Martin Huber

Saat der Rache

Die Chronik der Niflungen

 

 

 

Inhaltsverzeichnis

Titel

Impressum

Widmung

PROLOG – Aldrians Zeugung

TEIL I – Der Verrat

Die frühen Jahre

Das Gastmahl zu Bern

Sigfrids Jugend

Der Vasall

Sigfrid und Grimhild

Gunter und Brunhild

Veränderungen

Bedachte und unbedachte Worte

Der Meuchelmord

TEIL II – Die Vergeltung

Attalos Brautwerbung

Boten aus Susat

Auf die Pferde!

Hol über!

Ein großzügiger Gastgeber

In Susat

Teurer Wein

Blutrausch

Hagens Tod

EPILOG – Aldrians Rache

NACHWORT

Die Geschichte hinter der Chronik

Geschichtliche Ergänzungen

ANHANG

Das Geschlecht der Niflungen

Die Gaue der Niflungen-Chronik

Die handelnden Personen

Berühmte Schwerter

Glossar

Impressum neobooks

Impressum


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Grafiken © Copyright by Martin Huber

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ISBN: 978-3-7427-8792-7

Widmung




Für Nüriye



PROLOG – Aldrians Zeugung



Mit einem kaum unterdrückten Aufschrei fiel Hagen zurück auf das Lager. Märeth rollte vorsichtig von ihm herunter. Die Wunde an seiner rechten Seite war wieder aufgebrochen. Von der Mitte aus färbte ein zunehmend größer werdender Blutfleck die Bandagen.

Rasch erhob sich die junge Frau und holte Wasser, Moospolster und frische Binden. Während sie den Verband erneuerte, gingen ihr die Ereignisse der letzten Tage durch den Kopf.

Der prächtige Einzug der Niflungen in die Burg Susat und die freundliche Begrüßung durch König Attalo. Die emsigen Vorbereitungen für das Festmahl, die zunehmende Nervosität bei den Gästen und dazwischen die Königin, Grimhild, die ruhelos und auffallend bleich ständig auf Irung, Osid und andere Männer einredete. Danach das Gastmahl, das so fröhlich begann und in einem Blutbad enden sollte. Als Jungherr Aldrian von seiner Mutter direkt zu Hagen lief und ihm mit der Faust ins Gesicht schlug. Und wie Hagen daraufhin aufsprang, den Knaben mit der einen Hand an seinem Schopf festhielt und…

Märeth senkte den Kopf und versteckte die Tränen hinter ihren Haaren, während sie weiter die Wunde wusch. Die Erinnerung an den irren Gesichtsausdruck Grimhilds, ihr Weinen und Lachen, als sie die blutigen Hände an ihrem weißen Kleid abzuwischen versuchte – diese Erinnerung würde sie wohl ihr Leben lang verfolgen.

Damit begann ein zweitägiges Gemetzel, wie es Susat noch nicht erlebt hatte. In der Steingasse hinter dem ummauerten Burggarten floss das Blut buchstäblich in Strömen bergab. Der Blutgeruch hing nach wie vor über der Burg und der Nachhall der Schreie und das Klirren der Waffen klangen Märeth noch in den Ohren.

Am Ende waren alle Niflungen tot – alle bis auf einen: Hagen. Der lag jetzt schwer verletzt vor ihr auf dem Bett und die Schwertwunde an seiner rechten Flanke hörte nicht auf zu bluten!


Es war am Abend des zweiten Kampftages, als kein Gefechtslärm mehr in die Kammer drang, in die Märeth sich mit anderen Frauen geflüchtet hatte. Plötzlich hörten sie Schritte vor der Tür, es klopfte und Didrik, ihr Oheim, betrat den Raum. Er war erschöpft, bleich im Gesicht, gezeichnet von seinen Wunden und sein Gewand war zerschlissen und blutgetränkt.

„Märeth“, sagte er, „du verstehst doch etwas von Wundpflege. Ich brauche deine Hilfe!“ Ohne zu zögern, stand sie auf und folgte ihm. Auf dem Weg fragte sie:

„Seid ihr arg verletzt, Oheim?“ Didrik erwiderte ihr:

„Danke, dass du dich um mich sorgst, Märeth, aber es gilt nicht meine Wunden zu pflegen.“ Er blieb stehen, nahm sie bei der Hand und sah ihr fest in die Augen. „Du kennst Hagen?“ Sie nickte. „Er ist todwund“, fuhr der Oheim fort. „Wir waren Freunde fürs Leben und nur dieser leidige Zwist hat uns zu Feinden gemacht. Ich habe ihn in einem ehrenhaften Kampf niedergerungen. Aber jetzt ist er so stark verwundet – ich fürchte, er wird nicht mehr aufkommen.“

„Nun, ich will sehen, was ich für ihn tun kann“, erwiderte sie.

„Hagen hat einen letzten Wunsch geäußert“, fuhr Didrik fort. „Er will einer Frau beiliegen, bevor er stirbt, um sein Vermächtnis zu hinterlassen. Das ist sein gutes Recht, auch wenn sich dieses gegen meinen Herrn, Attalo, richtet. Also eilen wir“, sagte er und nahm seine Schritte wieder auf, „denn ich muss noch sehen, dass ich eine Frau finde, welche bereit ist, mit ihm die Nacht zu verbringen.“

Märeth hielt einen Augenblick inne, als sie dies hörte. Didrik blieb ebenfalls stehen und wandte sich zu ihr um.

„Was ist? Warum zögerst du?“

„Ihr braucht nicht weiter zu suchen“, antwortete sie ihm. „Ich werde die Nacht bei ihm bleiben. So kann ich ihm auch helfen, wenn er meine heilkundige Hand benötigt.“

„Märeth, du hast mich nicht verstanden. Er will eine Frau zum Beischlaf, um einen Bluträcher zu zeugen.“

„Doch, das ist mir bewusst, Oheim Didrik.“

„Aber Hagen war es auch, der deinen Vater erschlagen hat, wie du ja vielleicht schon erfahren hast!“ Didrik rang nach Fassung, da er sich die Beweggründe der jungen Frau nicht erklären konnte.

Abermals zögerte Märeth kurz, dann schüttelte sie abwehrend den Kopf.

„Ein Bote hat mir das tatsächlich schon zugetragen. Jedoch hat er in ehrlichem Kampf gesiegt. Da gibt es nichts, was ich ihm vorwerfen müsste.“ Märeth hatte ihre Schritte wiederaufgenommen und Didrik folgte ihr.

„Aber eine Bedingung habe ich, Oheim“, fügte sie hinzu, an der Tür zur Kammer, in der Hagen lag, noch einmal innehaltend. „Ihr dürft niemandem auch nur ein Wort davon sagen. Das müsst ihr mir schwören. Wenn ihr damit einverstanden seid, werde ich heute Nacht mit Hagen das Lager teilen.“

„Wenn ihr darauf besteht: einen Eid auf mein Stillschweigen“ entgegnete ihr Didrik. Unvermittelt hatte er von der gewöhnlichen Anrede der deutlich Jüngeren zur ehrenvollen Bezeichnung gewechselt, als hätte er eine hohe Frau vor sich. Märeths Beweggründe blieben ihm allerdings ein Rätsel. Doch der Blick der jungen Frau hielt ihn davon ab, weiter in sie zu dringen.


