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GESTALTEN DER ANTIKE

Herausgegeben von
MANFRED CLAUSS

Christoph Schäfer

Kleopatra

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Inhalt

Vorwort zur Reihe

Vorwort des Autors

Prolog

    I. Kleopatra und die Ptolemäer

Kleopatras Reich

Kleopatras Familie und ihre Jugendzeit

Ptolemaios XII. Auletes

Auf dem Weg zur Macht

Kleopatra auf dem Thron

   II. Caesar in Ägypten – Kleopatra in Rom

Bürgerkrieg in Rom und Ägypten

Pompeius auf der Flucht

Caesar in Ägypten

Krisenmanagement in Kleinasien, Rom und Africa

Caesarion, eine Herausforderung für Rom?

Ein Name ist Programm

Kleopatra in Rom

  III. Rückkehr in die Heimat

Zurück in Ägypten

Die Entwicklung in Rom und der Beginn des Bürgerkriegs

Kleopatras Außenpolitik im Bürgerkrieg

  IV. Marcus Antonius

Ein neuer Anlauf mit Antonius

Antonius und Kleopatra – der Zweck heiligt die Leidenschaft

Der Perusinische Krieg und Antonius’ Ehe mit Octavia

Der Vertrag von Tarent und Antonius’ Rückkehr in den Osten

Die neuerliche Affäre mit Kleopatra

   V. Der Orient im Umbruch

Die „Landschenkungen“ im Osten

Der Partherfeldzug

Octavia im Anmarsch

Herodes im Konflikt mit Kleopatra

Neue Operationen gegen die Parther und das Ende des Sextus Pompeius

Siegesfeiern in Alexandria

Kleopatra als Isis und ein Tempel für Antonius

Heiße Nächte in Alexandria

  VI. Schlacht bei Actium und die Entscheidung

Propagandaschlacht mit Oktavian

Der Kriegsausbruch

Aufmarsch zum Entscheidungskampf

Die Schlacht bei Actium

Endkampf auf ägyptischem Boden

 VII. Kleopatras Tod

Zeit zu sterben, aber wie?

Caesarions Ende

Roms Triumph

VIII. Darstellung und Rezeption

Zeitlos schön?

Inspiration Kleopatra

Ägyptomanie und Kleopatra

Kleopatra in der Kunst

Kleopatra als Medienstar

Kleopatra als Werbeikone

Anmerkungen

Literatur

Register

Personen

Orte

Abbildungsnachweis

Vorwort zur Reihe

„Gestalten der Antike“ – die Biographien dieser Reihe stellen herausragende Frauen und Männer des politischen und kulturellen Lebens jener Epoche vor. Ausschlaggebend für die Auswahl war, dass die Quellenlage es erlaubt, ein individuelles Porträt der jeweiligen Personen zu entwerfen, und sie konzentriert sich daher stärker auf politische Persönlichkeiten. Sie ist gewiss auch subjektiv, und neben den berühmten „großen Gestalten“ stehen interessante Personen der Geschichte, deren Namen uns heute vielleicht weniger vertraut sind, deren Biographien aber alle ihren je spezifischen Reiz haben.

Die Biographien zeichnen spannend, klar und informativ ein allgemeinverständliches Bild der jeweiligen „Titelfigur“. Kontroversen der Forschung werden dem Leser nicht vorenthalten. So geben auch Quellenzitate – Gesetzestexte, Inschriften, Äußerungen antiker Geschichtsschreiber, Briefe – dem Leser Einblick in die „Werkstatt“ des Historikers; sie vermitteln zugleich ein facettenreiches Bild der Epoche. Die Darstellungen der Autorinnen und Autoren zeigen die Persönlichkeiten in der Gesellschaft und Kultur ihrer Zeit, die das Leben, die Absichten und Taten der Protagonisten ebenso prägt wie diese selbst die Entwicklungen beeinflussen. Die Lebensbeschreibungen dieser „Gestalten der Antike“ machen Geschichte greifbar.

In chronologischer Reihenfolge werden dies sein:

Hatschepsut (1479–1457), von den vielen bedeutenden Königinnen Ägyptens nicht nur die bekannteste, sondern auch die wichtigste, da sie über zwei Jahrzehnte die Politik Ägyptens bestimmt hat;

Ramses II. (1279–1213), der Pharao der Rekorde, was seine lange Lebenszeit wie die nahezu unzähligen Bauvorhaben betrifft;

der spartanische König Agesilaos (398–361), sein Engagement in Kleinasien, seine Auseinandersetzungen mit Athen und Theben veränderten nachhaltig das Erscheinungsbild Spartas und ganz Griechenlands;

Alexander (356–323), der große Makedonenkönig, dessen Rolle in der Geschichte bis heute eine ungebrochene Faszination ausübt;

Hannibal (247–183), einer der begabtesten Militärs der Antike und Angstgegner der Römer; seine Kriege gegen Rom haben Italien mehr geprägt als manch andere Entwicklung der römischen Republik;

Sulla (138–78), von Caesar als politischer Analphabet beschimpft, weil er die Diktatur freiwillig niederlegte; versuchte, in einem eigenständigen Konzept, den römischen Staat zu stabilisieren;

Cicero (106–43), Philosoph, Redner und Politiker, von dem wir durch die große Zahl der überlieferten Schriften und Briefe mehr wissen als von jeder anderen antiken Persönlichkeit; sein Gegenpart,

Caesar (100–44), ein Machtmensch mit politischem Gespür und einer ungeheuren Energie;

Kleopatra (69–30), Geliebte Caesars und Lebensgefährtin Marc Antons, die bekannteste Frauengestalt der Antike, die vor allem in den Darstellungen ihrer Gegner unsterblich wurde;

Herodes (73–4), der durch rigorose Anpassung an die hellenistische Umwelt die jüdische Monarchie beinahe in den Dimensionen der Davidszeit wiederherstellte, dem seine Härte jedoch letzten Endes den Ruf des „Kindesmörders“ eintrug;

Augustus (43 v.–14 n.Chr.), der mit unbeugsamer Härte, aber auch großem Geschick das vollendete, was Caesar angestrebt hatte; da er den Bürgerkriegen ein Ende setzte, wurde er für die Zeitgenossen zum Friedenskaiser;

Nero (54–68), der in der Erinnerung der Nachwelt als Brandstifter und Muttermörder disqualifiziert war, auch wenn ihn die zeitgenössischen Dichter als Gott auf Erden feierten;

Marc Aurel (161–180), der so gerne als Philosoph auf dem Thron bezeichnet wird und doch immer wieder ins Feld ziehen musste, als die ersten Wellen der Völkerwanderung das Römische Reich bedrohten;

Septimius Severus (193–211), der erste „Nordafrikaner“ auf dem Thron, aufgeschlossen für orientalische Kulte; er förderte die donauländischen Truppen und unterwarf das Reich zahlreichen Veränderungen;

mit Diocletian (284–305)lässt man die Spätantike beginnen, die sich vor allem durch konsequente Ausübung der absoluten Monarchie auszeichnet;

