Simon  Scarrow

DIE BRÜDER
DES ADLERS


Roman


Aus dem Englischen von 
Barbara Ostrop



Inhaltsverzeichnis

ZUM BUCH
ZUM AUTOR
Die Organisation einer römischen Legion
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Anmerkung zum Stand der historischen Forschung
Danksagung
Copyright

Danksagung

Die Serie der Adler-Romane hat sich bisher als weit erfolgreicher erwiesen, als ich es mir je hätte träumen lassen. So wird es höchste Zeit, dass ich einmal den Leuten danke, die hinter den Kulissen an diesem Erfolg mitwirken. Während der Arbeit an diesem Buch hatte ich das Glück, zu einer Marketingkonferenz eingeladen zu werden, auf der mir zweierlei auffiel:

Zum einen, wie viele Menschen an der Entstehung eines Buches beteiligt sind und welch große Zahl von Vertretern in die Buchläden Englands und nun auch der Vereinigten Staaten, Spaniens, Deutschlands, Finnlands, Tschechiens und Portugals ausschwärmt.

Zum anderen, wie positiv alle die Serie beurteilten, und zwar gerade auch das Marketingteam, das wirklich an die Adler-Serie glaubte und den Buchkäufern diese Begeisterung mitteilen konnte. Danach setzte sich der Erfolg des Buches per Mundpropaganda fort, was mich wirklich freut.

Als Nächstes heißt es Hut ab vor Merric Davidson, meinem Agenten – einem Gentleman alter Schule –, und vor Sherise Hobbs – Marion Donaldsons Assistentin, die am Telefon stets die Freundlichkeit selbst ist und ansonsten bestürzend effizient arbeitet, vor Kim Hardie, die einen nimmermüden Kampf um Platz in den Spalten der Buchkritik führt, und vor Sarah Thomson, die die Auslandsrechte der Serie beeindruckend gut verkauft hat.

Nicht vergessen möchte ich Kerr MacRae und sein Team, die die Serie in aller Munde brachten. So möchte ich hier ohne Reihenfolge nennen: Sabine Stiebritz (die ganz schön raffinierte Events organisiert), James Horobin, Katherine Ball, Barbara Ronan, Peter Newsom, Seb Hunter, Sophie Hopkin, Paul Erdpresser (der einem gewissen Filmstar frappierend ähnlich sieht), Jo Taranowski, Diane Griffith, Selina Chu und Jenny Gray. In der Außenmannschaft haben wir in Irland Ruth Shern, Heidi Murphy und Berda Purdue, in England Damon Richards, Nikki Rose, Alex MacLean, Clare Economides, Steve Hill, George Gamble und Nigel Baines. Zuletzt, aber keineswegs an letzter Stelle, möchte ich Tony McGrath nennen, dem ich für viele vergnügliche Gespräche über das Leben mit kleinen Kindern bei einer Tasse starkem Kaffee im Starbucks in Norwich danke.

 

Meinen Dank euch allen.

Simon Scarrow

ZUM AUTOR


Simon Scarrow wurde in Nigeria geboren und wuchs in England auf. Nach seinem Studium arbeitete er viele Jahre als Dozent für Geschichte an der Universität von Norfolk, eine Tätigkeit, die er aufgrund des großen Erfolgs seiner Romane nur widerwillig und aus Zeitgründen einstellen musste.

Besuchen Sie Simon Scarrow im Internet unter www.scarrow.co.uk

Anmerkung zum Stand der historischen Forschung

Es könnte paradox wirken, dass die Schwierigkeiten, denen General Plautius sich im zweiten Sommer des Feldzugs gegenübersah, durch seinen Erfolg im Vorjahr bedingt waren. Caratacus war in mehreren sorgfältig geplanten Schlachten vernichtend geschlagen worden, was zum Fall Camulodunums und zur Kapitulation einer Reihe von Stämmen führte. Da es Caratacus mit Sicherheit immer schwerer fiel, seine Truppen aufzufüllen, versuchte er es im Jahr 44 n. Chr. vermutlich mit einer neuen Strategie. Die Römer hatten ihre Überlegenheit in der Schlacht bewiesen und Caratacus scheute davor zurück, seine Truppen noch einmal in einer solchen Situation aufzureiben.

Für den britischen Kommandanten musste in dieser Lage Rückzug die ratsamste Strategie sein, und nicht nur, um seine Armee vor der Vernichtung zu bewahren. Im Bestreben, den Kern des keltischen Widerstands in einer Entscheidungsschlacht niederzuwerfen, würde General Plautius ihm mit seinen Legionen folgen. Je weiter sie vorrückten, desto längere Nachschubwege mussten von immer größeren Truppenteilen bewacht werden. Die Legionen konnten sich auch nicht aufteilen, um auf breiter Front vorzurücken. In diesem Fall wäre eine Legion nach der anderen angegriffen und vernichtet worden. Umso überraschender scheint es, dass Vespasian mit einer relativ kleinen Truppe zu einem Feldzug im Südwesten losgeschickt wurde.

Eine solche Aufspaltung der römischen Kräfte wirkt im Angesicht eines Feindes, der noch immer zahlenmäßig überlegen war, wie eine sehr übereilte Entscheidung. Vielleicht hatte General Plautius gute Gründe, das Risiko für gering zu erachten, doch das werden wir niemals wirklich wissen. Aus heutiger Sicht weisen die Historiker auf die Erfolge hin, die Vespasian verbuchte, doch es stellt sich die Frage, was geschehen wäre, wenn die Briten ausreichend starke Kräfte gegen die Zweite Legion hätten zusammenziehen können. Wäre es Caratacus gelungen, die Zweite mit einer Überrumpelungstaktik zu schlagen, hätte er die Möglichkeit gehabt, von hinten über General Plautius’ Armee herzufallen und die Nachschublinien zu zerstören. Das hätte für die Legionen eine Katastrophe bedeutet und vielleicht sogar zu einer weiteren Niederlage des Ausmaßes geführt, wie Varus sie den Römern in den germanischen Wäldern zufügte, als drei Legionen vernichtet wurden.

Eine solche Hypothese ruft uns das heikle Gleichgewicht aller militärischen Feldzüge in Erinnerung – ein Aspekt der Geschichte, der in den Berichten und Deutungen der Historiker gern verloren geht. Doch für die Männer im Feld – Männer wie Macro und Cato – bedeutet die Realität immer Verwirrung, Zweifel und blutigen Überlebenskampf. Eine Welt, die mit den ordentlichen Landkarten und Plänen der Generäle und Politiker wenig gemein hat.

