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Aus dem amerikanischen Englisch von Ursula Pesch und Anja Lerz
Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel 101 Essays That Will Change The Way You Think bei Thought Catalog Books, a division of The Thought & Expression Co., Williamsburg, Brooklyn
© Brianna Wiest, 2016
Für die deutsche Ausgabe:
© Piper Verlag GmbH, München 2022
Covergestaltung: Büro Jorge Schmidt, München, nach einem Entwurf von KJ Parish
Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)
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In seinem Buch Eine kurze Geschichte der Menschheit erklärt Dr. Yuval Noah Harari, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht nur die Vertreter der Gattung Homo sapiens die Erde bevölkerten,[1] sondern dass es wahrscheinlich sechs verschiedene Gattungen gab: Homo sapiens, Homo neanderthalensis, Homo soloensis, Homo erectus usw.
Es gibt einen Grund dafür, dass der Homo sapiens noch heute existiert und die anderen Gattungen sich nicht weiterentwickelt haben: den präfrontalen Cortex, auf den wir anhand von Skelettstrukturen schließen können. Im Wesentlichen besaßen wir die Fähigkeit, komplexer zu denken, und waren somit in der Lage, zu organisieren, zu kultivieren, zu lehren, zu üben, Gewohnheiten auszubilden und eine für unser Überleben taugliche Welt an die nächsten Generationen weiterzugeben. Mit unserem Vorstellungsvermögen konnten wir die Erde praktisch aus dem Nichts so gestalten, wie sie heute ist.
In gewisser Weise ist die Vorstellung, dass Gedanken die Realität erschaffen, mehr als nur eine nette Idee. Sie ist auch ein Fakt der Evolution. Sprache und Denken ermöglichten es uns, in unseren Köpfen eine Welt zu erschaffen, und letztlich haben die Sprache und das Denken uns den Weg zur Entwicklung unserer heutigen Gesellschaft geebnet … im Guten wie im Schlechten.
Fast alle großen Meister, Künstler, Lehrer, Erfinder und im Allgemeinen zufriedene Menschen konnten ihren Erfolg auf eine ähnliche Erkenntnis zurückführen: Sie hatten verstanden, dass sie ihre Denkweise ändern mussten, um ihr Leben ändern zu können.
Ebendiesen Menschen verdanken wir auch einige der ältesten Weisheiten: dass der Glaube Berge versetzt, dass der Verstand beherrscht werden muss und dass das Hindernis der Weg ist.[2] Oft macht ein großes empfundenes Unbehagen eine neue Denkweise notwendig, die wir uns nie zuvor hätten vorstellen können. Dieses neue Bewusstsein schafft Möglichkeiten, die es nicht geben würde, wären wir nicht gezwungen worden, etwas Neues zu lernen. Warum entwickelten unsere Vorfahren Ackerbau, gesellschaftliche Strukturen, die Medizin und dergleichen? Um zu überleben.
Anders gesagt: Wenn du die »Probleme« in deinem Leben als Möglichkeiten betrachtest, um ein tieferes Verständnis zu erlangen und eine bessere Lebensweise zu entwickeln, wirst du den Weg aus dem Labyrinth des Leids finden und erfahren, was es heißt, gut und erfolgreich zu leben.
Ich glaube, dass es für uns Menschen grundlegend ist, zu lernen, wie man denkt. Basierend darauf lernen wir, zu lieben, zu teilen, zusammenzuleben, zu tolerieren, zu geben, zu erschaffen usw. Ich glaube, unsere oberste und wichtigste Pflicht besteht darin, das Potenzial, mit dem wir geboren wurden, zu verwirklichen – uns selbst, aber auch der Welt zuliebe.
Allem, was ich schreibe, liegt unausgesprochen zugrunde: »Diese Idee hat mein Leben verändert.« Denn es sind Ideen, die das Leben verändern – und genau das war die erste Idee, die meines veränderte.
Brianna Wiest
Jede Generation hat eine Art »Monokultur«, ein vorherrschendes Muster oder Glaubenssystem, das sie unbewusst als »Wahrheit« akzeptiert.
Die »Monokultur« Deutschlands in den 1930er-Jahren zu erkennen oder die Amerikas im Jahr 1776, ist leicht. Es ist klar, was die Menschen in jenen Zeiten und an jenen Orten für »gut« und »wahr« hielten, obwohl es das in Wirklichkeit keinesfalls immer war.
Es ist schwer, die Objektivität zu entwickeln, die es braucht, um die Auswirkungen der gegenwärtigen Monokultur zu erkennen. Sobald man eine Idee als »Wahrheit« akzeptiert hat, nimmt man sie nicht mehr als »kulturell geprägt« oder »subjektiv« wahr.
Ein großer Teil unserer inneren Zerrissenheit beruht darauf, dass wir nicht das Leben führen, das wir uns eigentlich wünschen, weil wir unbewusst ein inneres Narrativ dessen akzeptiert haben, was »normal« und »ideal« ist.
Die Glaubenssätze jeder Monokultur drehen sich gewöhnlich um das, wofür wir leben sollten (Nation, Religion, Selbst usw.), und sie bringen uns dazu, uns selbst im Weg zu stehen, während wir versuchen, voranzukommen.