Sie war achtzehn Jahre alt. Seit sie vierzehn Lenze zählte, wollte man sie immer wieder einem Mann zum Weib geben, wogegen sie sich stets heftig zur Wehr zu setzen verstand. Zweimal hatte ihr Vater, Irung, der Gefolgsmann der Königin, einen Brautlauf arrangiert und musste dann zähneknirschend den Brautpreis zurückzahlen, weil seine Tochter ausgerissen war und sich in Susats umliegenden Wäldern versteckt hielt. Dort fand sie Unterschlupf bei einer alleinlebenden kundigen Frau, Dankrun mit Namen, welche Märeth ihr Wissen weitergab. So befasste sie sich schon mehrere Jahre mit dem Erlernen von Kräuter- und Heilkunde und gab nichts auf das Gerede ihrer Umgebung, dass sie sich für keinen Mann gut genug sei. Und so kam Märeth unter die Vormundschaft Didriks, denn nachdem er das zweite Mal den Brautpreis zurückzahlen musste, sagte Irung sich von seiner Tochter los.

Märeth wusste, was dieses Vermächtnis, von dem Didrik gesprochen hatte, bedeutete. Der Blutrache einen Weg zu ebnen, war ein heiliger Akt. Es gab für einen Mann nichts Schlimmeres, als ungerächt zur Todesgöttin Hel zu fahren. Wenn sie ihm einen Bluträcher schenkte, könnte sie ihm seinen Frieden geben und gleichzeitig ihr Heil mehren. Aber Hagens Beweggründe allein waren nicht ausschlaggebend, dass sie sich dazu bereit erklärte. Was Didrik nicht wusste: Sie selbst wollte einen Rächer zeugen.

Als Märeth dreizehn Jahre alt war – wenige Monate nach ihrer Ankunft in Susat, in Grimhilds Gefolge zusammen mit ihren Eltern – lag sie eines Tages im Stroh des Reitstalles der Burg. Sie hatte den Wurf einer Katze entdeckt und mit den kleinen Fellknäueln gespielt, bis das Muttertier fand, dass es genug sei, ihre Jungen eines nach dem anderen in die Tiefen des Strohgebirges trug und dem Mädchen mit einem Fauchen zu verstehen gab, dass es dort nicht willkommen sei.

Sie hätte auf die Katze hören und den Stall verlassen sollen. Aber das Heu duftete und die Wärme der Tiere lullte Märeth ein.

Als sie aufwachte, stand ein Mann über ihr – es war Attalo, der König. Von einem Ausritt zurückgekehrt, fand er das schlafende Mädchen im Stroh. Den Stallknecht hatte er daraufhin mit einem fadenscheinigen Vorwand fortgeschickt und war soeben dabei, seinen Gürtel zu lösen. Sein Beinkleid fiel zu Boden und er kniete sich über Märeth. Sie wollte schreien, aber eine Hand bedeckte ihren Mund und die andere umfasste die Gurgel des Mädchens. So groß war die Pranke des riesigen Mannes, dass sie den zarten Hals fast ganz umschloss:

„Wenn du leben willst, dann schweigst du jetzt und für immer. Hast du verstanden?“

Was konnte das Mädchen, fast noch ein Kind, gegen den Hünen ausrichten; also nickte sie. Die nächsten Augenblicke wollten nicht enden und sie biss sich in die Hand, um den Schmerz der Entjungferung nicht hinauszuschreien. Als der König von ihr abließ, sagte er beiläufig, während er sich wieder gürtete:

„Vergiss nicht, wenn du leben willst – zu niemanden ein Wort darüber!“ Dann stieg er über das weinend im Stroh liegende Mädchen hinweg und stapfte aus dem Stall. Die unmittelbar danebenstehende Stute, die daraufhin mit ihren samtweichen Nüstern Märeths Gesicht berührte, war der einzige Trost, den das Mädchen nach dieser Qual erhielt.

Das also war der Grund, warum sie sich der Vermählung durch ihren Vater widersetzt hatte. Es wäre nicht mehr zu verheimlichen gewesen, dass sie ihr Magdtum schon verloren hatte. Das wiederum hätte nicht nur Schmach und Schande über ihre Familie gebracht, sondern sie auch das Leben kosten können.

Märeth hatte es nie vergessen. Sie hasste Attalo aus tiefstem Herzen. Aber sie war eine Frau und zur Rache nicht berechtigt. Wenn jedoch Hagen einen Bluträcher zeugen wollte, dann trug sie gerne das Ihre dazu bei.


Als sie mit Didrik die Kammer betrat, lag dort Hagen noch bleicher als sonst auf der Bettstatt. Sein schwarzes Lederwams war völlig zerfetzt und blutverschmiert und in einem noch verheerenderen Zustand wie das Didriks. Auch er zeigte zahlreiche Wunden, aber am bedrohlichsten schien der große Blutfleck auf dem Laken unter seiner rechten Flanke zu sein.

Märeth sah sich den Recken genauer an. Sie kannte ihn schon aus ihren Kindertagen in Vernica und hier in Susat hatte sie ihn wieder beim Umzug der Niflungen durch die Stadt und danach beim Festmahl erblickt. Da sah sie ihn zum ersten Mal mit den Augen einer Frau. Er war nicht schön anzusehen, wenngleich er stattlich und gut gewachsen war und etwas Faszinierendes, fast Magisches in seinem Ausdruck hatte. Von der lauernden Wildheit seines Blickes aus dem einzelnen, linken Auge fühlte sich Märeth auf eine eigenartige Weise gleichzeitig angezogen und eingeschüchtert.

„Oheim Didrik“, sagte sie, „helft mir, ihn aus der Rüstung zu bringen“. Zu zweit richteten sie den Verwundeten auf und schälten ihn aus den Resten des ledernen Harnischs. Dies bedurfte all ihrer Aufmerksamkeit, damit sie sich selbst nicht an den schartig gehauenen Metallteilen verletzten. Hagen zerquetschte einen Fluch zwischen den Zähnen, aber die Schmerzen brachten wieder etwas Farbe in sein Gesicht. Er öffnete das Auge und sah Märeth vor sich, die ihm gerade die Lederriemen aufknotete. Mit einem durchdringenden Blick musterte er die junge Frau.

Nachdem sie ihn zu zweit seiner Kleider entledigt und vollständig nackt ausgezogen hatten, begutachtete Märeth die zahlreichen Wunden. Unzählige sah sie über den geschundenen Körper verteilt. Viele davon so schwer, dass sie jeden anderen auf der Stelle kampfunfähig gemacht hätten. Wie der große Lappen aus Haut und Muskeln an seinem linken Schenkel, von Hagen selbst provisorisch im Kampf verbunden.

Unter all den Verletzungen fand sich aber am rechten Rippenbogen der klingenbreite Stich von Ekkisax, Didriks Schwert, aus der ununterbrochen das Blut floss. ‚Hier rinnt das Leben aus dem Körper‘, dachte Märeth. Sie presste einen Stofflappen auf die Wunde und sagte zu Didrik:

„Drückt dies fest an, Oheim. Ich hole Verbandzeug.“ Damit eilte sie aus dem Zimmer.