Konstantin der Große (306–337), der im Zeichen des Christengottes in die Schlacht zog und siegte, hat den Lauf der Geschichte nachhaltig verändert; dem Christentum war nun der Weg zur Staatsreligion vorgezeichnet;

Athanasius (295–373), unter den großen politischen Bischöfen der Spätantike einer der radikalsten und erfolgreichsten in dem Bemühen, den neuen Glauben im und gegen den Staat durchzusetzen;

Julian (361–363), dessen kurze Regierungszeit vieles von seinen Plänen unvollendet ließ und deshalb die Phantasie der Nachwelt anregte;

Theodosius der Große (379–395), von dem man sagt, er habe mit einer rigorosen Gesetzgebung das Christentum zur Staatsreligion erhoben; er bewegte sich mit Geschick durch eine Welt religiöser Streitigkeiten;

Galla Placidia (390–450), seine Tochter, eine jener spätantiken Herrscherinnen, die nicht länger hinter den Kulissen, sondern auf der politischen Bühne agierten;

Theoderich der Große (474–526), der bedeutendste jener „barbarischen“ Heerführer, die das Weströmische Reich beendeten,

und schließlich Kaiser Justinian (527–565), der zusammen mit Theodora die Größe des alten Imperium Romanum wiederherstellen wollte; die Beschreibung seiner Herrschaft kann insofern einen guten (chronologischen) Abschluss bilden.

Manfred Clauss

Vorwort des Autors

„Vor allem aber beheimatete Alexandria die faszinierendste Frau der Geschichte: Kleopatra. Hier traf und verzauberte sie Julius Cäsar. In den heute versunkenen Straßen dieser Stadt feierte sie als Siegerin unter Siegern mit Mark Anton. Schließlich entschied sie sich hier für den Freitod, um ihrer Entehrung zu entgehen. Jenes Drama um Kleopatras Leben und Liebe bewegte mich letztendlich dazu, 1992 nach Alexandria zu reisen, um mich an die spannende Aufgabe der Lokalisierung, Kartierung und Erforschung der Überreste der versunkenen Stadt zu wagen.“1 Mit diesen Worten beschrieb vor wenigen Jahren Franck Goddio Ausstrahlung und Anziehungskraft der Königin vom Nil und drückte zugleich seine von Sympathie getragene Motivation aus für die wissenschaftliche Beschäftigung mit ihrer Person und ihrer Hauptstadt über und unter Wasser.

Damit steht Goddio keineswegs allein. Auch zu Beginn des dritten Jahrtausends lassen sich Wissenschaftler, Literaten und Künstler von ihr in den Bann ziehen. Angesichts der Parteilichkeit zahlreicher Quellen- und Forschungsaussagen fällt es schwer, neutral zu bleiben. Und so geht auch der vorliegenden Studie eine gewisse Subjektivität nicht ab. Im Folgenden wird zuerst nach rationalen Erklärungen für das Verhalten, die Politik und die Entscheidungen der Protagonisten gesucht, ehe emotionale Momente ins Feld geführt werden. Das bedeutet keineswegs, eine solche Seite habe es nicht gegeben, in ihrer Wirkung lässt sie sich jedoch von Außenstehenden ungeheuer schwer gewichten. Erstaunlich oft genügt bereits das Überprüfen der Handlungsspielräume, um gerade Kleopatras Vorgehen plausibel zu machen. Trotzdem entsteht keine gänzlich „rationale Kleopatra“, sie lässt sich weder herauslösen aus den Strukturen ihrer Zeit noch aus der Interaktion vor allem mit den Großen Roms. In ihren Beziehungen zu Caesar und Antonius ergreifen wir gelegentlich die andere, emotionale Komponente.

Im Leben wie im Tod voller Rätsel und Widersprüche scheint bezüglich der Person Kleopatras nahezu alles umstritten, sogar die Zählung, nach der die Forschung die Trägerinnen dieses Namens zu ordnen sucht. Insbesondere ihr Selbstmord hat die Menschen fasziniert. Die Sichtweise des Siegers prägte jedoch die antike Überlieferung, so fassen wir die Frau hinter den Aussagen der antiken Geschichtsschreiber wie durch einen Schleier. Einerseits schuf dies Interpretationsspielräume für die Vielzahl von Autoren, die sich ihrer bis in die Gegenwart „angenommen“ haben, nur zu oft erfährt man jedoch mehr über den Verfasser beziehungsweise die Verfasserin als über Kleopatra. Ein dankbares „Opfer“ wurde sie für Komponisten und Texter, Maler und Literaten. Im Film repräsentiert von Stars wie Claudette Colbert, Liz Taylor und Leonor Varela, hat sie im Gegensatz zu vielen wesentlich erfolgreicheren Gestalten der Antike ihren Platz in den Köpfen heutiger Menschen sicher.

Mein Interesse an Kleopatra hatte sich bereits in Vorarbeiten und Veranstaltungen zum Thema niedergeschlagen, der Anstoß für die vorliegende Studie ging jedoch aus von Manfred Clauss, der selbst einen einschlägigen Band verfasst hat, mir aber dennoch nahe legte, die neuen Forschungsergebnisse in einen historischen Gesamtzusammenhang zu stellen. In jeder Beziehung hat er in der Folge die Entstehung des Werkes gefördert und mir nicht nur als verständnisvoller Gesprächspartner, sondern auch in vielen praktischen Fragen wie etwa der Bildbeschaffung zur Seite gestanden.

Christina Holte und Jörg Erdtmann haben mich aufopferungsvoll bei den Recherchen unterstützt. Bei der Literaturbeschaffung engagierten sich Mark Beck, Catrin Graber, Krešimir Matijević und Stefan Geis sowie als Bibliothekarin Andrea Beilfuß-Ashour. Marion Drößler, Angelika Meier, Tatjana Timoschenko und Uta Woelke haben mir so manche Arbeiten abgenommen, die Karten hat Nico Nolden angefertigt.

Die Papyri der Zeit konnte ich mit den Kollegen Dieter Hagedorn und Kai Ruffing diskutieren, denen ich wertvolle Anregungen verdanke. Speziell bei meinen Fragen zu Bissen der ägyptischen Kobra (Naje haje) hat mir Herr Kollege Dietrich Mebs vom Zentrum der Rechtsmedizin, Klinikum der Universität Frankfurt als ausgewiesener Kenner der Materie entscheidend weitergeholfen. Eine wertvolle Expertise gab David Warrel, Oxford University. Für weitere Hinweise danke ich Volker Grieb, Beate Noack, Catharina Opitz und Roland Pauler, der auch die anstrengende Arbeit des Korrekturlesers auf sich genommen hat.

Bei der Überarbeitung des Manuskripts hat Susanne Winter wertvolle Hilfe geleistet. Für die Suche nach den Bildern hat mir Peter Grau seine ausgezeichnete Datenbank zugänglich gemacht. Harald Baulig hat als Lektor der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft das Manuskript mit eindrucksvollem Einsatz betreut.