Hier acht der verbreitetsten (Irr-)Glaubenssätze:
1 Du glaubst, dass du, um das für dich beste Leben führen zu können, Folgendes tun musst: entscheiden, was du willst, und dich dann dafür einsetzen. In Wirklichkeit bist du aber psychisch gar nicht in der Lage,[3] vorherzusehen, was dich glücklich machen wird.
Dein Gehirn kann nur wahrnehmen, was es kennt. Deshalb basieren deine Wünsche für die Zukunft lediglich auf vergangenen Lösungen oder vergangenen Idealen. Wenn die Dinge nicht so laufen, wie du es willst, dann glaubst du, es liege nur daran, dass du nicht in der Lage warst, etwas neu zu erschaffen, was du für erstrebenswert gehalten hast. In Wirklichkeit hast du wahrscheinlich etwas Besseres, jedoch Fremdes erschaffen, das dein Gehirn deswegen als »schlecht« eingeordnet hat. (Und die Moral von der Geschichte: Im Augenblick zu leben, ist kein den Zen-Buddhisten und Erleuchteten vorbehaltenes erhabenes Ideal. Es ist die einzige Möglichkeit, ein Leben zu leben, das nicht von Illusionen durchdrungen ist. Es ist das Einzige, was dein Gehirn tatsächlich verstehen kann.)
2 Du glaubst, dass Erfolg etwas ist, wozu wir »gelangen«. Deswegen versuchst du ständig, eine Momentaufnahme von deinem Leben zu machen und zu sehen, ob du bereits glücklich bist.
Du redest dir ein, dass jeder einzelne Moment repräsentativ für dein gesamtes Leben ist. Da wir darauf gepolt sind, zu glauben, Erfolg sei etwas, wozu wir gelangen – wenn Ziele erreicht sind und etwas vollendet ist –, beurteilen wir die gegenwärtigen Augenblicke ständig danach, wie »vollendet« sie sind, wie gut unsere Geschichte klingt, wie andere uns beurteilen würden. Wir ertappen uns bei dem Gedanken »Ist das alles?«, weil wir vergessen, dass alles vergänglich ist und kein einziger Moment das Ganze zusammenfassen kann. Wir »gelangen« nirgendwohin. Das Einzige, worauf wir zusteuern, ist der Tod. Ziele zu erreichen, ist nicht gleichbedeutend mit Erfolg. Es kommt darauf an, wie stark wir uns bei diesem Prozess entwickeln.
3 Du setzt deinem »Bauchgefühl« folgend voraus, dass Glück »gut« ist und Angst und Schmerz »schlecht« sind.
Wenn du überlegst, etwas zu tun, was du wirklich liebst und was dir sehr am Herzen liegt, wirst du ein gewisses Maß an Angst und Schmerz empfinden, weil dein Engagement dich verletzlich macht. Du solltest dich von negativen Gefühlen nicht abschrecken lassen. Sie sind auch ein Hinweis darauf, dass du etwas tust, was lohnenswert ist, was dir jedoch gleichzeitig Angst macht. Wenn du etwas nicht tun willst, ist es dir gleichgültig. Angst = Interesse.
4 Du erzeugst unnötig Probleme und Krisen in deinem Leben, weil du Angst hast, es wirklich zu leben.
Bei dem Muster, unnötig Krisen in deinem Leben zu erzeugen, handelt es sich genau genommen um eine Vermeidungstaktik. Diese schützt dich davor, verletzlich zu sein oder für das, wovor du Angst hast, zur Verantwortung gezogen zu werden. Du glaubst, den Grund deiner Verärgerung zu kennen, aber da liegst du falsch. Du erzeugst Probleme, weil du ganz einfach Angst hast, der zu sein, der du bist, und das Leben zu leben, das du dir wünschst.
5 Du glaubst, dass du dir eine neue Denkweise aneignen musst, um deine Überzeugungen ändern zu können, statt Erfahrungen zu suchen, die diese neue Denkweise nahelegen.
Eine Überzeugung ist das, was du durch Erfahrung als wahr erkannt hast. Wenn du dein Leben ändern willst, musst du deine Überzeugungen ändern. Wenn du deine Überzeugungen ändern willst, dann geh hinaus in die Welt und mach Erfahrungen, die diese Überzeugungen für dich real werden lassen. Nicht umgekehrt.
6 Du glaubst, »Probleme« seien Hürden, die dich daran hindern, das Gewünschte zu erreichen, obwohl sie doch in Wirklichkeit Wege dorthin sind.
Mark Aurel fasst dies wunderbar zusammen: »Das Hindernis zum Handeln treibt das Handeln voran. Was im Weg steht, wird zum Weg.« Stößt du auf ein Problem, so musst du handeln, um es zu lösen. Dieses Handeln wird dich unweigerlich dazu bringen, anders zu denken, dich anders zu verhalten und anders zu entscheiden. Das »Problem« wird zum Impulsgeber, das Leben zu verwirklichen, das du dir gewünscht hast. Es drängt dich aus deiner Komfortzone, mehr nicht.
7 Du glaubst, dass deine Vergangenheit dich definiert, ja schlimmer noch, dass sie eine unveränderbare Realität ist. Doch in Wirklichkeit ändert sich deine Wahrnehmung der Vergangenheit, während du dich änderst.
