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wbg Theiss ist ein Imprint der wbg.
© 2018 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt
Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg
in Zusamennarbeit mit dem Deutschen Museum, München ermöglicht.
Lektorat: Alessandra Kreibaum
Gestaltung & Satz: Melanie Jungels, Layout l Satz l Bild, Gensingen
Einbandabbildung: Fotomontage mit Nicola Tesla in seinem Hochspannungslabor.
picture alliance/Everett Collection
Einbandgestaltung: Vogelsang Design, Jens Vogelsang, Aachen
Abb. S. 2: Indische Astronomen vor einer Fotomontage des Bullet Clusters – siehe S. 235.
Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-8062-3580-7
Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich:
eBook (PDF): 978-3-8062-3587-6
eBook (epub): 978-3-8062-3588-3
Vorwort
DIE GRIECHISCHE ANTIKE UND DER URSPRUNG DER PHYSIK
Die Milesische Naturphilosophie – Thales, Anaximander und Anaximenes
Der Tunnel des Eupalinos
Atome und Elemente – von Leukipp bis Plato
Aristoteles
Archimedes und die Mechanik
Licht und Sehen – von Euklid bis Ptolemäus
Physik am Bau: Vitruv und die Maschinen der Römer
Die Größe der Erde – Aristarch von Samos und Eratosthenes
Computer in der Antike: Der Antikythera-Mechanismus
Herons Experimente mit Luft
Ptolemäisches Weltbild und Physik
ISLAM UND CHRISTENTUM, DIE WEGBEREITER DER KLASSISCHEN PHYSIK
Ibn al-Haitham, das islamische Physikgenie
Die Waage der Weisheit – Al-Khazini
Jordanus de Nemore und das Gleichgewichtsproblem
Wie entsteht der Regenbogen – Kamal al-Din al-Farisi und Dietrich von Freiberg
Wie fliegt ein Speer oder eine Kanonenkugel?
Magnetismus, Gewichtsräderuhr und Fortschrittsglaube
DIE ENTDECKUNG NEUER WELTEN: SICHTBARER UND NICHT SICHTBARER KOSMOS
Leonardo da Vinci
Simon Stevins Gewichtskunst
William Gilbert und das Experiment
Kopernikus bis Populärwissenschaft – das neue Weltbild und seine physikalischen Implikationen
Galilei und der Fernrohrhimmel
Der freie Fall bei Galilei
Keplers Beiträge zur Physik
Das Geheimnis der Lichtbrechung
Athanasius Kircher, Caspar Schott und die Physik der Jesuiten
Das Vakuum existiert – von Torricelli bis Otto von Guericke
Billardkugeln, Zentrifugalkraft, Pendeluhr – Christiaan Huygens
Isaac Newton und die Himmelsmechanik
Die Zerlegung des Lichts
AUFKLÄRUNG UND NEUE WISSENSGEBIETE
Thermometer, Wärme, Dampfmaschinen
Jacob Leupold: Vom barocken Maschinentheater zur Nützlichkeit der Aufklärung
Bernoulli, Euler und die Anfänge der Hydrodynamik
Erdgestalt und Physik
Die Elektrizität als Salonwissenschaft
Technik und Experimentalphysik – John Smeaton
Experiment und Allegorie – Physikalische Spiele und Lichtenberg’sche Figuren
Das Grundgesetz der Elektrostatik – Henry Cavendish und Charles Augustin Coulomb
Von Galvanis Froschschenkeln zur Voltasäule – die chemische Batterie
Kanonen bohren und Wärmetheorie
DIE SPEZIALWISSENSCHAFT PHYSIK UND IHRE TECHNIK
Unsichtbare Strahlung – Infrarot und Ultraviolett
Die Wellentheorie des Lichtes
Gay-Lussac und die Gasgesetze
Die Chladnischen Klangfiguren
Doppelbrechung, Polarisation, Farben – Thomas Johann Seebeck
Das Rätsel der Fraunhoferlinien
Strom und Magnetfeld – Hans Christian Oersted
Das Ohm’sche Gesetz des elektrischen Stromes
Die elektromagnetische Induktion – Michael Faraday
Thermodynamik: Von der Dampfmaschine zum Carnot-Prozess
Die Lichtgeschwindigkeit – Hippolyte Fizeau und Léon Foucault
Beweise für die Bewegung der Erde – das Foucault’sche Pendel
Von der Orgelpfeife zum Wirbelatom: Helmholtz und Fluiddynamik
Maxwell und die Elektrodynamik
Die Spektralanalyse – Physik und Chemie wachsen zusammen
Elektrotechnik und Physik
Äther-Experimente
Osborne Reynolds und die Turbulenz
Hertz’sche Wellen
AUFBRUCH INS INNERE DER MATERIE
Die Entdeckung der Röntgenstrahlen
Radioaktivität – Strahlung aus Atomkernen
Die Entdeckung des Elektrons
Das Planck’sche Strahlungsgesetz und der Beginn der Quantenphysik
Einstein und die spezielle Relativitätstheorie
Einsteins Theorie der Brown’schen Bewegung – Nachweis für Atome
Die Nebelkammer – ein Fenster zum Mikrokosmos von Teilchen und Strahlen
Die Entdeckung der Supraleitung
Rutherford und die Entdeckung des Atomkerns
Röntgenbeugung an Kristallen
Das Bohr’sche Atommodell
Die Allgemeine Relativitätstheorie
Quantenmechanik
Elektronenbeugung
Die Anfänge der Elektronenmikroskopie
Die Entdeckung des Neutrons
Das positive Elektron in der kosmischen Strahlung
Das Zyklotron – die Kernphysik auf dem Weg zur Großforschung
Kristalle und Farbzentren
Die Spaltung des Urankerns
Energieprozesse in Sternen: der Bethe-Weizsäcker-Zyklus
DIE OMNIPOTENTE PHYSIK? ENTDECKUNGEN UND PROBLEME FÜR DAS 21. JAHRHUNDERT
Die Atombombe
Vom Radar zur Quantenelektrodynamik
Vom Radar zum Transistor
Der Stellarator – Auftakt zur kontrollierten Kernfusion
Das Hodgkin-Huxley-Modell
Der Ionenkäfig
Die DNS-Struktur – ein Schlüsselereignis der modernen Biophysik
Das Atomei
Die Anfänge der Weltraumphysik
Laser
Von der Meteorologie zur Chaostheorie
Das Echo des Urknalls – die kosmische Hintergrundstrahlung
Neutrinos aus dem Kernreaktor
Die Computertomografie
Mit der Blasenkammer zum Standardmodell der Teilchenphysik
Weiche Materie
Schwarze Löcher im Weltall
Das Rätsel der Turbulenz
Dunkle Materie und Dunkle Energie
Der ATLAS-Detektor: Nonplusultra der Teilchenphysik
Literatur
Literatur zu den Einführungskapiteln
Bildnachweis
Register
Was ist Physik? Wie entwickelt sie sich? Was sind ihre Methoden? Was bedeutet sie der Gesellschaft? Das sind Fragen, auf die dieses Buch mit dem Stilmittel des Bildes hinführen will. Natürlich können Bilder komplexe Zusammenhänge nicht grundsätzlich oder umfassend beschreiben und erklären. Sie ermöglichen allerdings einen anschaulichen ersten Zugang. Wir leben heute in einer immer stärker visualisierten Welt. Andererseits haben Bilder schon immer eine große Rolle bei jedem Verständnis, nicht nur der natürlichen Welt, gespielt. Das gilt von einfachen bis zu komplexen Problemen, gerade auch der Physik.