Didrik saß neben Hagen auf der Bettkante, der wieder mit geschlossenem Auge in seinen Laken lag und schaute ihm in das blasse Gesicht.

„Mein Freund, du weißt, dass wir unserer Bestimmung folgten. Du musstest für die Sache deines Königs kämpfen und ich war meinem verpflichtet. Wie es aussieht, habe ich dir den Weg zur Hel bereitet. Aber mit Bestimmtheit hättest du im umgekehrten Fall ebenso gehandelt. Wir sind nun einmal Krieger und das ist unser Handwerk. Dafür brauchen wir einer dem anderen keinen Vorwurf machen. Märeth – sie ist die Tochter Irungs – wird dir deinen letzten Wunsch erfüllen und das Lager heute Nacht mit dir teilen. Ehre sie! Sie ist eine Frau mit besonderen Fähigkeiten und sie wird alles daransetzen, dein Vermächtnis weiterzugeben.“

Hagen öffnete das Auge, als Didrik geendet hatte, und ein Grinsen erhellte sein von Schmerzen angespanntes Gesicht:

„Mach nicht so viele Worte um die paar Scharten. Was war das für ein vortrefflicher Kampf. Ich ärgere mich nicht darüber, dass du mich geschlagen hast. Nur schade, dass zahlreiche ausgezeichnete Männer wegen Grimhilds Zorn zur Hel fahren mussten.

Aber was das Mädchen betrifft: Da hast du gut gewählt, mein Freund!“

„Du irrst dich,“ entgegnete ihm Didrik. „Nicht ich habe sie ausgesucht, sondern sie dich!“

Bevor Hagen nachfragen konnte, wie sein Gegenüber das gemeint hätte, betrat Märeth wieder die Kammer. Die beiden unterbrachen ihr Gespräch, um der Frau nicht zu zeigen, dass sich die Unterhaltung um sie gedreht hatte.

Sie trug einen Krug mit heißem Wasser und eine kleine Truhe mit sich, die sie auf einem niedrigen Schemel neben dem Bett absetzte. Märeth öffnete sie und entnahm ihr getrocknete Moospolster und Baumflechten, einen Beutel mit fein gemahlenem Pulver der Blutwurz, einen Tiegel mit Harz und lange Stoffstreifen. Nachdem sie alle Verletzungen mit Wasser gereinigt und mit einem sauberen Tuch abgetrocknet hatte, streute sie die blutstillende Arznei auf die frischen Wunden, wobei sie nicht vergaß, die notwendigen Segenssprüche zu flüstern. Die meisten Blessuren hörten damit fast unmittelbar auf zu bluten. Sogar die Blutung aus der Flanke kam zum Stillstand, aber Märeth wusste, dass der Schwertstich tief reichte und das Pulver innen keine Wirkung tun konnte. Die größeren Wunden deckte sie mit Moospolstern, und zerzupften Rindenflechten zu, die älteren und die oberflächlichen Kratzer bestrich sie mit Harz aus dem Tiegel. Zuletzt fixierte sie die Wundauflagen mit Binden und versah die geharzten Wunden ebenso.

Didrik stand daneben und schaute ihr bewundernd zu, mit welcher Ruhe und Sicherheit sie die Verletzungen versorgte. Nach verrichteter Arbeit räumte sie alles wieder in die Truhe, erhob sich und sagte zu Didrik, jedoch den Blick fest auf Hagen gerichtet: „Ich habe getan, was ihr, Oheim, von mir verlangt habt. Ich tat es, so gut ich es vermochte. Aber euer Freund wird an dieser Wunde sterben. Das weiß er selbst, so sicher wie ihr und ich. Auch den zweiten Wunsch werde ich erfüllen und die Nacht hier bei ihm bleiben. Geht nun bitte und lasst uns allein.“

„Ich lasse euch noch Kräuterwein und etwas zu essen bringen“, sagte Didrik. „Lebt wohl“. Sich vor dem Verwundeten und Märeth verneigend, verließ er die Kammer.

„Du weißt, dass ich Irung, deinen Vater, im Kampf tötete“ fragte Hagen, als sie allein waren, und schaute Märeth forschend ins Gesicht.

„Ich weiß“, antwortete die junge Frau ruhig. „Erstens ist es kein Unrecht aus einem ehrenhaften Kampf als Sieger hervorzugehen und zweitens werde ich meinen Vater nicht vermissen. Er hat sich schon lange mehr um Grimhild gekümmert, als um Mutter und mich.“

„Du bist eine schöne Frau. Und du bist kundig und stark“, fuhr er fort. „Was hat dich bewogen, meinem Wunsch aus freien Stücken nachzugeben?“

„Ja, Hagen“, erwiderte Märeth. „Gegen meinen Willen würde ich nicht hier stehen. Aber ihr seid ein bedeutender Krieger. Sollte diese Nacht nicht folgenlos bleiben, so trage ich ein Kind von edelmütigem Blut, mit einer großen Aufgabe. Denn ich habe ebenfalls einen Auftrag für ihn: Er soll der Vollstrecker auch meiner Rache sein.“

Hagen schaute verwundert auf:

„Was hast du zu vergelten?“

„Attalo hat mich als Kind vergewaltigt“, antwortete sie leise mit gesenktem Kopf.

Hagen pfiff überrascht durch seine gespitzten Lippen und schaute sie durchdringend an.

„Das also hat dich bewogen. Du spielst ein gewagtes Spiel, Frau.“

„Das weiß ich“, entgegnete Märeth wieder erhobenen Hauptes, „aber du hast es schon selbst gesagt: Ich bin kundig und stark“, ergänzte sie mit einem stolzen Lächeln. Wie selbstverständlich hatte sie auf das vertraute ‚Du‘ gewechselt, nachdem sie ihm so tiefen Einblick in ihr Gemüt erlaubt hatte.

„Uns beide hat unser Schicksal widerstandsfähig gemacht“, pflichtete ihr Hagen bei. „Ich bin der Spross aus einer Vergewaltigung und du eine Vergewaltigte! Ich denke, wir sollten in der Lage sein einen würdigen Bluträcher zu zeugen!“

Es klopfte. Ein Bursche mit einer Fackel in der Hand erschien und eine Magd folgte ihm, ein Servierbrett tragend. Auf diesem fanden sich Brotfladen, Kornbrei, Fleisch und eine kleine Schale mit frischen Walderdbeeren, wohl die ersten des Jahres. Ein Krug mit Kräuterwein, einer mit Wasser und zwei Becher waren auch darauf angerichtet.

„König Didrik schickt euch dies“, sagte das Mädchen, indem sie das Brett abstellte. Der Sklave entzündete mit seiner Fackel eine zweite, welche in einem Halter an der Wand steckte und noch eine in einem weiteren Ringhaken. Dann schürte er das Feuer und legte Scheite nach. Bald prasselte es erneut und erwärmte zumindest diese Ecke des Raumes. Zwar war es ein lauer Spätfrühlingsabend, aber die Steinbauten Susats brauchten lange, bis sie die Winterkälte zur Gänze ausgeatmet hatten. Nach einer Verbeugung entfernten sich die beiden wieder unauffällig mit gesenkten Köpfen.