Gewidmet ist dieses Buch meinem Vater, dem ich nicht nur die Liebe zur Geschichte verdanke.

Hamburg, im Mai 2006 Christoph Schäfer

Prolog

Eine Schlange windet sich über den herrlichen, reich verzierten Marmorboden, verschwindet in einer dunklen Ecke des Raumes, während die Szenerie beherrscht wird von einer in sich zusammengesunkenen Frau, nicht mehr ganz jung, aber immer noch unglaublich attraktiv … Dienerinnen werfen sich weinend vor ihr nieder, eine Königin ist gestorben, Kleopatra, die letzte Herrscherin aus dem Geschlecht der Ptolemäer!

So oder ähnlich sieht heute die erste, durch Roman und Film geprägte spontane Assoziation vieler nach Kleopatra befragter Menschen aus. Ihr immerhin doch recht früher Tod hat sie unsterblich gemacht, ein Phänomen, das wir auch im 20. und 21. Jahrhundert sehr wohl kennen, wie etwa die Beispiele James Dean, Marylin Monroe oder Lady Di zeigen. Eine Aura umgibt solche Menschen, so entstehen unzerstörbare Idole, werden Mythen geboren. Daran ändern selbst die missgünstigen Kommentare vieler Zeitgenossen nichts, im frühen Tod liegt die Chance auf Unsterblichkeit.

In besonderem Maße hat Kleopatra über die Zeiten hinweg die Menschen fasziniert, nicht zuletzt, weil sie auf höchst spektakuläre Weise aus dem Leben geschieden ist und ihr wegen der skandalträchtigen Überlieferung zu ihrer Person die Aufmerksamkeit der Nachwelt sicher war. Als Herrscherin führte sie ein Privatleben, das in fast allen Epochen als außergewöhnlich, oft genug sogar als anrüchig angesehen wurde, gerade dadurch aber ein Faszinosum darstellte. War sie wirklich der männermordende Vamp, als den sie schon die antiken Dichter, erst recht aber die modernen vielfach dargestellt haben?

Was ging in ihrem Kopf vor, als sie sich einundzwanzigjährig heimlich zu Caesar bringen ließ, um von dem mächtigen Konsul die Herrschaft im Reich ihrer Väter zu erlangen? War sie sich bewusst, dass der für seine sexuellen Ausschweifungen bekannte oder besser berüchtigte Mann mehr von ihr verlangen könnte als das Versprechen, ihm als Klientelkönigin treu zu dienen? Oder hatte sie es von vornherein darauf angelegt, ihn unter Einsatz all ihrer Reize ohne Hemmungen zu verführen? Fragen, zu denen die Forschung nur höchst unzureichende Antworten bieten kann, was allerdings neuzeitliche Autoren und selbstverständlich besonders Filmemacher nicht daran gehindert hat, ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen und immer wieder schwüle Szenen zu konstruieren, deren erotische Schwere in antiproportionalem Verhältnis zum Informationsgehalt steht, ja in aller Regel mehr über die Tagträume des Autors oder Produzenten als über die Protagonistin aussagt.

Kleopatra war keine „Königin der Herzen“, sie griff im Innern mit harter Hand durch und nahm selbst auf die eigene Familie wenig Rücksicht. Klug und hochgebildet zeigt ihre Persönlichkeit so viele Facetten, dass sich eine Annäherung als alles andere als einfach erweist. Widersprüchlich ist das Bild der antiken Quellen; von ihr selbst ist wenig erhalten, ihre Parteigänger und ihre Freunde – so sie überhaupt welche hatte – sind entweder mit ihr untergegangen oder im Dunkel der Geschichte verschwunden. Doch nicht allein die Umstände ihres Todes lohnen eine intensivere Betrachtung, ihr gesamter Lebensweg führt uns hinein in die Welt des letzten der drei großen hellenistischen Territorialstaaten, die – hervorgegangen aus der Konkursmasse des Alexanderreiches – für antike Verhältnisse hochmoderne Strukturen entwickelt und über lange Zeit enorme Ressourcen erschlossen haben. Kulturell, in Wissenschaft und Kunst,Wirtschaft,Technik und Verwaltung dem aufstrebenden Rom weit überlegen, bekamen sie doch nacheinander dessen Expansionsdrang sowie seine militärische Stärke zu spüren. Einzig Ägypten war durch Unterordnung und Bestechung als mehr oder weniger autonomes Reich noch erhalten geblieben, ohne dass man sich jedoch in Sicherheit wiegen konnte. Schon richteten einige der großen Männer, von denen die Späte Republik geprägt wurde, begehrliche Blicke auf das Land am Nil. Trotz aller innerer Schwierigkeiten erschien es noch immer als höchst interessante Beute, weil es, begünstigt durch die Konzentration der Landwirtschaft auf die Lebensader des Stroms und die Gebiete der Oasenlandschaft des Fayum, so perfekt verwaltet wurde, dass kein anderes Reich am Mittelmeer auch nur annähernd über Ägyptens Wirtschaftskraft verfügte. In diesem Spannungsfeld suchte Kleopatra phasenweise sehr erfolgreich nach Möglichkeiten der Konsolidierung. Zwar ist sie letztlich gescheitert, ihr Tod aber war einer großen Königin wahrhaft würdig.

I. Kleopatra und die Ptolemäer

Kleopatras Reich

Das Reich der Ptolemäer war nicht immer so stark auf das Land am Nil beschränkt gewesen wie im ersten vorchristlichen Jahrhundert. Gegründet von Ptolemaios I. mit dem nicht gerade bescheidenen Beinamen Soter (= der Retter/Messias), erstreckte sich das Gebiet unter den ersten Herrschern aus seinem Geschlecht bis tief nach Syrien hinein, Cypern, zahlreiche Inseln in der Ägäis und ganze Teile der kleinasiatischen Küste wurden zeitweise von ihnen kontrolliert; ja bis ins griechische Mutterland reichte gelegentlich der „lange Arm“ der Ptolemäer. Schon der Dynastiegründer hatte als eine seiner ersten außenpolitischen Aktionen die angrenzende Kyrenaika sowie das südliche Syrien (Koilesyrien) besetzt und dem Reich einverleibt.

