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Dick Francis

Festgenagelt

Roman

Aus dem Englischen von
Malte Krutzsch

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Titel der 1988 bei Pan Books, London,

erschienenen Originalausgabe: ›Bolt‹

Copyright © 1986 by Dick Francis

Die deutsche Übersetzung erschien erstmals 1988

im Ullstein Verlag, Frankfurt/M., Berlin;

sie wurde vom Übersetzer für die vorliegende

Ausgabe überarbeitet

Copyright © der deutschen Übersetzung

Verlag Ullstein GmbH, Frankfurt/M., Berlin

Umschlagillustration von

Tomi Ungerer

 

 

Für

Danielle und Holly,

beide seit ›Ausgestochen‹

geboren

 

 

Alle deutschen Rechte vorbehalten

Copyright © 2015

Diogenes Verlag AG Zürich

www.diogenes.ch

ISBN Buchausgabe 978 3 257 22838 0 (7. Auflage)

ISBN E-Book 978 3 257 60662 1

Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen
der im Impressum genannten Buchausgabe.

[5] 1

Bitterer Februar, innen wie außen, Stimmung dem Wetter entsprechend, scheußlich und trüb, nahe dem Nullpunkt. Ich ging auf der Rennbahn in Newbury vom Waageraum zum Führring und gab mir Mühe, nicht nach dem Gesicht, das ja doch fehlen würde, Ausschau zu halten – dem vertrauten Gesicht von Danielle de Brescou, mit der ich offiziell verlobt war, samt Diamantring und allem.

Daß ich damals im November diese Frau gewonnen hatte, war unverhofft gekommen, ein plötzliches Erwachen, aufregend… beglückend. Sie zu halten erwies sich jetzt, in den Frösten vor dem Frühling, als teuflisch schwer. Meine innig geliebte, dunkelhaarige Freundin schien sich zu meinem Erschrecken im Moment weniger für einen Hindernisjockey (mich) zu interessieren als für einen älteren, reicheren Weltmann von besserer Herkunft (es war ein Prinz), der noch nicht einmal den Anstand hatte, schlecht auszusehen.

Ich versuchte zwar, mir nichts anmerken zu lassen, mußte aber feststellen, daß die Enttäuschung immer wieder in den Rennen durchbrach, wo ich ohne Rücksicht auf Verluste über Hindernisse jagte, bedenkenlos die Gefahr suchte, um das Gefühl der Zurückweisung auszulöschen. Es war vielleicht nicht vernünftig, mit blockiertem Verstand einer riskanten Arbeit nachzugehen, aber Beruhigungsmittel gab es in vielen Formen.

Prinzessin Casilia wartete ohne Danielles Begleitung wie üblich im Führring und beobachtete, wie ihr Starter Cascade präsentiert wurde. Ich trat zu ihr, ergriff die dargebotene Hand, machte die kleine Verbeugung, die ihrem Rang zukam.

[6] »Kalt heute«, sagte sie zur Begrüßung, die Konsonanten ein wenig hart, die Vokale rein und klar; der Akzent ihres europäischen Heimatlandes klang nur leise an.

»Kalt, ja«, sagte ich.

Danielle war nicht mitgekommen. Natürlich nicht. Dumm von mir, darauf zu hoffen. Sie hatte am Telefon in bester Laune gesagt, daß sie das Wochenende nicht mit mir verbringen könne; sie wolle mit dem Prinzen und einigen seiner Bekannten zu einem sagenhaften »florentinischen« Treffen in einem Hotel im Lake District; dort werde unter anderem der Kustos der italienischen Gemäldesammlung des Louvre eine Reihe Vorträge über die italienische Renaissance halten. Es sei eine so tolle, einmalige Gelegenheit; sie sei sicher, ich hätte Verständnis dafür.

Es war bereits das dritte Wochenende, an dem sie sicher war, daß ich Verständnis hätte.

Die Prinzessin sah distinguiert aus wie immer, in den mittleren Jahren, schlank, ausgesprochen feminin, warm eingehüllt in einen üppigen Zobelmantel, der von schmalen Schultern schwang. Normalerweise war ihr hochgestecktes, glattes dunkles Haar unbedeckt, doch heute trug sie einen hohen russischen Pelzhut mit riesiger, aufgebogener Krempe, und flüchtig dachte ich, daß ihn kaum jemand stilvoller hätte tragen können. Ich ritt die rund zwanzig Pferde ihrer Koppel seit mehr als zehn Jahren und kannte die Kleidung, die sie zu Rennbahnbesuchen anzog, ziemlich gut. Der Hut war neu.

Sie bemerkte die Richtung meines Blickes und die in ihm liegende Bewunderung, sagte aber lediglich: »Zu kalt für Cascade, oder?«

»Das hält er aus«, meinte ich. »Er läuft sich beim Aufgalopp warm.«

Sie würde zu Danielles Abwesenheit nichts sagen, wenn ich davon schwieg. Stets zurückhaltend, ihre Gedanken hinter [7] langen Wimpern verbergend, klammerte sich die Prinzessin an feine Umgangsformen wie an einen Schild gegen die schlimmsten Bedrängnisse der Welt, und ich war oft genug in ihrer Gesellschaft, um die von ihr gewählten sozialen Fassaden nicht geringzuschätzen. Sie konnte Unwetter mit Höflichkeit besänftigen, Blitze durch standhaftes Geplauder entschärfen und die kampflustigsten Gegner mit der Erwartung entwaffnen, daß sie sich gut benehmen würden. Ich wußte, es war ihr lieber, wenn ich meinen Kummer für mich behielt; sonst würde ich sie nur in Verlegenheit bringen.

Andererseits verstand sie meine gegenwärtige Misere vollkommen. Einmal war Danielle die Nichte ihres Mannes, und Litsi, der Prinz, der jetzt Danielle zu einer Vergnügungsreise ins fünfzehnte Jahrhundert entführte, war ihr eigener Neffe.

Litsi, ihr Neffe, und Danielle, die Nichte ihres Mannes, waren derzeit beide unter ihrem Dach am Eaton Square zu Gast, wo sie sich von morgens bis abends sahen… und von abends bis morgens, wenn mich nicht alles täuschte.

»Wie stehen unsere Chancen?« fragte die Prinzessin neutral.

»Ziemlich gut«, sagte ich.

Sie nickte zustimmend, voll froher Hoffnung auf einen durchaus möglichen Sieg.

Cascade war, obschon es ihm an Grips fehlte, über die 2 Meilen ein äußerst erfolgreicher Steepler und hatte in der Vergangenheit jeden seiner heutigen Konkurrenten abgehängt. Mit etwas Glück würde er es wieder schaffen; aber nichts ist jemals sicher im Rennsport… oder im Leben.

Prinz Litsi, dessen vollständiger Name ungefähr einen Meter lang und meines Erachtens unaussprechlich war, war ein Kosmopolit, gebildet, eindrucksvoll und freundlich. Er sprach perfektes Umgangsenglisch, ohne die zu harten Konsonanten seiner Tante, und das war auch nicht weiter verwunderlich, da er erst nach der Entthronung seiner königlichen Großeltern geboren [8] worden war und einen großen Teil seiner Kindheit in England verbracht hatte.