Unter Physik verstehen wir heute das in Naturgesetzen formulierte Wissen über die unbelebte Natur und ihre Veränderungen, insbesondere den Zusammenhang von Materie und Energie in Raum und Zeit. Die Begriffe und Untersuchungen dazu haben sich jedoch im Laufe der Geschichte stark verändert.
Erste systematische Überlegungen zu einem nichtmythischen Ursprung und Aufbau der Welt finden wir in der griechischen Antike bei den Naturphilosophen. Von Anfang an spielt auch Technik eine Rolle, das heißt die Beherrschung von Natur. Original gezeichnete Bilder zur Physik sind aus der frühen Zeit kaum überliefert (abgesehen von einfachen geometrischen Darstellungen), auch wenn es sie möglicherweise gegeben hat. Doch existieren vereinzelt Instrumente, wie der Antikythera-Mechanismus, oder technisch-wissenschaftliche Objekte, wie der Tunnel des Eupalinos. Das islamische Mittelalter überliefert uns mehr Bilder. Die christliche Renaissance schließlich verbildlicht in systematischer werdendem Umfang die physikalischen Ideen der Antike und erweitert sie nicht unerheblich. Wissenschaft und ihre Darstellung erhalten einen langsam bedeutender werdenden Platz in der Gesellschaft. Jetzt werden auch Instrumente, Geräte, Maschinen bei wissenschaftlichen Untersuchungen immer wesentlicher – und bleiben erhalten. In der Kunst, insbesondere in der Malerei, tauchen ab und zu wissenschaftliche Themen auf. Die Barockzeit fängt bald an, auch die Wissenschaft mit Bildern zu überfluten. Das 18. und 19. Jahrhundert schließlich bieten von original erhaltenen Instrumenten, und von Bildern ihres Einsatzes in Experimenten und an technischen Geräten, über theoretische Modelle bis zu allegorischen Darstellungen eine breite visuelle Welt, die sowohl Wissenschaftler als auch Laien informieren, unterrichten und auch schon unterhalten soll. Ab etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts kommt die Fotografie hinzu. Zusammen mit neuen Drucktechniken können Ergebnisse, Ideen, Experimente, Apparate, Modellvorstellungen immer eindrucksvoller dargestellt werden. Die Physik kommt im Bild jedem Interessierten näher, obwohl sie auf ihrem Weg in das 21. Jahrhundert immer komplexer wird.
Mit der Bildauswahl wollen wir nicht nur die Physik selbst beleuchten. Auch gesellschaftliche und kulturelle Eigenheiten der verschiedenen Epochen sollen eingefangen werden. Sich mit solchen Bildern auf eine Zeitreise durch die Physikgeschichte zu begeben, ist wie der Besuch in einem Museum. Hier wie dort ist es der visuelle Sinn, von dem sich der Betrachter zu den Ausstellungsstücken und Bildern leiten lässt. Und wie in einem Museum ist es auch in diesem Buch nicht zwingend, sich an die vorgegebene Reihenfolge zu halten. Jedes der hundert Kapitel Physikgeschichte lässt sich weitgehend unabhängig von den anderen lesen. Es ist mit dem jeweiligen Autorenkürzel (ME bzw. JT) gekennzeichnet. Über die Auswahl lässt sich natürlich durchaus diskutieren. Sie wird immer bis zu einem gewissen Grad subjektiv bleiben. Übergeordnete Zusammenhänge werden in den Einleitungskapiteln zu den sieben Epochen erläutert, in die wir die physikalischen Entwicklungen seit der Antike gliedern. Wir hoffen, dass unsere Bilder-Zeitreise durch die Geschichte der Physik auf diese Weise zu einem lehrreichen und im tieferen Sinn des Wortes anschaulichen Erlebnis wird.
ME und JT
Die Akademie Platos in Athen – Plato deutet auf einen Himmelsglobus.
Die griechische Antike hat nicht nur den Begriff Physik geprägt – in der Philosophie von Aristoteles, als rationale Beschäftigung mit der Gesamtnatur – sie hat uns auch erste wesentliche Einzelerkenntnisse aus den Bereichen Mechanik, Optik, Akustik geliefert.
Den Beginn rationaler Beschäftigung mit der Natur können wir mit den Philosophen Thales, Anaximander und Anaximenes aus der kleinasiatischen Handelsstadt Milet unmittelbar nach 600 vor Christus ansetzen. Sicher gab es Einzelerkenntnisse auch schon in anderen Hochkulturen. In der Astronomie, die wir heute im Wesentlichen der Physik einverleibt haben, können wir wissenschaftliche Erkenntnisse direkt weiter zurückverfolgen, nach Mesopotamien, Indien, China, sogar in die amerikanischen Hochkulturen. Eng verbunden sind wahrscheinlich erste physikalische Erkenntnisse vor allem mit technischen Geräten. Doch wurden Keil, Hebel, schiefe Ebene schon lange in der Geschichte der Menschheit angewendet, ohne dass zugrunde liegenden Prinzipien erkannt wurden. Auch solche Überlegungen sind uns erst aus der griechischen Antike bekannt, als die euklidische Geometrie mächtige mathematische Mittel dafür bereitstellt. Doch schon zurzeit von Thales, Anaximander und Anaximenes gibt es erstaunliche technische Innovationen, sogar ganz in der Nähe von Milet, auf Samos – den Tunnel des Ingenieurs Eupalinos, der auch wissenschaftliche Kenntnisse voraussetzt.
