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GUIDO KNOPP

DER ZWEITE WELTKRIEG

BILDER, DIE WIR NIE VERGESSEN

In Zusammenarbeit
mit Claudia und Mario Sporn

VORWORT

Es war ein mörderischer Krieg, ein Töten wie kein anderes zuvor. 50 Millionen Menschen fielen diesem zweiten großen Weltenbrand zum Opfer – auf den Schlachtfeldern zwischen Kaukasus und Normandie, im U-Boot-Krieg, im Bombenhagel, der auf Hunderte von Städten niederging, im Pazifik, den Dschungeln Südostasiens und im Holocaust. Alles, was das zwanzigste Jahrhundert ausmacht, spiegelt sich in diesem Völkerringen: der Machtkampf totalitärer Ideologien, der Sieg der Demokratie über die Diktatur, der Triumph der Technik in der Kriegsführung und ihr Missbrauch bei der systematischen Vernichtung von Menschen – schließlich mit Hiroshima am Ende der Beweis, dass die Menschheit nun imstande ist, sich selbst auszulöschen.

Es war ein Krieg, der zeigt, was Menschen Menschen antun können. Und wenn Menschen überlebten, hatten sie zeitlebens Grenzerfahrungen in ihren Seelen, die nicht auszulöschen waren.

Die Geschichte dieses Kriegs gerinnt zu Bildern. In der Fülle dieser Bilder gibt es solche, die wir alle schon einmal gesehen haben. Viele davon gingen um die Welt: Ikonen einer Zeit, die immer wieder auch Symbolbilder gefordert hat. Doch es gibt auch eher unbekannte Fotos, die uns heute einen Augenblicks-Eindruck von dem vermitteln, was den Menschen wirklich widerfuhr, was sie bewegt hat: Leid und Trauer, Angst und Freude, Mitleid, Hass und Arroganz. Es sind Momentaufnahmen, die das Schicksal von Millionen widerspiegeln.

Und so erzählen wir hier die Geschichte dieses Kriegs in 75 Bildern: vom Überfall auf Polen bis zum Sündenfall von Hiroshima.

Anfang und Ende des Kriegs markieren Bilder, die sofort Geschichte machten: Ergebnisse geschickter Inszenierungen. Für den Anfang steht das Bild vom Niederreißen einer Grenzschranke zwischen Deutschland und Polen – eine vermeintlich spontane Aktion. Am Morgen des 1. September 1939 hatte um 4:47 Uhr das Kriegsschiff »Schleswig-Holstein« das Feuer auf die Danziger Westerplatte eröffnet. Wenig später rollten deutsche Panzer über die Grenze, bombardierten deutsche Flieger Flugplätze und Städte in ganz Polen. Hitler tat um 10 Uhr früh im sogenannten »Reichstag« kund, man habe sich ja nur gegen polnische Angriffe gewehrt: »Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen.«

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Die falsche Uhrzeit war nicht die einzige Desinformation. Es wurde in der Tat geschossen, doch es waren Deutsche, die damit begonnen hatten. Das Symbolbild, welches bald darauf auf den Titelseiten vieler deutscher Blätter prangte, es entstand nicht an der Grenze zwischen Hitlers Reich und Polen, sondern an der Demarkationslinie zwischen Polen und der Freien Stadt Danzig. Deutsche Truppen standen schon Dutzende von Kilometern weit auf polnischem Gebiet, als am frühen Nachmittag auf der Straße Danzig-Gdingen Propaganda-Fotografen einen Grenzbruch inszenierten: »Mit einem ›Hauruck‹ zerbrachen wir den Schlagbaum«, erinnert sich ein Augenzeuge, »das war nicht schwer, denn er war bis auf einen kleinen Rest schon durchgesägt«.

Der »Grenzbruch« als propagandagerechte Inszenierung. So war schon zu Beginn das erste Opfer dieses Kriegs die Wahrheit.

Auch die fotografische Ikone für das Ende dieses Kriegs, zumindest in Europa, war natürlich nachgestellt. Aufgenommen wurde sie am 2. Mai des Jahres 1945. Berlin hatte kapituliert, Hitler sich in seinem Bunker schon zwei Tage zuvor erschossen. Doch das durfte nicht der Höhepunkt des Sieges sein! Dafür braucht ein Sieger Bilder – und ein mythenträchtiges Symbol.

Das lieferte der tags zuvor gerade angereiste Fotograf Jewgenij Chaldej. Der Profi wusste, dass Legenden einer sorgfältigen Vorbereitung bedürfen. Am Abend vor seiner Abreise aus Moskau hatte er aus dem Speisesaal der Agentur TASS ein paar rote Tischtücher mitgehen lassen. Sein Freund, der jüdische Schneider Israel Tjeschitzer, nähte sie in einer Nacht- und Nebelaktion zusammen und versah sein Werk mit Hammer und Sichel. Am Vormittag des 2. Mai schnappte Chaldej sich zwei Rotarmisten: den Russen Michail Jegorow und den Georgier Militon Kantarija (denn ein Georgier musste mit dabei sein, weil Stalin ein Georgier war). Jene beiden waren auch am Originalsturm auf den Reichstag zwei Tage zuvor beteiligt gewesen. Aber da war halt kein Fotograf dabei. Nun stand Chaldej mit den zweien samt der Roten Fahne auf dem Dach des Reichstags, drückte auf den Auslöser – und da war es schon, das Bild.

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Doch warum musste es der Reichstag sein? Der Bau von 1894 stand im Jahre 1945 längst schon leer. Seit dem Reichstagsbrand von 1933 war er Hitlers erste richtige Ruine. Einen regulären Reichstag hatte es im sogenannten »Dritten Reich« bekanntlich nie gegeben. Streng genommen, hissten die Sowjetsoldaten ihre Rote Fahne auf dem längst geschändeten Symbol der deutschen Demokratie.

Das störte vorerst niemanden: Man brauchte ein Symbolbild für den Sieg, und bekam es: Die Rote Fahne auf dem Reichstag, genäht von einem jüdischen Schneider.

Doch zwischen diesen beiden inszenierten Fotos für den Anfang und das Ende finden wir noch Dutzende eindringlicher Bilder, die Momente bannen, deren Anblick bis heute erschüttert.

Da ist das Bild eines polnischen Mädchens, das mit schmerzverzerrtem Gesicht vor der Leiche einer jungen Frau kniet. Die Hände zum Gebet gefaltet, weint es in ohnmächtiger Trauer. Der amerikanische Fotograf Julien Bryan hält den Moment fest, in dem die zehnjährige Kazimiera Mika aus Warschau begreifen muss, dass ihre ältere Schwester Andzia tot ist – umgekommen bei einem Bombenangriff der deutschen Luftwaffe auf die polnische Hauptstadt am 13. September 1939.

