz?

2

Joe Maddegan will in den Store hinein, um sich Tabak zu kaufen.

Und Sue Blaisdell will heraus, beladen mit zwei Körben voller Einkäufe.

Vielleicht ist es ihr Schicksal, dass sie zusammenprallen, doch sie können das noch nicht wissen, nicht einmal ahnen.

Aus den beiden Körben fallen einige Einkäufe. Und so bücken sie sich beide, um alles wieder einzusammeln, knien nieder.

Als sie sich ansehen, sind sich ihre Gesichter sehr nahe.

Und weil er von der ersten Sekunde an von ihrem Gesicht verzaubert ist, ist ein Staunen in seinem Blick.

Sie aber wirkt zornig und spricht ziemlich biestig zu ihm: »Haben Sie was mit Ihren Augen, Lederstrumpf?«

»O nein, Ma’am«, grinst er, »zum Glück nicht, denn sonst könnte ich mich nicht an Ihrem wunderschönen Anblick erfreuen. Schimpfen Sie nur mit mir. Ich bekenne mich schuldig. Aber erlauben Sie mir die Frage, ob Sie ein vom Himmel heruntergeschickter Engel sind. Sind Sie ein Engel?«

»Lassen Sie diesen Unsinn«, faucht sie.

Dann aber sammeln sie weiter die herausgefallenen Dinge in die Körbe.

Als sie schließlich die Körbe aufnehmen will, da kommt er ihr zuvor.

»Wohin darf ich Ihre Einkäufe tragen? Das bin ich Ihnen zumindest schuldig, Ma’am. Oder nicht?«

Sie betrachtet ihn sehr kritisch, und sie sieht einen in Leder gekleideten Mann, der offenbar ein Trapper, Scout oder Wagenzugführer ist, zur so genannten »Hirschlederbrigade« gehört, wie man diese Kaste auch nennt.

Er ist groß, hager, doch prächtig proportioniert. Wäre sie nicht so ärgerlich, dann würde ihr sein Gesicht und würden ihr seine rauchgrauen Augen gefallen, auch sein Mund, der sie anlächelt. Sie spürt instinktiv, dass er ein Mann ist, der zu jener besonderen Sorte gehört.

Er trägt einen Revolver an der linken und ein großes Messer an der rechten Seite. Seine Ledertracht ist allerbeste indianische Arbeit. Und seine schwarzen Haare fallen ihm bis auf die Schultern nieder.

In seinem Gesicht sind einige Narben.

Sie spürt auch die lässige Selbstsicherheit dieses Mannes.

»Mein Name ist Maddegan, Joe Maddegan«, sagt er lächelnd. »Und ich halte Sie wirklich für einen zur Erde herunter gestiegenen Engel.«

»Lassen Sie das«, spricht sie.

Dann setzt sie sich in Bewegung, und so bleibt ihm nichts anderes übrig, als ihr mit den beiden Körben zu folgen.

Nun kann er ihren Gang bewundern, ihre ganze Haltung, ihre Figur.

Er kommt zu der Erkenntnis, dass alles an ihr vollendet ist, so als wäre sie ein besonderes Meisterstück der Schöpfung.

Ihr rotblondes Haar leuchtet wie Gold in der frühen Morgensonne. Und er erinnert sich an das Grün ihrer Augen, die ihn so zornig ansahen.

»Heiliger Rauch«, murmelt er kaum hörbar zu sich selbst, »was gibt es doch auf dieser Erde manchmal für Wunder.«

Er erinnert sich kurz an Elster, eine junge Squaw, die er sich bei den Kiowa kaufte und einen langen Jagdwinter mit in seine Jagdhütte nahm. Auch Elster war wunderschön. Doch dann lief sie im Frühling einem hungrigen Grizzly in den Weg. Gewiss, er tötete den Grizzly, aber das machte Elster nicht wieder lebendig.

Und jetzt sieht er wieder eine so wunderschöne Frau. Aber sie ist eine Weiße, keine Squaw, die man ihrem Stamm abkaufen kann.

Und gewiss ist sie nicht mehr zu haben. Wer mag das Glückliche sein, der diesen gewiss sehr kostbaren Schatz besitzt?

Das fragt er sich begierig. Ja, er muss es wissen.

Er hat ihr seinen Namen genannt, aber sie nicht den ihren.

Sie verlassen Laramie nach Norden zu, gehen am Fort vorbei, in dessen Schutz die kleine Stadt entstanden ist.

Nun sieht er den Wagenzug eine Viertelmeile weiter am Rand des Bozeman-Weges.

Und so weiß er, wohin er die beiden schweren Körbe tragen muss.

Sie gehört zum Wagenzug.

Verdammt, denkt er, zu wem sie auch gehört, warum lässt man sie zwei schwere Körbe fast eine halbe Meile weit schleppen? Der Wagenzug ist zum Aufbruch bereit. Es sind an die fünfzig Wagen. Sie bilden schon eine lange Schlange neben dem Wagenweg. Er sieht, dass es keine Frachtwagen sind, sondern so genannte »Prärieschoner«, wie Auswanderer und Landsucher sie benützen. Und er weiß auch, dass dieser Wagenzug wahrscheinlich nach Oregon will, also schräg durch das ganze Indianerland nach Nordwesten.

