Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2022
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Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn
Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn
Alle Rechte vorbehalten.
Erscheinungsjahr dieser E-Book-Ausgabe: 2022
ISBN der Printausgabe: 978-3-7495-0324-7
ISBN dieses E-Books: 978-3-7495-0325-4 (EPUB), 978-3-7495-0327-8 (PDF), 978-3-7495-0326-1 (EPUB für Kindle).
Das Leben bürdet uns allen die eine oder andere Last auf. Wir werden mit unterschiedlichsten Herausforderungen konfrontiert und erleben von Zeit zu Zeit Rückschläge. Viele Erlebnisse stecken wir gut weg und wundern uns vielleicht sogar darüber, wie gut wir damit zurechtkommen, wie zuverlässig wir weiterhin „funktionieren“. Und dann gibt es Erfahrungen, die tiefe Wunden hinterlassen und nicht einfach so abgeschüttelt werden können. Sie verfolgen uns, machen uns Angst und rauben uns die Lebensfreude.
Trauma bewältigen richtet sich an alle, die eine oder mehrere solcher schweren Belastungen mit sich tragen. Dabei ist es nicht relevant, wie „schlimm“ das Ereignis objektiv war. Selbst (von außen betrachtet) wenig dramatische Erfahrungen können ihre Spuren hinterlassen. Maßgebend ist allein der persönliche Leidensdruck.
Ein und dasselbe Erlebnis kann von einem Menschen gut verarbeitet werden, während ein anderer lange darunter leidet. Und selbst wenn ein Ereignis in einer bestimmten Lebensphase problemlos bewältigt werden kann, wirft etwas ähnlich Erlebtes in einer anderen Lebensphase diesen Menschen vielleicht komplett aus der Bahn.
Welche Auswirkungen belastende Lebensereignisse auf uns haben, hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab. Als Traumatherapeutin möchte ich ein bisschen Licht in den „Trauma-Dschungel“ bringen. Ich möchte vermitteln, was genau man unter einem Trauma versteht, welche körperlichen und seelischen Veränderungen ein Trauma bewirkt und woran Sie erkennen können, ob eine sogenannte Traumafolgestörung vorliegt. Sie werden zudem erfahren, was Traumatherapie ist und auf welchem Weg ein Trauma mit Unterstützung eines Therapeuten oder einer Therapeutin1 überwunden werden kann.
Natürlich braucht nicht jeder Traumabetroffene eine Therapie. Oft reicht es aus, die Selbstheilungskräfte wirken zu lassen. Auch dafür bietet dieses Buch Informationen, Übungen und Anregungen. Man kann selbst eine Menge dafür tun, die Verarbeitung des Traumas zu unterstützen. Jederzeit können Sie damit anfangen, Ihre Resilienz zu stärken, Ihr Wohlbefinden zu verbessern und Ihr Leiden zu lindern. Dabei erfolgt die Wirkung zwar oft sehr „kleinschrittig“ (selten bewirkt eine Übung eine sofortige Verbesserung Ihres inneren Zustands), aber auch in kleinen Schritten kann es gelingen, auf dem gewünschten Weg vorwärts zu kommen.
Das zweite Ziel dieses Buches besteht darin, Ihnen ein „Begleiter“ zu sein. Wenn Sie gerade eine Traumatherapie machen oder dies beabsichtigen, dann kann dieses Buch ein Kompass für den Verlauf der Therapie sein. Ihr persönlicher „Traumatherapie-Begleiter“ kann Ihnen Informationen darüber geben, was auf Sie zukommen wird, wo Sie sich gerade befinden und auch, welche Prozesse in Ihrer Seele und in Ihrem Gehirn während der Therapie ablaufen.
