Albrecht Frasch
Die Befreiung durch Hören im Zwischenzustand
das sog. Tibetische Totenbuch
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Inhaltsverzeichnis
Titel
erweitertes Impressum
Prolog
Vorwort
Einleitende Bemerkungen
Der eigentliche Text
Der Bardo des Sterbens
Die vorbereitenden Übungen, die die Wesen zur Befreiung führen
Die angemessene Erläuterung jener ›Befreiung durch Hören‹
Das Klare Licht des zweiten Bardo [des Erwachens aus der Bewusstlosigkeit]
Der Bardo des Todes
Das Heraufdämmern der friedlichen Gottheiten des Bardo
Der erste Tag
Der zweite Tag
Der dritte Tag
Der vierte Tag
Der fünfte Tag
Der sechste Tag
Der siebente Tag
Das Heraufdämmern der zornvollen Gottheiten
Der achte Tag
Der neunte Tag
Der zehnte Tag
Der elfte Tag
Der zwölfte Tag
Der dreizehnte Tag
Der vierzehnte Tag
Schlussbemerkungen zum Bardo des Todes
Die sogenannten ›Anweisungen zur Wiedergeburt‹
Die Anweisungen zum Bardo der Suche nach einer Wiedergeburt
Die erste Methode, den Zutritt zu einer Gebärmutter zu verschliessen
Die zweite Methode, den Zutritt zu einer Gebärmutter zu verschliessen
Die dritte Methode, den Zutritt zu einer Gebärmutter zu verschliessen
Die vierte Methode, den Zutritt zu einer Gebärmutter zu verschliessen
Die fünfte Methode, den Zutritt zu einer Gebärmutter zu verschliessen
Schlussbemerkungen
Vorbereitung auf Sterben und Tod
Spirituelle Sterbehilfe für andere Personen
Die Praxis der Bewusstseinsübertragung
Wie fortgeschrittene Praktizierende sterben
Was hohe Lehrer für Sterbende tun können
Epilog
Empfohlene Literatur zum Thema Sterben, Tod und Wiedergeburt
Endnoten
Impressum neobooks
Titel der tibetischen Originalausgabe:
Gter-chen <Karma-Gling-pa>: Bar-do-thos-grol-chen-mo
Blockdruck, verlegt und gedruckt im Jahre 1995 von
Könchog Lhadrepa in der tibetischen Kolonie ‚Majnu-Ka-Tilla‘
bei New Delhi/India
Verfasser: Karma Lingpa / Padmasambhava
ins Deutsche übersetzt und bearbeitet von Albrecht Frasch
Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung des
Buches oder von Teilen daraus – auch mittels elektronischer
Medien – nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages.
1. Auflage Berlin 1999; 2. Auflage Hamburg 2014
EAN 978-3-981XXXX-X-X
© by Tashi-Verlag für Buddhistische Literatur, Hamburg
Textgestaltung und Layout: Albrecht Frasch
Umschlaggestaltung: Tashi Medienservice
Anfertigung der versch. eBook-Formate: NeoBooks
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in
der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.
„Unsere (1) gegenwärtige Situation ist in der Tat sehr glückverheissend: Wir sind menschliche Wesen; wir können die authentischen Lehren des Buddha erhalten, verstehen und praktizieren; wir haben ebenfalls das Glück, einen qualifizierten buddhistischen Lehrer getroffen zu haben, der über die Qualität verfügt, die Einheit von Leerheit und Mitgefühl realisiert zu haben – einiges vorteilhaftes Karma ist hier reif geworden! Andererseits haben wir nicht das glücklichste Schicksal, denn in der Vergangenheit gab es viele Buddhas und erleuchtete Wesen, und aus irgendwelchen Gründen konnten wir keine gute Verbindung mit ihnen herstellen und die geistige Vervollkommnung nicht erlangen; wir haben die Befreiung immer noch nicht realisiert! Es scheint, als ob wir irgendwie zurückgelassen worden seien. Obwohl wir also nicht das aus- gezeichnete Karma besitzen, mit einem vollkommen erleuchteten Buddha zusammenzutreffen, haben wir jedoch das heute seltene Glück, einen hochverwirklichten spirituellen Lehrer (2) der Gegenwart getroffen zu haben. ... Da gegenwärtig kein voll erleuchteter Buddha lebt, ist der spirituelle Lehrer, dem wir heute begegnen, für uns noch wichtiger als ein Buddha der Vergangenheit, stellt er doch für uns die lebendige Verbindung zu den Lehren der Buddhas vergangener Zeiten her.“ (3)
Gemäss der Tradition des Tibetischen Buddhismus ist die individuelle – d.h. die persönliche, mit einem ‚Ich‘ identifizierte – psychische Existenz unwiderruflich beendet, wenn der Körper stirbt! Die Vorstellung einer ‚individuellen Wiedergeburt‘, wie sie von manchen obskuren esoterischen Schulen vertreten wird, (4) mag zwar tröstlich sein – nichtsdestotrotz ist sie vollkommen irreführend, abwegig und falsch! Es ist vielmehr die unpersönliche Instanz in jedem Wesen, die auch zu Lebzeiten den Fluss sämtlicher Ereignisse, Gedanken und Gefühle erfährt – man könnte sie ,Geist‘ oder die Fähigkeit, bewusst zu sein, nennen – die nach den Erkenntnissen des Tibetischen Buddhismus auch im Sterben, im Tod und im Verlauf künftiger Existenzen nicht aufhört zu existieren. Während die individuelle Psyche, Seele oder die Persönlichkeit (5) im Verlauf verschiedener nacheinander erfolgender Auflösungsprozesse im Sterben und im Tod dermassen viele und weitreichende Transformationen erfährt, dass sie im nächsten Leben mit der Psyche der vorangegangenen Existenz in keinster Weise mehr identisch ist, bleibt die unpersönliche Instanz des eigenen Geistes bzw. seine ‚Funktion‘ bestehen, die ‚karmisch‘ (6) zwingend an zentrale Ereignisse sowie an die jene begleitenden Gedanken und Empfindungen gebunden ist: Was wiedergeboren wird, ist dementsprechend lediglich die Disposition, im bevorstehenden Leben bestimmten Erfahrungen ausgesetzt zu werden und diese dann in einer bestimmten Weise zu deuten und zu erleben, nicht aber der individuelle Erlebniskern, der in der kommenden Existenz diese Erfahrungen machen wird!