In dem berühmten Bild der Schule von Athen – der Schule der Wissenschaften – das Raffael kurz nach 1500 für den Vatikan malt, erscheint die Geometrie in der Gruppe ganz rechts. Euklid (oder ist es Archimedes?) zeichnet mit dem Zirkel auf eine Tafel vor beeindruckten jungen Schülern. Daneben sehen wir einen Wissenschaftler mit einem Erdglobus (möglicherweise Ptolemäus, die Krone auf dem Kopf signalisiert das Missverständnis, dass er zum Königshaus der Ptolemäer gehört, die damals Ägypten beherrschten). Ein Astronom mit einem Sternglobus (Hipparch?) symbolisiert die Astronomie. Rechts an diese Gruppe hat sich der Maler Raffael selbst angeschmiegt – möglicherweise zusammen mit seinem Malpartner. Ansonsten existiert die Naturwissenschaft nicht. Im Zentrum des Bildes (und im Fluchtpunkt aller Linien der Zentralperspektive, die die Renaissance mathematisch entdeckt hatte) stehen die Philosophen Plato und Aristoteles. Vor ihnen auf den Stufen liegt Diogenes, der vielleicht gerade zu Alexander dem Großen (neben ihm?) den berühmten Satz spricht: „Geh mir aus der Sonne.“ Im Vordergrund halb links hat Heraklit seinen Kopf auf die Hand gestützt. Im Hintergrund links sehen wir die gestikulierende Gruppe der Rhetoriker. Griechische Wissenschaft wird also vor allem als Denk- und Debattierclub dargestellt. Die mächtigen Gewölbe dagegen und die gekonnte mathematische Perspektive verdeutlichen das Selbstbewusstsein der Renaissance gegenüber ihrem großen Vorbild Griechenland.
JT
Die Schule der Wissenschaften.
Milet wird ab dem 8. Jahrhundert vor Christus bedeutender und mächtiger Handelsplatz inklusive Kulturzentrum für den gesamten Osten des Mittelmeers. Hier entsteht der erste Versuch, alles Geschehen auf nicht mythische Ursachen zurückzuführen.
Über Thales selbst wissen wir sehr wenig. Hat er überhaupt Schriften hinterlassen? Laut Aristoteles soll er geglaubt haben, die Erde sei aus dem Wasser entstanden und schwimme darauf – als Scheibe? – wie ein Schiff. Auch finde er, „dass ein bestimmter Stein [Magnetstein? Bernstein?] eine Seele besitze, weil er das Eisen bewege“. Seine berühmte Vorhersage der Sonnenfinsternis des Jahres 585 vor Christus hat er, wenn überhaupt, aus babylonischen Aufzeichnungen entwickelt.
Tatsächlich beginnt das naturphilosophische Denken als Logos – gegen den Mythos – mit Anaximander, der wahrscheinlich ein Schüler von Thales war. So erklärt er aus dem Verdunsten der Feuchtigkeit um die schwimmende Erde Erscheinungen wie Nebel, Wolken, Wind – und auch Sterne, Mond und Sonne. Letztere zwei sollen leuchtende Öffnungen in den mit Feuermaterie gefüllten Schläuchen von Nebelmassen um die Erde herum sein. Alles Leben ist ursprünglich aus Wassertieren entstanden. Das räumliche und stoffliche Apeiron, wörtlich „dessen Grenzen man nicht erreichen kann“, umschließe und steuere alles. Daraus entstehen alle Gegensätze wie warm und kalt. Anaximander denkt auch schon quantitativ. Die Erde ist eine Scheibe, 3-mal so breit wie hoch. Der Sonnenschlauch soll 27-mal so groß wie die Erdscheibe sein. Über raschenderweise liegt der Sternenhimmel nahe an der Erde. Wahrscheinlich stellt er ihn sich als kris tallartigen Zustand vor. Die punktuell unterschiedliche Trübung dieses Zustands lässt die Feuermaterie von außerhalb des Himmels als einzelne Sterne durchscheinen. Das starke Sonnen- und Mondlicht dagegen kann alles klar durchdringen. Verstopfungen der Schlauchlöcher erklären die Finsternisse. Sehr innovativ ist die Drehung oder Verschiebung des Sonnenrades im Laufe eines Jahres, das die verschiedenen Sonnenhöhen und -wendepunkte erklärt.
Anaximenes verändert das Apeiron von Anaximander zu etwas eindeutig Materiellem, der Luft. Luft ist Ursprung und Wesen aller Dinge. Sie sei ständig in Bewegung, das ergibt Veränderung. Verdichtete Luft ist kalt, verdünnte warm – wie die auf der Haut gefühlte aus kleiner Mundöffnung herausgepresste Luft zeigt, im Gegensatz zu warmer gehauchter Luft aus breitem Mund. Verdünnt sich die Luft noch weiter, wird sie zu Feuer. Mensch, Tier, Pflanzen, der Gesamtkosmos sind beseelte Zustände der Luft. Seine Kosmologie bleibt traditionell. Kreise der Himmelsgestirne um die Erde herum kennt er nicht. Dafür kennt er – wahrscheinlich von Babylon übernommen – die fünf sternförmigen Wandelsterne Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn. Zusätzliche dunkle, erdartige Körper erklären ihm die Verfinsterung von Sonne und Mond.
JT
Kosmologische Vorstellungen von Anaximander.
Anaximander mit Sonnenuhr in einem römischen Mosaik.
Der Tunnel des griechischen Ingenieurs Eupalinos auf der Insel Samos, heute eine Touristenattraktion, ist eine wissenschaftlich-technische Meisterleistung ersten Grades. Er entsteht um 540 vor Christus kurz vor der Herrschaft des aus Schillers Ballade bekannten Tyrannen Polykrates, zurzeit wachsender politisch-wirtschaftlicher Macht des Inselstaates. Der Handelsplatz Milet, wo die Philosophie gerade begonnen hat, ein neues nicht mythisch fundiertes Bild der Natur zu formulieren, liegt benachbart und ist in engem Austausch mit Samos. Kennt Eupalinos die milesischen Naturphilosophen? Hat Pythagoras schon eine Rolle gespielt? Wir wissen nichts über diesen Ingenieur, es gibt nur eine bewundernde Erwähnung des 1036 Meter langen Tunnels bei Herodot. Der Bau führt bestes mathematisches, physikalisches, vermes sungs- und ingenieurtechnisches Wissen dieser frühen Zeit zusammen. Eupalinos beginnt den Tunnel von beiden Enden gleichzeitig – das erste Mal in der Geschichte unter solchen Anforderungen. Ein Tunnelbau von zwei Seiten gleichzeitig spart die Hälfte der Bauzeit. Zwei Hauer auf jeder Seite kommen auf Samos etwa 12–15 Zentimeter pro Tag vorwärts. Bei ununterbrochener Schichtarbeit treffen sich beide Teams also nach mindestens neun, statt traditionell nach 18 Jahren. Erst in der Spätantike wird die Technik Standard.
Die Leistung des Eupalinos kann in zwei Teile aufgespalten werden, zunächst die Festlegung der zwei Tunneleingänge auf gleicher Meereshöhe, mit der genauen Ausrichtung des beidseitigen Stollenbeginns, danach die Tunnelführung bis zum Treffpunkt – ideal auf einer Geraden.