Die Traumatherapiemethode, die hier beschrieben wird, nennt sich „RebiT“ (Resilienz-und bindungsorientierte Traumatherapie). Ich habe sie nach mehrjähriger Erfahrung in der Behandlung von traumatisierten Patienten2 entwickelt. Sie orientiert sich an den allgemeinen traumatherapeutischen Leitlinien. Das Besondere an dieser Methode ist, dass sie sehr klar strukturiert und sowohl für Klientinnen als auch für Therapeuten gut anwendbar sowie „schonend“ ist. Denn eines vorweg: Bei einer Traumatherapie geht es nicht darum, so tief wie möglich noch einmal in das Erleben „hineinzugehen“, sondern eher im Gegenteil: Dosiert und gut begleitet wird das Geschehene noch einmal betrachtet, um Körper und Seele zu helfen, es zu verarbeiten. Vielleicht kann Ihnen das ein wenig Angst nehmen. Durch RebiT wird Ihnen nichts abverlangt, was Sie überfordern könnte.
Bei der Lektüre des Buches werden Sie eine ganz wichtige Entdeckung machen:
Sie selbst sind der wichtigste Schlüssel für das Vorankommen in der Therapie. Je mehr Sie sich vor und während der Therapie damit beschäftigen, was Sie selbst tun können und wie Sie den Heilungsprozess in den unterschiedlichen Phasen unterstützen können, desto besser.
Auch wenn in diesem Buch die RebiT-Methode Grundlage ist, können Sie die beschriebenen Impulse und Übungen auch dann anwenden und davon profitieren, wenn in Ihrer Therapie eine andere Traumatherapiemethode angewandt wird. Die Wissensgrundlagen sind dieselben und Sie werden entdecken, dass sich auch bestimmte „Behandlungselemente“ ähnlich sind.
Ich erlaube mir während der Begleitung durch dieses Buch das persönlichere „Du“. Sollten wir uns einmal im realen Leben begegnen, müssen wir das nicht fortführen, aber hier schafft es meinem Empfinden nach eine vertrauensvollere Basis und ich hoffe, Sie erleben es ebenso.
Und zu guter Letzt noch der Hinweis: Sie dürfen Fragen stellen! Gerne können Sie mich auf meiner Website http://www.seelenworkout.de besuchen und mich unter info@seelenworkout.de anschreiben. Ich freue mich, von Ihnen zu lesen.
Herzlichst,
Ihre Alice Romanus-Ludewig
1 Zugunsten der besseren Lesbarkeit wechseln sich die weibliche und die männliche Form der Personenbezeichnungen in lockerer Folge ab und es erfolgt keine konstante Genderschreibweise. In jedem Fall sind alle Geschlechter mit einbezogen. Der Verlag bittet um Verständnis.
2 Im Text wechsele ich zwischen den Bezeichnungen Patient / Patientin und Klientin / Klient ab. Formal werden Menschen in Therapie als „Patient / Patientin“ bezeichnet, Klientin / Klient betont jedoch die Gleichberechtigung von Behandelndem und Behandeltem.
Es hat sich gezeigt, dass es bei Traumafolgestörungen nicht reicht, „nur“ über das Geschehene zu sprechen. Oft ist es Betroffenen auch gar nicht möglich, es in Worte zu fassen. Erinnerst du dich noch an den Vergleich mit den Puzzleteilen oder dem zerschlagenen Spiegel? Das traumatische Erlebnis ist nicht als zusammenhängendes Ganzes abgespeichert, sondern in „Einzelteilen“. Und genau das ist das Problem: Da unser „normales Gedächtnis“ (Hippocampus) keine zersplitterten, sondern nur zusammenhängende Erinnerungen als „aus und vorbei“ abspeichert, kann das Trauma nicht richtig einsortiert und „abgehakt“ werden. Es bleibt wie in einer Art Zwischenlager präsent und fühlt sich so an, als ob es immer noch ganz „frisch und aktuell“ wäre.
Bei einem Trauma, das von alleine ausheilt, hat das Gehirn den anfänglich „unverdaulichen Brocken“ im Laufe der Zeit Stück für Stück verarbeitet. Schafft unser Gehirn das allerdings nicht, braucht es ein wenig „Nachhilfe“ durch eine Traumatherapie.
Die Traumatherapie ermöglicht es, das Unverdauliche doch noch zu verdauen, damit es sich endlich wie „aus und vorbei“ anfühlen kann. Es gibt Übungen, die du selbst machen kannst, ich stelle dir im Laufe dieses Buches eine Reihe davon vor. Wenn ich dir traumatherapeutische Techniken vorstelle, die nur im Rahmen einer Therapie anwendbar sind, weise ich dich zu deinem Schutz ausdrücklich darauf hin. So kannst du schon eine Menge allein tun, um die bessere Verarbeitung deines Traumas zu fördern, und bekommst zusätzlich Informationen über das, was möglicherweise in einer Therapie auf dich zukommt.