Wer unvorbereitet stirbt, kann die weitere Entwicklung nicht beeinflussen, die sein ‚Bewusstseinsprinzip‘ (7) nehmen wird. Wessen unpersönliches Bewusstseinsprinzip dementsprechend blind durch das Roulette der Wiederverkörperungen stürzt (8), der kann weder steuern, wiederum in einer menschliche Existenz – allerdings mit Anlagen zu einer ‚neuen‘ Persönlichkeit ausgestattet – noch in einer glücklichen Existenz wiederverkörpert zu werden.
Die Lehren des Tibetischen Buddhismus ermöglichen es, nahestehende Personen auf ihr Sterben und die Zeit danach vorzubereiten. Da natürlich auch die eigene Existenz zeitlich begrenzt ist, gebietet es die Klugheit, sich auf das Sterben vorzubereiten, solange man noch jung und in guter körperlicher wie geistiger Verfassung ist. Die Vorbereitung auf das eigene Sterben ist selbstredend umso effektiver, je früher man damit beginnt! Doch auch denjenigen, die wissen, dass sie nicht mehr lange zu leben haben, verhilft das Studium des vorliegenden Textes dazu, den Rest ihres Lebens so sinnvoll wie möglich zu nutzen und ihr Sterben in einer ausserordentlich positiven Weise zu beeinflussen. Darüberhinaus gestatten es die in diesem Buch wiedergegebenen Lehren, vertrauten Menschen beim Vorgang des Sterbens überaus effektiv zu assistieren, auch wenn jene sich nicht auf diesen Vorgang vorbereitet konnten.
Dieser Text, dessen Titel – wörtlich übersetzt – nicht ›Tibetisches Totenbuch‹, sondern ›Befreiung durch Hören im Zwischenzustand‹ lautet, entstammt einem Zyklus von sechs solchen Texten (9), der auf den zweiten Buddha Padmasambhava (skrt; tib: Guru Rinpoche) zurückgeht. Der grosse Heilige Padmasambhava verbarg jene Texte als sog. ‚Schatztexte‘ (tib: gter ma; sprich: Terma) beim Berg Gampodar in Zentraltibet, wo sie Jahrhunderte später (10) von Karma Lingpa wiedergefunden wurden, der sie an den dreizehnten Gyalwa Karmapa Düdül Dorje weitergab, woraufhin sie sich innerhalb der Nyingma- und Kagyü-Tradition des Tibetischen Buddhismus weithin Verbreitung fanden.
Obschon die erstmalige Übersetzung des vorliegenden Textes ein eklatantes Interesse am Buddhismus tibetischer Prägung im Westen auslöste, sind ihr eine Vielzahl von Unzulänglichkeiten anzulasten: Da bis dato keine Schriften religiösen bzw. philosophischen Inhalts aus dem Tibetischen in moderne Sprachen übersetzt worden waren, fehlte ein Begriffssystem, in das jene hätten übertragen werden können. Weil ausserdem die Wörterbücher, die zwischen Tibetisch und den modernen Sprachen vermitteln sollten, auf Versionen zurückgingen, die im siebzehnten Jahrhundert von Jesuitenpatern angefertigt worden waren, lag es nahe, dieser ersten Übersetzung eine christliche Terminologie zugrundezulegen; dadurch wurde ihr Inhalt natürlich in einer äusserst fragwürdigen Weise verfremdet. Obwohl dieser ersten Übersetzung der ‚Pioniercharakter‘ in keiner Weise abzusprechen ist, ist sie heute – ausser als Arbeitsgrundlage für den vergleichenden Religionswissenschaftler – von keinerlei Bedeutung mehr.