Das Problem der Meereshöhe wird exakt, bis auf wenige Zentimeter, gelöst – wahrscheinlich mit Visiermethoden um den Berg. Eine große Wasserwaage mit Visierbalken, ein Chorobat, könnte das entscheidende Messgerät gewesen sein. Eine Stangenvisierlinie über den Berg, zwischen dem günstigsten Tunnelbeginn nahe der nördlichen Quelle und dem erwünschten Ausgang innerhalb der Hauptstadt Pythagoreion liefert die zweite Koordinate. Die Schnittpunkte mit der Wasserwaagen-Visierlinie legen Süd- und Nordende des Tunnels fest. Nachmessungen der Ausrichtung der Tunnelteile heute zeigen hier 0,6 Grad Unterschied. Das zweite Problem bringt nun unerwartete Schwierigkeiten. Nur der Südstollen kann gerade weiterverfolgt werden, zunächst über die Stangenvisierlinie des Berges kontrolliert, durch den Stolleneingang hindurch, dann direkt über dieses immer weiter entfernte Eingangsloch. Das Gestein des Nordstollens wird jedoch brüchiger, sodass Eupalinos von der geraden Richtung abweicht. Er wählt einen Dreiecksumweg. Da keine Rückwärtsvisierung zum Nordende mehr möglich ist, muss er dieses Dreieck genau kalkulieren. Messmarken im Tunnel beweisen es. Dabei kommt er von der ursprünglich geplanten geraden Linie um 20 Meter ab. Ein ingenieurtechnischer Trick bringt trotzdem den „Durchbruch“: Jedes der Hauer-Teams schlägt einen Haken, als ihre Entfernungsmessung in den Tunnelteilstücken anzeigt, dass sie einander genügend nahe sind. So können sie sich nicht parallel verfehlen. Der tiefe Wasserkanal kann dann von vielen Hauern gleichzeitig geschlagen werden.
JT
So fanden sich die zwei Tunnel-Teams (rot: so war es geplant).
Links: Historischer Zustand des Tunnels von Eupalinos. Rechts: Heutiger begehbarer Teil.
Auch wenn es nach dem 5. Jahrhundert vor Christus manche physikalische Einzelerkenntnisse in der antiken Naturwissenschaft gibt, in der Optik, in der Akustik, so verbinden wir das Entstehen von spezifisch physikalischen Denken in der Antike meist mit der Entstehung der Atomlehre ab Leukipp im 5. Jahrhundert vor Christus. Er ist uns vor allem durch seinen Schüler Demokrit überliefert. Demokrit, aus der Handelsstadt Abdera in Thrakien ist reich, umfassend gebildet und weit gereist. Er verfasst zahlreiche Schriften, die uns jedoch nur in einzelnen Fragmenten erhalten sind. Die gesamte Natur besteht nach ihm aus materiellen kleinsten unteilbaren Teilchen (atomos) und aus der Leere. Sogar das Denken und die Seele sind aus Atomen zusammengesetzt. Diese sind unterschiedlich nach Gestalt und Größe. Hatte Anaxagoras noch geglaubt, durch Experimente mit dem Wasser heber bewiesen zu haben, dass es kein Vakuum geben kann, so genannte leere Gegenstände seien mit Luft gefüllt, so wird das jetzt bestritten. Die Leere sei für die Bewegung der Atome notwendig. Die Seele etwa besteht aus feinen, glatten und runden Atomen, ähnlich denen des Feuers. Die Atomisten also sind Mate rialisten. Demokrit versteht die Vielfalt der Welt wie die Vielfalt der Schrift: Atome würden sich unterscheiden wie Buchstaben, in Form, Anordnung und Stellung.
Die Atomisten haben wahrscheinlich Plato beeinflusst, der diese Lehre aber ins Mathematisch-Nichtmaterielle wendet. Ideen sind für ihn das Wesentliche, Ursprüngliche. Ideen verhalten sich zur Mathematik, wie die Sinnendinge zu Schatten oder Spiegelungen auf der Wasserfläche. Sinnendinge sind also Reales, aber Erkenntnis muss sich über die Mathematik den Ideen annähern. Sein Höhlengleichnis wird in der modernen Physik ab dem 19. Jahrhundert berühmt: Wir sitzen gefangen in einer Höhle und starren auf eine Wand, auf der die Schatten von Ereignissen spielen, die uns ein Feuer projiziert, das hinter unserem Rücken brennt.
Nach Plato kann man grundlegende Ideen aus der Mathematik erschließen, etwa die vier Elemente, die er von Empedokles übernimmt. Sie entsprechen vieren der fünf möglichen regulären (also nur aus einer einzigen Art regulärer Vielecke bestehenden) Polyeder. Der Würfel entspricht dem Element Erde (die er übrigens schon als Kugel ansieht). Er ist am besten lückenlos zu packen, mit der festesten Grundfläche, am unbeweglichsten. Ikosaeder (Wasser) und Oktaeder (Luft) sind ähnlich der Erde, aber beweglicher. Das Tetraeder (Feuer) ist am kleinsten, mit den schärfsten Spitzen und am leichtesten beweglich.
Diese Polyedereinheiten setzt Plato nun noch aus Oberflächendreiecken zusammen und erschließt daraus weitere Eigenschaften. Jede Würfelfläche teilt er in gleichschenklig-rechtwinklige Dreiecke. Bei Wasser, Luft und Feuer gibt es ganz andere Dreiecke (90°-60°-30°). Daraus folgt etwa, dass Erde nicht in die anderen Elemente verwandelbar ist. Metalle, da verflüssigbar, müssen also festes Wasser sein. Da zwei Wasserpartikel 40 Dreiecke (90°-60°-30°) enthalten, entsprechen sie fünf Luftpartikeln mit ebenfalls 40 Dreiecken dieser Art. Wasser dehnt sich also bei Verdampfen aus. Der fünfte reguläre Polyeder, der Dodekaeder, wird nur kurz erwähnt, möglicherweise als Bild des gesamten Weltalls verstanden.
Geometrie wird mit Plato eine wichtige Grundlage wissenschaftlichen Denkens, noch vor dem Höhepunkt der Geometrie als axiomatischer Wissenschaft mit Eudoxos und insbesondere Euklid im 4. Jahrhundert vor Chris tus. Aristoteles opponiert gegen diese Auffassung heftig. Mathematik erkenne nur Nebensächliches der Subjekte und ihrer Eigenschaften, etwa die Ortsbewegung.
JT
Ikosaeder (a), Oktaeder (b), Würfel (c), Tetraeder (d) auf Zeichnungen von Leonardo da Vinci.
War Aristoteles vor allem Hemmschuh bei der Entwicklung antik-mittelalterlichen Denkens hin zur klassischen Physik ab Galilei? Die Reserviertheit gegenüber mathematischer Behandlung der Natur, seine besondere Betonung qualitativer Eigenschaften, die Trennung des Kosmos in sublunare materielle Sphäre und in supralunare nicht materielle Welt des Himmels, die Ablehnung des Vakuums, und seine Vorstellungen zur Ortsbewegung mit einer konstanten Geschwindigkeit proportional zur einwirkenden Kraft erscheinen oft nur als rückständig gegenüber modernerem Denken. Doch ist das nicht gerechtfertigt? Platonisches mathematisches Herangehen an die Welt und aristotelische Kritik an dem einfachen Glauben an eine mathematisch-empirisch erfahrbare objektive Wirklichkeit (auch mithilfe der Sprache, der Logik und der Metaphysik als „erster Philosophie“) gehören beide zur Tradition unserer heutigen Naturwissenschaft.