Er lebte jetzt in Frankreich, aber wir waren uns im Lauf der Jahre einige Male begegnet, wenn er seine Tante besuchte und sie zum Pferderennen begleitete, und irgendwie hatte ich ihn gemocht, ohne ihn näher zu kennen. Als ich erfuhr, daß er wieder einmal zu Besuch käme, hatte ich überhaupt nicht daran gedacht, welchen Eindruck er auf eine intelligente junge Amerikanerin machen könnte, die bei einem Fernseh-Nachrichtensender tätig war und für Leonardo da Vinci schwärmte.

»Kit«, sagte die Prinzessin.

Ich riß meine Gedanken vom Lake District los und konzentrierte mich auf ihr ruhiges Gesicht.

»Nun«, sagte ich, »manche Rennen sind leichter als andere.«

»Tun Sie Ihr Bestes.«

»Ja.«

Unsere Zusammenkünfte vor dem Start hatten sich mit den Jahren zu angenehmen kleinen Zwischenspielen entwickelt, bei denen wenig geredet, aber vieles verstanden wurde. Die meisten Besitzer gingen in Begleitung ihrer Trainer in den Führring, aber Wykeham Harlow, der die Pferde der Prinzessin trainierte, erschien auf keinem Rennplatz mehr. Wykeham wurde alt, er ertrug die ständigen Winterreisen nicht. Wykeham brachte trotz nachlassendem Gedächtnis und wackligen Knien für Pferde noch immer die Begeisterung auf, die ihm von Anfang an einen Platz an der Spitze eingetragen hatte. Nach wie vor strömten Scharen von Siegern aus seinem achtzig Tiere umfassenden Stall, und ich ritt sie liebend gern.

Die Prinzessin ging unbeirrbar bei jedem Wetter zum Pferderennen, freute sich an den Leistungen ihrer Ersatzkinder, plante ihre Zukunft, dachte an ihre Vergangenheit zurück, füllte die eigene Zeit mit nie ermüdender Anteilnahme. Im Lauf vieler Jahre waren sie und ich zu einer förmlichen und dennoch tiefen [9] Beziehung gelangt; wir hatten Höhenflüge und Augenblicke des Kummers zusammen erlebt, verstanden uns mühelos bei den Rennen, gingen am Tor getrennte Wege.

Getrennt jedenfalls bis zum vorigen November, als Danielle aus Amerika gekommen war, um ihre Stellung in London anzutreten, und in meinem Bett landete. Obwohl die Prinzessin mich zweifellos als künftiges Familienmitglied akzeptiert hatte und mich oft in ihr Haus einlud, war ihr Verhalten zu mir – und mein Verhalten zu ihr – praktisch unverändert geblieben, besonders auf Rennplätzen. Das Muster war zu fest gefügt und kam uns wohl auch beiden richtig vor.

»Viel Glück«, sagte sie leichthin, als die Zeit zum Aufsitzen kam, und Cascade und ich gingen zum Start hinunter, wobei ihn der Kanter aufgelockert haben dürfte, doch wie üblich sandte er mir keine telepathischen Botschaften über seine Verfassung. Mit einigen Pferden konnte man fast so gut Gedanken austauschen wie im Gespräch, aber der dunkle, dünne, schnelle Cascade war gewohnheitsmäßig und ungefällig stumm.

Das Rennen erwies sich sehr viel härter als erwartet, da einer der anderen Starter neue Kräfte in sich entdeckt zu haben schien, seit ich ihn zuletzt geschlagen hatte. Er galoppierte Schritt für Schritt mit Cascade die Gegengerade hinab und hängte sich im Einlaufbogen wie eine Klette an ihn. Als wir die letzten vier Hindernisse vor dem Finish angingen, war er immer noch dicht neben Cascade, aggressiv dorthin gedrängt von seinem Jockey, obwohl ihnen die Bahn in ihrer ganzen Breite zur Verfügung stand. Es war eine Zermürbungstaktik, wie dieser Jockey sie häufig gegen Pferde anwandte, die er für schreckhaft hielt, aber ich war nicht in der Stimmung, mich von ihm oder sonst jemand überholen zu lassen, und wie zu oft in letzter Zeit bemerkte ich Wut in mir, Rücksichtslosigkeit und eine unterdrückte Verzweiflung, die sich entlud.

Ich kickte Cascade knallhart über die letzten Sprünge und [10] trieb ihn unbarmherzig die Einlaufgerade entlang, und wenn ihm das verhaßt war, dann sagte er es mir wenigstens nicht. Er reckte seinen Hals und seinen braunen Kopf nach dem Ziel und hielt unter schonungslosem Druck bis zum Ende durch.

Wir siegten um Zentimeter, und Cascade ging restlos erschöpft nach einigen ungleichmäßigen Tritten in den Schritt über. Ich schämte mich ein bißchen und zog wenig Freude aus dem Sieg, und auf dem langen Weg zum Absattelplatz verspürte ich nicht die Erleichterung nachlassender Spannung, sondern die zunehmende Furcht, mein Reittier könnte einen Herzschlag erleiden und tot umfallen.

Es stellte sich mit zitternden Beinen als Sieger auf, bedacht mit ganz sicher verdientem Beifall, und die Prinzessin kam mit etwas ängstlicher Miene, um es zu begrüßen. Das Ergebnis der Zielfotografie war schon verkündet, Cascades Sieg bestätigt, und es schien, daß die Prinzessin nicht etwa in Sorge darüber war, ob sie gewonnen hatte, sondern wie.

»Sind Sie nicht hart mit ihm umgesprungen?« fragte sie zweifelnd, als ich absaß. »Vielleicht zu hart, Kit?«

Ich klopfte Cascades dampfenden Hals, fühlte den Schweiß unter meinen Fingern. Manch anderes Pferd wäre unter so starker Belastung zusammengebrochen.

»Er ist tapfer«, sagte ich. »Er gibt alles, was er hat.«

Sie sah zu, wie ich die Gurte löste und den Sattel auf meinen Arm gleiten ließ. Ihr Pferd stand reglos vor Müdigkeit da, während Dusty, der Reisefuttermeister, den tropfnassen braunen Körper in eine Schweißdecke hüllte, um ihn warmzuhalten.

»Sie brauchen nichts zu beweisen, Kit«, sagte die Prinzessin vernehmlich. »Weder mir noch sonst jemandem.«

Ich hörte auf, die Gurte um den Sattel zu legen, und schaute sie überrascht an. Sie sagte fast nie etwas so Persönliches und auch nicht derart direkt. Ich muß so betroffen ausgesehen haben, wie ich mich fühlte.

[11] Langsam steckte ich die Gurte fest.

»Ich sollte mich zurückwiegen«, meinte ich zögernd.

Sie nickte.

»Vielen Dank«, sagte ich.

Sie nickte nochmals und tätschelte mir den Arm, eine kleine vertraute Geste, die immer Verstehen und Entlassung beinhaltete. Ich wandte mich ab, um in den Waageraum zu gehen, und sah einen der Stewards entschlossen auf Cascade zusteuern, den er aufmerksam betrachtete. Stewards schauten meistens so, wenn sie gehetzte Pferde auf Anzeichen von Mißhandlung untersuchten, aber hinter dem Eifer dieses Stewards lag weit mehr als simple Tierliebe.

Bestürzt hielt ich im Gehen inne, und die Prinzessin wandte den Kopf, um meinem Blick zu folgen, worauf sie mich sofort wieder ansah. In ihren blauen Augen blitzte Verständnis auf.