Ptolemaios I. hatte zuvor am Alexanderzug teilgenommen und sich dabei als hoher makedonischer Offizier bewährt. Als nach dem plötzlichen Tod des Makedonenkönigs in Babylon eine Nachfolgeregelung getroffen wurde, war er zugegen und scheint mit eigenen Vorschlägen durchaus nicht gegeizt zu haben, als es darum ging, die Macht auf die Generale zu verteilen. Damals konnte er sich zwar nicht durchsetzen, denn Alexanders schwachsinniger Halbbruder, Philipp III. Arrhidaios, und sein nachgeborener Sohn, Alexander IV., wurden als Marionetten auf den Thron gesetzt. Der Chiliarch Perdikkas übernahm die Reichsverweserschaft, aber immerhin wurde Ptolemaios bei der Verteilung der Satrapien, der Provinzen des Alexanderreiches, berücksichtigt. Dabei sollte die Reichseinheit zumindest in der Theorie gewahrt bleiben. Ob es sein persönliches Verdienst war und wenn ja, wie er es geschafft hat, Ägypten zugeteilt zu bekommen, wissen wir nicht. Fest steht allerdings, dass ihm die Reichsregierung unter Perdikkas mit Kleomenes von Naukratis einen kompetenten Verwaltungsspezialisten an die Seite gestellt hat, der offenbar seine Macht beschränken und ihn überwachen sollte. Es kennzeichnet Ptolemaios’ Machtwillen und seine Skrupellosigkeit, dass er Kleomenes bereits kurz nach seinem Eintreffen in der zugewiesenen Satrapie beseitigte, eine Maßnahme, die richtungsweisend für die gesamte Dynastie werden sollte. Kaum einer seiner Nachfolger schreckte vor politischen Morden zurück, ja man machte dabei selbst vor Mitgliedern der eigenen Familie nicht halt.1

Ptolemaios sah sich selbst durchaus in der Alexandertradition, er mischte kräftig mit in den jahrzehntelangen Kämpfen der Generale, die das Riesenreich Alexanders oder auch nur Teile davon für sich gewinnen wollten. Ob er jemals eine Gesamtherrschaft anstrebte, ist umstritten – Ägypten als Kernland hatte er jedenfalls in der Hand und einige Außenbesitzungen in der Kyrenaika, Kleinasien, der Ägäis und Syrien hat er hinzugewinnen können. Als erfolgreicher Dynastiegründer hinterließ er seinen Nachkommen gefestigte Herrschaftsstrukturen im Reich am Nil. Von Hause aus Makedone, trat er in die Fußstapfen der Pharaonen und legte den Grundstein für die fast dreihundertjährige Regierung seines Geschlechts: Die Ptolemäer oder Lagiden, nach seinem Vater Lagos, herrschten zwar gestützt auf eine griechisch-makedonische Einwandererschicht, arrangierten sich aber umgehend mit der einheimischen Elite, insbesondere den bedeutenden Priesterfamilien. Aufgewachsen in einer polytheistischen Welt machte es ihnen keine Probleme, in die kultische Rolle des ägyptischen Pharao als König von Unter- und Oberägypten zu schlüpfen, wenngleich manche Rituale anfangs etwas gewöhnungsbedürftig gewesen sein dürften. Schon Alexander hatte dies so gehandhabt und damit den Weg zur Kontrolle des Landes gewiesen.2

In der Interpretatio Graeca konnte man Ammon als Zeus, Dionysos als Osiris und Isis als Aphrodite betrachten, und dies hat den Ptolemäern sicherlich die Adaption der ägyptischen Religion erleichtert. Schon Ptolemaios II. praktizierte nicht nur die im Alten Ägypten gebräuchliche Geschwisterehe mit seiner leiblichen Schwester Arsinoë II., sondern kombinierte den Kult für den vergöttlichten Alexander mit dem für die Dynastie, wobei er seiner Frau sogar eine gesonderte kultische Verehrung zukommen ließ.

Die pharaonische Verwaltung, das berühmte Bewässerungssystem und nicht zuletzt die Besteuerung des Landes wurden übernommen und weiter entwickelt. Ägyptens Lebensader, der Nil, garantierte wirtschaftlichen Wohlstand und machte den König zum reichsten Mann der Alten Welt. Geld regiert die Welt, und so lag es vornehmlich an den gewaltigen finanziellen Ressourcen, dass seine Nachfolger sich angesichts des zunehmenden römischen Drucks auf die hellenistischen Staaten insgesamt mit am längsten behaupten konnten. Gewaltige Bestechungsgelder halfen über manche Klippe hinweg, die stadtstaatliche Organisation des Imperiums tat ein Übriges, schließlich warfen im Lauf der Zeit zu viele römische Politiker ein Auge auf die fette Beute im Orient, als dass einer sich gegen die Konkurrenz im eigenen Lager hätte durchsetzen können.3

Die grandiosen Zeiten hellenistischer Großreiche waren spätestens mit Roms Eingreifen im Osten und den Siegen über Philipp V. von Makedonien (197 v. Chr. bei Kynoskephalai) und den seleukidischen König Antiochos III. (190 v. Chr. bei Magnesia am Sipylos) zu Ende. Als dann am berühmten Tag von Eleusis nahe Alexandria der römische Gesandte Popillius Laenas durch einen bemerkenswerten Auftritt lediglich mit der Androhung eines Krieges den Seleukidenherrscher Antiochos IV. zum Rückzug aus Ägypten zwang (Anfang Juli 168 v. Chr.), rettete er zwar den Ptolemäern den Thron, demonstrierte ihnen aber gleichzeitig ihre Abhängigkeit von der jungen Weltmacht im Westen.4

Von nun an stand die Anerkennung als „Freund und Bundesgenosse des römischen Volkes“ für die Könige Ägyptens im Mittelpunkt ihres außenpolitischen Strebens. Sogar bei innerägyptischen Problemen nahm man des Öfteren Zuflucht bei der Hegemonialmacht. So vermachte bereits im Jahr 155 Ptolemaios VIII., um sich vor Attentaten zu schützen, sein Reich dem römischen Volk – zumindest für den Fall, dass er ohne legitimen Erben das Zeitliche segnen sollte! Sein Beispiel sollte Schule machen, und auch der zehnte Ptolemäer griff möglicherweise zu diesem Mittel im Kampf um seinen Thron. Jedenfalls suchten römische Senatoren und Kapitalgeber seinen tatsächlichen oder angeblichen letzten Willen für eine Einmischung im Nilreich zu instrumentalisieren.5

Schon von den ersten Königen war die Hauptstadt Alexandria als Zentrum von Kunst, Kultur und Forschung ausgebaut worden. Hartgesottene Makedonen entwickelten sich rasch zu beinahe fanatischen Büchersammlern und Förderern der Wissenschaft. Neben dem Wirken als Wohltäter für die Städte und Regionen des Reiches schöpften sie wie die anderen hellenistischen Könige einen Teil ihrer Legitimität aus dem Aufbau einer möglichst umfassenden Bibliothek, die an das berühmte Museion, das Forschungszentrum für Wissenschaftler aus aller Welt, angegliedert war. Hierfür wurden gewaltige Summen investiert. So hinterlegte Ptolemaios III. Euergetes allein 15 Talente als Sicherheit, um das Staatsexemplar der drei großen Tragiker aus Athen zum Anfertigen einer Kopie auszuleihen. Und bezeichnenderweise zögerte er keinen Moment, dieses Pfand verfallen zu lassen und den Athenern eine Abschrift zurückzuschicken – so viel war ihm das Original wert. Kein Wunder also, wenn Museion und Bibliothek einen beispiellosen Aufschwung nahmen. Von Beginn an hatten die Ptolemäer begriffen, dass Eliteförderung adäquate Investitionen erfordert, und der Erfolg gab ihnen recht.6