367 vor Christus kommt der Mazedonier Aristoteles mit 17 Jahren an die platonische Akademie in Athen und bleibt hier 20 Jahre bis zum Tode Platos. Nach vielen Studienreisen wird er auch Lehrer Alexanders des Großen. Von seinen angeblichen 150 Abhandlungen sind knapp 30 erhalten. Er wehrt sich gegen die Ideenlehre Platos. Mathematiker können zwar Körper, Flächen, Strecken und Punkte als selbstständige Gegenstände behandeln, doch Physiker kann das nicht zufrieden stellen. Für sie sind das nur Begrenzungen von Naturgebilden. Als Grundlagen der Wirklichkeit sieht Aristoteles die Subjekte und ihre Eigenschaften. Die Substanz der Subjekte und die Formierung von Eigenschaften bestimmt auch jegliche Veränderung. Ohne Substanz oder Materie gibt es keinen Raum. Das mutet modern an. Für Plato gab es einen unabhängig existierenden Raum als Gefäß für alle Körper. Aristoteles hält an den vier Grundelementen fest, die aber nicht geometrisch, sondern durch Eigenschaftspaare geprägt werden. Feuer ist warm und trocken, Luft warm und feucht, Wasser kalt und feucht, Erde kalt und trocken. Aus dem Umschlag der Eigenschaften entsteht der Kreislauf der Elemente. Die Vielfalt der sublunaren Welt erklärt sich aus ihren beliebigen Mischungen. Erde ist absolut schwer und Feuer absolut leicht, während Wasser etwa gegenüber der Erde leichter sein kann, gegenüber der Luft allerdings schwerer.
Je schwerer ein Körper in dem betreffenden Medium ist, desto schneller fällt er. Das sind alles natürliche Bewegungen. Gewaltsame Bewegungen bedürfen einer Kraft. So wie der Ochsenkarren stehen bleibt, wenn die antreibende Kraft fehlt, so treibt eine vorhandene Kraft einen Körper mit konstanter Geschwindigkeit, aber umgekehrt proportional zum Widerstand des Mediums. Ein Problem für Aristoteles ist die Wurfbewegung, bei der etwa der Speer auch ohne Handkontakt weiter fliegt. Bewegung (metabole oder kinesis) wird keineswegs nur als Ortsbewegung verstanden, sondern generell als jegliche Art von Veränderung. Eine Mischung zweier unterschiedlicher Bewegungen ist für Aristoteles undenkbar.
Die Erde, das schwerste Element, muss im Weltzentrum in Ruhe stehen. Ihre Kugelgestalt ergibt sich daraus physikalisch: Alles Schwere versucht möglichst nahe an das Weltzentrum zu gelangen. Aristoteles bringt auch alle Beobachtungsargumente, die für die Kugelgestalt der Erde sprechen. Der supralunare Bereich der Welt ab der Mondsphäre besteht aus einem eigenen Grundstoff, dem Äther. Aristoteles übernimmt das schon von Eudoxos von Knidos konstruierte und dann von Kallipos weiter entwickelte Sphärenmodell der Planeten – am Himmel gesteht er also der Mathematik wesentlichen Einfluss zu – erweitert es um insgesamt 22 Sphären und fügt einen ersten unbewegten Beweger hinzu, der das ganze Weltall in Drehung hält.
JT
Das Mittelalter illustriert und erweitert Aristoteles. Im menschlichen Körper spiegeln sich Tierkreissternbilder und die vier Elemente.
Archimedes ist noch heute ein Mythos: Ein mathematisches Genie, ein Physiker und Ingenieur, der einen spektakulären Tod erleidet, als seine Heimatstadt Syrakus im Jahr 212 vor Christus von den Römern erobert wird.
Über sein Leben wissen wir wenig. Das gilt allerdings für viele antike Geistesgrößen. Um das Jahr 287 vor Christus wird er in Syrakus, nach eigener Auskunft, als Sohn des Hofastronomen geboren. Er besitzt gute Kontakte zur Herrscherfamilie und bald auch zur wissenschaftlichen Welt um ihn herum. So studiert er in Alexandria und lernt dort den Gelehrten Eratosthenes kennen, der uns vor allem als Geograph und Vermesser des Erdumfangs bekannt ist, sowie andere Wissenschaftler. Archimedes selbst wird vor allem Mathematiker. So versucht er in seinem „Sandrechner“ die Anzahl der Sandkörner in einem großen Universum zu bestimmen, um zu beweisen, dass man auch das scheinbar Unendliche quantitativ erfassen kann. Er kommt auf die Zahl 1063 – in unserer Schreibweise. Dazu muss er verschiedene Ordnungen von Zahlen definieren, und kommt unserer Potenzschreibweise sehr nahe. Auch seine sonstige Mathematik ist äußerst innovativ, etwa die Exhaustionsmethode zur Berechnung komplizierter Flächen, wie des Segments einer Parabel. Dabei verwendet er praktisch eine unendliche geometrische Reihe.
In der Physik gilt er mit seiner Arbeit über das Gleichgewicht ebener Flächen als Begründer der Statik und mit seiner Schrift über schwimmende Körper als Begründer der Hydrostatik. Sein archimedisches Prinzip besagt, dass ein Körper in einem Medium wie Wasser genauso viel Gewicht verliert, wie die verdrängte Flüssigkeitsmenge wiegt. Der Legende nach soll Archimedes dieses Prinzip beim Baden entdeckt haben, als aus seinem randvollen Badezuber genauso viel Wasser ausfließt, wie er mit seinem Körper verdrängt. Glücklich springt er aus dem Wasser heraus und läuft nackt mit dem Ausruf „Heureka!“ („Ich hab’s gefunden!“) auf die Straße. In Wahrheit hat er sicher, als exakter Wissenschaftler, mit Waage und Messgefäßen experimentiert. Auch seinen berühmten Nachweis, dass eine Krone für König Hiero von Syrakus nicht aus purem Gold besteht, führt er wohl, wenn die Geschichte überhaupt stimmt, nicht mit dem Überlauf von Wasser durch – denn eine plausible Rechnung führt auf weniger als einen halben Millimeter Unterschied der Wasserstände zwischen echtem Goldklumpen und gefälschter Krone – sondern mit einer Waage, an deren einem Balken die gefälschte Krone und am anderen Balken ein reiner Goldklumpen gleichen Gewichts hängt.