»Gehen Sie nur«, sagte sie. »Wiegen Sie sich zurück.«

Ich ging dankbar weiter und überließ es ihr, dem Mann gegenüberzutreten, der vielleicht mehr als alles andere auf der Welt wünschte, daß ich meine Rennreiterlizenz verlor.

Oder, besser noch, mein Leben.

Maynard Allardeck, einer der Stewards bei diesem Meeting in Newbury (was mir vorübergehend entfallen war), hatte sowohl schlechte als auch gute Gründe, mich, Kit Fielding, zu hassen.

Die schlechten Gründe waren ererbt und irrational und deshalb besonders schwerwiegend. Sie entstammten einer Familienfehde, die mehr als drei Jahrhunderte überdauert und eine Tradition gegenseitiger Gewalttaten und Niedertracht geschaffen hatte. In der Vergangenheit hatten Fieldings Allardecks umgebracht und Allardecks Fieldings. Ich selbst hatte von Geburt an, zusammen mit meiner Zwillingsschwester Holly, von unserem Großvater beigebracht bekommen, daß alle Allardecks unehrlich, feige, bös und hinterhältig seien, und das hätten wir [12] wahrscheinlich unser Leben lang geglaubt, wenn sich Holly nicht – wie einst Julia in Romeo – in einen Allardeck verliebt und ihn geheiratet hätte.

Bobby Allardeck, ihr Mann, war nachweisbar weder unehrlich noch feige, böse oder hinterhältig, sondern ein gutmütiger Mensch, der in Newmarket Pferde trainierte. Bobby und ich hatten aufgrund seiner Heirat schließlich in unserer Generation, in unseren Herzen die alte Fehde begraben, aber Bobbys Vater, Maynard Allardeck, war noch der Vergangenheit verhaftet.

Maynard hatte Bobby den Verrat, den er in seinen Augen begangen hatte, nie verziehen und keineswegs eine Versöhnung angestrebt, sondern sich nur noch mehr auf die eingefleischte Überzeugung versteift, daß alle Fieldings, insbesondere Holly und ich, falsch, diebisch, intrigant und grausam seien. Meine friedfertige Schwester war nachweisbar nichts von alledem, aber Maynard sah jeden Fielding durch eine Zerrbrille.

Holly hatte mir erzählt, wie Bobby seinem Vater mitgeteilt hatte (während sie alle bei Bobby und Holly in der Küche standen), daß Holly schwanger sei und daß sein Enkelkind wohl oder übel Allardeck- und Fieldingblut in sich vereinen würde. Im ersten Moment hatte sie geglaubt, Maynard wolle sie erdrosseln. Statt dessen war er mit buchstäblich nach ihrem Hals gestreckten Händen plötzlich herumgewirbelt und hatte sich in den Spülstein übergeben. Sie war sehr erschüttert gewesen, als sie mir das erzählte, und Bobby hatte geschworen, seinen Vater nie wieder ins Haus zu lassen.

Maynard Allardeck war Mitglied des Jockey-Clubs, der obersten Rennsportbehörde, wo er mit seinem überragenden öffentlichen Charme jede Machtposition erkletterte, an die er herankam. Maynard Allardeck, der bereits bei mehreren großen Rennen als Steward fungierte, war auf das Triumvirat aus, er wollte einer der drei Stewards des Jockey-Clubs werden, die alle drei Jahre den Senior-Steward stellten.

[13] Für einen Jockey aus der Familie der Fieldings hätte die Aussicht auf einen Allardeck, der eine Position fast unumschränkter Macht über ihn bekleidete, verheerend sein müssen – und hier kamen die guten und verständlichen Gründe für Maynards Haß ins Spiel. Denn ich hatte ihn so fest in der Hand, daß er meine Laufbahn, mein Leben oder meinen Ruf nicht zerstören konnte, ohne selbst auf der Strecke zu bleiben. Er und ich und noch ein paar andere wußten davon; es genügte, um dafür zu sorgen, daß er mich in allen Rennsportfragen fair behandeln mußte.

Wenn er jedoch nachweisen konnte, daß ich Cascade wirklich mißhandelt hatte, würde er mich mit dem größten Vergnügen zu einer Geldbuße und einer Sperre verdonnern. In der Hitze des Rennens, in der Aufwallung meiner eigenen unbezähmbaren Gefühle hatte ich keinen Gedanken daran verschwendet, daß er unter den Zuschauern war.

Ich ging in den Waageraum, setzte mich auf die Waage und trat dann wieder an die Tür, um zu sehen, was draußen vorging. Aus dem Türschatten beobachtete ich Maynard im Gespräch mit der Prinzessin. Sie zeigte ihr freundlichstes und liebenswürdigstes Gesicht. Beide gingen im Kreis um den bebenden Cascade herum, der in der eiskalten Luft am ganzen Körper dampfte, da Maynard Dusty angewiesen hatte, die netzartige Schweißdecke abzunehmen.

Maynard sah wie immer tadellos elegant und vertrauenswürdig aus, ein äußeres Bild, das ihm sowohl im Geschäftsleben zustatten kam, wo er ein Riesenvermögen auf Kosten anderer erworben hatte, als auch in Gesellschaftskreisen, wo er viel für wohltätige Zwecke spendete und sich zu seinen guten Werken gratulierte. Nur die vergleichsweise wenigen Leute, die das schäbige, brutale Innere durchschaut hatten, blieben zynisch unbeeindruckt.

Er hatte aus Respekt vor der Prinzessin den Hut abgenommen und hielt ihn an seine Brust gedrückt; sein angegrautes blondes [14] Haar war akkurat geschnitten und gebürstet. Er krümmte sich fast, so sehr wünschte er der Prinzessin zu gefallen, während er gleichzeitig ihren Jockey anschwärzte, und ich war mir nicht sicher, ob er ihr nicht das Zugeständnis abringen konnte, daß vielleicht in diesem einen Fall Kit Fielding ihr Pferd wohl doch zu hart angefaßt hatte.

Nun ja… sie würden keine Striemen bei Cascade entdecken, denn mit der Peitsche hatte ich ihn kaum berührt. Der andere Starter war zu nah gewesen; als ich den Arm hob, hatte ich festgestellt, daß ich eher ihn als Cascade treffen würde, wenn ich die Peitsche herunterbrachte. Maynard hatte sicher meinen erhobenen Arm gesehen, aber Beine, Füße, Handgelenke und Wut hatten die Sache erledigt. Vielleicht gab es Peitschennarben in Cascades Seele, falls er eine hatte, doch davon wäre dann auf seinem Haarkleid nichts zu sehen.

Maynard überlegte des längeren mit geschürzten Lippen, Kopfgeschüttel und schweifenden Augen, aber schließlich verbeugte er sich steif vor der reizend lächelnden Prinzessin, setzte sorgfältig seinen Hut wieder auf und stolzierte enttäuscht davon.

Erleichtert sah ich, wie die Prinzessin sich einer Gruppe von Freunden anschloß, während Dusty mit sichtlicher Mißbilligung die Schweißdecke wieder auflegte und den Pfleger, der Cascade am Zügel hielt, aufforderte, das Pferd in den Stall zu bringen. Cascade folgte ihm müde, mit hängendem Kopf, völlig verausgabt. Entschuldige, dachte ich, tut mir leid, alter Knabe. Beklag dich bei Litsi.