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Oder ein Bild aus den Tagen des »Westfeldzugs« im Mai 1940: Ein desillusionierter französischer Soldat muss den bitteren Gang in die deutsche Gefangenschaft antreten. Seine versteinerte Miene spiegelt den Schmerz und die Demütigung der Niederlage. In die andere Richtung, dem Sieg entgegen, marschiert ein Trupp deutscher Landser. Einer dreht sich um, blickt den Fotografen an, seine Gesichtszüge zeigen eine merkwürdige Mischung aus Triumph und Mitgefühl.

Und dann das Mädchen aus Lemberg: Geschlagen, geschändet und nur noch notdürftig bekleidet, kniet es auf dem Straßenpflaster und streckt dem Fotografen flehentlich die Hände entgegen. Eine ältere Frau, wohl ihre Mutter, versucht, sie vor Schlägern und Gaffern zu schützen. Dahinter eine Menschenmenge, die begierig lauert, wie sich auf den Straßen Lembergs der »Volkszorn« austobt.

In den Tagen vor dem deutschen Einmarsch Ende Juni 1941 hatte die sowjetische Geheimpolizei in den Gefängnissen der Stadt noch Hunderte von Häftlingen ermordet. Nun suchte die rasch aufgestellte ukrainische Miliz nach »Sündenböcken« – und fand sie in den Lemberger Juden. Ein furchtbares Pogrom begann – vor den Augen der deutschen Besatzungsmacht, die das billigend geschehen ließ. Wir wissen nicht, was aus dem Mädchen von Lemberg wurde. Es ist kaum anzunehmen, dass es Krieg und Holocaust überlebt hat.

Je mehr Zeit seitdem vergangen ist, umso mehr hat sich gezeigt, dass der Krieg mit seinen offenen Schrecken nur die Hülle war, hinter der sich das eigentliche Geschehen vollzog: der Völkermord – mechanisch, systematisch, gründlich.

Aus dem Jahre 1942 sehen wir ein Bild mit einer Gruppe Männer, Juden. Aufgenommen im Lager Chelmno, einem Vernichtungsort. Mit nacktem Oberkörper erwarten sie dicht gedrängt ihr ihr Schicksal. Sie scheinen zu ahnen, was ihnen bevorsteht.

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Im Pazifik-Krieg 1943 entstand das verstörende Bild von der Hinrichtung eines Soldaten. Es sind die letzten Sekunden im Leben des Gefangenen Leonard Siffleet. Gefesselt und mit verbundenen Augen, kniet der Australier vor seinem Henker. Der japanische Offizier hebt sein Schwert, um die Strafe zu vollstrecken: Tod durch Enthauptung. Wenige Augenblicke später liegt Siffleets Kopf im Sand. Der Henker selbst hatte den Auftrag erteilt, den brutalen Akt zu fotografieren.

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Von einem ebenso verstörenden Bild aus dem Frühjahr 1944 können wir nicht mit Sicherheit sagen, wo genau es aufgenommen wurde – vielleicht in Mannheim, vielleicht in Düsseldorf. Doch es zeigt wie kaum ein anderes das Grauen des Bombenkriegs. Ein junger Luftwaffenhelfer leitet eine Familie durch die Trümmer. Die völlig verstörte Frau schaut den Fotografen an, mit wirrem Blick. Der Mann neben ihr hält ein kleines Mädchen im Arm, das sich ängstlich an ihn klammert. Man kann nur ahnen, was sie hinter sich haben: Wurden sie in einem Keller verschüttet und konnten erst im letzten Augenblick vor dem Erstickungstod gerettetwerden? Hat sie der Feuersturm um den Verstand gebracht? Siehaben überlebt – doch um welchen Preis?

Am Ende kehrt der Krieg dorthin zurück, wo er entfesselt worden war – nach Deutschland. Hitlers Reich versank in einem Meer von Blut und Tränen. Viele Städte waren nur noch schwelendeRuinenfelder, und landauf, landab bot sich den Siegern ein gespenstisches Bild des Todes. Und das Volk? Es existierte noch: Es hauste in den Trümmern, suchte nach Verwandten, hungerte und trauerte. Es war verfemt – wie die Karthager, als die Römer die verbrannte Stadt mit einem Fluch belegten. Seit die Welt erfahrenhatte, was in deutschem Namen nicht nur in den Lagern des Regimes geschehen war, kehrte sich der Zorn der Völker gegen das gesamte »Volk der Täter«. Dabei war dieses Volk mit seinen Frauen,Kindern, alten Menschen selbst zum Opfer des in seinem Namen ausgelösten Kriegs geworden.

Das Ende dieses Krieges war zugleich der Schlussstrich untereine Zeit der Weltkriege, die künftige Historiker als einen großen Orlog sehen werden – 1914 bis 1945, der Dreißigjährige Krieg des Zwanzigsten Jahrhunderts. Und es war auch das Jahr Null für eine neue Ära: den Kalten Krieg der Supermächte, Sieger des Weltbürgerkriegs, die sich von nun an hochgerüstet gegenüberstanden. Die geteilten Deutschen, auf dem Boden ihres Landes an der Nahtstelle der Blöcke Geiseln ihrer jeweiligen Vormacht, wären wohl die ersten Opfer eines neuen atomaren Weltenbrands geworden. Dass wir dies am Ende überwunden haben, durch den Fall der Mauer, durch die deutsche Einheit und die Einigung Europas, ist ein Glück und eine Gnade der Geschichte.

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Bundesarchiv, Bild 146-1979-056-18A /Hans Sönnke

DER GRENZBRUCH

Hans Sönnke
Kolibki (Polen)
1. September 1939

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picture alliance /AP Images / Julien Bryan

BOMBEN AUF WARSCHAU

Julien Bryan

Warschau (Polen)

13. September 1939

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© ullstein bild – Roger-Viollet

DER KRIEG DER LENI RIEFENSTAHL

Unbekannter Fotograf

Końskie (Polen)

12. September 1939

DER KRIEG DER LENI RIEFENSTAHL

 
LENI RIEFENSTAHL
Die Berlinerin Leni Riefenstahl (1902–2003) machte zunächst als Tänzerin und Schauspielerin Furore, ehe sie Anfang der 1930er Jahre als Regisseurin reüssierte. Nach Hitlers »Machtergreifung« geriet sie wie Millionen Deutsche in den Bann des Diktators. Doch begabter als die meisten wurde sie – als ein weiblicher Faust – geniale Propagandistin eines verbrecherischen Regimes, die mit Filmen wie Triumph des Willens den schönen Schein der Diktatur auf Zelluloid bannte. Es waren ihre Bilder, die Hitler zu einem übermächtigen Heilsbringer stilisierten und mithalfen, eine ganze Generation zu verführen. Nach dem Krieg wollte sie mit all dem nichts mehr zu tun haben. Sie habe doch nur die Realität abgebildet, so Riefenstahl. Es blieb bis zuletzt ihre Lebenslüge.

