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Geowissen kompakt

Herausgegeben von

Hans-Dieter Haas

Hans-Dieter Haas
Simon-Martin Neumair
Dieter Matthew Schlesinger

Geographie der
internationalen Wirtschaft

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Impressum

 

ISBN 978-3-534-22076-2

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Inhalt

Vorwort

1. Wirtschaftsgeographie im Weltmaßstab

1.1 Begriff und Einordnung einer Geographie der internationalen Wirtschaft

1.2 Forschungsgegenstände

1.3 Fachliche Entwicklungstendenzen

1.4 Geographie der internationalen Wirtschaft aus relationaler Perspektive

2. Entwicklung weltwirtschaftlicher Aktivitäten und Raummuster

2.1 Weltwirtschaftliche Beziehungen in unterschiedlichen historischen Epochen

2.1.1 Altertum

2.1.2 Mittelalter und Renaissance

2.1.3 Frühes Kolonialzeitalter

2.1.4 Industrielle Revolution

2.1.5 Zwischenkriegszeit bis heute

2.2 Globalisierung als richtungsweisender Forschungsgegenstand der Wirtschaftsgeographie

2.2.1 Globalisierung als entgrenztes wirtschaftliches Handeln – Eine begriffliche Eingrenzung

2.2.2 Exkurs: Wie aus der US-Finanz- eine Weltwirtschaftskrise wurde

2.2.3 Abwertung oder Aufwertung der Geographie?

2.3 Triebkräfte der Globalisierung

2.3.1 Änderung politischer Rahmenbedingungen

2.3.2 Änderung technisch-wirtschaftlicher Rahmenbedingungen

2.3.3 Änderung soziokultureller Rahmenbedingungen

2.4 Multinationale Unternehmen als Träger der ökonomischen Globalisierung

2.5 Bildung neuer Maßstabsebenen und „Politics of Scale“

2.6 Globalisierung versus Fragmentierung

3. Strukturelle Erfassung des Weltwirtschaftsraums

3.1 Ländertypen und -gruppen

3.2 Entwicklung versus Unterentwicklung

3.3 Formen und Entwicklung weltwirtschaftlicher Arbeitsteilung

3.4 Städte als Knotenpunkte globaler wirtschaftlicher Prozesse

3.5 Blockbildung und regionale Integrationssysteme

3.5.1 Motive, Effekte und Formen regionaler Integrationen

3.5.2 Bedeutende regionale Integrationsräume

3.5.2.1 NAFTA

3.5.2.2 MERCOSUR

3.5.2.3 Regionale Integrationen im asiatisch-pazifischen Wirtschaftsraum

3.5.2.4 Europäische Union

4. Rahmenbedingungen einer Geographie der internationalen Wirtschaft

4.1 Der weltweite Außenhandel

4.1.1 Allgemeine Entwicklungen und Perspektiven

4.1.2 Freihandel versus Protektionismus

4.1.3 Institutionelle Ordnung der internationalen Handelsbeziehungen

4.2 Globale Direktinvestitionen

4.2.1 Begriff und Motive

4.2.2 Erscheinungsformen von Direktinvestitionen

4.2.3 Entwicklung und Verteilung

4.3 Infrastruktur der Weltwirtschaft

4.3.1 Ebenen und Formen von Infrastruktur

4.3.2 Verkehr

4.3.3 Informations- und Kommunikationstechnik

4.4 Geographie der Kulturen und ihr Einfluss auf das Wirtschaftssystem

4.4.1 Wesen und Einfluss von Kultur

4.4.2 Kultur und Religion

4.4.3 Kulturdimensionen

4.5 Länderrisiken – Geographie der Unsicherheit

4.5.1 Begriff des Länderrisikos

4.5.2 Formen von Länderrisiken

4.5.3 Konzepte zur Beurteilung des Länderrisikos

4.6 Nachhaltige Weltwirtschaft

4.6.1 Nachhaltige Entwicklung

4.6.2 Multinationale Abkommen

4.6.3 Nichtregierungsorganisationen

5. Unternehmen als Akteure globaler wirtschaftlicher Vernetzung

5.1 Modelle der Internationalisierung und Raumdurchdringung

5.2 Internationalisierungsstrategien

5.2.1 Strategie und Motive der Internationalisierung

5.2.2 Formen der Auslandsmarktbearbeitung

5.2.3 Weitere strategische Entscheidungsfelder

5.3 Gestaltung globaler Wertschöpfungsprozesse

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Kartenverzeichnis

Literaturverzeichnis

Register

Vorwort

Die Internationalisierung der Wirtschaft ist ein Phänomen unserer Zeit, das die Gesellschaft prägt und sich im täglichen Leben jedes Einzelnen niederschlägt. Unternehmen gehören zu den Trägern globaler Prozesse, deren Dimensionen und Vielschichtigkeit ständig weiter zunehmen. Nahezu alle Erdräume sind inzwischen von diesem Vorgang erfasst, der mit dem Begriff „Globalisierung“ eine zusätzlich qualitative und raumdifferenzierende Ausprägung erhält.

Die Globalisierung der Wirtschaft berührt viele im Kern geographische Themen. Die weltweite Ausdehnung wirtschaftlicher Aktivitäten, die beschleunigte Überwindung raumzeitlicher Distanzen, die ständig zunehmende Vernetzung ganzer Erdteile durch die Ausbildung globaler Wertschöpfungsnetzwerke und Marktsysteme sowie die Entstehung neuer räumlicher Ungleichgewichte durch den Verlust wirtschaftspolitischer Gestaltungsmacht der Nationalstaaten sowie den Bedeutungswandel territorialer Integrationsformen sind nur einige Aspekte, welche die geographische Relevanz des Globalisierungsprozesses verdeutlichen.