Die Prinzessin, dachte ich dankbar, als ich ihre Farben ablegte, um für das nächste Rennen in andere zu schlüpfen, hatte Maynards Einflüsterungen widerstanden und ihre Bedenken für sich behalten. Sie wußte, wie es zwischen mir und Maynard stand, weil Bobby ihr das im November mal gesagt hatte, und obwohl sie nie darauf zu sprechen gekommen war, hatte sie es offensichtlich nicht vergessen. Anscheinend mußte ich schon [15] mehr tun, als ihr Pferd halb umzubringen, bevor sie mich meinem Feind auslieferte.

Ich ritt das nächste Rennen in dem vollen Bewußtsein, daß er auf der Tribüne saß: zwei atemlose Meilen über die Hürden, als Vierter durchs Ziel. Danach zog ich wieder die Farben der Prinzessin an und kehrte für die Hauptveranstaltung des Tages in den Führring zurück, ein 3-Meilen-Jagdrennen, das als Probelauf für das Grand National betrachtet wurde.

Ungewöhnlicherweise wartete die Prinzessin nicht schon im Ring, und ich sah eine Weile allein zu, wie ihr stämmiger Cotopaxi von seinem Pfleger herumgeführt wurde. Wie viele ihrer Pferde war er nach einem Berg benannt, und zu ihm paßte das ausgezeichnet, denn er war groß, hager und eckig, ein Dunkelfuchs mit grauen Flecken auf der Kruppe, die wie schmutziger Schnee aussahen. Als Achtjähriger entwickelte er sich zufriedenstellend zu voller, kompromißloser Stärke, und diesmal glaubte ich wirklich daran, daß ich in einem Monat endlich den ganz großen Sieg erreiten könnte.

Ich hatte schon fast jedes im Kalender aufgeführte Rennen gewonnen, bis auf das Grand National. Da war ich Zweiter, Dritter und Vierter geworden, aber noch nie Erster. Cotopax war in der Lage, das zu ändern, wenn wir Glück hatten.

Dusty kam herüber und unterbrach den angenehmen Tagtraum.

»Wo ist die Prinzessin?« sagte er.

»Ich weiß nicht.«

»Sie würde sich den alten Paxi doch nie entgehen lassen.« Klein, ziemlich alt, wettergegerbt und aus Gewohnheit mißtrauisch, sah er mich vorwurfsvoll an, als wüßte ich etwas, das ich nicht sagen wollte.

Dusty war von Berufs wegen auf mich angewiesen und ich auf ihn, aber wir hatten nie Geschmack aneinander gefunden. Er erinnerte mich gern daran, daß auch ein Champion-Jockey wie ich [16] ohne die harte Arbeit der Pfleger, womit er natürlich sich meinte, nicht so oft siegen würde. Sein Verhalten mir gegenüber grenzte manchmal haarscharf an Unverschämtheit, und ich fand mich damit ab, weil er tatsächlich sein Handwerk verstand und mit den Pflegern im Grunde recht hatte; außerdem blieb mir kaum eine andere Wahl. Seit Wykeham nicht mehr zu den Rennen kam, hing das Wohlergehen der Pferde unterwegs ganz von Dusty ab, und das Wohlergehen der Pferde lag in meinem ureigenen Interesse.

»Cascade«, sagte Dusty finster, »kann kaum noch einen Fuß vor den anderen setzen.«

»Er ist nicht lahm«, wandte ich ein.

»Es wird Wochen dauern, bis er das verwunden hat.«

Ich antwortete nicht. Ich sah mich nach der Prinzessin um, die noch immer nicht aufgetaucht war. Ich hätte zu gern erfahren, was Maynard ihr gesagt hatte, aber es sah aus, als müßte ich mich gedulden. Und es war merkwürdig, daß sie nicht zum Ring gekommen war. Fast alle Pferdebesitzer waren vor einem Rennen gern im Führring, und gerade für die Prinzessin war das ein fester Programmteil. Überdies war sie auf Cotopaxi besonders stolz und vernarrt in ihn und hatte den ganzen Winter von seinen Chancen beim Grand National gesprochen.

Die Minuten vertickten, das Zeichen zum Aufsitzen kam, und Dusty warf mich wie üblich gekonnt in den Sattel. Ich hoffte, während ich auf die Bahn ritt, daß nichts Ernstes geschehen war, und hatte beim Aufgalopp Zeit, zur Privatloge der Prinzessin hoch oben auf der Tribüne hinaufzuschauen, wo ich sie auf jeden Fall gemeinsam mit ihren Freunden zu sehen erwartete.

Der Balkon war jedoch leer, und das machte mir nun wirklich Sorgen. Wenn sie unverhofft die Rennbahn verlassen mußte, hätte sie mich bestimmt benachrichtigt, und ich war im Führring auch nicht gerade schwer zu finden gewesen. Nachrichten konnten allerdings verlorengehen, und eine Mitteilung wie: »Sagt Kit [17] Fielding, daß Prinzessin Casilia nach Hause fährt«, wäre nicht als äußerst dringend eingestuft worden.

Ich ritt weiter zum Start in der Überzeugung, daß ich schon noch Genaueres erfahren würde, und hoffte nur, daß keine Hiobsbotschaft über ihren gebrechlichen, alten, an den Rollstuhl gefesselten Mann eingetroffen war, zu dem sie jeden Abend heimfuhr.

Cotopaxi bombardierte mich im Gegensatz zu Cascade regelrecht mit Informationen, hauptsächlich dahingehend, daß er sich gut fühlte, daß ihm die Kälte nichts ausmachte und daß er froh war, zum erstenmal seit Weihnachten wieder auf einer Rennbahn zu sein. Der Januar war verschneit gewesen, die erste Februarhälfte weit unter Null, und rennbegeisterte Pferde wie Cotopaxi langweilten sich leicht, wenn sie lange im Stall stehen mußten.

Wykeham rechnete im Gegensatz zu den meisten Tageszeitungen nicht damit, daß Cotopaxi in Newbury gewinnen würde.

»Er ist noch nicht in Hochform«, hatte er am Abend vorher am Telefon gesagt. »Er wird erst beim Grand National voll dasein. Geben Sie auf ihn acht, Kit, ja?«

Ich hatte gesagt, das würde ich tun, und nach Cascade war es mir doppelt ernst damit. Achtgeben auf Cotopaxi, auf der Hut sein vor Maynard Allardeck, Prinz Litsi unterm Turf begraben. Cotopaxi und ich gingen vorsichtig, konzentriert um das Geläuf, stellten uns auf jedes Hindernis genau ein, übersprangen sie alle glatt, freuten uns an der Präzision und verloren keine Zeit. Ich fuchtelte genügend mit der Peitsche, um den Eindruck eines voll ausgerittenen Finishs zu erwecken, und wir plazierten uns ehrenvoll als Dritte, so knapp hinter dem Sieger, daß es spannend blieb. Ein gutes Training für Cotopaxi, eine Bestätigung für Wykeham und die Verheißung kommenden Erfolgs für die Prinzessin.