Warum ein Trauma nicht unverarbeitet bleiben soll, hängt mit deiner Lebensqualität zusammen. Führe dir noch einmal die Folgen eines unverarbeiteten Traumas vor Augen: ständige sich aufdrängende Erinnerung an das furchtbare Erlebnis, Gefühl der Leere und Bedrückung, Gleichgültigkeit, Nervosität und Anspannung. Halten solche Symptome länger an, überlagern sie deine Lebensfreude. Du kämpfst mit den Traumafolgen und verlierst deine eigentlichen (Lebens-)Ziele aus den Augen. Beziehungen erfahren eine enorme Belastung und es besteht die Gefahr, dass die Symptomatik chronisch wird.
Solltest du also das Gefühl haben, unter Traumafolgestörungen zu leiden, möchte ich dich ermutigen, dir Hilfe zu holen. Am Ende dieses Buches findest du eine Liste mit weiterführenden Ressourcen. Dort habe ich dir auch ein paar Anlaufstellen aufgeführt, die dich unterstützen können.
Die Traumatherapie-Techniken sind kein Hokuspokus, sondern wirken ganz gezielt im Gehirn, um ihm bei der „Verdauung“ des Traumas zu helfen. Da – wie schon erwähnt – das alleinige „Darüber-Reden“ nicht immer hilft, gehen die traumatherapeutischen Techniken darüber hinaus. Bevor ich zu diesen speziellen Techniken ausführlicher komme, möchte ich erst einmal beschreiben, wie eine Traumatherapie aufgebaut ist. Wenn du vor der Entscheidung stehst, ob du eine Therapie machen möchtest bzw. brauchst, oder wenn deine Therapie bald beginnt, dann kann dir diese Übersicht mehr Sicherheit und Klarheit vermitteln (vgl. auch Abbildung 2.1).
Abbildung 2.1: Der Traumatherapiezirkel (BF = Big Five)
Eine Traumatherapie besteht aus drei Abschnitten bzw. Phasen:
Bevor sich Betroffene eingehender mit dem traumatischen Geschehen beschäftigen können, ist es wichtig, wieder eine ausreichende psychische Stabilität zu erreichen. Wer wegen schon länger bestehender Traumafolgestörungen eine Therapie beginnt, hat oft auch im Alltag mit diversen Problemen zu kämpfen. Extreme Nervosität und Schlafstörungen, reizbares und impulsives Verhalten gegenüber Mitmenschen, mangelndes Interesse an Aktivitäten und / oder ein Sichzurückziehen sind nicht selten. Bei manchen Betroffenen ist die Stimmung so schlecht, dass sich ein Gefühl der Sinnlosigkeit einstellt und der Blick in die Zukunft eher trüb ausfällt. Das alles gefährdet die innere Stabilität und den Halt im Leben.
Eine direkte Beschäftigung mit dem Trauma ist belastend und setzt eine gewisse Stabilität voraus. Deswegen ist die Reihenfolge sinnvoll: Erst wieder stabiler werden, dann kann das Aufarbeiten des Traumas erfolgen. Dieser „sinnvolle Umweg“ irritiert oder überrascht manche Klientinnen in der Therapie, weil sie die Erwartung haben, dass es von Anfang an um das Trauma gehen wird.
Man kann das Vorgehen in einer Traumatherapie mit einer anstehenden Operation vergleichen: Stell dir vor, jemand hat sich nach einem Unfall eine Verletzung zugezogen. Vielleicht befindet sich noch ein Fremdkörper in der Wunde und diese eitert heftig und schmerzt. Das Ganze hat die Betroffene inzwischen so in Mitleidenschaft gezogen, dass sie unter Schlafstörungen und Appetitlosigkeit leidet und wegen der Schmerzen kaum noch aus dem Haus geht. Bei einer ärztlichen Untersuchung wird festgestellt, dass extrem hohe Entzündungswerte vorliegen, die Blutwerte sind völlig aus dem Lot. Es ist klar, dass eine Operation ansteht, um den Fremdkörper zu entfernen, aber natürlich wird der Arzt entscheiden, erst einmal den gesamten Organismus so zu stärken (mit Infusionen, Antibiotika o. Ä.), dass eine Operation gut verkraftet werden kann und das Immunsystem gut funktioniert.