Eine Frau, umringt von deutschen Soldaten, die mit schmerzverzerrtem Gesicht aufschreit. Ein Mann versucht, sie zu beruhigen, andere sehen dem Geschehen regungslos zu. »Leni Riefenstahl fällt beim Anblick der toten Juden in Ohnmacht«, hat ein Landser lapidar in ein Fotoalbum mit Kriegserinnerungen geschrieben, in das er das Foto von Hitlers Starregisseurin eingeklebt hat.

Polen, Anfang September 1939. Nach Kriegsbeginn hatte sich die Filmemacherin Hitlers Truppen beim Vormarsch nach Osten an die Fersen geheftet. Am 10. September sei sie, begleitet von einem Trupp Kameraleute, in seinem Hauptquartier aufgetaucht, laut ihrer eigenen Aussage »den Spuren des Führers« folgend, erinnerte sich General Erich von Manstein später. Sie habe verwegen ausgesehen, »wie etwa eine elegante Partisanin, die ihr Kostüm von der Rue de Rivoli aus Paris bezogen haben konnte. Sie trug eine Art Tunika, Breeches und weiche hohe Stiefel. Am Lederkoppel, das ihre Hüften umgürtete, hing eine Pistole. Die Nahkampfausrüstung war durch ein nach bayerischer Art im Stiefel steckendes Messer ergänzt. Der Stab war durch diese ungewöhnliche Erscheinung, wie ich gestehen muss, ein wenig perplex.«

Manstein konnte der exaltierten Person wenig abgewinnen und schob die lästige Besucherin zu General von Reichenau nach Końskie ab. Auch dort sorgte sie für Aufsehen, wie das Fotoalbum des deutschen Soldaten zeigt. »Leni Riefenstahl mit dem Filmstab«, hat er ein Bild beschriftet. Zu sehen ist dieRegisseurin, die mit einigen Begleitern über die Straße schreitet. »Unser Führer in Konskie«, so der Titel eines anderen Fotos, auf dem Hitler im offenen Wagen vorüberfährt.

Dann jedoch folgen andere Bilder: »Vier Kameraden auf der Streife von Juden überfallen und gemeuchelt«, heißt es eine Seite weiter unter einem Foto von vier Leichen. »Die Juden müssen die Gräber für die gefallenen Kameraden ausheben«, steht unter dem nächsten. Was war geschehen? Während der Strafaktion war die Situation eskaliert: Unter den deutschen Soldaten hatte sich das Gerücht verbreitet, die vier Landser seien grausam verstümmelt worden – spontane Gewaltausbrüche gegen die unfreiwilligen Totengräber waren die Folge. Als die Juden daraufhin in Panik zu fliehen versuchten, schossen einzelne Soldaten in die Menge – 22 Menschen starben.

Was hat Leni Riefenstahl von diesem Massaker, einem der ersten Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg, gesehen? Nach dem Krieg sagte sie aus, sie habe gegen die rüde Behandlung der Zivilisten protestiert, woraufhin ein deutscher Landser sogar sein Gewehr auf sie gerichtet habe: »Schießt dieses Weib nieder!« Die Tötung der Juden selbst dagegen habe sie nicht mitbekommen, sondern erst später davon erfahren. Diese Aussage ist jedoch wenig glaubwürdig – nicht zuletzt aufgrund des verräterischen Fotos – und wohl vor allem auf eine Art Verteidigungsposition während der »Entnazifizierung« in den 1950er Jahren zurückzuführen.

Unstrittig ist freilich, dass Riefenstahl umgehend gegen die Vorgänge in Końskie protestiert hat. Es ist belegt, dass sie bei Reichenau vorsprach und entsetzt von ihren Beobachtungen berichtete. Tatsächlich wurde der Haupttäter daraufhin vor ein Kriegsgericht gestellt und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

Die Regisseurin selbst hat Końskie zu einer Art Erweckungserlebnis stilisiert, das sie bewogen habe, den Dienst als selbsternannte »Kriegsberichterstatterin« zu quittieren. In der Tat hat sie danach nie wieder mit ihren Kameras eine Front besucht. Doch was sie ablehnte, waren nur die Schrecken des Krieges, nicht aber die Verbrechen des Mannes, der ihn angezettelt hatte.

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Aus: C.L. Sulzberger, The American Picture History of World war II, 1966 / Uitgeverij de NV de Arbeiderspers, Amsterdam

ANGRIFF IM WESTEN

Unbekannter Fotograf

Nordfrankreich

Mai/Juni 1940

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picture alliance / Newscom/Heinrich Hoffmann

HITLER IN PARIS

Heinrich Hoffmann

Paris (Frankreich)

28. Juni 1940

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Bundesarchiv, Bild 101II-MW-1019-15 /Dietrich

IM FREUDENHAUS

Dietrich

Brest (Frankreich)

Sommer 1940

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picture alliance / United Archives/TopFoto

DER PREMIER MIT DER KNARRE

William G. Horton

Hartlepool (Großbritannien)
31. Juli 1940

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Aus: Gavin Hainsworth, Katherine Freund-Hainsworth, A new Westminster Album, Glimpses of the City as it was, 2005

»WAIT FOR ME, DADDY«

Claude P. Dettloff

New Westminster (Kanada)

1. Oktober 1940

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picture alliance / newscom

DER »BLITZ«

Herbert Mason

London (Großbritannien)

30. Dezember 1940

DER »BLITZ«

 

Es ist ein Foto mit großer Symbolkraft und gilt bis heute in Großbritannien als Ikone des britischen Durchhaltewillens: Inmitten von zerstörten Gebäuden und umgeben von schwarzen Rauchschwaden trotzt St Paul’s Cathedral, Grablege bedeutender Persönlichkeiten der britischen Geschichte, den deutschen Bombenangriffen auf London – so unbeugsam, wie es Premierminister Winston Churchill im Frühjahr 1940 von seinen Landsleuten gefordert hatte: »Wir werden uns niemals ergeben!«

OPERATION SEELÖWE
In Hitlers Weisung für die »Operation Seelöwe« hieß es: »Da England, trotz seiner militärisch aussichtslosen Lage, noch kein Anzeichen von Verhandlungsbereitschaft zu erkennen gibt, habe ich mich entschlossen, eine Landungsoperation gegen England vorzubereiten und, wenn nötig, durchzuführen.« Da es keine regulären Landungsboote gab, wurden 1720 »Prähme«, die als Binnenschiffe Lasten auf dem Rhein transportierten, umgebaut. 50 000 Mann einer improvisierten »Landungsflotte« wurden zusammengezogen. Trotzdem war »Seelöwe« mehr Drohgebärde als ernsthafte Operation. Anfang September wurde das ohnehin nur halbherzig geplante Unternehmen »bis auf Weiteres« abgeblasen.