Sie war während des Rennens nicht auf dem Balkon gewesen, und sie erschien auch nicht auf dem Absattelplatz. Dusty [18] brummte unverständliches Zeug über ihre Abwesenheit, und ich erkundigte mich im Waageraum vergebens, ob sie etwas habe ausrichten lassen. Ich zog mich für das fünfte Rennen um, und danach, in Straßenkleidung, beschloß ich, für alle Fälle in ihre Loge hinaufzugehen, wie ich es nach jedem Renntag machte, um nachzufragen, ob die Kellnerin, die dort bediente, vielleicht wußte, was passiert war.

Die Prinzessin unterhielt auf mehreren Rennplätzen eine Loge und hatte sie alle in den gleichen Creme-, Kaffee und Pfirsichfarben herrichten lassen. In jeder gab es einen Eßtisch und Stühle für den Lunch und dahinter eine Glastür zum Aussichtsbalkon. Sie hatte regelmäßig die eine oder andere Gruppe von Freunden zu Gast, aber an diesem Tag waren sogar die Freunde verschwunden.

Ich klopfte kurz an ihre Logentür, drückte ohne auf Antwort zu warten die Klinke herunter und trat ein.

Der Tisch war wie üblich aus Platzgründen nach dem Lunch an die Wand gerückt worden und jetzt in vertrauer Weise gedeckt mit allem, was zum Tee gehört: Appetithappen, Biskuits, Tassen und Untertassen, alkoholische Getränke, Kisten mit Zigarren. Heute nachmittag hatte niemand etwas davon angerührt, und es war auch keine Kellnerin da, die mir lächelnd einen Tee mit Zitrone anbot.

Ich hatte erwartet, die Loge überhaupt leer vorzufinden, aber sie war es nicht.

Die Prinzessin saß drinnen.

Neben ihr stand schweigend ein mir unbekannter Mann. Keiner von ihren üblichen Freunden. Ein Mann, der nicht viel älter war als ich, schlank, dunkelhaarig, mit ausgeprägter Nase und Kinn.

»Prinzessin…« sagte ich und machte einen Schritt in den Raum.

Sie wandte den Kopf. Sie trug immer noch den Zobelmantel [19] und den russischen Hut, obwohl sie die Überkleidung normalerweise in ihrer Loge ablegte. Ihre Augen sahen mich ausdruckslos an, verschleiert, weit offen, blau und leer.

Schock, dachte ich.

»Prinzessin«, sagte ich nochmals, beunruhigt.

Der Mann antwortete. Seine Stimme entsprach seiner Nase und seinem Kinn, markant, energisch, voller Kraft.

»Gehen Sie«, sagte er.

[20] 2

Ich ging.

Ich wollte mich keinesfalls ungebeten in irgendwelche privaten Probleme der Prinzessin einmischen, und diese Einstellung begleitete mich auf dem Weg nach unten. Ich war zu sehr an unsere auf Distanz bedachte Beziehung gewöhnt, als daß ich mir eingebildet hätte, ihre Angelegenheiten gingen mich etwas an. Mit der Einschränkung, daß sie die Frau von Danielles Onkel war.

Als ich dann hinaus zu meinem Wagen ging, wünschte ich, ich wäre nicht so überstürzt abgezogen oder hätte wenigstens erst einmal gefragt, ob sie meine Hilfe brauchte. Die herrische Stimme des Fremden hatte einen nachdrücklich warnenden Unterton gehabt, aus dem ich zunächst geschlossen hatte, er wolle die Prinzessin nur beschützen, aber rückblickend war ich mir da nicht so sicher.

Es konnte nichts schaden, dachte ich, wenn ich wartete, bis sie nach unten kam – denn irgendwann mußte sie schließlich nach Hause fahren –, und mich vergewisserte, daß es ihr gut ging. Wenn der Fremde noch bei ihr war und mich wieder so grob abfertigte, sie ihn aber offensichtlich als ihren Beschützer ansah, dann würde ich sie zumindest wissen lassen, daß ich ihr nötigenfalls beigestanden hätte.

Ich ging durch das Sattelplatztor zum Parkplatz, wo ihr Chauffeur Thomas wie gewohnt in ihrem Rolls-Royce auf sie wartete.

Thomas und ich sagten uns meistens auf den Parkplätzen guten Tag, denn er, ein phlegmatischer Londoner, las lieber [21] friedlich in irgendeinem Buch, als auf die sportlichen Ereignisse um ihn herum zu achten. Dick und zuverlässig, chauffierte er die Prinzessin seit Jahren und kannte ihr Leben und ihren Tagesablauf so gut wie jemand aus ihrer Familie.

Er sah mich kommen und winkte mir zu. Normalerweise ließ sie, wenn ich ihre Loge verlassen hatte, nicht mehr lange auf sich warten, so daß mein Erscheinen für Thomas als Zeichen diente, den Wagen zu starten und den Motor warmlaufen zu lassen.

Ich ging zu ihm, und er ließ ein Fenster herunter, um mit mir zu sprechen.

»Ist sie soweit?« fragte er.

Ich schüttelte den Kopf. »Da ist jemand bei ihr…« Ich zögerte. »Kennen Sie einen jüngeren Mann mit dunklen Haaren, dünn, vorspringende Nase und Kinn?«

Er überlegte und sagte, ihm falle keiner ein und warum es mich beunruhige.

»Sie hat nicht zugesehen, wie eines von ihren Pferden gelaufen ist.«

Thomas setzte sich gerade hin. »Darauf würde sie doch nie verzichten.«

»Eben. Hat sie aber.«

»Da stimmt was nicht.«

»Ja, denke ich auch.«

Ich sagte Thomas, ich ginge noch einmal zurück, um mich zu vergewissern, daß ihr nichts passiert sei, und auch ihm war jetzt Unruhe anzusehen.

Das letzte Rennen war vorbei, die Zuschauer zerstreuten sich rasch. Ich stellte mich ans Tor, wo ich die Prinzessin nicht verpassen konnte, und überflog Gesichter. Viele waren mir bekannt, viele kannten mich. Ich sagte fünfzig Mal gute Nacht und hielt vergeblich nach dem Pelzhut Ausschau.

Der Menschenstrom verebbte zu einem Rinnsal und das Rinnsal zu Zweier- und Dreiergruppen. Ich wanderte langsam [22] wieder auf die Tribüne zu und dachte unentschlossen, daß ich vielleicht noch einmal in ihre Loge hinaufgehen sollte.

Ich hatte fast den Aufgang zu den Logen erreicht, als sie herauskam. Selbst aus acht Metern Entfernung konnte ich den verschleierten Blick ihrer Augen sehen, und sie ging, als spüre sie den Boden nicht, hob die Füße hoch und setzte sie bei jedem Schritt hart auf.

Sie war allein und nicht in der Verfassung, es zu sein.

»Prinzessin«, ich trat rasch zu ihr. »Lassen Sie sich helfen.«

Sie schaute mich an, ohne etwas zu sehen. Sie wankte. Ich legte den Arm fest um ihre Taille, was ich unter normalen Umständen nie getan hätte, und sie straffte sich, als wollte sie ihre Hilfsbedürftigkeit nicht zugeben.

»Ich bin vollkommen in Ordnung«, sagte sie zitternd.

»Ja… gut, nehmen Sie mich beim Arm.« Ich ließ ihre Taille los, bot ihr meinen Arm als Stütze, und nach einem winzigen Zögern hakte sie sich ein.