Da Erleben immer mehrdimensional ist, gibt es eine Vielzahl von Erinnerungen, Erfahrungen, Gefühlen, »Kernpunkten«, die du dir ins Gedächtnis rufen kannst, und das, was du wählst, deutet auf deine aktuelle Gefühlslage hin. Sehr viele Menschen lassen es zu, dass die Vergangenheit sie definiert oder verfolgt, weil sie ganz einfach nicht zu der Erkenntnis gelangt sind, dass die Vergangenheit sie nicht davon abgehalten, sondern es ihnen vielmehr ermöglicht hat, das Leben zu realisieren, das sie sich wünschen. Das heißt nicht, dass wir schmerzliche oder traumatische Ereignisse ignorieren oder beschönigen sollen. Wir sollten vielmehr fähig sein, uns voller Akzeptanz an sie zu erinnern und sie als Teil unserer persönlichen Entwicklung zu verstehen.
8 Du versuchst, andere Menschen, Situationen und Dinge zu ändern (oder du beklagst dich einfach über sie/regst dich über sie auf), dabei führt Zorn doch zu Selbsterkenntnis. Die meisten negativen emotionalen Reaktionen sind darauf zurückzuführen, dass du einen abgespaltenen Aspekt deines Selbst identifizierst.
Deine »Schattenseiten« sind Persönlichkeitsanteile, die du unterdrückt und die anzuerkennen du mit aller Macht verhindert hast, weil du zu einem bestimmten Zeitpunkt darauf konditioniert wurdest, dass sie »nicht in Ordnung« sind. Doch du lehnst diese Anteile nicht wirklich ab. Und wenn du dann eine dieser Eigenschaften bei jemand anderem siehst, macht dich das nicht deshalb wütend, weil du sie grundsätzlich ablehnst, sondern weil du gegen deinen Wunsch ankämpfen musst, sie voll und ganz in dein Bewusstsein zu integrieren. Die Dinge, die du an anderen liebst, sind diejenigen, die du an dir selbst liebst. Die Dinge, die du an anderen hasst, sind diejenigen, die du bei dir selbst nicht ertragen kannst.
Die erfolgreichsten Menschen in der Geschichte – diejenigen, die viele als »Genies«, als Meister ihres Fachs bezeichnen – hatten außer ihrem Talent eines gemeinsam: Die meisten von ihnen hielten sich an strenge (und genaue) Routinen.
Feste Gewohnheiten scheinen langweilig und das Gegenteil dessen zu sein, was angeblich ein »gutes Leben« ausmacht. Glück, so schließen wir daraus, entsteht aus dem ständigen Streben nach »mehr«, egal, was dieses »Mehr« beinhaltet. Wir begreifen jedoch nicht, dass feste Gewohnheiten nicht bedeuten, jeden Tag dieselbe Anzahl an Stunden im selben Büro zu sitzen. Deine Routine könnte die sein, jeden Monat in ein anderes Land zu reisen. Sie könnte darin bestehen, dich routinemäßig nicht an eine bestimmte Routine zu halten. Der Punkt ist nicht, worin die Gewohnheit besteht, sondern wie stabil und sicher dein Unterbewusstsein durch wiederholte Abläufe und erwartete Ergebnisse wird.
Es spielt keine Rolle, wie du dein Alltagsleben gestalten möchtest, maßgeblich ist, dass du eine Entscheidung triffst und dich dann an sie hältst. Kurz gesagt: Gewohnheiten sind wichtig, weil sie einen bestimmten Gemütszustand erzeugen und der Gemütszustand entscheidend für dein Wohlbefinden ist. Abgesehen davon: Wenn du dich von Impulsivität leiten lässt, ist dies ein Nährboden für alles, was du im Grunde nicht willst.
Bei den meisten Dingen, die uns wahrhaft glücklich machen, handelt es sich nicht einfach um temporäre, unmittelbare Belohnungen, sie sind auch mit Widerständen verbunden und erfordern Opfer. Doch du kannst das Gefühl, »Opfer« bringen zu müssen, auflösen, wenn du deine Aufgaben als »etwas Normales« betrachtest oder Widerstände mithilfe von Regeln überwindest. All dies zeigt, warum feste Gewohnheiten so wichtig sind (und glückliche Menschen sich in der Regel eher an sie alten).
1 Deine Gewohnheiten bestimmen deine Gefühlslage, und deine Gefühlslage ist ein Filter, durch den du dein Leben erfährst.
Du denkst vielleicht, dass deine Gefühlslage durch Gedanken oder Stressoren erzeugt wird, durch Dinge, die im Lauf des Tages auftreten und dich aus dem Gleichgewicht bringen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Der Psychologe Robert Thayer behauptet, dass Stimmungen durch unsere Gewohnheiten erzeugt werden: dadurch, wie viel wir schlafen, wie oft wir uns bewegen, was wir denken, wie oft wir es denken usw. Der Punkt ist: Nicht der einzelne Gedanke sorgt dafür, dass wir völlig durch den Wind sind, sondern es ist die ständige Wiederholung dieses Gedankens, die dessen Wirkung verstärkt und seinen Inhalt wahr erscheinen lässt.
2 Du musst lernen, den Tag von deinen bewussten Entscheidungen bestimmen zu lassen – nicht von deinen Ängsten oder Impulsen.