In ähnlicher Weise braucht eine traumatisierte Person auch erst einmal „Soforthilfe“. Es sind meistens die durch die Traumatisierung ausgelösten Alltagsprobleme, die die Betroffenen zur Therapeutin führen.
In der Stabilisierungsphase werden Übungen erlernt, die genau diese „Soforthilfe“ leisten sollen. Die Übungen bieten Unterstützung bei der Lösung von Alltagsproblemen von Traumabetroffenen. Wir haben die typischen Symptome schon betrachtet (siehe Abschnitt 1.2): sich aufdrängende schmerzhafte Traumaerinnerungen, Gefühle von Leere und Bedrückung, Vermeidungsverhalten und Übererregung. Die Stabilisierungsübungen können helfen, diese Symptome zu lindern. Da die PTBS-Symptome oft mit dem Gefühl von Kontrollverlust und Ohnmacht einhergehen, dienen sie dazu, wieder mehr Einfluss auf den eigenen Gefühlszustand und die eigenen Reaktionen zu gewinnen. Therapeuten wenden in dieser Phase keine Techniken an Patientinnen an, sondern die Übungen werden gemeinsam mit dem Betroffenen eingeübt, sodass sie auch alleine zu Hause umsetzbar sind.
Wie genau die einzelnen Übungen aussehen und wozu sie dienen, erfährst du in Teil II dieses Buches.
Wenn alles gut läuft, hast du jetzt genug Stabilität, um dich in den Therapiestunden mit dem eigentlichen traumatischen Ereignis zu befassen. Warum das? Warum kann es sich lohnen, sich noch einmal mit dem Schrecklichen zu befassen? Weil sich die meisten Traumaforscher darin einig sind und es auch durch Studien bestätigt wird, dass ein Erinnern und Schildern des traumatischen Erlebnisses (mithilfe traumatherapeutischer Techniken) dabei hilft, das Trauma zu verarbeiten.
Man könnte es auch so formulieren: Die Traumakonfrontation hilft dem Gehirn, das traumatische Ereignis „normal“ abzuspeichern, es als „aus und vorbei“ anzusehen. Geschieht dies nicht, fühlt es sich weiterhin so an, als ob das Trauma immer noch geschieht oder jederzeit wieder geschehen könnte.
Um dem Gehirn diese „Nachhilfe“ beim Verarbeiten des Traumas zu geben, sind einige Dinge zu beachten: Es ist notwendig, das Trauma noch einmal an die Oberfläche zu holen und den genauen Ablauf zu rekonstruieren, allerdings in einem gut vorbereiteten und geschützten Rahmen. Dazu gehört, dass deine Therapeutin an deiner Seite ist und dir hilft, all das auszuhalten, was im Zusammenhang mit den Erinnerungen an die Oberfläche kommt. Es gehört auch dazu, dass du eine Beobachterperspektive einnimmst und beim Schildern des traumatischen Ereignisses etwas Distanz zum Geschehen behältst. Dadurch soll vermieden werden, dass du noch einmal in das Trauma „hineinfällst“ und dich völlig hilflos und ohnmächtig fühlst. Gerade diese Distanz und die therapeutische Begleitung haben einen heilenden Effekt.
Das klingt jetzt vielleicht kompliziert für dich und tatsächlich sind die psychologischen und neurobiologischen Vorgänge komplex. Aber das Entscheidende ist, dass du ein gutes Vertrauensverhältnis zu deinem Therapeuten aufbauen konntest, du ausreichend stabil bist und eine der fundierten und wirksamen Traumatherapietechniken angewandt wird. Scheue dich nicht, in der Therapie Fragen zu dem geplanten Vorgehen zu stellen oder Ängste zur Sprache zu bringen!