Neuere Übersetzungen des vorliegenden Textes ins Deutsche greifen leider auf jene erste Übersetzung zurück, so dass deren Fehler und Unzulänglichkeiten von Version zu Version weitergetragen wurden. Der Begriff ‚Mitgefühl‘ (tib: snying rje) beispielsweise, der im Tibetischen Buddhismus als der aufrichtig empfundene Wunsch definiert ist, alle Wesen frei von sämtlichen Arten des Leidens sowie von dessen Ursachen (11) sehen zu wollen, wird in den verschiedenen deutschsprachigen Übersetzungen des ›Tibetischen Totenbuches‹ als Erbarmen, Gnade oder gar als Mitleid übersetzt. Diese Termini transportieren fraglos vollkommen abwegige und irreführende Konnotationen, vergleicht man ihren Bedeutungsgehalt und ihre übliche Verwendung in christlichen Schriften mit der hier präsentierten Begriffsdefinition. Der für den Buddhismus überaus zentrale Begriff ‚Liebe‘ (tib: byams pa) wird ebenfalls in den verfügbaren deutschsprachigen Übersetzungen fernab seiner per Definition festgelegten Bedeutung übersetzt: Was als ‚der aufrichtig empfundene und permanent kultivierte Wunsch, dass alle Wesen – einschliesslich der eigenen Widersacher, Schädiger usw. – immer Glück und die Ursache des Glücks erleben sollen‘ definiert ist, erscheint in den bisher in deutscher Sprache verfügbaren Übersetzungen als Freundlichkeit, tugendhafte Handlung oder als Frömmigkeit. Auch die ‚negative Handlung‘ (12) (tib: sgrib pa) wird leider in sämtlichen in deutscher Sprache verfügbaren Übersetzungen – auch wenn die Bedeutung dieses Begriffs weit an obiger Begriffsdefinition vorbeigeht – als Sünde übersetzt (13). Geistige Aktivität bzw. die sog. ‚Mentalfaktoren‘ (14) (tib: sems dbyungs) wird in den verfügbaren deutschsprachigen Übersetzungen als Gesamtheit des Wollens, als Gemütskräfte oder Geistesregung übersetzt. Der Meditationsaspekt bzw. die Yidam-Gottheit (15) Chenrezig wird in einer der vorliegenden Übersetzungen als barmherziger Gott übersetzt, womit die vollkommen unzutreffende Implikation eines Schöpfergottes im Tibetischen Buddhismus einhergeht. Doch es bleibt nicht bei diesen willkürlich herausgegriffenen irreführenden Übertragungen tibetischer Termini Technici ins Deutsche: Durchweg benutzt jede Übersetzung eigene, teilweise oder durchgängig einem anderem Religionsverständnis entstammende Begrifflichkeiten, die dem Gegenstand nur sehr unzulänglich gerecht werden bzw. ihm ganz und gar zuwiderlaufen.
Durch eine Terminologie, die die Aussagen des ursprünglichen Textes dermassen verfremdet, werden die Aussagen des ›Tibetischen Totenbuches‹ natürlich weitestgehend verzerrt. Deshalb ist es auch dessen frühen Übersetzungen anzulasten, dass sich selbst heute noch im Westen viele abstruse Vorstellungen über die zentralen Aussagen des Tibetischen Buddhismus hartnäckig am Leben erhalten (16). Da sich die Liste der vollkommen an den Aussagen des Urtextes vorbeigehenden sachlich falschen oder zumindestens weitgehend irreführenden Begriffsübertragungen beliebig fortsetzen liesse (17), sind die drei ‚älteren Übersetzungen‘ für praktizierende Buddhisten leider nahezu unbrauchbar. Es liegt an diesen und anderen Unzulänglichkeiten der verschiedenen Übersetzungen ins Deutsche, dass die verschiedenen deutschen Übertragungen dieses Schatztextes ihre eigentliche Funktion, Sterbenden während ihres Sterbens und in den Wochen danach vorgelesen zu werden, um ihnen so ein optimales Ableben zu ermöglichen, niemals erfüllen konnte, weshalb ein solches Vorgehen – das in buddhistischen Ländern vollkommen selbstverständlich ist – noch niemals in deutscher Sprache praktiziert werden konnte. Dies ist ausserordentlich bedauerlich, bedenkt man, wieviele Menschen – obwohl sie sich das sehnlichst wünschen – ohne den Beistand jener Tradition aus dem Leben scheiden müssen, die sicherlich über das tiefgründigste Wissen über die Vorgänge beim Sterben und danach sowie zudem über solche Methoden verfügt, die dazu beitragen, diese Vorgänge bis in ausserordentlich subtile Stufen des Sterbeprozesses hinein zu optimieren.