Denn Oregon soll das gelobte Land sein.

Aber es ist ein weiter Weg dorthin.

Als sie den letzten Wagen erreichen, sieht er, dass er hinten aufgebockt wurde. Man ist dabei, eine Hinterachse zu montieren und die Räder wieder anzubringen, die Achsenmuttern anzuziehen und zu versplinten. Man ist damit fertig, als die Schöne und Joe Maddegan den Wagen erreichen und anhalten.

Die Männer lassen das aufgebockte Hinterteil des Wagens gerade nieder.

»Fertig«, sagt einer. »Dann können wir ja losfahren.«

Und ein anderer Mann spricht: »Ich danke euch.«

Dann wendet er sich der Frau zu und sagt mit einem Klang von Vorwurf: »Du kommst im letzten Moment. Sonst hätten wir dem Wagenzug nachfahren müssen.«

Er sieht Joe Maddegan an, der jetzt die beiden Körbe abstellt.

»Danke, Mister, dass Sie meiner Frau all das Zeug getragen haben. Sie musste ja noch unbedingt eine Menge einkaufen. Na gut, gestern war es schon zu spät dazu. Wir kamen erst in der Nacht mit einer gebrochenen Achse hier an. Danke, Mister. Mein Name ist Blaisdell. Und wir wollen nach Oregon. Sind Sie unser Wagenzugführer oder unser Scout?«

»Nein, bin ich nicht«, erwidert Joe Maddegan und betrachtet den Mann. Dieser gefällt ihm nicht besonders. Aber vielleicht liegt es daran, dass ihm die schöne Frau gehört. Ja, er neidet sie ihm.

Und so wendet er sich wortlos um und geht zurück.

»Auch ich danke Ihnen, Joe Maddegan«, folgt ihm ihre Stimme.

Doch er winkt nur über die Schulter zurück, wendet sich nicht mehr um.

Dabei denkt er: Manche haben mehr Glück als Verstand.

Der Wagenzug setzt sich am frühen Vormittag endlich in Bewegung. Schuld an dem verspäteten Aufbruch ist der Kommandeur, denn alle Wagenzüge, die den Bozeman Trail nach Norden benutzen, benötigen die Erlaubnis der Armee. Und das wieder hängt mit dem Friedensvertrag zusammen, der wieder einmal mit den Roten geschlossen wurde und gewiss bald wieder gebrochen werden wird, wie schon so viele andere Friedensverträge zuvor seit dem Tag, als die ersten Pilgrims, mit der Mayflower aus England kommend, den Kontinent betraten und Neu-England gründeten.

Am Bozeman Trail gibt es immer wieder Kämpfe mit den roten Stämmen, weil die Weißen oft den Trail verlassen, um zu jagen oder nach Bodenschätzen zu suchen.

Doch zurzeit scheint längs des Trail von Laramie bis Bozeman in Montana Ruhe zu herrschen. Doch dies musste sich der Colonel erst durch seine Scouts und die ständig ausreitenden Patrouillen bestätigen lassen.

Nun, der Wagenzug setzt sich also endlich in Bewegung und bricht auf nach Oregon. Er wird den Bozeman Trail weiter nordwestlich verlassen und durch das Idaho-Territorium nach Westen ziehen. Denn hinter Idaho – das heißt »Licht auf den Bergen«, also »I-da-ho« in der Sprache der Dakotas –, da liegt das gelobte Oregon.

Tom und Sue Blaisdell fahren den letzten Wagen. Und sie hatten Glück, diesen Wagenzug noch erreichen zu können. Aber weil sie ihren Wagen zu sehr beanspruchten, brach ihnen im selben Moment die Hinterachse, als sie das Camp des Wagenzuges erreichten.

Nun also schlucken sie den ganzen Staub, den die lange Wagenschlange vor ihnen aufwirbelt. Manchmal kommt einer der bewaffneten Begleitreiter zu ihnen ans Ende und reitet ein Stück neben ihnen.

Tom Blaisdell weiß, dass sie immer wieder kommen, um Sue ansehen und mit ihr einige Worte wechseln zu können. Und auch an ihrem Lächeln und ihrer Stimme wollen sie sich erfreuen. Dabei gibt es einige Dutzend Frauen und Mädchen im Wagenzug, von denen einige mehr als hübsch sind.

Doch Sues Schönheit und ihre ganze Ausstrahlung sind wie ein Zauber.

Länger als eine Meile fahren sie schweigend, sitzen nebeneinander auf der Fahrerbank. Schließlich fragt sie ruhig: »Wird unser Wagen durchhalten bis nach Oregon? Habt ihr die Hinterachse gut befestigt?«

»Und wie, mein Augenstern – und wie«, erwidert er grinsend.

Sie mag dieses sieghafte Lächeln an ihm und weiß, dass es für andere Männer manchmal eine Herausforderung ist.

Und so denkt sie wieder einmal an ihren noch so kurzen Lebensweg zurück.

Sie war schon als junges Ding zu wunderschön. Wegen ihr prügelten sich die Jungen, dann die jungen Männer. Sie durfte keinen bevorzugen, denn sonst bekam er Feinde.

Doch dann kam Tom Blaisdell.

