3Amrei Bahr/Kristin Eichhorn/Sebastian Kubon
#IchBinHanna
Prekäre Wissenschaft in Deutschland
Suhrkamp
Zur optimalen Darstellung dieses eBook wird empfohlen, in den Einstellungen Verlagsschrift auszuwählen.
Die Wiedergabe von Gestaltungselementen, Farbigkeit sowie von Trennungen und Seitenumbrüchen ist abhängig vom jeweiligen Lesegerät und kann vom Verlag nicht beeinflusst werden.
Zur Gewährleistung der Zitierfähigkeit zeigen die grau gerahmten Ziffern die jeweiligen Seitenanfänge der Printausgabe an.
Um Fehlermeldungen auf den Lesegeräten zu vermeiden werden inaktive Hyperlinks deaktiviert.
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2022
Der vorliegende Text folgt der Erstausgabe, 2022.
Erste Auflage 2022
edition suhrkamp
Sonderdruck
Originalausgabe
© Suhrkamp Verlag AG, Berlin, 2022
Alle Rechte vorbehalten.Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks
für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.
Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten.
Wir behalten uns auch eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von
§ 44b UrhG vor.
Für Inhalte von Webseiten Dritter, auf die in diesem Werk verwiesen wird, ist stets
der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich, wir übernehmen dafür keine Gewähr.
Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine Haftung
des Verlags ist daher ausgeschlossen.
Umschlag gestaltet nach einem Konzept
von Willy Fleckhaus
Umschlagillustration: Sylvia Wolf Illustrationen
eISBN 978-3-518-77295-9
www.suhrkamp.de
In diesem Tweet vom 10. Juni 2021 wurde zum ersten Mal der Hashtag #IchBinHanna (noch in der nicht barrierefreien Version) genutzt. Dass er zur Blaupause für viele #IchBinHanna-Tweets werden würde, war an diesem Donnerstag, wenn überhaupt, höchstens eine kühne Hoffnung. Zum Ausdruck kam in dieser Anklage vielmehr vor allem der persönliche, spontane und tiefe Ärger über die sich im Hanna-Video ausdrückende Ge8ringschätzung, mit der hochmotivierte und kreative Wissenschaftler*innen als »Verstopfung« und somit als Verschleißmaterial bezeichnet werden. Aber auch darüber, dass man offensichtlich glaubte, mit einem derart ungeschickten Video sogar noch Zustimmung zu diesem Regime einwerben zu können. Es ging bei diesem ersten Tweet bzw. unseren ersten Tweets darum zu zeigen, dass unter dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), das von entfristeten Beamt*innen und konservativen Wissenschaftspolitiker*innen verteidigt, ja sogar gerühmt wird, nicht nur die Wissenschaft an sich leidet, sondern eine Vielzahl individueller Wissenschaftler*innen, konkrete Menschen (und deren Angehörige), deren Lebensläufe davon zutiefst beeinträchtigt werden.
Es hat uns positiv überrascht, dass sich so viele Kolleg*innen – davon viele unter Klarnamen – beteiligt haben. Das zeigt aber zugleich, dass die Prekarisierung der Wissenschaft so weit vorangeschritten ist, dass die Strukturen inzwischen für viele Menschen unerträglich geworden sind. Abgesehen davon, dass faire Arbeitsbedingungen gerade für staatliche Arbeitgeber einen Wert an sich darstellen sollten, zeigte sich, dass viele Betroffene in der Wissenschaft überhaupt keinen Zusammenhang mehr erkennen können zwischen Leistung, Engagement und Erfolg auf der einen Seite sowie Karrieremöglichkeiten oder zumindest einer halbwegs planbaren Perspektive auf der anderen. Die Hochschulen scheinen sich in einen Bereich verwandelt zu haben, in dem akademische Meriten für ein Fortkommen nicht länger hinreichend sind.
9Wir, die Urheber*innen des Hashtags, haben uns über Twitter durch die Vorläuferaktion #95vsWissZeitVG kennengelernt. Dabei wurden am Reformationstag 2020 spontane Unmutsäußerungen über die verwahrloste Arbeitskultur im Wissenschaftssystem kanalisiert und in 95 Thesen gegen das WissZeitVG gegossen.1 Während wir dieses Buch gemeinsam verfassen, haben wir drei uns – nicht zuletzt wegen der Corona-Pandemie – noch nie in Realpräsenz getroffen, sondern stehen ausschließlich per Twitter-Chat, Zoom und E-Mail in Kontakt. Die Plattform Twitter erwies sich dabei als sehr gut geeignet, um die Grassroots-Bewegung #IchBinHanna zu initiieren, viel beschäftigte Arbeitnehmer*innen des akademischen Prekariats zu vernetzen und Missstände öffentlichkeitswirksam anzuprangern.