All seine physikalischen Untersuchungen erfolgen streng mathematisch deduktiv. So beweist er auch das Hebelgesetz. Sein Ausspruch „Gebt mir einen Punkt im All und ich hebe die Welt aus den Angeln“ gehört ebenfalls in den Bereich des Mythos. Mathematisch bestimmt Archimedes auch Schwerpunkte von Flächen und Körpern und benutzt sie zu deren Inhaltsbestimmung. Die Zahl Pi berechnet er ziemlich genau mittels des regelmäßigen 96-Ecks. Archimedes soll auch die nach ihm benannte Schraubenwelle zur Wasserhebung erfunden haben. Berichtet wird ferner, dass die Römer bei der Eroberung von Syrakus ein komplexes Planetarium von Archimedes finden, das die Bewegungen der Himmelskörper raffiniert vorführt.
Kein Wunder, dass der römische Feldherr Marcellus Archimedes gerne als Ingenieur für Rom gewinnen will. Der Tod des gelehrten Greises, wie er auch immer geschah (hat ihn wirklich ein Soldat erschlagen?), hat dies verhindert.
JT
Tod des Archimedes.
Archimedes im Bade.
Die Optik als Lehre vom Licht entsteht in der griechischen Antike möglicherweise aus Untersuchungen zur Perspektive der Theaterdekorationen. Sie versucht, das Sehen im Raum zu erklären. Die Katoptrik betrachtet die – praktisch besonders wichtige – Reflexion sowie die Brechung des Lichtes.
Aristoteles vertritt die Sehstrahlentheorie. Vom Auge wird ein Strahlenkegel ausgesendet. Die Gegenstände reflektieren diese Sehstrahlen zurück ins Auge. So erkennen wir die Wirklichkeit. Für ihn ist die Luft nicht einfach Störfaktor, der etwa Sehstrahlen dämpft, sie ist vermittelndes Medium für den Sehvorgang selbst. Die Veränderung ihrer Transparenz übermittelt die Farben eines Objekts. Die Geschwindigkeit des Lichts betrachtet er als unendlich groß.
Die geometrische Optik begründet Euklid im 4. bis 3. Jahrhundert vor Christus mathematisch in Analogie zur reinen Geometrie. Physikalisch vertritt auch er die Sehstrahlentheorie: Die geradlinig sich vom Auge verbreiternde Strahlenaussendung erklärt verschiedene perspektivische Eindrücke wie die scheinbare Verkleinerung von Gegenständen mit der Entfernung, das scheinbare Zusammenlaufen von Parallelen, die scheinbare Veränderung eines Kreises zu einer Ellipse bei schräger Betrachtung.
Wahrscheinlich hat sich auch Archimedes intensiv mit Optik beschäftigt, obwohl kein Werk dazu erhalten ist. Der Mythos, er hätte die Syrakus angreifende Flotte der Römer mit Brennspiegeln in Brand gesetzt, kann in diesem Zusammenhang entstanden sein. Diskussionen über solche Leistungen von Archimedes ziehen sich über Jahrhunderte hinweg. Im 20. Jahrhundert schließlich werden sogar Versuche mit realen Schiffen durchgeführt, um nachzuweisen, dass solch eine optische Waffe physikalisch unmöglich ist. Hero von Alexandria behandelt im 1. Jahrhundert nach Christus die Katoptrik, auch mit Vorschlägen zu verschiedenen Spiegelkombinationen.
Ausführlich forscht Ptolemäus 100 Jahre später zu Licht, Farben, dem Sehstrom sowie zur Lichtreflexion bzw.-brechung. Dabei fasst er alles bisherige Wissen zusammen und geht weit über die geometrische Optik hinaus. Die Lichtbrechung (des Sternenlichts in der Erdatmosphäre) ist für ihn als Astronom besonders wichtig. Er untersucht die Brechung von Lichtstrahlen beim Übergang in dichtere Medien mit ausgeklügelter Apparatur und stellt genaue Tabellen dazu auf. Das Brechungsgesetz allerdings entdeckt er noch nicht. Beim Übergang von Licht in ein dichteres Medium findet er die Totalreflexion. Ptolemäus behandelt auch nicht geometrisch erklärbare optische Täuschungen, wie die Mischung der Farben auf einer sich drehenden Scheibe oder die Farben- und Luftperspektive. Er untersucht auch das Sehen mit beiden Augen, bei dem die zwei in die Augen reflektierten Sehstrahlen eines Objektpunktes zu einer Einheit verschmelzen.
Neben den Sehstrahlen aus dem Auge lassen sich eigenständige Strahlen von Lichtquellen wie der Sonne und des Feuers nicht leugnen. Nach Ptolemäus können die Sehstrahlen von einem Gegenstand nur festgehalten (und reflektiert) werden, wenn er hell ist, also selbst leuchtet oder beleuchtet wird. Die Atomistiker sahen dagegen Atome als Abbilder der Gegenstände von diesen aus nach allen Seiten in den Raum fliegen. Empedokles und Plato verbinden schon in etwa solch eine Emissionsvorstellung mit der Sehstrahlentheorie: Das innere Licht des Auges muss ein äußeres von einem Gegenstand ausgehendes Licht vorfinden, um etwas sehen zu können. Beide Auffassungen gewinnen aber kaum weitere Anhänger.
JT
Im 16. Jahrhundert wird die Legende um Archimedes mit seinen Brennspiegeln immer noch ausführlich dargestellt.
Amphitheater wie das Kolosseum in Rom oder Wasserleitungen wie der Pont du Gard in Südfrankreich sind eindrucksvolle Relikte einer hoch entwickelten Baukunst im römischen Reich. Ohne Hebel, Flaschenzug, optische Vermessungsgeräte und hydraulische Techniken zur Wasserförderung, kurz, ohne die Anwendung physikalischer Prinzipien wären diese Bauten nicht entstanden. Vitruvs Zehn Bücher über die Baukunst geben uns nähere Aufschlüsse über das antike Wissen, das zu solchen Bauten geführt hat. Darin geht es um Architektur im weitesten Sinn: von ästhetischen Leitlinien bei einzelnen Gebäuden bis zu städtebaulichen Maßnahmen, von der optimalen Ausbildung der Architekten bis zur Kriegstechnik.
Vitruvs Baukunst, entstanden im 1. Jahrhundert vor Christus, zählt zu den erfolgreichsten Werken der Buchgeschichte. Im Mittelalter vielfach abgeschrieben, mindestens 55 Abschriften finden sich heute in verschiedenen Archiven und Bibliotheken, erscheint es als gedrucktes Buch in lateinischer Originalsprache erstmals im Jahr 1497. Danach folgen Übersetzungen in italienischer, deutscher, französischer, spanischer, englischer und polnischer Sprache. Am Ende des 16. Jahrhunderts gibt es in den Bibliotheken Europas bereits 74 meist reich illustrierte Ausgaben. Die Kupferstiche interpretieren Vitruv durch die Brille eines Renaissance- oder Barock-Architekten; die Abbildung der Vorrichtungen zum Wasserheben entspricht eher dem Stand der Technik im 17. Jahrhundert als dem der Antike. Doch das unterstreicht nur, wie aktuell die Vitruv’sche Baukunst all die Jahrhunderte hindurch geblieben ist.