Daneben existierte das andere Alexandria, eine pulsierende Metropole mit Handelsverbindungen in die entlegensten Gebiete der bekannten Welt, ein Schmelztiegel der Völker. Griechisch geprägt mit ägyptischen Einflüssen und einer starken jüdischen Minderheit, entwickelte die Stadt ein Flair, dem keine zweite das Wasser reichen konnte. Ebenso suchten die Dynamik des Alltags, die Lust am Leben, an Vergnügungen und Festen aller Art ihresgleichen. Was man in den verruchten Kaschemmen und Bordellen der berüchtigten Vororte von Kanopos und Taphosiris erleben konnte, spottete jeder Beschreibung, Alexandria musste man gesehen haben. Über all dem Treiben aber hing der bedrohliche Schatten Roms. Das war die Welt, in die Kleopatra hineingeboren wurde.7

Kleopatras Familie und ihre Jugendzeit

Selten ist die Erinnerung an eine schillernde Gestalt der Antike so abhängig von der Retrospektive der Sieger. Kaum irgendwo sonst werden wir so deutlich mit den Folgen der im römischen Sinne ausgestalteten Überlieferung konfrontiert wie bei der Frage nach Herkunft und Jugend Kleopatras. Tatsache ist, dass uns die Quellen hier weitgehend im Stich lassen. Immerhin wissen wir einiges über ihren Vater Ptolemaios mit dem Beinamen Auletes (= Flötenspieler), dem die moderne Forschung mehrheitlich die Ordnungszahl XII zuerkennt.8

Die Zählung der aus der ptolemäischen Dynastie hervorgegangenen Herrscher ist ein Konstrukt moderner Forschung und sollte eigentlich einer leichteren Orientierung dienen, was leider infolge einiger Differenzen bezüglich Ptolemaios’ VII. noch immer nicht ganz der Fall ist. Der antike Mensch unterschied die Ptolemäer dagegen aufgrund ihrer Beinamen, wie etwa Soter für Retter oder Messias beim Dynastiegründer oder Philadelphos im Fall seines Nachfolgers. Philadelphos heißt so viel wie „der Geschwisterliebende“, was in diesem Fall durchaus wörtlich zu verstehen war, hatte doch Ptolemaios II. in zweiter Ehe seine leibliche Schwester Arsinoë II. geheiratet. Bewusst spielte er mit dieser dynastischen Heirat auf die ägyptischen Geschwistergötter Isis und Osiris an, da Arsinoë schon zu Lebzeiten mit Isis gleichgesetzt wurde und nach ihrem Tod eine besondere kultische Verehrung genoss. Derartige Konstellationen traten bei Eheschließungen späterer Generationen nicht gerade selten auf. Zum Beispiel war Kleopatra nacheinander mit ihren beiden jüngeren Brüdern verheiratet.

Auch bei ihr gibt es einen Disput um die Ordnungszahl, wozu etwa Berenike III., die Tochter des neunten und Gattin des zehnten Ptolemäers, Anlass gibt. Sie hatte sich nach ihrer Heirat Kleopatra genannt und wird daher gelegentlich als sechste Herrscherin dieses Namens gezählt, wodurch „unsere“ Kleopatra auf den achten Platz rutschen würde. Zu allem Überfluss fiel Berenike unmittelbar nach ihrer Ermordung und der damnatio memoriae aus der offiziellen Königsliste der Ptolemäer wieder heraus. Heute wird von der überwiegenden Mehrheit der Historiker Caesars und Antonius’ Geliebte als Kleopatra VII. geführt. Dabei sollten wir es belassen.9

Auf seine Weise gehörte auch Kleopatras Vater zu den zahlreichen Persönlichkeiten des Königshauses, die sich durch eine extravagante Lebensart auszeichneten. Dies spiegelt nicht zuletzt seine ungewöhnliche Neigung zur Musik und insbesondere zum Flötenspiel wider. Er liebte es, selbst den Chor im Theater zu unterstützen, und musste sich daher nicht wundern, wenn ihm die Bevölkerung alsbald den für einen König eigentlich wenig schmeichelhaften Namen Auletes (Flötenspieler) beilegte. Strabon fällt diesbezüglich ein geradezu vernichtendes Urteil: Nach dem dritten König aus ihrer Familie seien die Ptolemäer, korrumpiert durch luxuriöses Leben, nur noch schlechte Herrscher gewesen, am schlimmsten von allen aber der vierte, der siebte und der mit dem Beinamen Auletes, der abgesehen von seinen anderen Ausschweifungen die Flöte zur Begleitung des Chores blies und diesbezüglich so stolz auf sich gewesen sei, dass er nichts Anstößiges darin sah, Wettkämpfe (Agone) im königlichen Palast zu veranstalten, in denen er selbst wetteifernd mit den Gegnern auftrat.10 Musische Agone waren jedoch eng verknüpft mit Dionysos, in dem die Ägypter wiederum Osiris erkannten, und so bekommt das Geschehen eine hochpolitische Note. Offensichtlich ging es keineswegs nur – wie Strabon meint – um persönliche Belustigung, sondern vielmehr um Herrscherlegitimation und -repräsentation.

Tatsächlich trug Ptolemaios XII. den (Kult-)Namen Theos Neos Dionysos, ein deutlicher Hinweis auf göttliches Charisma und ein Auftreten als eine Art Reinkarnation des Gottes Dionysos. Dieser war nach antiker Vorstellung nicht nur für Wein oder Erotik und sexuelle Ausschweifung, sondern auch allgemein für das Überschreiten von Grenzen in und außerhalb der Gesellschaft zuständig und spielte damit eine wichtige Rolle bei der Integration verschiedener sozialer Gruppen. Ptolemaios’ Gleichsetzung mit Osiris konnten die Untertanen im Gegensatz zu den von römischem Denken geprägten Autoren unserer Quellen sehr wohl nachvollziehen, die hellenisierten hingegen verstanden die kultische wie künstlerische Anknüpfung an Dionysos ebenso gut wie die Ägypter die Anspielung auf Osiris.11 Wie sehr der Kulttitel und das Gehabe als Auletes auf dem Hintergrund eines propagandistischen Gesamtkonzepts zu sehen sind, wird noch deutlicher, wenn man zwei weitere Bestandteile des Titels berücksichtigt: Mit der Bezeichnung Philopator, der Vaterliebende, und Philadelphos, der Geschwisterliebende, stellt er sich bewusst in die Tradition der Familie. Der erste Titel betont angesichts einer gewissen Unsicherheit im Hinblick auf die Identifikation seiner Mutter die Abstammung von seinem Vater Ptolemaios IX. und damit den rechtmäßigen Thronanspruch. Möglicherweise stellt die Tatsache, dass der immerhin in der Abwehr Antiochos’ des Großen recht erfolgreiche vierte Ptolemäer ebenfalls den Beinamen Philopator trug, einen beabsichtigten Nebenaspekt der Propaganda dar, zumal Letzterer unter Königen seines Geschlechts als bislang profiliertester Verehrer des Dionysos hervorgetreten war.12 Mit dem zweiten Titel knüpft Ptolemaios XII. ideologisch an den Sohn und Nachfolger des Dynastiegründers an, der ja den gleichen Beinamen führte und als vorbildlicher Herrscher galt.