Die Wirtschaftsgeographie als Wissenschaft von der räumlichen Dimension der Wirtschaft strebt daher allgemein danach, das geographische Verständnis für die räumliche Ordnung ökonomischer und politischer Organisationssysteme im Zeitalter der Globalisierung zu schärfen.

Die Geographie der internationalen Wirtschaft als Teilgebiet der Wirtschaftsgeographie untersucht im Besonderen die weltweiten, d.h. wirtschaftsraum- und regionenübergreifenden Strukturen sowie die wechselseitigen Verflechtungen und Interaktionen der Weltwirtschaft. Trotz der hohen Bedeutung für die geographische Lehre an Universitäten und Schulen existiert bislang kein Lehrbuch, das den Stoff adäquat, d.h. seiner dynamischen Entwicklung angemessen und einer modernen Lehrkonzeption entsprechend, präsentiert. Bereits bestehende Werke werden dem Thema aufgrund ihrer deskriptiv-sektoralen Ausrichtung nicht mehr gerecht. Bedingt wird dies durch die hohe Dynamik globaler wirtschaftlicher Prozesse, die eine aktuelle Bestandsaufnahme der Weltwirtschaft kaum mehr zulässt und die fortschreitende Ausbreitung internationaler Unternehmensaktivitäten über alle Wirtschaftssektoren hinweg, die eine sektorale Einteilung obsolet macht.

Diese Defizite versucht vorliegendes, an aktuellen Erkenntnissen und wirtschaftlichen Veränderungen sowie am Forschungsansatz der relationalen Wirtschaftsgeographie ausgerichtetes, modern konzeptioniertes Lehrbuch zu beseitigen. Es bietet vor diesem Hintergrund das Rüstzeug zur Analyse und Erklärung von Strukturen, Rahmenbedingungen und Prozessen der Weltwirtschaft, wozu geographische Erkenntnisse einen wertvollen Beitrag leisten, um z.B. Handlungsmöglichkeiten von Akteuren (Unternehmen) im internationalen Umfeld aufzuzeigen und dadurch besser zu meistern.

Dieses Buch richtet sich an Haupt- und Nebenfachstudenten der Wirtschafts- und Sozialgeographie, der Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Internationales Management, an Studenten des Lehramtes Erdkunde sowie Schüler der Sekundarstufe bzw. des Leistungskursfaches Erdkunde. Doch auch für Studierende der Soziologie sowie der Kultur- und Politikwissenschaft bietet es interessante Einblicke und Implikationen. Zur Zielgruppe gehören ferner auch diejenigen, die sich mit internationalen Wirtschaftsbeziehungen in der Praxis befassen und zusätzliches Hintergrundwissen für diese Materie erwerben wollen.

Besonders hervorheben möchten wir an dieser Stelle das große Engagement unserer studentischen Hilfskräfte, Hr. Christian Baumeister, Fr. Lucie Großstück und Hr. Andreas Ziegler. Sie haben sich bei der Erstellung von Abbildungen, Karten und Tabellen sowie bei Recherche- und Korrekturarbeiten sehr verdient gemacht und führten diese Tätigkeiten mit größter Sorgfalt und Professionalität durch. Wir sind ihnen daher zu aufrichtigem Dank verpflichtet.

München, im April 2009

Hans-Dieter Haas,
Simon-Martin Neumair und
Dieter Matthew Schlesinger

1. Wirtschaftsgeographie im Weltmaßstab

Die weltweit ungleiche Verteilung von natürlichen Rohstoffen, Arbeitskräften, Wissen und Kapital sowie deren global stark differenzierte Nutzung für Produktionszwecke oder Konsum (vgl. HAAS/SCHLESINGER 2007, S. 76ff.) kommen in einer international-räumlichen Arbeitsteilung zum Ausdruck. Die sich daraus ergebende weltweite Struktur des Einsatzes dieser Produktionsfaktoren, die grenzüberschreitende Aufteilung der Erzeugungsaktivitäten sowie die Wirkung weltwirtschaftlicher Verflechtungen auf das innere Gefüge der daran beteiligten Akteure stellen ein bedeutendes Forschungsgebiet der Wirtschaftsgeographie dar. Diese untersucht – an der Schnittstelle zwischen wirtschaftswissenschaftlicher und geographischer Forschung angesiedelt – das Verhältnis von Wirtschaft und Raum und dabei die Wirkung natürlicher Raumfaktoren auf das wirtschaftliche Handeln bzw. umgekehrt (vgl. HAAS/NEUMAIR 2008, S. 1).

1.1 Begriff und Einordnung einer Geographie der internationalen Wirtschaft

Globaler Wandel

Die Globalisierung führte in den letzten Jahrzehnten zu einem überproportionalen Anstieg von Verflechtungen und Interaktionen der Weltwirtschaft und der Bildung von globalen Produktionsnetzwerken und Marktsystemen. Maßgeblich für deren Entstehung sind enorme Veränderungen der wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen. Ferner kommt es durch technische Errungenschaften in der Informations- und Kommunikationstechnologie sowie verbesserte Logistik- und Transportsysteme zu einem Schrumpfen der Dimensionen von Raum und Zeit. Der ökonomische Bedeutungsverlust dieser Grenzen führt zu veränderten Handlungsspielräumen sowohl von Unternehmen, welche ihre Produktionssysteme und Wertschöpfungsketten mehr und mehr organisieren können, ohne auf nationalstaatliche Differenzierungen Rücksicht nehmen zu müssen, als auch der Nationalstaaten selbst, deren wirtschaftspolitische Gestaltungsmacht zunehmend an Bedeutung einbüßt.