Eine nähere Beschreibung, wie die Traumakonfrontation nach der RebiT-Methode abläuft, findest du in Kapitel 5.
Wenn du die Phase der Traumakonfrontation durchlaufen hast, liegt schon ein entscheidendes Stück Traumaverarbeitung hinter dir. Du wirst allmählich spüren, dass sich das innere Chaos lichtet, du kannst deinen Alltag immer besser bewältigen und wirst immer seltener von Symptomen der PTBS blockiert. Meistens geschieht diese Erleichterung nicht plötzlich, sondern allmählich.
In dieser Phase berichten Traumabetroffene häufig davon, dass sie Trauer empfinden. Trauer über das, was nun abgeschlossen wurde. Trauer über das, was nicht rückgängig gemacht werden kann und was unwiederbringlich ist (z. B. eine unbeschwerte Kindheit). Das ist eine normale Reaktion auf ein Trauma, das immer auch einen Verlust bedeutet. In dieser Phase kann dich die Therapeutin darin unterstützen, diese Trauer zuzulassen, sie zu verstehen und zu akzeptieren. Du bekommst in deiner Therapie auch Impulse und zugleich Begleitung, um deine Trauer auszudrücken, z. B. durch das Schreiben eines Briefes oder durch ein bestimmtes Ritual. (Konkrete Ideen dazu erhältst du in Abschnitt 7.2).
Ist die Trauerphase abgeschlossen, besteht das Ziel darin, die Fixierung auf das Trauma aufzulösen, damit du wieder freier wirst und nach vorne blicken kannst. Deswegen macht es in dieser Phase Sinn, eigene Wünsche und Bedürfnisse zu klären und sich zu fragen: Wie geht es weiter? Was ist jetzt nach der Verarbeitung des Traumas wieder möglich?
Am Ende der Therapie wirst du spüren, dass die Erinnerung an das Trauma zwar noch gelegentlich belastend ist, du aber insgesamt besser mit diesem Teil deines Lebens umgehen kannst. Deine traumatische Erfahrung ist nicht mehr lebensbestimmend, sondern ein abgeschlossener Teil deiner Vergangenheit.
Diese Frage kann man direkt nach einem Trauma noch nicht sicher beantworten. In den ersten Wochen kann man nur eines tun: für eine möglichst stressarme und unterstützende Umgebung sorgen.
Und natürlich ist das Allerwichtigste, sich in Sicherheit zu bringen. Das bedeutet zum Beispiel bei von anderen Menschen verursachten Traumata diese Menschen zu meiden. Das klingt einfach, kann aber herausfordernd sein, zum Beispiel, wenn es in der Partnerschaft zu einem gewalttätigen Übergriff kam und man jetzt einen klaren Schnitt machen muss.
Bei Traumata – zumindest in der akuten Phase – ist es nicht hilfreich, zu häufig und mit zu vielen unterschiedlichen Menschen über das Trauma zu sprechen. Am besten ist es, sich einigen wenigen Menschen mitzuteilen, die wirklich unterstützend und vertrauenswürdig sind.
Hast du ein Trauma erlebt, kannst du nach den ersten Wochen beobachten, ob die typischen Symptome (s. o.) abnehmen, zunehmen oder gleich bleiben. Nehmen sie ab, kannst du weiter abwarten, anscheinend ist der innere Heilungsprozess wirksam.
Bleiben die Symptome jedoch unvermindert stark oder nehmen sogar zu, solltest du nicht zu lange damit warten, dir therapeutische Unterstützung zu holen. Manchmal muss das gar nicht eine komplette Therapie sein, es helfen unter Umständen auch schon ein paar unterstützende, beratende Gespräche. Manchmal ist aber der Selbstheilungsprozess blockiert oder zumindest ins Stocken geraten. Dann kann eine Traumatherapie weiterhelfen, weil sie sehr gezielt wirkt. Entscheidend ist auch die Frage, wie stark du unter den Folgen des Traumas leidest. Wenn du dich in deiner allgemeinen Lebensqualität, Lebensfreude oder der Beziehung zu anderen Menschen stark beeinträchtigt fühlst, wirst du eher Hilfe suchen.