Märeth schenkte Kräuterwein in einen Becher, betrachtete nachdenklich den Inhalt im Schein des Fackellichtes und sagte zu Hagen: „Ich habe einen Trank in meiner Truhe, der könnte dir das Leiden nehmen. Wenn ich diesen in deinen Wein mische, hast du keine Schmerzen mehr. Du wirst müde werden und bald einschlafen – und vermutlich nicht mehr aufwachen, bis du vor Hel stehst.“

Hagen schüttelte den Kopf:

„Nein“, sagte er entschieden. „Solange meine Wunden schmerzen, weiß ich, dass ich noch lebe! Ich bin noch nicht fertig. Es gibt noch etwas zu erledigen.“ Er versuchte, sich aufzusetzen, um bequemer essen zu können, und verzog dabei sofort wieder das Gesicht. Märeth kam ihm zu Hilfe und stützte ihm den Rücken mit einer Deckenrolle. Eine Weile aßen und tranken sie schweigend. Nur einmal sagte Hagen, als er Märeth zuprostete:

„Auf Hel, die mich bald empfangen wird!“

Sobald sie fertig waren mit dem Mahl – beide hatten sie nicht viel gegessen – räumte die Frau das Brett zur Seite und bettete Hagen um. Der Wein und ihre Pflege hatten ihm gutgetan, er bekam wieder etwas Farbe im Gesicht und sein Herzschlag wurde ruhiger.

Sie stand vor seinem Lager, auf dem er auf Fellen und Decken ausgestreckt und mit geschlossenem Auge lag. Langsam griff sie sich ins Haar und holte die Spangen und Bänder heraus, die die Frisur zusammenhielten. Ihre vollen Locken fielen über Schultern und Rücken bis zu ihren Hüften. Sie nahm den Gürtel ab, der die beiden Hälften des Peplos verband. Zuletzt griff sie zu den zwei Fibeln an den Schultern und öffnete sie. Die Stoffbahnen glitten zusammen mit dem Unterkleid zu Boden. Das Fackellicht umschmeichelte ihren nackten Körper und verlieh der Haut einen seidigen Glanz.

Hagen hatte das Rascheln des fallenden Stoffes vernommen und öffnete das Auge. Was er sah, ließ sein Herz augenblicklich wieder schneller schlagen. Die Fackeln konnten den Hintergrund des Raumes nicht ausleuchten. So sah er Märeth vor einem dunklen Nichts fast schwebend, in ihrer, durch unruhiges Licht konturenbetonten Nacktheit, vor sich stehen.

„So wund kann ein Mann nicht sein“, flüsterte Hagen, „dass sich bei diesem Anblick nicht Leben in ihm regt“. Er streckte seine Hand der Frau entgegen, schlug mit der anderen die Bettdecke zurück und lud sie damit ein, sich zu ihm zu legen. Nicht nur die freundliche Geste, auch die Kälte des Raumes scheuchte Märeth unter die Decke.

Eine Weile lag sie seitlich ruhig in Hagens Arm, lediglich ihre Hand lag auf seiner Brust. Dort fing sie an, ihn zu liebkosen, denn es war, geschützt durch das Lederwams, der Teil seines Körpers mit den wenigsten Wunden.

Hagen wurde unruhig und wollte sich ächzend auf sie wälzen, aber Märeth verwehrte ihm dies.

„Lass gut sein“, sagte sie, „bleib einfach ruhig liegen und tue gar nichts.“ Hagen sah sie fragend an, aber da hatte sie sich schon rittlings auf ihn gesetzt und begann mit sanften Schaukelbewegungen ihres Unterleibs ihn zu erregen. Dem Haudegen war diese Art fremd. Im Allgemeinen hatte er sich auf die Frauen geworfen und nicht lange gefackelt. Aber jetzt empfand er es durchaus als entspannend, sich nicht anstrengen zu müssen. Der Genuss steigerte sich sogar zur Erregung, die ihn seine Schmerzen völlig vergessen ließ.

Auch Märeth genoss die Wogen der Lust sichtbar; ihr Atem ging rasch und die rosigen Knospen ihrer Brüste waren aufgerichtet. Als sie Hagen schließlich in sich eindringen ließ, konnte er ihre Erregung spüren – er glitt gleichsam in ein warmes feuchtes Kissen. Märeth änderte die Hin-und-her-Bewegung ihres Beckens in ein Auf-und-ab, welches beide rasch zum Höhepunkt kommen ließ. Zuletzt bäumte sich Hagen keuchend auf und presste sein Gesicht zwischen Märeths Brüste, die sie ihm, ebenfalls sich aufbäumend, entgegenstreckte.

Schweißgebadet sank Hagen ächzend zurück und Märeth glitt von ihm herunter. Als sie ihn mit ihrem Arm umfasste, griff sie in frisches Blut, welches aus dem Verband an seiner Flanke hervordrang. Erneut machte sie sich daran, die Wunde zu verbinden. Hagen ließ es ruhig geschehen und schien diesmal kaum Schmerzen zu haben. Die Erregung, die durch seinen Körper pulsierte, hatte jede Pein betäubt. Als Märeth fertig war, deckte sie Hagen sorgfältig zu. Dabei bemerkte sie, dass sie immer noch nackt war und fror. Sie nahm eine Decke, rollte sich in sie ein, schürte das Feuer und legte nach. Dann setzte sie sich zu Hagens Füßen auf sein Lager, da sie dort näher zu den wärmenden Flammen saß.

„Wäre doch schade gewesen“, sagte Hagen mit einem Lächeln auf den Lippen, „wenn du mich mit deinem Trank betäubt hättest.“ Plötzlich fixierte er die junge Frau mit seinem einzelnen Auge. Sein Blick durchbohrte sie geradezu. Er atmete tief und die Stimme wechselte, wurde rauer, als er sagte:

„Diese Nacht ist unser Brautlauf und ich schenke dir meiner Braut drei Dinge. Das Erste hast du eben erhalten. Wenn du in der Zeit einen Sohn gebären wirst, sollst du ihn Aldrian nennen. Hörst du! Aldrian soll er heißen“, betonte Hagen eindringlich.

„Ich will tun, was du sagst“, antwortete Märeth. Dann sah sie ihr Gegenüber nur fragend an; sich nach den anderen Geschenken zu erkundigen verbot ihr der Anstand.

„Des Weiteren erhältst du von mir noch eine Geschichte und einen Schlüssel“, sagte Hagen. „Genauer gesagt: meine Geschichte. Sie ist sowohl für dich, damit du weißt, wer dein Gatte war, als auch für Aldrian, der, falls er geboren werden sollte, seinen Vater nie zu Gesicht bekommen wird. Durch die Saga, die du ihm erzählen sollst, wird er wissen, wessen Blut in ihm fließt – und was er zu rächen hat.“

Er legte sich zurück in die Kissen und halb sitzend, halb liegend, machte er es sich so bequem, wie es ihm seine Wunden und Verbände erlaubten.

Und während draußen die Stadt von den Ereignissen der letzten Tage summte wie ein aufgescheuchter Bienenstock, saßen in der Kammer Hagen und Märeth beisammen. Nur der flackernde Schein des Kaminfeuers warf durch das Fenster einen schmalen Pfad des Lichts in die auf der Rückseite von Didriks Haus ruhig sich ausbreitende Dunkelheit.