Caratacus befindet sich weiterhin in Freiheit. In immer größerer, trotziger Verzweiflung sucht er eine letzte Gelegenheit, um das Geschick der Briten zu wenden. In den nächsten Monaten können die Zenturionen Macro und Cato und ihre Kameraden in den vier Legionen der römischen Armee sich nicht den kleinsten Fehler erlauben, wenn sie das tödliche Kräftemessen mit ihrem immer verzweifelteren und fanatischeren Gegner zu einem Ende bringen wollen.

1

»Halt!«, rief der Legat und hob den Arm.

Seine Eskorte zügelte die Pferde und Vespasian lauschte angestrengt nach dem Geräusch, das er einen Moment zuvor gehört hatte. Jetzt, als der dumpfe Hufschlag auf dem primitiven, von Einheimischen angelegten Weg das Geräusch nicht länger verdeckte, drang aus der Richtung des einige Meilen entfernten Calleva leise der Ruf britischer Kriegshörner herüber. Das Städtchen mit seinen verwinkelten Gassen war die Hauptstadt der Atrebates, eines der wenigen mit Rom verbündeten Stämme, und einen Moment lang fragte sich der Legat, ob der feindliche Kommandant Caratacus etwa einen kühnen Vorstoß gegen die rückwärtige Front der römischen Kräfte gemacht hatte. Sollte Calleva angegriffen sein …

»Los, weiter!«

Vespasian trieb sein Pferd mit den Stiefelabsätzen an, beugte sich vor und preschte den Hang hinauf. Seine Eskorte, ein Dutzend Kundschafter der Zweiten Legion, galoppierte hinter ihm her. Es war ihre heilige Pflicht, den Kommandanten zu beschützen.

Der Weg führte einen lang gezogenen, steilen Hügel schräg hinauf, hinter dessen Kuppe es nach Calleva hinunterging. Die Stadt wurde als vorgeschobenes Nachschublager der Zweiten Legion genutzt. Diese Legion war vom Armeekommandanten General Aulus Plautius abkommandiert worden, um getrennt von den anderen Legionen gegen die Durotriges zu operieren, dem letzten der südlichen Stämme, die noch auf Seiten Caratacus’ kämpften. Erst nach einem vernichtenden Sieg über die Durotriges wären die römischen Nachschublinien so gut gesichert gewesen, dass die Legion weiter nach Norden und Westen hätte vorstoßen können. Ohne ausreichenden Nachschub konnte General Plautius unmöglich siegen, und das Volk in Rom würde merken, dass die voreilige kaiserliche Feier der Eroberung Britanniens nur ein fauler Schwindel gewesen war. Das Schicksal General Plautius’ und seiner Legionen – und eigentlich sogar das Schicksal des Kaisers selbst – hing von den überdehnten Lebensadern ab, die die Legion mit Nahrung versorgten und jederzeit mit einem einzigen Schlag durchschnitten werden konnten.

Vom riesigen Basislager an der Mündung des sich durchs Herz Britanniens schlängelnden Flusses Tamesis, wo Nahrungsvorräte und Ausrüstung aus Gallien angelandet wurden, rollten regelmäßig schwere Wagenkolonnen los. Seit zehn Tagen hatte die Zweite Legion jedoch keinen Nachschub mehr aus Calleva erhalten. Vespasian hatte seine Kräfte, die eine der größeren Hügelfestungen der Durotriges belagerten, zurückgelassen und war selbst nach Calleva geeilt, um der Angelegenheit nachzugehen. Die Zweite Legion gab inzwischen reduzierte Rationen aus, und in den umliegenden Wäldern lauerten feindliche Truppen auf umherstreifende römische Kräfte, die sich auf Nahrungssuche zu weit vom Hauptkörper der Legion fortwagten. Falls es Vespasian nicht gelang, Nahrung für seine Männer zu beschaffen, würde die Zweite Legion sich bald ins Nachschublager in Calleva zurückziehen müssen.

Vespasian konnte sich mühelos vorstellen, wie verärgert General Plautius einen solchen Rückschlag aufnehmen würde. Aulus Plautius war von Kaiser Claudius zum Kommandanten des in Britannien operierenden römischen Heeresteils ernannt worden und hatte den Auftrag, die britischen Stämme dem Imperium anzugliedern. Obgleich Plautius im Sommer zuvor mehrere Siege über die barbarischen Stämme errungen hatte, hatte Caratacus eine neue Armee zusammengezogen und leistete Rom noch immer Widerstand. Er hatte viel aus dem Feldzug des Vorjahres gelernt und vermied offene Schlachten gegen die römischen Legionen. Stattdessen kommandierte er Teile seiner Truppe ab, um die Nachschublinien der schwerfälligen römischen Kriegsmaschinerie anzugreifen. Mit jeder Meile, die General Plautius und seine Legionen vorrückten, wurden diese Lebensadern verwundbarer.

So hing der Ausgang des diesjährigen Feldzugs davon ab, wessen Strategie erfolgreicher sein würde. Falls es General Plautius gelang, die Briten in die offene Schlacht zu zwingen, würden die Legionen gewinnen. Falls es den Briten aber gelang, eine Schlacht zu vermeiden und die Legionen auszuhungern, mochten sie das Heer durchaus so stark schwächen, dass der General zu einem gefährlichen Rückzug bis an die Küste gezwungen war.

Je näher Vespasian mit seiner Eskorte dem Hügelkamm kam, desto durchdringender schallten die Kriegshörner. Jetzt hörten die Soldaten auch die Schreie von Männern, das scharfe Klirren sich kreuzender Klingen und das dumpfe Scheppern der Schläge, die auf Schilde trafen. Die Silhouette langer Grasbüschel stand vor dem klaren Himmel, und dann hatte Vespasian die Szenerie auf der anderen Hügelseite vor Augen. Zur Linken lag Calleva, ein wucherndes Durcheinander strohgedeckter, überwiegend jämmerlich kleiner Hütten, umgeben von einem Erdwall mit Palisade. Ein dünner Schleier von Holzrauch hing über der Stadt. Der Weg vom hohen Turm des Torhauses zur Tamesis war wie eine dunkle Wunde aus aufgewühltem Matsch. Auf diesem Weg, eine halbe Meile von Calleva entfernt, waren von einer Nachschubkolonne nur noch eine Hand voll Wagen übrig, verteidigt von einer dünnen Linie von Hilfstruppen. Rundum wimmelte es von Feinden: kleine Gruppen schwer bewaffneter Krieger und leichtere, mit Schleudern, Pfeil und Bogen sowie Wurfspeeren ausgerüstete Truppen. Sie unterhielten einen steten Geschosshagel auf die Kolonne und ihre Begleitmannschaft. Von den Flanken der verwundeten Ochsen floss das Blut, und hinter der Kolonne war der Weg mit Leichen übersät.