Nach Hitlers Willen sollte vor allem die Luftschlacht um England – neben den halbherzig vorangetriebenen Vorbereitungen der »Operation Seelöwe«, einer deutschen Landung auf der Insel – die Briten »friedensbereit« machen. Der deutsche Diktator wollte freie Hand für »seinen« Krieg: den Eroberungsfeldzug gegen die Sowjetunion. Ab Mitte August 1940 bombardierten die Deutschen Flugplätze und Rüstungsbetriebe in Südengland, bald jedoch auch Wohngebiete in Birmingham, Liverpool oder Sheffield.

Nachdem die Briten daraufhin Angriffe auf Berlin flogen, drohte Hitler unverhohlen: »Wenn sie erklären, sie werden unsere Städte in großem Ausmaß angreifen, werden wir ihre Städte ausradieren« – und befahl, am 7. September 1940 Ziele in London zu bombardieren. Durch Fehlabwürfe starben 448 Menschen, 1337 wurden schwer verletzt. Auf beiden Seiten eskalierte nun der Luftkrieg. Vor allem für die Bewohner Londons folgte eine schreckliche Prüfung: 57 Nächte hintereinander griffen die Deutschen an. Mitte September begann das, was die Briten bis heute als den »Blitz« bezeichnen. Bei Dunkelheit war die Zielgenauigkeit der Bomber gering, und so wurden Nacht für Nacht Zivilisten getötet.

Einen der schwersten Angriffe erlebte die britische Hauptstadt wenige Tage nach Weihnachten 1940. Nach mehreren Angriffswellen loderten am 29. Dezember über 1400 Brände in der Stadt. Augenzeugen sprachen vom »Second Great Fire of London«, dem zweiten großen Feuer nach 1666, als vier Fünftel der Stadt ein Raub der Flammen wurden. Angesichts von Chaos und der Zerstörung in der Londoner City mutete es wie ein Wunder an, dass St Paul’s relativ glimpflich davonkam: Eine Bombe zerstörte den Hochaltar, ein paar Fensterscheiben gingen zu Bruch. »Rundherum loderten Flammen in den Himmel. Doch da stand die Kathedrale, herrlich stark, unberührt im Zentrum all dieser Zerstörung«, kommentierte BBC-Radioreporter Robin Duff für seine Hörer.

COVENTRY
Vor allem der Angriff auf Coventry am 14. November 1940 wurde in Großbritannien als nationale Tragödie wahrgenommen. In dieser Nacht hatten 454 deutsche Bomber insgesamt 600 Tonnen Spreng- und Brandbomben über der Industriestadt abgeladen. Zwar waren Fabriken und Verkehrswege die eigentlichen Ziele des Angriffs, doch wurde die großflächige Zerstörung von Wohnvierteln billigend in Kauf genommen. Das Zentrum der Stadt wurde schwer zerstört, die Kathedrale aus dem 14. Jahrhundert brannte aus. 554 Menschen starben, über 800 wurden verletzt.

Es war eben dieses Motiv der wie durch ein Wunder geretteten Kathedrale, das Daily Mail-Fotoreporter Herbert Mason unbedingt auf Film bannen wollte. Stundenlang wartete er in der Nacht zum 30. Dezember auf dem Dach des Verlagshauses an der Themse auf den entscheidenden Moment, da sich der Rauch der zahlreichen Brände lichten und die Kuppel des Gotteshauses in ihrer ganzen Größe freigeben würde. In den frühen Morgenstunden war es dann so weit: »Wind kam auf«, berichtete Mason später. »Plötzlich stachen das strahlende Kreuz, die Kuppel und die Türme wie ein Symbol aus dem Inferno heraus. Dieser Anblick war unglaublich. In diesem kurzen Moment drückte ich auf den Auslöser.« Am Silvestertag 1940 veröffentlichte die Daily Mail das Foto mit der Bildunterschrift, es symbolisiere »die Standhaftigkeit Londons gegen den Feind, die Festigkeit des Guten gegen das Böse«.

Großbritanniens Städte litten bis zum Mai 1941 unter den Angriffen der Luftwaffe – fast 42 000 Zivilisten starben in den knapp elf Monaten der »Schlacht um England«, etwa 20 000 allein in London. Erst als Hitler seine Geschwader für den Krieg gegen die Sowjetunion nach Osten verlegte, konnten die Menschen in London und Liverpool, in Birmingham und Bristol, in Glasgow, Coventry und anderen Städten aufatmen.

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picture alliance / Everett Collection / Courtesy Everett Collection

DER WEINENDE FRANZOSE

George Mejat

Marseille (Frankreich)

19. Februar 1941

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© Gerhard Gronefeld / DHM, Berlin

ERSCHIESSUNG IN PANČEVO

Gerhard Gronefeld

Pančevo (Serbien)

22. April 1941

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© dpa – Sportreport

DER BOXER

Unbekannter Fotograf

Kreta (Griechenland)

Mai 1941

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Imperial War Museum / Chetwyn

DER UNTERGANG DER BISMARCK

Unbekannter Fotograf

Nordatlantik

27. Mai 1941

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© ullstein bild – Süddeutsche Zeitung Photo / Scherl

DAS UNTERNEHMEN BARBAROSSA

Unbekannter Fotograf

Bei Brest-Litowsk (Weißrussland)

22. Juni 1941

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picture alliance / akg-images

POGROME IN LEMBERG

Unbekannter Fotograf

Lemberg (Ukraine)

30. Juni 1941

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© ullstein bild – Heinrich Hoffmann

BROT UND SALZ

Funk (Hoffmann)

Ukraine

Juli 1941

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Time & Life Pictures / Getty Images/Margaret Bourke White

ANGRIFF AUF DEN KREML

Margaret Bourke-White

Moskau (Russland)

26. Juli 1941

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Scherl / Süddeutsche Zeitung Photo