Was hier in Susat in den letzten zwei Tagen zum tragischen Höhepunkt gekommen war, das hatte schon etwa vierzig Jahre vorher seinen Anfang genommen, als ein kleiner Knabe von seiner Herkunft erfuhr.

TEIL I – Der Verrat



Die frühen Jahre


Er war anders, ganz anders! Das Knäblein, das da in den Armen seiner Mutter lag, konnte unmöglich sein Bruder sein! Er hatte eine rosige Haut, einen weißblonden Schopf aus seidig weichen Haaren, ein rundes Gesicht und eine kleine Stupsnase. Hagen kannte mit seinen vier Jahren sein Spiegelbild gut. Eben war er wieder von einer Schlägerei heimgekehrt, weil sie ihn wegen seines Äußeren geneckt hatten – wie so oft. Schon vielmals hatte er im Teich oder im Silberspiegel der Mutter sein Gesicht betrachtet.

Er hatte schwarze strähnige Haare, die Haut war bleich und sein Blick, trotz der kindlich-großen Augen stechend. Und zwischen diesen saß eine gebogene, für ein Kind ungewöhnlich scharfkantige Nase, die seinem Antlitz den Ausdruck eines kleinen Raubvogels gab.

Eines Tages hatte ihm Oda erzählt, dass er ein Geschwisterchen bekommen würde. Lange hat es gedauert und seine Geduld auf eine arge Probe gestellt. Das Einzige, was sich verändert hatte, war Mutters Bauch, der anschwoll, dass er langsam befürchtete, sie würde bald platzen. Aber als er nun zerrissen und zerschrammt von einem Kampf mit seinen Spielkameraden nachhause kam, riefen ihn die Mägde in die Kammer der Mutter, er könne jetzt den Bruder ansehen.

Ein Bruder! So hatte er gehofft, dass es ein Bruder werden würde! Er wüsste wirklich nicht, was er mit einem Mädchen anfangen hätte sollen. Und so trat er in Erwartung eines ausgewachsenen Spielkameraden an das Bett seiner Mutter. Diese begrüßte ihn lächelnd:

„Mein Kind, heiße dein Geschwisterchen Gunter willkommen!“

Aber was war das!

Ein kleines Bündel mit zappelndem und schreiendem Inhalt, der aber sicher nicht zum Spielen geeignet war. Und vor allem: Er war anders! Hagen hatte so gehofft, dass sein Bruder wäre wie er selbst, aber er glich eher seinen Spielkameraden als ihm. Er fühlte sich verraten; in seiner Enttäuschung schrie er die Mutter an:

„Wieso ist er so anders?“

Vielleicht war es die Erschöpfung nach der Geburt, möglicherweise schien es Oda auch der richtige Augenblick zu sein ihm die Wahrheit zu sagen. Wie auch immer, es fuhr aus ihr heraus:

„Weil ihr nicht dieselben Väter habt, mein Sohn!“

Hagen hörte zwar die Antwort und gab sich damit zufrieden, aber er verstand sie nicht in ihrer vollen Bedeutung. Irgendwie dämmerte es ihm jedoch, dass nicht sein Bruder, sondern er anders geartet war. Gunter war wie alle anderen Kinder, aber er stand allein da. Die Erwiderung seiner Mutter bezüglich ‚der Väter‘ war nicht vollständig bei ihm angekommen.

Es wunderte Hagen nur, was für ein Aufheben um seinen Bruder gemacht wurde. Wie der Häuptling kurz nach ihm die Kammer betrat, Oda den Säugling aus dem Arm nahm und das Bündel, wie ein rohes Ei haltend, in die Halle trug. Dort waren alle aus Vernica zusammengerufen worden. Der Saal war brechend voll. Aldrian stellte sich vor seinen Hochsitz, hob das Neugeborene in die Höhe und rief:

„Ich habe einen Sohn! Ehrt Gunter! Er wird einmal euer Häuptling sein!“

Die Menge schrie:

„Heil Gunter! Heil Aldrian!“ Und die Edlen schlugen mit den Schwertern auf die Schilde. Der Lärm verschreckte den Säugling in Aldrians Arm und er begann fürchterlich zu schreien. Rasch gab der Häuptling Gunter einer Magd, welche ihn zurück zu seiner Mutter in die Kammer brachte.

Hagen wunderte sich aber, warum sein Vater der Menge zugerufen hat, er habe einen Sohn, wo seine Mutter ihm eröffnet hatte, sie hätten nicht ein und denselben Vater. Und wieso Gunter Häuptling werden sollte, wo er doch nach ihm geboren worden war. Seine Verwirrung konnte nicht größer sein und dies beschäftigte ihn lange. Er hatte dazu jedoch genügend Zeit, denn es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bevor sein Bruder halbwegs als Spielkamerad zu gebrauchen war. Erst nachdem sie noch eine Schwester, welche den Namen Grimhild erhielt, bekommen hatten und die Obsorge der Eltern und Mägde sich auf das neugeborene Mädchen konzentrierte, war Gunter so weit, dass Hagen ihn auch einmal etwas fester anpacken konnte, ohne dafür gleich eine Rüge der Erwachsenen einstecken zu müssen. Aber es blieb eine für ihn unverkennbare und rätselhafte Tatsache, dass Gunter mehr Aufmerksamkeit bekam, als er. In anderen Familien war das nicht so. Immer der Älteste der Knaben war der Bevorzugte.

Als Hagen sechs Lenze zählte und aus der Obhut seiner Mutter, in die eines Lehrmeisters gekommen war, wollte er endlich Antworten auf die Fragen bekommen, die ihn beschäftigten. Er trat hin zu der Magd seiner Mutter und bat, Frau Oda sprechen zu dürfen. Die Zeiten, wo er ungerufen und unangemeldet zur Mutter in die Kammer stürmen durfte, waren vorbei – das hatte der Knabe schon gelernt. Als er vorgelassen wurde, setzte er sich neben sie und kam unmittelbar auf den Grund seines Besuches zu sprechen:

„Mutter, wer ist Gunters Vater?“

Verdutzt sah ihn Oda an und antwortete:

„Hagen, das weißt du doch. Aldrian, unser Häuptling, ist sein Vater.“

„Aber du hast gesagt, er und ich hätten nicht denselben Vater!“ Die Verwirrung des Knaben konnte kaum noch größer werden.

„Das ist richtig.“ Jetzt erkannte Oda, was den Jungen in den letzten Monden so beschäftigt hatte. „Hör mir zu, ich erzähle dir eine Geschichte. Es ist die Saga unserer Familie und sie wird dir auch deine Frage beantworten. Manches wirst du zurzeit noch nicht verstehen, aber höre dennoch zu und versuche dir die Worte zu merken.

Dein Großvater Irian, mein Vater, war der Häuptling unseres Stammes. Wir sind Ubier, aber er war auch in den Diensten der römischen Legion im Rang eines Dux. Das bedeutete, dass er und seine Männer Teil der Legion waren. Das nannte man Foederaten. Er hatte ein Mädchen aus der römischen Sippe des Mutius Scaevola geheiratet, meine Mutter – sie starb früh – und er residierte in Irianiacum, der Villa rustica nicht weit von hier. Du kennst sie – sie ist jetzt verlassen, wie auch die Römer schon vor Jahren aus dieser Gegend abgezogen sind.