Leider krankt auch eine jüngst erschienene Neu-Übersetzung aus dem Amerikanischen zumindestens an ihrer anschliessenden Übersetzung ins Deutsche, bei der bedauerlicherweise ebenfalls die alten Fehler wiederholt worden sind. Zudem fügt der Übersetzer dem Text leider seine eigenen Erläuterungen und Ergänzungen an – ein Vorrecht, das traditionellerweise ausschliesslich den zugleich höchsten tibetischen Gelehrten und verwirklichten Meditationsmeistern vorbehalten ist (18). Deshalb kann auch diese Übersetzung nicht ihrem ursprünglichen Zweck, Menschen auf ihr eigenes Sterben und die Zeit danach vorzubereiten bzw. – wie der Titel schon sagt – anderen Sterbenden bzw. Verstorbenen bei diesem Vorgang zu assistieren, indem man ihnen diesen Text wiederholt wörtlich vorliest, gerecht werden. Kurz: Eine Neu-Übersetzung ins Deutsche war längst überfällig (19).
Die vorliegende Neu-Übersetzung aus dem Tibetischen bemüht sich um grösstmögliche Worttreue, auch wenn sich dadurch zuweilen etwas steif klingende Satzkonstruktionen nicht ganz vermeiden lassen. Um Begriffsverwirrung Die Übersetzung des Textes selbst ist durch Grossdruck eindeutig von in die Übersetzung integrierten authentischen Ergänzungen aus anderen Veröffentlichungen zum Thema Sterben, Tod und Wiedergeburt aus der Sicht des Tibetischen Buddhismus abgesetzt, die eingerückt und in kleinerer Schrift dargestellt werden. Kursiv sind solche Worte und Formulierungen gedruckt, die zur Bildung eines deutschen Satzes unvermeidlich waren, ohne im tibetischen Urtext zu stehen. Die zahlreichen Fussnoten geben Sinnerläuterungen wieder, die dem Übersetzer für das Verständnis des Textes unerlässlich erschienen. Durch Fettdruck hervorgehoben sind ferner die Passagen des ›Tibetischen Totenbuches‹, die von seinem Verfasser Guru Rinpoche dafür vorgesehen wurden, Sterbenden bzw. Verstorbenen wörtlich vorgelesen zu werden. Ausserdem wird buddhistischen Fachbegriffen sowie besonders bedeutsamen Termini ihre tibetische Schreibweise angefügt. Durch diese Massnahme soll Eindeutigkeit gewährleistet sowie die Begrifflichkeit verschiedener Übersetzungen aufeinander beziehbar gemacht werden. Dadurch gestattet es die vorliegende Übersetzung des ›Tibetischen Totenbuches‹ nicht nur, sich selbst gemäss der Anweisungen Guru Rinpoches auf den eigenen Tod vorzubereiten, sondern auch anderen Menschen bei deren Sterben überaus wirksam zu assistieren. Ferner enthält das Buch im Anhang ausführliche Empfehlungen zu einer buddhistisch inspirierten Sterbevorbereitung bzw. Sterbebegleitung. Eine Bibliographie verlässlicher Schriften zu Sterben und Tod aus der Sicht des Tibetischen Buddhismus beschliesst diesen Band. Und schliesslich: Die Anweisungen des ›Tibetischen Totenbuches‹ entstammen zwar der buddhistischen Lehre, sind aber nicht nur für Buddhisten gedacht, denn Sterben müssen alle – nicht nur Buddhisten, und das Sterben gestaltet sich für alle Menschen grundsätzlich gleich.
Der Übersetzer ist Diplom-Psychologe des Jahrgangs 1951 und hat seit beinahe 30 Jahren unter Anleitung der höchsten Gelehrten und Meditationsmeister der Karma Kagyü-Tradition des Tibetischen Buddhismus in Europa und Asien Buddhismus studiert und praktiziert. Buddhismus ist keine Glaubensreligion, sondern die einzige Lehre, die sich theoretisch wie praktisch mit der Natur und den unterschiedlichen Entäusserungsformen des menschlichen Geistes befasst (20). Zu diesem Zweck hat der Übersetzer am Marpa Institute for Translators in Kathmandu/Nepal die ausserordentlich komplexe und philosophisch anspruchsvolle tibetische Schriftsprache erlernt (21). Anschliessend absolvierte der Übersetzer ein achtjähriges Studium der Erkenntnistheorie und die Psychologie des Tibetischen Buddhismus an einer tibetischen Universität in New Delhi/Indien,dem Karmapa International Buddhist Institute (Kibi). Seitdem bemüht sich der Übersetzer, den Buddhismus von anderen Religionen und zeitgenössischen esoterischen Strömungen abzugrenzen, auch wenn heutzutage eher einer unreflektierten, durch mangelnde Sprachkenntnisse und begrenztes Fachwissen verbreiteten Übervereinfachung und Verflachung buddhistischer Inhalte das Wort geredet wird, wonach sich die buddhistische ‚Religion‘ (22) in den wesentlichen Punkten mit allen übrigen spirituell/religiösen Traditionen unserer Zeit im Einklang befände. Dies ist keineswegs der Fall! In diesem Zusammenhang sei auf meine weiteren Publikationen zu dieser Thematik, insbesondere auf die Titel ›Buddhistisches Grundwissen‹, ›Eine neue Dimension; Geist und Psyche – Antworten des Tibetischen Buddhismus auf offene Fragen der westlichen Psychologie und Psychotherapie‹ sowie ›Mit gemischten Gefühlen‹ verwiesen, die inzwischen in überarbeiteter und erweiterter Neuauflage als eBook erschienen sind.