Ein ungezähmter Geist ist ein Minenfeld. Ohne Regeln, Fokus, eine solide Basis oder Selbstkontrolle kann dich alles dazu verleiten, zu glauben, dass du etwas willst, was du in Wirklichkeit gar nicht willst. »Ich möchte heute Abend einen trinken gehen und mich nicht auf die morgige Präsentation vorbereiten« scheint auf kurze Sicht ein zulässiger Wunsch zu sein, ist auf lange Sicht jedoch verhängnisvoll. Ein superwichtiges Meeting in den Sand zu setzen, nur weil du einen trinken gehen willst, lohnt sich vermutlich nicht. Wenn du lernst, feste Gewohnheiten zu entwickeln, lernst du, dich von deinen bewussten Entscheidungen, wie dein Tag aussehen sollte, leiten zu lassen und den ganzen anderen zeitweiligen Mist zu ignorieren.
3 Glück erwächst nicht daraus, wie viel du tust, sondern daraus, wie gut du es tust.
Mehr ist nicht besser. Glück heißt nicht, etwas anderes zu erleben, sondern das, was man bereits hat, ständig auf neue und andersartige Weise zu erleben. Da man uns lehrt, dass jeder unserer Gedanken und Schritte, jede unserer Entscheidungen von Leidenschaft getragen werden sollte, werden wir im Grunde von der Angst beherrscht, dass wir unglücklich sind, weil wir nicht »genug« tun.
4 Wenn du dein tägliches Handeln in ordentliche Bahnen lenkst, deaktivierst du deine »Kampf oder Flucht«-Instinkte, weil du nicht länger dem Unbekannten gegenüberstehst.
Warum haben wir so große Schwierigkeiten mit Veränderungen, und warum erleben Menschen mit festen Gewohnheiten so viel Freude? Weil ihre Angstinstinkte lange genug ausgeschaltet sind, um etwas tatsächlich genießen zu können.
5 Kindern vermittelt Routine ein Gefühl der Sicherheit, Erwachsenen ein Gefühl der Sinnhaftigkeit.
Interessanterweise sind sich diese beiden Gefühle ähnlicher, als man denken würde (zumindest haben sie denselben Ursprung). Beide haben mit der Angst vor dem Unbekannten zu tun: Als Kinder wissen wir nicht, wo es nach links geht, geschweige denn warum wir leben und ob etwas, was wir noch nie zuvor getan haben, beängstigend oder schädlich sein wird oder nicht. Wenn Dinge im Erwachsenenalter zur Routine geworden sind, können wir uns mit der einfachen Vorstellung trösten: »Ich weiß, wie ich es tun muss. Ich habe es schon einmal getan.«
6 Du bist zufrieden, weil Gewohnheiten Entscheidungen, die du bereits getroffen hast, immer wieder bestätigen.
Wenn du entschieden hast, dass du ein Buch schreiben möchtest – und du verpflichtest dich, jeden Abend drei Seiten zu schreiben, egal, wie lange es dauert –, bekräftigst du nicht nur deine Entscheidung, damit zu beginnen, sondern auch deine Fähigkeit, es zu tun. Es ist ungelogen die gesündeste Art, sich bestätigt zu fühlen.
7 Während dein Körper sich selbst reguliert, wird Routine der Weg zum »Flow«.[4]
»Flow« ist im Grunde das, was passiert, wenn wir in unserem Tun so aufgehen, dass sich alle Gedanken oder Sorgen auflösen und wir einfach vollkommen auf unsere Aufgabe konzentriert sind. Je mehr du deinen Körper auf bestimmte Gewohnheiten trainierst – 7 Uhr aufwachen, 14 Uhr mit dem Schreiben beginnen usw. –, desto leichter kommst du auf ganz natürliche Weise in den Flow.
8 Wenn wir keine festen Gewohnheiten haben, bringen wir uns selbst bei, »Angst« als Indikator für unser falsches Verhalten zu sehen statt dafür, dass uns das Ergebnis sehr wichtig ist.
Ein Mangel an Routine ist einfach ein Nährboden für ständiges Zögern. Er verschafft unserem Unterbewusstsein Raum, zu sagen: »Du kannst jetzt eine Pause einlegen«, wenn wir in Wirklichkeit eine Deadline haben. Doch wenn wir daran gewöhnt sind, zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Pause zu machen, lassen wir dies schlicht deswegen zu, weil »wir es immer tun«.
Emotionale Intelligenz ist vielleicht die machtvollste, aber in unserer Gesellschaft am meisten unterschätzte Fähigkeit.
Wir glauben, dass unser Alltagshandeln von Logik und Vernunft bestimmt werden sollte, doch egal, ob wir lange nachdenken oder nur ganz kurz, wir gelangen immer zu denselben Schlüssen.[5] Unsere politischen Entscheidungsträger übersehen völlig das menschliche Element unserer soziopolitischen Probleme, und ich brauche nicht die Scheidungsrate anzuführen, um deutlich zu machen, dass wir nicht die richtigen Partner wählen (und auch nicht die Fähigkeit besitzen, enge Beziehungen über längere Zeiträume aufrechtzuerhalten).
Wir Menschen scheinen zu glauben, dass es das Intelligenteste sei, überhaupt keine Gefühle zu haben. Und dass effektiv sein bedeute, eine Maschine zu sein, ein Produkt dieses Zeitalters. Ein gut geölter, konsumdienlicher, digital versierter, äußerst ahnungsloser, aber offenkundig funktionsfähiger Roboter. Und so leiden wir.