Dabei sind wir alle drei auch strukturell Hannas. Wir kritisieren das System nicht aus einer gesicherten Position heraus und auch nicht als Inhaber*innen entsprechender Ämter (professorale Solidarität kommt gleichwohl durchaus vor und ist gewünscht). Niemand von uns hat bislang je eine entfristete Stelle gehabt. Die Arbeit für #IchBinHanna ist ein aufwendiges, in aller Regel gänzlich unbezahltes freiwilliges Engagement, das häufig zwischen 4:30 und 8:30 Uhr stattfindet, wenn in diesen pandemischen Zeiten mal wieder der Kindergarten geschlossen ist. Es tritt zu unseren beruflichen Tätigkeiten hinzu, die den unter #IchBinHanna kritisierten Logiken unterliegen. Außerdem ist der Einsatz gegen prekäre Arbeit keine leichte Aufgabe, muss man die Probleme des Wissenschaftsbetriebs doch selbst gegenüber denjenigen immer wieder beschreiben und erklä10ren, denen sie im Kern seit Jahren bekannt sein sollten.
Es gibt allerdings auch Dinge, die Hoffnung machen: Letztlich führte ein Tweet an einem Juni-Morgen zur Entstehung eines Netzwerks, das die Politik so in Bewegung gebracht hat, dass wesentliche Forderungen von #IchBinHanna sogar im Koalitionsauftrag der neuen rot-grün-gelben Bundesregierung auftauchen. Auch das Berliner Hochschulgesetz (was immer man im Detail davon halten mag) hat den Automatismus, wonach Wissenschaftler*innen persönlich die Risiken ihrer befristeten Anstellung tragen, unterbrochen und die Hochschulleitungen gezwungen, sich über eine vernünftige Personalentwicklung ernsthaft Gedanken zu machen. Natürlich bleibt abzuwarten, welche konkreten Entwicklungen folgen. Erkennbar ist jedoch, dass Wissenschaftspolitik, die bislang eher ein Nischenthema für wenige Abgeordnete auf Bundes- und Landesebene darstellte, nun als attraktives Arbeits- und Gestaltungsfeld für Politiker*innen gesehen wird, als zentrale Aufgabe von Politik und Gesellschaft, von der die Zukunftsfähigkeit unseres Landes entscheidend mit abhängt. Die Zeit ist reif für Experimente und visionäre Umbauten im Wissenschaftssystem. Das gilt auch für die Leitungen der Hochschulen und der öffentlichen außeruniversitären Forschungseinrichtungen (AUFs) wie den Max-Planck-Instituten (MPIs) oder den Einrichtungen der Fraunhofer-Gesellschaft. Wer jetzt mutig gestaltet, die*der kann sich als neuer Humboldt in die deutsche Wissenschaftsgeschichte einschreiben – gegen den Kleinmut derjenigen, die nicht sehen, welche Chancen die gegenwärtige 11Situation nicht nur für die prekär beschäftigten Wissenschaftler*innen, sondern für die Wissenschaft als Ganzes bietet. Dazu freilich braucht es den Willen und die Befähigung, über bestehende Strukturen hinauszudenken, statt nur punktuell innerhalb des Systems zu reformieren. Wer die Wissenschaft entfesseln will, wie es im gegenwärtigen bayerischen Entwurf für ein Hochschulinnovationsgesetz unter Rückgriff auf frühere Formulierungen heißt, die*der sollte den befristeten Wissenschaftler*innen ein Mehr an Sicherheit und Perspektiven bieten. Die zu erwartende wissenschaftliche Dividende dürfte enorm sein. Nicht zuletzt wird Wissenschaft dann auch wieder ein attraktiver Beruf.
Wir danken allen Personen, befristet und unbefristet, die sich auf Twitter und in der realen Welt für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und damit eine faire und zukunftsfähige Wissenschaft einsetzen. Dank auch den Kolleg*innen, die dem Abdruck ihrer Tweets zugestimmt haben, sowie Heinrich Geiselberger für das engagierte Lektorat. Durch den Folgehashtag #IchBinReyhan wurde der Blick mittlerweile auch darauf gerichtet, dass Wissenschaftler*innen aus marginalisierten Gruppen mit weiteren und besonderen Problemen konfrontiert sind. Diese Probleme müssen an anderer Stelle von dafür berufenen Personen ausführlicher behandelt werden, als wir das hier tun können. Dennoch: Den Hannas und Reyhans in der Wissenschaft, denen, die es einmal waren, und denen, die es zukünftig gar nicht erst werden sollten, weil alle Wissenschaftler*innen bessere Bedingungen verdienen, sei dieses Buch gewidmet.