Jedes Lesen des vorliegenden Textes – ob leise für sich selbst oder laut für jemand anderen – wird jedenfalls nicht nur das Verständnis für die Vorgänge beim Sterben und im Tod, sondern generell den Einblick, den man aus der Sicht des Sterbens in die Mysterien des Lebens gewinnt, ausserordentlich vertiefen.
Hamburg, im Februar 2014
Albrecht Frasch
Im folgenden werden buddhistische Belehrungen über Sterben, Tod und Wiedergeburt präsentiert; zwar handelt es sich hier um die Lehren des historischen Buddha – dennoch sind sie nicht ausschliesslich praktizierenden Buddhisten aus aller Welt oder solchen Individuen, die sich zumindestens von ihrer Überzeugung her als Buddhisten ansehen, vorbehalten, denn sterben müssen alle – Buddhisten und Nicht-Buddhisten, und ohne jede Vorbereitung auf das eigene Sterben, die die tatsächlichen Vorkommnisse in Sterben und Tod angemessen berücksichtigt, wäre jeder unabhängig von seiner Religionszugehörigkeit den Ereignissen, die ihm dann wiederfahren, blind – d.h. ohne jede Beeinflussung zum Besten hin – ausgeliefert. Da die Lehren des historischen Buddha authentisch sind (23), und da es der einzige Beweggrund des Buddha war, mit seinen Lehren die Leiden der fühlenden Wesen zu mildern, hat er auch Belehrungen präsentiert, die Nicht-Buddhisten zur Verfügung stehen, vorausgesetzt, sie stehen seiner Lehre vorurteilsfrei und offen gegenüber; zu diesen Lehren gehören diejenigen Belehrungen, wie man sich im Sterben und im Tod verhalten sollte, und wie man sich auf diese Übergänge (tib: bar do) vorbereiten sollte. Da diese Belehrungen in sich zutiefst schlüssig und wahr sind, wird jede intelligente Person gründlich über sie nachdenken; je mehr sie dies tut, umso mehr Vertrauen wird sie zwangsläufig in die Lehren des Buddha gewinnen, und sie wird wahrscheinlich auch den Wunsch entwickeln, sie zu praktizieren. Dieses Ansinnen kann jedoch nur dann in die Tat umgesetzt werden, wenn sie mit einem authentischen spirituellen Lehrer zusammentreffen, der in der Übertragungslinie steht und womöglich die buddhistischen Lehren im eigenen Bewusstseinsstrom umgesetzt und realisiert hat (24) – auch wenn hier in eindeutiger Weise solche Gebiete berührt werden, die ansonsten streng geheim gehalten werden, indem sie ausschliesslich mündlich vom spirituellen Lehrer auf einen einzelnen oder einige wenige spirituelle Schüler übertragen werden, die ihrerseits zu strengster Geheimhaltung verpflichtet sind (25).
Vergänglichkeit bzw. Sterblichkeit bedeutet, dass kein Individuum die Macht hat, für immer auf dieser Welt bleiben zu können. Weil der Tod unaufhörlich näherrückt, und weil zur Todesstunde nur der Dharma von Nutzen ist, werden Kontemplationen über das Sterben allgemein, darüber, was Sterben eigentlich ist, über das unvermeidliche Näherrücken des Todes sowie über die eigentliche Trennung vom Leben empfohlen.
Die Kontemplation über das Sterben besteht darin, immer und immer wieder darüber nachzudenken, dass das eigene Leben in nicht allzu ferner Zeit vorbei sein wird und man dann diese Welt verlassen muss. Die Kontemplation darüber, was Sterben eigentlich ist, besteht darin, immer wieder darüber nachzudenken, dass sich das Leben mit jedem Moment erschöpft, und dass es nicht mehr lange dauert, bis der eigene Atem versiegt und der eigene Körper sich in eine Leiche verwandeln wird; der eigene Geist, der sich dann vom Körper getrennt hat, wird zu dieser Zeit ziellos umherirren. Die Kontemplation über das unvermeidliche Näherrücken des Todes besteht darin, immer wieder darüber nachzudenken, dass vom letzten Jahr bis jetzt schon wieder ein Jahr vergangen ist; dass von gestern bis heute schon wieder ein Tag vergangen ist; dass von eben bis jetzt schon wieder ein Moment vergangen ist usw. und dass währenddessen das Leben mit jeder Sekunde verronnen ist. Die Kontemplation über die endgültige Trennung vom Leben besteht darin, immer wieder darüber nachzudenken, dass man sich in nicht allzu ferner Zukunft von seinen Freunden, von sämtlichen Besitztümern und selbst vom eigenen Körper wird trennen müssen.