Politisch stand er in vielerlei Hinsicht auf schwachen Füßen und so wurde Kleopatra VII. im Zeitraum zwischen Dezember 69 und Januar 68 in eine politisch aufgeladene und brisante Umgebung hineingeboren. So unübersichtlich wie die innen- und außenpolitischen Verhältnisse gestaltete sich auch die familiäre Situation ihres Vaters. Ptolemaios XII. war getreu einer in Ägypten bereits lange vor den Ptolemäern gepflegten Sitte schon seit 80/79 mit seiner Schwester Kleopatra VI. Tryphaina verheiratet. Dies hinderte ihn anscheinend nicht, daneben noch eine weitere Frau zu ehelichen. Damit stand er durchaus in der Tradition sowohl makedonischer Könige wie Philipps II. oder Alexanders des Großen als auch des eigenen Hauses. Polygamie war keine Seltenheit in diesem gesellschaftlichen Umfeld. Auffällig ist allerdings das Verschwinden Kleopatras VI. aus den Datierungszeilen der ptolemäischen Papyri zwischen August 69 und Februar 68, also genau zur Zeit der Geburt Kleopatras (VII.). Der Haussegen in der Herrscherfamilie hing anscheinend reichlich schief. Vielleicht hatte sich das Paar getrennt, möglicherweise war ihr Zorn über die zweite Ehe noch gut zehn Jahre später nicht verraucht, als sie nach der zwischenzeitlichen Vertreibung ihres Mannes für kurze Zeit die Regierungsgeschäfte in Ägypten übernahm. Dafür spricht nicht zuletzt die Orientierung ihrer Mitregentin hin auf die Seleukiden.13

Von seiner Schwestergemahlin hatte Ptolemaios XII. bei der erneuten Heirat bereits eine Tochter namens Berenike, die zwischen 78 und 75 geboren worden war. Die Identität seiner neuen Frau lässt sich nicht mit Gewissheit ermitteln. Höchstwahrscheinlich handelte es sich um eine Ägypterin aus dem Geschlecht der Hohenpriester von Memphis, der alten ägyptischen Königsstadt. Dies wäre im Übrigen eine gute Erklärung für Kleopatras außergewöhnliche Sprachkenntnisse, denn folgen wir Plutarch, „wusste sie ihre Zunge wie ein vielstimmiges Instrument mit Leichtigkeit in jede ihr beliebende Sprache zu fügen und bediente sich nur im Verkehr mit ganz wenigen Barbaren eines Dolmetschers. Den meisten erteilte sie persönlich Bescheid, so den Äthiopen, Troglodyten, Hebräern, Arabern, Syrern, Medern und Parthern. Noch vieler anderer Völker Sprachen soll sie verstanden haben, während die Könige vor ihr es nicht einmal fertiggebracht hatten, die ägyptische Sprache zu beherrschen, einige sogar das Makedonische verlernt hatten.“14 Selbst wenn die Nachricht auf Kleopatra selbst oder eine ihr gewogene Quelle zurückgehen sollte, wirkt sie recht glaubwürdig, weil außer der Sprache ihrer einheimischen Untertanen noch erheblich weiterreichende Kenntnisse aufgeführt werden. Falls sie nur einigermaßen diesem Bild gerecht wurde, können wir ein gutes Niveau des Ägyptischen voraussetzen. Dazu passt im Übrigen ganz ausgezeichnet die wahrscheinliche Abstammung ihrer Mutter aus einer hervorragenden ägyptischen Familie. Viel Mühe wird Kleopatra demnach mit dem Erlernen der Landessprache nicht gehabt haben, vermutlich wuchs sie sogar zweisprachig auf.

In jedem Fall war die Ehe ihrer Mutter fruchtbar, denn sie bekam im Lauf der nächsten Jahre allein drei jüngere Vollgeschwister, Arsinoë, Ptolemaios XIII. und Ptolemaios XIV. Dabei scheint es hinsichtlich der Anerkennung der Kinder als legitime Nachkommen des Herrschers und damit auch bezüglich einer etwaigen dynastischen Nachfolge keine ernsthaften Probleme gegeben zu haben. Wenn diese tatsächlich wegen der nichtgriechischen Herkunft ihrer Mutter einen Nachteil gehabt hätten, wäre dies sicher von der kleopatrafeindlichen Überlieferung mit Genuss ausgeschlachtet worden. Insofern dürfte gegebenenfalls die althergebrachte griechische Sichtweise, die Verbindung mit einer fremdstämmigen Frau sei als illegitim zu betrachten, in der Spätzeit des Ptolemäerreiches zumindest in Bezug auf die Ehe des Herrschers keine große Bedeutung mehr gehabt haben. Schließlich war schon ihr Vater Ptolemaios XII. mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer ägyptischen Mutter geboren worden.15

Hinsichtlich Kleopatras Kindheit lassen uns die weitgehend im Sinne ihres Feindes Oktavian verfassten Quellen im Stich; es fehlen die in der griechischen Geschichtsschreibung so beliebten Vorzeichen und Anekdoten aus der Kindheit, die auf die spätere Rolle als Königin hinweisen und als literarische Erklärungen für ihr Verhalten und ihre Mentalität fungieren würden. Immerhin können wir die Atmosphäre am ptolemäischen Hof und die politischen Wirren nachzeichnen, die Kleopatra zum guten Teil aus nächster Nähe erlebt hat. Wenn wir ihr politisches Streben als Königin und die Art betrachten, wie sie später die Register der Macht unter hohem persönlichem Einsatz zu ziehen versuchte, zeigt sich, wie tief sie das Geschehen bei Hofe beeindruckte und wie stark es ihre Weltsicht beeinflusst hat.