DAS LEID DER GEFANGENEN

Unbekannter Fotograf

Ostfront

1941

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© ullstein bild – Walter Frentz

HIMMLER WALTER FRENTZ

Bei Minsk (Weißrussland)

August 1941

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© ullstein bild – Süddeutsche Zeitung Photo/ Scherl

DER GELBE STERN

Unbekannter Fotograf

Berlin

27. September 1941

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DAS MASSAKER VON BABI JAR

Unbekannter Fotograf

Babi Jar (Ukraine)

29. September 1941

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picture alliance / akg-images

Der PartisanenKrieG

Carl Henrich

Minsk (Weißrussland)

26. oktober 1941

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Haus der Geschichte Baden-Württemberg/Eric Borchert

MYTHOS ROMMEL

Eric Borchert

Nordafrika

1941

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Scherl / Süddeutsche Zeitung Photo

DIE WENDE VOR MOSKAU

Unbekannter Fotograf

Ostfront

Dezember 1941

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picture alliance / AP Photo

DER ANGRIFF AUF PEARL HARBOR

Unbekannter Fotograf

Pearl Harbor (Hawaii)

7. Dezember 1941

 

DER ANGRIFF AUF PEARL HARBOR

 

Der Überfall kam ohne Kriegserklärung. Plötzlich waren sie dagewesen: Hunderte Sturzkampfbomber mit dem roten Sonnenkreis auf den Tragflächen, die sich wie ein apokalyptischer Wespenschwarm auf die mächtigen Schlachtschiffe an der »Battleship Row« von Pearl Harbor stürzten. Bevor die Matrosen wussten, wie ihnen geschah, war es bereits um sie geschehen: Auf der »USS Arizona« durchschlug eine japanische Bombe das Vorderdeck und detonierte inmitten der vollbeladenen Munitionskammern. Die gewaltige Explosion hob den Rumpf fünf Meter aus dem Wasser. Binnen Sekunden schmolzen sechs Decketagen in einem apokalyptischen Flammenmeer zusammen, ein großer Teil des Vorderschiffs verschwand im Nichts. Im stählernen Bauch des Riesen tobte ein Feuersturm. Die »Arizona« sank innerhalb von nur neun Minuten – 1177 der 1550 Mann zählenden Besatzung fanden den Tod.

Der 7. Dezember 1941 war ein klarer Sonntagmorgen. Azurblau wölbte sich der tropische Himmel über der Pazifikinsel Oahu. Auf den Achterdecks der Schlachtschiffe zogen die Matrosen wie jeden Morgen das Sternenbanner auf. Am Vorabend hatte die Bordkapelle der »Arizona« mit flotter Swingmusik den zweiten Platz in einem Bandwettbewerb belegt. Zur Belohnung durfte die Besatzung an diesem Sonntag länger schlafen. Für die Männer bedeutete dies das Todesurteil. Der Honolulu Advertiser erschien an diesem Morgen nicht – die Druckmaschinen waren ausgefallen. Die Tageszeitung hatte folgende Schlagzeile vorbereitet: »US-Regierung hält Krieg im Pazifik für unwahrscheinlich«. Im fernen Mutterland machten sich die Menschen gerade zum Kirchgang zurecht.

TAKEO YOSHIKAWA
Für seine »Verdienste« erhielt Yoshikawa keinerlei Anerkennung vonseiten seines Landes. Er arbeitete zunächst weiter für den Marinegeheimdienst und tauchte nach Kriegsende als buddhistischer Mönch unter. Als seine Rolle beim Angriff auf Pearl Harbor in den 1950er Jahren bekannt wurde, gab es nicht wenige Japaner, die ihm die Schuld am Kriegsausbruch in die Schuhe schieben wollten. Als Geschäftsmann gescheitert, starb er 1993 verarmt und verlassen.

Militär und Zivilbevölkerung der Inselrepublik Hawaii, seit 1900 amerikanisches Territorium, aber noch kein Bundesstaat, wiegten sich in Sicherheit. Nur die häufigen Alarmübungen hinderten die Soldaten daran, einem tropischen Schlendrian zu verfallen. Die Militärs fürchteten allenfalls Sabotage von innen, denn 40 Prozent der Einwohner von Hawaii waren japanischer Abstammung, ein Viertel von ihnen, immerhin 40 000, gar japanische Staatsbürger – unter ihnen der Meisterspion Takeo Yoshikawa.

Unter dem Decknamen Tadashi Morimura war er als Vizekonsul niederen Rangs tätig, flirtete mit den Geishas von Hawaii und galt als trinkfreudiger Tunichtgut, sodass er als einziges Konsulatsmitglied nicht auf der amerikanischen Liste der Verdächtigen auftauchte. Als Tourist getarnt, kundschaftete er mit einer kleinen, billigen Kamera das Hafengebiet von Pearl Harbor aus. Bereits im September 1941 kabelte er die Positionen der vor Anker liegenden Schiffe nach Tokio. Die Spionageabwehr in Washington fing Yoshikawas Nachrichten zwar ab, doch die Auswerter des amerikanischen Marinegeheimdienstes hielten sie für Routinemeldungen, um den Japanern Berechnungen zu erleichtern, wie schnell die US-Flotte in See stechen konnte. An einen Angriff dachte niemand.

Unterdessen startete die japanische Militärregierung ein ausgeklügeltes Täuschungsmanöver. Wochen vor dem Angriff hatte der Liniendampfer »Taiyo Maru« eine Schmuggelroute für Nippons Kriegsmarine erkundet. Japans Flottenchef Admiral Isoroku Yamamoto nahm mit seiner Schiffsarmada einen Kurs, der exakt zwischen zwei Aufklärungsgebieten amerikanischer Luftpatrouillen lag; die sechs japanischen Flugzeugträger blieben unentdeckt. Auf der Ginza in Tokio promenierten derweil Soldaten des japanischen Heeres in Marineuniformen, um die Abwesenheit eines Großteils der Flotte zu verbergen. Die britischen und amerikanischen Militärattachés ließen sich täuschen und meldeten: »Alles normal.« Obendrein führten die Bordfunker der Yamamoto-Trägerflotte die amerikanischen Horcher mit falschen Funksprüchen in die Irre.

FRANKLIN D. ROOSEVELT
Er wurde als einziger US-Präsident dreimal wiedergewählt – 1940 mit dem Versprechen, sich aus dem Krieg herauszuhalten. Dies entsprach der isolationistischen Grundstimmung weiter Bevölkerungskreise in den Vereinigten Staaten. Insgeheim unterstützte Roosevelt (1882–1945) jedoch den britischen Bundesgenossen mit Nachschub und Kriegsgerät. Der Angriff auf Pearl Harbor brachte dann den Stimmungsumschwung – die USA traten an der Seite Großbritanniens und der Sowjetunion in den Krieg gegen die Achsenmächte ein.