Auch wenn die meisten Wesen nicht sterben wollen und sehr viele Menschen sich aus Angst vor dem Sterben nicht einmal gestatten, auch nur einen Gedanken darüber zu verlieren, steht der Prozess des Sterbens jedem Wesen bevor! Der Tod ist schon deshalb unvermeidlich, weil der Körper zusammengesetzt ist und somit wie alles Zusammengesetzte Gegenstand von Verfall und Desintegration ist. Jedem Wesen, das aus einer mütterlichen Gebärmutter geboren worden ist, steht gemäss seinem von ihm selbst in unendlichen Lebenszeiten angesammelten Karma ein kürzeres oder längeres Leben bevor – an dessen Ende steht unausweichlich der Tod. In diesem Sinne ist der Tod das charakterisierende Merkmal von allem Zusammengesetzten; er ist das Zeichen für Vergänglichkeit! Der historische Buddha hat gelehrt, dass alles Zusammengesetzte vergänglich ist (26). ‚Zusammengesetzt‘ bedeutet, dass ein Phänomen wie beispielsweise der menschliche Körper aus vielen kleineren Teilen (27) zusammengesetzt ist, die irgendwann einmal wieder auseinanderfallen werden. So unterliegt alles Zusammengesetzte der Vergänglichkeit (28).
Natürlich handelt es sich auch beim eigenen Körper um etwas ‚Zusammengesetztes‘, da dieser folgendermassen aus den fünf Elementen zusammengesetzt ist: Das sog. innere Erdelement von Haut, Fleisch und Knochen usw. – also alle festen körperlichen Bestandteile – entspricht dem äusseren Erdelement; die Körpertemperatur – also sämtliche Stoffwechselprozesse, bei denen Wärme frei wird – entspricht dem äusseren Feuerelement; Blut, Lymphe, Urin und andere Körperflüssigkeiten entsprechen dem äusseren Wasserelement; und der Atem entspricht dem äusseren Windelement (29).
Auch die einzelnen anatomisch/physiologischen Strukturen des Körpers wie sein Fleisch, das Blut usw. sind – obwohl die Worte und wissenschaftlichen Bezeichnungen, die ihnen zugeschrieben werden, diesen Eindruck vermitteln – keine ‚einzelnen Entitäten‘ (30), sondern sie bestehen aus einer Unzahl einzelner Muskelstränge und immer feineren Muskelfasern bzw. aus den einzelnen Bestandteilen des Blutes usw., die ihrerseits wiederum aus Molekülen, dann aus den Atomen und deren Bestandteilen bestehen, die sich selbst ad infinitum aus immer kleineren Partikeln zusammensetzen; deshalb existieren die verschiedenen Bausteine des Körpers, die die fünf Elemente repräsentieren, ‚lediglich‘ relativ bzw. in Abhängigkeit von den sie konstituierenden Bestandteilen und stellen also keine ‚singulären‘ Entitäten dar. Da die einzelnen Bestandteile des Körpers nur in Abhängigkeit von den sie konstituierenden Elementen existieren, unterliegt deren reibungsloses Zusammenspiel ebenfalls der Veränderung in der Zeit. Alles ‚Zusammengesetzte‘ – insbesondere lebende Organismen – fallen demzufolge nach einer gewissen Zeit wieder der Vergänglichkeit anheim. Wenn der Körper sämtlicher körperlicher Wesen, der als ‚Zusammengesetztes‘ aus den fünf Elementen besteht, zu irgendeinem Zeitpunkt unvermeidlich wieder der Desintegration anheimfallen wird, sterben die Wesen.
Im Sterben trennen sich Körper und Geist, und der aus Materie bestehende Körper zerfällt vollends. Der Geist, die Persönlichkeit bzw. die Entität, die den Erlebniskern oder die Psyche des Menschen ausmacht, wird im Buddhismus nicht als Entäusserung körperlicher Prozesse (31) aufgefasst, sondern beschreibt eine eigenständige geistige Dimension. Dementsprechend ist der Geist gemäss einer buddhistischen Auffassung in einem aktiven Sinne als aus einer endlosen Folge von Momenten der Bewusstheit bzw. des Gewahrseins zusammengesetzt ... und stellt ein Kontinuum einzelner Bewusstseinsmomente dar, die die aktiven Agenten sämtlicher bewusst erfahrener Eindrücke ausmachen. Unter geistigen Eindrücken ist in diesem Zusammenhang die Totalität der einem Individuum bewusst werdenden geistigen Inhalte zu verstehen. Geist stellt demzufolge die geistige bzw. bewusstseinsmässige Komponente einer jeden bewusst werdenden Erfahrung dar. ... Geist ist in diesem Sinne als die unsubstantielle, weder materielle noch in irgendeinem körperlichen Organ materiell verankerte, leuchtende, klare und deutliche Fähigkeit des Individuums definiert, wahrnehmen und verstehen zu können (32).