Es war Liebe auf den ersten Blick. Eigentlich wollte er nur durchreiten, aber wegen ihr blieb er in dem kleinen Farmerdorf und machte sich Feinde, weil sie ihn bevorzugte. Dann fragt er sie, ob sie seine Frau werden und mit ihm nach Oregon gehen wollte. Sie sagte ja.

Und ihre Mutter weinte. Ihr Vater aber sagte zu Tom Blaisdell: »Wenn du nicht gut zu ihr bist und ich das erfahre, dann komme ich auch bis nach Oregon.«

Nein, er drohte nicht mit weiteren Worten. Aber Tom erkannte alles in seinen Augen. Deshalb hob er schwörend die Hand und erwiderte: »Ich werde Sue immer lieben. Sie könnte keinen besseren Mann bekommen, Mister Lonnegan.«

Sue erinnert sich auch jetzt wieder an diesen Abschied. Und ihre beiden kleinen Brüder weinten wie die Mutter.

Und jetzt sind sie unterwegs durch das ganze Indianerland nach Oregon. Denn dort ist schon Toms älterer Bruder. Sie wendet den Kopf und betrachtet Tom von der Seite. Was sie sieht, gefällt ihr immer wieder. Während des Krieges gegen die Yankees wurde er hartgebrannt, ein Mann, der nach dem Leitspruch lebte: Der feige Hund bekommt die meisten Prügel.

Und so wollte er niemals feige sein.

Sie blickt wieder nach vorn und fragt sich, wann er ihr ein Kind machen wird.

Sollte das so kommen, dann wird sie es in Oregon besonders schwer haben.

Doch sie will sich keine Sorgen machen.

Er hält die Zügel der vier Maultiere in seinen starken Händen. Und als er den Kopf wendet, da lächelt er wieder sein sieghaftes Lächeln.

»Dieser Lederstrumpf«, beginnt er und macht eine kleine Pause, spricht dann weiter. »Wie hast du den dazu gebracht, dir die Körbe zu tragen? War der überhaupt ein richtiger Weißer? Der sah mir fast wie ein Viertelcomanche aus. Und die kenne ich aus Texas noch sehr gut.«

Sie erzählt ihm von dem Zusammenstoß beim General-Store.

Er lacht dann sein sieghaftes Lachen und spricht: »Deine Schönheit macht sie alle zu deinen Dienern und Beschützern. Und auch ich gehöre dazu.«

Als er das gesagt hat, sind sie etwa drei Meilen von Laramie entfernt.

Hundert Yards weiter verlieren sie das linke Hinterrad. Es löst sich einfach von der Achse, also von der Welle, die das Mittelteil der Radnabe ist.

Tom Blaisdell springt mit einem Fluch vom Wagen und sieht sich die Sache an.

Er knirscht immer noch saftige Flüche, als einer der Begleitreiter nach hinten kommt und sich die Sache vom Sattel aus betrachtet, schließlich fragt: »Was ist?«

Tom Blaisdell wischt sich übers Gesicht.

Dann knirscht er: »Ich verließ mich darauf, dass meine Helfer den Splint hinter der Wellenmutter richtig an den Enden aufgebogen hatten. Ich habe nicht nachgesehen. Also ist der Splint herausgerutscht. Die Mutter löste sich und fiel ab. Sie liegt irgendwo im Staub des Wagenweges, vielleicht schon eine Meile weit zurück.«

Der Begleitreiter nickt.

»Ja, so etwas passiert manchmal, wenn man sich nicht selbst um alles kümmert und sich auf irgendwelche Arschlöcher verlässt. Aber du hast Glück. Laramie ist nur drei Meilen weit entfernt. Und in der Eisenwaren-Abteilung des General-Store verkaufen sie dir mit Freuden Radmuttern und Splinte. Du hast ja ein Sattelpferd hinter dem Wagen. Also reite. Ich hole vom Wagenzug Hilfe und bocke dir den Wagen auf. Das Rad kannst du dann …«

Er spricht nicht weiter, sondern reitet wieder an, um Hilfe zu holen.

Denn der Wagenzug zog indes unbeirrt weiter.

Tom Blaisdell tritt nach vorn neben das linke Vorderrad. Er sieht zu Sue empor, die immer noch auf der Fahrerbank sitzt.

»Du hast es ja gehört, Sue«, grinst er. »Es sind nur drei Meilen hin und drei wieder zurück. Ich werde reiten wie der Teufel. In einer Stunde bin ich wieder bei dir. Und den Wagenzug holen wir bis zum späten Nachmittag wieder ein. Wir haben gute Maultiere. Hier in der Nähe von Fort Laramie wird es keine Gefahr für dich geben.«

»Dann beeile dich«, erwidert sie ruhig und verbirgt das ungute Gefühl. Ja, sie schenkt ihm sogar ein mutiges Lächeln.

»Ich liebe dich«, sagt er noch, eilt hinter den Wagen und bindet dort sein Sattelpferd los. Mit einem Comanchesprung sitzt er auf und stößt einen wilden Ruf aus.

Der Hufschlag seines galoppierenden Pferdes verklingt in der Ferne.

Sie aber denkt: Was sind schon drei Meilen. Die kann man fast spucken.

Und so bleibt sie ruhig sitzen, denn die Wagenplane schützt sie vor der heißen Sonne. Sie legt ihre Hände in den Schoß und fragt sich, ob dies alles ein böses Omen sein könnte.