Vespasian und seine Leute zügelten ihre Pferde, während der Legat kurz seine Möglichkeiten abwägte. In diesem Moment stürmte eine Gruppe von Durotriges zum hinteren Ende der Kolonne und warf sich auf die Hilfstruppen. Der Kommandant der Wagenkolonne, in seinem scharlachroten Mantel auf dem Kutschbock des vordersten Wagens nicht zu übersehen, legte die Hände an den Mund, brüllte einen Befehl, und die Kolonne kam langsam zum Stehen. Die Hilfstruppen schlugen die Angreifer mühelos zurück, doch ihre Kameraden an der Spitze des Wagenzugs boten dem Feind ein leichtes Ziel, und als die Wagen sich wieder in Bewegung setzten, lagen noch weitere Soldaten auf der Erde.

»Wo steckt denn die verdammte Garnison?«, knurrte einer der Kundschafter. »Die müssten die Kolonne doch inzwischen längst gesehen haben.«

Der Legat blickte zu den säuberlich geraden Barackenreihen des an Callevas Verteidigungswall angebauten, befestigten Nachschublagers. Auf den Wegen sah man zwar Menschen hin und her eilen, doch von irgendeiner Truppenaufstellung war nichts zu bemerken. Vespasian nahm sich vor, den Garnisonskommandanten tüchtig zusammenzupfeifen, sobald er das Lager erreichte.

Falls er das Lager überhaupt erreichte, überlegte er dann, denn das Scharmützel spielte sich zwischen seinem Reitertrupp und den Toren Callevas ab.

Wenn die Garnison nicht bald einen Ausfall machte, würde die Wagenkolonne weiter aufgerieben und schließlich in einem letzten Angriff vom Feind ausgelöscht. In der Erwartung des entscheidenden Moments drängten die Durotriges sich immer dichter an die Wagen heran, stießen ihre Kriegsschreie aus und trommelten mit ihren Waffen gegen die Ränder ihrer Schilde, um sich richtig in Kampfstimmung zu bringen.

Vespasian riss sich den Mantel von den Schultern, packte die Zügel fest mit der einen Hand, zog mit der anderen das Schwert und drehte sich zu seinen Kundschaftern um.

»Angriffslinie bilden.«

Die Männer blickten ihn überrascht an. Wenn der Legat die Absicht hatte, den Feind anzugreifen, war das praktisch Selbstmord.

»Linie bilden, verdammt noch mal!«, brüllte Vespasian, und diesmal reagierten seine Männer sofort, reihten sich zu beiden Seiten des Legaten auf und griffen nach ihren Speeren. Gleich darauf hieb Vespasian sein Schwert nach unten.

»Los!«

Dieses Manöver wäre nichts für den Paradeplatz gewesen. Die kleine Reiterschar trieb einfach ihren Pferden die Fersen in die Flanken und hielt in wildem Galopp den Hang hinunter auf den Feind zu. Das Blut hämmerte Vespasian in den Ohren, doch gleichzeitig fragte er sich, ob dieser wilde Angriff nicht der reine Wahnsinn war. Er hätte ohne weiteres einfach die Vernichtung der Kolonne beobachten und abwarten können, bis der siegreiche Feind alles demoliert hatte und abmarschiert war. Aber das wäre feige gewesen und außerdem wurden die Vorräte dringend benötigt. Also biss er die Zähne zusammen, umklammerte das Schwert mit der Rechten und stürmte auf die Wagen zu.

Am Fuß des Hügels veranlasste das Trommeln der Hufe manchen feindlichen Krieger zum Innehalten, und das Sperrfeuer auf den Konvoi ließ nach.

»Dort! Dort drüben!«, brüllte Vespasian und zeigte auf eine lose Reihe von Schleuder- und Bogenschützen. »Mir nach!«

Die Kundschafter schlugen die gleiche Richtung wie ihr Legat ein und galoppierten schräg zum Hang auf die leicht bewaffneten Durotriges zu. Schon flüchteten die Briten vor den Reitern, und das Triumphgebrüll erstarb auf ihren Lippen. Vespasian sah, dass der Kommandant der Kolonne die Atempause genutzt hatte, und die Wagen nun wieder auf Callevas sichere Befestigungsanlagen zurollten. Doch der Anführer der Durotriges war kein Dummkopf und Vespasian erfasste mit einem raschen Blick, dass die schwere Infanterie und die Streitwagen sich der Kolonne näherten, um zuzuschlagen, bevor ihre Beute die Tore erreichte. Fast unmittelbar vor ihm versuchten bemalte Krieger mit verzweifelten Seitwärtssprüngen, den römischen Reitern auszuweichen. Vespasian fasste einen hoch gewachsenen Schleuderschützen ins Auge, der ein Wolfsfell über den Schultern trug, und nahm ihn mit der Schwertspitze aufs Korn. Im letzten Moment spürte der Brite das Nahen des Pferdes und schaute sich hastig um, die Augen vor Entsetzen aufgerissen. Vespasian zielte auf eine Stelle unterhalb des Halses und machte sich für den Zusammenstoß bereit, doch im letzten Moment warf der Schleuderer sich auf den Boden und die Klinge verfehlte ihr Ziel.

»Scheiße!«, zischte Vespasian durch zusammengebissene Zähne. Diese verdammten Infanterieschwerter waren zu Pferde unbrauchbar, und er verfluchte sich dafür, dass er nicht wie seine Kundschafter ein langes Kavallerieschwert trug.

Wie aus heiterem Himmel tauchte ein anderer feindlicher Krieger vor ihm auf. Der Legat hatte gerade noch Zeit, den schmalen, schwächlichen Körperbau und das in weißen Stacheln abstehende Haar wahrzunehmen, dann hieb er ihm mit einem knirschenden, schmatzenden Laut das Schwert in den Hals. Der Mann stöhnte auf, brach zusammen und verschwand unter den Hufen, während Vespasian weiter auf die Wagenkolonne zugaloppierte. Er warf einen Blick auf seine Kundschafter und stellte fest, dass die meisten ihre Pferde zum Stehen gebracht hatten und ihre Speere in jeden Briten stießen, der sich windend auf der Erde lag. Das war der perfekte Moment für jeden Kavalleristen: der Blutrausch nach dem Durchbrechen der feindlichen Linien. Doch sie missachteten die Gefahr der Streitwagen, die den Hang entlang auf den kleinen römischen Reitertrupp zupolterten.