Der Häuptling, Aldrian, aber ist ein Franke und kam als junger Krieger mit einer kleinen Gruppe Auswanderer aus Gallien in unser Land und bot deinem Großvater Irian seine Dienste an. Im Gegenzug erhielt er dafür die Erlaubnis, im alten Römerkastell Verniacum siedeln zu dürfen. Schon bald hatte er sich sehr verdient um das Land gemacht. Viele unserer Edlen mochten Aldrian, denn er kam mit fast allen gut aus. Aber es gab auch einige Neider in unserem Volk, die ihm seine Stellung beim Häuptling nicht gönnten.

In dieser Zeit war Aldrian oft bei uns in Irianiacum, denn er war ja in meines Vaters Diensten. Dabei lernten wir einander kennen und es dauerte nicht lange, da hatte Aldrian das Brautgeld zusammen. Ich war noch sehr jung, gerade einmal zwölf Jahre alt, aber mein Vater war schon alt und sah seine Kräfte schwinden. Daher gestattete er Aldrian, als dieser ihn um Erlaubnis bat, mit mir Brautlauf zu feiern. Am Tag als die Vermählung stattfand, schlug dein Großvater Aldrian den Edlen unseres Stammes als seinen Nachfolger vor und ein daraufhin einberufenes Thing bestätigte ihn. Bald darauf starb Irian.“

Oda hielt in Gedenken an ihren Vater inne, aber Hagen drängte sie weiterzuerzählen. Eine Antwort auf seine Fragen hatte er aus dem bisherigen Bericht nicht heraushören können. Er liebte Geschichten, aber diese dauerte ihm zu lange.

„Und …“, riss er seine Mutter aus ihren Gedanken.

„Der neue Häuptling reiste viel durchs Land, wie es ein Landesherr tun muss. Ich war damals oft allein. Eines Tages, etwa ein Jahr nach unserem Brautlauf, lag ich im Garten und hatte etwas getrunken. Plötzlich wurde mir übel und alles drehte sich. Dann weiß ich nichts mehr, bis mich meine Magd weckte, weil es dunkel zu werden begann. Ich wusste lange Zeit nicht, wo ich war, aber ich glaubte, mich zu erinnern, dass Aldrian bei mir gewesen wäre. Aber das hatte nicht sein können, denn der Häuptling war, wie ich dir schon erzählt habe, im Land unterwegs. Nach zwei, drei Monden war mir klar, dass ich ein Kind in mir trug.

Eines Tages, es ging mir nicht gut und ich saß am Fenster, tauchte vor diesem ein fremder Mann auf. Er war vom Gürtel aufwärts nackt, bis zur Unkenntlichkeit mit Zeichen und Ornamenten in blauer Farbe bemalt, trug einen schweren Torq aus Messing um den Hals und gab sich als ‚ein Albe‘ zu erkennen. In einem halb gereimten Singsang eröffnete er mir, er wäre der Vater des Kindes, das ich in mir tragen würde.“ Hier machte Oda wieder eine Pause, von der Erinnerung an diesen Vorfall überwältigt. Hagens Interesse an der Geschichte begann deutlich zuzunehmen. Er rückte auf der Bank nach vorne und drängte mit bohrendem Blick seine Mutter, weiter zu berichten.

„Dann gebot er mir noch“, fuhr Oda schließlich fort, „niemanden von unserer Begegnung zu erzählen, aber dass er dem Kind, wenn es denn in Not gerate, beistehen würde. Danach verschwand er so plötzlich, wie gekommen.

Ich war verschreckt und verängstigt“, Odas Stimme zitterte wieder in Erinnerung an damals. „Weder wusste ich, was da mit mir geschah, noch wie ich es dem Häuptling beibringen sollte. Eine qualvolle Zeit folgte, bis du auf die Welt kamst. Als du dann geboren warst, wurde es offensichtlich, dass Aldrian nicht dein Vater sein konnte.“

Oda standen bei der Erinnerung an dieses Geschehen aufs Neue die Tränen in den Augen, aber Hagen war wie vom Donner gerührt. Nie wäre er auf die Idee gekommen, dass Aldrian nicht sein Vater wäre! Wieder machte Oda eine kleine Pause, die aber von Hagen nicht geduldet wurde:

„Wer war er? Was passierte weiter“, drängte er.

„Wer er war? Vermutlich einer der Neider des Häuptlings. Aldrian war fürchterlich zornig, als er dich gesehen hatte und die Geschichte von mir erfuhr. Er fragte mich über alles aus, was ich zu berichten wusste; was wenig genug war: Ein Albe, also ein Mann aus Albiniacum, mit einem Torq um den Hals. Er hatte seltsam gesprochen, in Reimen und in einem eigenartigen Singsang. Mit diesen Informationen ritt der Häuptling mit zwanzig Kriegern nach Albiniacum. Es war der dortige Gode gewesen, ein fanatischer Ubier, der das Blut seines Volkes weiterhin an der Macht sehen wollte. Aldrian fand ihn. Als er mit ihm fertig war… Nun, die Strafe dafür, dass er sich an der Familie des Häuptlings vergriffen hatte, war Vierteilen. Erwarte nicht die Hilfe von ihm, die er dir versprochen hatte, als er sich mir am Fenster als dein Vater zu erkennen gab, denn er wird sie dir nie geben können. Die Strafe hat ihn ereilt und seine Leichenteile baumelten schließlich an der Wegkreuzung nach Anis-amina, den Vögeln zum Fraß“, schloss Oda trocken.

„Er ist viel zu schnell gestorben. Ich hätte ihn tagelang leiden lassen, diesen Frevler“ schrie Hagen empört. „Aber kann der Häuptling nicht trotzdem mein Vater sein?“

„Nein, mein Sohn, das kann er nicht. Das erste was er tat, als er nach dem Gericht über den Goden wieder nach Vernica kam, war, meine Zofe ebenfalls zu verurteilen. Ich hatte sie so gern, sie war mir wie eine Mutter. Ich flehte und bettelte um ihr Leben, aber Aldrian war unerbittlich. Er sagte, wenn sie das Leid, das über seine Familie gekommen war, auch nicht verursacht hatte, so hatte sie es auch nicht verhindert, wie es ihre Aufgabe gewesen wäre. Sie wurde unmittelbar nach dem Urteilsspruch vor der Halle erdrosselt. Vor allen Versammelten verkündete Aldrian sodann, dass du nicht sein Sohn bist und ihm nicht als Häuptling nachfolgen wirst. Das Erbe ist nur dem Blut vorbehalten und du bist nun einmal nicht seines Blutes.“ Tröstend strich Oda über sein Haar.

„Er ist gut zu dir, wie ein Vater.“ Sie fasste Hagen am Kinn, hob seinen Kopf und sah ihm direkt in die Augen. „Was willst du mehr? Du hast keinen Nachteil daraus, außer dass du nie Häuptling werden wirst. Aber auf einen Schild erhoben zu werden allein bedeutet noch nicht, ein Land auch zu regieren.“

Diese Worte brannten sich Hagen ins Gedächtnis ein und bestimmten von da an sein Handeln. Nun wusste er, warum er anders war und er nie würde die Stellung des Erstgeborenen einnehmen dürfen.