Am Vortag brach die Achse. Heute verloren sie das Rad.

Wenig später kommen drei Reiter, um den Hinterwagen aufzubocken.

3

Es wird eine gnadenlose Jagd. Einige Dutzend Reiter sind hinter ihm her, und einige sitzen ebenfalls auf sehr schnellen Pferden. Aber sein erbeuteter Hengst ist besser.

Er gehörte ja auch dem Anführer der wilden Horde, dem Black Eagle die Kehle durchtrennte. Er entkommt ihnen immer wieder, reitet einen Vorsprung heraus, hält an, sitzt ab und feuert mit der Buffalo Sharps, trifft damit auch fast mit jedem Schuss.

Es ist ein höllisches Spiel, ein Todesspiel der Rache.

Manchmal stößt er einen wilden Schrei aus, so als könnte er sich dadurch von seinen Schmerzen befreien, die er ständig spürt in seinem Herzen, weil er weiß, dass er der einzige Überlebende des grausigen Massakers ist.

Ja, er leidet, denn er ist ja kein primitiver Wilder, sondern ein Mensch, der alles verlor. Er wollte mit seiner Schar in die Freiheit, nicht eingesperrt sein in einem Reservat, in dem sie alle – besonders die Kinder – verkümmert wären und ihren letzten Stolz verloren hätten.

Sie waren einst die Herren dieses Landes, wurden stolze Reitervölker.

Doch dann kamen die Weißen, die Wasicuns.

Ja, er muss immer wieder diesen Schrei ausstoßen, damit etwas aus sich herauslassen, was er sonst nicht ertragen könnte.

Und so trifft er immer wieder.

Es ist schon wahrhaftig ein außergewöhnlicher Kampf.

Er ist allein mit der Sharps und dem schwarzen Hengst, ganz allein.

Einige Dutzend Indianerkiller jagen ihn.

Doch er ist ihnen überlegen, weil er auf große Entfernung töten und ihnen dann auf dem schnellen Hengst immer wieder entkommen kann auf der weiten Prärie.

Ja, es ist ein Todesspiel der Rache.

Munition hat er reichlich. Denn der Anführer der wilden Horde hatte sich seine Satteltasche prall gefüllt. Die Patronen haben Kaliber 45-120-550, erreichen eine Geschwindigkeit von einer halben Meile pro Sekunde und eine ungeheure Auftreffenergie.

Black Eagle erlebt dann, dass die Verfolger aufgeben, nachdem sie einige Reiter und Pferde verloren haben.

Sie halten an und wagen sich nicht mehr in die Reichweite der höllischen Sharps, die von einem wirklichen Meisterschützen bedient wird.

Und dabei hat Black Eagle noch nicht einmal das Zielfernrohr in der anderen Satteltasche gefunden, dieses kostbare, in weiches Leder eingewickelte Ding aus Germany.

Doch er wird es bald finden, weil er die Einrastungsmöglichkeit auf den Gewehrlauf richtig zu deuten weiß.

Als seine Verfolger anhalten und umkehren, da sendet er ihnen noch einmal seinen wilden Schrei nach. Doch der Schmerz in seiner Brust und Seele bleibt. Er beginnt zu begreifen, dass er noch lange damit leben müssen wird.

Aber er hebt die schwere Sharps hoch über den Kopf, stößt wieder den Schrei aus.

Ja, er wird seine Rache fortsetzen, so lange er noch lebt. Denn sonst möchte er nicht mehr als einziger Davongekommener überleben. Er hätte es nicht verdient.

Es vergehen zwei Wochen, und fast jeden Tag bekommt der Kommandant von Fort Laramie Meldungen und Berichte von einem roten Amokläufer auf einem schwarzen Hengst, der mit einer unfehlbaren Zaubersharps immer wieder Opfer findet.

Der Colonel weiß inzwischen auch, wer dieser Amokläufer ist und warum er wie ein Rachegott überall wütet, aus weiter Entfernung tötet und immer wieder auf seinem unwahrscheinlich schnellen Pferd entkommt.

Und so lässt der Colonel den Armeescout Joe Maddegan zu sich bitten – ja, bitten, denn befehlen lässt sich Joe Maddegan nichts, gar nichts. Das weiß der Colonel inzwischen.

Als Maddegan eintritt, da sehen sich die beiden Männer einige Sekunden lang schweigend an. Sie respektieren sich, aber sonst sind sie zu verschieden.

Der Colonel ist zu sehr Soldat.

Und Joe Maddegan ist schon einmal ein Squawmann gewesen und vielleicht zu einem Viertel eine Rothaut.

Das alles trennt die beiden Männer.

Und vor einigen Wochen hat Joe Maddegan seinen Vertrag mit der Armee nicht mehr verlängert und ist eigentlich gar kein Armeescout mehr.

Deshalb muss der Colonel an Maddegans Verantwortung appellieren.

Und so spricht er ruhig: »Nehmen Sie Platz, Mister Maddegan. Wollen Sie eine Zigarre, einen Drink?«

»Kommen Sie zur Sache, Colonel. Was wollen Sie mit Ihrer Freundlichkeit erreichen?«

Der Colonel nimmt hinter seinem Schreibtisch Platz und klatscht mit beiden Handflächen auf die Tischplatte.