Ihr Gesicht war blaß unter dem Pelzhut, und sie bebte am ganzen Körper. Ich ging langsam mit ihr zum Tor und lenkte sie dorthin, wo Thomas wartete. Er war ausgestiegen, sah besorgt drein und öffnete den hinteren Wagenschlag, als wir herankamen.

»Danke«, sagte die Prinzessin leise, als sie einstieg. »Vielen Dank, Kit.«

Sie ließ sich auf den Rücksitz sinken, wobei sie ihren Hut verlor und apathisch zusah, wie er auf den Boden rollte.

Sie streifte ihre Handschuhe ab und hob eine Hand zum Kopf, bedeckte ihre Augen. »Ich glaube, ich…« Sie schluckte erst einmal. »Haben wir Wasser, Thomas?«

»Ja, Madam«, sagte er eifrig und ging zum Kofferraum, um den kleinen Korb mit Erfrischungen herauszuholen, die er gewohnheitsmäßig mitnahm. Schlehenlikör, Sekt und Sprudelwasser waren immer zur Hand.

[23] Ich blieb an der offenen Tür stehen, unsicher, wieviel Hilfe sie für nötig erachtete. Ich kannte ihren Stolz, ihre Beherrschung, die Ansprüche, die sie an sich stellte, durchaus. Sie würde nicht wollen, daß irgend jemand sie für schwach hielt.

Thomas gab ihr etwas Mineralwasser in einem Kristallglas mit klimperndem Eis, eine reife Leistung. Sie nahm zwei oder drei kleine Schlucke und starrte abwesend ins Leere.

»Prinzessin«, sagte ich schüchtern, »wäre es vielleicht besser, wenn ich Sie nach London begleitete?«

Sie wandte die Augen in meine Richtung, und etwas wie ein Schauer durchlief sie, so daß das Eis klirrte.

»Ja«, sagte sie merklich erleichtert. »Ich brauche einen, der…« Sie unterbrach sich, fand die Worte nicht.

Einen, der verhinderte, daß sie zusammenbrach, nahm ich an. Keine Schulter zum Ausweinen, sondern einen Grund, um nicht zu weinen.

Thomas, der die Regelung guthieß, sagte nüchtern zu mir: »Was wird mit Ihrem Auto?«

»Es steht auf dem Jockey-Parkplatz. Ich fahre es zu den Stallungen. Da kann es bleiben.«

Er nickte, und wir hielten auf dem Weg nach draußen kurz an, damit ich den Mercedes sicher unterbringen und dem Boxenmanager der Rennbahn sagen konnte, ich käme ihn später abholen. Die Prinzessin schien von diesen ganzen Vorkehrungen nichts mitzubekommen, sondern starrte weiter vor sich hin, vertieft in ich ahnte nicht was für Gedanken, und erst als wir uns in der frühen Abenddämmerung London allmählich näherten, regte sie sich schließlich und gab mir zerstreut das Glas mit dem Rest Sprudel und geschmolzenen Eis als eine Art Auftakt zum Gespräch.

»Es tut mir leid«, sagte sie, »daß ich Ihnen Umstände mache.«

»Das tun Sie doch gar nicht.«

»Ich habe eben«, fuhr sie vorsichtig fort, »einen schweren [24] Schock erlitten. Und ich kann es nicht erklären…« Sie brach ab und schüttelte den Kopf, bewegte verzagt die Hände. Mir schien trotz alledem, daß sie an einen Punkt gelangt war, wo ein gewisser Beistand willkommen sein könnte.

»Kann ich irgend etwas tun?« fragte ich neutral.

»Ich bin nicht sicher, wieviel ich verlangen darf.«

»Eine ganze Menge«, sagte ich ohne Umschweife.

Der Anflug eines Lächelns kehrte in ihre Augen zurück, verschwand aber rasch wieder. »Ich habe nachgedacht…« sagte sie. »Würden Sie, wenn wir in London sind, mit ins Haus kommen und warten, bis ich mit meinem Mann gesprochen habe?«

»Ja, natürlich.«

»Sie haben Zeit? Vielleicht… ein paar Stunden?«

»Immer«, versicherte ich ihr trocken. Danielle war zu Leonardo gefahren, und ohne sie wurde die Zeit lang. Ich unterdrückte das in mir aufsteigende Unglücksgefühl und fragte mich, was wohl die Prinzessin so erschüttert hatte. Monsieur de Brescous Gesundheit betraf es offenbar nicht. Vielleicht etwas Schlimmeres.

Während es draußen völlig dunkel wurde, fuhren wir etliche Kilometer schweigend weiter, die Prinzessin starrte wieder vor sich hin und seufzte, und ich hätte gern gewußt, was ich mit dem Kristallglas anfangen sollte.

Als könnte er meine Gedanken lesen, sagte Thomas plötzlich: »Unter dem Aschenbecher an der Tür, Mr. Fielding, befindet sich ein Glashalter«, und ich begriff, daß er mein Dilemma im Rückspiegel mitbekommen hatte.

»Vielen Dank, Thomas«, sagte ich in den Spiegel und begegnete seinem amüsierten Blick. »Sehr aufmerksam.«

Ich klappte den Chromring hoch, der ähnlich aussah wie der Halter für einen Zahnputzbecher, und steckte das Glas hinein. Die Prinzessin blieb in unerfreuliche Vorstellungen versunken.

»Thomas«, sagte sie schließlich, »versuchen Sie bitte mal, ob [25] Mrs. Jenkins noch im Haus ist? Wenn ja, möchte sie doch nachfragen, ob Mr. Gerald Greening heute abend vorbeikommen kann.«

»Ja, Madam«, sagte Thomas und drückte die Tasten des Autotelefons, auf das er im Fahren flüchtig herunterschaute.

Mrs. Jenkins arbeitete für die Prinzessin und Monsieur de Brescou als Sekretärin und persönliche Assistentin für alle Belange, eine junge, frisch verheiratete Frau, klein und blaß wie ein heimatloses Kind. Sie arbeitete nur werktags und machte pünktlich um fünf Feierabend, und nach meiner Uhr war es wenige Minuten davor. Thomas erwischte sie offenbar in der Tür und gab die Nachricht zur Zufriedenheit der Prinzessin durch. Sie sagte nicht, wer Gerald Greening war, sondern gab sich stumm wieder ihren grimmigen Gedanken hin.

Bis wir den Eaton Square erreichten, hatte sie sich körperlich völlig erholt und weitgehend auch seelisch. Trotzdem wirkte sie immer noch blaß und angegriffen und ließ sich von Thomas’ starker Hand aus dem Wagen helfen. Ich folgte ihr auf den Gehsteig, und sie betrachtete Thomas und mich einen Augenblick im Licht der Straßenlaternen.

»Tja«, sagte sie nachdenklich, »ich danke Ihnen beiden.«

Thomas sah immer so aus, als würde er bereitwillig für sie in den Tod gehen, statt sie nur vorsichtig zu den Rennen zu fahren, aber jetzt überquerte er weniger dramatisch den Gehsteig und schloß mit seinem Schlüsselbund die Haustür auf.