Schauen wir einmal die Gewohnheiten der Menschen an, die fähig sind, sich ihrer Gefühle bewusst zu sein. Die wissen, wie sie ihre Erfahrungen ausdrücken, verarbeiten, auseinandernehmen und korrigieren können, da sie selbst die Kontrolle darüber haben. Sie sind die wahren Leader und leben ein sehr erfülltes und authentisches Leben. Und eben sie sollten wir uns zum Vorbild nehmen. Emotional intelligente Menschen tun Folgendes nicht:
1 Sie gehen nicht davon aus, dass ihre Art, über eine Situation nachzudenken und sie zu empfinden, der Realität entspricht.
Sie erkennen, dass ihre Emotionen Reaktionen sind und keine exakten Gradmesser dessen, was vor sich geht. Sie akzeptieren, dass diese Reaktionen möglicherweise mit ihren eigenen Problemen zusammenhängen und nicht mit der objektiven Situation.
2 Sie wissen, dass sie die Verantwortung für ihre Emotionen tragen.
Nicht andere sind für ihre Emotionen und damit für die Lösung ihrer Probleme verantwortlich. Die Erkenntnis, dass sie letzten Endes selbst verantwortlich für das sind, was sie erleben, bewahrt sie davor, in die Falle der zornigen Passivität zu tappen: dem Glauben zu verfallen, dass das Universum einen Fehler gemacht hat und es diesen letztlich auch korrigieren muss.
3 Sie nehmen nicht an, dass sie wissen, was sie wirklich glücklich machen wird.
Da unser einziger Bezugsrahmen vergangenes Geschehen ist, vermögen wir nicht zu sagen, was uns wirklich glücklich machen würde. Wir können uns nur von dem, was uns an der vergangenen Erfahrung missfallen hat, »befreit« fühlen. Da emotional intelligente Menschen dies verstehen, öffnen sie sich für jede Erfahrung, die das Leben für sie bereithält, in dem Wissen, dass alles seine guten und seine schlechten Seiten hat.
4 Sie glauben nicht, dass ihre Ängste ein Zeichen dafür sind, dass sie sich auf dem falschen Weg befinden.
Gleichgültigkeit ist ein Zeichen dafür, dass wir uns auf dem falschen Weg befinden. Angst bedeutet, dass wir versuchen, uns auf etwas zuzubewegen, was wir lieben, wobei uns jedoch unsere alten Überzeugungen oder nicht verarbeiteten Erfahrungen im Weg stehen (oder sich wieder melden, um verarbeitet zu werden).
5 Sie wissen, dass Glücklichsein eine Wahl ist, verspüren jedoch nicht das Bedürfnis, sie ständig zu treffen.
Sie geben sich nicht der Illusion hin, dass »Glück« ein andauernder Zustand der Freude ist. Sie lassen sich Zeit, alles, was sie erleben, zu verarbeiten. Sie erlauben es sich, so zu sein, wie sie sind. Diese Widerstandslosigkeit verleiht ihnen Zufriedenheit.
6 Sie lassen nicht zu, dass andere über ihr Denken entscheiden.
Sie erkennen, dass sie aufgrund der sozialen Konditionierung und des ewigen menschlichen Gedankenkarussells oft von Gedanken, Überzeugungen und Denkweisen beeinflusst werden können, die eigentlich nie ihre waren. Um dem entgegenzuwirken, machen sie eine Bestandsaufnahme ihrer Überzeugungen, denken über deren Ursprung nach und entscheiden, ob ihnen dieser Bezugsrahmen wirklich weiterhilft oder nicht.
7 Sie begreifen, dass unfehlbare Gelassenheit nicht gleichbedeutend ist mit emotionaler Intelligenz.
Sie halten ihre Gefühle nicht zurück und versuchen auch nicht, sie so zu mäßigen, dass sie beinahe verschwunden sind. Sie sind jedoch in der Lage, ihre emotionalen Reaktionen zurückzuhalten, bis sie sich in einer Umgebung befinden, in der sie ihre Gefühle ohne Weiteres zum Ausdruck bringen können. Sie unterdrücken sie nicht, sondern managen sie effektiv.
8 Sie wissen, dass ein Gefühl sie nicht umbringen wird.
Sie haben genug Ausdauer und Bewusstsein entwickelt, um zu wissen, dass alle Dinge, selbst die schlimmsten, vorübergehen.
9 Sie schließen nicht einfach mit jedem enge Freundschaften.
Sie verstehen, dass Vertrauen und Intimität etwas ist, das man aufbaut und nicht mit jedem teilen möchte. Sie sind nicht zurückhaltend oder verschlossen, sondern achten nur darauf, wen sie in ihr Leben und ihr Herz lassen. Sie sind freundlich zu allen, aber nur wenigen gegenüber wirklich offen.
10 Sie verwechseln ein schlechtes Gefühl nicht mit einem schlechten Leben.
Sie vermeiden es, vom derzeitigen Moment auf die vorhersehbare Zukunft zu schließen, und glauben nicht, dass der derzeitige Moment repräsentativ für ihr gesamtes Leben ist, sondern vielmehr eine weitere vorübergehende Erfahrung. Emotional intelligente Menschen erlauben sich ihre »schlechten« Tage. Sie erlauben es sich, ganz Mensch zu sein. In dieser Widerstandslosigkeit finden sie den größten Frieden.