Globalisierung und Geographie

Diese Veränderungen beinhalten viele im Kern geographische Themen, wie z.B. die räumliche Ausdehnung wirtschaftlicher Aktivitäten, die beschleunigte Überwindung von Distanzen, die zunehmende globale Vernetzung von Erdteilen, aber auch die Entstehung neuer räumlicher Ungleichgewichte oder den Bedeutungswandel territorialer Integrationsformen. Der Globalisierungsprozess verlangt daher besonders danach, das geographische Verständnis für die raumzeitliche Ordnung ökonomischer und politischer Organisationssysteme zu schärfen (vgl. OSSENBRÜGGE 2007, S. 833).

Definition und alternative Begriffe

Diesen Aufgaben stellt sich eine Wirtschaftsgeographie im Weltmaßstab, für die es mehrere begriffliche Synonyme gibt. Dabei ist der Begriff Weltwirtschafts- oder Welthandelsgeographie (BOESCH 1966, KIRCHGRABER 1959, LÜTGENS 1952, OTREMBA 1957), der einen deskriptiv-sektoralen Fokus einnimmt, aus heutiger Sicht fachlich als überholt anzusehen. Die moderne Bezeichnung Geographie transnationaler wirtschaftlicher Vernetzung (GLÜCKLER 2007) zeigt zwar die zukünftige Entwicklung in diesem Bereich auf, ist jedoch im allgemeinen Sprachgebrauch noch nicht etabliert. Deshalb wird hier die Bezeichnung Geographie der internationalen Wirtschaft gewählt. Diese untersucht die wirtschaftsraum- und regionenübergreifenden Strukturen der Weltwirtschaft, deren wechselseitige Interaktionen sowie raumzeitliche Veränderungen.

1.2 Forschungsgegenstände

Weltwirtschaftsraum

Zentraler Forschungsgegenstand einer Geographie der internationalen Wirtschaft ist der Weltwirtschaftsraum, in dem sich die Gesamtheit der weltweiten ökonomischen Aktivitäten unter Nutzung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen raumdifferenziert darstellt. Dabei wird der Weltwirtschaftsraum durch zwei Dimensionen erfasst:

Betrachtungsperspektiven

Somit ergeben sich zwei Betrachtungsperspektiven bzw. Untersuchungsebenen. Auf der Makroebene stehen die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Erdteilen, Volkswirtschaften, Regionen oder einzelnen Standorten durch die Bewegung von Gütern, Kapital, Arbeitskräften und Know-how im Vordergrund. Diese finden heutzutage im Außenhandel sowie dem Transfer von Kapital, Technologie, Wissen und Humankapital ihren Niederschlag (vgl. VOPPEL 1999, S. 193; Tab. 1.1).

Tabelle 1–1: Formen globaler Interaktionen (GLÜCKLER 2007, S. 843)

Interaktion

Ausprägung

Außenhandel

intersektoraler (z.B. Rohstoffe gegen Werkzeugmaschinen) versus intrasektoraler (z.B. japanische gegen deutsche Autos) Außenhandel

umfangreicher Handel mit Zulieferteilen und Modulen in allen Branchen (global sourcing)

Handel von Waren und Dienstleistungen (einschließlich des Tourismus)

Handel mit Endprodukten versus Handel mit intermediären Produkten

Handel innerhalb bzw. zwischen Unternehmen (Intra-Unternehmenshandel)

Weltweiter Kapitaltransfer

ausländische Direktinvestitionen (mindestens 10 % Kapitalbeteiligung)

greenfield investment (Neugründung eines Unternehmens)

brownfield investment (Beteiligung, Fusion oder Übernahme bestehender Unternehmen)

ausländische Portfolioinvestitionen (< 10 % Kapitalbeteiligung)

internationale Kredit- und Darlehensaufnahme und -vergabe

Investmentfonds (Hedge-Fonds, Staatsholdings), Private Equity

Technologie und Wissen

internationale Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten

internationaler Technologietransfer (z.B. Lizenzen, Patente, Technologieverträge)

internationaler Designtransfer (z.B. Verkauf, Lizenzen, Franchising)

Humankapital

Migration von Hochqualifizierten, Entsendung von Fachkräften („ex-patriates“)

Arbeitskräfteeinsatz in globalen Projekten (global staffing)

Auf der Mikroebene liegt das Augenmerk dagegen auf dem Internationalisierungsverhalten und den daraus resultierenden Strategien sowie Entscheidungsprozessen weltweit agierender Unternehmen (sog. Global Player) und ist damit eher betriebswirtschaftlich geprägt.

Untersuchungsauftrag

Zusammenfassend liegt die Aufgabe einer Geographie der internationalen Wirtschaft folglich in der Untersuchung raumübergreifender Interaktionen und der damit im Zusammenhang stehenden Organisationsformen bzw. Unternehmensentscheidungen, die immer mehr auf internationaler Ebene ablaufen. Hierbei gilt es auch Veränderungen im zeitlichen Ablauf und regional divergierende Einflüsse zu berücksichtigen.

1.3 Fachliche Entwicklungstendenzen

Grundperspektiven

Die Beschäftigung mit internationalen Wirtschaftsbeziehungen und -zusammenhängen stellt ein Betätigungsfeld für Geographen dar, lange bevor Begriffe wie „Globalisierung“, „Global Sourcing“, „Global Player“ oder „transnationale Unternehmen“ aufkamen bzw. geprägt wurden. Neu ist, dass sich Qualität und Ausmaß internationaler Wirtschaftsaktivitäten und -verflechtungen ständig weiterentwickeln und sich das raumstrukturelle Bild, das die Weltwirtschaft in ihrer heutigen Form abgibt, aufgrund der Änderung politisch-rechtlicher, technisch-wirtschaftlicher sowie gesellschaftlich-kultureller Rahmenbedingungen gegenüber dem in früheren Zeiten deutlich verändert.