Ptolemaios XII. Auletes

Ihr Vater war wohl nicht nur durch die bereits erwähnte Abkunft von einer Ägypterin belastet, nein, er stand seit seinem Herrschaftsantritt auch unter gewaltigem außenpolitischem Druck, hatte doch das Testament seines Onkels und Vorgängers Ptolemaios X. Alexandros I., den Begehrlichkeiten der römischen Politiker Tür und Tor geöffnet. Von den Alexandrinern vertrieben, hatte dieser 88 im Zuge der Vorbereitungen zu seiner Rückkehr als Gegengabe für römische Hilfe die stärkste Macht des Mittelmeerraumes als Erbin einsetzen müssen.16 Ihm selbst nutzte es wenig, da er noch im selben Jahr vor Cypern Schlacht und Leben verlor, seinen Nachfolgern aber bereitete die Nachlassregelung gewaltige Probleme. Schwierig wurde es vor allem für seinen Neffen, Kleopatras Vater, den die Alexandriner nach dem Ableben des neunten und der Ermordung des nur wenige Monate amtierenden elften Ptolemäers aus Syrien herbeigeholt und noch vor dem 12. September 80 auf den Thron gesetzt hatten.17 Ihm blieb über lange Jahre die Anerkennung durch Rom versagt, was einem völkerrechtlichen Schwebezustand gleichkam. Fast schien es, als sei das Ende des Reiches bereits gekommen.

Den ersten, seine Herrschaft unterminierenden Vorstoß im römischen Senat unternahm kurioserweise Ptolemaios’ Tante, die seleukidische Königin Kleopatra V. Selene, die den ägyptischen Thron für ihre Söhne zu gewinnen suchte. Angesichts der zahlreichen Kriege zwischen Seleukiden und Ptolemäern in den vergangenen Jahrhunderten mutet diese diplomatische Offensive in Rom zwar etwas grotesk an, spiegelt aber zugleich die realen Machtverhältnisse wider: Das Ptolemäerreich war regelrecht Freiwild geworden. Während ihre Attacke schon deshalb zum Scheitern verurteilt war, weil eine Kontrolle Ägyptens durch die benachbarten Seleukiden keineswegs im Interesse der Senatsaristokratie lag, erwiesen sich die nächsten Schläge als weitaus gefährlicher. So machte Rom im Jahr 74 die Ägypten benachbarte Kyrenaika zur römischen Provinz. Damit fiel ein Gebiet, das seit den Tagen des Dynastiegründers als Domäne der Ptolemäer galt, endgültig aus deren Einflussbereich heraus. Pikanterweise leitete der Senat seinen Rechtsanspruch wieder einmal vom Testament eines Herrschers – diesmal des dortigen Königs Ptolemaios Apion († 96 v. Chr.) – ab.18 Die psychischen Auswirkungen auf die Stimmung sowohl in den führenden Kreisen des Reiches am Nil als auch in der Bevölkerung von Alexandria dürfen nicht unterschätzt werden; die an sich schon schwache Stellung Ptolemaios’ XII. wurde durch diese Ereignisse sicherlich weiter destabilisiert.

Alsbald geriet Ägypten selbst ins Fadenkreuz römischer Politik: Kein Geringerer als Caesar – damals noch kurulischer Ädil – suchte 65 mittels eines Volksbeschlusses ein außerordentliches Imperium übertragen zu bekommen, um Ägypten zu besetzen und als römische Provinz einzurichten. Schon damals stachen ihm der Reichtum Ägyptens und die günstige Lage offenbar derart ins Auge, dass er, unterstützt von Crassus, das Reich am Nil zur Ausgangsbasis seines Machtkampfs mit den Optimaten machen wollte. Diese durchschauten jedoch seine Absichten und durchkreuzten den Plan.19 Spätestens jetzt muss Ptolemaios XII. klar gewesen sein, dass das Schicksal seines Reiches und das seiner Person auf des Messers Schneide stand. Mit hohen Summen an Bestechungsgeldern hoffte er, die Situation zu entschärfen, zunächst allerdings ohne Erfolg. Bereits gegen Ende des folgenden Jahres brachte der Volkstribun P. Servilius Rullus ein Ackergesetz ein, das Caesar als Mitglied einer Zehnerkommission doch noch die Durchsetzung seines von den Optimaten gestoppten Vorhabens ernöglicht hätte. Es erscheint fast müßig zu sagen, dass wiederum Caesar und Crassus hinter dieser Initiative standen.20 Durch das energische Eingreifen Ciceros, der im Jahr 63 das Konsulat bekleidete, konnte allerdings diese deutlich geschicktere Attacke abgewehrt werden. Caesar wandte sich – vorerst – anderen Zielen zu.

Dies ließ wiederum Raum für seine Gegenspieler, die ihrerseits von den ptolemäischen Ressourcen zehren konnten. An erster Stelle stand sicherlich Pompeius, der seit 66 im Osten operierte, 64 das Seleukidenreich auflöste und dessen Territorium als Provinz Syria dem Imperium einverleibte. Nicht zuletzt aufgrund der geographischen Nähe signalisierte dies dem Ptolemaios das ganze Ausmaß der akuten Bedrohung durch die Begehrlichkeit Roms, und dies umso mehr, als seine Stellung von den Senatoren alles andere als hochachtungsvoll angesehen wurde. Niemand anderer als Cicero hebt fast beiläufig das schlechte Ansehen des Monarchen in den führenden Kreisen Roms hervor, indem er in seiner 63 gehaltenen zweiten Rede über das Siedlungsgesetz als nahezu einhellige Meinung des Senats konstatiert, der jetzige König – gemeint ist eben Auletes – sei weder von Herkunft König, noch habe er die Eigenschaften eines Königs.21

Auletes aber sah diesen Makel doch wohl anders, jedenfalls zeigte er sich nicht gewillt, so einfach das Feld zu räumen. Stattdessen ging er sogar in die Offensive, und da es ihm an Truppen mangelte, griff er in noch stärkerem Maße auf finanzielle Transaktionen als Mittel des politischen Kampfes zurück. Indem er nun dem Pompeius äußerst großzügige Zuwendungen für den Unterhalt seines Heeres zukommen ließ, wurde er für diesen zu einem wichtigen Partner, der umso wertvoller war, als der Senat auf ihn keinen direkten Zugriff besaß.22 So muss Pompeius zu der Erkenntnis gelangt sein, dass ein autonomes Ägypten mit Auletes an der Spitze für ihn erheblich nützlicher sei als eine vom Senat kontrollierte Provinz. Ptolemaios verstärkte diesen Eindruck bewusst, indem er dem Feldherrn als persönliches Geschenk einen goldenen Kranz im Wert von 4000 Talenten nach Damaskus sandte. Um das ganze Ausmaß des Aufwands zu begreifen, muss man sich vor Augen halten, dass allein diese Gabe im Wert etwa zwei Dritteln des jährlichen Staatshaushalts entsprach.23 Hinzu kommt die Auszeichnung mit einem solch wertvollen, im wahrsten Sinn des Wortes königlichen Präsent, dessen kultische Dimension einen Römer der späten Republik sehr wohl zum Nachdenken über die Vorteile hellenistischer Bräuche und Vorstellungen bringen konnte. Mit diesen kostenintensiven, konzertierten Aktionen gelang es Ptolemaios immerhin, die unmittelbare Gefahr zu bannen.