Mutmacher
Du musst dein Trauma nicht alleine bewältigen, wir alle brauchen gelegentlich Unterstützung durch andere. Hole dir Hilfe bei Menschen, denen du vertraust, und falls nötig auch professionelle Hilfe.
Es ist allgemein bekannt, dass die Suche nach einem Psychotherapeuten nicht einfach ist. Lange Wartelisten und Wartezeiten haben fast alle Psychotherapeuten und natürlich ist nicht jede Therapeutin auf Traumatisierungen spezialisiert. Liegt eine Traumafolgestörung vor, ist es wichtig, dass der Therapeut in der Behandlung von Traumata kompetent ist. Deshalb rate ich dazu, gleich am Telefon das Trauma zu erwähnen, auch wenn es schwerfällt, mit einer fremden Person darüber zu sprechen. Es ist gar nicht nötig, in Details zu gehen, aber wichtig, es zu erwähnen. Und ich rate sogar dazu, explizit danach zu fragen, ob Therapeutinnen eine traumaspezifische Aus- bzw. Weiterbildung durchlaufen haben und die von ihnen angewandten Methoden benennen können. Du musst nicht erst Spezialkenntnisse erwerben oder dir einzelne Methoden einprägen. Lass Dir –entweder beim Erstkontakt am Telefon oder bei der ersten Probesitzung – erklären, wie eine Behandlung abläuft, damit du dir das ganz konkret vorstellen kannst.
Achte darauf, dass folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
Es gibt viele empathische und engagierte Therapeuten und Therapeutinnen. Aber natürlich spielen Kompetenz und nicht zuletzt die Chemie zwischen Klienten und Behandelndem eine entscheidende Rolle. Unter diesem Gesichtspunkt haben jeder Therapeut und jede Therapeutin auch „Schwächen“. Vielleicht merkst du beispielsweise, dass deine Therapeutin einer anderen Generation angehört als du und manche deiner Probleme nicht adäquat nachvollziehen kann. Dann ist entscheidend, ob sie sich zumindest bemüht, dich zu verstehen, und ihr eine gute Basis für die gemeinsame Arbeit findet.
Vielleicht stört dich bei einem Therapeuten die Art, wie er sich ausdrückt, oder du wünschst dir eine Therapeutin, die herzlicher ist oder aber mehr Distanz vermittelt.
Es ist nicht einfach zu entscheiden, ob du langfristig mit einem bestimmten Persönlichkeitstypus oder speziellen Eigenarten des Therapeuten zurechtkommst oder ob sich deine Vorbehalte auf etwas gründen, was gegen eine Therapie bei diesem Therapeuten spricht.
Zur Orientierung möchte ich dir ein paar „No-Gos“ an die Hand geben, die ganz sicher gegen einen Therapeuten sprechen:
No-Gos:
Ausnahme: Ein Handschlag zur Begrüßung ist natürlich in Ordnung (sofern die Corona-Bestimmungen dies zulassen) und es gibt auch bestimmte indizierte Berührungen im Rahmen psychotherapeutischer Techniken zum Beispiel zur „Reorientierung“ bei dissoziativen Zuständen (siehe hier). Ein professionell arbeitender Traumatherapeut wird das Vorgehen aber immer vorher erklären und nach der Einwilligung des Klienten fragen wie zum Beispiel „Darf ich Sie einmal kurz am Arm berühren, um Ihnen zu helfen, wieder ganz im Hier und Jetzt zu sein?“.
Zudem gibt es die sogenannte Körpertherapie. Hier können Berührungen als Mittel der nonverbalen Kommunikation genutzt werden. Zum Beispiel in Form von Massage können sie dann den Klienten beruhigen, Ausdruck von Fürsorge sein und das Vorankommen in der Therapie fördern. Im Gegensatz zur Körpertherapie werden Gesprächspsychotherapien aber grundsätzlich ohne Berührungen durchgeführt.
Hab bitte den Mut, Störendes in der Therapie anzusprechen. An der Reaktion des Therapeuten merkst du, ob er dich ernst nimmt und darauf eingeht.