Entwicklungstendenzen

In der Geographie der internationalen Wirtschaft lassen sich daher im Zeitablauf verschiedene Entwicklungstendenzen feststellen sowie veränderte fachspezifische Fragestellungen ausmachen. Bis heute sind dabei drei große Entwicklungsphasen zu unterscheiden (vgl. BLOTEVOGEL 2003, S. 5).

18. Jh. bis Anfang 20. Jh.

In diesem Zeitraum beschränkte sich die Geographie weitgehend auf die statistische Faktenbeschreibung der Weltwirtschaft. Dabei standen die Deskription räumlicher Tatbestände und die Vermittlung erdkundlichen Wissens sowohl hinsichtlich einzelner Güterkategorien, wie z.B. Rohstoffe oder Agrarprodukte (Produktenkunde), als auch einzelner Länder bzw. Volkswirtschaften (Staatenkunde) im Vordergrund. Diese hauptsächlich beschreibend und nicht analysierend ausgerichtete Phase der Geographie erlebte ihren Höhepunkt im Zeitalter des Imperialismus (ca. 1880 bis 1918) und war durch die politischen und wirtschaftlichen Kolonialinteressen der europäischen Großmächte indoktriniert. Ziel war es, Informationen und Wissen über die oft weit von den Mutterländern entfernt liegenden Kolonien und deren Wirtschaftsstrukturen zu vermitteln. Da die Versorgung mit Rohstoffen und die Beschreibung ihrer Beschaffenheit eine elementare wirtschaftliche und politische Aufgabe darstellte, wird das geographische Interesse dieser zeitlichen Epoche oft in den Begriffen Produktenkunde bzw. Rohstoffgeographie ausgedrückt.

Ca. 1918 bis ca. 1970

In der darauf folgenden Phase konzentriert sich die Geographie nicht mehr auf eine rein statische Betrachtung der Weltwirtschaft, sondern auf den Vergleich von strukturell bzw. funktional definierten Wirtschaftslandschaften und Wirtschaftsräumen im weltweiten Kontext. Zu den wichtigsten Vertretern dieser Epoche zählen Rudolf Lütgens, Theodor Kraus, Walter Gerling, Erich Obst und Hans Boesch. Letztgenannter verfasste eine „Weltwirtschaftsgeographie“ (1966), die „in erster Linie von den gegenseitigen Beziehungen, welche zwischen dem Menschen und der Erde bestehen“, handelt. Diese kommen bei BOESCH (1966, S. 11) „in der großen Zahl der verschiedenartigsten Landschaften“ zum Ausdruck. Thematisch rückt neben agrarischen Weltwirtschaftsgütern, Rohstoffen und Energiequellen vor allem die zunehmende Industrialisierung der Erde, insbesondere in den triadischen Weltwirtschaftsregionen, in den Vordergrund.

Ca. 1970 bis heute

Durch die zunehmende Globalisierung der Wirtschaft und die Internationalisierung der Märkte wird die Weltwirtschaft – im Gegensatz zu den früher traditionell getrennt betrachteten nationalstaatlichen Volkswirtschaften – als global verflochtene „eine“ Ökonomie gesehen. In dieser Epoche, zu deren Vertretern u.a. Paul KNOX et al. mit ihrem Lehrbuch „The Geography of the World Economy“ (2003) und Peter DICKEN mit seinem Standardwerk „Global Shift“ (2003) rechnen, werden zunehmend neue Fragestellungen und Phänomene diskutiert, die in den früheren Phasen noch keine oder eine eher untergeordnete Rolle spielten. Hierzu gehören u.a.:

1.4 Geographie der internationalen Wirtschaft aus relationaler Perspektive

Verzicht auf sektorale Vorgehensweise

Was Aufbau und Gliederungssystematik vorliegenden Lehrbuchs angeht, wird auf die in älteren Werken zur Weltwirtschaftsgeographie (z.B. BOESCH 1966), aber auch in jüngeren Lehrbüchern zur Allgemeinen Wirtschaftsgeographie (z.B. VOPPEL 1999, KULKE 2008) praktizierte Einteilung nach Wirtschaftssektoren verzichtet. Eine solche Vorgehensweise erscheint als nicht mehr zeitgemäß, da viele Unternehmen heutzutage über mehrere Wirtschaftsbranchen hinweg operieren und die Grenzen zwischen den einzelnen Sektoren (Landwirtschaft und Rohstoffe, Industrie, Dienstleistungen) zunehmend verschwimmen. Als beispielhaft gelten u.a. große agroindustrielle Konzerne, welche neben der landwirtschaftlichen Güterproduktion vor allem in der Ernährungsindustrie aktiv sind, multinationale Bergbaukonzerne, die Bodenschätze nicht nur abbauen, sondern auch industriell aufbereiten, oder der Maschinen- und Anlagenbau, der von mehreren komplexen Dienstleistungen (z.B. Konstruktion, Montage, Wartung) begleitet wird. Zu berücksichtigen ist auch, dass in Betrieben des Verarbeitenden Gewerbes stets Verwaltungs- und Dienstleistungsaufgaben anfallen, welche statistisch nicht gesondert ausgewiesen werden. Kommt es zur Auslagerung derartiger Tätigkeitsbereiche, die vorher in der Rubrik „sekundärer Sektor“ auftauchten, nimmt der tertiäre Sektor statistisch zu, obwohl die reale Beschäftigungsstruktur unverändert bleibt (vgl. KLOHN 2008, S. 7). Ferner geht bei einer rein sektoralen Betrachtung der Blick für das einzelne Unternehmen als Akteur der internationalen Wirtschaft, seine Strategiewahl und Entscheidungsprozesse verloren, was damit eine akteurszentrierte Betrachtungsweise erschwert.