Von Anfang an war jedoch die Position des Königs auch im Innern nicht unumstritten. Dies zeigt schon die Tatsache, dass er erst vier Jahre nach der Machtübernahme gemäß ägyptischem Ritus inthronisiert wurde, ein Ritual, das in der alten Königsstadt Memphis praktiziert werden musste.24 Jetzt aber verschlangen die aufwendigen Maßnahmen zur Rettung des Throns vor römischen Begehrlichkeiten Unsummen an Geld, die wiederum auf die Bevölkerung des Reiches umgelegt werden mussten. Da diese nicht zuletzt wegen der ausgefeilten Verwaltung sowieso schon unter der Abgabenlast litt, verlor Kleopatras Vater im Lauf der Jahre mehr und mehr die Unterstützung seiner Untertanen, ja selbst die der Alexandriner. Gezwungenermaßen reduzierte er die Steuern etwas und griff gleichzeitig zum Mittel der Geldentwertung, indem er den Edelmetallgehalt der Münzen reduzierte und schließlich die Silbermünzen nur noch mit einem Silbersud überziehen ließ.25 Damit brachte er die Lage im eigenen Land wieder einigermaßen unter Kontrolle. Wie zu erwarten war, reichten aber selbst diese Maßnahmen nicht aus, den immensen Geldbedarf zu decken, der die Akzeptanz seiner Herrschaft in Rom garantieren sollte. Da entschloss sich Ptolemaios XII. zu einem fast schon selbstmörderischen Akt der Verzweiflung: Er lieh sich die benötigten Summen ausgerechnet bei römischen Bankiers. Wie schwer der innen- wie außenpolitische Druck auf ihm gelastet haben muss, kann man ermessen, wenn man sich die „normale“ Höhe der Zinssätze bei ähnlichen Verleihgeschäften vor Augen führt. So verliehen etwa zeitgleich römische Ritter als Geschäftsführer (procuratores) Geld an die Stadt Salamis auf Cypern zu einem Zinssatz von 48 % (!). Hinter dem Geschäft steckte kein Geringerer als Brutus, dem es als Senator ja eigentlich verboten war, Bank- und Handelsgeschäfte zu betreiben. Bezeichnenderweise kam seine Beteiligung an dem Geschäft erst heraus, als Cicero, der zu jener Zeit als Statthalter von Kilikien auch für Cypern zuständig war, den Höchstsatz für die Verzinsung von Krediten auf 12% begrenzte, was dann zur Intervention des Brutus führte.26 Einen solchen Fürsprecher aber konnte Ptolemaios XII. in Rom nicht aufweisen!

Als Auletes’ Hauptgläubiger trat nun C. Rabirius Postumus auf, Adoptivsohn und Erbe des gleichnamigen römischen Ritters. Letzterer lässt sich 89 im Stab von Pompeius’ Vater belegen, die Verbindung zu Pompeius Magnus reichte also schon eine Generation zurück. Rabirius Postumus scheint ein typischer Vertreter der publicani gewesen zu sein, jener im Deutschen oft verkürzend als Steuerpächter bezeichneten Angehörigen des Ritterstandes, die ihre Energie im Wesentlichen auf die Ausbeutung der römischen Provinzen richteten. Vielfach schlossen sie sich zu Gesellschaften (societates publicanorum) zusammen, um Aufgaben der öffentlichen Hand zu übernehmen oder Großprojekte wie etwa die Pacht von Bergwerken sowie die Eintreibung von Abgaben aller Art abzuwickeln.27 Der Geldverleih an auswärtige Herrscher war durchaus nicht unüblich in der römischen Oberschicht wie etwa die durch Cicero überlieferte Klage des kappadokischen Königs Ariobarzanes III. zeigt, der aus Furcht vor den rüden Methoden der Schuldeneintreibung unter Einsatz von römischem Militär bei ihm Zuflucht vor Geschäftsführern des Brutus suchte.28 Der Umstand, dass C. Rabirius Postumus nicht im Verbund mit anderen Standesgenossen, sondern allein als Hauptschuldner eines hellenistischen Königs auftreten konnte, wirft ein deutliches Licht auf seine herausgehobene Position im römischen Geldadel. Dabei ist es gar nicht erforderlich, dass er die gesamte Summe selbst bereitstellen musste, vielmehr steht zu vermuten, dass insbesondere Pompeius über Postumus hohe Summen investierte. Dies legt jedenfalls die Tatsache nahe, dass Pompeius über Geschäftsführer aus dem Ritterstand praktisch zur gleichen Zeit derartige Geschäfte mit dem besagten König von Kappadokien abwickelte und sich später für die Rückführung des vertriebenen Auletes einsetzte.29

Letzterer handelte nach der Devise: Wenn schon Schulden, dann doch bei den Leuten, die einen am stärksten bedrohen, und am besten gleich in solcher Höhe, dass sich die Gläubiger um das Wohl des Schuldners sorgen und ihn beschützen, weil sie ansonsten einen Totalverlust ihrer Investitionen befürchten müssen. Für diese raffinierte Vorgehensweise benötigte er nicht einmal besondere Phantasie, denn als gebildeter Makedone muss er mit der einschlägigen Geschichtsschreibung zur Diadochenzeit vertraut gewesen sein. Dort wird von ganz ähnlichen Maßnahmen des Eumenes von Kardia berichtet, der als Reichsfeldherr in den Kämpfen um die Alexandernachfolge bei seinen aufrührerischsten Unterführern solche Summen als Anleihen aufgenommen hatte, dass er sich ihrer Loyalität – wenn auch nicht aus Überzeugung, so doch aufgrund finanzieller Erwägungen – sicher sein konnte. Wollten sie ihr Geld jemals wiedersehen, mussten sie seinen Sturz um jeden Preis verhindern.30

Bald darauf erreichte Ptolemaios durch den Abschluss eines Bündnisses mit der Großmacht Rom ein lang ersehntes Ziel, zu dessen Verwirklichung kein Geringerer als Caesar entscheidend beigetragen hatte. Inzwischen hatten sich nämlich die politischen Gewichte in der römischen Metropole verschoben. Schon im Jahr vor der Anerkennung des Auletes war es zum sogenannten ersten Triumvirat gekommen, einer informellen Vereinbarung zwischen Pompeius, Crassus und Caesar. Caesars Interesse an Ägypten hatte inzwischen nachgelassen und richtete sich bereits auf Gallien; außerdem wollte er wohl seinem Verbündeten Pompeius nicht in die Quere kommen, und dieser pflegte ja besonders enge Beziehungen zu dem Ptolemäer. Entscheidend aber dürfte gewesen sein, dass – wie angedeutet – eine horrende Summe von fast 6000 Talenten (35 Mio. Denare) in Aussicht gestellt wurde, die sich Caesar mit Pompeius teilen wollte. So verschaffte er in seinem Konsulatsjahr 59 nicht nur Pompeius die Anerkennung von dessen Neuordnung im Osten, er sorgte auch für die Aufnahme des Auletes unter die Freunde und Bundesgenossen des römischen Volkes (amici et socii populi Romani31