Sie und ich gingen hinein, während Thomas den Wagen wegbrachte, und stiegen die breite Treppe in den ersten Stock hinauf. Das Erdgeschoß des großen alten Hauses bestand aus Büros, einer Gästesuite, Bibliothek und einem Frühstückszimmer. Die Prinzessin und ihr Mann hielten sich vorwiegend oben auf; Gesellschafts-, Wohn- und Eßzimmer lagen im ersten Stock, Schlafzimmer in den drei Etagen darüber. Das Personal wohnte im Souterrain, und in neuerer Zeit hatte das Haus einen [26] leistungsfähigen Lift erhalten, der Platz bot für Monsieur de Brescous Rollstuhl.

»Würden Sie im Wohnzimmer warten?« sagte sie. »Trinken Sie etwas. Wenn Sie Tee möchten, läuten Sie nach Dawson…« Die Gastgeberworte stellten sich ganz von selbst ein, doch ihre Augen waren ausdruckslos, und sie wirkte sehr müde.

»Ich komme schon zurecht«, sagte ich.

»Es kann aber lange dauern.«

»Ich werde hier sein.«

Sie nickte und ging die breite Treppe hinauf zum nächsten Stock, wo sie und ihr Mann jeder eine eigene Suite hatten und wo Roland de Brescou den größten Teil seiner Zeit verbrachte. Ich war nie dort oben gewesen, aber Danielle hatte seine Räumlichkeiten als ein Miniaturkrankenhaus beschrieben, nicht nur mit Schlaf- und Wohnzimmer, sondern einem Physiotherapieraum und einem zusätzlichen Zimmer für einen Pfleger.

»Was fehlt ihm?« hatte ich gefragt.

»Er hat irgendeine schreckliche Viruskrankheit. Was es genau ist, weiß ich nicht, aber keine Kinderlähmung. Die Beine haben ihm vor Jahren einfach den Dienst versagt. Darüber reden sie nicht viel, und du kennst sie ja, man kommt sich aufdringlich vor, wenn man fragt.«

Ich ging ins Wohnzimmer, das zum vertrauten Territorium für mich geworden war, und rief Dawson, den ziemlich erlauchten Butler an, um mir Tee kommen zu lassen.

»Sehr wohl, Sir« sagte er knapp. »Ist Prinzessin Casilia bei Ihnen?«

»Sie ist oben bei Monsieur de Brescou.«

Er sagte: »Ah«, und die Verbindung brach ab. Kurz darauf brachte er ein kleines Silbertablett mit Tee und Zitrone, aber ohne Milch, Zucker und Kekse.

»Hatten wir einen erfolgreichen Nachmittag, Sir?« fragte er, als er seine Last absetzte.

[27] »Einen Sieg und einen dritten Platz.«

Er lächelte ein wenig, ein Mann von fast sechzig Jahren, genügsam und zufrieden mit seiner Arbeit. »Sehr erfreulich, Sir.«

»Ja.«

Er nickte und ging, und ich goß mir Tee ein und versuchte, nicht an Toast und Butter zu denken. Irgendwie hatte ich in der Winterpause im Februar drei Pfund zugenommen und rang deshalb jetzt mehr als sonst mit meinem Gewicht.

Das Wohnzimmer war komfortabel, mit geblümten Stoffen, Teppichen und warmem Lampenlicht, insgesamt freundlicher als der Satin und die Vergoldungen in dem sehr französischen Gesellschaftszimmer nebenan. Ich stellte den Fernseher an, um die Nachrichten zu sehen, schaltete ihn danach wieder aus und wanderte auf der Suche nach etwas Lesbarem umher. Flüchtig fragte ich mich auch, warum die Prinzessin gewollt hatte, daß ich warte, und was für eine Hilfe es eigentlich war, die sie meinte nicht verlangen zu können.

Der Lesestoff schien begrenzt auf ein Architekturmagazin in französischer Sprache und einen weltweiten Flugplan, und ich war im Begriff, mich für das zweite zu entscheiden, als ich auf einem Tischchen einen Faltprospekt über »Kunstseminare in anspruchsvollem Rahmen« entdeckte und mich mit Danielles Wochenende konfrontiert sah.

Ich setzte mich in einen Sessel und las die Broschüre von vorn bis hinten durch. Das Hotel, von dem auch Fotos abgebildet waren, wurde als aufwendig renoviertes Landhaus beschrieben, mit hinreißender Aussicht auf Wasserfälle und Seen, mit lodernden Kaminfeuern für die häusliche Gemütlichkeit.

Die Verantstaltungen wurden am Freitagabend um sechs mit einem Empfang eröffnet (der war also, während ich las, gerade im Gang), danach gab es Abendessen, danach ein Konzert mit Sonaten von Chopin im goldenen Gesellschaftszimmer.

[28] Am Samstag begann das eigentliche Seminar. Der illustre Direktor der italienischen Gemäldeabteilung des Louvre hielt Vorträge über »Die Meister der italienischen Renaissance«. Am Morgen »Botticelli, Leonardo da Vinci, Raphael: Meisterwerke im Louvre«, und am Nachmittag »Giorgiones Ländliches Konzert und Tizians Laura Dianti: Das Cinquecento in Venedig«, alles untermalt von Dias zur Verdeutlichung von Stil und Technik. Diese Vorträge, hieß es in dem Prospekt, seien eine ganz besondere Ehre, denn der wahrscheinlich größte lebende Experte der italienischen Renaissancekunst spreche nur selten außerhalb Frankreichs.

Am Samstagabend fand ein großes florentinisches Festmahl statt, eigens kreiert von einem Meisterkoch aus Rom, und am Sonntag wurden Fahrten zu den im Seengebiet gelegenen Häusern von Wordsworth, Ruskin und (auf Wunsch) Beatrix Potter veranstaltet. Abschließend gab es Nachmittagstee rund um den Kamin in der Großen Halle, und die Gesellschaft würde sich auflösen.

Ich war selten unsicher, was mich oder das von mir gewählte Leben anging, aber als ich den Prospekt weglegte, kam ich mir hoffnungslos inkompetent vor.

Ich wußte so gut wie nichts über die italienische Renaissance und hätte da Vinci nicht auf hundert Jahre genau datieren können. Ich wußte, daß er die Mona Lisa gemalt und Hubschrauber und U-Boote entworfen hatte, aber das war so ziemlich alles. Über Botticelli, Giorgione und Raphael wußte ich genausowenig. Wenn Danielle ein tiefschürfendes Interesse an der Kunst hatte, würde sie dann je zu einem Mann zurückkehren, dessen Arbeit körperlich, banausisch und obendrein gefährlich war? Zu einem Mann, der in seinen Teenagerjahren Biologie und Chemie gemocht hatte und nicht studieren wollte. Zu jemandem, der es unbedingt vermieden hätte, dorthin zu gehen, wohin sie voller Lust gegangen war.

[29] Ich zitterte. Ich konnte es nicht ertragen, sie zu verlieren, weder an tote Maler noch an einen lebenden Prinzen.

Die Zeit verstrich. Ich las die weltweiten Flugpläne und sah, daß es viele Orte gab, von denen ich noch nie gehört hatte, wo täglich, stündlich Leute ein- und ausflogen. Ich wußte viel zu vieles nicht.

Schließlich, um kurz nach acht, kam der gleichmütige Dawson wieder, bat mich nach oben, und ich folgte ihm zu der unbekannten Tür von Monsieur de Brescous privatem Wohnzimmer.