Und noch ein wichtiger Tipp: Vergiss nicht, dass auch ein Therapeut frei entscheiden darf, wem er einen Therapieplatz anbietet. Auch er bemüht sich um eine möglichst gute „Passung“. Untersuchungen haben gezeigt, dass der Erfolg einer Therapie von dieser „Passung“ erheblich beeinflusst wird. Auf einer Wellenlänge zu sein macht das gemeinsame Arbeiten leichter.
INFOKASTEN
Neurowissenschaftler (Bilek, 2020) haben die „gemeinsame Wellenlänge“, die der Volksmund schon sehr lange kennt, nun auch nachgewiesen. Es gibt Menschen, deren Gehirne bei einer Begegnung ähnliche Aktivitätsmuster produzieren. Voilà, da sind sie, die „Wellenlängen“!
Es kann also gute Gründe dafür geben, dass entweder du dich selbst oder die Therapeutin sich nach einem oder mehreren Vorgesprächen doch gegen eine gemeinsame Arbeit entscheidet. Das ist nicht als „Misserfolg“ zu verbuchen, sondern als etwas ganz Normales. Verliere nicht den Mut, suche kontinuierlich weiter, dann wird es früher oder später passen.
Im Laufe meiner Arbeit beschäftigte mich wiederholt die Frage, was uns Menschen seelisch gesund hält bzw. welche Faktoren den größten Einfluss auf unsere seelische Gesundheit haben: Was stärkt uns und was schadet uns? Ich habe dann die Faktoren, die während meiner praktischen Tätigkeit immer wieder offenkundig waren, als „Schlagworte“ zusammengefasst und daraus das sogenannte AMOS-Prinzip entwickelt.
Die Abkürzung AMOS steht für die wichtigsten Prinzipien, die uns bei seelischen Problemen helfen. Sie beschreiben die Grundhaltung, die unsere Weiterentwicklung ermöglichen:
Aktivität und Selbstverantwortung sind der Veränderungsmotor.
Menschen sind für Menschen das wichtigste Heilmittel.
Optimismus trainieren hebt die Stimmung.
Selbstakzeptanz bringt Stabilität.
Aktivität und Selbstverantwortung sind der Veränderungsmotor
Menschen, denen etwas Schlimmes angetan wurde oder die von einer Naturkatastrophe, einem Unfall oder einer schweren Krankheit betroffen sind, erleben sich verständlicherweise als Opfer. Sie sind wehrlos gegen die Umstände. Eine Folge davon kann sein, dass Passivität und Opferhaltung auch das Leben nach dem Trauma dominieren. Doch ohne Aktivität ist keine Veränderung möglich. Manchmal wundern wir uns, dass sich trotz glasklarer Erkenntnisse über unsere Probleme und deren Ursachen nichts bewegt. Doch die reine Analyse eines Problems hilft allein nicht weiter. Wir müssen den ersten konkreten Schritt tun (und dann den zweiten usw.). In diesem Kontext geht es mir also um eine Grundhaltung von „Opfer sein“, die über eine reale Opfererfahrung hinausgeht. Manchmal kann es sehr schwer sein, nach einer Erfahrung, in der man definitiv das Opfer war, wieder in eine Haltung der Selbstverantwortung hineinzufinden. Hier gilt es anzuerkennen, dass die erfahrenen Verletzungen der Vergangenheit angehören und nicht unsere Gegenwart bestimmen müssen: Wir haben die Möglichkeit loszulassen, was uns emotional schwächt.
Menschen sind für Menschen das beste Heilmittel
Wir sind soziale Wesen. Gute Beziehungen, regelmäßige, belebende soziale Kontakte halten uns gesund, während Einsamkeit krank machen kann. Die Corona-Krise ist das beste Beispiel dafür: Die lange erzwungene Isolation hat die Anzahl der Menschen mit psychischen Störungen in die Höhe getrieben. Daher frage dich:
Wo stehst du? Wie viele Freundschaften und Bekanntschaften hast du und wie oft finden die Kontakte statt? Wie ist die Qualität der Beziehungen? Was tust du für die Qualität der Beziehungen? Manchmal ist es wichtig, sich erstmals überhaupt ein soziales Netz aufzubauen.