»Lasst sie liegen!«, brüllte Vespasian. »Liegen lassen! Schnell zu den Wagen! Los!«

Die Kundschafter besannen sich, schlossen die Reihen und galoppierten hinter Vespasian her, der auf den keine hundert Schritt entfernten hintersten Wagen zufegte. Die aus Hilfstruppen bestehende Nachhut der Kolonne feuerte sie, ihre Wurfspeere schwenkend, mit rauen Rufen an. Als die Reiter beinahe bei ihren Kameraden angelangt waren, hörte Vespasian ein leises Schwirren, und ein Pfeil zischte wie ein dunkler Strich an seinem Ohr vorbei. Dann hatten er und seine Männer die Wagen erreicht und zügelten ihre keuchenden Pferde.

»Schließt die Reihen! Hinter dem letzten Wagen!«

Während seine Männer sich mit ihren Pferden am Ende des Zuges formierten, trabte Vespasian nach vorn zum Kommandanten der Kolonne, der noch immer breitbeinig auf dem Kutschbock seines Wagens stand. Sobald er das an der Brustplatte des Legaten befestigte Rangabzeichen sah, salutierte er.

»Danke, Herr.«

»Wer bist du?«, fuhr Vespasian ihn an.

»Zenturio Gius Aurelias, Vierzehnte Gallische Hilfskohorte, Herr.«

»Aurelias, halte deine Wagen in Bewegung. Bleib auf keinen Fall stehen. Auf gar keinen Fall, verstanden? Ich übernehme deine Männer. Du kümmerst dich um die Wagen.«

»Ja, Herr.«

Vespasian wendete sein Pferd, trabte zu seinen Männern zurück und holte tief Luft, bevor er seine Befehle brüllte.

»Vierzehnte Gallische! In Gefechtsordnung aufstellen!«

Vespasian schwenkte sein Schwert, und die Überlebenden der Eskorte nahmen eilig ihre Plätze ein.

Die Durotriges hatten sich von dem Überraschungsangriff erholt, und jetzt, als sie sahen, dass sie vor einer Hand voll Reiter in Panik geraten waren, brannten sie vor Scham und dürsteten nach Rache. In einem dichten Gewimmel von leichten und schweren Infanterietruppen eilten sie heran, während die Streitwagen seitlich an der Wagenkolonne vorbeipolterten, um ihr den Weg abzuschneiden, bevor sie das Tor erreichte, und sie dann zusammen mit der Infanterie in die Zange zu nehmen. Vespasian sah ein, dass er gegen die Streitwagen nichts ausrichten konnte. Falls es ihnen gelang, die Kolonne vom Tor abzuschneiden, müsste Aurelias eben versuchen, mit der Massigkeit seiner Ochsen die leichteren Ponys der Durotriges samt der Streitwagen beiseite zu drängen, um sich den Weg freizukämpfen.

Alles, was Vespasian jetzt tun konnte, war die feindliche Infanterie so lange wie möglich aufzuhalten. Falls sie die Wagen erreichte, war alles verloren. Vespasian warf einen letzten Blick auf seine magere Truppe und auf die grimmig entschlossenen Gesichter der immer näher kommenden Briten und begriff augenblicklich, dass er und seine Männer keine Chance hatten. Fast hätte er bitter aufgelacht. Da hatte er also im vergangenen Jahr die blutigen Schlachten gegen Caratacus und seine Armeen überlebt, um nun hier in diesem jämmerlichen Scharmützel zu sterben – das war einfach schändlich. Dabei wollte er noch so viel erreichen. Er verfluchte sein Schicksal und den Kommandanten der Garnison von Calleva. Hätte dieser Idiot die Verstärkung nur rechtzeitig losgeschickt, hätten sie eine Chance gehabt.

2

»Raus hier, sofort!«, schrie Macro. »Hier ist reserviert für Offiziere.«

»Tut mir Leid, Herr«, antwortete der Bahrenträger, der ihm am nächsten stand. »Befehl des obersten Wundarztes.«

Macro starrte ihn einen Moment lang finster an und legte sich dann vorsichtig aufs Kissen zurück, sorgsam darauf bedacht, sich nicht auf die verletzte Seite seines Kopfes zu legen. Zwei Monate war es jetzt her, dass ein Druide ihn mit einem Schwerthieb beinahe skalpiert hätte, und obgleich die Wunde inzwischen verheilt war, setzte sie ihm noch immer zu; und die schrecklichen Kopfschmerzen ließen erst jetzt ein wenig nach. Die Sanitäter traten in die kleine Kammer und setzten die Tragbahre, vor Anstrengung keuchend, behutsam auf dem Boden ab.

»Wie lautet seine Geschichte?«

»Kavallerist, Herr«, antwortete der Pfleger, nachdem er sich aufgerichtet hatte. »Ihre Patrouille geriet heute Vormittag in einen Hinterhalt. Vor kurzem sind die ersten Überlebenden zurückgekehrt.«

Macro hatte vor einer Weile den Sammelruf der Garnison gehört. Er setzte sich wieder auf. »Warum hat uns keiner Bericht erstattet?«

Der Pfleger zuckte mit den Schultern. »Warum hätten wir euch informieren sollen? Ihr seid hier einfach nur Patienten, Herr. Wir hatten keinen Grund, euch zu stören.«

»He, Cato!« Macro wandte sich seinem Zimmergenossen im Nachbarbett zu.

»Cato! Hast du das gehört? Der Mann hier denkt, dass mickrige kleine Zenturionen wie wir nicht über die neuesten Entwicklungen auf dem Laufenden gehalten werden müssen … Cato? … CATO!«

Macro fluchte leise, griff nach seinem Offiziersstock, der neben dem Bett an der Wand lehnte, und verpasste der bewegungslos daliegenden Gestalt im anderen Bett einen kräftigen Stoß mit der Spitze. »Los, Junge! Aufwachen!«

Unter der Decke stöhnte es, dann wurden die Falten des groben Wollstoffs beiseite geschoben und Catos dunkle Locken tauchten auf. Macros Gefährte war erst kürzlich in den Rang eines Zenturio befördert worden, davor hatte er als Macros Optio gedient. Mit achtzehn war Cato einer der jüngsten Zenturionen der Legionen. Er hatte die Aufmerksamkeit seiner Vorgesetzten auf sich gezogen, zum einen durch seinen Mut in der Schlacht, vor allem aber durch sein Geschick bei einer äußerst heiklen Rettungsmission, die sie zu Beginn des Sommers tief in feindliches Gebiet geführt hatte. Damals waren er und Macro von den feindlichen Druiden schwer verwundet worden. Der Anführer der Druiden hatte Cato mit einer schweren Zeremonialsichel auf Brusthöhe einen Hieb in die Seite versetzt. Cato wäre an der Wunde beinahe gestorben, doch jetzt, viele Wochen später, hatte er sich schon recht gut erholt und betrachtete die lange rote Narbe mit einem gewissen Stolz, obgleich es höllisch wehtat, wenn er die Muskulatur dieser Körperseite auch nur im Geringsten belastete.