Relationale Grundperspektive

Aufgrund dieser Schwächen wird hier eine relationale Betrachtungsperspektive gewählt. Der von BATHELT und GLÜCKLER (2002, 2003) in die deutsche Wirtschaftsgeographie eingeführte Ansatz der relationalen Wirtschaftsgeographie markiert eine wirtschaftssoziologisch inspirierte handlungs- und akteursorientierte Perspektive und beachtet das gesellschaftliche, soziale und kulturelle Umfeld wirtschaftlicher Akteure und deren Einbindung in solches.

Merkmale des relationalen Grundverständnisses

Das relationale Grundverständnis zeichnet sich durch drei grundlegende Merkmale aus (vgl. BATHELT/GLÜCKLER 2002, S. 36 und 2003, S. 250; GLÜCKLER 2004, S. 88f.; NEUMAIR 2009, S. 5ff.):

Die Kontextualität meint, dass ökonomisches Handeln als soziales Handeln immer vor dem Hintergrund eines spezifischen Handlungskontextes stattfindet. Damit wird eine Sichtweise des ökonomischen Handelns in eine strukturelle Perspektive des Handlungskontextes integriert und steht für die Einbettung ökonomischer Aktivitäten in sozioinstitutionelle Beziehungssysteme, womit ökonomisches Handeln als raumzeitlich situiert anzusehen ist. Im Rahmen einer Geographie der internationalen Wirtschaft gilt es in diesem Zusammenhang das Handlungsumfeld international tätiger Unternehmen zu bestimmen, das heute überwiegend durch eine globale Wirtschaft als moderne geographische Formation sowie die daraus resultierenden Rahmenbedingungen und unternehmerischen Herausforderungen strukturiert ist.

Da jeder Handlungskontext eine spezifische Entwicklung auslöst, transformiert sich die Kontextualität des Handelns in eine dynamische, pfadabhängige Entwicklung (Pfadabhängigkeit). Vor diesem Hintergrund ist die Entwicklung weltweiter wirtschaftlicher Aktivitäten und Raummuster in unterschiedlichen historischen Epochen bis heute zu betrachten.

Die Kontingenz bringt zum Ausdruck, dass ökonomisches Handeln keinen universellen Gesetzmäßigkeiten unterworfen, sondern stets individuell geprägt ist. Daher sind die Internationalisierungsstrategien von Unternehmen sowie die räumlichen Verteilungs- und Verknüpfungsmuster ihrer Wertschöpfungsaktivitäten zu untersuchen.

Aufbau der Geographie der internationalen Wirtschaft

Der Konzeption der relationalen Geographie folgend, werden in diesem Buch zuerst – im Sinne der Pfadabhängigkeit – weltwirtschaftliche Beziehungen in unterschiedlichen historischen Epochen dargelegt (Kap. 2). Ferner ist für das Verständnis der weltwirtschaftlichen Entwicklung die Konkretisierung des komplexen Begriffs Globalisierung notwendig, um z.B. die heutigen Auswirkungen auf politische Gestaltungsmöglichkeiten oder im soziokulturellen Umfeld darzustellen. Die Erläuterung des Kontexts, in dem die Weltwirtschaft eingebettet ist bzw. in dem sich ihre Akteure bewegen, erfolgt durch die strukturelle Erfassung des Weltwirtschaftsraums (Kap. 3) sowie die Darlegung der geographisch relevanten Rahmenbedingungen einer internationalen Wirtschaft (Kap. 4). Der Weltwirtschaftsraum lässt sich dabei durch Ländertypen und -gruppen, den Entwicklungsstand, Aspekte der weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung, Städte als Knotenpunkte globaler wirtschaftlicher Prozesse und regionale Integrationssysteme (u.a. NAFTA, MERCOSUR oder Europäische Union) strukturieren. Unter die Rahmenbedingen fallen der weltweite Außenhandel, globale Direktinvestitionen, weltweite Infrastruktureinrichtungen, der Einfluss von Kulturen auf das Wirtschaftssystem, Länderrisiken sowie Möglichkeiten einer nachhaltigen Weltwirtschaft. Im Rahmen der Kontingenz werden abschließend die Möglichkeiten des individuellen Handelns von Akteuren, hier Unternehmen, anhand von Modellen der Internationalisierung, Internationalisierungsstrategien sowie der Gestaltung globaler Wertschöpfungsprozesse dargelegt.

2. Entwicklung weltwirtschaftlicher Aktivitäten und Raummuster

Das Phänomen internationaler Wirtschaftsbeziehungen ist so alt wie die Menschheit selbst. Der Eindruck, dass die Internationalisierung der Wirtschaft ein Vorgang der Gegenwart und Ausdruck einer modernen strategischen Konzeption ist, täuscht. Denn seit der Vor- und Frühgeschichte existieren geographisch weit reichende und verschiedene Erdräume in Verbindung setzende Wirtschaftsverflechtungen.

2.1 Weltwirtschaftliche Beziehungen in unterschiedlichen historischen Epochen

Im Folgenden soll – dem relationalen Element der pfadabhängigen Entwicklung internationaler Wirtschaftsaktivitäten Rechnung tragend – ein Überblick über einzelne wirtschaftsgeschichtliche Epochen mit ihren verschiedenen räumlichen Gestaltungsmustern bis heute gegeben werden.