»Sie haben es gewiss schon gehört, Mister Maddegan.«

»Sicher, Colonel, sicher. Es spricht sich herum. Ein kleiner Häuptling – sein Name ist Black Eagle – befindet sich auf dem Pfad der Rache. Und an seiner Stelle wäre ich das auch. Eine verdammte Bande von Indianerkillern hat ein Massaker verübt, aber er konnte entkommen. Jetzt schlägt er überall mit einer Zaubersharps zu, tötet aus weiter Entfernung am Bozeman Trail, weil er sonst an seinem Hass ersticken würde. Ließen Sie mich wegen Black Eagle kommen?«

»Sie müssen ihn unschädlich machen, Maddegan, so wie man einen wilden Tiger unschädlich machen muss, der durch den Dschungel schleicht und immer wieder in einem Blutrausch tötet. Es darf nicht sein, dass er an unschuldigen Menschen Rache nimmt. Mister Maddegan, es hätte keinen Sinn und würde erfolglos sein, wenn ich ihn von meinen Patrouillen jagen lasse. Er ist zu beweglich, auf seinem Pferd zu schnell und mit der Sharps allen anderen Waffen überlegen. Nur ein Mann, der so gefährlich ist wie er, der kann ihn unschädlich machen. Helfen Sie mir und all den Menschen, die sonst seine Opfer werden würden. Ich appelliere an Ihre Ehre und Verantwortung innerhalb unserer menschlichen Gemeinschaft.«

»Was ist das für eine Gemeinschaft, die zulässt, dass sich Aufgebote von Indianerkillern solche Massaker erlauben können und die Armee nicht eingreift?«

Maddegans Stimme wurde nicht lauter, eher leiser. Doch es klirrte in ihr vor Verachtung.

Der Colonel senkt für einige Sekunden den Kopf.

Dann murmelt er: »Ich habe schon einen Bericht ans Hauptquartier gesandt und muss auf Befehle warten. Denn wenn ich mit meiner Truppe eingreife, wird dies gewiss von den Indianerhassern als Krieg gegen die weißen Bürger ausgelegt. In unserem Land und mit unserer Politik ist eine Menge nicht in Ordnung. Doch ich bin Soldat.«

Joe Maddegan erhebt sich und nickt dem Colonel zu. Dann spricht er ruhig: »Ja, das ist es. Soldaten müssen Befehlen gehorchen, selbst wenn es unsinnige Befehle sind. Soldaten müssen Böses tun, weil sie unter Befehl stehen. O verdammt, Colonel, das war schon immer so. Und das nennt sich Politik.«

Er will gehen.

Doch die Stimme des Colonels klirrt: »Helfen Sie mir oder nicht, Maddegan?«

Dieser hält inne und spricht: »Sie sind ein verdammter Erpresser, Colonel. Sie packen mich an meiner Ehre.«

»Richtig, Maddegan! Und ich kann Ihnen auch eine hohe Prämie zusichern.«

»Darauf verzichte ich, Colonel. Seit ich in den Bergen das Gold in der Höhle fand, bin ich unabhängig. Aber vielleicht reizt mich die Jagd auf ein zweibeiniges Raubtier.«

Nach diesen Worten geht Joe Maddegan hinaus.

Und der Colonel schlägt jetzt in Gedanken drei Kreuze, murmelt dann: »Halleluja, ich habe ihn.«

Sue Blaisdell sieht dem sich entfernenden Wagenzug nach.

Jene drei Reiter, die zu ihr und ihrem Wagen zurückkamen, um ihn aufzubocken, sind wieder zum Wagenzug zurück.

Sie ist allein.

Aber es sind ja nur drei Meilen bis nach Fort Laramie.

Tom muss bald zurück sein.

Die drei Helfer haben nicht nur den Wagen aufgebockt, sondern auch das verlorene Rad wieder auf die Achse gesetzt. Es fehlen nur noch die große Mutter und der starke Splint. Dann werden sie losfahren und den Wagenzug bis zum Abend eingeholt haben.

Sue wartet geduldig, hält sich auf der Sitzbank im Schatten der Plane und blickt nur manchmal in die Runde.

Es ist still auf dem Bozeman Trail.

Der ist keine richtige Straße, sondern nur ein von Hufspuren und Radfurchen geprägter Weg, der sich durch die Laramie Prärie zieht und den schon Tausende von Hoffnungsvollen zogen – entweder in die Goldfundgebiete von Montana oder abbiegend in Richtung Oregon.

Die Stille in ihrer Umgebung macht Sue schläfrig Sie schläft zwar nicht richtig ein, fällt jedoch in einen Halbschlaf.

Sie schreckt dann auf, als sie ein Pferd kommen hört.

Es ist ein Hufschlag von eisenbeschlagenen Hufen. Und so ist sie sicher, dass Tom zurückgeritten kommt.

»Oha, du hast dich mächtig beeilt, Tom«, murmelt sie und springt vom Wagen nieder. Dann aber erlebt sie den schlimmsten Schock ihres Lebens.

Denn sie sieht nicht Tom Blaisdell, ihren Mann.

Es kam ein anderer Reiter, ein Roter auf einem schwarzen Pferd.