Es ist interessant, darüber nachzudenken, wie Menschen, die uns einmal alles bedeutet haben, wieder bedeutungslos für uns werden. Wie wir lernen, sie zu vergessen. Wie wir das Vergessen erzwingen. Wodurch wir sie in der Zwischenzeit ersetzen. Das verrät uns oft mehr als die Beziehung selbst – Leid lehrt uns schneller als Freude. Doch was bedeutet es, wenn wir wieder zu Fremden werden? Wir hören dadurch nie wirklich auf, einander zu kennen. Vielleicht haben wir keine andere Wahl, als den Betreffenden im Geiste zu jemand anderem zu machen, zu jemandem, der nicht unsere täglichen Ängste kannte, nicht wusste, wie wir nackt aussehen, was uns zum Weinen bringt und wie sehr wir ihn liebten.
Wenn unser Leben um einen Menschen kreist, hört dies nicht einfach auf, selbst wenn uns nur noch gewisse Erinnerungen an ihn geblieben sind – Erinnerungen an Orte, die wir besucht, Dinge, die wir gesagt, und Songs, die wir gehört haben.
Wir stehen alle irgendwann in der Schlange vor der Supermarktkasse, hören einen jener Songs und erkennen, dass unsere Gedanken wieder um diesen Menschen kreisen. Vielleicht haben sie auch nie aufgehört, dies zu tun.
Vergisst du wirklich je die Geburtstage deiner Geliebten und alle ersten Male, die intimen und nicht intimen? Werden deine Jahrestage je wieder zu normalen Tagen? Werden die Dinge, die du getan, und die Versprechen, die du gegeben hast, wirklich je bedeutungslos? Werden sie jetzt, nachdem du dich getrennt hast, nichtig, oder ignorierst du sie bewusst, weil du einfach keine andere Wahl hast? Der Verstand hält dich vermutlich dazu an und zwingt das Herz, seinem Beispiel zu folgen.
Ich möchte glauben, dass man jemanden entweder für immer auf eine gewisse Art liebt oder ihn nie wirklich geliebt hat. Dass sich zwei reaktive Chemikalien unweigerlich ändern, wenn sie sich kreuzen. Dass die Wunden, die wir bei Menschen hinterlassen, manchmal zu tief sitzen, um das Risiko einzugehen, sie wieder aufzureißen. Ich möchte nicht glauben, dass wir einander abschreiben, weil wir uns einfach nichts mehr bedeuten. Ich weiß, dass Liebe unentbehrlich ist. Ich frage mich (und hoffe vielleicht), ob es uns je aus der Not heraus gelingen wird, sie entbehrlich zu machen.
Vielleicht ist es einfach so, dass wir alle den Mittelpunkt unseres eigenen kleinen Universums bilden, das sich manchmal mit dem anderer Menschen überschneidet, und dass diese kleine Überschneidung zur Veränderung führt. Der Zusammenprall kann uns zugrunde richten, uns verändern, einen Wandel herbeiführen. Manchmal werden wir eins, zu anderen Zeiten widerrufen wir das, weil das Hinwegtrösten über den Verlust dessen, was wir zu kennen glaubten, letztlich die Oberhand gewinnt.
Wie auch immer, du wirst dich zwangsläufig entwickeln und schließlich sehr viel mehr über die Liebe und das, was sie anrichten kann, wissen, über den Schmerz, den nur das Loch in deinem Herzen, der freie Platz in deinem Bett und der leere Sessel mit sich bringen können. Ich weiß nicht, ob es in diesem Loch je wieder einen Platz für die Person geben wird, die diesen Schmerz verursacht hat. Und auch nicht, ob irgendein anderer je an jemanden heranreichen kann, der so tiefe Spuren bei uns hinterlassen hat.
Zu Beginn sind wir alle Fremde füreinander. Die Entscheidungen, die wir in Bezug auf die Liebe treffen, scheinen in der Regel ohnehin unausweichlich zu sein. Wir finden Menschen gegen jede Vernunft unwiderstehlich. Wir finden Seelenverwandte. Wir finden Klassenkameraden und Partner und Nachbarn und Familienfreunde und Cousins und Schwestern, und unser Leben überschneidet sich manchmal so, dass wir meinen, diese Menschen wären nie von uns getrennt gewesen. Und das ist schön. Doch es sind nicht Leichtigkeit und Vertrautheit, wonach wir uns sehnen. Darüber schreibe ich hier nicht. Nicht sie sind es, worum unsere Gedanken kreisen, wenn diese Menschen nicht mehr da sind. Wir warten alle nur darauf, dass ein anderes Universum mit unserem zusammenstößt und ändert, was wir selbst nicht ändern können. Wenn der Sturm sich wieder gelegt hat, werden wir die Sterne mit anderen Augen sehen. Wir wissen nur nicht und können nicht beeinflussen, wer das für uns bewirken kann.
Zu Beginn sind wir alle Fremde füreinander, doch wir vergessen, dass wir selten entscheiden, wer auch am Ende wieder ein Fremder für uns sein wird.