Darüber hinaus wird empfohlen, immer wieder über die Ungewissheit des Zeitpunktes des Todes nachzudenken. Der Todeszeitpunkt ist ungewiss, weil die Lebensspanne von Individuum zu Individuum schwankt, weil dem Körper keine ihn konstituierende solide Essenz innewohnt und weil es eine Vielzahl von Ursachen für den Tod gibt. Deshalb wird der Körper der Lebewesen mit einer Blase auf einem Wildwasser, die vom Wind hervorgerufen wurde, oder mit einer Kerzenflamme im Luftzug verglichen. Das Leben ist derart unbeständig, dass es ein unfassbares Wunder ist, dass man wieder einatmet, nachdem man ausgeatmet hat, und dass man wieder erfrischt vom Schlaf erwacht.
Der Körper, der nur unter grossen Schwierigkeiten vervollkommnet und anschliessend durch Nahrung und Kleidung am Leben erhalten werden konnte, der weder Krankheiten noch Hitze, weder Kälte, Hunger oder Durst ertragen kann, wird nach dem Tod von Vögeln und Hunden gefressen (33) oder den Flammen eines Feuers überantwortet (34), vom Wasser davongetragen (35) oder in einem tiefen Loch in der Erde vergraben (36).
Wann immer man dem Sterben anderer beiwohnt, vom Sterben anderer hört oder sich an das Sterben anderer erinnert, sollte man dies auf sich selbst anwenden und darüber kontemplieren, wie unbeständig und anfällig das eigene Leben ist. Da man von derselben Natur ist wie irgendein anderer Sterbender, der bislang voller Kraft und von guter körperlicher Verfassung war, sollte man sich klar machen, dass der Tod schon bald unvermittelt und ohne jede Ankündigung auch zu einem selbst kommen kann. Da man folglich nie sicher sein kann, ob man den nächsten Morgen noch erleben wird, sollte man sich nicht ausschliesslich um das ‚Morgen‘ sorgen, sondern den Belangen der nächsten Existenz mindestens die gleiche Bedeutung einräumen! Der Nutzen solcher Betrachtungen über die Vergänglichkeit und Sterblichkeit besteht darin, dass – indem man alles Zusammengesetzte als vergänglich erkennt – die Anhaftung an dieses Leben nachlässt; dies ist die unabdingbare Voraussetzung dafür, dass man seine spirituellen Praktiken mit Hingabe und Ausdauer betreibt und so das Gewahrsein des eigenen Geistes von allen Hoffnungen und Befürchtungen bezüglich des zukünftigen Lebensunterhalts, des zukünftigen Wohlbefindens, zukünftigen Glücks und sozialen Status‘ abwendet, bis man schliesslich alle Erscheinungen als gleichwertig erkennt (37).
Die Belehrungen des sog. ‚Vajrayana‘ bzw. Diamantfahrzeugs werden deshalb als der geheime Pfad bezeichnet, weil sie ausserordentlich spezielle Methoden (38) beinhalten, die eine unmittelbar eintretende Erleuchtung ermöglichen. Diese Methoden sind so einfach, dass viele Menschen sie nicht glauben werden, und so tiefgründig, dass die meisten Menschen sie nicht erfassen können. Wenn einem zum Zeitpunkt des Sterbens die Gottheiten erscheinen, besteht die Möglichkeit, spontan und unmittelbar die Erleuchtung zu erlangen – wenn es einem gelingen sollte, das, was geschieht, direkt zu erkennen. Wer zu Lebzeiten sehr viel negatives Karma angesammelt hat, wird zum Zeitpunkt seines Sterbens kein Vertrauen in die Möglichkeit der Erleuchtung verspüren, und er wird durch das Gewicht seines schlechten Karma davon abgehalten werden, die Gottheiten als solche zu erkennen. Es ist ein grosser Fehler anzunehmen, dass man die Gottheiten des Bardo erkennen kann, ohne in diesem Leben grosse Anstrengungen unternommen zu haben; vielmehr ist es von grösster Bedeutung, jetzt – zu Lebzeiten – Verdienst anzusammeln und Hingabe gegenüber dem Buddha und seiner Lehre zu erzeugen; zusätzlich ist es unerlässlich, seine Meditation gut zu entwickeln und die Gottheiten so klar wie möglich zu visualisieren. Wer in dieser Lebenszeit solcherart positive Gewohnheitstendenzen in seinem Bewusstsein verankert, der kann im Bardo des Sterbens die Erleuchtung verwirklichen (39).
Der Tod ist zwar unausweichlich, aber er wird nicht schmerzlos sein, so wie das irreführende veranschaulichende Beispiel des Verlöschens einer Flamme durch einen Windstoss oder einen Regenguss dies fälschlicherweise nahelegt; den wenigsten – sogar wenn sie die buddhistische Lehre ernsthaft praktiziert haben und dadurch gelernt haben sollten, ihren Geist zu kontrollieren – ist es vergönnt, in grossem Frieden und glücklich zu sterben. Deshalb sollte – wer immer diese Möglichkeit besitzt – sich bereits zu Lebzeiten auf die enormen Schwierigkeiten, die Schmerzen und die Ängste vorbereiten, denen man zu dieser Stunde unausweichlich ausgesetzt sein wird (40).