Sue starrt zu ihm hoch und sieht in ein schwarz angemaltes Gesicht, dessen Schwärze von einigen roten Streifen auf den Wangenknochen ein wenig gemildert wird.

Aber es sind die Kriegszeichen der Arapaho. Sie weiß es nur noch nicht.

Black Eagles Oberkörper ist nackt. Nur um den Hals trägt er eine Kette von Bärenkrallen. Der Hengst und auch Black Eagle selbst sind mit gefärbten Federn geschmückt.

Fast völlig bewegungslos sitzt er auf seinem Pferd, das er inzwischen so gut unter Kontrolle hat, dass es still steht wie eine Statue.

Auch Sue betrachtet den Ankömmling bewegungslos so wie er sie.

Dann spricht sie heiser: »Mein Mann wird gleich hier sein, Roter.«

Sie erwartet nicht, dass der Indianer sie versteht.

Doch er schüttelt den Kopf und spricht mit kehliger Stimme, doch in einem recht guten Englisch: »Er wird nicht mehr kommen, Squaw. Ich habe ihn getötet. Und du gehörst jetzt mir. Du bist wunderschön. Und die Wasicuns sind mir eine Squaw schuldig. Du wirst nun an meiner Seite bleiben.«

Sie will es nicht glauben. Und es wird ihr für einen Moment schwarz vor Augen.

Auch möchte sie die Flucht ergreifen.

Doch dann holt ihr Verstand sie wieder ein. Ihr Überlebenswille wird nun mächtig in ihr. Und so bekommt sie sich unter Kontrolle.

Denn sie begreift, dass Panik ihr nicht helfen kann.

Sie ist eine starke Frau.

Ihre Stimme klingt fest, als sie erwidert: »Ich bin in deiner Hand, Roter. Vielleicht werde ich mich bald selbst töten, denn ich weiß noch nicht, ob ich das, was jetzt sein wird, ertragen kann.«

Er starrt sie wortlos eine Weile an, und sie weiß, dass er sich immer stärker ihrer ganz besonderen Schönheit bewusst wird, so etwa wie ein Jäger, der eine besondere Beute erlegen konnte.

Sie erwidert seinen Blick fest, zeigt ihm, dass sie kein vor Furcht flatterndes Huhn ist. Ihr Instinkt sagt ihr, dass sie sich seinen Respekt erwerben muss, auch wenn sie als Gefangene in seiner Gewalt ist.

Sie wird sich wieder seiner Worte bewusst. Die Wasicuns – also die Weißen – sind ihm eine Squaw schuldig. Ja, so drückte er sich aus. Und so ahnt sie, dass er durch Schuld der Weißen seine Frau verlor und sie das nun ausbaden muss, weil er Rache nehmen will.

Einen Moment denkt sie auch an Tom, der mit ihr nach Oregon wollte. Nun ist er tot, weil ein verdammter Dummkopf die Radmutter auf der Achse nicht richtig mit einem Splint sicherte und er – Tom – dies nicht kontrollierte.

Der Wagenzug mit den Begleitreitern ist schon sehr weit weg. Sie kann ihn in der meilenweiten Ferne nicht mehr sehen, obwohl die Laramie-Prärie der Oberfläche eines gelblichen Meeres gleicht, also weite Sicht möglich ist.

Sie ist allein und diesem Wilden ausgeliefert.

Aber ist er ein Wilder?

Sie weiß nicht, zu welchem Volk er gehört, zu welchem Stamm in diesem Volk.

Er könnte ein Sioux sein, von denen es sieben Stämme gibt. Aber auch ein Cheyenne, Arapaho oder Kiowa wäre möglich.

Sind diese stolzen Reiter der Hochprärie Wilde? Besitzen sie keine Ehre, keinen Stolz?

Indes sie sich dies fragt, verlässt er sie und klettert in den Wagen, sucht darin nach irgendwelchen Dingen.

Sue möchte fortlaufen. Doch sie begreift im nächsten Moment, dass es dumm wäre. Sie würde ihm nicht entkommen.

Als sie sich einige Schritte bewegt, um am Wagen vorbei in Richtung Laramie blicken zu können in der Hoffnung, es würde jemand auf dem Wagenweg kommen, da sieht sie Toms Pferd. Er hat es mitgebracht. Nun steht es hinter dem Wagen, so als erwartete es, wieder angebunden zu werden.

Black Eagle wirft einige Dinge aus dem Wagen. Es sind Decken, Proviant, Kleidung und andere Dinge, zuletzt einen Packsattel.

Er springt vom Wagen und nickt Sue zu.

»Wir nehmen eines der Maultiere als Packtier mit. Du kannst dir aus dem Wagen holen, was du glaubst, haben zu müssen für einen langen Weg an meiner Seite. Denn was wir nicht mitnehmen können, wird hier verbrennen. Und vielleicht brennt dann die Prärie bis zum Fort der Mila Hanskas. Der Wind steht gut. Und das Büffelgras ist wieder trocken. Also beeile dich, Squaw!«

Seine Stimme klingt zuletzt scharf.

Sie aber weiß, dass sie wie eine folgsame Squaw gehorchen muss.

Natürlich möchte sie schluchzen, weinen, ist einen Moment lang am Zerbrechen.

Doch dann fängt sie sich wieder.