2.1.1 Altertum

Frühe Handel treibende Völker

Erste, wenn auch primitive Ansätze der Internationalisierung in Form eines überregionalen Tauschhandels sind bereits aus dem Siedlungswesen der Jungsteinzeit (ca. 5000 v. Chr.) bekannt. Ein früher, quasi-staatlich organisierter Handel ist erstmals aus den sumerischen und babylonischen Stadtkulturen (nach 4000 v. Chr.) überliefert, die an verschiedenen Standorten Stützpunkte errichteten, mit denen sie einen intensiven Fernhandel unterhielten. Assyrische Kaufleute betrieben bereits 1750 v. Chr. einen weit reichenden Zinnhandel, dessen Zentrum in der anatolischen Bronzekultur lag, und galten als erste Fernhandelsunternehmer. Die Ägypter betrieben einen regen Fernhandel mit den Völkern im heutigen Mittleren Osten, die Griechen vor allem mit den Phöniziern, mit ihren Kolonien in Asien sowie mit Regionen in Afrika, Indien und Persien. Die Römer handelten mit Ost- und Nordeuropa, Mittel- und Westafrika sowie Regionen in Asien. Um 500 v. Chr. bestand in Europa mit den Etruskern ein Netz von Handelsbeziehungen, welche den gesamten Mittelmeerraum abdeckten und bis nach Schweden und Irland reichten. Allgemein erschlossen Fernkaufleute immer neue und weiter entlegene Märkte, die entstehenden Handelsnetzwerke erreichten interkontinentale Ausmaße und gewannen mehr und mehr an Intensität (vgl. DÜLFER 2002, S. 72f.; MOORE/LEWIS 1999, S. 269ff.).

Seidenstraße

Als anschauliches Beispiel für ein frühes, bis in die heutige Zeit persistentes Kontinente und Länder übergreifendes Handelssystem gilt die von Marco Polo in seinem berühmten Reisetagebuch von 1298 dokumentierte Seidenstraße, welche seit der Römerzeit bis zur Entdeckung eines Seefahrtsweges an Afrika vorbei und bis zur Errichtung entsprechender Seefahrtsrouten durch die Portugiesen die bedeutendste Handelsverbindung zwischen Europa und China darstellte. Auf diesem Weg tauschte der Westen u.a. Glas, Gold und Edelmetalle gegen Seide, Gewürze und Porzellan aus dem Osten (vgl. KNOX/MARSTON 2008, S. 63).

2.1.2 Mittelalter und Renaissance

Hanse

Die sich mit dem Zerfall des römischen Imperiums zunächst abschwächenden Handelsbeziehungen erhielten erst ab dem späten Mittelalter wieder deutlichen Auftrieb. Eine besondere Bedeutung kam der Hanse zu, einem von norddeutschen in Zusammenarbeit mit russischen und holländischen Kaufleuten gegründeten, bis dato einmaligen privatwirtschaftlichen Handelsnetzwerk. Zu seiner Blütezeit im ausgehenden 14. Jh. gehörten dem Hansebund rund 200 Städte entlang der Nord- und Ostsee, aber auch im Binnenland an. Zwar verfügte die Hanse weder über eigene Finanzen oder gemeinsame Einrichtungen noch über ein Heer und eine Flotte. Dennoch hatte sie für mehr als 300 Jahre das Monopol für den regionalen Handel westeuropäischer Fertigerzeugnisse und Bodenschätze mit agrar- und forstwirtschaftlichen Waren aus dem Baltikum und Nordrussland über die Nord- und Ostsee inne. Erst die Folgen des Dreißigjährigen Krieges und das Erstarken der europäischen Nationalstaaten führten Ende des 17. Jh. zum Niedergang der Hanse (vgl. WALTER 2006, S. 53ff.; WELGE/HOLTBRÜGGE 2006, S. 2).

Handelsgeschlechter

Mit dem wirtschaftlichen Zusammenbruch des Handels im Norden ging der Aufstieg des Südens einher, der vor allem auf dem Erfolg einzelner Handelsgeschlechter beruhte. So waren die in Augsburg ansässigen Fugger (seit 1367) im grenzüberschreitenden Handel, dem Bankengeschäft und im Bergbau aktiv. Da sich die Bergwerke überwiegend im Ausland (u.a. Spanien, Ungarn, Tirol, Kärnten) befanden und daneben auch Faktoreien, d.h. ausländische Handelsniederlassungen, in Skandinavien, Russland und Südeuropa errichtet wurden, liegen hier erste Ansätze ausländischer Direktinvestitionen bzw. ein frühes Beispiel für einen multinationalen Konzern vor.

Eine auf ähnlichen Gebieten erfolgreiche Handelsdynastie waren die seit 1240 ebenfalls in Augsburg, später auch in Nürnberg ansässigen Welser. In Südeuropa ist das berühmte Handelsgeschlecht der Medici aus Florenz anzuführen, die ursprünglich im Tuchhandel, später auch im Geldgeschäft grenzüberschreitend aktiv waren und bis zum Beginn des 16. Jh. Handelsniederlassungen quer durch Europa errichtet hatten. Der hausinterne, über ganz Europa verteilte Briefwechsel wurde durch ein weit gefächertes Botennetz für damalige Verhältnisse sehr schnell erledigt und wies erste Merkmale einer modernen Nachrichtenübermittlung auf (vgl. DÜLFER 2002, S. 79f.; DUNNING 1998, S. 98; FÄBLER 2007, S. 57).

2.1.3 Frühes Kolonialzeitalter

Kolonialismus

Nach den Entdeckungsreisen ab dem 15. Jh. begann das Zeitalter des Kolonialismus, d.h. die staatliche Aneignung, Beherrschung und Ausbeutung von meist überseeischen Gebieten außerhalb des eigenen Staatsgebietes. Die koloniale Expansion war Ausdruck des Merkantilismus als zentralistische Wirtschaftspolitik des absolutistischen Staates, die im Kern darauf angelegt war, durch Erreichen einer poltisch-wirtschaftlichen Hegemonialstellung Macht und Wohlstand eines Landes zu mehren. Dem Außenhandel kam dabei eine Schlüsselrolle zu, indem eine aktive Handelsbilanz durch Erwirtschaftung von Außenhandelsüberschüssen angestrebt wurde. Der Erwerb von Kolonien als Rohstoffquellen und Absatzmärkte für industrielle Fertigwaren aus den europäischen Mutterländern (England, Spanien, Portugal, Holland u.a.) spielten in der merkantilistischen Wirtschaftspolitik eine Schlüsselrolle (vgl. WENDT 2007, S. 108; HAAS/NEUMAIR 2006, S. 192f.).