Die Ursache liegt nicht zuletzt in dem hohen Anspruch, den Vitruv an die Ingenieure und Architekten stellt. „Sie sollten“, schreibt er im ersten der zehn Bücher seiner Baukunst, „bereit zu wissenschaftlichtheoretischer Schulung sein“. Dazu gehört auch die Physik. Vitruvs physikalische Erklärungen sind jedoch weit von unserem modernen Verständnis von Physik entfernt, selbst bei so einfachen Apparaten wie Hebel und Flaschenzug. Vitruv erklärt die Physik der Hebelwirkung in dem Kapitel „Über das Geradlinige und den Kreis als Grundfaktoren der Mechanik“. Alle Hebelvorrichtungen, und dazu zählt Vitruv auch Karren, Schöpfräder, Seiltrommeln und andere Maschinen, rufen „nach denselben Gesetzen durch einen geradlinigen Kern (Achse oder Unterlage) und durch Umdrehung eines Kreises ihre beabsichtigten Wirkungen hervor.“ In einigen Renaissance-Ausgaben der Baukunst wird dies mit Kreisbögen und Linien angedeutet, um so der krafterleichternden Wirkung bei den abgebildeten Hebelvorrichtungen einen wissenschaftlichen Ausdruck zu verleihen. Tatsächlich sucht man das Hebelgesetz bei Vitruv vergebens. Erst im 13. Jahrhundert formuliert Jordanus de Nemore das Gleichgewichtsproblem, das dann von Renaissance-Mathematikern weiter diskutiert und von Simon Stevin im 17. Jahrhundert auf praktischanschauliche Weise gelöst wird.
ME
Hebelwirkung
Eine mit Pferdekraft angetriebene Vorrichtung zur Wasserförderung.
Dass es der antiken Physik gelingt, die absolute Größe der Erde und ihr Verhältnis zu Mond und Sonne zu bestimmen, ist eine besonders ungewöhnliche Leistung. Damit beginnt, wenn man so will, die quantitative Kosmologie.
Aristarch von Samos schildert im 3. Jahrhundert vor Christus ein raffiniertes Verfahren, um die relativen Entfernungen von Mond und Sonne zur Erde in Einheiten des Erdradius zu bestimmen. Die Entfernung des Mondes war mit etwa 60 Erdradien schon bekannt. Bei exakt Halbmond, von der Erde aus gesehen, bilden Erde, Mond und Sonne ein rechtwinkliges Dreieck. Misst man den Winkel, den die Sichtstrahlen zum Mond bzw. zur Sonne bilden, folgt daraus trigonometrisch sofort das Verhältnis der Entfernungen Erde/Mond und Erde/Sonne. Aristarch nimmt diesen Winkel zu 87 Grad an (richtig wären mehr als 89 5/6 Grad). Daraus folgt, dass die Sonne etwa 19-mal weiter von der Erde weg sein muss als der Mond. Das Problem bei dieser Messung ist nicht nur die Winkelmessung, sondern auch die genaue Bestimmung der Zeit des Halbmondes. Die kluge Idee war nicht exakt durchführbar. Aus dem Ergebnis folgt selbstverständlich, dass die Sonne auch 19-mal größer als der Mond sein muss, da Sonne und Mond bei Finsternissen etwa gleich groß erscheinen. Hinzu kommen weitere geniale Überlegungen aus Beobachtungen von Mondfinsternissen: Der Erdschatten, in den der Mond taucht, hat den zweifachen Monddurchmesser (auch das gilt nicht exakt). Geometrische Betrachtungen über den Strahlensatz zeigen nun sofort, dass die Erde etwa 2,8-mal so groß wie der Mond und 6,7-mal kleiner als die Sonne sein muss. So falsch das Ergebnis bezüglich der Sonne ist, es ist eine gewaltige Entdeckung. Die riesige Erde soll nur eine relativ kleine Kugel sein – die Sonne dagegen riesengroß, nicht etwa einfach vom Ausmaß des Peloponnes, wie völlig frei mitunter gemutmaßt wurde! Vielleicht hat dieses erstaunliche Ergebnis Aristarch zu seiner Theorie eines heliozentrischen Weltbildes angeregt – die große Sonne als Mittelpunkt des Weltalls.
Wie „klein“ ist aber die Erde absolut? Wahrscheinlich weiß das auch schon Aristarch – zumindest ungefähr – aus astronomisch-geodätischen Beobachtungen und Überlegungen, die in der Nachfolge des Aristoteles stattfinden. Doch kennen wir vor allem die genauen Messungen des vielseitig begabten Gelehrten Eratosthenes von Kyrene, um diese Größe zu bestimmen. Eratosthenes stellt fest, dass im Ort Syene in Ägypten, dem heutigen Assuan, mittags zur Sommersonnenwende die Sonne genau senkrecht im Zenit steht. Zur gleichen Zeit bleibt sie in Alexandria 7 1/5 Grad vom Zenit entfernt. Er nimmt nun an, dass beide Orte auf dem gleichen Längengrad der Erde liegen. Dann lässt sich mithilfe ihrer Entfernung von 5000 griechischen Stadien ganz einfach der gesamte Umfang der Erde berechnen: Die 5000 Stadien entsprechen 7,2/360 des gesamten Erdkreises. Also ergeben 5000 × 360:7,2 den Erdumfang zu 250.000 Stadien. Umgerechnet in Kilometern (nach neueren historischen Untersuchungen über die Größe eines Stadion) übertrifft sein Ergebnis den richtigen Umfang von rund 40.000 Kilometern nur um wenige Prozent.
JT
Erde, Mond und Sonne bilden bei Halbmond ein rechtwinkliges Dreieck.
Aristarch: Sonne-, Erde- und Monddurchmesser.
Im Jahr 1900 wird vor der kleinen Insel Antikythera südlich des Peloponnes ein versunkenes antikes Schiff entdeckt. Es enthält viele Kunstgegenstände von großem Wert. Anhand gefundener Münzen kann man die Schiffskatastrophe auf etwa 70–60 vor Christus festlegen.
Das Außergewöhnlichste auf diesem Schiff ist ein zusammen gebackener Metallklumpen aus Zahnrädern. Erst ab 1970 wird mit Röntgenaufnahmen alles genauer untersucht.
Der Antikythera-Mechanismus ist ein Computer zur Berechnung von Himmelsbewegungen. Wahrscheinlich handelt es sich um eine Art Planetarium von etwa 30 × 20 × 10 Zentimeter, das für einen reichen Römer als Luxusobjekt hergestellt wurde.