Optimismus trainieren hebt die Stimmung
Ebenso wie wir unsere sozialen Fähigkeiten trainieren können, können wir auch unseren Optimismus trainieren. Das klingt allerdings zugegebenermaßen einfacher, als es ist. Pessimistische Denkstrukturen und eine negative Grundstimmung können sowohl seit frühester Kindheit an „mitgewachsen“ sein als auch aus einzelnen oder mehreren traumatischen Erfahrungen resultieren. Dann wurzeln sie tief im Inneren des Menschen. Eine Traumatherapie kann dann bei der Verarbeitung helfen. Aber unabhängig davon, wie es zu einer pessimistischen Grundhaltung gekommen ist: Wir können immer etwas dafür tun, unsere Stimmung ein bisschen zu verbessern.
Selbstakzeptanz bringt Stabilität
Hast du einmal darauf geachtet, wie du mit dir selbst redest? Ich meine damit nicht, dass du laut Selbstgespräche führen sollst. Aber in Gedanken plappern wir Menschen ständig vor uns hin: Wir bewerten uns und andere. Und oftmals sind wir anderen gegenüber nachsichtiger als gegenüber uns selbst. Wir akzeptieren uns nicht so, wie wir sind, mit all unseren Stärken und Schwächen. Immer meinen wir, dass wir noch mehr leisten müssten. Auch eine traumatische Erfahrung kann die Selbstakzeptanz erheblich schmälern, vor allem wenn sie Folge von demütigenden Begebenheiten mit anderen Menschen ist. Dann erscheint die Selbstablehnung regelrecht „zementiert“ zu sein. Wir sind nicht mehr offen für neue und bessere Erfahrungen. Es ist dringend notwendig, etwas dafür tun, dass unsere Selbstakzeptanz wächst. Wir können zum Beispiel ein Bewusstsein dafür entwickeln, wie wir mit uns und über uns reden. Und wir können uns zur Wehr setzen, wenn andere uns abwerten. Wir können liebevoll und fürsorglich mit uns umgehen und alle unsere Seiten wertschätzen und mit ihren jeweiligen Potenzialen sehen.
In meinem Buch Workout für die Seele (2020) habe ich diese vier Bausteine für seelische Gesundheit bzw. Gesundung, die die Essenz meiner Psychotherapieerfahrung sind, mit den Ergebnissen zu Studien zum Thema Resilienz (vgl. Infokasten „Resilienz“) verglichen. Das Ergebnis war, dass sich die vier Bausteine – wenn auch unter etwas anderen Begriffen – bei den allgemein nachgewiesenen Resilienzfaktoren wiederfinden. Das verwundert nicht: Was uns seelisch gesund erhält (resilient macht), ist dasselbe, das uns bei Auftreten von Symptomen wieder gesunden lässt. Was in Therapien wirkt, wirkt auch außerhalb. Es sind immer wieder dieselben Themen, die wichtig für unsere seelische Gesundheit, für unsere Balance sind.
INFOKASTEN
Resilienz
Als Resilienz bezeichnet man unsere seelische Widerstandsfähigkeit. Man kann einen resilienten Menschen mit einem Material vergleichen, welches biegsam ist und gleichzeitig widerstandsfähig. Es verformt sich zwar unter großem Druck, bricht aber nicht. Wenn die Belastung bzw. der Druck vorbei ist, nimmt das Material wieder seine ursprüngliche Form an. Auf uns Menschen bezogen: Wir reagieren natürlich auf widrige Umstände, aber wir können uns davon wieder erholen und bleiben trotz allem seelisch gesund.
Ich möchte dich dazu ermutigen, deine Probleme aktiv anzugehen und für den weiteren Verlauf deines Lebens Verantwortung zu übernehmen. Indem du dir zum Beispiel professionelle Hilfe suchst und konkret überlegst, wie du Impulse aus diesem Buch auf dein Leben überträgst, bist du schon auf dem richtigen Weg.
Nimm dir dabei bewusst Zeit, ein tragfähiges soziales Netz zu knüpfen und zu pflegen. Damit tust du auch schon automatisch etwas für eine positive Grundstimmung. Was stimmt dich noch glücklich?