Grundzüge einer neuen Weltwirtschaft

Durch den europäischen Kolonialismus wurden letztlich alle Kontinente in den Handel und die Produktion von Gütern einbezogen und erste Grundzüge einer neuen Weltwirtschaft sichtbar gemacht. In Lateinamerika erfolgte nach Zerschlagung der Reiche der Azteken, Maja und Inka durch die Spanier die Aneignung von Edelmetallen, die Okkupation von Land durch die Haciendaökonomie und die Errichtung viehwirtschaftlicher Großbetriebe („estancias“). In der Karibik breitete sich das Plantagensystem aus, das Monokulturgüter produzierte und alleine den merkantilistischen Interessen der Mutterländer zu dienen hatte (vgl. SCHOLZ 2004, S. 55ff.).

Kolonialer Dreieckshandel

Von Westafrika breiteten die Akteure in den kolonialen Mutterländern den Sklavenhandel aus, der als kolonialer bzw. atlantischer Dreieckshandel Europa mit Afrika und Amerika durch die Seeschifffahrt verband (vgl. Karte 2–1 S. 10). Vom 16. bis zum 18. Jh. wurden Sklaven von der afrikanischen Westküste aus in die Überseekolonien Amerikas transportiert. Dort zwang man sie zur Arbeit auf Plantagen, deren Produkte (u.a. Zucker, Melasse, Rum, Tabak, Baumwolle) für die europäischen Märkte bestimmt waren. Von Europa aus wurden wiederum einfache manufakturelle Fertigerzeugnisse (u.a. Stoffe, Leder- und Glaswaren, Stahl- und Bronzebarren, aber auch Feuerwaffen) nach Westafrika exportiert, um damit neue Sklaven einzuhandeln.

Handelsgesellschaften

Neben dem kolonialen Dreieckshandel bildeten sich, ebenfalls im Zuge der europäischen kolonialen Expansion, auch zunehmende Wirtschaftsbeziehungen mit Süd- und Ostasien heraus. Einen bedeutenden Fixpunkt der kolonialen Expansion bildete vor allem Indien, von wo aus Gewürze, Baumwolle, Seide, Schmuck, Kunstgegenstände etc. nach Europa gelangten. Abgewickelt wurde dieser Handel zunächst von portugiesischen, ab dem 16. Jh. auch von französischen, holländischen, britischen und dänischen Kaufleuten und Seefahrern, die sich wegen eines steigenden Kapitalbedarfs später zu privatwirtschaftlich agierenden Handelsgesellschaften zusammenschlossen. Diese erhielten weitgehende militärische und rechtliche Befugnisse wie die Bewaffnung von Handelsschiffen, die Bewirtschaftung von Plantagen, die Errichtung von Forts und befestigten Faktoreien, Steuereinziehung und -verwaltung sowie die Ausübung der Münz- und Gerichtshoheit. Sie schufen wirtschaftliche Verknüpfungen mit den noch weitgehend unbekannten Gebieten in Übersee und galten aufgrund ihrer Privilegien als wichtiges Werkzeug kolonialer Expansion. Bedeutende Beispiele waren u.a. die 1600 gegründete „British East India Company“ und die 1602 ins Leben gerufene niederländische „Vereenigde Oostindische Compagnie“ (vgl. DÜLFER/JÖSTINGMEIER 2008, S. 22f.; BRAUDEL 1986, S. 544ff.; WALTER 2006, S. 149ff. und 159ff.).

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Karte 2–1: Kolonialer Dreieckshandel

2.1.4 Industrielle Revolution

Mechanisierung

Eine besondere Triebkraft internationaler Unternehmenstätigkeit war die Industrielle Revolution, deren in England liegender Ursprung auf Mitte bis Ende des 18. Jh. zu datieren ist. Zu ihren Auslösern zählte neben dem Einsatz von Kohle als weithin verfügbarer Energieträger die zunehmende Mechanisierung der Produktion, sowohl in der Landwirtschaft als auch im Handwerk und in den frühen Manufakturen. Die Mechanisierung der Landwirtschaft führte zum geringeren Einsatz von Arbeitskräften, so dass angesichts einer wachsenden Bevölkerung ein Arbeitskräfteüberhang entstand, der von der sich entwickelnden Industrie genutzt werden konnte. Darüber hinaus wurde die Industrialisierung von einer steigenden Nachfrage nach Gütern und einer zunehmenden Kapitalverfügbarkeit getragen, wie es für die kapitalistisch-merkantilistische Phase kennzeichnend war.

Neue Techniken

Die Mechanisierung der Produktion basierte wesentlich auf der Erfindung und Einführung neuer Techniken. An erster Stelle ist der mechanische Webstuhl zu nennen, der die Produktivität und den Output in der Textilherstellung wesentlich erhöhte. Entscheidend war aber auch die Erfindung der Dampfmaschine, welche die für den Produktionsprozess nötige Energie auf Basis des Rohstoffes Kohle lieferte. Das Prinzip der Dampfmaschine revolutionierte in der Folge mit dem System der Eisenbahn auch die Transporttechnologie, was zur Beschleunigung und Ausbreitung des Industrialisierungsprozesses in England und darüber hinaus wesentlich beitrug. Daneben wuchsen neue Wirtschaftszweige, im 18. Jh. vor allem die Eisen- und Stahlindustrie sowie stahIverarbeitende Sektoren wie der Schiff- und der Eisenbahnbau (vgl. HAAS/NEUMAIR 2006, S. 21f.). Es begann das Zeitalter der fabrikmäßigen Massenproduktion von Industriegütern, für deren Absatz die Unternehmen mit großem Nachdruck globale Expansionsstrategien entwickelten.