Catos Augenlider zuckten hoch und er wandte sich blinzelnd Zenturio Macro zu. »Was ist denn?«

»Wir haben Gesellschaft.« Macro zeigte mit dem Daumen auf den Mann, der auf der Tragbahre lag. »Offenbar hatten Caratacus’ Burschen mal wieder was zu tun.«

»Die werden hinter einer Nachschubkolonne her sein«, meinte Cato. »Müssen wohl zufällig auf unsere Patrouille gestoßen sein.«

»Das ist doch schon der dritte Angriff in diesem Monat.« Macro sah den Pfleger an. »Oder nicht?«

»Doch, Herr. Der dritte Angriff. Die Krankenstation wird immer voller, und wir schuften uns krumm und lahm.« Die letzten Worte sprach er mit besonderem Nachdruck aus, und beide Pfleger bewegten sich zur Tür. »Du hast doch nichts dagegen, dass wir zu unseren Pflichten zurückkehren, Herr?«

»Moment mal, nicht so schnell. Was ist denn jetzt mit dieser Nachschubkolonne los?«

»Ich weiß es nicht, Herr. Ich kümmere mich nur um die Verletzten. Ich habe aber jemanden sagen hören, die Reste des Geleitschutzes seien noch immer auf der Straße, nicht allzu weit entfernt, und versuchten, die letzten paar Wagen zu retten. Dumm, wenn du mich fragst. Die hätten die Wagen den Briten überlassen und zusehen sollen, dass sie die eigene Haut retten. Und jetzt, wenn du gestattest …?«

»Was? Oh, ja. Geht nur, verpisst euch.«

»Danke, Herr.« Der Pfleger lächelte verhalten, schob seinen Kollegen vor sich her aus der Kammer und schloss die Tür hinter sich.

Sobald die Tür zu war, schwang Macro die Beine über die Bettkante und griff nach seinen Stiefeln.

»Wohin gehst du, Herr?«, fragte Cato verschlafen.

»Zum Tor, schauen, was los ist. Auf mit dir. Du kommst mit.«

»Ach, wirklich?«

»Ja, natürlich. Willst du denn nicht sehen, was abläuft? Reicht es dir nicht allmählich, dass wir seit beinahe zwei Monaten hier in diesem verdammten Lazarett eingesperrt sind? Außerdem«, fügte Macro hinzu, während er seine Stiefel schnürte, »hast du schon den halben Tag verschlafen. Frische Luft wird dir gut tun.«

Cato runzelte die Stirn. Er schlief nur deshalb tagsüber so viel, weil sein Zimmergenosse so laut schnarchte, dass das Schlafen nachts beinahe unmöglich war. Tatsächlich hatte er das Lazarett allmählich gründlich satt und freute sich darauf, wieder in den aktiven Dienst zurückzukehren. Doch das würde noch eine Weile dauern, gestand sich Cato widerwillig ein. Inzwischen war er gerade einmal kräftig genug, ohne Hilfe aufzustehen. Sein Gefährte war trotz seiner grässlichen Kopfverletzung mit einer robusteren Konstitution gesegnet und, von den gelegentlichen Kopfschmerzattacken einmal abgesehen, beinahe wieder einsatzfähig.

Während Macro sich nach seinen Stiefelbändern bückte, betrachtete Cato die bläulich rote Narbe, die quer über seinen Kopf verlief. Das höckrige Narbengewebe war dem Blick ungeschützt preisgegeben. Der Wundarzt hatte Macro beruhigt, dass dort mit der Zeit ein Teil des Haars nachwachsen würde. Zumindest genug, um die Narbe größtenteils zu verdecken.

»Bei meinem Glück«, hatte Macro säuerlich angemerkt, »bekomme ich wahrscheinlich gerade dann eine Glatze.«

Cato musste bei der Erinnerung lächeln. Dann fiel ihm noch etwas ein, was er anführen konnte, um im Bett zu bleiben.

»Bist du dir wirklich sicher, dass wir ausgehen sollten, da du doch das letzte Mal, als wir im Lazaretthof saßen, das Bewusstsein verloren hast? Hältst du das wirklich für klug, Herr?«

Macro blickte gereizt auf, während er weiter die Bänder schnürte, ganz automatisch wie beinahe jeden Morgen in den letzten sechzehn Jahren. Er schüttelte den Kopf. »Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du mich nicht ständig ›Herr‹ zu nennen brauchst – nur vor den Männern und wenn es förmlich zugeht. Von jetzt an heiße ich für dich ›Macro‹. Kapiert?«

»Ja, Herr«, antwortete Cato sofort, zuckte zusammen und schlug sich gegen die Stirn. »Tut mir Leid. Es fällt mir einfach noch ein bisschen schwer. Ich hab mich noch immer nicht an den Gedanken gewöhnt, dass ich jetzt Zenturio bin. Wahrscheinlich der jüngste in der Armee.«

»Im ganzen verdammten Imperium, denke ich.«

Einen Moment bereute Macro die Bemerkung und erkannte eine gewisse Bitterkeit darin. Obgleich er sich über Catos Beförderung zu Beginn ehrlich gefreut hatte, hatte er seine Begeisterung doch schnell überwunden, und jetzt entschlüpfte ihm immer mal wieder der etwas bissige Kommentar, dass ein Zenturio Erfahrung brauche. Oder er versah Cato mit dem einen oder anderen Ratschlag, wie ein Zenturio sich zu verhalten habe. Das war natürlich, wie Macro sich selbst schalt, ein wenig überheblich, da er ja selber erst vor anderthalb Jahren ins Zenturionat befördert worden war. Gewiss, davor hatte er schon sechzehn Jahre unter dem Adler gedient und war ein äußerst geachteter Veteran, doch im Zenturionat selbst war er beinahe so neu wie sein junger Freund.