Noch am Vorabend des Angriffs hatten amerikanische Nachrichtenoffiziere ein verschlüsseltes Telegramm des Tokioter Außenministeriums an die japanische Botschaft in Washington dechiffriert, dessen Inhalt auf einen unmittelbar bevorstehenden Militärschlag gegen die USA schließen ließ. Nachdem Präsident Franklin D. Roosevelt das Papier gelesen hatte, murmelte er: »Das bedeutet Krieg.« Dann ging er zu Bett.

Wenige Stunden zuvor hatte Japans Mann auf Hawaii, Takeo Yoshikawa, hochbrisante Informationen über die Lage in Pearl Harbor nach Hause telegrafiert: »Die Schlachtschiffe haben keine Torpedonetze … keine Anzeichen für Sperrballons.« Leichtsinnig offen fügte er hinzu, »dass ein Überraschungsangriff auf diese Plätze beträchtliche Erfolgschancen hätte«. Bei der Washingtoner Spionageabwehr blieb die abgefangene Meldung im Stapel der eingehenden Nachrichten liegen. Die Mitarbeiter hatten bereits das Wochenende im Visier. Meisterspion Yoshikawa hatte seine Aufgabe erfüllt und vernichtete nun sämtliche Hinweise auf seine Spionageaktivitäten. Als das FBI ihn am Nachmittag verhaftete, konnte man ihm keine Verbindung zu dem Angriff nachweisen. Ein Dreivierteljahr später kehrte er unbehelligt im Zuge eines gegenseitigen Austauschs von gefangenen Diplomaten nach Tokio zurück.

Wenige Minuten vor acht Uhr an jenem Sonntagmorgen begann die Luft über Pearl Harbor von dumpfem Motorendröhnen zu vibrieren. Die amerikanischen Seeleute auf den Decks ihrer Schiffe glaubten zunächst an ein großangelegtes Übungsmanöver ihrer Air Force. Doch es waren 360 japanische Kampfflugzeuge, von der Trägerflotte 200 Kilometer nördlich von Hawaii gestartet, die in zwei Angriffswellen im Tiefflug über ihre Köpfe hinwegjagten. Zielsicher entluden sie ihre Bombenlast über dem Hafenbecken. Angefeuert durch den siegverheißenden Schlachtruf »Tora! Tora! Tora!« ihres Kommandanten Mitsuo Fuchida versenkten die Piloten der Zeros, Val-Stukas und Nakajima-Torpedobomber die Schlachtschiffe »Arizona«, »California«, »Oklahoma« und »West-Virginia«. Die »Nevada« wurde schwer getroffen, drei weitere Schlachtschiffe einsatzunfähig geschossen. Im Bombenhagel versanken darüber hinaus Zerstörer, Minenleger, leichte Kreuzer und zahlreiche kleinere Schiffe.

Noch ehe die völlig überraschten US-Piloten zum Gegenschlag starten konnten, griffen die Japaner ihre Militärflugplätze Wheeler und Hickam an und zerstörten 350 amerikanische Flugzeuge, die meisten von ihnen noch am Boden. Als die japanischen Piloten gegen dreizehn Uhr auf ihre Flugzeugträger zurückkehrten, hatten sie 2403 Amerikaner getötet und 1178 verwundet.

Doch für die Japaner blieb der Vernichtungsschlag gegen die amerikanische Pazifikflotte ein Pyrrhussieg. Das Feuer von Pearl Harbor entflammte den Kriegseifer der tief gedemütigten Nation. In den traumatischsten Stunden der amerikanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts erwachte die Weltmacht USA und gelobte Vergeltung für den »Tag der Niedertracht«. Mit Roosevelts patriotischem Ruf zu den Waffen verstummten die Isolationisten, die zwischen den beiden Weltkriegen die defensive amerikanische Außenpolitik bestimmt hatten. Mit Amerikas Kriegseintritt lief die gigantische Rüstungsmaschinerie an, die Japans Militärregime ebenso wie Hitlers Reich von der Weltbühne fegen sollte.

Fast auf den Tag genau drei Jahre und acht Monate vergingen von den dunklen Rauchschwaden über Pearl Harbor bis zum atomaren Fanal von Hiroshima, das den japanischen Machtwillen zum großasiatischen Imperium brach und den Zweiten Weltkrieg beendete.

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© United States Holocaust Memorial Museum, Washington, DC

DER BEGINN DES MASSENMORDS

Unbekannter Fotograf

Chełmno (Polen)

1942

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© ullstein bild – Archiv Gerstenberg

»LEID«

Dmitri Baltermanz

Kertsch (Krim)

2. Januar 1942

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UIG via Getty Images

DIE BELAGERUNG

Michail Trachman

Leningrad (Sowjetunion)

April 1942

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picture alliance / akg-images

»DER LETZTE JUDE VON WINNIZA«

Unbekannter Fotograf

Winniza (Ukraine)

1942

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George (Jürgen) Wittenstein / akg

DIE »WEISSE ROSE«

Jürgen Wittenstein

München

24. Juli 1942

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Bundesarchiv, Bild 101I-217-0465-32A / Kintzsch

DER »FALL BLAU«

Klintzsch

Süd-Russland

August 1942

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© ullstein bild

ZARAH LEANDER SINGT

Unbekannter Fotograf

Deutschland

1942

 

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Imperial War Museum / Chetwyn

DIE WENDE DES WÜSTENKRIEGS

Len Chetwyn

Bei El-Alamein (Ägypten)

29. Oktober 1942

DIE WENDE DES WÜSTENKRIEGS

 

Die meisten Soldaten des Afrikakorps schliefen schon in ihren Unterständen und Erdlöchern, als ein unheimliches Grollen die Ruhe zerriss. Aus Tausenden Geschützen eröffneten die Briten das Feuer. Aus der Luft warfen Bomber der Royal Air Force ihre todbringende Fracht auf die deutschen Stellungen. Es war das massivste Flächenbombardement seit dem Ersten Weltkrieg. Nach einer Viertelstunde herrschte wieder trügerische Ruhe. Doch ehe der Schleier aus Wüstenstaub und dem Rauch der Detonationen sich legte, rückten die britischen Truppen vor – die Entscheidungsschlacht um El-Alamein hatte begonnen.