Verdammt, denkt sie, er ist auch nur ein Mann. Ob er an seinem Körper stinkt oder Läuse hat? O verdammt, ich werde ihn ertragen müssen, will ich überleben und nicht geschlagen werden. O verdammt!

Sie sind eine halbe Stunde später aufbruchbereit.

Als sie anreiten, sitzt Sue auf Toms Pferd und in Toms Sattel. Ja, sie ist eine gute Reiterin. Das war sie schon als Kind, nachdem sie ihr erstes Pony bekam.

Hinter ihnen brennt der Wagen und beginnt die Prärie zu brennen. Denn der Wind bläst das Feuer nach Südosten.

Dort führt der Wagenweg zurück nach Laramie.

Vielleicht wird der Creek vor dem Fort und der kleinen Stadt das Feuer stoppen. Denn der Wind bläst nicht so stark, dass der Funkenflug groß ist.

Sue sieht sich noch einmal um. Es ist ihr, als würde mit dem Wagen auch all ihre Vergangenheit verbrennen.

Denn nun ist sie eine Squaw. Sie gehört einem stolzen Krieger, dessen Namen sie noch nicht einmal kennt.

Was wird sein? Kann sie auf etwas hoffen?

4

Das Feuer bricht am Laramie Creek tatsächlich zusammen. Und es breitet sich auch nur wenige Meilen weit aus nach Ost und West.

Eine Patrouille verlässt das Fort, um nach der Ursache des Feuers zu suchen.

Als sie zwei Stunden später zurückkommt, da weiß man im Fort endlich Bescheid. Denn die Patrouille fand die übel verbrannte Leiche von Tom Blaisdell und fast zwei Meilen weiter die Reste des verbrannten Planwagens.

Eine halbe Stunde später verlässt der Scout Joe Maddegan das Fort.

Es ist für ihn der Beginn der Jagd auf Black Eagle. Und er weiß auch, wer der verbrannte Tote ist, nämlich jener Tom Blaisdell, der zuvor in Laramie eine Radmutter und einen Radsplint holte und dem Storehalter sagte, dass er es eilig hätte, weil er seine Frau allein beim Wagen auf der Prärie etwa drei Meilen weit vom Fort zurückgelassen hätte.

Als Maddegan dem verbrannten Wagen erreicht, sitzt er ab und betrachtet sorgfältig alle Spuren. Es ist fast so, als könnte er das Vorgefallene lesen wie die Geschichte in einem Buch.

Als er wieder aufsitzt, verharrt er noch einige Atemzüge lang regungslos im Sattel und erinnert sich an die schöne Frau, deren schwere Einkaufskörbe er trug.

Die Zeichen am Boden sagten ihm, dass ein indianischer Reiter kam und Sue Blaisdell mit sich nahm.

In Joe Maddegan ist ein tiefes Mitgefühl, ein starkes Bedauern. Die Schöne tut ihm sehr Leid.

Endlich reitet er an und folgt der Fährte.

Doch inzwischen wurde es später Nachmittag. Er weiß, dass er den Roten mit dessen Beute vor Nachtanbruch nicht einholen kann.

Und in der Dunkelheit wird der Rote die Richtung wechseln.

Dann hat er eine ganze Nacht – und das sind zumindest acht Stunden bis Tagesanbruch und genügend Licht – Vorsprung.

Für Maddegan steht fest, dass er auf einer sehr langen Fährte wird reiten müssen und er den Vorsprung nur aufholen kann, wenn der Rote aufgehalten wird.

Ja, er glaubt, dass es sich um Black Eagle handelt, der eine Sharps erbeutete und damit ein ganzes Aufgebot von Indianerkillern in die Flucht schlug, weil ihm der uneinholbare Hengst ein Entkommen ermöglichte.

Immer wieder sieht Maddegan das Bild der schönen Sue vor seinen Augen.

Sie verlor ihren Mann und gehört nun Black Eagle wie eine Kriegsbeute.

Joe Maddegan kann Black Eagle gut verstehen. Denn dieser muss innerlich brennen vor Hass und Rachedurst. Und so sehr er den Roten versteht, so sehr wünscht er die Bande von Indianerkillern zur Hölle.

Denn die Ursache des ganzen Dramas wurde von ihnen geschaffen. Und dass Black Eagle ihren Anführer töten konnte, das findet Maddegan nur gerecht.

Er bleibt auf der Fährte der beiden Pferde und des beladenen Maultiers, bis die Dunkelheit anbricht. Sie folgt in einiger Entfernung dem Wagenweg, an dem sich noch vor zwei Jahren die Forts Reno, Phil Kearny und Smith befanden, dann aber nach Friedensverhandlungen aufgegeben und von den Indianern verbrannt wurden. Maddegan glaubt, dass Black Eagle in der Nähe des Bozeman-Trails bleiben und weiter nach Nordwesten ziehen wird. Denn hier am Wagenweg kann er immer wieder zuschlagen, Rache nehmen an den Wasicuns.

Und zwischendurch – Maddegan flucht bei dem Gedanken – wird der Rote sich seine neue Squaw unter die Decke holen.

Als es Nacht wird, sieht Maddegan die Feuer und Lichter des Wagenzuges vor sich in einer Senke. Es ist der Wagenzug, zu dem die Blaisdells als letzter Wagen fuhren.