Cato, der Macro beim Stiefelschnüren zusah, fühlte sich mit seiner Beförderung selbst nicht recht wohl. Er konnte sich einfach der Überzeugung nicht erwehren, dass sie ihm zu früh zugefallen war, und deshalb hatte er das beschämende Gefühl, Macro, der ein so vollendeter Soldat war, wie man es nur sein konnte, nicht das Wasser reichen zu können. Cato fürchtete schon jetzt den Moment, wenn er so weit wiederhergestellt war, dass man ihm seine eigene Zenturie zuweisen würde. Man brauchte nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, wie Männer, die weit älter und erfahrener waren als er, darauf reagieren würden, dass nun ein Achtzehnjähriger das Kommando über sie führte. Gewiss, sie würden die Medaillen auf seiner Brustplatte sehen und wissen, dass er ein Mann mit gewissen Verdiensten war und sich Vespasians Achtung erworben hatte. Vielleicht bemerkten sie auch die Narben an seinem rechten Arm, die Catos Kampfesmut zusätzlich unter Beweis stellten, doch das alles änderte nichts an der Tatsache, dass er gerade erst das Mannesalter erreicht hatte und so jung war, dass er der Sohn so mancher dieser Männer sein könnte. Dieser Gedanke würde ihnen keine Ruhe lassen, und Cato wusste, dass sie ihn genau beobachten und keinen einzigen Fehler verzeihen würden. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, ob es nicht eine Möglichkeit gab, unauffällig um eine Rückversetzung in seinen alten Rang zu bitten und in die bequeme Rolle als Macros Optio zurückzuschlüpfen.

Macro war inzwischen mit seinen Stiefelbändern fertig, stand auf und griff nach seinem scharlachroten Militärumhang.

»Komm schon, Cato! Auf die Beine. Los geht’s.«

In den Korridoren vor den Krankenzimmern wimmelte es von Sanitätern und Verwundeten, während immer mehr Verletzte eintrafen. Wundärzte drängten sich durch, machten sich ein knappes Bild von den Verwundungen und ließen die tödlich Verletzten in den kleinen Saal an der hinteren Wand bringen, wo man sie so gut wie möglich bettete, bevor der Tod sie abrief. Der Rest wurde untergebracht, wo immer sich ein Plätzchen auftreiben ließ. Da Vespasian den Feldzug gegen die Hügelfestungen der Durotriges fortsetzte, war das Lazarett von Calleva längst bis an den Rand gefüllt, doch der neue, im Bau befindliche Lazarettblock war noch nicht fertig gestellt. Die fortgesetzten Überfälle auf die Nachschublinien brachten zusätzliche Patienten in das ohnehin überfüllte Gebäude, und inzwischen wurden die Männer schon auf einfachen Matten zu beiden Seiten des Korridors gebettet. Zum Glück war Sommer, sodass sie nachts wenigstens nicht froren.

 

Macro und Cato machten sich auf den Weg zum Haupteingang. Nur mit Tunika und Umhang bekleidet, die sich nicht von denen eines einfachen Soldaten unterschieden, trugen sie ihre Offiziersstöcke als Rangabzeichen, und die anderen Männer machten ihnen respektvoll Platz. Macro trug außerdem das Filzfutter seines Helms auf dem Kopf, einerseits um seine Wunde zu verbergen – er hatte die angeekelten Blicke der einheimischen Kinder satt –, überwiegend aber, weil die Narbe sonst an der frischen Luft schmerzte. Cato trug den Offiziersstock in der Rechten und hielt den linken Ellbogen abgewinkelt, um seine verletzte Seite zu schützen.

Der Lazaretteingang führte auf die Hauptstraße des befestigten Nachschublagers, das Vespasian in unmittelbarer Nachbarschaft zu Calleva errichtet hatte. Vor dem Eingang standen mehrere leichte Wagen, und vom letzten wurden noch immer Verwundete abgeladen. Auf den Ladepritschen lag ein Durcheinander herrenloser Ausrüstungsgegenstände in schmierigen Blutlachen.

»Die Gegner werden ganz schön ehrgeizig«, bemerkte Macro. »Das hier ist nicht das Werk eines kleinen Überfallkommandos. Sieht so aus, als würden sie mit einer richtigen Truppe zuschlagen. Sie werden von Mal zu Mal frecher. Wenn das so weitergeht, werden die Legionen bald ein richtiges Nachschubproblem bekommen.«

Cato nickte. Die Lage war ernst. General Plautius hatte sich bereits genötigt gesehen, eine Kette befestigter Lager anzulegen, um die langsamen Fuhrwerke der Nachschubkonvois zu beschützen. Mit jeder neuen Garnison, die angelegt wurde, standen weniger Soldaten für die Front zur Verfügung, und in diesem geschwächten Zustand würden die kämpfenden Truppen sich irgendwann als unwiderstehliches Ziel für Caratacus erweisen.

Die beiden Zenturionen eilten zum Lagertor, wo die kleine Garnison sich gerade eilig formierte. Die Männer hantierten an ihren Bändern und Gurten, während Zenturio Veranius, Kommandant der Garnison, wilde Beschimpfungen in die Barackeneingänge brüllte und mit dem Stock nach den Nachzüglern schlug, die, mit ihrer Ausrüstung kämpfend, auf ihre Kameraden zustolperten. Macro wechselte einen wissenden Blick mit Cato. Die Garnison bestand aus dem Ausschuss der Zweiten Legion, nämlich aus den Männern, die Vespasian auf seinem Blitzfeldzug ins Herzland der Durotriges nicht gebrauchen konnte. Die jämmerliche Qualität der Soldaten konnte einem erfahrenen Auge nicht entgehen und war eine herbe Beleidigung für Macros Berufsehre.

»Scheiße noch mal, wie muss dieses Chaos auf die Einheimischen wirken. Wenn das irgendwie aus Calleva raussickert, kapiert Caratacus, dass er jederzeit hier einmarschieren und Verica mit einem einzigen Arschtritt rausschmeißen kann.«

Verica, der greise Atrebateskönig, war seit der Landung der Legionen in Britannien vor einem Jahr mit den Römern verbündet. Es war ihm auch gar nichts anderes übrig geblieben. Im Austausch für seine Reinthronisation als König der Atrebates hatte er sich noch vor dem Vorrücken der Legionen gegen Caratacus’ Hauptstadt Camulodunum zum Bündnis verpflichtet. Sobald der Feldzug sich auch gegen die feindlichen Stämme im Südwesten richtete, hatte Verica General Plautius die Stadt Calleva bereitwillig als Operationsbasis angeboten, so dass man dort das Nachschublager errichtete. Damit hatte Verica sich nicht nur die Gunst Roms gesichert, sondern besaß nun auch ein leicht zugängliches Schlupfloch für den Fall, dass die Atrebates sich von den romfeindlichen Stämmen dazu anstiften ließen, ihm die Gefolgschaft zu kündigen und die Seite zu wechseln.