Nahezu 200 000 Mann, über 1000 Panzer und 750 Flugzeuge standen auf britischer Seite bereit – doppelt so viel, wie die verbündeten Deutschen und Italiener aufbieten konnten. Die britischen Truppen waren frisch und hoch motiviert, ihr Nachschub funktionierte, die Technik war auf dem Höchststand. Ihr Gegner hingegen war zermürbt. Darüber hinaus fehlte es an Munition, Benzin, Ersatzteilen. Und zu allem Überfluss fehlte ihnen der Mann, der sie bis hierhin geführt hatte – Erwin Rommel.

Der charismatische General hatte die Briten in Nordafrika an den Rand einer Niederlage gebracht. Wie schon im Jahr zuvor hatte er auch 1942 im Wüstenkrieg gewaltige Geländegewinne erzielen können. Im Juni war Tobruk, der zentrale Eckpfeiler des britischen Verteidigungssystems in Nordafrika, gefallen – und Rommels Truppen rückten weiter in Richtung Kairo vor. Seinem Dolmetscher, Wilfried Armbruster, stellte der frischgebackene Feldmarschall schon die weiteren Ziele vor Augen: »Wenn wir so weitermarschieren, können wir uns bis nach Palästina durchschlagen.« Und insgeheim gab es da noch den großen »Orientplan«: die Eroberung der Ölfelder in Persien und die Vereinigung mit dem deutschen Ostheer. Und so sangen die Soldaten, die teils an die Ostfront, teils nach Afrika transportiert wurden, etwa am Hauptbahnhof Leipzig: »In Jerusalem am Bahnhof, werden wir uns wiedersehen!«

Doch wieder einmal hatte der weite Vormarsch die deutsche Front gewaltig überdehnt. Aufgrund der langen Nachschubwege blieben Lieferungen aus, Treibstoff und Munition wurden knapp. Zudem war die Truppe erschöpft: In den deutschen Stellungen vor El-Alamein gab es bereits vereinzelt Fälle von Skorbut. Über 70 Prozent der Soldaten hatten schwere Ruhr. Als Rommel zwei Tage nach dem Beginn der britischen Offensive wieder in Afrika eintraf, brachte sein Name noch einmal Zuversicht in die wankenden Reihen seiner Soldaten, doch die erdrückende Übermacht des Gegners konnte er nicht wettmachen. So blieb nur der geordnete Rückzug – gegen den ausdrücklichen Befehl Hitlers. Bis zum Mai 1943 leistete die »Heeresgruppe Afrika« noch Widerstand, ehe sie kapitulierte – ohne Rommel, der zuvor von seinem Posten abberufen worden war.

BERNARD LAW MONTGOMERY
Als Generalleutnant Bernard Law Montgomery (1887–1976) im August 1942 zum britischen Oberbefehlshaber in Nordafrika ernannt wurde, war dies der undankbarste Job, den die Army zu vergeben hatte. Seine vier Vorgänger hatte Rommel in die sprichwörtliche »Wüste« geschickt. Zwar genoss Montgomery einen exzellenten Ruf als Militär, doch er galt zugleich als schwieriger Einzelgänger. Am Ende triumphierte er im berühmtesten Duell des Zweiten Weltkriegs über seinen Widersacher. Die britische Öffentlichkeit feierte seinen Sieg, der König erhob ihn zum »Viscount of Alamein«.

Der Stern des »Wüstenfuchses« war gesunken, dafür strahlte der Name seines britischen Gegenspielers umso heller. Der Durchbruch an der El-Alamein-Front machte Bernard Law Montgomery schlagartig berühmt. Die Wende in Nordafrika, er hatte sie geschafft. Aus dem Schreibtischgeneral, den bis zum Sommer 1942 nur ein paar Insider kannten, wurde nun mit einem Schlag ein populärer Volksheld.

Auch »Monty« wusste, wie wichtig Propaganda gerade im Krieg war. Die passenden Bilder für die Heimat lieferte ihm die »Army Film and Photographic Unit No. 1«, nach ihrem Chef Len Chetwyn auch »Chet’s Circus« genannt: Fotos wie die (wohl nachgestellte) Eroberung eines deutschen Panzers bei El-Alamein, die den Briten zeigen sollten, dass sich das Kriegsglück endgültig zugunsten der Alliierten gewendet hatte.

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© ullstein bild – ullstein bild

DAS ENDE IN STALINGRAD

Unbekannter Fotograf

Stalingrad (Russland)

31. Januar 1943

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Bpk

DER JUNGE VON WARSCHAU

Unbekannter Fotograf

Warschau (Polen)

April/Mai 1943

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© ullstein bild – dpa

HITLER PRIVAT

Unbekannter Fotograf

Obersalzberg

7. Juni 1943

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ITAR-TASS Photo Agency

DIE WENDE

Unbekannter Fotograf

Bei Orel (Russland)

Juli 1943

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© ullstein bild – Archiv Gerstenberg

DER BOMBENKRIEG

Wolf Strache

Berlin

23. November 1943

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Bundesarchiv, Bild 101I-567-1503C-17 / Toni Schneiders

DIE MUSSOLINI-BEFREIUNG

Toni Schneiders

Gran Sasso (Italien)

12. September 1943

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Time & Life Pictures / Getty Images

DIE HINRICHTUNG

Unbekannter Fotograf

Aitape (Papua-Neuguinea)

24. Oktober 1943

DIE HINRICHTUNG

 

Es sind die letzten Sekunden im Leben des Leonard George Siffleet: Gefesselt und mit verbundenen Augen, beobachtet von einer vielköpfigen Menge aus japanischen Soldaten und Eingeborenen, kniet der Australier vor seinem Henker. Der japanische Offizier hebt sein Samuraischwert, um die Strafe zu vollstrecken: Tod durch Enthauptung. Wenige Augenblicke später liegt Siffleets Kopf im Sand. Der Henker selbst, Yasuno Chikao, hat den Auftrag gegeben, den brutalen Akt zu fotografieren. Als das Foto ein Jahr später bei einem gefallenen japanischen Soldaten gefunden wird, geht es um die Welt – als bestürzendes Dokument japanischer Brutalität im Pazifikkrieg.

In einer Art Blitzkrieg zur See hatte das Reich der aufgehenden Sonne seit Dezember 1941 die pazifische Inselwelt mit ihren reichen Rohstoffvorkommen erobert – darunter die Philippinen, die malaiische Halbinsel, Niederländisch-Indien und Teile der ehemaligen deutschen Kolonie Neuguinea, die nach dem Ersten Weltkrieg von Australien verwaltet wurde. Japan kontrollierte damit den gesamten westpazifischen Raum und geriet so auch zur Bedrohung für das australische Mutterland.