Da Zeitpunkt und Ursache des eigenen Todes vollkommen im Ungewissen liegen und man nicht einmal mit Sicherheit davon ausgehen kann, den nächsten Tag oder die nächste Woche zu erleben, sollte man überall, wo man sich aufhält, und unter allen Umständen folgendermassen einsgerichtet über den eigenen Tod kontemplieren: Während man irgendeine unbedeutende Handlung ausübt, sollte man sich sagen: ‚Dies ist wohl die letzte Tat in meinem Leben!‘ und sich mit vollkommener Überzeugung darauf konzentrieren. Wohin immer man sich auch wendet, immer sollte man sich sagen: ‚Mag sein, dass ich sterbe, wenn ich dort angekommen bin! Es gibt keine Gewissheit, dass ich von dort zurückkehren werde!‘ Begibt man sich auf eine Reise, sollte man sich fragen: ‚Werde ich an meinem Bestimmungsort sterben?‘ Wo immer man sich aufhält, immer sollte man sich fragen, ob dies der Ort ist, an dem man sterben wird. Geht man zu Bett, sollte man sich fragen, ob man im Verlaufe dieser Nacht sterben wird, oder ob man den Morgen unbeschadet erleben wird. Erhebt man sich morgens vom Schlaf, dann sollte man sich fragen, ob man irgendwann im Verlaufe dieses Tages sterben wird, und so weiter und so fort. Wer auf diese Art die Todesgewissheit in sich verankert und so zur Überzeugung gelangt, dass er – was die Vorbereitung auf den eigenen Tod betrifft – keine Zeit zu verlieren hat, und daraufhin buddhistische Praxis in einer authentischen Weise ausübt, ohne je in Unachtsamkeit zu geraten oder aus einem achtsamen Geisteszustand wieder herauszufallen, der wird – wenn der Tod kommt – nicht unvorbereitet sein (41).
Keinesfalls sollte man sich jedoch darauf verlassen, dass der Ablauf des Sterbens bei jedem Individuum und unter allen Umständen starr nach dem im folgenden präsentierten Muster verlaufen muss: Zuweilen finden die verschiedenen Stadien der Auflösung der Elemente in einer vollkommen anderen Reihenfolge statt, oder ein Aspekt der Auflösung der Elemente steht sehr viel mehr im Vordergrund des subjektiven Erlebens des Sterbens und bzw. oder der äusseren Anzeichen des Sterbens als die anderen; die Stadien der Auflösung geschehen in Abhängigkeit von der körperlichen Konstitution des sterbenden Individuums, von der Beschaffenheit des feinstofflichen Energiesystems seiner Kanäle, Winde und Tropfen (42) sowie von den äusseren Umständen, die das Sterben begleiten oder hervorrufen. Auf jeden Fall ist es ausserordentlich vorteilhaft, die verschiedenen Stadien der Auflösung sowie die äusseren, inneren und geheimen Anzeichen, die mit jenen einhergehen, so gut zu kennen, dass man zu dem Zeitpunkt, an dem man damit konfrontiert sein wird, weiss, was zu tun ist (43).
Chenrezig, der Herr des Mitgefühls
Vor dem Lama, der die drei Verkörperungen des Dharmakaya-Buddha Amitabha ‚Grenzenloses Licht‘, des Samboghakaya der friedlichen und zornvollen Gottheiten der Lotus-Familie und des Nirmanakaya des Lotus-Geborenen (tib: Guru Rinpoche; skrt: Padmasambhava), in sich vereinigt, dem Beschützer der Lebewesen verbeuge ich mich.
Diese Praxis, die ‚Befreiung durch Hören‘ (tib: thos grol) genannt wird, ist eine Methode, die Praktizierende (44) von mittleren Fähigkeiten im ‚Zwischenzustand‘ (45) (tib: bar do) zur Befreiung zu führen (46) vermag; sie weist drei Abschnitte auf.
Der Bardo des Sterbens wird als schmerzhaft bezeichnet, weil dieser Prozess unweigerlich Schmerzen und leidhafte Zustände mit sich bringt. Selbst wenn der Prozess des Sterbens sehr schnell vonstatten gehen sollte oder das Sterben im Koma oder von einer Bewusstlosigkeit begleitet stattfinden sollte, erfährt der Geist des Sterbenden subtile – aber deshalb nicht minder peinigende – Schmerzen, wenn die Zirkulation des sog. lebenserhaltenden Windes im Zentralkanal unterbrochen wird. ... Wenn der geübte Praktizierende mit der überwältigenden Erfahrung der Agonie konfrontiert wird, macht er nichts anderes, als in die Essenz der schmerzhaften Erfahrung zu schauen; dadurch gelingt es ihm, der schmerzhaften Erfahrung standzuhalten und nicht von ihr überwältigt zu werden. Wenn der Sterbende zu Lebzeiten seinen Geist nicht in ausreichendem Masse durch Meditation stabilisieren konnte, sollte er sich wäüüä