Die beiden Zenturionen marschierten zu dem nach Calleva führenden Lagereingang. Vespasian hatte zum Schutz des Lagers zwar nur zwei Zenturien unter dem Kommando eines einzigen Offiziers zurückgelassen, doch das von Verteidigungswällen umschlossene Gelände war groß genug für mehrere Kohorten. Hinter dem Exerzierplatz lagen das Lazarett und die Gebäude des Hauptquartiers. Daneben erstreckten sich einige Reihen von Holzbaracken, und dahinter befanden sich die Speicher für Getreide und andere Vorräte, die die Legion für den Vorstoß nach Westen brauchte. Der Anführer der Briten, Caratacus, hatte das Land vor Plautius’ heranrückenden Legionen verwüstet, so dass die römischen Truppen von langen Verbindungslinien abhingen, die bis zum großen Nachschublager in Rutupiae führten, wo die Römer zum ersten Mal britischen Boden betreten hatten.

Wieder einmal erschütterte Cato der Gegensatz zwischen dem geordneten Aufbau des römischen Lagers und dem chaotischen Durcheinander der Hütten, Scheunen, Viehställe und schmalen, schlammigen Gassen Callevas. Unter normalen Umständen hatte die Stammeshauptstadt an die sechstausend Einwohner, doch da der Feind im ganzen Königreich über Nachschubkolonnen und Bauernhöfe herfiel, war die Bevölkerung auf beinahe doppelte Größe angeschwollen. Die in den primitiven Bruchbuden Callevas zusammengepferchten Menschen wurden täglich hungriger und verzweifelter.

Als die beiden Zenturionen Callevas Haupttor erreicht hatten, drängte sich auf dem Wall eine gemischte Menge aus Einheimischen und Römern, die das sich weiter hügelabwärts abspielende Drama verfolgten. Abgesehen von den Garnisonssoldaten war das Imperium durch die erste Welle von Kaufleuten, Sklavenhändlern und Grundstücksmaklern vertreten, die auf einen raschen Gewinn hofften, bevor die neue Provinz zur Ruhe kam und die Einheimischen ihre Tricks durchschauten.

Jetzt drängelten sie mit den Atrebates um den besten Aussichtspunkt auf die Überreste der Nachschubkolonne, die sich der Sicherheit Callevas entgegenkämpfte. Cato fing den Blick des Optios auf, der die Wachmannschaft am Torhaus kommandierte, und hob zum Zeichen seines Ranges den Offiziersstock. Sofort kommandierte der Optio einige Leute ab, um den beiden Zenturionen den Weg zu bahnen, und die Soldaten machten sich mit typisch soldatischer Grobheit an ihre Aufgabe. Ohne jede Rücksicht auf Alter oder Geschlecht wurden die Einheimischen mit den Schildbuckeln beiseite gestoßen, und die Schreie der Überraschung oder des Schmerzes gingen sehr bald im allgemeinen wütenden Gebrüll unter.

»Jetzt mal langsam!«, schrie Cato über das Getöse hinweg und ließ seinen Offiziersstock auf den Schild des nächststehenden Legionärs niederkrachen. »Jetzt mal langsam, hab ich gesagt! Diese Menschen sind Roms Verbündete! Keine Tiere, verdammt noch mal. Kapiert?«

Der Legionär schlug vor dem Ranghöheren die Hacken zusammen und starrte auf einen Punkt oberhalb von Catos Schulter. »Ja, Herr!«

»Wenn ich noch einmal sehe, dass irgendeiner von euch so mit den Einheimischen umspringt, habt ihr für den Rest des Jahres Latrinendienst.« Cato beugte sich dichter zu dem Legionär und fuhr leise fort: »Dann steckt ihr wirklich in der Scheiße, oder?«

Der Mann bemühte sich, ein Grinsen zu unterdrücken, und Cato nickte. »Weitermachen.«

»Ja, Herr.«

Jetzt, als man gesehen hatte, dass die Grobheit der Soldaten bestraft wurde, beruhigten sich die Einheimischen, und die Legionäre gingen den beiden Zenturionen durch die Menge voran.

Macro stieß Cato in die Seite. »Was sollte denn das? Der Junge hat doch nur seine Arbeit gemacht.«

»Er wird nicht lange brauchen, um über die Kränkung hinwegzukommen. Gute Beziehungen zwischen uns und den Atrebates aufzubauen dauert dagegen wesentlich länger. Zerstört aber sind sie in null Komma nichts.«

»Mag sein«, räumte Macro widerwillig ein und erinnerte sich dann an das verstohlene Grinsen des Legionärs bei Catos letzter Bemerkung. Der kleine Scherz hatte den Groll des Mannes beträchtlich gemildert. »Jedenfalls hast du es auf die richtige Art gemacht.«

Cato zuckte mit den Schultern.

Sie traten in den schattigen Innenbereich des Torhauses und erklommen die Leiter zur Aussichtsplattform, die auf den dicken Deckenbalken ruhte. Als Cato sich durch die schmale Luke schob, erblickte er auf der einen Seite Verica und eine Hand voll Leibwächter. Cato grüßte den König, trat zur Palisade und blickte auf den Weg hinunter, der sich nordwärts der Tamesis entgegenschlängelte. In einer halben Meile Entfernung krochen sechs große Wagen, jeder mit vier Ochsen bespannt, langsam voran. Hilfstruppen umgaben den Zug mit einem kümmerlichen Geleitschutz, und eine kleine Gruppe berittener Kundschafter der Legion bildete die Nachhut. Cato sah eine Brustplatte im Sonnenlicht funkeln und musterte den Reiter, der seitlich an der Kolonne vorbeiritt.

»Ist das nicht der Legat?«

»Woher soll ich das denn wissen?«, gab Macro zurück. »Du hast die besseren Augen. Sag du es mir.«

Cato schaute noch einmal genau hin. »Ja! Das ist er tatsächlich. «

»Was hat der denn hier zu suchen?« Macro war ehrlich überrascht. »Der sollte doch bei der Legion sein und diesen verdammten Hügelfestungen die Hölle heiß machen.«

»Vermutlich will er wissen, wo sein Nachschub geblieben ist. Dabei muss er auf die Wagen gestoßen sein.«

»Das sieht unserem verdammten Vespasian ähnlich!«, meinte Macro lachend. »Der kann sich einfach aus keinem Kampf raushalten.«

Die Kolonne wurde zu beiden Seiten von feindlichen Fußtruppen verfolgt, unterstützt von einer Anzahl der schnellen Streitwagen, die von vielen britischen Stämmen noch immer geschätzt wurden. Ein steter Hagel von Pfeilen, Schleudergeschossen und Speeren drang auf die römische Kolonne ein. Unter Catos Augen traf ein Speer einen der Hilfssoldaten ins Bein, woraufhin der Mann seinen Schild fallen ließ und zu Boden stürzte. Der Söldner hinter ihm umging seinen verwundeten Kameraden einfach, und marschierte hinter seinen ovalen Schild geduckt ohne einen Blick zurück weiter.