Auch wenn du vielleicht nicht weißt, was jemanden zu einem sozial intelligenten Menschen macht, so hast du wahrscheinlich schon diese Art von sozialer Unsensibilität erlebt, die einen im besten Fall frustriert und im schlimmsten Fall körperliches Unbehagen hervorruft.
Umgangsformen sind kulturelle soziale Intelligenz. Doch die traditionelle »Höflichkeit« scheint ihren Reiz zu verlieren – viele glauben wohl, dass sie, wenn sie sich höflich verhalten, ihre Persönlichkeit zugunsten eines einheitlichen Verhaltens aufgeben. Einerseits wollen wir auf eine für beide Seiten angenehme Weise miteinander umgehen, andererseits sollten wir unsere Authentizität nicht zugunsten eines höflichen Nickens oder freundlichen Lächelns opfern. Beides schließt sich jedoch nicht gegenseitig aus.
Sozial intelligente Menschen denken und verhalten sich auf eine Weise, die in jedem Moment über das, was kulturell akzeptabel ist, hinausgeht. Sie schaffen es – ohne sich selbst zu verlieren –, mit anderen so zu kommunizieren, dass diese sich wohlfühlen. Das ist natürlich die Grundlage von Beziehungen, das, was wir als wünschenswert empfinden und was uns aufblühen lässt.
Folgendes sind die Haupteigenschaften sozial intelligenter Menschen:
1 Sie versuchen nicht, jedem, mit dem sie eine Unterhaltung führen, eine starke emotionale Reaktion zu entlocken.
Sie kommunizieren nicht auf eine Weise, die ihre Leistungen herausstellt und bei anderen Ehrfurcht hervorruft, und sie übertreiben auch nicht ihre Nöte, um anderen Mitgefühl zu entlocken. Denn derartige Übertreibungen vermitteln anderen ein Gefühl des Unbehagens, weil sie sich unter Druck gesetzt fühlen, eine emotionale Reaktion zeigen zu müssen.
2 Sie machen keine endgültigen Aussagen über Menschen, Politik oder Ideen.
Der einfachste Weg, unintelligent zu klingen, ist der, zu sagen: »Diese Idee ist falsch.« (Die Idee mag für dich falsch sein, doch sie existiert, weil sie für jemand anderen richtig ist.) Intelligente Menschen sagen: »Ich persönlich verstehe diese Idee nicht oder stimme ihr nicht zu.« Endgültige Aussagen über Ideen oder Personen zu machen, heißt, blind für die Vielzahl an möglichen Perspektiven zu sein. Dies ist die Definition von Engstirnigkeit und Kurzsichtigkeit.
3 Sie weisen nicht sofort jegliche Kritik von sich und zeigen auch keine so starke emotionale Reaktion, dass sie unnahbar werden oder sich jeder Veränderung verschließen.
Es ist äußerst schwierig, Beziehungen mit Menschen zu führen, die sich schon durch den leisesten Hinweis darauf, ihr Verhalten sei verletzend, so bedroht fühlen, dass sie letztlich wütend auf die sich äußernde Person werden und damit das Problem nur noch verstärken. Sozial intelligente Menschen hören sich Kritik an, bevor sie reagieren – unmittelbare, völlig unreflektierte emotionale Reaktionen zeugen nur von Abwehr.
4 Sie verwechseln ihre Meinung über jemanden nicht mit einer Tatsache.
Sozial intelligente Menschen sagen nicht: »Er ist ein Scheißkerl«, als wäre dies eine Tatsache. Vielmehr sagen sie: »Ich hatte ein negatives Erlebnis mit ihm, bei dem ich mich sehr unwohl gefühlt habe.«
5 Sie verallgemeinern das Verhalten anderer nicht zu stark.
Sie sagen nicht: »Du machst immer«, oder: »Du machst nie«, wenn sie einen Punkt verdeutlichen wollen. Und sie leiten ihre Argumente mit »Ich habe das Gefühl« statt mit »Du bist« ein. Sie tun dies, weil sie ihr Gegenüber durch die Wahl einer nicht als bedrohlich empfundenen Sprache am ehesten dazu bringen, sich für ihre Perspektive zu öffnen, und sie so einen Dialog schaffen, der tatsächlich zu der gewünschten Änderung führt.
6 Sie drücken sich präzise aus.
Sie sagen, was sie sagen wollen, ohne drum herumzureden. Sie sprechen ruhig, fassen sich kurz, sind achtsam und wählen eine einfache Sprache. Sie konzentrieren sich darauf, etwas mitzuteilen, und nicht darauf, bloß eine Reaktion von anderen zu erhalten.
7 Sie wissen, wie man sich auf gesunde Art und Weise abgrenzt.
Mit anderen Worten: Sie wissen, dass die Welt sich nicht um sie dreht. Sie sind fähig, jemandem zuzuhören, ohne sich Sorgen darüber zu machen, dass irgendeine Aussage des anderen einen Affront gegen sie darstellt. Sie sind in der Lage, sich von ihren eigenen Projektionen zu lösen, und versuchen zumindest, die Perspektive anderer zu verstehen, ohne davon auszugehen, dass sie mit ihrer eigenen übereinstimmen muss.