Gunter war ein schönes Kind; mit blonden Locken und wohlgeformten Gesichtszügen das exakte Gegenteil von seinem älteren Halbbruder Hagen. Er wurde von allen Frauen geliebt und verhätschelt und mit Aufmerksamkeiten bis zum Überdruss bedacht. Dadurch wurde der Knabe ein etwas verwöhntes Kind; ein netter Junge zwar, aber schwach. Schon bald stand er unter dem Einfluss Hagens. Der hatte einen Weg gefunden, sich den Bruder gefügig zu machen. Er stachelte immer wieder die Spielkameraden gegen Gunter auf und wenn dieser in Bedrängnis war, eilte er ihm zu Hilfe. Dafür verehrte, ja vergötterte sein kleiner Bruder ihn.

Zwei Jahre nach Gunters Geburt wurde Oda neuerlich schwanger und gebar nach der Zeit dem Häuptling ein Mädchen. Das Kind bekam den Namen Grimhild. Auch sie war ein entzückendes Kind mit braunem Haar, großen Augen und einer Stupsnase. Sofort wurde Grimhild der Liebling der gesamten Sippe. Sie wurde verwöhnt und mit Zuwendungen bedacht, mehr noch als Gunter und viel mehr, als ihrem Charakter förderlich war.

Vor allem die ständigen Begeisterungsrufe der Frauen „Oh, wie bist du heute wieder hübsch“ oder „Wer kommt denn da? Ist das nicht die wunderschöne Grimhild“, ließen sie in der Sicherheit heranwachsen, allein durch ihre Schönheit alles bekommen zu können, was sie sich erträumte. Aber wehe, es ging etwas nicht nach ihrem Willen. Die Tobsuchtsanfälle der Kleinen waren legendär in Vernica.

Vernica! Die Burg, die Aldrian sich gebaut hatte, war sein ganzer Stolz…


„Aber das wirst du selbst wissen; du kamst mit der Familie deines Vaters ja ebenfalls von dort.“ Hagen unterbrach seine Schilderung, um einen Schluck Wasser zu trinken.

„Nein, bitte!“ Märeth beugte sich vor und goss ihm den Becher neuerlich voll. „Ich weiß nicht viel. Mein Vater war nie zuhause und meine Mutter hat sich immer nur um Alltäglichkeiten gekümmert. Berichte mir alles, was dir einfällt. Nimm keine Rücksicht auf das, was ich schon wissen könnte oder nicht.

Aber eine Frage habe ich: Hätte Aldrian, der Häuptling, Oda nicht töten müssen, als er von der Schändung erfuhr? Dankrun, meine Lehrerin sagte mir nach meiner Vergewaltigung, ich müsse darüber schweigen, sonst drohe mir der Tod?“

„Nach dem alten Stammesrecht wohl“, antwortete Hagen, „aber als die Römer über Jahrhunderte unser Land besetzt hielten, galt deren Recht. Nach ihrem Abzug hatte Irian die römische Rechtsprechung beibehalten und Aldrian sie weitergeführt. Daher kam meine Mutter und wahrscheinlich auch ich mit dem Leben davon.“

„Ich verstehe. Bitte, fahre fort.“

Nach einem weiteren Schluck Wasser begann Hagen wieder zu erzählen und Märeth versank neuerlich in der Geschichte.


In den Anfängen aus den Resten des römischen Kastells Verniacum, aus dem ersten Lager der Einwanderer in ihrer neuen Heimat errichtet, wuchs die Burg Vernica nach und nach, bis sie sich zu einer ansehnlichen Festung entwickelt hatte. An wichtigen Verbindungsstraßen gelegen, flossen die Schatzungen reichlich und der Häuptling nutzte diese, nicht zuletzt, um sein Domizil zu erweitern. Die Anlage bestand nun aus dem Wohnturm, welchen Aldrian mit Oda bewohnte. In dessen unmittelbarer Umgebung befanden sich die Halle und das Kochhaus, daneben die Brunnenstube und nahebei die Schmiede. Die Langhäuser, in denen die Sippen der Edlen wohnten, waren im umfriedeten Areal inzwischen auf sechs Gebäude angewachsen und so verteilt, dass sie einen großen Platz einschlossen, an dessen Scheitelpunkt die Halle und der Turm standen. Und noch ein weiteres Gebäude wurde nach Aldrians Idee hinter der Schmiede errichtet. Die Burg bekam einen gedeckten Stall für die Reitpferde der Edlen mit einem Stallmeister. Damit mussten sich die Recken nicht mehr selber und im eigenen Langhaus um die Tiere kümmern, sondern dies nahm ihnen der Stallmeister mit seinen Knechten ab.

All das, umgeben von einem Wallgraben, wurde von einem Palisadenzaun gesichert. Dieser hatte beidseits des Haupttores zwei Wachtürme und an der Rückseite der Burg befanden sich zusätzlich drei überdachte Podeste für einen besseren Überblick rund um die ganze Festung. Ein Wehrgang auf der Innenseite des Zaunes vervollständigte die Verteidigungsanlage.

Außerhalb der Burg, entlang der Ausfallstraße, siedelten die Unfreien in ihren Behausungen und die Niederlassung war bereits zu beträchtlicher Größe angewachsen. Die Rodungsarbeiten für das Baumaterial der Burg und des Dorfes hatten den Waldrand aus der näheren in die weitere Umgebung zurückgedrängt. An seine Stelle traten neben den Wiesen, die schon die Römer vor ihren Palisaden frei von Bäumen hielten, um Angreifern keine Deckung zu bieten, auch beackerte Felder, die nun das Landschaftsbild um Vernica prägten.

Schließlich wurde die gesamte Anlage so groß, dass sie einen Nährhof benötigte, dessen Gründung mit der Geburt Gunters zusammengefallen war. Als dieser fertig war, nannte Aldrian das Gut voll Stolz ‚Gunters Meierei‘ und setzte seinen Truchsess als Verwalter des Gehöfts ein. Das bewog Hagen ihn zu fragen, wo denn ‚seine Meierei‘ stünde? Der Häuptling sah den Jungen nur an, verzog keine Miene und wandte sich ab. Hagen dachte damals, die Frage wäre zu kindisch gewesen und Aldrian wäre die Beantwortung derselben den Aufwand nicht wert. Wie falsch er seinen Stiefvater einschätzte! Im Gegenteil hatte sie ihn tief getroffen.

Nach und nach verteilte Häuptling Aldrian die Gutshöfe seines Landes unter den Edlen aber auch unter den verdienten und loyalen Recken der Einheimischen. Manche Familien zogen fort aus Vernica und einige neue kamen durch Brautläufe dazu. Die Volksgruppen durchmischten sich und weil das Land gedieh, sprachen mit der Zeit immer weniger Menschen von ‚den Alteingesessenen‘ und ‚den Fremden‘, sondern fühlten sich bald alle als ein Volk. Aldrian gab dem Land den Namen ‚Niflunga‘, nach dem Bach Nifl. Dieser wiederum wurde so genannt, weil oft Nebel über den sauren Wiesen und Auen lag, durch die er floss. So war es naheliegend, dass sich das Volk von da an die Niflungen nannte. Der Ruf von dem kleinen, aufstrebend Reich verbreitete sich und sogar in Gallien erzählte man von den ‚Franci nebulones‘.