Mitte 1942 begannen die Alliierten unter Führung der Amerikaner ihre Gegenoffensive. Die Schlachten von Midway (Juni 1942) und Guadalcanal (August 1942 und Februar 1943) markierten den Beginn der Trendwende. Insel für Insel wurde nun zurückerobert. Im Juni 1943 folgte die »Operation Cartwheel« – die Rückeroberung Neuguineas und der strategisch äußerst wertvollen Inseln des Bismarckarchipels.

Zur Strategie der alliierten Streitkräfte gehörte auch die Einrichtung von geheimen Küstenbeobachtungsstationen im feindlichen Gebiet, um besser über die Aktivitäten der japanischen Marine und Luftwaffe informiert zu sein. Auch in den Bergen oberhalb der Stadt Hollandia – gelegen im vormals niederländischen Teil von Neuguinea – wurde eine solche Station der »Coastwatcher« geplant.

Unter Leitung des holländischen Sergeants Thijs Staverman machte sich im Juli 1943 eine gemeinsame australisch-niederländische Truppe auf den Weg nach Neuguinea. Mit dabei war auch Leonard Siffleet, ein 27-jähriger Australier holländischer Abstammung. Siffleet hatte sich zwei Jahre zuvor freiwillig zu den australischen Streitkräften gemeldet, war als Funker ausgebildet und schließlich für Geheimoperationen vorgesehen worden.

Doch die Mission, zu der auch zwei Eingeborene gehörten, stand unter keinem guten Stern. Das Flugzeug, das die Einheit in die Nähe ihres Einsatzorts bringen sollte, landete in einem ganz anderen Sektor. Fast drei Monate lang schlug sich der kleine Trupp durch den Dschungel, legte dabei über 800 Kilometer zu Fuß und 350 Kilometer per Boot zurück, ehe er in der Nähe des Küstenorts Aitape anlangte, von wo aus die letzte Etappe in Angriff genommen werden sollte.

TODESURTEIL
Es war ein Kriegsverbrechen, denn Siffleet und seine Männer waren Soldaten und hätten damit den Schutz internationaler Vereinbarungen über Kriegsgefangene genießen müssen. Doch Japan erkannte diese Verträge nicht an. Folterung und anschließende Ermordung von Gefangenen gehörten zur üblichen Praxis. Von allen alliierten Soldaten in japanischem Gewahrsam starb fast ein Drittel. Zum Vergleich: In deutscher Gefangenschaft betrug die Todesrate der Westalliierten lediglich vier Prozent; von den sowjetischen Kriegsgefangenen in deutschem Gewahrsam starb mehr als die Hälfte.

Staverman und einer der Eingeborenen namens Pattiwal trennten sich für einen Erkundungsgang vom Rest des Teams. Sie wurden entdeckt und Staverman wurde wohl ebenfalls hingerichtet, während Pattiwal fliehen konnte. Doch auch der Rest der Einheit geriet wenig später in einen Hinterhalt von Eingeborenen. Es kam zu einem Schusswechsel, wobei Siffleet einen der Angreifer verwundete. Letztlich mussten sich die Männer der Übermacht ergeben, wenig später wurden sie an die Japaner ausgeliefert. Nach zwei Wochen, nach Befragungen und Folterungen, kam es dann zur Vollstreckung des Todesurteils am Strand von Aitape.

Die Leichen Siffleets und seiner beiden Begleiter wurden vermutlich am Strand verscharrt – die genaue Stelle ist unbekannt.

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ullstein bild – ullstein bild

DAS GRAUEN DES BOMBENKRIEGS

Unbekannter Fotograf

Deutschland

Mai/Juni 1944

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© United States Holocaust Memorial Museum, Washington, DC

TATORT AUSCHWITZ

Ernst Hofmann/Bernhard Walter

Auschwitz (Polen)

26. Mai 1944

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picture alliance / Judaica-Sammlung Richter

DER LÄNGSTE TAG

Robert F. Sargent

Bei Colleville-sur-Mer (Frankreich)

6. Juni 1944

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Time & Life Pictures / Getty Images/W. Eugene Smith

DAS BABY VON SAIPAN

W. Eugene Smith

Saipan (Nördliche Marianen, Pazifik)

Juli 194

 

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picture alliance / akg-images

STAUFFENBERG UND HITLER

Unbekannter Fotograf

Wolfsschanze

15. Juli 1944

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akg-images

DER MARSCH DURCH MOSKAU

Unbekannter Fotograf

Moskau (Russland)

17. Juli 1944

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Bpk /Heinrich Hoffman

NACH DEM ATTENTAT

Heinrich Hoffmann
Wolfsschanze

20. Juli 1944

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United States Holocaust Museum

DIE FREIZEIT DER MASSENMÖRDER

Unbekannter Fotograf

Solahütte (Polen)

22. Juli 1944

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Robert Capa © international center of photography / Magnum Photos / Agentur Focus

DIE ÄCHTUNG

Robert Capa

Chartres (Frankreich)

16. August 1944

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© Eric Lafon

DIE BEFREIUNG

Unbekannter Fotograf

Paris (Frankreich)

26. August 1944

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picture alliance / akg-images

DAS MASSAKER VON NEMMERSDORF

Kleiner

Nemmersdorf (Ostpreußen)

Ende Oktober 1944

 

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Getty Images / The Asahi Shimbu

DER GÖTTLICHE WIND

Unbekannter Fotograf

Manila (Philippinen)

26. November 1944

DER GÖTTLICHE WIND

 

Vor dem Todesflug ein Schluck des geweihten Getränks: Am 26. November 1944 schenkt General Kyoji Tominaga dem Leutnant der Kaiserlich Japanischen Armee, Leutnant Shigeo Naka, ein Glas Sake ein. Das feierliche Zeremoniell vor dem Abflug, bei dem die Krieger aus dem Land der aufgehenden Sonne den vom Kaiser gestifteten Reiswein erhalten, soll die Männer in eine feierliche Stimmung versetzen. Doch der Alkohol hat noch eine andere Aufgabe – er soll die Soldaten berauschen und ihnen die Angst vor dem Tod nehmen. Denn ihr Flug ist eine Mission ohne Wiederkehr.

Als »Kamikaze« sind die japanischen Todesflieger bei uns bekannt geworden, als »Tokkotai« wurden sie in Japan selbst bezeichnet. Der Name bedeutet »Göttlicher Wind« und erinnert symbolisch an die Taifune, die 1273 und 1279 die Landungsflotte des Mongolenführers Kublai Khan vernichtet und Japan gerettet hatten. Selbstmord-Angriffe als Teil einer Militärstrategie? Das hatte es auch in Japan zuvor noch nicht gegeben.