Er reitet darauf zu, wird später von einem Posten angerufen und reitet weiter bis zum Feuer des Wagenzugführers, den er gut kennt.

Der Mann heißt Bill Weaver und gehört zur Kaste der Scouts und Bergläufer.

»Du kannst noch deinen Bauch füllen, Joe«, sagt der Wagenzugführer und grinst zu ihm hoch. Dann aber kommt auch schon die Frage: »He, Joe Maddegan, bist du unterwegs auf den Wagen der Blaisdells gestoßen? Hast du ihn überholt? Oder ist denen schon wieder ein Rad abgefallen?«

»Nein, Bill. Die kommen nicht mehr nach. Jener Tom Blaisdell ist tot. Der Wagen brannte ab und verursachte ein Präriefeuer. Und ein kleiner Arapaho-Häuptling mit Namen Black Eagle hat Blaisdells Frau bei sich.«

Nach diesen Worten sitzt Maddegan ab, lässt die Zügel seines grauen Wallachs einfach zu Boden fallen und setzt sich zu Weaver und einigen anderen Männern ans Feuer.

Der Koch bringt ihm einen Blechteller voll Stew und dazu einen Becher Kaffee. Die Männer am Feuer schweigen eine Weile, und sie wirken betroffen.

Einer murmelt knirschend: »Oooh, sie ist eine wunderschöne Frau. Ihr Lächeln war ein Geschenk für uns, als wir ihren Wagen aufbockten. Und jetzt ist sie in der Gewalt eines Roten?«

Maddegan nickt nur. Er hockt wie ein Indianer am Boden und beginnt den Teller zu leeren.

Dann aber fragt Bill Weaver: »Und du willst Black Eagle die Schöne wieder abnehmen, nicht wahr?«

Maddegan nickt kauend, schluckt den Bissen hinunter und erwidert: »Das wird ein faires Duell. Er hat eine Buffalo Sharps und ich habe ebenfalls eine. Ich muss nur aufpassen, dass er mich nicht zuerst erledigt.«

Als er verstummt und mit dem Löffel im Blechteller kratzt, da flucht Bill Weaver und sagt trocken: »O ja, es ist alles ganz einfach. Wer zuerst schießen kann, der hat gewonnen.«

Maddegan nickt kauend.

Dann ruft er über die Schulter zum Koch hinüber, der noch am Küchenwagen hantiert: »He, Doc, die haben Glück mit dir!«

»Wenn sie das nur begreifen!«, ruft der Koch zurück. »Aber wenn sie mir für die Kochfeuer morgen nicht genug trockenen Büffeldung bringen, bekommen sie kein warmes Essen. Ich jedenfalls sammle auf der Prärie keine Büffelscheiße!«

Die Männer am Feuer grinsen nur, keiner lacht.

Dann aber spricht einer: »Unser Doc hat mal für General Lee gekocht.«

»Das habe ich auch!« Der Koch ruft es bissig. »Lee war ein Gentleman.«

Aber dann ist es ruhig am Feuer der Männer.

Gewiss denkt jetzt jeder an die schöne Sue Blaisdell. Sie alle kennen die Geschichten von Frauen, die von Indianern geraubt wurden.

Maddegan verbringt eine unruhige Nacht, denn er muss immer wieder an Sue Blaisdell denken und sich vorstellen – er kann nichts dagegen tun –, was Black Eagle mit ihr macht. Das quält ihn sehr. Er kennt Black Eagle nicht, obwohl er als Scout und Jäger in diesem Land immer wieder mit Indianern aller Stämme in Berührung kam, auch mit ihren großen Häuptlingen. Er spricht ihre Sprache. Und er war ja mal ein Squawmann, der mit einer schönen Arapaho zusammenlebte. Die Roten achten ihn. Und bei den Friedensverhandlungen war er oft Dolmetscher.

Doch Black Eagle kennt er nicht. Dieser war stets ein kleiner Häuptling, was allerdings nicht zu bedeuten hat, dass Black Eagle unterschätzt werden darf. Er ist vielleicht auch nur deshalb ein kleiner Häuptling geblieben, weil er sich niemals vordrängte.

Es ist dann im Morgengrauen – er nahm das Frühstück stehend neben dem Küchenwagen ein –, als er sich wieder auf den Weg macht.

Und als die Sonne endlich aufgeht und ihr lebenswichtiges Licht auf die Erde fallen lässt, da findet er bald die Fährte wieder.

Zwei Sattelpferde und ein Maultier mit eisenbeschlagenen Hufen, keine unbeschlagenen Mustangs.

Die Fährte ist nun länger als eine Nacht alt.

Wird er jemals Black Eagle und dessen Gefangene einholen können?

Eigentlich ist er da ziemlich sicher. Denn Black Eagle wird immer wieder seine Zeichen der Rache hinterlassen, selbst wenn er alle Hufspuren tilgen kann.

Der Rote wird vorerst in der Nähe des Bozeman Trails bleiben, um immer wieder Opfer zu finden und seinen Rachedurst stillen zu können.

Maddegan fühlt sich irgendwie hilflos. Und immer wieder hat er das Bild der schönen Sue vor Augen.

Am zweiten Tag erreicht er zwei frische Grabhügel dicht neben dem Wagenweg.