Gemessen an der Kunstfertigkeit der Juweliere in der griechischen Antike ist die Präzision dieses Werkes nicht unbedingt erstaunlich. Doch gibt es kein zweites Beispiel eines solchen komplexen Mechanismus bis in die Zeit der europäischen Renaissance. Es wurde tatsächlich benutzt, wie mindestens zwei Reparaturen an den Rädern zeigen.
Nach dem Jahr 2000 hat ein groß angelegtes Projekt in Athen begonnen, das mit einem Computertomografen die feinsten Schichten der erhaltenen Metallklumpen darstellt und mögliche Zusatzbewegungen des Mechanismus rekonstruiert.
Eindeutig ist, dass Sonnen- und Mondbahn dargestellt werden, möglicherweise durch einen Handantrieb seitlich in Bewegung gesetzt. Dabei wird die komplexe Mondbewegung durch mehrere Zahnräder sehr genau, dem Stand der damaligen Astronomie entsprechend, wiedergegeben. So greift etwa ein Zahnrad mit einem Stift in die Nut eines anderen, das auf einer ganz leicht versetzten Achse läuft. Sonnen- und Mondfinsternisse sind selbstverständlich kalkulierbar, da sie sich in bestimmten Zyklen wiederholen, wie den Griechen schon aus der babylonischen Astronomie bekannt ist. Auch eine Kalenderfunktion integriert dieser geniale Analogcomputer, so kann man etwa die vierjährigen Zeiträume (Olympiaden) zwischen den pangriechischen Sportspielen ablesen. Aus Ansätzen auf dem sichtbaren Hauptzahnrad, sowie aus Textresten kann man entnehmen, dass auch die Bewegungen der übrigen fünf griechischen Planeten Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn dargestellt werden. Dazu sind aber weder Zahnräder, noch Skalen noch Zeiger erhalten.
Es gibt einige wenige Bemerkungen zeitgenössischer Autoren über Planetarien, etwa die Ciceros. Man kann also annehmen, dass dieses Gerät nicht das damals einzig existierende ist. Interessant ist eine neue Untersuchung über den Turm der Winde in Athen, der etwa aus dem Jahr 100 vor Christus stammt und das besterhaltene Bauwerk der Antike in Griechenlands Hauptstadt ist. An den äußeren acht Flächen dieses Oktagons sind Symbole der Winde sowie Sonnenuhren angebracht. Das Innere ist heute leer und es wurde schon vermutet, dass es eine Art zweidimensionales Planetarium enthielt. Sehr wahrscheinlich muss aber ein dreidimensionales Modell der Himmelsbewegungen darin gestanden haben, das durch einen Wasserantrieb in Bewegung gesetzt wurde. Auf einen ehemaligen Wasserantrieb weisen Kanalreste in Boden, Wänden und in einem Tankanbau hin.
JT
Der Turm der Winde.
Der Antikythera-Mechanismus.
Heron von Alexandria zeigt in seinem Werk Pneumatika, dass Druckluft ganz unmöglich scheinende Bewegungen hervorrufen kann. Wird in eine mit Wasser zur Hälfte gefüllte Hohlkugel Luft eingepumpt, treibt diese das Wasser durch eine nach oben gerichtete Röhre in die Höhe. Mit einer geeignet angebrachten Düse wird daraus ein Springbrunnen.
Auch mit Wärme bewirkt Heron Erstaunliches: Neben einem Tempel wird ein Feuer entfacht. Die erhitzte Luft wird – für den Betrachter unsichtbar – in einen luftdicht geschlossenen und halb mit Wasser gefüllten Kessel im Untergrund geleitet; die heiße Luft treibt das Wasser durch einen Siphon in einen daneben angeordneten Behälter, der durch das größere Gewicht nach unten sinkt und die Tempeltüren öffnet Erlischt das Feuer, kühlt sich die Luft ab und im Kessel entsteht ein Sog, der über den Siphon das Wasser aus dem Behälter wieder zurück saugt. Der leichter gewordene Behälter steigt zurück in die Ausgangslage, und die Tempeltüren schließen sich wieder.
Heron von Alexandria – er soll in der zweiten Hälfte des 1. Jahrhunderts nach Christus gelebt haben – beschreibt noch eine Fülle anderer überraschender Erscheinungen, die durch das Zusammenwirken von Luft, Wasser und Feuer hervorgerufen werden. Aber er liefert dazu keine physikalischen Erklärungen. Wie kann das leichte Medium Luft das schwerere Medium Wasser in die Höhe treiben? Will Heron seinen Zeitgenossen zu verstehen geben, dass die aristotelische Physik eine Irrlehre ist? Oder sollen die Experimente einfach nur für Erstaunen sorgen? In seinem Werk über Automaten treibt Heron dies mit allerlei Techniken, die für den Einsatz im Theater bestimmt sind, auf die Spitze. Oder will er einer neuen Technik den Weg bereiten, indem er aufzeigt, wie Dampf und Druckluft zum Antrieb von Maschinen genutzt werden können?
Darüber gibt es unter den Wissenschafts- und Technikhistorikern sehr verschiedene Ansichten. Manche sehen in Heron von Alexandria den Vordenker moderner Technik – und rätseln darüber, warum die antiken Ingenieure dieses Wissen nicht zum Bau von Dampfmaschinen genutzt haben und warum die industrielle Revolution noch eineinhalb Jahrtausende auf sich warten ließ. Für andere ist Heron lediglich ein Sammler von Wissensbruchstücken, die zu seinen Lebzeiten schon mindestens zweihundert Jahre lang bekannt waren. Die eigentlichen Entdecker und Erfinder der von Heron beschriebenen Erscheinungen müsse man in der hellenistischen Epoche suchen. Die Pneumatik wurde nicht von Heron begründet, sondern von Ktesibios im dritten Jahrhundert vor Christus, der Blütezeit hellenistischer Wissenschaft.
Herons Absichten mögen umstritten sein; dennoch kommt seinem Werk in der Geschichte der Wissenschaft eine herausragende Bedeutung zu. In der Renaissance wird es wiederentdeckt und aus dem Griechischen ins Lateinische, Italienische und Deutsche übersetzt. Herons Experimente liefern das Vorbild für Wasserspiele in den Lustgärten des Barock. Noch heute verwenden wir den „Heronsball“ oder den „Heronsbrunnen“ – wenn auch nur als didaktisches Spielzeug, um mit dem Charme antiker Technik die Wirkungen von Dampf oder Druckluft aufzuzeigen.
ME
Luft, die in einen Kessel gepumpt wird, treibt Wasser in die Höhe.
Der in den Heronsball geleitete Dampf strömt durch Düsen aus und versetzt nach dem Rückstoßprinzip den Ball in Drehung.
DMegale SyntaxisAlmagestAlmagest