»Mr. Fielding, Sir«, kündigte Dawson mich an, und ich betrat einen Raum mit goldverbrämten Vorhängen, dunkelgrünen Wänden und dunkelroten Ledersesseln.

Roland de Brescou saß wie gewohnt in seinem Rollstuhl, und auf einen Blick war zu erkennen, daß er unter dem gleichen schweren Schock stand, den die Prinzessin erlitten hatte. Er sah stets hinfällig aus, schien jetzt aber dem Tod näher denn je; die blasse, graugelbe Haut straff gespannt über den Wangenknochen, die Augen starr und verstört. Vor langer Zeit war er wohl ein gutaussehender Mann gewesen, und ein edler Kopf mit weißem Haar, eine angeborene aristokratische Würde war ihm geblieben. Er trug wie immer einen dunklen Anzug mit Krawatte, machte keine Konzessionen an seine Krankheit. Alt und schwach mochte er sein, aber dennoch sein eigener Herr, im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte. Seit meiner Verlobung mit Danielle war ich ihm einige Male begegnet, doch er war, wenn auch unfehlbar höflich, stets einsiedlerisch und ebenso zurückhaltend wie Prinzessin Casilia.

»Treten Sie ein«, sagte er, heiserer als sonst, mit seiner immer überraschend kräftigen Stimme. »Guten Abend, Kit.« Der französische Einschlag in seinem Englisch war so unauffällig wie bei der Prinzessin.

»Guten Abend, Monsieur«, sagte ich mit einer kleinen [30] Verbeugung, denn er gab einem nicht gern die Hand; seine war so dünn, daß ein Händedruck ihm weh tat.

Die Prinzessin saß in einem Sessel. Sie hob müde die Finger zum Gruß, und als Dawson sich zurückzog und die Tür hinter mir schloß, sagte sie entschuldigend: »Wir haben Sie so lange warten lassen…«

»Darauf hatten Sie mich vorbereitet.«

Mr. Greening war, wenn ich nicht irrte, der Mann, der auf der einen Zimmerseite an der grünen Wand lehnte, die Hände in den Taschen, und auf seinen Fersen wippte. Mr. Greening, in Smoking und schwarzer Fliege, war kahl, dickbäuchig, und irgendwo Ende Fünfzig. Er betrachtete mich mit klugen Augen, taxierte mein Alter (einunddreißig), meine Größe (einsachtundsiebzig), meine Kleidung (grauer Konfektionsanzug) und womöglich mein Einkommen. Er sah aus wie jemand, der gewohnt ist, schnell zu urteilen, und nicht glaubt, was man ihm erzählt.

»Der Jockey«, sagte er in einem von Eton geprägten Tonfall. »Stark und kühn.«

Er war ironisch, was mich nicht störte. Ich lächelte ein wenig, ging die naheliegenden Kategorien durch und stieß auf eine Möglichkeit.

»Der Anwalt?« tippte ich. »Scharfsinnig?«

Er lachte und löste sich von der Tapete. »Gerald Greening«, sagte er nickend. »Rechtsanwalt. Wären Sie so freundlich, uns als Zeuge ein Dokument zu unterschreiben?«

Dazu war ich selbstverständlich bereit, obwohl es mich erstaunte, daß die Prinzessin mich nur deswegen so lange hatte warten lassen, aber das sprach ich nicht aus. Gerald Greening nahm ein Klemmbrett vom Couchtisch, schlug ein Blatt Papier zurück und bot Roland de Brescou einen Füllhalter an, um die zweite Seite zu unterzeichnen.

Mit einem zittrigen Schnörkel setzte der alte Mann seinen Namen neben ein rundes rotes Siegel.

[31] »Jetzt Sie, Mr. Fielding.« Der Füller und das Klemmbrett kamen zu mir, und ich unterschrieb, wo er es mir sagte, indem ich das Brett mit dem linken Unterarm abstützte.

Die zweiseitige Urkunde, sah ich, war nicht auf der Maschine getippt, sondern in sauberen schwarzen Lettern handgeschrieben. Roland de Brescous Name und meiner zeigten die gleiche schwarze Tinte. Die Adresse und Berufsbezeichnung, die Gerald Greening ergänzend unter seine eigene Unterschrift setzte, stimmten mit der Handschrift des Textes überein.

Ein Schnellschuß, dachte ich. Morgen konnte es zu spät sein.

»Es ist zwar nicht erforderlich, daß Sie den Inhalt des von Ihnen bestätigten Dokuments kennen«, sagte Greening mir beiläufig, »aber Prinzessin Casilia besteht darauf, daß ich Sie einweihe.«

»Nehmen Sie Platz, Kit«, sagte die Prinzessin. »Es wird dauern.«

Ich setzte mich in einen der Ledersessel und warf einen Blick auf Roland de Brescou, der skeptisch dreinsah, als fände er es unergiebig, mich zu informieren. Er hat sicher recht, dachte ich, aber ich war unbestreitbar neugierig.

»Schlicht ausgedrückt«, sagte Greening, immer noch stehend, »besagt die Urkunde, daß Monsieur de Brescou, ungeachtet früherer und anderslautender Vereinbarungen, keine geschäftlichen Entscheidungen treffen darf ohne das Wissen, die Zustimmung und die beglaubigten Unterschriften von Prinzessin Casilia, Prinz Litsi« – er gab ihm mindestens die Hälfte seines vollen Namens – »und Miss Danielle de Brescou.«

Ich hörte verdutzt zu. Wenn Roland de Brescou doch voll geschäftsfähig war, weshalb sollte er dann so plötzlich die Verantwortung abtreten?

»Das ist eine einstweilige Regelung«, fuhr Gerald Greening fort. »Man könnte sagen, ein Sandsackbehelf, um das Wasser zurückzuhalten, während wir den Deich bauen.« Er schien [32] zufrieden mit dem Vergleich, und es kam mir vor, als hätte er ihn schon öfter gebraucht.

»Und, ehm«, sagte ich, »besteht die Flutwelle aus etwas Bestimmtem?« Aber das mußte sie wohl, wenn sie die Prinzessin derart aus der Fassung gebracht hatte.

Gerald Greening drehte eine Runde durch das Zimmer, die Hände mitsamt Klemmbrett hinter seinem Rücken verschränkt. Ein ruheloser Geist in einem ruhelosen Körper, dachte ich und bekam Einzelheiten über die de Brescous zu hören, die weder die Prinzessin noch ihr Mann mir jemals selbst erzählt hätten.

»Sie müssen wissen«, sagte Greening belehrend, »daß Monsieur de Brescous Wurzeln in das Ancien régime zurückreichen, die Zeit vor der Revolution. Seine Familie ist alter Adel, auch wenn er selbst keinen Titel trägt. Man muß unbedingt verstehen, daß für ihn die persönliche und die Familienehre von größter Bedeutung sind.«

»Ja«, sagte ich. »Das verstehe ich.«

»Kits Familie«, sagte die Prinzessin milde, »blickt auch auf eine jahrhundertealte Tradition zurück.«

Gerald Greening sah etwas verblüfft drein, und ich dachte belustigt, daß ihm wohl nicht gerade der traditionelle Stolz und Haß der Fieldings vorschwebte. Er rückte jedenfalls sein Bild von mir so zurecht, daß Vorfahren darin Platz hatten, und erzählte die Geschichte weiter.