Hagen war zehn, als Oda einen dritten Knaben gebar, der den Namen Gernholt erhielt. Als er noch an der Brust der Mutter saugte, bekam er eines Tages hohes Fieber. Es hielt drei Tage an und während dieser Zeit schüttelte es den Säugling nahezu ununterbrochen. Dabei verdrehte er die Augen und es trat ihm milchweißer Schaum aus dem Mund. Oda und Aldrian holten den Goden, damit er Hilfe brächte, aber der zuckte nur mit den Achseln, als er den krampfenden Knaben sah und sagte:

„Das Kind wird sterben“. Der heilige Mann behielt Unrecht, denn Gernholt starb nicht, jedoch die Fallsucht blieb ihm zeit seines Lebens. Aber etwas Gutes tat der Gode doch an dem Kind. Als er die Verzweiflung der Mutter sah, empfahl er, dem Säugling einen Sud vom Kraut der weißbeerigen Mistel einzuflößen. Schaden könne er ihm nicht, meinte er. Tatsächlich brach dieses Konzentrat die Anfälle ab oder verkürzte sie deutlich. Seither trug Gernholt immer eine Phiole des Saftes mit sich. Und seine Geschwister lernten, ihm die heilbringende Tinktur zu verabreichen, wenn er wieder einmal zuckend zusammenbrach.

Gernholt war ein unscheinbares Kind, kaum, dass ihn die Familie und die Gesellschaft wahrnahmen. Meistens lief er nur den anderen spielenden Sprösslingen hinterher, aber holte sie sprichwörtlich nie ein. Wenn er fiel, sich wehtat und weinte, nahm keiner von seinen Spielkameraden Notiz davon; oft nicht einmal die Erwachsenen. Zwar stand er als Sohn des Häuptlings in der Rangfolge hinter Gunter, wurde aber von der Umgebung kaum registriert.

Die Kinder wuchsen gemeinsam auf, selbst Hagen war ein vollwertiges Mitglied der Familie. Aldrian mochte ihn, weil er eher seiner Vorstellung von einem Thronerben entsprach, als dies Gunter tat. Aber es war ihm nicht möglich, die Umstände seiner Zeugung zu vergessen. Die Blutlinie zu wahren ging für ihn als Häuptling über die persönlichen Vorlieben. Ihm eine Erziehung zukommen zu lassen, als wäre er ein gebürtiger Häuptlingssohn, war das Einzige, was er für den Ziehsohn tun konnte.

Im Zuge seiner Unterweisungen sandte Aldrian Hagen, im Alter von zehn Jahren – Gernholt war gerade geboren – nach Susat, ins Land der Hunen, um die restliche Lehrzeit bis zur Mannbarwerdung abzuschließen.

Susat! Diese Siedlung inmitten Germaniens, war die erste, die den Namen Stadt rechts des Rhins verdiente. Nicht zuletzt, weil sie auch aus Stein gefügte Bauwerke hatte. Attalo, der dort residierende König, legte seinen Ehrgeiz darein, sich damit ein Ansehen zu schaffen. Als Hagen nach Susat kam, war die Burg schon fast fertig.

König Attalo herrschte damals über eines der größten Reiche rechts des Rhins. Er selbst stammte aus Frisia, von wo er, da zweitgeboren, mit einem Teil seines Stammes ausgezogen war, um sich eigenes Land zu erobern. Die Region um Susat wurde sein Stammesgebiet und über die Jahre erweiterte er seinen Machtbereich in zahlreichen Schlachten und Heerzügen.

Solcher Reichtum und solche Machtfülle weckten Begehrlichkeiten unter den Nachbarn, weswegen sich Attalo einer Methode besann, die immer schon geeignet war, diese an ihre Loyalität zu erinnern. Er nahm Mitglieder aus den Familien der benachbarten Häuptlinge und Vasallen an seinem Hof auf. Dort erhielten sie einen Teil ihrer Ausbildung, waren aber auch Geiseln, denn ihr Wohlergehen auf Attalos Hof hing vom Wohlverhalten ihrer Heimatländer ab. Diese Art der Bindung von nächstgelegen oder untergebenen Stämmen war für alle dennoch von Vorteil. Die jungen Leute lernten, über ihren Tellerrand hinauszublicken, und bekamen eine Unterweisung, wie sie nur ein solches Machtzentrum bieten konnte. Außerdem hatten sie Gelegenheit, Bande zu knüpfen, die oft noch viel länger hielten, als die Zeit der Geiselnahme in Susat dauerte. Nur wenn man die geforderte Loyalität nicht zeigte, zog man sich Attalos Zorn zu.

Und so ein Mangel an Wohlverhalten spielte auch bei dem Ereignis eine Rolle, welches für Hagen einschneidende Auswirkungen haben sollte: sein erster bedeutender Kampf nach der Mannbarwerdung. Dieser kostete ihn beinahe das Leben und dessen Folgen bestimmten sein weiteres Schicksal.

An dem großen Hof Attalos gab es noch zahlreiche andere Edle, die dort ihre Ausbildung erhielten. Mit einem jungen Mann namens Waltar von Waldsken freundete er sich bald an, obwohl dieser um einiges älter und schon für mannbar erklärt worden war, kurz nachdem Hagen nach Susat kam. Fast zur selben Zeit wie er traf dort ein sehr junges Mädchen ein: Hildegund, die Tochter eines tributpflichtigen Grafen.

Schließlich hatte auch Hagen seine Mannbarwerdung erhalten und Attalo ernannte ihn zum Führer einer Rotte. Der Jüngling war überaus stolz auf die Beförderung und nahm die Aufgabe sehr ernst. Endlich einmal sah er sich legitim an der Spitze einer Schar und keiner konnte ihm diese Stellung streitig machen.

Eines Tages herrschte große Aufregung in Attalos Burg. Waltar war verschwunden und mit ihm Hildegund. Nachdem ganz Susat erfolglos nach dem Paar abgesucht worden war, wurde klar, dass sie durchgebrannt waren. Attalo wurde zornig und schickte Hagen mit seiner Rotte aus, die beiden zurückzuholen. Er war nicht gewillt hinzunehmen, von einem jungen Recken gleich um zwei Geiseln gebracht zu werden.

Zu sechst galoppierten sie dem fliehenden Paar hinterher. Dieses hatte es eilig gehabt; an einem Tag konnte die Truppe die Flüchtenden nicht einholen. Als Hagen und seine Rotte sie fanden und Waltar sah, dass er nicht mehr ausweichen konnte, gebot er dem Mädchen, in Sicherheit zu bleiben, und stellte sich den Verfolgern. Als Rottenführer trat Hagen ihm zuerst entgegen.

„Muss so unsere Freundschaft enden“, fragte Waltar, als sie sich mit gezückten Schwertern gegenüberstanden.

„Du hast den König mit deiner Flucht und Hildegunds Entführung beleidigt, obwohl du ihm Dank geschuldet hättest“ entgegnete ihm Hagen.

„Ich habe Hildegund nicht entführt. Sie ist freiwillig mit mir gekommen, denn wir lieben uns. Und ich schulde Attalo nichts. Ich habe ihm so manches Jahr treu gedient.“