»Das ist hart«, bemerkte Macro.

»Ja …«

Beide Männer litten unter ihrer Unfähigkeit, ihren Kameraden in irgendeiner Weise zur Seite zu stehen. Solange sie unter ärztlicher Obhut standen, waren sie im Lager einfach nur überflüssige Esser. Außerdem würde der Zenturio, dem die Garnison unterstellt war, sauer werden, wenn sie ihm irgendwie dazwischenfunkten.

Bevor die Kolonne den Verwundeten gänzlich hinter sich gelassen hatte, ließ einer der Ochsenführer sein Gespannpaar los und rannte zu dem Hilfssoldaten, der verzweifelt versuchte, sich den Speer aus dem Bein zu ziehen. Unter den Augen der Menschenmenge auf Callevas Torhaus packte der Ochsenführer den Speer und riss ihn heraus. Dann legte er sich den Arm des Verwundeten um die Schultern, und gemeinsam stolperte das Paar dem letzten Wagen hinterher.

»Das schaffen sie nicht«, sagte Cato.

Unter den verzweifelten Peitschenhieben der Fuhrleute zogen die Ochsen die rumpelnden Wagen auf Callevas sicheren Verteidigungswall zu, und der Abstand der beiden Männer zum letzten Wagen vergrößerte sich stetig, bis sie zwischen den Reihen der berittenen Nachhut verschwanden. Cato hielt angestrengt nach den beiden Ausschau.

»Hätte ihn liegen lassen sollen«, knurrte Macro. »Jetzt sind zwei Männer hinüber statt nur einer.«

»Da sind sie!«

Hinter der Nachhut aus Kundschaftern erblickte Macro jetzt das Paar, das noch immer hinter der Nachschubkolonne herstolperte. Dann sah er eine Gruppe von Briten, die auf diese leichte Beute zustürmten. Der Ochsenführer warf einen Blick über die Schulter und blieb unvermittelt stehen. Er zögerte nur einen winzigen Moment, ließ den Verwundeten los und rannte um sein Leben. Der Söldner sank in die Knie, die Hand dem Ochsenführer nachgestreckt, während der Feind heranstürmte. Im nächsten Moment verschwand er unter dem Ansturm bemalter Gestalten mit weiß gekalktem Haar. Einige der Briten rannten weiter, um den Ochsenführer einzuholen. Die jüngeren und daher schnelleren Männer verringerten den Abstand rasch und brachten den Mann mit einem Speerwurf in den Rücken zu Fall. Dann verschwand auch er unter den wilden Hieben der britischen Krieger.

»Ein Jammer.« Macro schüttelte den Kopf.

»Sieht so aus, als würden die anderen einen Angriff vorbereiten. « Cato beobachtete die größte Streitwagengruppe, in der auf dem vordersten Wagen eine hoch gewachsene Gestalt den Speer schwenkte, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Er deutete mit einem Stoß seiner Speerspitze auf die Überreste der Nachschubkolonne, und die Briten stießen ihren Kriegsschrei aus und preschten los. Die Hilfstruppen

»Vielleicht erkauft er den anderen gerade so viel Zeit, wie sie brauchen.« Macro drehte sich um und blickte zum Befestigungswall des Nachschublagers. »Wo bleibt denn die Garnison?«

»Ist der Legat noch dabei?«, fragte Macro.

Das Opfer der Kundschafter hielt den Feind nur für kurze Zeit auf, doch inzwischen waren die Wagen und ihr Geleitschutz nur noch zweihundert Schritte vom Tor entfernt. Die Beobachter auf dem Wall brüllten Ermutigungen und fuchtelten aufgeregt mit den Armen.

»Wurde aber auch verdammt noch mal Zeit«, knurrte Macro.

Macro beobachtete den verzweifelten Kampf am Ende des Wagenzuges und zuckte mit den Schultern. Vielleicht waren die Briten beim Anblick der Legionäre ja einen Moment lang verunsichert. In den letzten beiden Jahren hatten die Briten gelernt, die Männer hinter den scharlachroten Schilden zu fürchten, und das mit gutem Grund. Hier kämpften jedoch die ältesten der Veteranen, Lahme, die nicht länger mit ihren Kameraden Schritt halten konnten, und jene Simulanten, denen man nicht mehr zutraute, in einer wütenden Schlacht ihren Mann zu stehen. Falls der Feind das wahre Format dieser Männer erkannte, war alles verloren.

Cato beugte sich über die Palisade und sah den ins Torhaus einfahrenden Wagen nach, die jeder mit strohumwickelten Amphorenstapeln beladen waren. Dann war also wenigstens etwas von dem Getreide und Öl gerettet worden. Mehr aber auch nicht. Die beiden letzten Wagen waren in britische Hände gefallen, und Cato sah ihre Kutscher und die Ochsenführer tot am Boden liegen; nun ging es nur noch um einen einzigen Wagen. Unter Catos Augen trieben die Briten die Römer langsam zurück.

Unter der Wucht des britischen Angriffs wichen die römischen Reihen stetig zurück. Die Männer in der vordersten Reihe hatten genug mit Schwert und Schild zu tun, ganz in das Geschäft des Tötens vertieft, während ihre Kameraden dahinter sich nervös zum Tor umblickten und langsam dorthin zurückwichen. Plötzlich gaben die Streitwagenfahrer ihren Ponys mit wildem Triumphgebrüll die Peitsche und preschten auf die schmale Lücke zwischen den Legionären und dem Torhaus zu. Selbst von seinem erhöhten Beobachtungspunkt aus spürte Cato, wie der Boden unter den Hufen der Ponys und den Rädern der Streitwagen erbebte.

Ein Schrei stieg auf und verstummte ganz plötzlich, als die Streitwagen die ersten Nachzügler erreichten und die Leiber der Legionäre trotz der schützenden Kettenpanzer einfach unter sich zermalmten. Veranius sprang vor und stieß sein Schwert dem vordersten Pony in die Brust, dann wurde auch er niedergetrampelt und verschwand im Getümmel aus gepanzerten Pferden und den Korbwänden der Streitwagen.

Macro nickte und folgte ihm die Leiter hinunter.

»Was für ein verdammtes, beschissenes Chaos …«