8 Sie versuchen nicht, anderen ihr Nichtwissen vorzuhalten.
Wenn du jemandem vorwirfst, dass er sich irrt, verstärkst du seine Abwehrhaltung und verhinderst, dass er sich mit einer anderen Perspektive befasst. Stattdessen könntest du zuerst seinen Standpunkt anerkennen (»Das ist interessant. So habe ich das nie gesehen …«), dann deine eigene Meinung präsentieren (»Etwas, was ich kürzlich gelernt habe, ist …«) und den anderen anschließend wissen lassen, dass er nach wie vor etwas zur Unterhaltung beitragen kann, indem du ihn nach seiner Meinung fragst (»Was hältst du davon?«). So bringst du dein Gegenüber dazu, eine Unterhaltung zu führen, bei der ihr beide etwas lernen könnt, statt einfach nur eure Ansichten zu verteidigen.
9 Sie erkennen die Gefühle anderer Menschen an.
Die Gefühle anderer Menschen anzuerkennen, heißt, sie zu akzeptieren, ohne sie mithilfe einer logischen Argumentation abzutun, sie zu leugnen oder den Versuch zu unternehmen, sein Gegenüber umzustimmen (zum Beispiel: »Ich bin heute traurig.« – »Das solltest du aber nicht, dein Leben ist großartig!«). Der entscheidende Fehler in diesem Zusammenhang ist, dass Gefühle anzuerkennen nicht dasselbe ist, wie Ideen anzuerkennen. Es gibt viele Ideen, die nicht anerkannt werden müssen und die Anerkennung auch nicht verdienen, aber alle Gefühle verdienen es, gesehen, anerkannt und respektiert zu werden. Jemandes Gefühle anzuerkennen, heißt, anzuerkennen, wer er wirklich ist, auch wenn man selbst anders reagieren würde.
10 Sie erkennen, dass ihre »Schattenseiten« jene Eigenschaften, Verhaltensweisen und Muster sind, über die sie sich bei anderen ärgern.
Der Hass, den man gegen einen falsch informierten Politiker empfindet, könnte eine Projektion der eigenen Angst sein, nicht intelligent oder qualifiziert genug zu sein. Das starke Missfallen, das ein besonders passiver Freund bei einem hervorruft, könnte mit der eigenen Neigung zusammenhängen, anderen Macht in seinem Leben einzuräumen. Nicht immer gibt es eine offensichtliche Verbindung, doch sie ist stets vorhanden, wenn eine starke emotionale Reaktion im Spiel ist. Wenn du etwas wirklich ablehnen würdest, würdest du dich einfach davon frei machen.
11 Sie debattieren nicht mit Menschen, die nichts lernen, sondern nur gewinnen wollen.
Du kannst erkennen, dass dies der Fall ist, wenn Leute anfangen, Streitpunkte zu suchen, oder sich auf schäbige Logik verlegen, nur um den Eindruck zu erwecken, dass sie die Oberhand haben. Sozial intelligente Menschen wissen, dass nicht jeder kommunizieren, lernen, wachsen oder Kontakte herstellen will – und versuchen dementsprechend nicht, andere dazu zu zwingen.
12 Sie hören zu, um zu hören, nicht um zu reagieren.
Während sie anderen zuhören, konzentrieren sie sich auf das Gesagte, nicht darauf, wie sie reagieren werden, was auch die Metapraktik des »Raumgebens« genannt wird.
13 Sie posten nichts online, was sie nicht, ohne dass es ihnen peinlich wäre, einem Elternteil zeigen oder einem Kind erklären würden. Und auch nichts, von dem sie nicht wollen würden, dass ihr Arbeitgeber es liest.
Abgesehen davon, dass es früher oder später zu einem dieser Dinge, wenn nicht gar zu allen, kommen wird: Etwas zu posten, wohinter du nicht voll und ganz stehst, heißt, dass du nicht ehrlich zu dir selbst bist (du handelst im Namen des Teils von dir, der möchte, dass andere Menschen ihn anerkennen).
14 Sie richten nicht darüber, was wahr ist.
Sie sagen nicht: »Du irrst dich.« Sie sagen: »Ich glaube, dass du dich irrst.«
15 Sie »vergiften den Brunnen« nicht und greifen auch nicht zu Scheinargumenten, um einen Standpunkt zu widerlegen.
»Den Brunnen vergiften« bedeutet, dass man den Charakter einer Person angreift, um die Aufmerksamkeit von einem (möglicherweise sehr stichhaltigen) Argument abzulenken. Wenn zum Beispiel jemand, der drei Schokoriegel pro Tag isst, sagt: »Ich glaube nicht, dass es für Kinder gesund ist, jeden Tag zu viele Schokoriegel zu essen«, würde ein sozial intelligenter Mensch nicht erwidern: »Du solltest dich an die eigene Nase fassen.« Er wäre vielmehr in der Lage, die Aussage des Betreffenden objektiv zu betrachten. In der Regel sind die Menschen, die besonders von einem Problem betroffen sind, am ehesten in der Lage, sich freimütig dazu zu äußern (selbst wenn das oberflächlich betrachtet scheinheilig wirken kann).
16 Die engste Beziehung haben sie zu sich selbst, und daran arbeiten sie unermüdlich.
Sozial intelligente Menschen verstehen, dass ihre Beziehung zu allen anderen eine Erweiterung ihrer Beziehung zu sich selbst darstellt.