Liberalismus

Der aufkommende Liberalismus, welcher dem Staat eine weitgehende Zurückhaltung in wirtschaftlichen Belangen verordnete und den Außenhandel von Zöllen und sonstigen Handelshemmnissen befreite, intensivierte den zwischenstaatlichen Handel und schuf günstige Ausgangsbedingungen für die sich ausbreitenden weltwirtschaftlichen Verflechtungen (vgl. FÄBLER 2007, S. 75f.).

Multinationale Unternehmen

Begünstigt durch diese Entwicklungen entstanden Ende des 19. Jh. erste multinationale Unternehmen, die nicht nur weltumspannende Handelsaktivitäten, sondern auch Tochtergesellschaften im Ausland gründeten. Neben dem Außenhandel wurden damit auch Direktinvestitionen zu einer wichtigen Kenngröße der Internationalisierung. Vor allem englische Unternehmen verschafften sich durch die Gründung von Auslandsniederlassungen in Europa, China, den USA und anderen Ländern eine Vormachtstellung. In den achtziger und neunziger Jahren des 19. Jh. begannen auch deutsche Unternehmen (z.B. BASF, Hoechst, Bayer, Degussa, Schering, Siemens, AEG) damit, ein weitreichendes Netz ausländischer Tochtergesellschaften zu errichten (vgl. WELGE/HOLTBRÜGGE 2006, S. 3).

Imperialismus

Die Industrielle Revolution verstärkte – gepaart mit den Freihandelsideen des Liberalismus – agrarische, bergbauliche und siedlungsmäßige Kolonisationsprozesse in Übersee, die vom Staat gestützt wurden. In dem Umfang, wie sich Großbritannien und andere Staaten Europas im Prozess von Industrialisierung und „Nationbuilding“ befanden, veränderte sich die anfangs eher offene Einflussnahme auf überseeische Wirtschaftsräume zu einem imperialistischen Interessensystem, das in der Suche und militärischen Sicherung von Rohstoffquellen, Absatzmärkten sowie Investitionsmöglichkeiten zum Ausdruck kam. Unter der Leitung Bismarcks wurde auf der Berliner „Kongo-Konferenz“ 1884/85 die koloniale Aufteilung der außereuropäischen Erdteile auf dem Reißbrett beschlossen.

Angeführt wurde der imperialistische Wettlauf von Großbritannien, das zu Hochzeiten über ein Kolonialreich von der 100-fachen Größe des eigenen Mutterlandterritoriums verfügte. Innerhalb der Kolonialimperien entwickelte sich eine spezifische internationale Arbeitsteilung in Form häufig privatwirtschaftlich organisierter, überseeischer Netzwerke, innerhalb derer inländische Produktionsüberschüsse in den Kolonien abgesetzt und von dort billige Rohstoffe und Kolonialwaren bezogen wurden – ein System, das in vielen Entwicklungsländern auch nach Erlangung der Unabhängigkeit in den 1960er Jahren immer noch spürbar ist (vgl. SCHOLZ 2004, S. 66ff.; DÜLFER 2002, S. 85ff.).

2.1.5 Zwischenkriegszeit bis heute

Erster Weltkrieg und Weltwirtschaftskrise

Nachdem sich durch den Ersten Weltkrieg die internationalen Wirtschaftsbeziehungen stark rückläufig entwickelten, ging der Außenhandel aufgrund des aufkommenden Nationalismus und Protektionismus sowie durch das Vorhaben vieler Staaten, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der inländischen Industrien durch die gezielte Abwertung ihrer Währungen zu Lasten der Außenhandelspartner zu steigern, stark zurück. Ein sehr tiefer Einschnitt erfolgte Ende der 1920er Jahre mit der Weltwirtschaftskrise. Während des Zweiten Weltkriegs wurden dann viele internationale Wirtschaftsbeziehungen zur Gänze eingestellt.

Entwicklung bis heute

Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs unterliegt die Weltwirtschaft einem dynamischen Veränderungsprozess, der durch die zunehmende Internationalisierung wirtschaftlicher Aktivitäten in bisher nie da gewesenem Ausmaß gekennzeichnet ist, was sich auf tief greifende politische, wirtschaftliche und technologische Veränderungen in den vergangenen Jahrzehnten zurückführen lässt (vgl. HAAS/NEUMAIR 2006, S. 41f.):

Diese Entwicklungen haben einen entscheidenden Beitrag zum Prozess der Globalisierung der Wirtschaft geleistet.

2.2 Globalisierung als richtungsweisender Forschungsgegenstand der Wirtschaftsgeographie

Globale Interaktionen –gestern und heute

Auch wenn im vorangegangenen Kapitel gezeigt werden konnte, dass globale, d.h. weltumspannende Handels- und Unternehmensaktivitäten eine lange geschichtliche Tradition haben, ist der Begriff „Globalisierung“ noch relativ jung. In Lexika erscheint er erstmals 1962 in einem englischsprachigen Werk als „globalization“, im wissenschaftlichen Kontext wird er erst seit Mitte der 1980er Jahre diskutiert. Dies liegt daran, dass sich die Rahmenbedingungen für internationale wirtschaftliche Aktivitäten in den letzten Jahrzehnten so stark verändert haben, dass sich die heutigen globalen Verflechtungen von denen in früheren Epochen in vier zentralen Punkten unterscheiden (vgl. KNOX/MARSTON 2008, S. 99f.):

2.2.1 Globalisierung als entgrenztes wirtschaftliches Handeln – Eine begriffliche Eingrenzung

Globalisierung aller Lebensbereiche